Dies Meer hat keine Ufer

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Baha’uddin Walad

Die Schönäugigen und Großäugigen weiden auf uns.

Baha’uddin Walad

Da Allah in jedem meiner Teilchen wirkt und alle Einfälle und Lustgefühle von Allah seiend werden, haben alle sich Allah zugewandt. Und Allah – wie der schöne Mann mitten unter den neuen Frauen sitzt und die eine ihn in die Schulter beißt, die andere ihn auf das Schulterblatt küsst und eine dritte sich an ihn schmiegt, oder wie Kinder gleich Perlen sich um den jungen Vater sammeln und mit ihm spielen, oder wie Tauben und Sperlinge sich um jemand, der ihnen Futter gibt, scharen und sich überall auf ihn setzen: in gleicher Weise kreisen alle Stäubchen der Daseinsdinge um die Schönheit Gottes und kreisen meine Planung und meine Einfälle um Gott und sagen »hochgepriesen« und »unbefleckt«.

Baha’uddin Walad

Wie schön hat Allah den Honigfluss der Freude, den man Wollust nennt, zwischen verträglichen Ehegatten fließen lassen! Wie schön hat Allah den Milchfluss der Anteilnahme zwischen den Menschen fließen lassen! Wie schön hat Allah den Weinfluss der Liebe fließen lassen! Wie schön hat Allah den Wasserfluss des Lebens und des Wissens fließen lassen! Dies sind die vier Paradiesflüsse, die Allah durch jeden Leib fließen lässt.

Baha’uddin Walad

Also fließen durch alle meine Teilchen Bäche von Licht wie Goldwasser, und sie fließen aus den Eigenschaften Allahs.

Baha’uddin Walad

Mir fiel ein: Jemand sieht alle deine Schamstellen: deine Kahlköpfigkeit, deine Blöße, dein Schamglied, so wie die Braut ihren Gatten und der Bräutigam seine Frau sieht. Sie sehen alle geheimen Stellen und schamhaften Dinge aneinander, freuen sich aneinander, lassen sich voreinander gehen und sind hemmungslos. So wirf dich denn, da Allah doch alle deine geheim gehaltenen Teile und deine Blößen sieht, ohne Hemmung lang hin vor Allah und sage: »O Allah, verfüge über meine Teilchen, ganz wie Du immer verfügst, denn keiner kann sich vor Dir verbergen!« Dann wieder sprangen alle Teilchen vor der Verehrungswürdigkeit Allahs auf, voller Ehrfurcht und Würde, wie die Frau vor dem Gatten dienstbeflissen sich aufstellt. – Notwendigerweise werden in der Liebe zu Allah alle Teilchen meiner Teilchen trunken und fröhlich, gleich wie beim Wollusttreiben alle Teilchen fröhlich werden.

Baha’uddin Walad

Erst wenn Allah all meinen Teilchen ein Holdes antut, mich von Kopf bis Fuß streichelt, weiß ich, dass ich einen Herrn habe. So weiß ich denn jedes Mal, wenn ich »Allah« flüstere, dass Allah mich streichelt, und schon fehlt nicht viel, dass mir vor Wonne Milch aus der Brust fließt und aus jedem meiner Teilchen Wonnetröpfchen und Freuden austreten, heißt es doch: »Die Heiligen sind die Bräute Allahs.«

Baha’uddin Walad

Und jedes meiner Teilchen wurde wie eine Frau, die ihrem Mann im trauten Alleinsein Verehrung erweist.

Baha’uddin Walad

In den Lustgefühlen, Freuden und Wohligkeiten, die ich an Allah empfinde, winde und dreh ich mich, zittere, gerate drunter und drüber und versinke. Wenn ich beim Allah-Sagen solche Wunderbarkeiten nicht erlebe, ist dieses Allah-Sagen bei mir nicht in Ordnung.

Baha’uddin Walad

Jedes Mal, wenn ich eins meiner Kinder schreien hörte, rief ich: »Ach, was ist denn jetzt schon wieder passiert?!?« Wenn ich nur in der Sorge um meine Kinder dahinlebe, gehe ich verloren, und wenn ich nur auf mich selbst aufpasse, gehen meine Kinder verloren.

Baha’uddin Walad

Ist der herzraubende Bettgefährte nicht da, kann man den Arm auch um sich selber legen.

Saadi: »Dschulistan«, Buch 3, Geschichte 28

Im Traum sieht er einen Dämon, der einer Huri gleicht, und vor Gier verspritzt er seinen Samen. Nachdem dieser auf unfruchtbare Erde fiel, erwacht er und das Bild entfernt sich von ihm. Dann fühlt er sich schwach und sieht seinen besudelten Leib, und ist traurig über das, was ihm geschah und wieder verschwand.

Rumi: »Mathnawi«, Buch 1, Vers 414417

Tag ist in Nacht verliebt, zum Äußersten bereit; guck nur genauer hin und sieh: die Nacht ist noch verliebter!

Rumi: »Math­nawi«

Das Kind kennt das Wesen des Beischlafs nicht; du kannst höchstens zu ihm sagen: »Es ist wie eine Süßigkeit.« Ist das Wesen der Wollust im Geschlechtsverkehr etwa das Gleiche wie das Wesen des Naschwerks, mein Meister?

Rumi: »Mathnawi«, Buch 3, 3637+3638

Wenig schert der Geist sich um den Bart des Körpers; ohne Geist bleibt jeder Leib ein ekelhafter Leichnam.

Rumi: »Mathnawi«, Buch 4, Vers 1886

Sie spreizte ihre Schenkel und der Esel spielte mit; feurig flammte dessen Penis in ihr auf. Wohlerzogen drang er in sie ein – bis zu den Hoden, und bis die Herrin auf der Stelle starb. Eingeweide und Gedärme platzten unterm Ansturm dieses Penis’ auseinander.

Rumi: »Mathnawi«, Buch 5, Vers 1387

Wie verächtlich! Beten so die Hoden eines Mannes!?! Passt ein solches Glied zum Beten?

Rumi: »Mathnawi«, Buch 5, Vers 2203

Du Schwuchtel du, was läufst du der Armee voraus, wo doch dein Vollbart Zeugnis ablegt gegen deinen Pimmel!

Rumi: »Mathnawi«, Buch 5, Vers 2510

Kaum dachte nun der Kalif an die Schöne, schwoll sein Ding, und er versuchte was zu meistern. Kaum hing er zwischen ihren Schenkeln, kam das Schicksal und verbaute seinen Weg zur Wonne. Er hörte Mausgeraschel, seine Rute schrumpfte und die Lust verkroch sich. Aus Angst, die Maus könnt eine Schlange sein, sprang er so schnell wie möglich von der Matte. Die Frau sah sein Gebaumel und fing an zu lachen, und konnte ihr Gelächter nicht mehr drosseln. Und dachte an den Krieger, dessen Glied beim Kampf mit jenem Löwen prall und steif blieb.

Rumi: »Mathnawi«, Buch 5, Vers 3942 f.

Die Tyrannei der Frauen zu ertragen und zu erdulden, ist, als ob man seine eigene Unreinheit an ihnen abreibt. Dein Charakter wird gut durch Ertragen, ihr Charakter wird schlecht durch Herumjagen und Angriffslust.

Rumi: »Fihi ma fihi«

Unser Inneres ist mit solchen Worten ganz vollgestopft. »Und sie sagen: ›Unsere Herzen sind unbeschnitten‹ Sure 2/88. Die Ungläubigen haben gesagt: »Unsere Herzen sind eine Vorhaut für solcherlei Worte. Wir sind voll davon.«

Rumi: »Fihi ma fihi«

Ich werde heut Nacht ein religionsgesetzlich erlaubtes Vergnügen genießen. Lasst auch ihr, in Übereinstimmung damit, die Übungen und verbringt die Zeit in Sorglosigkeit und Muße.

Nadschmuddin Kubra al-Huwarizmi vor seiner Hochzeitsnacht mit einer Chinesin

Vierzehn Jahre ist mein Götze, und so spritzig und so süß / dass der Mond von vierzehn Tagen ihm sich gern als Ohrring lieh.

Hafiz aus Schiraz

Saadi war nur dann gelöst und zum Reden aufgelegt, wenn er unter seinen Zuhörern einen schönen Knaben entdeckte.

Safiuddin-i Ardabelli

Die Schönheit des Weibes ist ein Strahl Gottes und nicht der Geliebten. Der Mystiker erblickt das Angesicht göttlicher Schönheit auf der Schaubühne jeder einzelnen Kreatur, und liebt, weil er in der Schönheit die Offenbarung der Herrlichkeit göttlicher Namen sieht. Darum spricht auch der Prophet: »Drei Dinge liebe ich von eurer Welt: Weiber, Wohlgeruch und Behaglichkeit.«

Sururi

»Wieso verstößt du nicht dein zänkisches Weib, damit du endlich in Frieden leben kannst?« Husayn’alischah-i Isfahani: »Nach mir wird kein Mensch mehr mit ihr auskommen. Wenn sie aber ohne Gatten bleibt, fürchte ich, dass sie der Sünde verfallen wird und dass dann also ich dafür verantwortlich sein werde. Daher ist es besser, ich füge mich ihr und ertrage ihre Ausfälle mit Geduld.«

Wollust jenseits des Leibes

Sufi-Sehnsucht, Sufi-Ekstasen, Sufi-Visionen

Gläubiger und Heuchler werden sich erst dann versöhnen, wenn sich Wolf und Lamm versöhnt haben.

Malik ibn Dinar

Ich betete hinter Bayezid das Mittagsgebet. Als er die Hände zum »Allahu akbar« erheben wollte, vermochte er es nicht, aus Ehrfurcht vor Gottes Namen. Seine Brust bebte, sodass ich seine Knochen krachen hörte und ich mich entsetzte.

Anonymer Zeitgenosse über Bayezid al-Bastami

Abu Yazid, Dun Nun al-Misri, Muhammad ibn Hafif, al-Hussein ben Mansur, Yahya ibn Mu’ad und andere lehren, das karamat (Huldwunder) werde vom Gottesfreund nur gewirkt, wenn er sich im Zustand der Trunkenheit befindet.

Abu Bakr al-Wasiti über Bayezid al-Bastami

Die Zustände sind wie Blitze. Bleibt es, so ist es ein Reden der Seele.

Dschunaid

Wenn genug Erkenntnis da ist, schadet mangelnde Verzückung nicht. Erkenntnis ist vorzüglicher als Verzückung.

Dschunaid

Wie nötig brauchen doch die Menschen eine Trunkenheit, die sie fortführt von ihrer Ich-Wahrnehmung, ihren Taten und Zuständen!

Schibli

Ich merkte, dass ich das Geschaffene überschritten hatte. Da rief ich: »Labbayka Ilahumma labbayka«, trat ein in den göttlichen Zustand, begab mich auf die Wallfahrt in der Alleinheit und die tawaf (Umwanderung). Das göttliche Haus pilgerte zu mir, die Ka’ba verkündete mein Lob und die Engel priesen mich.

Kharaqani

Dschunaid erzählte: »Ich traf in der Wüste einen jungen Mann, einen Schüler, unter einer Akazie. Ich fragte, warum er hier sitze. ›Weil ich einen (mystischen) Zustand verloren habe.‹ Ich ging weiter, kam nach meiner Wallfahrt wieder hier vorbei und sah ihn nicht mehr unter, sondern unweit der Akazie sitzen. Er erklärte: ›Was ich suchte, habe ich an dieser Stelle gefunden. Darum bin ich an ihr geblieben.‹« Dschunaid kommentierte später: »Ich weiß nicht, was von beidem besser ist: sein Verharren, weil er seinen Zustand verloren hatte, oder sein Verharren an dem Ort, wo er sein Ziel erreicht hat.«

 

Quschayri

Der Ekstatiker betet, ohne etwas davon zu merken.

Ibn Arabi: »Futuhat«

Leute, die Lustgefühle jenseits des Leibes leugnen, befinden sich schon zu Lebzeiten in einer Hölle.

Baha’uddin Walad

Schon daraus, dass so viele gern meinen Zustand hätten und ich gar kein Verlangen nach ihrem Zustand trage, ergibt sich, dass mir Allah eine schönere Welt als ihnen beschieden hat.

Baha’uddin Walad

Wenn ich eine Fessel entdecke, bitte ich Allah, diese Fessel zu zerreißen und den betreffenden Ort aufzubrechen, damit Ehrfurcht, Barmherzigkeit, Gerührtheit und Weinen aus dem Ort herauskommen und aus mir herausquellen. Wenn ich die Göttlichkeit, Verehrungswürdigkeit und die Eigenschaften Gottes anschaue, erscheinen solch wunderbare Helligkeiten, dass mein Geist zerspringt und hüpft, wie wenn Glas vom Feuer hüpft und zerspringt. Und hunderttausend Wunderbarkeiten gucken und kommen aus jedem Riss hervor.

Baha’uddin Walad

Wie Muscheln der Erleuchtung im Meer der Seele

Sufi-Beredsamkeit, Sufi-Schöngeist, Sufi-Poesie

Zwölf Jahre lang war ich der Schmied meiner Seele. Ich warf meine Seele in das Feuer der Disziplin und ließ sie glühend heiß werden in den Flammen harter Anstrengungen, dann legte ich sie auf den Amboss der Reue und schlug sie mit dem Hammer der Selbstanklage, bis ich aus meiner Seele einen Spiegel gefertigt hatte. Fünf Jahre lang war ich mein eigener Spiegel und polierte diesen Spiegel mit allen erdenklichen Arten von Gottesdienst und Gehorsam. Danach schaute ich meine eigene Widerspiegelung ein Jahr lang und sah um meine Leibesmitte einen Ungläubigengürtel des Selbstbetrugs, der Gefallsucht und der Selbstüberschätzung, weil ich auf meinen eigenen Handlungen des Gehorsamseins mich stützte, überzeugt von meinen eigenen Verhaltensweisen. Fünf weitere Jahre lang arbeitete ich, bis dieser Gürtel zerriss und ich erneut zu einem Musulmanen wurde.

Bayezid

Göttliche Erleuchtungsstunden liegen wie Muscheln im Meer der Seele; vom Morgen der Auferstehung ans Ufer geworfen, springen sie auf.

Halladsch

O Mond, wie gleichst du einem müden Auge. / Erscheinst du, leuchten deine beiden Ränder. / Ich weinte über mich um seinetwillen. / Doch als er fortsank, da weinte ich um seinetwillen über ihn.

Eine von Abu Bakr Schibli gern zitierte Strophe

Jede Zunge hat Buchstaben, und jeder Buchstabe hat eine Zunge.

Schibli

Jetzt rate, was ein Vögelchen am Morgen zu mir sagte! / »Du willst ein Mensch sein, ohne dass du liebst? / Wo selbst Kamele singen möchten, und Vergnügen fühlen, / da ist der Mensch ein Esel, wenn er nichts empfindet. / Der Wind, der über Wiesen fegt, / verbiegt die Äste. Doch der Stein bleibt reglos.«

Saadi: »Dschulistan«

Der eine, der geht irre wie ein Schwein, / der andere schleicht fintenreich als Fuchs umher. / Der eine prescht als Elefant durch Busch und Wand, / der andre hetzt als Krabbeltierchen vorwärts, / der eine in Natur und Tat ein Hund, / der andre neunmalklug gleichwie die Maus. Der eine tappt in eine Falle, für ein Korn, / der andre findet sich im Feuer wieder, angeröstet. / Der eine fleddert Leichen wie ein Geier, / der andere krächzt klagend wie ein Rabe. / Des einen Kummer bricht hervor als Wutanfall, / des andern Untat bricht hervor als böser Blick. / Der dort ein Richter, aufgebläht von angemaßter Macht, / der andre Wächter, trüb wie Monatsblut. / Der eine Löwe, aufgerissen vom Gebrüll, / der andre Wolf, der kläffend sich ins Fleisch verbeißt. / Der eine, der als Krokodil die Beute unzerkaut verschlingt, / der andre, der als Tiger alles kurz und klein reißt. / Der da will schwimmen, aber japst als Fisch auf festem Land, / dort der will fliegen, aber hinkt als Rebhuhn durch die Luft.

Fariduddin ’Attar

Schaum hier, Schaum dort, und du? Bist eine Blase nur. / Falls das an Rang dir nicht genügt – glaubst du, es gäbe mehr? / Am Ende heißt es: Geh’ und ahne davon nichts, / was war, was wird, was werden sollte. / Am Anfang geht das Leben dir zu langsam; / wenn’s aufhört, geht dir alles viel zu schnell. / Bin irgendwo dazwischen, weder dies noch jenes, / weiß über Leib und Seele wenig, bin weder das noch dies. / Ein Ketzer von Natur, mit schwachem Glauben, / Gelüste übermächtig und das Herz zerbrechlich. / Was soll ich tun? Was soll ich denn nur tun!? Hab’ viel gesucht. / Erst kam Verwirrung, nun kam noch Liebeswahn hinzu. / Ratlos steh ich in dieser Zeit, voll Sehnsucht, ohne Hoffnung, / und blicke eifersüchtig auf beflügelte Insekten. / Weiß nicht, woher es kommt, wohin es geht und was das soll. / Arm mein Verstand, das Innere zum Bersten voll mit Drangsal. / Obwohl ich anfing, Wissen zu erwerben, weiß ich nichts. / Selbst wenn ich alles wüsste, wüsst’ ich nichts. / Mein Wissen müsste Ungelehrtheit heißen, / und Ungelehrtheit steigert nur Verwirrung. / Mein irres Streunen hat mich starr und hart gemacht, / und so verhärtet geh’ ich in den Tod.

Fariduddin ’Attar

Die Leute reißen sich in den Läden der Welt um Ansehen und Geld, und die Wünsche sind wie eine lange Leiter oder eine hohe Halde. Stufe um Stufe steigen sie da hinan. Ich weiß aber sicher, dass sie mitten von der Leiter herunterpurzeln werden.

Baha’uddin Walad

Um ein Brotkrümchen sammeln sich soundsoviele Ameisen. Bist du etwa weniger als ein Brosämchen, dass die Dämonen nicht wie Ameisen sich um dich sammeln sollten? Niemals kann man die Ichheit bei Bestehen der Ichheit aus sich vertreiben und auch nicht mit Gewalt sich mit Ichheit ausstatten. Abu Yazid al-Bastami hatte Ichheit.

Baha’uddin Walad

Ich überlegte mir: Jeder, der Gott sucht, gelangt zum Nichtsein, kann nicht weiter und wird verwirrt. Das Nichtsein ist ein Graben vor der Hoheit Allahs. So sehr du nach Anfang und Ende dieses Grabens ausschaust, du findest sie nie. Du siehst den Graben als blaue Fläche und Luft. Von jenseits werden dir Dinge zugeschickt. Auf dem Pfeil der Gaben werden dir die Namen »Erbarmer« und »Bezwinger« zugeschossen. So stehen alle Leute immer vor diesem Graben, und Allah schießt von jenseits des Grabens seine ihm zugeordneten Eigenschaften herüber.

Baha’uddin Walad

Morgens ging ich eine Rose pflücken, / sah mich um, ob nicht der Gärtner gucke, / dieser sah mich, aber schimpfte nicht: / »Eine Rose bloß? Ich schenke dir den ganzen Garten!«

Rumi: Vierzeiler Nr. 1217

Bald schnalz ich den Finger vor Sehnsucht, / bald beiß ich vor Trennungsschmerz in den Finger. / Ich tauch den Finger ins Wasser, den Vollmond zu fangen, / der aber sagt mir: »Ich steh am Himmel.«

Rumi: Vierzeiler Nr. 1274

Allah raunt ein Zauberwort ins Nichts, das augenlos und ohne Ohren aufschäumt. / Nicht-Ding kommt als Ding ins Sein gepurzelt, unter Seinem Anhauch. / Allah raunt ein Zauberwort ins Sein, da reiten alle Dinge wieder fort ins Nichts.

Rumi: »Mathnawi«, Buch 1, Vers 14481450

Der Atem kam, er sah dich und entschwand. Er schenkte Leben, wem er wollte, und entschwand. / Ein andrer Atem kam herbei, pass auf, o Kamerad, dass du auch diesen nicht versäumst. / Der Atem gestern Nacht kam nun zu mir, in anderer Verkleidung, ein Bissen warf sich quer, versperrte ihm den Zugang.

Rumi: »Mathnawi«: Buch 1, Vers 1953, 1954 + 1960

Ich stieg auf einen Pflaumenbaum, um Äpfel dort zu pflücken. Der Gärtner fuhr mich böse an: »Was isst du meine Walnuss!?!«

Yunus Emre

Zerklopfe der Viper der gafla (religiösen Gleichgültigkeit) den Kopf mit dem Stein!

Maulana Nurrudin Abdur Rahman Dschami: »Tuhfat ul-ahrar«

Ein hungriger Narr geht in die Wüste

Sufi-Geschichten, Sufi-Anekdoten, Sufi-Gleichnisse

Ich habe vier Reittiere, auf denen ich abwechselnd zu Allah reite. Wenn ein Glück mich trifft, reit ich auf dem Pferd des Dankes. Wenn ich eine Sünde verübt hab, reit ich auf dem Pferd der Buße. Wenn Leid mich überfällt, steig ich aufs Pferd des Duldens, und wenn ich eine gute Tat tu, dann reit ich auf dem Pferd der Treue.

Ibrahim ibn Adham

Gott ließ allen Bergen Kunde geben, dass Er auf ihnen sprechen wird. Alle Berge haben sich darüber erhaben gefühlt und sich großgetan, außer dem Sinai, und darum sprach Gott von ihm aus.

Fuzeil ibn Ayaz, übernommen aus hebräischem Schrifttum/jüdischen Sagen

Wirf einem Hund Gold hin, er kennt es nicht. Wirf ihm einen Knochen hin, er macht sich drüber her. So machen es die Toren unter euch. Sie kennen Allah nicht.

Malik ibn Dinar

Bäche und Flüsse rauschen solange, bis sie ins Meer hineingeflossen sind. So ist es auch mit dem Herzen des Mystikers; es rauscht solange, bis es zu Allah gelangt.

Bayezid

Hoffnung und Furcht müssen wie die Flügel eines Vogels gleich stark sein, damit der Vogel richtig fliegen kann.

Abu Ali ar-Rudbari

Man hat einen Sack genommen, mit Hunden gefüllt und hat etwas Engel zu den Hunden in den Sack getan. Ich mag mich anstrengen, wie ich will, ich werde mit diesen Hunden nicht fertig.

Wasiti

Ich kam an Buhlul vorbei, als er Naschwerk aß. Als ich ihn bat, mir etwas abzugeben, sagte er: »Das Süßzeug gehört mir nicht. Sondern Atika, die Tochter des Kalifen, sandte es mir, damit ich es für sie esse.«

Ibrahim as-Saibani über Buhlul

Zwei Liebende fuhren übers Meer. Einer fiel ins Wasser, da stürzte sich der andere hinterher. Taucher, die beide rausholten, fragten, warum sich der Zweite habe fallen lassen, und bekamen zu hören: »Ich war durch dich von mir abwesend und glaubte, ich wäre du.«

Schibli

Ein Inder, verliebt in seine Sklavin, ging zu deren Abschied hinaus, weil aber nur sein eines Auge weinte und das andere nicht, bestrafte er das trockene Auge, indem er es fortan stets geschlossen hielt – 84 Jahre lang!

Quschayri

Ein Mann traf einmal auf einen toten Löwen. Er rief: »O Allah, mach ihn lebendig!« Da wurde er lebendig, stand auf und fraß ihn auf.

Abdulla Ansari: »Tabaqat us-sufiya«

Quschayri ging, als er bei nächtlicher Litanei träge wurde, in die Moschee, um sich durch Vollwaschung munter zu machen. Dabei wurden ihm die abgelegten Kleider gestohlen. Er ging, neu eingekleidet, noch mal hin, da stieß er gegen einen Stein, verletzte sich, wobei sein Turban hinfiel und ebenfalls gestohlen wurde. Das nahm er als Zeichen, dass Allah seine Litanei nicht brauche, und er verzichtete auf weiteres Gebet.

Muhammad ibn Nuruddin Munawwar ibn Abi Sa’d As’ad: »Asrar ut-tawhid fi maqamat isch-schay Abi Sa’id«

Einer verbrachte die ganze Nacht betend im Gottesdienst; sein Bruder unterdessen diente ihrer beider hilfsbedürftigen Mutter. Da belehrte Allah den betenden Bruder: »Wir bedürfen nicht dessen, was du da tust; deine Mutter hingegen kann nicht darauf verzichten, dass dein Bruder sich um sie kümmert.«

Kharaqani

Soviel wir auch tun: An Allahs Hof können wir unsere Hutecken nicht grade machen.

Abu Sa’id

Ein Derwisch wollte Trockenbrot essen, hatte aber zu schwache Zähne. Er zerbrach das Brot und warf es ins Meer. Eine Welle fragte: »Wer bist du?« Das Brot erwiderte: »Trockenbrot.« Die Welle sprach: »Wenn du mit uns umgehst, wirst du Nassbrot werden.«

Abu Sa’id

Abu Sa’id saß zu Pferd vor einer Mühle und verkündete: »Wisst ihr, was diese Mühle mir erzählt? Sie sagt: ›Sufismus ist das, was ich tue. Ich empfange Grobes und gebe Feines zurück. Ich kreise um mich selbst. Ich reise in mich selbst, um das, was nicht sein soll, aus mir zu entfernen.‹«

Muhammad ibn Nuruddin Munawwar ibn Abi Sa’d As’ad: »Asrar ut-tawhid fi maqamat isch-schay Abi Sa’id«

Ein Derwisch zog viel herum, fand aber keine Ruhe. Darob wurde das Herz ihm schwer. Er legte sich unter einen Dornstrauch und zog sich den gilim (Überwurf) über den Kopf. Sein Herz fühlte sich wohl. Er blickte zum Himmel und sprach: »Mein Herr, Du bist bei mir im Kleid, und ich suchte Dich solange in den Wüsten.«

Muhammad ibn Nuruddin Munawwar ibn Abi Sa’d As’ad: »Asrar ut-tawhid fi maqamat isch-schay Abi Sa’id«

Die Welt ist ein Aas, an dem sich zuerst die Löwen, dann die Panther, dann die Wölfe und Hunde, dann die Raben satt fressen. An das, was übrig bleibt, machen sich die Mistkäfer und Ameisen. Die Löwen sind die Könige, die Panther die Emire, die Wölfe und Hunde deren Gefolgsleute, die Raben deren Untergebene. Der Mistkäfer ist der Steuereintreiber, und die Ameisen sind die Leute auf dem Bazar.

 

Abbasa-i Tusi

Der weise Luqman manchmal sich erbaute mit grader Flöte und mit krummer Laute. Ein Schwätzer stichelte: »Was machst du mit sechs Flügeln und drei Füßen?« Der weise Luqman weinte los: »Zu viel für einen, welcher sterben muss.«

Sana’i: »Hadiqat al haqiqa«

Eine lange Nacht hindurch weinte ein Mann am Bett eines Sterbenskranken. Als der Morgen dämmerte, war der Weinende tot und der Patient am Leben. Manch feuriger Hengst brach zusammen, während der lahme Esel am Ziel ankam.

Saadi: »Dschulistan«, Buch 2, Geschichte 16

Ein Mann ging in die Moschee, um dort zu klagen, dass er keine Schuhe habe. Da sah er einen Mann, der keine Füße hatte.

Saadi

Zu Hatim al-Assam kam eine Frau und fragte ihn um Rat. Doch im selben Augenblick entfuhr ihr ein Wind und übertönte ihre Frage. Um sie nicht zu beschämen, sagte Hatim: »Sprich lauter, Frau, ich höre schlecht.« Sie hob ihre Stimme und er beriet sie eingehend in ihrer Sache. Nach ihr kam ein anderer, um sich beraten zu lassen, und auch hier sagte Hatim: »Lauter, ich höre schlecht.« Um nämlich der Frau nachträgliche Scham zu ersparen. Von da an sprachen alle nur von Hatim dem Tauben. Nach fünfzehn Jahren starb die Frau, und Hatim der Taube konnte ab sofort wieder ausgezeichnet hören.

Fariduddin ’Attar

Ein Bauer kommt nach Buchara und schläft dort in einer Moschee. Um nicht verloren zu gehen, hat er sich einen Kürbis ans Bein gebunden. Ein Spaßvogel macht den Kürbis los und bindet ihn sich selbst ans Bein. Als der Bauer erwacht, weiß er nicht, ob er der andere ist.

Fariduddin ’Attar

Ein Meister hat einen schielenden Gesellen. Den schickt er, eine Flasche Öl zu holen. Der Geselle geht, sieht statt der einen Flasche zwei und fragt: »Welche davon soll ich holen?«

Ärgerlich ruft der Meister ihm zu: »Zerbrich die eine Flasche und bring die andere her!« Da zerbricht der Geselle die eine und sieht nun auch die andere nicht mehr.

Fariduddin ’Attar

Ein Fuchs und eine Füchsin sitzen zusammen. Da hören sie einen Jägers nahen und müssen sich trennen. Die Füchsin fragt schnell noch: »Wann treffen wir uns wieder?« Der Fuchs sagt im Fortlaufen: »Im Laden des Pelzhändlers.«

Fariduddin ’Attar

Ein Mann, der sein Leben damit verbracht hat, verlorene Esel auszurufen, wird schließlich alt, und es kommt zum Sterben. Als ihm auf dem Sterbebett der Todesengel erscheint, glaubt er, das sei ein Mann, der einen Esel verloren hat. Er springt auf, eilt zum Fenster, streckt den Kopf hinaus und ruft: »Ihr Freunde, wenn einer von euch einen Esel mit Satteldecke gesehen hat, so schickt ihn her!«

Fariduddin ’Attar

Ein Sufi möchte seine Kleider waschen. Sobald er sich aber anschickt, Seife zu kaufen, steigt eine Wolke auf und vereitelt seine Absicht. Eines Tages macht er wieder einen Versuch, geht zum Krämer und will Seife kaufen, und schon ist die Wolke da. Da ruft er ihr zu: »So geh doch! Ich will ja Rosinen kaufen, nicht Seife!«

Fariduddin ’Attar

Ein Mann bietet einem Händler einen Kelim zum Verkauf. Der Händler macht den Kelim schlecht: »Ein schlechter Kelim, rau wie ein Igelrücken!« Schließlich bezahlt er einen recht geringen Preis dafür und legt ihn in seinen Kasten. Kurz darauf kommt ein Käufer und verlangt einen recht weichen Kelim. Der Händler holt den soeben gekauften Kelim hervor und rühmt ihn in den höchsten Tönen: »Ein unvergleichlicher Kelim, weich wie Seide!« Dies alles hört und sieht ein Sufi mit an. Er sagt zu dem Händler: »Ach setze doch auch mich in deinen Zauberkasten, der raues Zeug zu Seide macht. Vielleicht werde auch ich darin verwandelt!«

Fariduddin ’Attar

Ein frommer Gottesdiener verausgabt sich Tag und Nacht mit Gottesdienst, doch Erleuchtungen werden ihm nicht zuteil. Einst sieht er Moses, klagt ihm sein Leid und bittet ihn, Gott zu fragen, warum Er ihm keine Seelenfreuden schenke. Bei seinem nächsten Gang auf den Sinai befragt Moses den Herrn. Der antwortet: »Er wird Meiner Nähe nicht teilhaftig, weil er immerfort mit seinem schönen Bart beschäftigt ist. Ständig kämmt er ihn!« Moses überbringt dem Mann die Botschaft, worauf dieser sich weinend den Bart ausrauft. Gabriel berichtet Moses: »Er ist leider immer noch mit seinem Bart beschäftigt.«

Fariduddin ’Attar

Überliefert wurde, dass Yahya ibn Mu’ad eines Tages aufs Redepult stieg. Viertausend Menschen warteten auf den Beginn seiner Predigt. Er sah sich aufmerksam um, stieg wieder herunter und erklärte: »Derjenige, um dessentwillen ich hier reden wollte, ist nicht gekommen.«

Fariduddin ’Attar

Abu Bakr Nischapuri ritt mit seinen Jüngern aus seinem Konvent heraus. Da geriet er in Verzückung und zerriss seine Kleider. Seine Jünger und die sonstigen Anwesenden wurden durch dies Gebaren aufs Äußerste befremdet. Doch der Scheich erklärt: »Als ich so, umgeben von euch, meinen Jüngern, dahergeritten bin, ist mir auf einmal der Gedanke gekommen: ›Ich bin wahrlich nicht geringer als Bayezid! So wie ich heute mit meinen Jüngern prachtvoll einherreite, so werd ich gewiss auch am Auferstehungstag vorreiten!‹ Kaum aber hatte ich dies gedacht – da ließ plötzlich der Esel als Antwort einen Wind fahren. Da fiel es mir wie Feuer ins Herz.«

Fariduddin ’Attar

Ein Christ tritt zum Islam über, übertritt aber schon am nächsten Tag das Weinverbot und betrinkt sich. Seine Mutter sieht ihn herumtorkeln und ruft: »O Sohn, was tust du! Jesus hast du betrübt und Muhammad hast du es auch nicht recht gemacht!«

Fariduddin ’Attar: »Ilahiname / Gottesbuch«

Ein Narr in Ray beteiligt sich nie am Freitagsgebet. Auf langes Zureden hin lässt er sich endlich bewegen mitzukommen. Als der Imam das Ritualgebet gesprochen hat, fängt der Narr plötzlich an zu brüllen wie eine Kuh. Von den empörten Mitbetern zur Rede gestellt, sagt er: »Meine Pflicht als Nachbeter ist es, dem Vorbeter alles nachzutun. Da er während des »Al-hamdu lillah« eine Kuh gekauft hat, konnte ich nichts Besseres tun als »Muh!« zu rufen. Der Imam gesteht tatsächlich, dass er in dem Moment an einen bevorstehenden Kuhhandel gedacht hat.

Fariduddin ’Attar: »Ilahiname / Gottesbuch«

Ein Mann trifft in der Wüste einen Derwisch und fragt ihn aus, was er da mache. Der Derwisch sagt: »Frag so was nicht. Ich sitz im Engpass dieser Welt; sie engt mich übel ein, die Welt!« Der andre sagt: »Wie kannst du nur von Engpass reden, hier in dieser weiten Wüste?« Der Derwisch sagt: »Wär’ hier kein Engpass, wärst du nie auf mich gestoßen!«

Fariduddin ’Attar

Ein Kloakenfeger kommt am Laden eines Parfümhändlers vorbei und fällt in Ohnmacht. Der Drogist eilt herbei und versucht den Ohnmächtigen mit wohlriechenden Essenzen wieder zu Bewusstsein zu bringen, doch er erreicht nur das Gegenteil. Da kommt ein anderer Kloakenfeger vorbei, reibt dem Kollegen etwas Unrat unter die Nase, und schon kommt der Ohnmächtige wieder zu sich.

Fariduddin ’Attar

Die Mücke beklagt sich bei Salomo über den Wind, der sie beständig hin und her jage. Salomo lässt den Wind rufen. Als er erscheint, wird die Mücke fortgeweht. Salomo entscheidet: »Der Wind hat nichts Unrechtes getan. Aber die Mücke hatte nicht die Kraft, stehenzubleiben.«

Fariduddin ’Attar

Als Allah seinen Thron errichtete, befahl er zehntausend Engeln, ihn zu tragen. Sie erwiesen sich als zu schwach dazu. Da gab er acht Engeln den Befehl, den Thron zu tragen, und siehe, es gelang ihnen. Da wurden sie mit Stolz und Einbildung erfüllt. Da befahl ihnen Allah, zu schauen, wo ihre Füße stehen. Sie sahen, dass sie in der leeren Luft standen und wurden von Furcht befallen. Da sagt Allah: »Ihr bildet euch wohl ein, dass ihr den Thron tragt. Wer ist es, der eure Last trägt?« Da schwand der Stolz aus den Herzen der Engel.

Fariduddin ’Attar: »Konferenz der Vögel«

Als Stahl und Stein aneinanderschlagen, springt aus ihnen Feuer heraus. Der Zunder kommt herzu; das Feuer spricht: »Wer ist denn das?« Der Zunder sagt: »Ich bin doch dein Bekannter, o vertrauter Freund!« Das Feuer sagt: »Ich bin hell und du bist dunkel – was ist das für eine Bekanntschaft?« Der Zunder erwidert: »Durch wen bin ich dunkel geworden, wenn nicht durch dich? Du hast mich doch verbrannt! Darum sei gütig und nimm den von dir selbst Verbrannten an.« Da erkennt das Feuer seinen schwachen alten Bekannten wieder und umarmt ihn.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?