Buch lesen: «Georgiens Herz»
The book was published in the frames of the program Georgia the Guest of Honor country at the 2018 Frankfurter Buchmesse with the support of Ministry of Culture and Sport of Georgia and the Georgian National Book Center.
Dieses Buch wurde im Rahmen des Programms Georgien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2018 mithilfe vom georgischen Ministerium für Kultur und Sport und dem Georgischen Buchzentrum veröffentlich.
GEORGIENS HERZ | Reihe Via Egnatia
Giorgi Lobzhanidze
(Hrsg.)
GEORGIENS HERZ
ist … mit Poesie infiziert
33 Gegenwartslyriker*Innen
Aus dem Georgischen von
Nana Tchigladze
Nachgedichtet von
Sabine Schiffner
Auch dein Dasein wird nur bis zum Ende des Gedichts andauern, so als ob auch du nicht wärest
…
Paata Shamugia
Dichtung bedeutet, die Welt aus den Leerstellen der Routine heraus anzuschauen.
Giorgi Shonia
Inhalt
VORWORT
Diana Anphimiadi
Paata Shamugia
Eka Bakradze
Manana Chitishvili
Giorgi Lobzhanidze
Tariel Chanturia
Diana Anphimiadi
Eka Bakradze
Zaza Koshkadze
Dalila Bedianidze
Tariel Chanturia
Manana Chitishvili
Vasil Beselia
Giorgi Lobzhanidze
Vakhtang Javakhadze
Soso Meshveliani
Kato Javakvishvili
Givi Alkhazishvili
Rusudan Kaishauri
Nino Darbaiseli
Beka Akhalaia
Nino Darbaiseli
Naira Gelashvili
Kato Javakhishvili
Zaza Bibilashvili
Tea Topuria
Rezo Getiashvili
Maia Sarishvili
Omar Turmanauli
Misho Dadiani
Naira Gelashvili
Batu Danelia
Misho Dadiani
Soso Meshveliani
Zaza Bibilashvili
Batu Danelia
Rezo Getiashvili
Tea Topuria
Giorgi Shonia
Davit Tserediani
Rusudan Kaishauri
Eka Kevanishvili
Zaza Koshkadze
Vakhtang Javakhadze
Zura Jishkariani
Zviad Ratiani
Zura Jishkariani
Ela Gochiashvili
Davit Robakidze
Zviad Ratiani
Omar Turmanauli
Lela Samniashvili
Eter Tataraidze
Maia Sarishvili
Beka Akhalaia
Davit Robakidze
Lela Samniashvili
Davit Tserediani
Vasil Beselia
Paata Shamugia
Eter Tataraidze
Eka Kevanishvili
Dalila Dedianidze
Giorgi Shonia
Givi Alkhazishvili
Vakhtang Javakhadze
Nachwort
VORWORT
Das Herz posten
Als Maia Danelia – die Literaturmanagerin des Georgischen Buchzentrums – mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, einen georgischen Lyrikband für deutsche Leser zusammenzustellen, war ich sofort begeistert, stand jedoch gleichzeitig vor einer komplizierten Aufgabe: Laut Absprache mit dem Größenwahn Verlag – der die Idee hatte, ein Buch mit unveröffentlichten, jungen Gegenwartslyrikern herauszubringen – sollte der Gedichtband höchstens 22 LyrikerInnen mit je zwei Gedichten umfassen. Ich entschied mich für eine chronologische Linie und suchte Autoren, die bis zuletzt schöpferisch aktiv waren. Um der absoluten Unbefangenheit willen schrieb ich zuerst die Namen aller derzeit in Georgien tätigen wichtigen Poeten auf und entdeckte, dass, einerseits zum Glück, andererseits zu meinem Leidwesen, ihre Anzahl die 100 überschritt.
Die Entscheidung, 33 Poeten in den Sammelband aufzunehmen, hat einen symbolischen Hintergrund: Das georgische Alphabet, das in der ganzen Welt eines der ältesten und originalgetreuesten Schriften ist, besteht aus 33 Buchstaben. Daher lässt sich die Anzahl der in der Anthologie vertretenen Dichter als symbolische Darstellung der Buchstaben des georgischen Alphabets beschreiben.
Im Sinne des Inhalts versuchte ich künstliche Exotik zu vermeiden. Genauer gesagt will ich verhindern, dass dieser Sammelband in den Augen des Publikums wie ein Klischee klingt, das in den deutschen Köpfen aufgrund zuverlässiger oder unzuverlässiger Quellen über den kaukasischen Charakter oder den Orient vorherrscht. Exotik in der Literatur ist ein treffsicherer Agent, aber ein schlechter intelligenter Berater. Daher erhoffe ich mir, diese authentischen Texte adäquat wiedergegeben zu haben. Exotik aber folgt diesem Verstehen ohnehin – Exotik der Berührung mit dem Fremden, mit dem Andersartigen.
Ich erinnere mich an einen Satz des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera: »Die kleineren Nationen haben immer viele große Dichter!« Ungeachtet der transparenten Ironie dieser scharfsinnigen Bemerkung muss man gestehen, dass diese Worte der absoluten Wahrheit entsprechen. Vielleicht deswegen, weil die Dichter kleinerer Nationen eine noch größere Aufgabe haben, als nur die Aufbewahrung literarischer Traditionen oder die meisterhafte künstlerische Beschreibung ihrer eigenen Einstellungen. Ihre Existenz gibt den Nachkommen Hoffnung auf die Zukunft. Mithilfe der Poesie treten sie der realen Gefahr der Vernichtung entgegen, um wiederum gegen das Nichtsein anzukämpfen. Dieser Zustand erfüllt einen Dichter mit jener fast mystischen Bedeutung, die er in den traditionellen Gesellschaften und Kulturen immer hatte.
Was den Titel des Vorworts betrifft, bin ich nach langem Überlegen auf die Idee gekommen, die Anthologie mit der Überschrift eines meiner hier abgedruckten Gedichte Das Herz posten zu überschreiben. Ich denke, dass diese Kopfzeile sowohl zu den Aufgaben der Poesie als auch zu dem modernen Verstehen der Lyrik in der digitalen Welt passt. Letztendlich ist jedes Gedicht, das zu Blatt gebracht wird, eine Vereinigung bestimmter Symbole und alles hängt davon ab, welchen Inhalt wir selbst in diese Symbole legen, genauso wie in die auf Facebook geposteten Herzen, die nur bloße Symbole sind – doch sie erwachen zum Leben und lernen zu schlagen, wenn der Empfänger dazu imstande ist, dieses Symbol in seiner ganzen Fülle wahrzunehmen.
Giorgi Lobzhanidze
Tiflis, März 2018
Diana Anphimiadi
Das Mähen
Der Sommer mäht an meinen Händen
Daten, Fristen,
Garben der Freude mäht er von den Augen.
Von der Wiege des Säuglings an
mäht er den Flanell, mit dem dieser in Berührung kommt
und viele
erste Gefühle –
man hörte, man sah, man wunderte sich dann.
Der Sommer mäht das Vergessen
und mäht das Andenken,
den gebrochenen Körper
– bis das Seil deiner Stimme abriss –
auf dem ich lange gelaufen bin,
eines Tages riss es ab …
die blauen Blumen des Schweigens
mäht der Sommer.
Das Wort ist das Dach auf meinem Haus und
ich stampfe es fest,
das Wort »Liebe« habe ich darauf gebaut
– das Nest eines Storches bringt Glück.
Vielleicht schlüpfst du eines Tages
aus dem Spiegel, aus dem Stein heraus –
ich bringe dir das Fliegen bei und
du flögest davon und kämest nie zurück.
Der Sommer mäht … im Gras
ließ ich die Schuhe mit den Absätzen
wie ein paar Heuschrecken …
die Sense blitzt wie ein Lachen,
die Enden der Haare und auch die Liebe
mäht der Sommer.
Das kürzeste Ende
will er sich am buntesten machen.
Paata Shamugia
Die Zielscheibe
Wenn die Fenster von alleine zugehen
und die Monde in den Pfützen erblühen
und die Flüsse ihre Wellen hochkrempeln
und unsere Herzen wie Hunde
von den Ketten losgelassen werden
und sich auf die Herzen aller Verliebten verteilen,
genau dann will ich dich hier haben.
Wenn die Lichter erlöschen
und sich die Finsternis entzündet
und die Träume sich beeilen
und sich vergrößern und wirklich werden
und die Bäume Vögel tragen
und wir die Körbe mit reifen Spatzen füllen
und sagen: »Wir haben Hunger«,
genau dann will ich dich hier haben.
Wenn die unzähligen Bewegungen des Windes
unzählige Bedeutungen bekommen
und meine Freude
mit den Winden und Winden übereinstimmt …
und ich einen von den Winden wie das schlachtbereite Schaf
am Gürtel anbinde,
genau dann will ich dich hier haben.
Wenn ich lerne, den Steinen auszuweichen
und mit den nach mir geworfenen
»Steinen einen Tempel erbaue«
in den die Götter eintreten und
mich leise um Glück und Hoffnung bitten,
die sie mir kein einziges Mal gespendet haben,
erst dann werde ich existent, wie die Fahne,
die auf dem Mond gesetzt wurde
und ich werde erwartet
wie das wechselnde Wetter
und ich werde unruhig
wie die zu erwartende Liebe,
genau dann will ich dich hier haben.
Eka Bakradze
Der Amethyst
Er war eine Schneeflocke und sie starb in meiner Hand,
er war eine Träne und sie floss mir vom Gesicht,
als es ihn nicht mehr gab, war er in einem anderen Land,
als es ihn noch gab, berührte er mich nicht.
Er war ein Herz und es ließ mich mitmachen,
er war ein Wind und er ließ mich mitgehen,
er war ein Kummer und ich hatte nichts zu lachen,
es war einmal ein Märchen und es gab nichts mehr zu sehen …
Ich vergnügte mich mit tausendundeinem Gedanken,
ich lebte mit den zehn Geboten und voller Begeisterung,
er war eine Ikone und ich eine Kerze, brennend ohne Schwanken,
er war ein Gebet und ich betete für meine Seele um Erlösung.
Er war ein Kummer, nicht los wurde ich ihn,
er war allein und ich kam an ihn nicht ran,
es war der März, den hab ich versäumt, er ging so dahin,
er war eine harte Nuss und fasste mich nicht an,
er war eine Träne, die auf meiner Brust verschied,
er erschien mir im Traum und ließ mich nicht mehr gehen,
er war ein Feuer, aber der Wind fehlte, weil er mich mied,
eine Frau war ich und … er hat mir zugeredet!
Manana Chitishvili
Der Herbst
Egal, was mir für eine Mär erzählt wird,
hier setzen mir völlig andere Gedanken zu,
du, Pschawi-Aragwi, verwahrlost siehst du aus, groß
wie die Tränen von Wascha-Pschawela bist du.
Wenn auch dieser Tag gottgewollt war,
sage ich nicht, das Schicksal sei keine Zierde,
wie viele hören auf zu leben, da
sie nicht anders können, wegen ihrer Begierde.
Mit seiner Verzierung aus goldenen Blättern
drückt der Wald seine Schönheit aus,
der geweihgeschmückte Hirsch geht röhrend
über Magharoskari nach oben von dannen.
Du, Herz, du bist mit Kummer gebrannt, nicht beglückt,
du bist mit dem Kalk der Tränen geschliffen,
wie glücklich bist du, den Hirsch, geweihgeschmückt,
vermisst du,
– dann brüllst du!
Giorgi Lobzhanidze
Die Fliege
Der Frühling hat hier später begonnen,
Winde verfinsterten den Hof ja.
Ich konnte nicht zurückkommen,
blieb direkt vor der Regenzeit da.
Ich vermisste dich, grub mir selber ein kaltes Bett,
das war wie ein Grab.
Ich bin zu, kann nicht denken;
– war’s ein Hindernis, eine Türschwelle, die es da gab …
Was ist bloß hinter dieser Tür?
Was ist bloß außerhalb von diesem Haus? –
Löwenzahnsamen, die sprachlos den Aprilwinden folgen,
fliegen zu dir raus,
oder dieser Brief, oder der ätzende Brennnesselstiel im Wald,
oder aber:
Eine Fliege, die unter Schmerzen gegen das Fenster knallt …
Ich weiß es nicht; denn ich weiß nur:
Um deinen Körper kreist des Sanddorns Wind,
du entkamst dem Regen nicht,
stehst auf der Straße, die Regentropfen nie zuende sind …
Es gelingt mir nicht, dir zu helfen,
ich sitz immer so da am Tisch der Erinnerung;
aber ich sitze nicht, werfe mich gegen die Fensterscheibe,
so wie die Fliege, mit Schwung.
Das Glas ist so glatt wie das Herz …
Ich folge den Wolken, die voller Regen sind,
und breite mich zu deinen Füßen aus,
so wie die armselige Pfütze, der Regenwolken Kind.
Zieh dich nicht von mir zurück,
nicht von der Straße, von den Bäumen, die prahlend steh’n;
zieh dich aus und komm in mir,
ich ergieße mich über dir, und das ist warm und schön …
Ob ich jetzt schmutzig bin?!
Ist doch kein Problem! Schmutzig ist selbst der Jordan,
getauft wirst du in mir,
sauber sind wir beide aber nicht immer dann.
Du gehst nach Haus, trocknest dich ab,
verteilst die Nachtcreme auf dem Gesicht,
dann setzt du dich leise ans Fenster,
strickst Strümpfe mir bei Kerzenlicht …
Vor dir haben viele schon gut gestrickt,
der Asche und dem Ruß ist das alles gleich,
aber, meine Liebe,
Odysseus kehrt nicht mehr zurück nach Haus in sein Reich.
Ich bin hier, hier bin ich,
ich hänge im Dach wie das verführerische Netz der Spinnen,
nur bin ich darin gefangen wie eine Fliege …
jemand anderes will dich mit Briefen gewinnen …
Ich aber bin eingesperrt …
draußen sind die Menschen … aber diese viel zu dicke Mauer
begrenzt mit unbeschreiblich undurchlässiger Strenge
meinen winzigen Hof und ich lauer’
dahinter, wohn nicht mitten im Dorf,
bin eine Fliege am Fensterglas, gefällt
liege ich am Rande des Dorfes so da, wie ein Baum auf dem Feld.
Es ist mir egal,
trampelte mich auch alles Vieh der Welt kaltherzig nieder,
stand ich doch in der nächsten Minute wie Unkraut bei Fuß wieder …
Jetzt aber bin ich in Not,
ich muss die kalte Fruchtlosigkeit dieses Netzes zerstören,
schau, die Liebe nährt sich an mir, wie die Spinne,
sie will auf mich nicht hören,
was will die Spinne, Blut oder Fleisch,
oder vielleicht den Schaum der hohlen Träume?
Es regnet.
Wie entkomme ich ihr,
an ihren Beinen mit tausend Fäden festgebunden …
Penelope,
ich sitze mit meiner Traurigkeit an der Tafel der Erinnerung,
hab dich nicht gefunden,
ich bin das Spinnennetz und …
die zur selben Zeit in diesem Netz gefangene Fliege …
Tariel Chanturia
Das Lob
Die Liebe! Eine einseitige?
Das ist die echte Liebe!
Du hast keinen Rivalen,
das ist deine Liebe …
Eine einseitige Liebe
ist mehr als die Liebe!
Was wären mein
Leben und mein Dasein –
wenn ich nicht jene Nächte
der Qual durchwachte …
Sie ist so groß – man wundert sich, dass
sie in ein Herz passt!
Übrigens, ihre Treue
ist anderen überlegen!
Sie ist zweimal größer
als die Liebe dieser beiden! –
Es lohnt sich nicht, sie zu benennen,
weder Nestani noch Medea …
Glücklich ist derjenige, der
in diesem Sinne ein Sonntagskind ist!
Wer einseitig liebt,
oder wer einseitig geliebt wird …
Diana Anphimiadi
Die Medusa-Gorgona
Als ich dir sagte, es passiere nichts,
habe ich gelogen.
Es passiert, es passiert jeden Tag,
Brücken, Aussichten …
Da ich mich von der Liebe habe erobern lassen,
streite ich, für manche – geköpft,
für die anderen – ein Spiegel – beim Hinsehen
versteinert man,
erstarrt.
Als ich dir sagte, es passiere nichts,
habe ich es einfach vergessen. Seit diesem Tag
trägt jeder Reiter, jeder Fußgänger
meinen Namen
– den Namen einer Geköpften –
als Schild mit sich herum …
Wenn mir jemand Steine zuwirft,
kommt die Antwort mit den Steinen …
Als ich dir sagte, es passiere nichts, habe ich dich angelogen.
Es passiert nicht Nichts, ich atme, ich existiere,
das Herz
ist ein erstickender Tumor in meiner Brust, an meinem Busen,
ich schnitt die Melodien aus,
die bösartigen Eigenschaften der Musik, Metastasen,
die die Stimmen der verlorenen Tage mitnahmen,
das Herz – ist ein Warzenkrautstrauch,
der verwelkt.
Wehe, es würde sich lohnen,
nachts hängt der Kopf an einem Härchen
an meinem Hals, morgens brennt die frisch verheilte Wunde
dann von Neuem …