Buch lesen: «Echte Schauermärchen der Weltliteratur»

Schriftart:

Gunter Pirntke (Hrg.)

Echte Schauermärchen der Weltliteratur

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke

2017 andersseitig.de

ISBN

9783961184910 (ePub)

9783961184927 (mobi)

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

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Inhalt

Impressum

Washington Irving

Sleepy Hollow

Das Spuk-Haus

Edgar Allan Poe

Das Fass Amontillado

Lebendig begraben

Das verräterische Herz

Hoppfrosch

Wilhelm Hauff

Das kalte Herz

Nathaniel Hawthorne

Die Totenhochzeit

Die Blumen des Bösen

Guy de Maupassant

Die Hand

Die Blutrache

Grusliges Weihnachtsmärchen

W. W. Jacobs

Die Affenpfote

Georg Heym

Das Schiff

Die Särge

Washington Irving
Sleepy Hollow

Unter den Papieren des verstorbenen Dietrich Knickerbocker gefunden.

Für Schläfrige war es ein lieblich Land,

Für Träum’, das halbgeschloßne Aug umgaukelnd,

Mit stattlichen Schlössern an der Wolken Rand’,

Am Sommerhimmel rings sich immer schaukelnd.

Schloss der Trägheit.

In dem Schoße einer der geräumigen Buchten, welche sich in das östliche Ufer des Hudson hineinziehen, an jener breiten Stelle des Flusses, welche die alten holländischen Seefahrer die Tappaan-Zee nennen, und wo sie jederzeit klüglich die Segel einrefften, und den heiligen Nikolaus um Schutz anriefen, während sie hinüber fuhren, liegt ein kleiner Marktflecken oder ländlicher Hafenplatz, den Manche Greensburgh nennen, der aber allgemeiner und besser unter dem Namen Tarry Town (Zauder-Stadt) bekannt ist. Dieser Name ward ihm, wie man uns erzählt, in früheren Zeiten von den guten Hausfrauen in der umliegenden Gegend gegeben, des eingewurzelten Hanges ihrer Männer wegen, sich an Markttagen in der Dorfschenke herumzutreiben. Dem sei nun, wie ihm wolle, ich verbürge die Tatsache nicht, sondern erwähne ihrer nur, um genau zu sein, und bewährte Nachrichten zu geben. Nicht weit von diesem Dorfe, vielleicht gegen drei Meilen davon, ist ein kleines Thal, oder vielmehr eine Vertiefung, zwischen hohen Hügeln, einer der stillsten Orte in der ganzen Welt. Ein kleiner Bach gleitet durch denselben hin, und murmelt gerade nur laut genug, um Jemand dabei einzuschläfern; und der von Zeit zu Zeit ertönende Schlag einer Wachtel, der das Picken eines Holzhackers sind beinahe die einzigen Laute, welche diese einförmige Stille unterbrechen.

Ich besinne mich, dass ich, noch ein junger Bursche, meine erste Eichhörnchenjagd in einer Gruppe hoher Walnussbäume anstellte, welche die eine Seite dieses Thales beschattet. Ich war um die Mittagszeit, wo die Natur besonders ruhig ist, in dieselbe gewandert, und wurde durch den Knall meiner eigenen Flinte erschreckt, als er die Sabbathstille rundumher unterbrach, und von dem zürnenden Widerhall verlängert und vervielfältigt zurückgegeben ward. Wenn ich mir je einen Ort wünschen sollte, wohin ich mich von der Welt und ihren Zerstreuungen zurückziehen, und den übrigen Teil eines bewegten Lebens ruhig verträumen möchte, so kenne ich keinen anziehendern, als dieses kleine Tal.

Wegen der lautlosen Ruhe des Ortes und des eigentümlichen Charakters der Einwohner desselben, welche Abkömmlinge der ursprünglichen holländischen Ansiedler sind, war dieser abgeschiedene Fleck seit langer Zeit unter dem Namen der schläfrigen Schlucht bekannt, und die dortigen Bauernbursche wurden in der ganzen Gegend die Jungen aus der schläfrigen Schlucht genannt. Ein schläfriges, träumerisches Wesen scheint auf dem ganzen Lande zu liegen und selbst in der Atmosphäre vorzuherrschen. Einige behaupten, der Ort sei von einem hochdeutschen Doktor in den früheren Tagen der Niederlassung behext worden; nach Andern hat ein alter indianischer Häuptling, ein Prophet oder Zauberer seines Stammes, seinen Hexensabbath dort gehalten, ehe das Land von Meister Hendrick Hudson entdeckt worden war. Gewiss ist es, der Ort steht noch immerwährend in der Gewalt irgendeiner Zaubermacht, welche über die Gemüter der guten Leute ihre Herrschaft ausübt und Ursache ist, dass sie in einem beständigen Traume umherwandeln. Sie sind allen Arten von Wunderglauben ergeben, Verzückungen und Gesichtern unterworfen, sehen häufig allerhand sonderbare Erscheinungen, und hören Musik und seltsame Stimmen in der Luft. Die ganze Gegend ist voll von Ortssagen, Plätzen, wo es umgeht und Zwielichtsaberglauben. Sterne schnäuzten sich in diesem Thale öfter, Feuerkugeln lassen sich häufiger hier sehen, als in irgend einem Teile des Landes, und der Alp mit allen seinen neun Kindern scheint es zum Lieblingsplatz für seine Spiele erwählt zu haben.

Der Hauptgeist aber, welcher diese bezauberte Gegend besucht, und der Oberbefehlshaber aller der Mächte in der Luft zu sein scheint, ist die Erscheinung eines Reiters ohne Kopf. Einige sagen, es sei der Geist eines hessischen Kavalleristen, dem eine Kanonenkugel, in irgend einer namenlosen Schlacht während des Revolutionskrieges, den Kopf weggenommen habe, und der von Zeit zu Zeit von den Landleuten, in der Dunkelheit, wie auf Windesflügeln dahin reitend, gesehen wird. Seine Besuche sind nicht allein auf das Thal beschränkt, sondern dehnen sich auch zu Zeiten auf die nahegelegenen Landstraßen, und namentlich bis in die Nähe einer Kirche aus, welche in einer nicht großen Entfernung liegt. In der Tat, einige der glaubwürdigsten Geschichtsschreiber jener Gegenden, welche die zerstreuten Angaben über dieses Gespenst sorgfältig gesammelt und mit einander verglichen haben, führen an, dass, nachdem der Körper des Reiters auf dem Kirchhofe beerdigt worden, der Geist Nachts auf das Schlachtfeld reite, um seinen Kopf zu suchen, und dass die gewaltige Eile, in welcher er zuweilen, wie ein mitternächtlicher Sturmwind, durch die Schlucht sauset, daher komme, dass er sich verspätet habe und in solcher Hast vor Tagesanbruch auf dem Kirchhofe zurücksein wolle.

So lautet im Allgemeinen dieser sagenhafte Aberglaube, welcher Stoff zu mancher abenteuerlichen Geschichte in jenem Schattenbezirke geliefert hat; und das Gespenst ist an allen Kaminen im Lande, unter dem Namen des kopflosen Reiters aus der schläfrigen Schlucht bekannt.

Es ist merkwürdig, dass die Neigung, Gesichte zu sehen, deren ich erwähnt habe, sich nicht auf die Eingebornen des Thales beschränkt, sondern dass ein Jeder, der dort eine Zeitlang sich aufhält, unbewusst davon ergriffen wird. So hellwachend und unbefangen er auch gewesen sein mag, ehe er diese schläfrige Gegend betrat, so kann er gewiss sein, in kurzer Zeit äußert sich der bezaubernde Einfluss der Luft bei ihm, und er fängt an, einbildungsreich zu werden – Träume zu haben und Erscheinungen zu sehen.

Ich erwähne dieses friedlichen Flecks mit allem möglichen Lobe; denn in solchen kleinen einsamen holländischen Tälern, welche man hie und da in dem großen Staate von Neu-York antrifft, bleiben Bevölkerung, Sitten und Gewohnheiten unverändert; während der große Strom der Wanderung und Ausbildung, der in anderen Teilen dieses rastlosen Landes so unaufhörliche Veränderungen bewirkt, bei ihnen unbemerkt vorüberrauscht. Sie sind wie jene kleinen Winkel stillen Wassers, welche man an den Ufern eines reißenden Stromes findet; wo man das Stroh und die Wasserblasen ruhig liegen, oder in ihrem kleinen Hafen umhertreiben sieht, von der Gewalt der vorbeieilenden Strömung bewegt. Obgleich manche Jahre verflossen sind, seitdem ich die betäubenden Schatten der schläfrigen Schlucht betreten, so glaube ich dennoch, dass ich noch jetzt eben dieselbe Bäume und dieselben Familien in ihrem geschirmten Schoße fortleben finden würde.

In diesem Schlupfwinkel der Natur wohnte, in einer früheren Periode der amerikanischen Geschichte, das heißt etwa vor dreißig Jahren, ein würdiger Mann, mit Namen Ichabod Crane, der sich in der schläfrigen Schlucht aufhielt, oder dort »zauderte,« wie man sich auszudrücken pflegt, in der Absicht, die Kinder in der Umgegend zu unterrichten. Er war in Connecticut geboren; einem Staate, welcher die vereinigten Provinzen mit Arbeitern für den Geist sowie für die Waldung versieht, und alljährlich ganze Legionen von Grenzholzfällern und Landschulmeistern herausschickt. Der Zunahme Crane (Kranich) passte sich nicht schlecht zu seiner Gestalt. Er war groß, aber sehr dürr, hatte schmale Schultern, lange Arme und Beine, Hände, welche eine Meile weit aus seinen Ärmeln hervorragten, Füße, die zu Schaufeln gedient haben könnten, und seine ganze Gestalt hing höchst locker zusammen. Sein Kopf war klein und oben platt, mit gewaltigen Ohren, großen grünen, glasartigen Augen und einer langen Schnepfennase, die wie ein Wetterhahn aussah, der auf seinem Spindelhalse steckte, um zu verkünden, woher der Wind wehe. Wenn man ihn, an einem windigen Tage, von dem Abhange eines Hügels herabsteigen sah, wie seine Kleider um ihn her beutelten und schwebten, hätte ihn Jedermann für den Genius der Hungersnot, der sich auf die Erde herabließe, oder für eine, auf einem Kornfelde entlaufene Vogelscheuche nehmen mögen.

Sein Schulhaus war ein niedriges Gebäude von einem Zimmer, roh aus Holzblöcken zusammengezimmert; die Fenster teils mit Glasscheiben versehen, teils mit Blättern aus alten Schreibbüchern verklebt. In den Feierstunden wurde es sehr künstlich dadurch verwahrt, dass eine Weidenrute in die Türklinke gebunden und Stangen von außen gegen die Fensterladen gesetzt waren, so dass ein Dieb, wenn er gleich mit vollkommener Leichtigkeit in das Haus gelangen konnte, einige Schwierigkeiten gefunden haben würde, wieder herauszukommen: ein Gedanke, welchen der Baumeister Jost van Houten höchst wahrscheinlich von dem Geheimnis einer Aalreuse geborgt hatte. Das Schulhaus stand in einer etwas einsamen, aber angenehmen Gegend, gerade an dem Fuße eines waldigen Hügels, an dem ein Bach nahe vorbei floß, und an einer Ecke des Gebäudes erhob sich eine furchtbare Birke. Von hier aus konnte man an einem schläfrigen Sommertage das leise Gemurmel der Stimme seiner Schüler, die ihre Aufgaben hersagten, wie das Summen eines Bienenschwarms, vernehmen; dann und wann wurde dieses Geflüster durch die nachdrucksvolle Stimme des Lehrers, der einen Befehl oder eine Drohung laut werden ließ, oder wohl auch durch den entsetzlichen Schall der Rute unterbrochen, wenn er irgend einen auf dem blumigen Pfade des Wissens träge Dahinschlendernden ermunterte. Er war, die Wahrheit zu sagen, ein gewissenhafter Mann, der den goldenen Spruch stets im Sinne trug: »Spare die Rute und verziehe das Kind.« Ichabod Crane’s Schüler wurden gewiss nicht verzogen.

Ich will indessen Niemand zur Ansicht verleiten, er sei einer von den grausamen Schulmonarchen gewesen, welche sich der Leiden ihrer Untertanen freuen; im Gegenteil, er verwaltete die Gerechtigkeit eher mit ruhiger Überlegung, als mit Strenge; denn er nahm von den Schultern der Schwachen die Last hinweg, und legte sie denen der Starken auf. Bei dem schwächlichen Knaben, der bei der geringsten Bewegung mit der Rute zuckte, ging sie mit Milde vorüber; aber den Forderungen der Gerechtigkeit ward volle Genüge dadurch, dass ein doppeltes Maaß irgend einem kleinen, zähen, starrköpfigen, breitschultrigen holländischen Buben aufgezählt wurde, der unter der Rute aufbrauste, sich spreizte, heimtückisch wurde und sich verstockt zeigte. Alles dies nannte er »an ihrer Eltern statt seine Pflicht tun,« und er erteilte nie eine Züchtigung, ohne ihr die für den geschlagenen Buben so tröstliche Versicherung folgen zu lassen, dass »er gewiss daran gedenken, und ihm den spätesten Tag, den er zu leben habe, noch dafür danken werde.«

Nach dem Schlusse der Schulstunden ward er sogar der Gefährte und Spielgenosse der größeren Knaben; und an Feiertagsnachmittagen führte er auch wohl Manche von den Kleineren heim, die zufällig artige Schwestern hatten, oder deren Mütter gute Hausfrauen und ihrer reichlich versehenen Schenktische willen bekannt waren. In der Tat, er hatte es nötig, mit seinen Schülern auf gutem Fuße zu bleiben. Die Einkünfte, welche ihm aus seiner Schule wurden, waren gering und würden kaum zu dem täglichen Brot hingereicht haben, denn er war ein gewaltiger Esser, und hatte, bei all seiner Magerkeit, doch die Ausdehnbarkeit einer Anakonda; allein er erhielt, um sein Auskommen zu erleichtern, nach der in jenen Gegenden üblichen Sitte, in den Häusern der Gutsbesitzer, deren Kinder er unterrichtete, Kost und Wohnung. Bei diesen wohnte er abwechselnd eine Woche, und machte auf diese Weise, indem er alle seine weltlichen Habseligkeiten in ein baumwollenes Schnupftuch band, die Runde bei ihnen.

Damit dies jedoch die Beutel seiner ländlichen Gönner, welche die Kosten des Schulhaltens als eine beschwerliche Bürde und die Schulmeister als bloße Hummeln anzusehen pflegten, nicht zu sehr beschweren möchte, hatte er allerhand Auswege, sich sowohl nützlich als angenehm zu machen. Er stand den Landleuten bei den leichtern Feldarbeiten bei; half ihnen beim Heumachen; besserte die Zäune aus; ritt die Pferde in die Tränke; trieb die Kühe von der Weide; und spaltete Holz für das Winterfeuer. Er legte auch die gebietende Würde und das unumschränkte Herrscherwesen, womit er sein kleines Reich, die Schule, regierte, ab, und wurde wunderbar freundlich und einschmeichelnd. Er fand Gnade in den Augen der Mütter, indem er die Kinder, besonders die Jüngern, liebkoste und pflegte, wie der Leue kühn, der so großsinnig weiland das Lamm umfing, mit einem Kinde auf einem Knie dazusitzen und ganze Stunden mit dem Fuße eine Wiege zu schaukeln.

Zu seinen andern Berufsgeschäften kam auch noch das eines Singlehrers der Gegend, und er gewann sich manchen blanken Schilling dadurch, dass er die jungen Bursche im Psalmsingen unterrichtete. Er war nicht wenig stolz darauf, am Sonntage, vorn auf dem Kirchenchor mit einer Anzahl auserlesener Sänger da zu stehen, wo er dann, nach seiner Meinung, dem Pfarrer die Palme abgewann. Gewiss ist es, dass seine Stimme alle übrigen in der Gemeine übertönte; und man hört noch jetzt in der Kirche ganz besondere Triller, die man wohl eine Meile weit. vielleicht bis an das entgegengesetzte Ufer des Mühlteiches, vernehmen kann, und welche rechtmäßig von Ichabod Crane’s Nase herstammen sollen. So half sich, mit verschiedenen kleinen Auswegen, auf die erfinderische Weise, die man gewöhnlich »mit Recht oder Unrecht« nennt, der würdige Pädagoge durch, und Alle, welche von der Kopfarbeit nichts verstanden, meinten, dass er ein wunderbar angenehmes Leben dabei führe.

Der Schulmeister ist in dem Frauenkreise einer ländlichen Gegend gewöhnlich ein Mann von einiger Bedeutsamkeit; denn er wird als eine Art müßiger, anständiger Personen angesehen, die bei weitem mehr Geschmack und Bildung hat, als die rohen Bauernbursche. und in der Tat an Gelehrsamkeit bloß dem Pfarrer nachsteht. Seine Erscheinung verursacht daher gewöhnlich einige Bewegung an dem Teetisch eines Meierhofes, und gibt wohl Anlass, dass als Zugabe ein Teller mit Kuchen oder Zuckerwerk aufgetragen, vielleicht gar mit einer silbernen Teekanne geprunkt wird. Unser gelehrter Mann war daher in der Huld aller Landmädchen vorzüglich glücklich. Wie paradierte er unter ihnen auf dem Kirchhofe, vor und nach dem Gottesdienste an Sonntagen! Er brach für sie Trauben von den wilden Weinreben, welche die umherstehenden Bäume umrankten; las, zu ihrer Unterhaltung, alle die Grabschriften auf den Denkmälern ab; oder schlenderte, mit einem ganzen Schwarme derselben, an den Ufern des benachbarten Mühlteiches umher; während die schüchterneren Dorflümmel schafsmäßig zurückblieben, und seine größere Zierlichkeit und Gewandtheit mit Neid ansahen.

Durch sein halbreisendes Leben ward er zu einer Art von wandelnder Zeitung, welche die ganze Masse des Ortsgeklatsches von einem Hause zum andern trug, so dass man ihn allemal mit Vergnügen kommen sah. Er wurde überdies von den Frauen für einen Mann von großer Gelehrsamkeit gehalten, denn er hatte mehrere Bücher ganz durchlesen, und wusste Cotton Mather’s Geschichte der Zauberei in Neu-England, an die er beiläufig gesagt, steif und fest glaubte, fast auswendig.

Der Mann war in der Tat ein sonderbares Gemisch von natürlichem Scharfsinn und einfältiger Leichtgläubigkeit. Seine Sucht nach allem Wunderbaren, und seine Kräfte, es zu verdauen, waren gleich außerordentlich; und beide waren durch seinen Aufenthalt in dieser bezauberten Gegend bedeutend vermehrt worden. Keine Sage war für seinen geräumigen Magen zu plump oder zu ungeheuer. Es war oft sein Ergötzen, sich, wenn am Nachmittage die Schule entlassen war, auf das üppige Kleebett an dem kleinen Bach, der an seinem Schulhause dahinmurmelte, hinzustrecken, und hier des alten Mather’s schreckliche Geschichten zu durchlesen, bis die allmählig einbrechende Abend-Dämmerung den Druck vor seinen Augen in Nebel zusammenfließen ließ. Wenn er dann seinen Weg durch Moraste und Ströme und schauerliche Waldgegenden nach dem Pächterhaus antrat, wo er gerade einquartiert ward, erregte jeder Ton der Natur, in dieser Zauberstunde, seine aufgeregte Einbildungskraft gewaltig: so der Klagelaut des Whip-poor-will von dem Abhange des Hügels; der ahnungsvolle Schrei des Brüllfrosches, dieses Verkündigers des Sturmes; das traurige Geächze der Nachteule; oder das plötzliche Rauschen aus ihrem Nest aufgeschreckter Vögel im Dickicht. Auch die Leuchtwürmer, welche an den dunkelsten Stellen sehr lebendig funkelten, erschreckten ihn dann und wann, wenn einer von ungewöhnlichem Glanze quer über seinen Pfad schwebte; und wenn, durch Zufall, ein großer Tölpel von Käfer die plumpen Flügel gegen seinen Kopf schlug, so war der arme Wicht nahe daran, seinen Geist über den Gedanken aufzugeben, dass er jetzt von einer Hexe bezeichnet worden sei. Seine einzige Zuflucht bei solchen Gelegenheiten, um entweder die Gedanken zu ersticken, oder die bösen Geister weg zu scheuchen, war, Psalmen zu singen; – und die ehrlichen Bewohner der schläfrigen Schlucht, wenn sie Abends vor der Tür saßen, wurden oft mit Grauen erfüllt, wenn sie seine näselnde Melodie, »in verketteter Lieblichkeit lang hinausgezogen,« von dem entfernten Hügel oder die staubige Landstraße entlang daher schweben hörten.

Eine andere Quelle seines schauerlichen Vergnügens war es, die langen Winterabende bei den alten holländischen Frauen zuzubringen, während diese mit ihren Spinnrädern bei dem Feuer saßen, und eine Reihe von Äpfeln auf dem Herde briet und zischte; und ihre wunderbaren Erzählungen von Gespenstern und Kobolden, von spukenden Feldern, Bächen, Brücken und Häusern und namentlich von dem kopflosen Reiter, oder von dem »galoppierenden Hessen aus der Schlucht,« wie er zuweilen genannt wurde, anzuhören. Dagegen ergötzte er sie wieder mit seinen Anekdoten von Hexereien, von den furchtbaren Anzeichen und erschrecklichen Geschichten und Tönen in der Luft, welche in früheren Zeiten in Connecticut gewöhnlich waren; und setzte sie in gewaltige Furcht mit Betrachtungen über Kometen und Sternschnuppen; und mit der entsetzlichen Tatsache, dass die Welt sich durchaus drehe, und dass sie die Hälfte ihrer Zeit auf dem Kopfe stünden.

Wenn indessen alles dies ganz angenehm war, während er sich behaglich in der Kaminecke eines Zimmers zusammendrücken konnte, welche das prasselnde Holzfeuer mit einem rötlichen Scheine ganz beleuchtete, und wo natürlich kein Gespenst sein Gesicht sehen lassen durfte, so ward es durch die Schrecken seines später folgenden Nachhausegang teuer erkauft. Welche furchtbare Gestalten und Schatten belagerten seinen Weg in dem trüben, grausigen Glanze einer Schneenacht! – Mit welchem argwöhnischen Blicke betrachtete er jeden zitternden Lichtstrahl, der aus irgendeinem entfernten Fenster über die öden Felder dahinstreifte! – Wie oft erschreckte ihn ein mit Schnee bedeckter Strauch, der wie ein in ein Leichentuch gehülltes Gespenst sich gerade in seinen Weg stellte! – Wie oft schrak er mit starrem Entsetzen vor dem Schall seiner eigenen Fußtritte auf der Frostrinde unter seinen Füßen zurück; und fürchtete sich, über seine eigene Schulter zurückzublicken, um nicht irgend eine seltsame Gestalt dicht hinter sich her tappen zu sehen! – Und wie oft wurde er, von irgendeinem Windstoß, der in den Blättern heulte, in völlige Verzweiflung getrieben, da er nicht anders glaubte, als es sei der galoppierende Hesse auf einem seiner nächtlichen Züge!

Alles dies waren indessen bloße Schrecken der Nacht, Phantome des Geistes, welche in Finsternis wandeln; und obgleich er zu seiner Zeit manche Gespenster gesehen hatte, und mehr als einmal auf seinen einsamen Spaziergängen von dem Satan in verschiedenen Gestalten heimgesucht worden war, so setzte doch das Taglicht allen diesen Übeln ein Ziel; und er würde, dem Teufel und allen seinen Werken zum Trotz, ein ganz angenehmes Leben geführt haben, wäre sein Weg nicht von einem Wesen durchkreuzt worden, dergleichen den Sterblichen mehr Not machen, als alle Gespenster, Kobolde und das ganze Geschlecht der Hexen zusammengenommen; und dies war – ein Weib.

Unter den Singschülern, welche sich an einem Abend in jeder Woche versammelten, um seinen Unterricht im Psalmensingen zu empfangen, war auch Katharina van Tassel, die Tochter und das einzige Kind eines wohlhabenden holländischen Landwirtes. Sie war ein blühendes Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren; rund wie ein Rebhuhn; reif und mürbe und rosenwangig wie eine von den Pfirsichen ihres Vaters; und überall nicht allein ihrer Schönheit, sondern auch ihrer ausgedehnten Aussichten wegen berühmt. Sie war dabei etwas kokett, wie man schon an ihrer Kleidung sehen konnte, welche ein Gemisch von alten und neuen Moden war, wie diese am meisten dazu dienten, ihre Reize hervorzuheben. Sie trug den Schmuck von purem gelben Golde, welchen ihre Ur-Ur-Großmutter von Saardam herübergebracht hatte; den verführerischen Brustlatz aus der alten Zeit; und dabei einen auffallend kurzen Rock, um den niedlichsten Fuß und Knöchel in der Gegend umher sehen zu lassen.

Ichabod Crane hatte ein sanftes, mitleidiges Herz gegen das andere Geschlecht; und man darf sich nicht wundern, dass ein so verführerischer Bissen bald Gnade vor seinen Augen fand, besonders, nachdem er sie in ihrer väterlichen Wohnung heimgesucht hatte. Der alte Baltes van Tassel war das vollkommene Muster eines wohlhabenden, zufriedenen, gemütlichen Landwirts. Wahr ist es, er ließ selten seine Augen oder seine Gedanken über die Grenzen seiner eigenen Besitzung hinausgehen; innerhalb dieser aber war Alles behaglich, glücklich und wohlbeschaffen. Er gefiel sich in seinem Reichtum, war aber nicht stolz darauf; und tat sich eher auf seinen reichlichen Überfluss, als auf die Art, wie er lebte, etwas zu Gute. Sein festes Bollwerk war an den Ufern des Hudson belegen, in einem jener grünen, wohlbeschützten, fruchtbaren Winkel, worin die Holländer so gerne nisten. Eine große Ulme breitete ihre ausgedehnten Zweige darüber aus; an dem Fuße derselben sprudelte ein Quell des süßesten und angenehmsten Wassers in einen kleinen, aus einem Fasse gebildeten Brunnen; und stahl sich dann schäumend durch das Gras zu einem benachbarten Bache hin, der unter Erlen und Zwergweiden dahinmurmelte. Dicht neben dem Wohnhause war eine große Scheune, die zu einer Kirche gedient haben könnte; jedes Fenster und jede Spalte derselben schien von den Schätzen des Meierhofes zu bersten; der Dreschflegel tönte geschäftig vom Morgen bis zur Nacht darin; Haus und Mauerschwalben strichen zwitschernd um die Gesimse; und Flüge von Tauben, von denen einige mit einem Auge aufblickten, als ob sie das Wetter beobachteten, einige die Köpfe unter die Flügel oder in die Brust steckten, und andere sich aufbliesen, und girrten, und gegen ihre Weibchen sich neigten. genossen des Sonnenscheins auf dem Dache. Feiste unbehilfliche Schweine grunzten in Ruhe und Überfluss in ihren Ställen, aus denen dann und wann Haufen von Spanferkeln hervorstürzten, als ob sie die Luft wittern wollten. Ein stattliches Geschwader von schneeweißen Gänsen schwamm auf einem benachbarten Teiche umher, und beschützte ganze Flotten von Enten; Regimenter von Truthühnern kollerten auf dem Hofe umher, und Perlhühner gingen, wie verdrießliche Hausfrauen, mit ihrem grämlichen missvergnügten Geschrei hin und her. Vor dem Scheunentor stolzierte der tapfere Hahn, das Muster eines Ehemannes, eines Kriegers und eines feinen Herrn, seine schimmernden Flügel schlagend, und im Stolze und in der Freude seines Herzens laut krähend – zuweilen mit seinen Füßen die Erde scharrend, und dann, großmütiger Weise, seine immer hungrige Familie herbeirufend, sich des fetten Bissens zu erfreuen, den er entdeckt hatte.

Dem Pädagogen wässerte der Mund, als er auf diese prächtigen Verheißungen einer üppigen Winterkost blickte. In seinem verschlingenden Gemüts-Auge sah er schon jedes Spanferkel gebraten mit einem Pudding im Leibe und einem Apfel im Maule umherlaufen; die Tauben waren sanft in eine Pastete gebettet und unter einem Deckel von Kruste verborgen; die Gänse schwammen in ihrem eigenen Fette, und die Enten lagen traulich, wie neuvermählte Paare, zu Zweien in den Schüsseln, bei einem anständigen Vorrat von Zwiebelbrühe. In den größeren Schweinen sah er schon die künftige fette Speckseite und den saftigen, schmackhaften Schinken abgeschnitten; es gab keinen Truthahn, den er nicht zierlich aufgestutzt, mit dem Magen unter dem Flügel und vielleicht einem Halsbande von schmackhaften Würsten, gesehen hätte; und selbst der stolze Singhahn lag auf seinem Rücken, in einer Nebenschüssel, mit aufwärts gekehrten Krallen, als ob er die Gnade erbitten wollte, die sein ritterlicher Geist, so lange er lebte, zu fordern verschmäht hatte.

Indem der entzückte Ichabod sich alles dies dachte, und seine großen, grünen Augen über die fetten Wiesen, die reichen Weizen-, Roggen-, Buchweizen-und Maisfelder, und die mit rötlichen Früchten beladenen Obstgärten, welche die warme Wohnung van Tassel’s umgaben, dahinrollen ließ, sehnte sich sein Herz nach dem Mädchen, welches diese Besitzungen erben sollte, und seine Einbildungskraft dehnte sich bei dem Gedanken aus, wie leicht man sie in bares Geld verwandeln und dies zum Ankauf ungeheurer Strecken wüsten Landes und zu Schindelpalästen verwenden könnte. Ja, seine geschäftige Einbildungskraft verwirklichte bereits seine Hoffnungen, und stellte ihm die blühende Katharina dar, wie sie, mit einer ganzen Familie von Kindern, oben auf einem mit allerhand Hausrat beladenen Wagen saß, während Töpfe und Kessel unter demselben baumelten; sich selbst sah er auf einer ruhigen Stute, mit einem Füllen auf ihren Fersen, auf dem Wege nach Kentucky, Tennessee, oder Gott weiß wohin.

Als er in das Haus trat, war die Eroberung seines Herzens vollständig. Es war eines von jenen geräumigen Wohnhäusern, mit hohem Giebel, aber niedrigem Dach, in dem Style erbaut, welcher von den ersten holländischen Ansiedlern sich fortgepflanzt hatte; die niedrigen vorspringenden Gesimse bildeten vor dem Hause eine Art von Bogengang, der bei schlechtem Wetter geschlossen werden konnte. Unter diesem hingen Dreschflegel, Pferdegeschirre, mehrere Ackergeräte und Netze zum Fischfange in dem benachbarten Fluss. Bänke waren an den Wänden zum Gebrauche im Sommer angebracht; und ein großes Spinnrad an dem einen Ende und ein Butterfass am andern deuteten darauf hin, zu wie vielfachem Gebrauche diese wichtige Vorhalle benutzt werden könne. Aus diesem Bogengange trat der verwunderte Ichabod in den Saal, welcher den Mittelpunkt des Gebäudes und den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Familie bildete. Hier blendeten Reihen von glänzendem Zinn, die auf dem langen Anrichtetisch ausgestellt waren, seine Augen. In einem Winkel stand ein großer Sack mit Wolle, der zum Verspinnen bereit war; in einem andern lag ein Pack Beiderwand, das soeben vom Webestuhl gekommen; Maisähren und Schnüre gedörrter Äpfel und Pfirsichen hingen in lustigen Bogengehängen die Wände entlang, mit der Pracht von roten Pfefferkolben dazwischen; und eine halb offen gelassene Tür ließ ihn einen Blick in das Gesellschaftszimmer tun, wo die Stühle mit Klauenfüßen und die dunkeln Mahogony-Tische wie Spiegel glänzten; Feuerböcke, mit den dazu gehörigen Schaufeln und Zangen, schienen aus ihrer Bedeckung von Spargelkraut hervor; künstliche Orangen und Muscheln schmückten das Kamingesims; Schnüre von vielfarbigen Vogeleiern waren darüber aufgehängt; von der Mitte des Zimmers herab hing ein großes Straußenei, und ein Eckschrank, bedachtsamer Weise offengelassen, ließ einen ungeheuren Schatz von altem Silberzeuge und schön gemaltem Porzellan sehen.

Von dem Augenblicke an, wo Ichabod seine Augen auf diese seligen Gefilde heftete, war es mit seinem Seelenfrieden ein Ende, und sein einziges Bemühen war dahin gerichtet, wie er die Neigung der unvergleichlichen Tochter van Tassel’s gewinnen solle. Bei diesem Unternehmen hatte er jedoch mehr wirkliche Schwierigkeiten zu überwinden, als gewöhnlich einem irrenden Ritter in alten Zeiten zu Teil wurden, der selten etwas anders, als Riesen, Zauberer, feurige Drachen und dergleichen leicht zu besiegende Gegner zu bekämpfen hatte, und sich durch eiserne und metallene Thore und Mauern von Diamanten nach dem Burgverließ, wo die Dame seines Herzens gefangen saß, einen Weg bahnen musste; welches Alles er so leicht verrichtete, wie Jemand jetzt sich mit dem Vorlegemesser einen Weg in eine Weihnachtspastete bahnen würde, worauf die Dame ihm, wie sich von selbst versteht, ihre Hand reichte. Ichabod dagegen musste sich einen Weg zu dem Herzen einer Dorf-Kokette bahnen, von einer Menge Eigenheiten und Launen umlagert, die ihm alle Augenblicke neue Schwierigkeiten und Hindernisse in den Weg legten; er hatte einen Schwarm furchtbarer Gegner von Fleisch und Blut, die zahlreichen ländlichen Bewunderer zu bekämpfen, welche jedes Tor zu ihrem Herzen besetzt hielten, wachsam und grollend einander beobachteten und bereit waren, für die gemeinschaftliche Sache gegen jeden neuen Bewerber in das Feld zu rücken.

€2,99