Hydrologie

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Abb. 3-2 | Reale Nettostrahlung und Bewölkungsgrad im Januar (links) und Juli (rechts) 2014 (NASA).


Ein weiterer Faktor für die räumliche Differenzierung des Strahlungshaushalts ist das Reflexionsvermögen von Oberflächen, das je nach Wellenlänge unterschiedlich sein kann. Von größerer Bedeutung ist das kurzwellige Reflexionsvermögen, das als Albedo bezeichnet wird und mit Zahlenwerten zwischen 0 und 1 angibt, welcher Anteil der Globalstrahlung reflektiert wird. Ist sie groß, ist der Energiegewinn durch Strahlungsabsorption klein. Das Reflexionsvermögen unterschiedlicher Landoberflächen sorgt für eine starke Differenzierung des regionalen Strahlungshaushalts. Wälder besitzen z.B. ein eher geringes Reflexionsvermögen (0,05–0,2), Böden ein recht variables (0,05–0,4) und Schnee ein sehr hohes (0,5–0,95). Im langwelligen Bereich ist Schnee hingegen ein guter Absorber. Entsprechend den Gesetzen der Thermodynamik werden Differenzen im Strahlungshaushalt ausgeglichen. Sie erzwingen horizontale Massen- und Energieflüsse, die die großräumigen Unterschiede, die saisonal variieren, ausgleichen. Damit sind sie der maßgebliche Antrieb der atmosphärischen Zirkulation, worunter die Grundmuster globaler Strömungsvorgänge in der Atmosphäre verstanden werden.

Strahlungsbedingte Klimazonen

Es gibt eine Vielzahl von Klassifikationen des globalen Klimas, die sich an fachspezifischen Kriterien orientieren. So bilden in der hydrologisch orientierten Klimaklassifikation von Penck (1910) die durchschnittlichen Niederschlagsverhältnisse wie Niederschlagshöhe, innerjährliche Verteilung, Auftreten in Form von Regen und/oder Schnee den Ausgangspunkt (z.B. Schönwiese 2013).

Eine sehr grobe Unterteilung erfolgt durch die Gliederung in physische Klimazonen, die den Einfluss der Sonneneinstrahlung betont. Da von dieser aber auch die atmosphärische Zirkulation abhängt, können Ursachen für hydrologische Unterschiede grundsätzlich anhand der physischen Klimazonen deutlich gemacht werden. Dabei ist zu beachten, dass die atmosphärische Zirkulation aus horizontalen Luftmassentransporten und vertikalen Kreisläufen, z.B. mit Luftaufstieg über den Tropen und Luftabstieg über den Subtropen, besteht.

Die Tropen, die sich zwischen den Wendekreisen um dem Äquator befinden, zeichnen sich durch eine Zone mit Luftaufstieg aus, da hier Nordost- und Südostpassat aufeinandertreffen und einen Massenstau am Boden erzeugen. Sie sind entsprechend niederschlagsreich. Die Zone des Luftaufstiegs wandert dem Sonnenhöchststand folgend zwischen dem 21. Juni eines Jahres und dem 21. Juni des Folgejahres vom nördlichen zum südlichen Wendekreis und wieder zurück. Dies hat im Bereich der Wendekreise eine Trockenzeit und dazwischen zwei Regenzeiten zur Folge, mit einer entsprechenden Saisonalität des Abflussgeschehens. Als Ausgleich bildet sich ein Kreislauf mit einer Höhenströmung vom Äquator zu den Subtropen, über denen sich durch Luftabstieg der Kreislauf schließt. Die Subtropen sind deshalb in ihrem Kern besonders niederschlagsarm. Hier tritt Niederschlag nur episodisch auf, sodass viele Flüsse nur sporadisch Wasser führen. Eine gewisse Saisonalität mit Winterniederschlägen ist dort charakteristisch.

Die gemäßigte Zone wird vom Polarkreis und dem 40. Breitengrad begrenzt. Hier liegen sich subtropische Warmluft und subpolare Kaltluft auf relativ engem Raum gegenüber. Für solche Luftmassengrenzen ist die Ausbildung kräftiger Tiefdrucksysteme typisch, in deren Kern und an deren Fronten Hebungsvorgänge stattfinden, die zusammen mit anderen Ursachen (z.B. Hebung an Gebirgen, Aufstieg von Warmluft in Gewittern u.a.) zur Entstehung von Niederschlägen führen (→ Kap. 4). Da diese ganzjährig mit einer schwachen Saisonalität fallen, zeichnen sich die meisten Flüsse durch eine saisonal geprägte, aber permanente Wasserführung aus. Es schließen sich die energiearmen Subpolargebiete mit langen trockenen Wintern und Sommern an, die nur wenig Niederschlag erhalten. Ebenso wenig Niederschlag fällt auch in den Polargebieten.

Auf der Luvseite von Gebirgen fallen hohe Niederschlagsmengen. Auf der Leeseite herrscht Niederschlagsarmut.

Daneben sind einige regionale Besonderheiten zu beachten. Dazu gehören z.B. der Monsun mit seiner stärksten Ausprägung über dem Indischen Ozean und intensive Hebungsvorgänge an der Luvseite von Gebirgen, Küstenlinien oder Inseln, die dadurch verstärkt Niederschlag erhalten. Regenarmut herrscht dagegen auf der Leeseite von Gebirgen, d.h. in ihrem Regenschatten und z.T. im Inneren der Kontinente vor.

3.3 | Globale Unterschiede des Wasserhaushalts

Grundsätzliche Aspekte zur Bilanzierung des Wasserhaushalts

Die allgemeine Wasserhaushaltsgleichung oder Wasserbilanz bildet die Grundlage für alle hydrologischen Bilanzierungen. Sie wird immer auf einen definierten Zeitabschnitt und einen Betrachtungsraum oder ein Kontrollvolumen wie z.B. einen Kontinent, ein Einzugsgebiet, einen See oder eine Bodenschicht bezogen. Dabei führt die Summe aller Zuflüsse und Abflüsse zu einer Speicheränderung im betrachteten System, die positiv oder negativ sein kann:


Die Wasserhaushaltsgleichung ist die zentrale Gleichung für alle Wasserbilanzbetrachtungen.

Abb. 3-1 enthält globale Angaben. Bei langjährigen Mittelwerten kann die Speicheränderung vernachlässigt werden. Die Unterscheidung von Kontinenten und Weltmeeren stellt eine grobe räumliche Unterteilung dar. Erst mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Auflösung wird es erforderlich, feiner zu bilanzieren. Durch die Verdunstung ist der Wasserhaushalt von Landschaften eng mit ihrem Energiehaushalt verknüpft. Die Verdunstung ist damit sowohl Element der Wasser- als auch der Wärmebilanz (→ Kap. 7). Da Wärmebilanzen immer auf Oberflächen bezogen werden, entfällt bei ihnen das Speicherglied. Insofern muss die Summe aller Wärmeströme, die zur Oberfläche entweder hin oder von ihr weg gerichtet sind, null ergeben. Dabei wird der durch die Strahlungsbilanz im globalen Mittel erzielte Energiegewinn überwiegend, d. h. zu fast 80 %, durch Verdunstung verbraucht, sodass nur ein deutlich kleinerer Anteil der Lufterwärmung zugutekommt. Der Wärmeaustausch mit dem Boden beträgt im Mittel null.

Globale Unterschiede von Niederschlag, Verdunstung und Abfluss

Die großräumige Niederschlagsvariabilität ist eine Folge der Ausbildung physischer Klimazonen und der atmosphärischen Zirkulation. Abb. 3-3 zeigt die globale mittlere jährliche Niederschlagsverteilung. Diese lässt sich in vier Zonen einteilen:

1.den äquatorialen Bereich (Tropengürtel 0°–23°) mit den höchsten Niederschlägen von 1500–6000 mm/Jahr,

2.an diesen schließen sich Trockengebiete in den Subtropen (23°–40°) mit Niederschlägen unter 100 mm/Jahr an,

3.dann folgen wieder feuchtere Gebiete der mittleren und höheren Breiten (40°– 60°) mit Niederschlägen von 300–2000 mm/Jahr

4.und schließlich die relativ niederschlagsarmen Polargebiete.

Da für die Verdunstung nicht nur Wasser, sondern in erheblichem Maße auch Energie erforderlich ist (→ Kap. 7), folgt die globale Verteilung der Verdunstung sowohl der Niederschlagsverteilung als auch den räumlichen Mustern der Strahlungsbilanz (Abb. 3-4). Insofern sind es niederschlagsarme Regionen wie die Subtropen, in denen auch die jährliche aktuelle Verdunstung klein ist, während in den Tropen die jährliche Verdunstung überwiegend weit über 1000 mm/Jahr liegt. Diese Regionen stellen somit neben den Weltmeeren die terrestrischen Wasserquellen für den Wasserdampf in der Atmosphäre dar. In der gemäßigten Zone schwankt die mittlere jährliche Verdunstung zwischen 400 mm/Jahr und 800 mm/Jahr.

Die globale Verteilung des Abflusses folgt dem Wechsel von Niederschlag und Verdunstung, jedoch mit größeren räumlichen Schwankungen, zu denen die räumliche Variabilität von Geologie, Physiographie sowie Boden- und Pflanzeneigenschaften wesentlich beiträgt (Abb. 3-5). Er variiert zwischen keinem Abfluss und Abfluss weit über 1000 mm/ Jahr. In den Trockengebieten der Erde ist der mittlere Abfluss mit < 10 mm/Jahr sehr gering, jedoch ist die saisonale Variation und die Variation von Jahr zu Jahr sehr hoch. Einen besonders hohen jährlichen Abfluss zeigen die Tropen und die Gebirgsregionen. Gebirge werden deshalb auch als Wasserschlösser der Erde bezeichnet (→ Kap. 20).

Die generellen Zusammenhänge zwischen Niederschlag, Verdunstung und Abfluss werden durch Arbeiten von Lvovich (1976) in Abb. 3-6 (linker Teil) dargestellt. Werden die mittleren jährlichen Abflussdaten und Verdunstungsdaten gegen den Niederschlag aufgetragen, liegen sie generell entlang der beiden Linien Q und ETa (tatsächliche Verdunstung). Das Bild macht eindrucksvoll deutlich, dass die Verdunstung weder größer sein kann als die Verfügbarkeit von Wasser noch größer als die Verfügbarkeit an Energie. Die Verfügbarkeit von Wasser entspricht im Mittel dem Niederschlag. Die Verfügbarkeit von Energie wird durch die potenzielle Verdunstung ETp, d.h. die energetisch maximal mögliche Verdunstung, ausgedrückt (→ Kap. 7). Mit zunehmendem Niederschlag nähert sich ETa dem Wert ETp an. Erst wenn der Jahresniederschlag größer wird als ETp, erreicht auch der Abfluss zunehmend größere Beträge.

Abb. 3-3 | Globale Verteilung der mittleren Jahresniederschläge in mm/Jahr für die Periode 1961–1990 (nach New et al. 1999).


Abb. 3-4 | Globale Verteilung der mittleren jährlichen aktuellen Verdunstung für die Periode 1950–1999 (nach Willmott und Matsuura 2001).

 

Abb. 3-5 | Globale Verteilung des mittleren jährlichen Abflusses (nach Feteke et al. 2000).


Budyko (1974) hat die aktuelle Verdunstung und die klimatisch mögliche potenzielle Verdunstung mit der Niederschlagshöhe normiert (ETp/N bzw. ETa/N) und die sogenannte Budyko-Kurve entwickelt (Abb. 3-6, rechter Teil). Dabei ist ETp/N ein Klimaindex, wobei Werte < 1 ein wasserlimitiertes System und Werte < 1 ein energielimitiertes System beschreiben. Die Aufteilung des Abflusses in oberirdischen und unterirdischen Abfluss hängt v. a. vom Niederschlagsgeschehen, von der innerjährlichen Niederschlagsverteilung, der Aufteilung des Niederschlags in Regen und Schnee, dem Auftreten von Bodenfrost sowie den Bodeneigenschaften und einer möglichen Versiegelung des Bodens durch Bebauung ab (→ Kap. 6, 9 und 10).

Abb. 3-6 | Zusammenhänge zwischen Niederschlag, Abfluss (Q), potenzieller und realer Verdunstung ETp und ETa (nach Lvovich 1976 (linke Grafik) und Budyko 1974 (rechte Grafik)).


Einzugsgebiete als Mosaiksteine des globalen Wasserhaushalts

Die Bewältigung wasserwirtschaftlicher Aufgaben macht es erforderlich, große räumliche Einheiten wie Kontinente oder Klimazonen räumlich feiner zu strukturieren, d. h. relevante Raumeinheiten zu bilden, die als hydrologische Systeme bezeichnet werden. Eine der wichtigsten hydrologischen Raumeinheiten ist das Einzugsgebiet, wobei u. a. zwischen den Einzugsgebieten von Flüssen, Seen oder Grundwasserleitern unterschieden werden kann.

Einzugsgebiete sind gut geeignet, um hydrologische Prozesse zu studieren. Bei hydrologischen Prozessanalysen in kleinen Einzugsgebieten wird zwischen verschiedenen Speichervorgängen an der Landoberfläche, im Boden und im Grundwasser, zwischen verschiedenen Abflusskomponenten wie Oberflächenabfluss, bodeninnerem Abfluss und Grundabwasserabfluss oder verschiedenen Verdunstungskomponenten unterschieden (→ Kap. 9).

Box 3.1

Woher stammt der Niederschlag?

Stammt der Niederschlag aus der Verdunstung vom Meer oder von den Kontinenten? Wenn das Wasser von der Landoberfläche kommt, wird dieser Prozess als «moisture recycling» bezeichnet. Van der Ent et al. (2010) haben mithilfe von globalen Datensätzen berechnet, dass im Mittel 40 % des kontinentalen Niederschlags aus der terrestrischen Verdunstung stammen und dass 57 % der terrestrischen Verdunstung wieder über den Kontinenten abregnen. Um einen besseren Eindruck zu gewinnen, ist in Abb. 3-7 oben die globale räumliche Verteilung des mittleren kontinentalen Verdunstungs-Recycling-Anteils dargestellt, also der Anteil der Verdunstung, der über Land abregnet. In Abb. 3-7 unten ist der kontinentale Niederschlags-Recycling-Anteil dargestellt, also der Anteil des Niederschlags, der aus der terrestrischen Verdunstung stammt.

Abb. 3-7 | Kontinentaler Verdunstungs-Recycling-Anteil (oben) und kontinentaler Niederschlags-Recycling- Anteil (unten) (nach van der Ent et al. 2010 und van der Ent und Savenije 2013).


Box 3.2

Definition und Bestimmung des oberirdischen Einzugsgebiets

Ein Einzugsgebiet, das auch als Wasserzustrombereich bezeichnet wird, zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Wasserteilchen, das hier zum Abfluss wird, dieses Gebiet durch den zugehörigen Flussquerschnitt verlässt. Das Einzugsgebiet wird durch seine Wasserscheide allseitig begrenzt. Die oberirdische Wasserscheide kann anhand der Höhenlinien bzw. Isohypsen mittels topographischer Karten konstruiert werden (Abb. 3-8). Dabei wird am Flussquerschnitt begonnen und beidseitig senkrecht zu den Höhenlinien bergaufgegangen, bis jeweils der Geländehochpunkt erreicht wird. In diesem kehrt sich das Geländegefälle um, d.h. vollzieht sich der Übergang in das Nachbareinzugsgebiet. Von den beiden links- und rechtsseitigen Hochpunkten aus verläuft die Wasserscheide weiter über die Höhensättel und Berggipfel, die das Einzugsgebiet umsäumen, bis sich der links- und rechtsseitige Verlauf vereinen. Im Bereich der Höhensättel ist die Fließrichtung beidseitig der Wasserscheide genau entgegengesetzt, d.h. im Inneren in das Gebiet hineingerichtet, und außerhalb von diesem weg.

Zum Einzugsgebiet gehört nicht nur die Landoberfläche, sondern auch der gesamte Boden- und Gesteinskörper, der aus dem Wasser unterirdisch zum Flussquerschnitt fließt. Dabei ist zu beachten, dass das oberirdische Einzugsgebiet und das unterirdische Einzugsgebiet voneinander abweichen können, da die Richtung der unterirdischen Wasserbewegungen weniger von der Geländeoberfläche, sondern mehr von der Geologie anhängt. Im Gebirge ist die Struktur der Gesteinsformationen mit ihren bevorzugten Fließbahnen, im Lockergestein des Norddeutschen Tieflandes die Ausprägung der Grundwasseroberfläche, ähnlich wie die Geländeoberfläche bezüglich oberirdischer Abflussvorgänge, entscheidend.

Abb. 3-8 | Bestimmung von oberirdischen Einzugsgebieten (schwarze Linie) entlang der Wasserscheide ausgehend von einem Punkt (rotes Dreieck) entlang des Fließgewässers (blaue Linie).


Wasserbilanzen werden oft für Einzugsgebiete aufgestellt, in denen der Abfluss Q im Fließgewässer durch Pegelmessungen zur Verfügung steht (→ Kap. 8). Da ein Einzugsgebiet bei Übereinstimmung von ober- und unterirdischem Einzugsgebiet per Definition keine lateralen Zu- oder Abflüsse hat, vereinfacht sich die Wasserbilanz zu:


Merksatz: Das Einzugsgebiet ist die wichtigste räumliche Einheit in der Hydrologie.

Generell werden auch hier alle Größen in Millimeter pro Bezugszeitraum angegeben. Dazu müssen die Punktmessungen des Niederschlags und der Verdunstung auf das ganze Gebiet extrapoliert werden (vgl. → Kap. 4 & 8). Der Abfluss wird von einem Volumen in eine Abflusshöhe in Bezug zur Einzugsgebietsfläche umgerechnet. Im Vergleich zur lokalen Wasserbilanz einer Bodenschicht oder eines Sees ist die Speicheränderung ΔS des gesamten Einzugsgebiets schwierig zu bestimmen.

In der Bilanzierung in Einzugsgebieten stellt neben den Speicheränderungen die Gebietsverdunstung das Hauptproblem dar. Sie lässt sich ohne sehr aufwendige Messungen nur modellgestützt ermitteln, weshalb sie häufig die Zielgröße der Bilanzierung ist. Ihre Ermittlung ist vereinfachend aus der Differenz von Niederschlag und Abfluss dann möglich, wenn die Speicheränderungen vernachlässigt werden können. Dies trifft näherungsweise für Jahreswerte und für langjährige Mittelwerte zu. Bei Jahreswerten ist dafür eine Jahreseinteilung erforderlich, die vom Kalender abweicht.

Weiterführende Literatur

Glawion, R., Glaser, R., Saurer, H., Gaede, M. und M. Weiler (2012): Physische Geographie. 2. Auflage. Braunschweig.

Schönwiese, C. (2013): Klimatologie. 4. Auflage. Stuttgart.

Zmarsly, E., Kuttler, W. und H. Pethe (2002): Meteorologisch-klimatologisches Grundwissen. Stuttgart.

| 4Niederschlag

Uwe Haberlandt

Inhalt

4.1 Bildung und Charakterisierung des Niederschlags

4.2 Niederschlagsmessung

4.3 Gebietsniederschlag

4.4 Bemessungsniederschlag

4.5 Schneeniederschlag

Der Niederschlag ist die wichtigste Eingangsgröße für alle hydrologischen Berechnungen. In diesem Kapitel werden die komplexe Niederschlagsbildung, verschiedene Niederschlagstypen sowie die räumliche und zeitliche Variabilität des Niederschlags diskutiert. Von hoher praktischer Bedeutung sind die verschiedenen Messmethoden, die Bestimmung des Gebietsniederschlags sowie die Ermittlung von Bemessungsniederschlägen.

4.1 | Bildung und Charakterisierung des Niederschlags

Begriff des Niederschlags

Unter dem Begriff «Niederschlag» versteht man einerseits einen Prozess, d.h. «aus der Lufthülle in flüssiger oder fester Form ausgeschiedenes Wasser» (DIN 4049-1 1992), wobei das Ausscheiden an der Erdoberfläche erfolgt. Andererseits ist Niederschlag eine Wassermenge und damit Element der Wasserbilanz (Dyck und Peschke 1995).

Bei der Klassifizierung der Niederschläge werden im Wesentlichen fallende, abgesetzte und abgelagerte Niederschläge unterschieden:

▶fallende Niederschläge: Regen, Schnee, Graupel und Hagel,

▶abgesetzte Niederschläge: Tau, Reif und Nebel,

▶abgelagerte Niederschläge: Schneedecke.

Merksatz: Für die Bildung des Niederschlags in der Atmosphäre müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. ausreichender Feuchtegehalt der Luft, 2. Abkühlung der Luftmasse unter den Taupunkt (Temperatur, bei der Wasserdampfsättigung auftritt) und 3. Vorhandensein von Kondensations- bzw. Gefrierkernen.

Niederschlagsbildung

Da das maximale Aufnahmevermögen der Luft an Wasserdampf mit der Temperatur abnimmt (→ Kap. 7), wird durch Abkühlung unter die vorherrschende Taupunkttemperatur Übersättigung erreicht. Der überschüssige Wasserdampf lagert sich durch Kondensation bzw. Resublimation an winzigen Partikeln, die als Kondensations- bzw. Gefrierkerne bezeichnet werden, an. Resultat sind überwiegend Tropfen, die zunächst sehr klein sind (im μm-Bereich). Diese sind zu leicht, um aus der Wolke auszufallen. Sie müssen erst zu einer Mindestgröße heranwachsen. Dabei ist zu beachten, dass die Existenz sehr kleiner Tropfen auch bei negativen Temperaturen, so wie sie in den gemäßigten Breiten ab einer bestimmten Höhe typisch sind, möglich ist. Daraus resultiert in hochreichenden Wolken ein Nebeneinander von Tropfen und Eiskristallen. Alle Ausscheidungen von atmosphärischem Wasserdampf werden als Hydrometeore bezeichnet.

Es sind verschiedene Wachstumsprozesse von Hydrometeoren zu unterscheiden. Größere Tropfen wachsen auf Kosten kleinerer, und Eiskristalle wachsen zulasten von Tropfen. Durch die Bewegungen in der Wolke kommt es zur Vereinigung von Hydrometeoren. Dies geschieht durch Zusammenfließen, also durch Koaleszenz und Kollision von Tropfen, sowie durch Kollision und Anhaften von Tropfen an Eiskristallen bzw. von Eiskristallen untereinander. Beim Anhaften von Tropfen an Eiskristallen spricht man von Vergraupelung. Die Gesamtheit dieser Prozesse wird als Koagulation bezeichnet.

Niederschlagstypen

Die für die Kondensation des Wasserdampfs erforderliche Abkühlung der Luftmasse geschieht durch deren Aufsteigen in größere Höhen. Der Luftaufstieg kann auf drei verschiedene Arten hervorgerufen werden. Dementsprechend lassen sich verschiedene Niederschlagstypen definieren:

Konvektive Niederschläge sind maßgebend für Hochwässer in kleinen Einzugsgebieten.

Orographische Niederschläge sind die Ursache für höhere Niederschlagssummen im Bergland.

Konvektive Niederschläge entstehen vor allem dann, wenn Luft, die sich an höher temperierten Erdoberflächen erwärmt hat, aufsteigt (→ Abb. 4-1). Typisch ist dies z.B. für die Erhitzung der Bodenoberfläche durch intensive Sonneneinstrahlung im Hochsommer. Die so entstehenden Starkniederschläge haben häufig sehr hohe Intensitäten, verbunden mit einer kurzen Dauer und einer geringen Flächenausdehnung bei hoher räumlicher Variabilität.

 

Orographische Niederschläge entstehen, wenn an Gebirgen feuchte Luftmassen aufsteigen (→ Abb. 4-1). Dies führt zu Stauniederschlägen mit unterschiedlichen Dauern und Intensitäten. Sie treten vorrangig an der dem Wind zugewandten Seite (Luv) der Gebirge auf, während es an der windabgewandten Seite (Lee) deutlich weniger regnet. Stauniederschläge sind auch an den Küsten zu beobachten, sogar bei geringem Höhenunterschied zwischen Festland und Meer.

Zyklonale Niederschläge sind maßgeblich für Hochwässer in größeren Flussgebieten.

Zyklonale Niederschläge sind an Wetterfronten gebunden (→ Abb. 4-2). In Warmfronten wird Warmluft an kälterer Luft gehoben. In Kaltfronten schiebt sich kältere Luft unter Warmluft. Im Kern von Tiefdruckgebieten sind Warm- und Kaltfront quasi vereint. Die Folge ist hier ein sogenannter Aufgleitschirm. Für diesen und für Warmfronten sind Niederschlagsfelder mit großer Flächenausdehnung und Dauer des Niederschlags typisch, während die Niederschläge im Bereich von Kaltfronten eher den konvektiven Niederschlägen ähneln. In den gemäßigten Breiten haben zyklonale Niederschläge den höchsten Anteil am Gesamtniederschlag.

Abb. 4-1 | Konvektive Niederschläge (links) und orographische Niederschläge (rechts).


Abb. 4-2 | Zyklonale Niederschläge, links: Kaltfront, rechts: Warmfront.


Räumliche und zeitliche Variabilität

In Abb. 4-3 ist die räumliche Verteilung des mittleren Jahresniederschlags für Deutschland dargestellt. Deutlich zu erkennen sind die Gebirge mit hohen Niederschlägen sowie eine Zweiteilung in tendenziell feuchte Regionen im Westen und eher trockenere Gebiete im Osten.

Abb. 4-3 | Verteilung der mittleren Jahresniederschlagshöhe in mm/a für Deutschland, Periode 1961–1990, erstellt mit Rasterdaten des DWD nach MüllerWestermeier et al. 2005) (URL: http://imk-tornado.physik.uni-karlsruhe.de/ ~muehr/Karten/regen 6190 jahr.png (Stand: 04.07.2015)).


Abb. 4-4 | Größte beobachtete Niederschlagshöhen (Daten: DWD 2002; Dyck 1980; NOAA 2015; WMO 2009).


Abb. 4-5 | Zeitreihen des Niederschlags für unterschiedliche zeitliche Diskretisierungen.


Abb. 4-4 zeigt die größten bisher beobachteten Niederschläge weltweit für verschiedene Dauern. Solche Informationen können für Plausibilitätsprüfungen von Starkniederschlagsdaten verwendet werden. Der Rekordwert Deutschlands für die Dauer 24 h wurde am 12.08.2002 mit einer Niederschlagshöhe von 312 mm/d (7:00–7:00 MEZ) gemessen.

Abb. 4-5 zeigt die hohe zeitliche Variabilität des Niederschlags für ein einzelnes Ereignis. Es ist gut zu erkennen, dass der Niederschlag zeitlich stark variiert und ein intermittierender Vorgang mit Regenphasen und Regenpausen ist. Die Darstellung des Zeitverlaufs von Niederschlägen erfolgt durch Diskretisierung, d.h. Zerlegung des Zeitkontinuums in Intervalle mit konstanter Regenintensität. Eine geringe Diskretisierung bzw. große Zeitintervalle führen zu Informationsverlusten hinsichtlich Intensitätsverlauf und Niederschlagsunterbrechungen, der sog. Intermittenz.

Niederschlagsvariablen

Die folgenden Niederschlagsvariablen werden für die Quantifizierung des Niederschlagsgeschehens verwendet:

▶Die Niederschlagshöhe Nj [mm/∆t] ist das Wasserdargebot aus atmosphärischen Niederschlägen pro Zeitraum ∆t (Tages-, Monats- oder Jahreszeiträume) an einem Ort, ausgedrückt als Wasserhöhe über einer horizontalen Fläche. Da die Fläche zum Ermitteln des Niederschlagvolumens und für die Bilanzierung benötigt wird, ist sie mit anzugeben.

▶Die Niederschlagsintensität Nint [mm/∆t] ist die Niederschlagsmenge, die pro Zeit an einem bestimmten Ort fällt. Der Begriff Niederschlagshöhe wird in der Praxis meist für längere Δt mit z.B. Δt = 1 d und Δt = 1 a verwendet, um z.B. Wasserbilanzen zu erstellen. Mit dem Begriff Niederschlagsintensität wird dagegen die Dynamik des Niederschlagsverhaltens zum Ausdruck gebracht, weshalb hier Angaben für kleine Zeitintervalle mit z.B. Δt = 1 h üblich sind.

▶Die Niederschlagsdauer ND [∆t] ist die Zeitspanne, in welcher der Niederschlag fällt.

▶Die Niederschlagsspende rN [l/(s•ha)] oder [l/(s•km2)] ist der Quotient aus dem Volumen des in einer bestimmten Zeitspanne auf eine bestimmte Fläche gefallenen Niederschlags und dem Produkt aus dieser Zeitspanne und dieser Fläche.

▶Ein Niederschlagsereignis ist ein Zeitabschnitt, in dem Niederschlag aufgetreten ist. Es wird durch seine Niederschlagshöhe, Dauer, seinen zeitlichen Verlauf und seine räumliche Verteilung charakterisiert.

4.2 | Niederschlagsmessung

Niederschlagsmessungen bilden die Basis für die Erfassung der räumlichen und zeitlichen Verteilung der Niederschlagsmengen. Grundsätzlich lassen sich die Messmethoden in punktuelle und nicht punktuelle Messungen unterscheiden.

Punktuelle Messmethoden

Punktmessungen werden mit unterschiedlichen Messgeräten durchgeführt. Im Allgemeinen bestehen diese aus einem Auffanggefäß mit einer definierten Öffnungsgröße. Verschieden sind jedoch die Methoden der Messwerterfassung. Man unterscheidet zwischen nicht registrierenden Geräten, sog. Niederschlagssammlern, und registrierenden Geräten wie Niederschlagsschreibern oder digitaler Messwertspeicherung.

Niederschlagsmesser nach Hellmann: Mit dieser einfachen Methode, die in Deutschland seit Langem Standard ist, werden Niederschlagssummen mittels eines Niederschlagssammlers gemessen (→ Abb. 4-6). Der Niederschlag gelangt über die Auffangfläche, die 200 cm2 groß ist und sich in 1 m Höhe über dem Boden befindet, und einen Trichter in eine Sammelkanne im Inneren des Gerätes. Das aufgefangene Wasservolumen wird am Ende des Messzeitraums, der gewöhnlich von 07:30 Uhr bis 07:30 Uhr dauert (Δt = 1 d), manuell gemessen, indem das Wasser aus der Sammelkanne in ein spezielles Messglas umgefüllt wird. Das Volumen der Sammelkanne entspricht 60 mm. Das Gerät besitzt keine Heizung, sodass feste Niederschläge überwiegend nicht bis in das Gefäß gelangen, d.h. über dem Trichter festgehalten werden.

Abb. 4-6 | Niederschlagsmesser nach Hellmann (links) und Niederschlagsschreiber (rechts; A: Auffanggefäß, S: Sammelkanne, T: Schreibtrommel, G: Schwimmergefäß mit Heber) (nach Dyck und Peschke 1995).


Niederschlagsschreiber (→ Abb. 4-6) ermöglichen bei gleicher Größe und Höhe der Auffangfläche wie beim Sammler eine kontinuierliche Aufzeichnung des Niederschlags. Hierbei wird der Niederschlag jedoch in einen speziellen Metallzylinder geleitet. In diesem befindet sich ein Schwimmkörper. Auf dem Schwimmer sitzt ein Gestänge mit Schreibarm und Schreibfeder, wodurch der Wasserstand im Schwimmerbehälter auf einer umlaufenden Registriertrommel kontinuierlich als Schrieb festgehalten werden kann. Erreicht der Füllstand im Schwimmerbehälter sein Maximum (entspricht einer Niederschlagshöhe von 10 mm), dann erfolgt seine Entleerung über ein Heberrohr in ein Sammelgefäß, sodass der Füllvorgang von Neuem beginnen kann. Das Sammelgefäß fasst 400 mm, was 40 Füllungen entspricht. Das Gerät ist beheizbar, sodass feste Niederschläge schmelzen und somit gleichfalls kontinuierlich erfasst werden können.

Der Schrieb zeigt das Messergebnis des Niederschlagsschreibers in Form einer Niederschlagssummenlinie an (→ Abb. 4-7). Mehrere Füll- und Entleerungsvorgänge des Zylinders ergeben einen sägezahnförmigen Schrieb mit mehr oder weniger steilen Anstiegen und vertikalen Rückgängen bis zur Null-Linie. Die Steigung der Summenlinie entspricht der Niederschlagsintensität Nint. Aus dem Anstieg des Schriebs je Zeiteinheit Δt lassen sich Niederschlagshöhen je Δt ermitteln, wobei eine zeitliche Auflösung bis zu Δt = 5 min möglich ist. Für die elektronische Datenverarbeitung der Messungen müssen die Summenlinien erst digitalisiert werden. Diese sollten mit maximal möglicher zeitlicher Auflösung als Wertepaare «Zeit» und «Niederschlagssumme» abgespeichert werden und können später nach Bedarf in äquidistante Niederschlagsintensitäten größerer Dauer umgerechnet werden.

Abb. 4-7 | Niederschlagssummenlinie eines Niederschlagsschreibers mit Umlauf 1 Tag.


Abb. 4-8 | Niederschlagsmessung mit Tropfenzähler und Wippe (links) und Gerät mit Wägeprinzip (rechts, Ott Pluvio).


Digital aufzeichnende Geräte: Diese registrieren den Niederschlag elektronisch. Dadurch entfällt das aufwendige manuelle Digitalisieren. Daneben ist eine direkte Fernübertragung, z.B. für die Hochwasservorhersage, möglich. Es kommen verschiedene Messprinzipien zur Anwendung. In Abb. 4-8 sind Messgeräte mit Tropfenzähler und Wippe und ein Gerät mit Wägeprinzip dargestellt. Letzteres wird in Deutschland im Messnetz des DWD (Deutscher Wetterdienst) verwendet. Auffangfläche und Aufstellhöhe dieser Geräte betragen gleichfalls 200 cm2 bzw. 1 m über Bodenniveau. Es werden zeitliche Auflösungen von bis zu Δt = 1 min in einem Messzeitraum von einem Monat erreicht. Längere Messzeiträume sind aufgrund möglicher Störungen und Datenverluste nicht zu empfehlen, da diese häufig erst beim Auslesen der Daten erkannt werden.

Merksatz: In der punktuellen Niederschlagsmessung tritt ein systematischer Fehler auf. Der tatsächliche Niederschlag wird grundsätzlich unterschätzt.