Hospiz ist Haltung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Hospiz ist Haltung
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Prof. Marie Luise Bödiker,

Gerda Graf,

Horst Schmidbauer

(Hg.)

Hospiz ist Haltung

Kurshandbuch Ehrenamt




Geleitwort

Berlin, den 11.4.2011

Es ist eine große Ehre für mich, ein Geleitwort für dieses Kurshandbuch für Frauen und Männer, die im Hospiz ehrenamtlich tätig sind, schreiben zu dürfen. Die vielen Menschen, die sich tagtäglich in so großartiger Weise ehrenamtlich oder auch beruflich um Leidende und Sterbende kümmern, verdienen weit mehr Dank und Anerkennung als Öffentlichkeit und Politik ihnen heute zugestehen. Zwar ist unter dem Einfluss des Engagements der vielen Ehrenamtlichen und auch der beruflich der Hospizbewegung verbundenen Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger in den letzten Jahren eine Menge besser geworden. Aber jeder von Ihnen spürt, dass da noch viel zu tun ist.

Die Deutsche Hospizbewegung, die früher in der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz – BAG – organisiert war und heute im Deutschen Hospiz- und Palliativverband – DHPV – zusammengefasst ist, hat in den vielen Jahren ihrer Tätigkeit eine Menge erreicht.

Das ist in besonderer Weise auch das Verdienst der Autorinnen und Autoren, die der Hospizbewegung seit vielen Jahren verbunden sind und Ihnen heute dieses Kurshandbuch vorlegen.

Es lohnt wirklich, darin zu lesen.

Sein Inhalt beginnt mit der Darstellung, wie die Hospizarbeit entstanden ist und wo ihre Wurzeln liegen. Auch die Übersicht über den aktuellen Stand der rechtlichen Regelungen, die in den letzten Jahren durch den Deutschen Bundestag beschlossen wurden, ist interessant, weil sie zeigt, wie viel sich verändert hat und wo die aktuellen Probleme liegen. Die rechtlichen Regelungen werden ergänzt durch praktische Hinweise über den Aufbau eines Vereins und der Frage, wie man Spenden einwerben kann und wie man mit ihnen umgehen muss. Alles das ist wichtig.

Die Schwerpunkte dieses Kursbuches liegen jedoch ganz eindeutig in den Erläuterungen und Anleitungen, die für die ehrenamtliche Hospizarbeit vor Ort bestimmt sind. Sie umfassen die präzise Erläuterung, was ein stationäres und was ein ambulantes Hospiz ausmacht, was wann sinnvoll ist und wie Arbeit und Mitwirkung der ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer in der Hospizarbeit organisiert werden sollte. Das alles wird nicht nur konkret geschildert, sondern auch in Bereichen einfühlsam erörtert, in denen es gelegentlich zu Spannungen kommen kann. Das alles sind wichtige und wertvolle Kenntnisse, die jedem Interessierten sehr helfen werden und die mit dafür sorgen können, noch mehr Frauen und Männer für die Mitarbeit in dem wichtigen Bereich der Hospizarbeit zu gewinnen.

Besonders empfehlenswert ist dieses Kurshandbuch, um das noch einmal ausdrücklich zu betonen, weil sich so viele besonders gute und erfahrene Experten zusammengefunden haben, um ihren speziellen Bereich verständlich darzulegen. Das ist gelungen und gilt keineswegs nur für die beruflich oder wissenschaftlich der Hospizarbeit verbundenen Spezialisten, sondern gerade auch für diejenigen Persönlichkeiten, die lange Erfahrungen in der ehrenamtlichen Hospizarbeit mitbringen.

Ich freue mich ganz besonders, dass die langjährige Vorsitzende der BAG Hospiz, Frau Gerda Graf, dieses Kursbuch maßgeblich mit herausgibt. Mit dieser unglaublich engagierten Frau, ohne deren unermüdlichen Einsatz die Hospizarbeit in Deutschland noch lange nicht auf dem heutigen Stand wäre, verbindet mich eine langjährige persönliche Freundschaft. Auch sie bringt ihr unerschöpfliches Wissen über alle Fragen des Hospizwesens in das Kursbuch ein. Ich lege es Ihnen ans Herz, wünsche Ihnen viel Nutzen und dem Kursbuch viele Auflagen.

Ihre


Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz a. D. Schirmherrin des Deutschen Hospiz und PalliativVerband e.V.

Hospiz ist Haltung. Kurshandbuch Ehrenamt Hg. von Prof. Dr. Marie Luise Bödiker, Gerda Graf, Horst Schmidbauer

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Bibliothek; detailed bibliographic data is available in the internet at http://dnb.ddb.de

Ludwigsburg: der hospiz verlag, 2011

ISBN: 978-3-941251-44-1 (Druckausgabe)

ISBN: 978-3-941251-61-8 (ePUB-Version)

ISBN: 978-3-941251-62-5 (Kindle-Version)

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist durch das Urheberrecht geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags zu Unterrichtszwecken, Übersetzungen sowie Einspeicherungen und Verarbeitung in elektronischen Systemen nicht zulässig.

Titelbild: unter Verwendung von Zeichnung Frau Christa Hoppermanns

Typografie und Gestaltung: Evgenia Motz, em-concept, Möglingen

Druckerei: CPI books GmbH, Leck

eBook-Erstellung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH http://www.hospiz-verlag.de

Bevor ich gehe, brauche ich dich…

In unserer Ausleitung am Ende des Buches finden Sie von der Schauspielerin Petra Afonin die Botschaft: „Bevor ich gehe, bleibe ich“. Diese erinnert uns sowohl an die Endlichkeit des Lebens als auch daran, dass das Sterben ein Prozess im Leben ist. In dieser Analogie beginnen wir als Herausgeber mit der Einleitung „Bevor ich gehe, brauche ich dich“. Das Kurshandbuch Ehrenamt will damit auch ein Zeichen setzen, wie sehr wir einander aufeinander angewiesen sind. Und dieses „Du“, wie Martin Buber es nennt, ist das, was uns trägt.

Ihnen als Leser zeigen wir zunächst den geschichtlichen Hintergrund der Bürgerbewegung Hospiz. Im zweiten Kapitel stellen wir uns dann der Frage, ob die Ehrenamtlichen treibende Kraft einer Bewegung oder eher Exoten sind, die sich einer Aufgabe stellen, die ohnehin kein anderer machen möchte. Neben dem, was die Bewegung an Wissen geschaffen hat, möchten wir besonders die Bedeutung der Haltung hervorheben als das, was dem Sterbenden Halt gibt. Übergangslos beschäftigen wir uns dann im dritten Kapitel nicht nur mit einem Beispiel von Hauptamt und Ehrenamt, sondern wir gehen auch der Frage nach, wie Würde zu deuten ist und wie sie im Kontext der Spiritualität in eine Begleitung am Lebensende münden kann. Im letzten Kapitel fragen wir nach dem Wandel und der Identität des Ehrenamtes im Hospizbereich. Im Anschluss an die Ausleitung finden Sie einen Anhang mit wertvollen Hinweisen für Ehrenamtliche zu Gesetzestexten, Haftung und Vereinsarbeit.

Das Buch, das aus einer Ideenvielfalt entstanden ist, sehen die Herausgeber auch als eine Würdigung dem Ehrenamt gegenüber, das in einzigartiger Weise in Deutschland einen Beitrag leistet, der das Sterben nicht negiert, sondern sich dafür einsetzt, hochqualifiziert am Lebensende so zu begleiten, dass das Sterben aushaltbar ist.

Ihre


Prof. Marie Luise Bödiker


Gerda Graf


Horst Schmidbauer


Kapitel I In den Wurzeln liegt unsere Stärke

In diesem Kapitel möchten wir an die Wurzeln unserer Bürgerbewegung Hospiz erinnern und für Sie nachvollziehbar darstellen. Dabei werden Sie genauso wie wir spüren, dass man aus dem Wissen um unsere Wurzeln viel Kraft schöpfen kann.

Diese Wurzeln kann uns niemand nehmen, aber diese Wurzeln mit ihrer Kraft haben auch Anteil daran, dass wir in der Hospizbewegung eine Haltung annehmen, die sich nicht nur der Vergangenheit, sondern gerade der Zukunft verpflichtet fühlt.

Ein spannendes Kapitel, das auf die ganzheitliche Sicht des Menschen abstellt.

Horst Schmidbauer

1.1.Geschichtliches und Geschichten

von Gerda Graf

1.2.…die Menschen teilhaben zu lassen, auch an dem, was außerhalb geschieht...

Frau Dr. Everding im Gespräch mit Horst Schmidbauer

1.3.Das Lebensende therapieren?

Herrn von Radowitz im Gespräch mit Horst Schmidbauer

 

1.4.Hin zum bürgerschaftlichen Tun

Herr Schmelter im Gespräch mit Gerda Graf

1.5.Erinnerungen an die parlamentarische Begleitung

von Horst Schmidbauer

1.6.Ach könnte das schön sein

von Prof. Dr. Marie-Luise Bödiker


Gerda Graf,

geb. 1952.

Ausbildung zur Krankenschwester, später Studium Pflegemanagement, heute tätig als Geschäftsführerin der Wohnanlage Sophienhof in Niederzier. Während ihrer Weiterbildung, z. B. in Focusing, Palliative Care und systemischer Organisationsberatung, beschäftigte sie sich mit der Integration von hospizlichen Strukturen in Organisationen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen. Sie war Mitbegründerin der ambulanten Hospizbewegung Düren und baute ein stationäres Hospiz an einem Krankenhaus auf. Fast 10 Jahre stand Frau Graf der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz (heute DHPV e. V.) als ehrenamtliche Vorsitzende vor. Hier gelang es, gemeinsam mit Vorstand und den 16 Bundesländervertretern, den Dachverband zusammenzuschließen und politisch so wirksam werden zu lassen, dass Gesetze verabschiedet wurden und parteiübergreifend die Hospizidee anerkannt und umgesetzt wurde und wird. Sie war auch Mitbegründerin der hospiz zeitschrift und Initiatorin des Ehrenamtspreises, der jährlich vom DHPV verliehen wird. Gerda Grafs größter Wunsch ist es, die hospizliche Haltung in Organisationen so weiterzuentwickeln, dass eine Ethik der Mitmenschlichkeit in den alltäglichen Handlungen sichtbar wird.


1.1Geschichtliches und Geschichten

Wortherkunft

Das Wort hospitum bedeutet im Lateinischen so viel wie „Herberge, Bewirtung“ – häufig in Anlehnung an Klöster für Reisende und Pilger gedacht1. Sowohl das Wort „Hospiz“ als auch der Begriff HOSPITAL standen im Mittelalter sinngemäß sowohl für das Krankenhauswesen als auch für die Beherbergung. Ein Grund mag dabei sein, dass die damalige Medizin den fließenden Wortgebrauch zuließ. In der Schweiz bezeichnet das Wort Hospital heute noch Krankenhäuser und Altenheime. Darüber hinaus leitet es sich etymologisch aus dem Begriff für „Armenhaus“ ab, meint aber gleichzeitig auch die Gastfreundlichkeit2. Diese Ableitung macht verständlich, was der römische Dichter Plautus um 250 v. Chr. festgestellt haben soll: „Nach drei Tagen beginnen Gäste wie Fisch zu stinken“. Nach dem angelsächsischen Recht war ein Fremder drei Tage lang Gast. Danach erhielt er den Status eines Knechtes, und die Beziehung zwischen Gast und Gastgeber änderte sich. Erst mit der Verbreitung des Christentums wurden diese Regeln nach altruistischen Gesichtspunkten umgewandelt und das Hospiz zur Herberge, sprich Bewirtung, erklärt. Damit wird erkennbar, was dem Hospizgedanken ursprünglich zugrunde liegt – eine HERBERGE FÜR WANDERER.

Herberge für Wanderer

Stellt man sich die Wege vor, die in der damaligen Zeit von Menschen zurückgelegt wurden, so liegt die Errichtung solcher Herbergen nicht fern. Eine Raststätte also mit der Möglichkeit auszuruhen, zu essen und zu übernachten, um neue Kräfte zu sammeln für die weiteren Stationen der Reise. Aufgenommen wurden alle Besucher, aber in zunehmendem Maße – der Zeit entsprechend – immer häufiger Pilger auf der Durchreise zum „Heiligen Land“. So verwundert es nicht, dass infolge der strapaziösen Reisen im Mittelalter auch Kranke und Sterbende im Hospiz Zuflucht fanden.

Meistens waren diese Herbergen angegliedert an die damaligen Klöster. Dazu ein Auszug aus einer damaligen Hausordnung einer Herberge: „Wie unsere Herren, die Kranken, empfangen und bedient werden sollen: Wenn ein Kranker kommt…, möge er zu Bett getragen werden und dort…, bevor die Brüder zum Essen gehen, täglich aus Wohltätigkeit mit Speise und Trank, entsprechend den Möglichkeiten des Hauses, versorgt werden. Diese Betten der Kranken sollen so lang und so breit bemessen sein, wie es eine angenehme Ruhe erfordert und jedes Bett soll mit einer eigenen Zudecke versehen sein…, für die Säuglinge, welche von Pilgerinnen in dem Haus zur Welt gebracht werden, sollen kleine Wiegen gebaut werden…, die Leiter des Hauses sollen den Kranken mit frohem Herzen dienen und sie sollen ihre Pflicht ihnen gegenüber erfüllen und ihnen ohne Murren oder Klagen zu Diensten sein…, damit sie Tag und Nacht geschützt und bewacht seien, sollen ihnen überdies neun Diener zur Verfügung gestellt werden, welche sanft ihre Füße waschen und ihr Bettzeug wechseln sollen…“3

So sah das Christentum in der Hospiz- und Hospitalform die Verwirklichung des „Dienst am Nächsten“, und in fast alle damaligen Ordensregeln wurde die „Sorge für Gesunde und Kranke“4 mit aufgenommen.

Allerdings gerieten bisherige Weltanschauungen über den Tod ins Schwanken. Glaubte man bis ins Mittelalter an ein ruhiges Hinübergleiten in eine andere Welt, wurde infolge der zunehmenden Christianisierung die Angst vor dem Jüngsten Gericht propagiert.

Damit bekam der Tod eine direkte Beziehung zum gelebten Leben, und die Sorge vor den Höllenqualen erstickte einen angstfreien Umgang mit dem Tod. Damit wurde die Saat zur Tabuisierung dieses Themas bis in die achtziger Jahre gelegt.


Großer Krankensaal des Hotel-Dieu in Bealine; Zeichnung nach einer Fotografie

Die neuzeitliche Hospizbewegung

Im Spätmittelalter wurde der Krankenhausbedarf nicht mehr durch die Klöster getragen, da der Staat begann, Kranke in eigenen Einrichtungen unterzubringen. So kam die große Zeit der Pest und die zusätzliche Hexenverfolgung durchaus gelegen, um die Klöster aufzulösen. Die Pilger wurden zu Vagabunden degradiert und die unheilbar Kranken wurden von den Hospitälern abgewiesen.

Natürlich gab es gelegentlich immer noch hospizähnliche Institutionen, wie z. B. die Schwesternschaften von Vincent von Paul zeigen. Aber die eigentliche Hochblüte zur Zeit der Kreuzzüge war vorüber, und so gab es in diesem Bereich keine nennenswerte Weiterentwicklung.

Die moderne Leistungsgesellschaft, die mit dem bekannten Werbespruch „Jung – dynamisch – erfolgreich“ die ewige Jugend propagiert und mit ihren medizinischen Fortschritten gleichzeitig ein langes Leben verspricht, führte zu einem anderen Umgang mit Sterbenden. Nun wurden Krankenhäuser zu einem Ort für nicht mehr funktionale Teile dieser Gesellschaft. Es verwundert nicht, dass Sterbende sich an solchen Orten nicht wohlfühlen, denn „der Sinn der Krankenhäuser in der Industriegesellschaft liegt entweder darin, die Maschine Mensch zu reparieren oder bestimmte Gruppen wie Irre und ansteckende Kranke, die später vielleicht wieder nützlich werden könnten, separat einzusperren“5.

Ein neuer Hospizgedanke entsteht

Dieser Hintergrund trug dazu bei, einen neuen Hospizgedanken wachsen zu lassen, und so entstand um Ende des 19. Jahrhunderts ein Hospiz in Irland für unheilbar Kranke. Ob dabei die Definition von Frankreich übernommen wurde, wo es um diese Zeit noch Waisenhäuser und andere Zufluchtsorte gab, oder ob der Begriff direkt auf die mittelalterliche Institution zurückgeht, ist ungeklärt6.

„Das stationäre Hospiz soll keine von der Umwelt isolierte Festung, sondern einen Ort des Lebens darstellen, an dem Sterben als natürlicher Teil unserer menschlichen Pilgerfahrt betrachtet wird und der Tod die ihm aufgrund dieser Einstellung gebührende Würdigung erfährt“7.


Cicely Saunders, Gründerin der modernen Hospizbewegung

Die neuzeitliche Entwicklung der Hospize ist im europäischen Raum auf die Dame Cicely Saunders (1918 – 2005) zurückzuführen. Als Ärztin, Sozialarbeiterin und Krankenschwester gründete sie 1967 das St.-Christopher’s-Hospice. Ihr fachlicher Hintergrund spiegelt sich in einer Idee wider, die zum einen die körperlichen Aspekte berücksichtigt (palliative Medizin und palliative Pflege), wie auch die spirituelle und psychosoziale Begleitung, wie es sich im folgenden Zitat von Cicely Saunders ausdrückt:

„Es macht schutzbedürftige Menschen so verletzlich, dass sie glauben, sie wären eine Last für die anderen. Die Antwort ist eine bessere Betreuung der Sterbenden, um sie zu überzeugen, dass sie immer noch ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind.“

Bei der Betrachtung eines Hospizes spiegelt sich der Leiden lindernde Aspekt gleichberechtigt in allen vier Dimensionen der Hospizidee wider. Im Gegensatz zu der Idee von Cicely Saunders wurde die hospizliche Arbeit in Deutschland zweigeteilt, d. h. wir finden Hospize und Palliativstationen. Palliativstationen sind eingebettet in die Krankenhausstruktur. Als Beispiel sei hier die Palliativstation der Kölner Universitätsklinik genannt, die bis 1991 als Modellstation von der Deutschen Krebshilfe finanziell unterstützt wurde. Pater Zielinsky, der Jahre zuvor im St. Christopher’s Hospice gearbeitet hatte und in seiner Dissertation „Sterbebegleitung unter medizinisch-ethischer Sicht“ bearbeitete, war Wegbereiter dieser 5-Betten-Station und baute sie nach dem englischen Muster auf, um so die Diskussion um eine aktive Sterbehilfe aus der Welt zu schaffen. Denn „ein Mensch gibt ohne Grund sein Leben nicht auf. Die Aufgabe der Mitmenschen ist es, diesen Grund herauszufinden und zu versuchen, ihn zu beseitigen. Wenn ein Tumorpatient die Gewissheit hat, dass er nicht abgeschoben und alleine gelassen wird, möchte er diese letzte Phase seines Lebens noch bewusst erleben“8.

Dieser Hintergrundgedanke von Zielinsky prägte die Palliativstation und gab der Schmerztherapie vor dem psychosozialen und spirituellen Aspekt den Vorrang. 1990 betrug die durchschnittliche Verweildauer auf Palliativstationen 27 Tage (2010: 7 Tage). Die Abrechnung erfolgt wie in jeder Klinik über die Krankenkasse. Zu diesem Punkt äußerte sich Zielinsky während eines Interviews am 26.1.1990 wie folgt: „Hospize führen gesundheitspolitisch dazu, dass sie ebenso wie die Altenheime nicht im gesetzlichen Krankenkassenbereich angesiedelt werden.“ Deshalb plädiert er für die Perspektive der palliativen Station.

Die Anfänge in Deutschland

Die ersten deutschen Hospize entstanden 1986 in Aachen (Haus Hörn) und in Recklinghausen. Exemplarisch stellen wir den Werdegang und die Verwirklichung des Hospizes Haus Hörn in Aachen vor. Seit 1967 existiert in Aachen das Alten- und Pflegeheim Haus Hörn unter der Trägerschaft der Oratorianer des Philipp Neri. Die Oratorianer sind ein Zusammenschluss von Weltpriestern, die sich neben der Seelsorge auch dem pädagogischen Auftrag widmen. Hospitäler und Armenhäuser wurden so zum Arbeitsgebiet des Ordens. Die heute rund 60 Häuser sind in verschiedenen Ländern anzutreffen. Ohne feste Regeln wird nach dem Grundsatz gearbeitet, dass das Arbeitsfeld den jeweiligen Bedürfnissen vor Ort angepasst sein muss. Unter dieser Voraussetzung entstand das Altenzentrum in Aachen. Nach Aussagen des Gründers Dr. Türks geschah es jedoch immer häufiger, dass auch nach Unterbringungsmöglichkeiten jüngerer Schwerkranker gesucht wurde. Nachdem Dr. Türks 1978 während seiner krankenseelsorgerischen Ausbildung in Washington auf einer onkologischen Station mit der Hospizidee konfrontiert wurde, brachte er den ideellen Gedanken mit nach Aachen. Unter der sachkundigen Beratung durch das St. Christopher’s Hospice in London entwickelte sich das Hospiz Haus Hörn. Zunächst schien es jedoch unüberwindliche Hürden zu geben. Zum einen, da es für ein Hospiz keine finanziellen Mittel gab und ebenso wenig eine gesetzliche Grundlage (siehe hierzu Aussage Pater Zielinsky zu Palliativstation). Des Weiteren lehnten die Aachener Bürger ein „Sterbeheim“ ab und demonstrierten gegen den „häufigen Anblick von Leichenwagen“ (Aussage nach einem Interview mit der Heimleitung Frau Louven 1989). Dr. Türks begegnete dem Punkt der Finanzierung mit der vorläufigen Namensänderung „Langzeitpflegeheim“, die am Tag der Eröffnung in „Hospiz“ umgewandelt wurde. Die Oratorianer gaben 3 Mio. DM zur Finanzierung, und über Landesmittel, Sonderfonds und Spielbankenfonds flossen 7 Mio. DM in das Projekt. Bauliche Konsequenzen ergaben sich aus den Besuchen im St. Christopher’s Hospice. Das Haus verfügte damals über 53 Betten und war 1986 bezugsfertig. Ende der neunziger Jahre hat man entsprechend der Rahmenvereinbarung für stationäre Hospize (1997) die Größe auf 16 Betten reduziert. Die Fortbildung für die Mitarbeiter wurde in vier Schritten konzipiert:

 

Schritt 1: „Bewusstwerdung des Berufes“ Das heißt hier Besinnung auf die Krankenpflege im wörtlichen Sinne
Schritt 2: „Begegnung mit dem Tod“ Konfrontation mit dem Abschied nehmen in Form des „Loslassen-Könnens“
Schritt 3: „Das Hier und Jetzt sehen“ Begleitung des Patienten im gegenwärtigen Zustand auch im Sinne des bewussten Lebens
Schritt 4: „Direkte Umsetzung beim Patienten“ In der Form des aktiven Zuhörens und der Verbalisierung der emotionalen Erlebnisinhalte als Interpretation seiner gefühlsmäßigen Äußerungen

Unter Berücksichtigung dieser Schritte versorgte dem Ganzheitsaspekt folgend eine Pflegekraft ein Patientenzimmer.

Wenn wir die heutige Situation noch einmal im Rückblick betrachten, so können Ehrenamtliche und Hauptamtliche aufzeigen, wie viel sich an Hospizkultur und Palliativversorgung in Deutschland getan hat.

Entwicklung in Deutschland

Untersuchungsergebnisse des Diplom-Psychologen W. George von 1988, veröffentlicht in Psychomed, Sonderdruck Heft 10 / 89, S. 749, geben Zeugnis der damaligen Situation. Über 50 % der Mitarbeiter im Krankenhaus hielten die räumliche Situation für völlig unzureichend. 65 % klagten über mangelnde Berufsausbildung in Bezug auf die Sterbebegleitung; vermisst wurde hier im Besonderen eine praxisnahe Übung im situativen Umgang mit Sterbenskranken. In dieser Studie sprechen sich 75 % der Mitarbeitenden im Krankenhaus für mehr Offenheit gegenüber dem Patienten aus. Gar 72 % hielten das Sterben im Krankenhaus für menschenunwürdig und 28 % glaubten, bei mehr Zuwendung dem Patienten gegenüber weniger Anerkennung bei den eigenen Kollegen zu erhalten. Diese Zahlen sprechen für sich und zeigen in einem die Entwicklung, die die Bürgerbewegung Hospiz in über 20 Jahren genommen hat. Waren es ca. 10 000 ehrenamtliche befähigte Hospizhelfer 1999, so sind es 2010 ca. 100 000 Ehrenamtliche; einen ähnlichen Aufschwung erlebte die Entwicklung von Palliativstationen und Hospizen.

Entwicklung der ambulanten Hospiz- und Palliativdienste einschließlich der spezialisierten Dienste für Kinder


Entwicklung der stationären Hospize und Palliativstationen einschließlich der spezialisierten Einrichtungen für Kinder


Stand: 05/2008 Quelle: Wegweiser Hospiz und Palliativmedizin und DHPV Datenbank

Grundelemente der Hospizidee

Die Grundelemente der Hospizidee möchten wir an dieser Stelle noch einmal aufgreifen und darstellen.

Die psychosoziale Begleitung

die psychosoziale Begleitung

Die psychosoziale Begleitung umfasst die emotionale Unterstützung des sterbenden Menschen und seiner Angehörigen. Sie begleitet durch befähigte HospizhelferInnen. Diese Ehrenamtlichen der Hospizdienste werden entsprechend den vier Säulen der Hospizidee in über 100 Stunden fortgebildet und absolvieren zusätzlich ein Praktikum, entweder im Pflegeheim, Krankenhaus oder Hospiz. In der Regel sind die Ehrenamtlichen weiblich und suchen z. B. nach Abschluss der Familienphase ein soziales Betätigungsfeld, entweder aus Dankbarkeit dem Leben gegenüber oder aber aus einer Selbsterfahrung in Sterbeprozessen. Diese befähigten Ehrenamtlichen unterstützen die Betroffenen und die Nahestehenden nicht nur durch Gespräche, sondern auch durch die Begleitung unerledigter Dinge.

Die spirituelle Begleitung

die spirituelle Begleitung

Der Begriff der Spiritualität meint hier mehr als nur den Kulturkreis der Religion. Er bezieht sich auch auf die geistige Erfahrbarkeit, die sich an der Seins-Frage orientiert. Das Ziel der hospizlichen Bemühung, ein Leben in Würde bis zuletzt zu ermöglichen, orientiert sich an der jeweiligen Persönlichkeit des Sterbenskranken. Sie ist geprägt von einer extrinsischen Spiritualität, deren Kennzeichen die jeweilige Religiosität und das familiäre Umfeld sind, und einer intrinsischen Spiritualität, deren Geisteshaltung von innen kommt, d. h. neben den ritualisierten extrinsischen Faktoren (wie Gebet oder Gottesdienst) gibt es geistige Empfindungen, die von einer großen Ergriffenheit getragen sind, die in Abhängigkeit zur jeweiligen Person steht (z. B. die Ergriffenheit des Naturliebhabers beim Anblick einer blühenden Blume). Die spirituelle Begleitung ist somit durch die Fürsorge gegenüber dem Sterbenskranken in der Suche nach sich selbst gekennzeichnet (Selbstwert, Selbstbewusstsein), in der Begegnung mit sich (Lebensbilanz und Lebensbiografie) und im Sich-Finden. Das Sich-Finden meint hier die Suche nach einem sinnlich nicht erfassbaren, transzendenten, „göttlichen“ Etwas, das eine Art spirituelles Pendant zum Aha-Erlebnis der Verstandesebene darstellt, also nicht analytisch beschrieben, sondern nur als evidente, d. h. unmittelbar einsichtige Erfahrung erlebt werden kann. Durch diese spirituelle Begleitung haben Sterbende die Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu erfahren. Die Beantwortung der Sinnfrage ist dabei nicht der vordringlichste Aspekt. Zur Sterbebegleitung gehört ebenso die Begleitung der trauernden Angehörigen.

Palliative Medizin und palliative Pflege

palliative Medizin und palliative Pflege

Aus dem lebensbejahenden Grundsatz der Hospizkultur leitet sich die Aufgabe der palliativen Medizin und palliativen Pflege ab. Sie ist darauf ausgerichtet, Schmerzen und andere Symptome, die in der letzten Lebensphase auftreten können, zu behandeln und zu lindern, um die Lebensqualität sterbender Menschen zu verbessern. Den Wunsch zu erfüllen, den die meisten Menschen hegen, nämlich zuhause in der vertrauten Umgebung zu sterben, ist dabei vorrangiges Ziel. Daraus ergibt sich der Grundsatz „ambulant vor stationär“, so dass Institutionen wie Hospize oder hospizlich geleitete Pflegeheime ergänzende Bestandteile der palliativen Arbeit sind. Hausärzte und Pflegekräfte können sich in Palliative Care in 160 Kursstunden qualifizieren.

Diese Arbeit im multidisziplinären Netzwerk und die andauernde Konfrontation mit Leid(en) und Mitleid(en) beruht auf einer lebensbejahenden Haltung von Toleranz, Mut zur Begegnung und Nächstenliebe – den Sterbenden und deren Nahestehenden gegenüber. Ziel aller hospizlichen Bemühungen ist es, ein Leben in Würde bis zuletzt und dauerhaft eine neue Sterbekultur möglich zu machen.

Die Säulen den Hospizidee


Schild des Künstlers Bazon Brock an den Hackeschen Höfen in Berlin 2006


Heute, im Jahre 2010, ist der Tod nicht nur in den Medien präsent; wo die Hospizbewegung „in die Jahre gekommen“ ist, ist er auch längst enttabuisiert. Der Philosoph Thomas Macho spricht dabei von der „Sichtbarkeit des Todes“9, und so manche Persönlichkeiten beschreiben öffentlich ihre letzte Lebensphase auf der Grundlage des kommenden, herannahenden Sterbens. Wird dem Sterben und dem Tod möglicherweise damit auch die ureigenste Intimität genommen?

Hieß es früher noch in den Todesanzeigen, der Tod sei „plötzlich und unerwartet“ eingetroffen, so gehen dem heute ein voraussehbarer längerer Sterbeprozess und Entscheidungen zu lebenserhaltenden oder lebensbegrenzenden Therapien voraus. Die hospiz zeitschrift beschrieb schon in ihrer ersten Ausgabe 1999 die Wirksamkeit der hospizlichen Grundhaltungen in konkreten Vernetzungen, verbunden mit der Vision der Hospizidee als Grundhaltung dem Anderen gegenüber. Die Wurzeln zum hospizbewegten Handeln waren schon früh verankert in Gesetzgebungen, die jedoch wenig Beachtung fanden. So beschrieb das Krankenhausgesetz von NRW in §3 Abs.1 schon in den 70er Jahren: „Die Patienten haben Anspruch auf eine menschenwürdige Behandlung, dies gilt in besonderem Maße für Sterbende.“ Erst die Ausführungen von Elisabeth Kübler-Ross zeigten der Gesellschaft auf, wo sich die Schwachstellen in Sterbesituationen befanden. Bis in die Anfänge der 90er Jahre fand in den Kliniken das Sterben noch immer hinter verschlossenen Türen statt, und die Sterbenden wurden in Pflegeheime abgeschoben.

Erfolgsmodell Hospiz?

„Dieses Erfolgsmodell Hospiz gilt es, auch durch den Bundesgesetzgeber, weiter zu optimieren und flächendeckend auszubauen“10.

Der DHPV

Ein Teilziel wurde im Jahr 2000 erreicht, als die damalige BAG Hospiz (jetzt DHPV) alle Bundesländer unter ihrem Dach vereinigte. Damit gelang es, die Basisarbeit der vielen Ehren- und Hauptamtlichen auf Landesebene politisch zu beeinflussen. Ein Symposium der Hospizarbeit in Lenin im Februar 2000 gibt Zeugnis darüber, wie die einzelnen Länder und Landesarbeitsgemeinschaften ihr Wissen und ihre Haltung der Sterbebegleitung gegenüber veränderten. Ministerien der Länder, Krankenkassenvertreter, Wohlfahrtsverbände, das Bundesgesundheitsministerium sowie das Familienministerium zeigten großes Interesse, und durch den regen Austausch entstanden partizipative Entwicklungen, bei denen Kreativität und die Sicherung der qualifizierten ambulanten Hospizarbeit im Vordergrund standen. Die Tagung bewirkte eine Initialzündung, so dass die Gesundheitskonferenz der Länder und einzelne Vorschläge aus verschiedenen Bundesländern eine Eingabe an den Bundesrat bewirkten, um eine finanzielle Sicherung der hospiziellen ambulanten Arbeit voran zu treiben. Diese Tagung fand unter dem Titel „Die ambulante Hospizbewegung zieht Bilanz und zeigt Perspektiven“ statt.