Fälle zum Sozialrecht

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4 Eine palliative Therapie zielt nicht mehr auf die Heilung, sondern nur noch auf die Linderung der Symptome ab.

5 Das Wort „akzessorisch“ ist ein Fachbegriff aus der Rechtssprache dafür, dass ein Recht von einem anderen, übergeordneten Recht abhängig ist.

6 Vgl. Janda, Medizinrecht, 3. Aufl. (2016), S. 79.

7 Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 9. Die gesetzliche Krankenkasse erbringt ihre Leistungen prinzipiell nach dem sog. Naturalleistungsprinzip, d.h. die Krankenbehandlung wird als Sach- und Dienstleistung erbracht. Dabei wird die Krankenkasse aber nicht selbst tätig, sondern bedient sich der sog. Leistungserbringer. Dies sind z.B. die zur Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten zugelassenen Vertragsärzte (früher deshalb Kassenärzte genannt). Der große praktische Vorteil des Naturalleistungsprinzips ist es, dass die Versicherten die Leistung erhalten, ohne dafür unmittelbar selbst bezahlen zu müssen. Dies ist bei einem Kostenerstattungsprinzip, wie es beispielsweise kennzeichnend für die private Krankenversicherung ist, anders. Auch wenn in der Gesundheitsökonomie das Naturalleistungsprinzip zuweilen mit dem Argument kritisiert wird, dass die fehlende Kostentransparenz zu unnötiger Leistungsinanspruchnahme durch Versicherte führe, verdient der Naturalleistungsgrundsatz aus sozialen Erwägungen unbedingte Zustimmung. Denn gerade für sozial schwache Menschen wäre zu befürchten, dass eine Verpflichtung zur Vorabbezahlung vom notwendigen Arztbesuch abhalten würde. Freilich bedarf es ersatzweise einer Kostenerstattung, wenn eine Sachleistung zu Unrecht abgelehnt wird und deshalb Kosten für die Selbstbeschaffung entstanden sind.

8 Diese Definition entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, vgl. zum Beispiel BSG 8.3.2016 – B 1 KR 35/15 R – Rn. 9.

9 Auch diese Definition entspricht der ständigen Besprechung des BSG, vgl. zum Beispiel BSG 8.3.2016 – B 1 KR 35/15 R – Rn. 10.

10 Vgl. ständige Rechtsprechung des BSG, zum Beispiel BSG 3.8.2006 – B 3 KR 1/06 S – juris Rn. 7.

11 Medizinischer Begriff für Brustkrebs.

12 Diese Definition entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG 3.7.2012 – B 1 KR 23/11 R – Rn. 12.

13 Hier erübrigt sich eine detaillierte Prüfung der Apothekenpflichtigkeit, da der Sachverhalt dies eindeutig vorgibt. Vgl. zur Apothekenpflicht im Übrigen §§ 43 bis 45 AMG. Im Regelfall sind Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 AMG auch apothekenpflichtig (s. § 43 Abs. 1 S. 1 AMG).

14 Vgl. die ständige Rechtsprechung des BSG, zum Beispiel BSG 17.12.2009 – B 3 KR 13/08 R – Rn. 19.

15 Die Sinnhaftigkeit dieser Begrenzung zeigt folgende Kontrollüberlegung: Muss die Krankenkasse etwa auch den „heilenden Schamanentrunk“ als Arznei bezahlen?

16 Vgl. BSG 26.10.1982 – 3 RK 28/82 – juris Rn. 12.

17 Vgl. dazu vertiefend Janda, Medizinrecht, 3. Aufl. (2016), S. 81 f. und Palsherm, Sozialrecht, 2. Aufl. (2015), Rz. 193 f.

18 Die Regelung ist verfassungsgemäß (vgl. BVerfG 12.12.2012 – 1 BvR 69/09 – Rn. 6 ff.). Auf die Gegenausnahme nach § 34 Abs. 1 S. 5 SGB V – Leistungspflicht für Kinder bis zwölf Jahren bzw. für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen – braucht in der Prüfung nicht eingegangen zu werden, da E ersichtlich volljährig ist. Allenfalls kann man auf die Gegenausnahme in einem kurzen Satz hinweisen.

19 Das geht aus dem Sachverhalt eindeutig hervor, so dass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.

20 Die Richtlinie ist erhältlich unter: http://www.g-ba.de.

21 In der diesem Fall zu Grunde liegenden BSG-Entscheidung (BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 14 ff.) wird außerdem problematisiert, ob sich eine Verordnungsfähigkeit ausnahmsweise daraus ergeben könnte, dass es sich bei dem Mistelpräparat um ein anthroposophisches Arzneimittel handele. Denn immerhin sei der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen (§ 34 Abs. 1 S. 3 SGB V) und bei schwerwiegenden Erkrankungen könnten für die in der Anlage I der Arzneimittelrichtlinie genannten Indikationsgebiete auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnet werden (§ 12 Abs. 6 Arzneimittel-RL). Dies wird im Ergebnis jedoch überzeugend abgelehnt, weil aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Arzneimittel-RL auch insoweit nur ein Einsatz in der palliativen Tumortherapie in Betracht kommt (vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 17). Außerdem prüft das BSG, ob der Ausschluss einer lediglich adjuvanten Tumortherapie durch die Arzneimittel-RL, die den Charakter untergesetzlicher Rechtsnormen hat, mit höherrangigem Gesetzesrecht, nämlich § 34 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB V, vereinbar ist (vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 23 ff.). Auch hier legt das BSG überzeugend dar, dass nur solche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel in die OTC-Liste aufgenommen werden sollen, die als „Therapiestandard“ gelten (s. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V). Für die Beurteilung, was Therapiestandard ist, komme es auch nicht auf die bloße Binnensicht einer Therapierichtung – hier also der Anthroposophie – an (vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 36). Die Behandlung mit dem Mistelpräparat entspreche aber nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse für eine adjuvante Tumortherapie (vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 33 ff.). Sowohl der Gesichtspunkt der Anthroposophie (s. o.) als auch die Prüfung der Vereinbarkeit mit höherrangigem Gesetzesrecht des SGB V dürften in einer Klausur für Studierende der Sozialen Arbeit nicht erwartet werden. Daher wurde auch hier auf eine ausführliche Prüfung verzichtet.

22 Das Grundgesetz anerkennt in Art. 87 Abs. 2 GG die Möglichkeit funktioneller Selbstverwaltung, bei der staatliche Aufgaben nicht im Wege unmittelbarer Staatsverwaltung, sondern eigenverantwortlich durch die Betroffenen – freilich unter staatlicher Rechtsaufsicht – wahrgenommen werden.

23 Vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 43 ff., insb. 44.

24 Vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 45.

25 Vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 47 f.

26 Vgl. dazu grundlegend BVerfG 6.12.2005 – 1 BvR 347/98 – insb. Rn. 63 ff. (sog. Nikolaus-Beschluss).

27 Vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 59.

28 Hier ist es wichtig, sprachlich ganz präzise zu sein (und zu lesen). Niemand bezweifelt, dass E an einer sehr schweren Krankheit leidet. Vgl. auch die durch das SGB IX gewährte Möglichkeit der Feststellung eines Grades der Behinderung nach einer operativen Entfernung der Brust (Mastektomie). E.s Zustand entspricht aber nicht der extremen Situation einer direkten krankheitsbedingten Lebensgefahr, um den Ausnahmefall eines unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruchs zu rechtfertigen.

[23]Prof. Dr. Corinna Grühn

Fall 2: Späte Eheschließung

Themenbereich: Gesetzliche Rentenversicherung, SGB VI, SGB I

A. Ausgangsfall

Die 63-jährige Alma (A) ist Witwe des am 8.10. diesen Jahres verstorbenen Boris (B). A und B haben seit 1985 in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haus zusammengelebt, jedoch erst am 1.8. diesen Jahres geheiratet. Bereits 1987 hat B der A einen Goldring geschenkt, in dessen Innenseite sein Name mit der Inschrift „In Liebe“ graviert war. Seitdem hat A sich „wie verlobt“ gefühlt. Insbesondere B hatte mit zunehmender Dauer der Beziehung den immer stärker werdenden Wunsch, A zu heiraten. A ist hier eher zögerlich gewesen. Dennoch haben beide sich bereits vor Jahren jeweils in ihrem Testament begünstigt und jeweils den anderen in Lebensversicherungen als Begünstigten angegeben. Die Eheschließung schließlich war dem Wunsch der beiden geschuldet, ihrer langjährig gelebten Liebesbeziehung nunmehr doch noch auch angesichts der schweren Lebenssituation einen offiziellen Rahmen zu geben. Daher erfolgte am 1.8. die Eheschließung im Standesamt, mit Trauzeugen und einem kleinen Empfang der nahen Angehörigen und Freunde. Zu der großen Hochzeitsfeier im September kam es nicht mehr, da B.s Zustand im September bereits so schlecht war, dass er der Feier nicht mehr hätte beiwohnen können.

B ist bereits seit 2013 an Krebs erkrankt, hat zahlreiche Operationen und Chemotherapien hinter sich und ist nunmehr an den Folgen der Krebserkrankung verstorben. A und B hofften bis zum Schluss, dass B die Krebserkrankung überstehen würde. B war vor seiner Erkrankung jahrzehntelang versicherungspflichtig beschäftigt. A möchte nunmehr einen Anspruch auf Witwenrente beim zuständigen Sozialversicherungsträger geltend machen. Zu Recht? Prüfen Sie gutachterlich.

[24]B. Abwandlung

A wendet sich mit ihrem Begehren auf Hinterbliebenenversorgung an das örtliche Sozialamt und möchte dort ihren Antrag auf Witwenrente abgeben. Was macht das Sozialamt mit dem Antrag? Eine gutachterliche Prüfung ist nicht erforderlich.

Lösungsskizze für den Ausgangsfall

A. Anspruch der A gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 46 II Nr. 2 SGB VI

Voraussetzungen des § 46 II Nr. 2 SGB VI müssten vorliegen:

I. Anspruchsvoraussetzungen/Tatbestandsmerkmale

1. Witwe oder Witwer eines versicherten Ehegatten

2. Keine Wiederheirat

3. Allgemeine Wartezeit

4. § 46 II 1 SGB VII – Kinderziehung; Vollendung des 47. Lebensjahres; Erwerbsminderung

5. Antrag: § 99, § 115 SGB VI

6. Zwischenergebnis zu I.

II. Ausschlussgrund: § 46 IIa SGB VI – Versorgungsehe

1. Gesetzliche Vermutung

2. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung

III. Rechtsfolge

Anspruchshöhe und Dauer, § 67 SGB VI;

Einkommensanrechnung

IV. Gesamtergebnis

 

A. A könnte einen Anspruch auf Witwenrente gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 46 II Nr. 2 SGB VI haben.

Erläuterung: Anspruchsgegner ist hier die Deutsche Rentenversicherung, die nach der Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrg, BT-Drs. 15/3654 und 15/3824) zum 1.10.2005 aus dem VDR (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger) und der BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) entstanden ist.1 Die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und die[25] Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung (z.B. Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen) bilden die Deutsche Rentenversicherung. Da vorliegend dem Sachverhalt keine weiteren Angaben zu entnehmen sind, kann der Anspruchsgegner mit „Rentenversicherungsträger“ bezeichnet werden.

I. Anspruchsvoraussetzungen/Tatbestandsmerkmale

Hierfür müssten die Anspruchsvoraussetzungen nach § 46 II Nr. 2 SGB VI für die große Witwenrente vorliegen.

Erläuterung: § 46 SGB VI unterscheidet in seinen Absätzen I und II zwischen kleiner und großer Witwen- und Witwerrente. Neben den zum Teil sehr unterschiedlichen Voraussetzungen unterscheiden sich diese beiden Renten insbesondere in der Dauer der Leistung (vgl. § 46 I 2 SGB VI) und in der Höhe der Leistung. Vgl. hierzu § 67 Nr.5 und 6 SGB VI.

1. Witwe oder Witwer eines versicherten Ehegatten

Zunächst müsste A Witwe des verstorbenen B sein. Witwe ist, wer mit dem versicherten Ehegatten bei dessen Tod verheiratet gewesen ist.2 Danach müsste B zunächst versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen sein. Laut Sachverhalt war B vor seinem Tod versicherungspflichtig beschäftigt, daher ist davon auszugehen, dass er die Versicherteneigenschaft gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt. A und B haben am 1.8. diesen Jahres geheiratet. B ist am 8.10. diesen Jahres verstorben. Damit waren A und B zum Zeitpunkt des Todes miteinander verheiratet und A ist damit nunmehr B.s Witwe.

2. Keine Wiederheirat

A dürfte zudem nicht wieder geheiratet haben, da der Anspruch ansonsten endet (vgl. § 100 III 1 SGB VI, vgl. auch die Abfindung nach § 107 SGB VI). Der Sachverhalt enthält keine Angaben über eine Wiederheirat der A. Daher ist nicht von einer Wiederheirat auszugehen.

[26]3. Allgemeine Wartezeit

Zudem müsste B die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass B „jahrzehntelang“ versicherungspflichtig beschäftigt war, es ist hier davon auszugehen, dass B damit auch die allgemeine Wartezeit (Mindestversicherungszeit) von mindestens fünf Jahren gemäß § 50 I SGB VI erfüllt.

Erläuterung: Die Hinterbliebenenrenten (also insbesondere die Witwen- und Witwerrenten nach § 46 SGB VI und auch die Waisenrenten nach § 48 SGB VI) sind sog. abgeleitete Renten3, d.h. sie werden vom Rentenanspruch des Verstorbenen abgeleitet. Der oder die Hinterbliebene muss selber nie in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben und auch die Versicherteneigenschaft nicht erfüllen, es kommt hier lediglich auf die Versicherteneigenschaft oder den Rentenbezug des/der Verstorbenen an. Auch die Höhe der Hinterbliebenenrenten richtet sich nach dem Anspruch den der bzw. die Verstorbene gehabt hätte bzw. hatte, wobei die Hinterbliebenen lediglich einen bestimmten Prozentsatz (Anteil) hiervon erhalten. Siehe zur Anrechnung des Einkommens des/der Hinterbliebenen: § 97 SGB VI.

4. § 46 II 1 SGB VII – Kinderziehung; Vollendung des 47. Lebensjahres; Erwerbsminderung

Ein Anspruch auf die große Witwenrente besteht zudem nur, wenn neben den Anspruchsvoraussetzungen des Abs. 1 wenigstens eine der in S. 1 Nr. 1–3 normierten Voraussetzungen erfüllt ist. Für das Vorliegen der in § 46 II 1 Nr. 1 und 3 genannten Voraussetzungen gibt der Sachverhalt keine Hinweise. In Betracht kommt allein § 46 II 1 Nr. 2. Laut Sachverhalt ist A 63 Jahre alt und hat damit das 47. Lebensjahr vollendet. Diese Voraussetzung ist damit erfüllt.

5. Antrag, § 115 SGB VI

A müsste zudem einen Antrag auf Witwenrente gestellt haben. Gemäß § 115 SGB VI beginnt das Verfahren in der Gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Antrag. Die Antragstellung kann hier unterstellt werden bzw. müsste ggf. noch erfolgen.

[27]6. Zwischenergebnis zu I.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 II SGB VI liegen vor.

II. Ausschlussgrund: § 46 IIa SGB VI – Versorgungsehe

Fraglich ist, ob der Bezug der großen Witwenrente nach § 46 II SGB VI ausgeschlossen ist. In Betracht käme hier der Ausschlussgrund nach § 46 IIa SGB VI. Danach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwen- bzw. Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen

1. Gesetzliche Vermutung

Die Anknüpfung an die Ehedauer von weniger als einem Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten/der Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung der Versorgung Ziel der Eheschließung war.4 Vorliegend haben A und B erst gut zwei Monate vor dem Tode Bs geheiratet (Eheschließung am 1.8., Tod des B am 8.10). Damit kann eine Versorgungsehe vermutet werden, da die Ehedauer weit unter einem Jahr liegt.

Erläuterung: Das SGB VI kennt einige Gründe, die den Bezug der Rente ausschließen. Hierzu zählt die sog. Versorgungsehe nach § 46 IIa SGB VI, gleiches gilt nach Absatz 4 auch für die Begründung einer Lebenspartnerschaft aus Versorgungsgründen. Einen weiteren Ausschlussgrund stellt § 105 SGB VI – Tötung eines Angehörigen – dar.

2. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung

Jedoch kann diese Vermutung der Versorgungsehe widerlegt werden. Hierfür müssten Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen.5

Hierzu müssen die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert betrachtet werden, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen[28] Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung eingestellt werden und sind unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten. Hier sind also die Beweggründe von A und B für die Eheschließung zu ermitteln, die äußeren Umstände in Ansatz zu bringen und eine Gesamtwürdigung durchzuführen, damit die Vermutung, dass eine Versorgungsehe vorliegt, widerlegt werden kann.

Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten wird in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 IIa, 2. Hs. SGB VI nicht erfüllt sein. Es darf jedoch nicht von vornherein der Nachweis ausgeschlossen werden, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als Versorgungsgesichtspunkten geheiratet wurde.6 Bei der abschließenden Gesamtbewertung darf wiederum gefordert werden, dass diejenigen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sind, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen ist.7 B ist bereits im Jahre 2013 an Krebs erkrankt und hat zahlreiche Operationen und Chemotherapien erleiden müssen. Dies spricht für eine jahrelange, schwerwiegende Krankheitsgeschichte, damit um eine offenkundige und lebensbedrohliche Erkrankung.

Hier müssten also gewichtige Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, vorgebracht werden. Besondere Umstände in diesem Sinne, sind alle Umstände des Einzelfalles, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen.8 Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen.9 Es kommt auf die – ggf. auch voneinander abweichenden – Beweggründe beider Ehepartner im konkreten Einzelfall an.10

A und B lebten seit über 30 Jahren in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Auch wenn nach zwei Jahren keine offizielle Verlobung erfolgte, lassen doch die Umstände, dass B der A einen Ring schenkte[29] und die jahrzehntelange Dauer der Verbindung keinen Zweifel an einer ernsthaften partnerschaftlichen Beziehung. Das gegenseitige Füreinandereinstehen bereits vor der Eheschließung ergibt sich zudem aus der gemeinsamen Haushaltsführung, der gegenseitigen Einsetzung zu Erben sowie aus dem Abschluss von Lebensversicherungen zugunsten des jeweils anderen.11 Auch nach der Eheschließung lebten die beiden als Ehepartner zusammen.12 Laut Sachverhalt hatte der B seit langem und sich intensivierend den Wunsch, die Ehe mit A zu schließen. A hatte sich hier zögerlich verhalten. Schlussendlich erfolgte die Eheschließung aber auf den Wunsch beider, ihrer langjährig gelebten Liebesbeziehung nunmehr doch noch auch angesichts der schweren Lebenssituation einen offiziellen Rahmen zu geben. Auch die Umstände der Eheschließung lassen nicht den Schluss zu, dass überwiegend Versorgungsaspekte der Grund für die Heirat waren. Die Trauung erfolgte am 1.8. im Standesamt mit Trauzeugen und einem kleinen Empfang mit den nahen Angehörigen und Freunden. Zur Hochzeitsfeier im September kam es nicht mehr, da B.s Zustand im September bereits so schlecht war, dass er der Feier nicht mehr hätte beiwohnen können. Beide Feierlichkeiten deuten darauf hin, dass hier Versorgungsaspekte nicht im Vordergrund stehen. Denn dafür bedarf es keiner feierlichen Begehung. Auch die Hoffnung von A und B, dass B die Krebserkrankung überstehen würde, spricht gegen eine Versorgungsehe, da beide davon ausgehen, noch lange zusammenzuleben.

Nach der Gesamtwürdigung der Umstände ist vorliegend nicht von einer Versorgungsehe zwischen A und B auszugehen. Die gesetzliche Vermutung kann damit widerlegt werden. Der Ausschlussgrund nach § 46 IIa SGB VI greift damit nicht.

III. Rechtsfolge

Damit steht A ein Anspruch auf große Witwenrente gemäß § 46 II Nr. 2 SGB VI zu. Bezüglich der Höhe der Witwenrente ist grundsätzlich auf § 67 SGB VI zu verweisen. Inwiefern es zu Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI kommt, kann hier nicht festgestellt werden, da es an entsprechenden Angaben im Sachverhalt fehlt.

[30]IV. Gesamtergebnis

A hat einen Anspruch auf Witwenrente gegen den Rentenversicherungsträger gemäß § 46 II Nr. 2 SGB VI.

B. Abwandlung

Das Sozialamt ist für den Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach § 46 SGB VI nicht zuständig. Zuständig ist der gesetzliche Rentenversicherungsträger (vgl. § 125 SGB VI). Damit wäre der Antrag nach § 16 I SGB I beim unzuständigen Leistungsträger abgegeben worden. Jedoch ist das Sozialamt nach § 16 II SGB I verpflichtet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten – hier die Deutsche Rentenversicherung.

Literaturhinweise

– BSG, Urteil vom 5.5.2009 – B 13 R 53/08 R

– BSG, Urteil vom 6.5.2010 – B 13 R 134/08 R

– LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.8.2008 – L 1 R 193/06

– LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.8.2014 – L 13 R 3256/13

– SG Berlin, Urteil vom 30.5.2012 – S 11 R 5359/08

1 Vgl. Palsherm, Sozialrecht, 2. Aufl. (2015), S. 87.

2 Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 4.

3 Vgl. Fasselt/Schellhorn, HSRB, 5. Aufl. (2017), Teil I Kap.6 Rz. 90.

4 Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46b.

5 Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46b.

6 BSG 6.5.2010 – B 13 R 134/08 R; Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46b.

7 Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46b.

8 Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46c.

9 BSG 6.5.2010 – B 13 R 134/08 R; Gürtner, in: KassKomm, SGB VI (2015), § 46 Rz. 46c.

10 BSG 6.5.2010 – B 13 R 134/08 R.

11 Vgl. auch: LSG Niedersachsen-Bremen 28.8.2008 – L 1 R 193/06.

12 Vgl. auch: LSG Niedersachsen-Bremen 28.8.2008 – L 1 R 193/06.

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