Buch lesen: «Digitale Medizin»

Schriftart:

David Matusiewicz | Maike Henningsen | Jan P. Ehlers (Hrsg.)

Digitale Medizin

Kompendium für Studium und Praxis

mit Beiträgen von

J. Aulenkamp | K.F. Braun | J. Fehr | C. Forster | J. Harth | S. Heinemann G. Hohenberg | J. Holm | A. Jorzig | H. Juhl | M. Kaufmann | S. Konigorski E. von Leitner | V. Lemarié | C. Lippert | J. Lüssem | L. Mosch D. Pförringer | J. Plugmann | P. Plugmann | A. Posenau | J. Schmidt R. Schmitz | H. Trübel | R. Werner | L. Wirbelauer | J. Zerth

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Das Herausgeberteam

Prof. Dr. David Matusiewicz

Dekan | Gesundheit und Soziales

Direktor | Institut für Gesundheit & Soziales (ifgs)

Professur für Medizinmanagement

FOM | Hochschule für Oekonomie & Management

gemeinnützige Gesellschaft mbH

KCG KompetenzCentrum für Management im Gesundheits und Sozialwesen

Leimkugelstraße 6

45141 Essen

www.david-matusiewicz.com

Jun.-Prof. PD Dr. med. Maike Henningsen

Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe

Universität Witten/Herdecke

Fakultät für Gesundheit

Department für Humanmedizin

Alfred-Herrhausen-Straße 50

58448 Witten

Prof. Dr. Jan P. Ehlers

Vizepräsident der Universität Witten/Herdecke

Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen

Fakultät für Gesundheit

Alfred-Herrhausen-Straße 50

58448 Witten

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Unterbaumstraße 4

10117 Berlin

www.mwv-berlin.de

ISBN 978-3-95466-583-9 (eBook: ePub)

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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2021

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Lektorat: Monika Laut-Zimmermann, Berlin

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Zuschriften und Kritik an:

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Geleitwort

In der Corona-Krise hat sich die Digitalisierung rasch zum Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts entwickelt. Das galt im Privaten wie auch im Beruf. Viele der virtuellen Treffen werden mit Bewältigung der Krise durch persönliche Kontakte und Interaktionen (zum Glück) wieder abgelöst. Einiges allerdings wird bleiben. Dazu zählt die Digitalisierung der Medizin.

Die Krise hat den Einsatz digitaler Technologien in der Medizin forciert. Video-Sprechstunden, Anfang 2020 von den allermeisten Ärzten und Patienten als vollkommen überflüssig empfunden, sind in wenigen Wochen in vielen Praxen zum Standard geworden. Neben der Vermeidung eines Infektionsrisikos in der Praxis hat der direkte Nutzen überzeugt. Da der Aufwand den Arzt zu konsultieren geringer wird, sinkt die Interaktionsschwelle zwischen Patienten und Arzt – vieles kann kurzfristig besprochen und erklärt werden. Der Patient fühlt sich besser und umfassender betreut. Das gilt insbesondere für die „Sprechende Medizin“.

Die Videosprechstunde hat für viele Patienten und Ärzte den direkten Nutzen der digitalen Medizin erstmals erlebbar gemacht. Digitale Technologien haben gezeigt, dass sie die Versorgung der Menschen tatsächlich sicherer, besser und auch bequemer machen können. Diese Vorteile wollen Ärzte wie auch Patienten auch nach der Krise nicht mehr missen. Mit diesem Rückenwind starten nun die großen anstehenden Digitalisierungsprojekte in der deutschen Medizin. Dazu gehören die Zulassung der ersten „App auf Rezept“ noch in diesem Herbst, ebenso wie die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) zum 01.01.2021 mit dem elektronischen Rezept zum 01.07.2021 sowie zahllose weitere Innovationen. Sämtliche gesetzliche Grundlagen sind geschaffen, an der technologischen Infrastruktur wird fieberhaft gearbeitet. Durch die Corona-Erfahrung werden diese Projekte nun auch die breite Akzeptanz erhalten, die sie verdienen.

Insofern ist ein Lehrbuch für digitale Medizin wichtig und richtig. Die Digitalisierung ist im Herzen der Medizin angekommen – nicht als Selbstzweck, sondern um die Versorgung der Menschen weiter zu verbessern. Um die damit verbundenen Chancen zu nutzen, braucht man das entsprechende Rüstzeug. Dieses Buch mit seinen profilierten Herausgebern und Autoren wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Prof. Dr. med. Jörg F. Debatin, MBA

Chariman des health innovation hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit im Oktober 2020

Geleitwort

Die Digitale Medizin wird in Zukunft eine zunehmend wichtiger werdende Rolle spielen. Dies spiegelt sich heute schon in der Diagnostik, Therapie und Nachsorge in der Versorgungsrealität der Patienten punktuell wider. Die digitale Transformation des Gesundheitswesens betrifft aber nicht nur digitale Prozesse und Techniken, sondern es geht insbesondere auch um die Menschen, die mit den digitalen Methoden und Instrumenten in Berührung kommen. Und so hat die Digitale Medizin heute schon längst Einzug in die Ausbildung und das Studium gehalten. Erst waren es einzelne Themen, später einzelne Module bis hin zu künftig ganzen Studiengängen in Deutschland. Das vorliegende Buch findet sicherlich Aufnahme in die Curricula in Ausbildung und Studium von Medizin, medizinischen Fachberufen und in der Pflege und wird zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen.

Das Werk wurde von der gemeinnützigen Stiftung BildungsCentrum der Wirtschaft in Essen gefördert, auf deren Initiative die FOM Hochschule für Oekonomie & Management gegründet wurde. Zweck der Stiftung ist die Förderung von Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung. Die FOM Hochschule ist die größte private Hochschule in Deutschland. An der FOM studieren an 32 Hochschulzentren in Deutschland und in Wien über 55.000 Studierende berufs- und ausbildungsbegleitend. In diesem Zusammenhang kam die Initiative für dieses Buch aus dem FOM Hochschulbereich Gesundheit & Soziales, einem recht neuen allerdings auch wachsenden Bereich der Hochschule.

Im Namen der Stiftung und der FOM Hochschule wünsche ich den Lesern eine interessante Lektüre. Dieses Kompendium vermittelt strukturiert und verständlich das Wissen des neuen dynamischen Fachgebietes der Digitalen Medizin. Das Werk beleuchtet die technologischen und kulturellen Dimensionen der digitalen Transformation und verortet diese im Kontext von Medizin und Gesundheit.

Klaus Dieter Braun

Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung BildungsCentrum der Wirtschaft Gründer und Vorsitzender der Geschäftsführung der FOM Hochschule für Oekonomie & Management

Vorwort

Wer heute einen Beruf im Gesundheitswesen ergreifen will, kommt an der digitalen Transformation nicht vorbei. Diese ist kein Hype, der schnell vorüberzieht und dann dem nächsten Trend Platz macht, sondern eine umfassende Veränderung des Gesundheitssystems. Dabei müssen die Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten gut im Bereich Digitalisierung ausgebildet werden, damit sie unter anderem für Patientinnen und Patienten Lotse und Wegweiser sein können. Darüber hinaus wird es wichtig sein, dass alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, handlungs- und gestaltungsfähig sind, sodass sie nicht auf digitale Neuerungen reagieren müssen, sondern selbst mitgestalten. Die Entwicklung sollte nicht durch das technisch Mögliche, sondern durch das für alle Notwendige und Wünschenswerte getrieben werden. Um einen Einblick in die digitale Veränderung des Gesundheitswesens heute und morgen zu geben, wurde das vorliegende Buch von Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Bereichen von Gesundheit und Digitalisierung verfasst. Dies ist die erste Auflage und viele werden folgen (müssen), da wir in einem ständigen Wandel und einer schnellen Weiterentwicklung leben. Diesen Wandel mit all seinen Chancen, Möglichkeiten aber auch Risiken und Herausforderungen bildet dieses Werk ab und ist damit die Grundlage für eine gute Aus- und Fortbildung im Bereich digitale Medizin. Das vorliegende Kompendium macht den Versuch alle relevanten Themenbereiche, die die digitale Medizin tangiert für Studium und Praxis verständlich zusammenzufassen. Zugrunde liegt zum einen die Auseinandersetzung mit den derzeitig viel diskutieren Technologien, die die Medizin der Zukunft in digitaler Form zum Patienten bringen sollen. Telemedizin oder Health Apps/DiGA, aber auch Roboter-assistierte Systeme, 3D Druck sowie Virtual und Augmented Reality werden in diesem Buch umfassend erörtert. Es wird aber auch auf neue wissenschaftliche Konzepte in der Datenverarbeitung, sei es über die KI aber auch über Big Data, eingegangen und ihr Nutzen im Kontext der medizinischen Versorgung zum Beispiel in der Precision Medicine diskutiert. Daneben spielt die Einbettung der digitalen Medizin in unsere Gesellschaft eine große Rolle. Hierbei wird eine institutionelle Verortung auf Ebene der Gesundheitssysteme vorgenommen und die aktuelle Gesundheitspolitik und Gesetzgebung näher betrachtet. Digitale Bildung und Kommunikation zwischen den Akteuren des Gesundheitssystems werden genauso thematisiert wie notwendige neue interprofessionelle Kompetenzen definiert und ethische und rechtliche Fragen erörtert. Zusammenfassend soll dieses Buch einen umfassenden, einfach verständlichen Überblick über die Medizin von morgen geben und eine Einordnung der digitalen Medizin in die medizinische Versorgung von heute ermöglichen.

Ihr Herausgeberteam

David Matusiewicz, Maike Henningsen und Jan P. Ehlers im Oktober 2020

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

1 Einführung Stefan Heinemann

1.1 Grundlegende Chancen, Herausforderungen und Lösungskorridore der digitalen Medizin

1.2 Verändertes Berufsbild des Arztes und verändertes Medizinstudium mit erweitertem Kompetenzset „digitale Medizin“

1.3 Beispielhafte Aspekte digitaler Kompetenzen der digitalen Medizin in einer neuen Berufsausbildung

1.4 Beispielhafte Aspekte agiler Kompetenzen der digitalen Medizin in einer neuen Berufsausbildung

1.5 Beispielhafte Aspekte ethischer Kompetenzen der digitalen Medizin in einer neuen Berufsausbildung

1.6 Beispielhafte Aspekte interprofessioneller Kompetenzen der digitalen Medizin in einer neuen Berufsausbildung

2 Digitalisierung und institutionelle Verortung – wo unterscheiden sich Gesundheitssysteme? Jürgen Zerth und Cordula Forster

2.1 Digitalisierung im Gesundheitswesen: eine Herausforderung für Gesundheitssysteme

2.2 Integrative Gesundheitsversorgung als Anknüpfungspunkt von Digitalisierung

2.3 Digitalisierung im internationalen Vergleich

2.4 Implikationen für die (deutsche) Gesundheitspolitik

3 Kommunikation im Kontext der Digitalisierung André Posenau

3.1 Die „neue“ Arzt-Patienten-Beziehung

3.2 Shared Decision Making

3.3 Umgang mit Informationen aus dem Netz

3.4 Umgang mit der digitalen Selbstdiagnose

3.5 Umgang mit quantifzierten Daten und Apps

3.6 Es wird immer komplexer!

4 Gesundheitspolitik und Gesellschaft Alexandra Jorzig

4.1 Rechtlicher Rahmen

4.2 Gesellschaft

4.3 Prävention

4.4 Datenschutz und Datensicherheit

4.5 Recht, Haftung

5 Digitale Bildung Jana Aulenkamp, Lina Mosch, Jeremy Schmidt, Matthias Kaufmann und Lara Wirbelauer

5.1 Einstieg

5.2 Digitale Gesundheitskompetenz

5.3 Digitales Lehren und Lernen

5.4 Digital Health Curricula

6 Präzisionsmedizin Hartmut Juhl und Eike von Leitner

6.1 Krebs – eine hochkomplexe, individuelle Erkrankung

6.2 Digitalisierung von Krebs – die Datenqualität ist maßgeblich

6.3 Datengewinnung für eine Präzisionsmedizin

6.4 Präzisionsmedizin durch Analytik komplexer Datensätze

6.5 Schlusswort

7 Data Science für Digitale Medizin Jana Fehr, Stefan Konigorski und Christoph Lippert

7.1 Ansätze und Methoden in Data Science

7.2 Anwendung in der Pathogenese

7.3 Digitale Biomarker zur Früherkennung von Krankheiten

7.4 Anwendung in der Medizinischen Versorgung

7.5 Herausforderungen und Limitationen

8 Künstliche Intelligenz in der Medizin René Werner und Rüdiger Schmitz

8.1 Einleitung

8.2 Definitionen und Methoden

8.3 Anwendungsszenarien

8.4 Herausforderungen und offene Fragen

9 Internet of Things Jürgen Holm

9.1 Personalisierte Medizin: „pHealth“

9.2 Automatisation: „aHealth“

9.3 Empowerment: „mHealth“

9.4 Vernetzung: „eHealth“

9.5 Konvergenz: Health 4.0

10 Robotik Jens Lüssem

10.1 Einleitung

10.2 Autonome Roboter

10.3 Stand der Forschung im Bereich lernender Roboter

10.4 Anwendungsszenarien

10.5 Bedeutung in der medizinischen und pflegerischen Versorgung

10.6 Veränderung des ärztlichen und pflegerischen Alltags

11 Medizin-Apps und Gesundheits-Apps Gregor Hohenberg

11.1 Einleitung

11.2 Definition von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und mobile Health (mHealth)

11.3 Kriterien für eine App Bewertung

11.4 Bedeutung in der medizinischen Versorgung

11.5 Point of Care (PoC)-Solutions

11.6 Wearables und Insideables

12 Telemedizin Karl Friedrich Braun und Dominik Pförringer

12.1 Einleitung

12.2 Definition

12.3 Stand der Forschung und Entwicklung

12.4 Anwendungsszenarien

12.5 Technische Voraussetzungen und Systeme

12.6 Rechtliche Voraussetzungen, Best Practice

12.7 Ausblick

13 Digital Pills Vanessa Lemarié und Hubert Trübel

13.1 Definition, Eingrenzung

13.2 Einsatzgebiete Digital Pills oder Digital Therapeutics

13.3 Anwendung und Akzeptanz von digitalen Pillen

13.4 Regulatorischer Rahmen

13.5 Datensicherheit und Datenschutz sowie zukünftige Nutzenbewertung

13.6 Blick in die Zukunft

14 3D-Druck Philipp Plugmann und Julia Plugmann

14.1 Einleitung

14.2 Definition, Klassifizierung und Anwendungsbereiche

14.3 Medikamente

14.4 Zellen und Organe

14.5 Ausblick

15 Virtual und Augmented Reality Jonathan Harth

15.1 Definition und Anwendungsbereiche

15.2 Anwendungen von Virtual Reality

15.3 Anwendungen von Augmented Reality

15.4 Virtual Reality und Augmented Reality im Gesundheitswesen

Sachwortregister

Das Herausgeberteam

1 Einführung

Stefan Heinemann

Die medizinische Ausbildung und ärztliche Wirkungsrealität sind seit Jahren im Zugzwang aufzuschließen, zu den innovativen Chancen aber auch zu reflektierenden Risiken, die digitale Medizin schon heute bietet und in der Zukunft vermehrt bieten wird. Keineswegs nur aber doch auch durch die Sars-Cov-2-Krise seit Anfang 2020 ist die digitale Transformation im globalen Maßstab massiv in den Fokus gerückt. In der Medizin selber – sei es in der individuellen Verantwortung, institutionell oder auf Regulierungsebene, die ihren bedeutendsten Entwicklungssprung seit ihrer Entstehung vollzieht, aber auch im Gesundheitswesen als solchem mit seiner, vor allem in der deutschen Solidaritätsvariante hochkomplexen und vielfältigen Akteurslandschaft oder auch der Gesundheitswirtschaft mit neuen Opportunitäten wie einem dritten Gesundheitsmarkt. In diese Komplexität, wenn nicht Opazität kommt mit der digitalen Transformation ein wohl irreversibles Momentum an bisher nicht gekannter Dynamik hinein. Wer sich entscheidet, die Medizin zum Beruf zu machen, kommt an grundlegenden und weiterführendem Kompetenzaufbau1 rund um die digitale Medizin nicht vorbei, je nachdem wie genau der spätere berufliche Weg fachlich ausgestaltet sein soll. Die Substitutionssorgen bereits junger Mediziner, von einer „KI“ ersetzt zu werden, von Pflegenden, durch einen „Roboter“ abgelöst zu werden (und vergleichbarer Sorgen anderer Gesundheitsprofessionen), sind genau dann nicht berechtigt, wenn die neue Generation sich konsequent digitalen Themen im professionellen Kontext nicht nur öffnet, sondern sie treibt, weiterentwickelt, gestaltet.

1.1 Grundlegende Chancen, Herausforderungen und Lösungskorridore der digitalen Medizin

Die politische Sphäre ist in diesem Zusammenhang seit einigen Jahren in Deutschland ungekannt agil und bietet zwei Dutzend digitalorientierte Gesetzesvorhaben, die in Teilen noch vor wenigen Jahren bestenfalls als phantastisch erschienen wären. Insbesondere die Entwicklungen im Zuge des Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG)2, Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG)3 und der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV)4 hat beispielsweise für DiGA als Medizinprodukt (mit den Kerneigenschaften Medizinprodukt Risikoklasse I oder IIa [MDR oder Übergang MDD, Einsatz digitaler Technologien mit medizinischem Nutzen in verschiedenen Feldern und Nutzbarkeit von Patienten und/oder von Leistungserbringer]) neue, dynamische Rahmenbedingungen geschaffen. Die „App auf Rezept“ als erstmaliger Zugang zur Regelversorgungen mit den entsprechenden Finanzierungsinstrumenten nach § 33a und 139e SGB V ist breit – auch unter ethischen Aspekten – diskutiert. Mit verschiedenen Prüfverfahren (u.a. „Fast Track“ innerhalb von drei Monaten5) beim BfArM wird die Qualität zumindest dem Anspruch nach gesichert und die Aufnahme der entsprechenden mobilen eHealth-Anwendung als erstattungsfähige digitaler Gesundheitsanwendung in das „DiGA-Verzeichnis“ kann vorgenommen werden. Telemedizinische Beratung in Pflegeeinrichtungen (durch Ärzte) (Pflegepersonalstärkungsgesetz6), ePA (elektronische Patientenaktie) (u.a. Terminservice- und Versorgungsgesetz7), e-Rezept (Gesetzt für mehr Sicherheit in der Arztneimittelversorgung8) und natürlich das E-Health-Gesetz9 sowie die geplanten Änderungen der aus dem „Masterplan Medizinstudium 2020“10 des BMG hervorgegangenen Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO)11 und der eAU. Zu dieser Handlungs- und Entscheidungsebene zählen neben den gesetzgestaltenden und -gebenden Strukturen auch empfehlungsgebende Institutionen wie der Deutsche Ethikrat12 oder die Datenethikkommission der Bundesregierung13.

Auch auf der institutionellen Ebene sind im ambulanten wie auch stationären Bereich wesentliche Veränderungen erkennbar. Mit grundsätzlichem Systembezug wie beispielsweise der sich verändernde Sektorgestaltungsrahmen „ambulant/stationär“ in Richtung „stationär-ambulant-digital“, Initiativen wie „Smart Hospital“14 oder der Verdichtungsdebatte rund um die deutsche Krankenhauslandschaft. Hinzu treten organisationssoziologisch beachtliche Herausforderungen wie zum Beispiel

digitale Transformation per se (neue Technologien wie KI, Big Data, VR/AR, Cloud Computin, 3D-Druck, Robotik, Blockchain usw. – aber auch die Ambidextrie managen und kulturell aushalten, dass Drucker 12 auf Station 9 genauso schlecht funktioniert, wie das Fax beim Zuweiser und Interoperabilität oft noch ein Wunsch bleibt)

agilere Organisationsstrukturen (neue Wege der Koordination von Komplexität durch an der medizinischen Wertschöpfung ausgerichtete Aufbaustrukturen stoßen auf erhebliche kulturelle Widerstände, teilweise auch an rechtliche oder berufsständische Grenzen)

einfachere, digitale und am Patient-Outcome konsequent ausgerichtete Prozesse (gerade die Ablauforganisation ist eine granulare Problematik durch die immense Komplexität klinischer Prozesse, die zudem auf die Finanzierungsstruktur einen ebensolchen Einfluss haben, wie auf die Patient Journey)

die Verhinderung von erwartbaren Kompetenzkatastrophen in Ärzteschaft, Pflegendenschaft und Management mit Blick auf die digital professional literacy (die Patienten verschieben das Arzt-Patient-Verhältnis, sollen aber keine Ärzte sein, sondern im Sinne einer Autonomie und Nutzen balancierenden Partnerschaft mit jenen kooperieren, daher muss die sich langsam aber doch stetig entwickelnde Digitalkompetenz der Patienten grundsätzlich im Sinne von Qualität und Fürsorge durch die Ärzte eingeordnet und beratend genutzt werden; damit die Ärzte nicht zu getriebenen werden, sondern selber ihrer Profession entsprechend souverän handeln können auch und gerade in der digitalen Medizin ist ein erheblicher Kompetenzsprung notwendig. „Sprung“, denn es ist kaum noch Zeit für langfristige Entwicklungspfade. Für die Ansprüche agiler Organisationen gilt selbiges, wenn Ärzte jene mitgestalten wollen – Ausbildung aber auch Fort- und Weiterbildung ist in hohem Maße gefordert)

Changemanagement als Realhärte für eine traditionell spitzenhierarchisch-fachspezifisch ausgerichtete Spezialorganisation (Veränderungen sind ein Topos der Organisations- und Kulturentwicklung, in Krankenhäusern allerdings eine besondere Härte. Denn jene Organisation folgt oft einer strukturell mittelalterlichen Systemlogik und keiner an Outcome orientierten Gesamtmission. Freilich wird gute und in Teilen sehr gute Medizin angeboten [aber nicht nur], aber auch jene kann und soll durch digitale Technologien noch besser werden – auch im Sinne der Mitarbeitenden, die von Bürokratie entlastet werden und so mehr Zeit für die eigentlich werthaltigen Tätigkeiten für die Patienten haben. Zudem wird letztlich trotz verkrusteter Strukturen oft Spitzenversorgung möglich – wie viel besser noch sähe jene wohl mit smarteren Strukturen aus?)

sich verändernde deutlichere Anforderungen der Patienten an Versorgung und Service (die alten Zeiten, in denen Patienten einfach nur „irgendwie“ behandelt werden wollen – es sei denn, sie sind deutlich aufgeklärt und sehr aktiv [und können dies auch, also ausgenommen sind Notfallsituationen] – nähern sich dem Ende. Leider nicht nur durch mehr transparente und gute Information des datensouveränen Patienten, sondern auch durch viele Desinformationen [Fake News], die nicht orientieren, sondern gefährden. So wächst der nachvollziehbare Anspruch von Patienten, eine bezahlbare, verfügbare, transparente, sichere, menschliche und angenehme Versorgung zu erhalten. Und diejenigen Institutionen [das gilt auch, abgesehen von regulativen Hürden, für internationale Tech-Companies], die dies alles bieten, werden das Rennen machen. Auf den Patientennutzen kommt es in Zukunft zentral an)

flexiblere und effizientere Finanzierung (das deutsche Gesundheitswesen ist komplex und leidet an einem erheblichen Innovationsstau, den es aufzulösen gilt; unter der aktuellen Regulierungslage sind entsprechende Signale vorhanden, die Finanzierung ist allerdings weiterhin ein erhebliches Problem. Wenn Krankenhäuser digitale Innovationsprojekte aus dem Cash-Flow heraus stemmen sollen, wird es eng. Bei privatwirtschaftlich organisierten Häusern werden Investitionen dann getätigt, wenn sich jene rechnen – genauso, wie eher medizinische auskömmlich abrechenbare Eingriffe getätigt werden und komplexe Behandlungen den AöR oder in Teilen weiteren in Sozialträgerschaft befindlichen Kliniken überlassen werden – dürfte diese Logik auch in der digitalen Transformation greifen)

verstärkte Adressierung ethischer Aspekte der digitalen Transformation (ein Effizienzdelta der digitalen Transformation) in der Medizin in Versorgungsgewinne für die Patienten zu investieren sowie angemessenere Arbeitsformen für die Mitarbeitenden ist ohne eine klare normative Ausrichtung nicht selbstverständlich. Ethische Fragen zur digitalen Medizin und Gesundheitswirtschaft sind vom Grundsatz den alten Fragen der Medizinethik vergleichbar, beschäftigen sich allerdings mit einem neuen materialen Gegenstand und sind zudem gesamtgesellschaftlich noch einmal deutlich ins Bewusstsein gerückt. Der digital Twin, datenoptimierte Gesundheit, molekulargenetisch ausgerichtete Präzisionsmedizin, KI-gestützte Diagnostik und viele konkrete Use Cases mehr erregen die Gemüter und erfordern eine auf Argumentation hin angelegte Debatte um Werte und Normen.

deutlichere Einbeziehung der Patienten und Angehörigen (Patient Experience ist kein Nice-to-Have mehr, es wird zunehmend auf neue Wege dieser Integration ankommen; bisher war abgesehen von Patientenorganisationen und -vertretungen auf diversen Ebenen kein wirklicher Raum für Patienten im System zu erkennen)

Innovationsdruck durch neue Spieler im Gesundheitsmarkt (Tech-Companies machen es breit vor in den USA, Asien und in Teilen in Europa – von der Technologie zur Medizin erscheint dabei oft machbarer, als von der Medizin zur Technologie)

Employer Branding, demografischer Wandel und Gendermedizin mit Blick auf kaum noch bedienbare Personalbedarfe (Nachwuchssorgen sind in der Medizin praktisch in allen Bereichen einschlägig. Freilich ist Geschlechtergerechtigkeit eine Pflicht – weswegen jene in allen relevanten Bereich von Organisationsgestaltung über Kultur bis zur Ausbildung enthalten und entsprechende Beachtung finden sollte – aber in der Generation Z+ wird erkennbar, dass sich – erst recht mit einem erheblichen Anteil von Frauen in der Medizinausbildung – auch deskriptiv ohne eine deutliche Diversitystrategie kein nachhaltiger Erfolg bei der Personalrekrutierung wird erreichen lassen)

Für Niedergelassene sieht diese offene Liste ähnlich herausfordernd aus,

von einer mit starkem Druck des Gesetzgeber eingeforderten Telematikinfrastruktur profitieren lernen

steigende Patientenanforderungen

über Wirtschaftlichkeitsherausforderungen (System an sich und Innovationen)

bis zu Nachwuchssorgen.

Anders als im vielzitierten Dänemark mit Sundhed.dk, eine elektronische Patientenakte seit 2003, haben Ärzte in der Fläche in Deutschland mit einer wie auch in Krankenhäusern nie dagewesenen Transformation zu tun. Wenn Ärzte Apps verschreiben, Telemedizin Hausbesuche einfacher macht (auch, weil jene gar wegfallen können), Videosprechstunden zum digitalen Praxisalltag werden und die digitale Kooperation mit fachärztlichen Kollegen kein aufwendiger Akt mehr ist – klingt das durchaus nach einer positiven Perspektive für Patienten. Herausgefordert sind aber zunächst auch die Niedergelassenen, die keine entsprechende Ressourcenstruktur haben wie zumindest viele Kliniken.

Auch für die Hilfsmittelindustrie, Apotheken, die forschenden Pharmaunternehmer, die eHealth-Start-Ups, die NPO/NGOs und viele mehr gilt es, sich in diese Umbrüche produktiv einzubringen. Die Wissenschaft hat dabei eine besondere Rolle inne. In Universitätsklinika (34 in Deutschland aktuell) ist die Verbindung von Forschung, Ausbildung und Versorgung Konzept. Aber auch die weiteren Krankenhäuser, MVZ, Niedergelassenen etc. sind auf Forschung angewiesen und suchen nach machbaren Zugängen in Integrationsperspektiven. Die Fachgesellschaften werden die digitale Entwicklung mitzugestalten haben, Silodenken ist weder technologisch noch soziologisch ein Erfolgsmodell.

„Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“ heißt es in „ 1 SGB V Solidarität und Eigenverantwortung“ im Sozialgesetzbuch (SGB V) Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung (2019 letzte Änderung). Die Rolle der GKV aber auch PKV wird in der digitalen Zukunftsmedizin in Teilen neu zu denken sein, wobei die Pflichtversicherung wie auch das Sachleistungsprinzip und die solidarische Grundausrichtung in Wettbewerb zu privatwirtschaftlichen Modellen treten werden, welche, anders als in der Vergangenheit, im Wege der digitalen Transformation einen schnelleren, höheren Patientennutzen generieren könnten. Das ökonomische Prinzip bringt Segen wo es Verschwendung vermeidet, denn ein im System versackter Euro kann keinem Patienten oder den Mitarbeitenden mehr helfen. Dort aber, wo es hypertrophiert zum ersten Prinzip ist Vorsicht geboten. Denn sachlogisch ist es dies nicht, zumal würde dann aus jeder Knappheit jede beliebe Maßnahme heraus aus legitim genannt werden dürfen – was offenkundig unsinnig wäre.

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