Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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2. Gottes schöpferisches Wort in der lukanischen Erzählung von der Geburt Jesu und ihren alttestamentlichen Referenztexten

Eine erste Dimension des Schöpferwortes Gottes in der Erzählung von der Ankündigung der Geburt Jesu erschließt die Gestalt des Engels Gabriel. Dieser ist der von Gott gesandte Bote, der Maria das Wort Gottes auszurichten hat. Dieses Wort ist, wie etwa das Wort an Zacharias oder das Wort der drei Männer an Abraham und Sara, (1.) ein Boten- und darin zugleich ein Offenbarungswort.[14] Was der Engel mitzuteilen hat, ist das gänzlich Unerwartete, das Wort, das den menschlichen Denk- und Vorstellungshorizont sprengt, der durch die Erfahrungswelt des Menschen bestimmt ist. Narrativ wird das Erstaunen über das Auftreten des Engels mit den für die Gattung der Theophanie charakteristischen Reaktionen der Offenbarungsempfänger |129|umgesetzt, mit Bestürzung einerseits und der Frage andererseits.[15] Das Engelswort beginnt mit einem Gruß, in dem Maria als »Begnadete« (κεχαριτωμένη, V. 28) angesprochen wird. Daran anknüpfend heißt es wenig später, sie habe »bei Gott Gnade (χάριν) gefunden« (V. 30). Bereits diese Aussage hat in Gen 18 eine Entsprechung, wo Abraham seine Besucher mit den Worten, »wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen« (V. 3),[16] zum Gastmahl einlädt. Lukas bringt mit dem Gnadenmotiv die vorgängige Erwählung Marias durch Gott zum Ausdruck,[17] die durch den Erwählungszuspruch des Mit-Seins-Gottes mit ihr untermauert wird. Die Erwählung gilt Maria zum einen als Empfängerin der göttlichen Offenbarung,[18] zum anderen in ihrer heilsgeschichtlichen Rolle als Mutter Jesu, des Sohnes Gottes und davidischen Messias Israels.

In der eigentlichen Geburtsankündigung (V. 31–33) zeigt sich das Botenwort des Engels sodann (2.) als Wort der Verheißung, das seiner zukünftigen Erfüllung entgegengeht.[19] Es entspricht in seiner Wortwahl und Struktur der Form des »Sohnesverheißungsorakels«,[20] in dem auf die Ansage der Schwangerschaft, der Geburt des Sohnes und der Namensgebung Aussagen zu dessen Wesen und Auftrag folgen.[21] Diese Form findet im Alten Testament in der |130|Abraham-Sara-Tradition, in der Ankündigung der Geburt Simsons und in der Immanuel-Verheißung in Jes 7 Verwendung, außerdem in der Verheißung an Zacharias in Lk 1.[22] Durch die Übernahme alttestamentlicher Formensprache erhält die Verheißung an Maria geschichtliche Tiefe. Sie steht in Kontinuität zum Gotteshandeln im Raum der alttestamentlich bezeugten Geschichte Israels. Die Geschichte Marias wird von Lukas m.a.W. als die Geschichte einer Frau aus Israel verstanden, der ihr verheißene Sohn als Sohn Israels, der als solcher zugleich der Sohn Gottes ist (V. 35). Weitere im Folgenden aufzuzeigende Bezugnahmen auf alttestamentliche Gestalten, insbesondere auf Sara, untermauern diese Dimension der lukanischen Darstellung.[23] Mit der Form des Sohnesverheißungsorakels wird zudem die Erinnerung daran transportiert, dass im Wort der göttlichen Verheißung seine Verwirklichung bereits mitgesetzt ist.

Deshalb ist das Botenwort seinem Inhalt nach (3.) zugleich das Wort, in dem sich die schöpferische Macht Gottes ankündigt (V. 31.35), ohne dass es seiner Form nach ein Schöpferwort im Sinne von Gen 1 wäre, bei dem Wort und Schöpfung faktisch in Eins fallen.[24] Beim Wort des Engels an Maria fallen Wort und Vollzug |131|zeitlich notwendig auseinander, weil das Schöpferwort Gottes als Verheißungswort ergeht.

Lukas thematisiert das Schöpferhandeln Gottes im Kontext der Geburt Jesu zum einen im Rahmen des eigentlichen Verheißungswortes: »du wirst in deinem Leib empfangen und einen Sohn gebären« (V. 31), zum anderen im explikativen zweiten Teil des Dialoges zwischen dem Engel und Maria, in dem das Wie der Empfängnis erklärt wird: »Heiliger Geist (πνεῦμα) wird über dich kommen und Kraft (δύναμις) des Höchsten wird dich überschatten« (V. 35). Lukas setzt hier das »medizinische Allgemeinwissen« der Antike voraus, zu dem die Einsicht gehört, dass es einer »Kraft« bedarf, die das Menstruationsblut »gerinnen und ein Kind bilden lässt«.[25] Die Materie des Fötus stammt Aristoteles zufolge, der in dieser Frage maßgeblich ist, von der Frau, die »kinetisch-dynamische Ursache und damit die Form […] vom Vater«.[26] Ohne dass Lukas es eigens betonen würde, entsprechen dem in 1,35 δύναμις und πνεῦμα Gottes. Der Anteil Marias an der Entstehung Jesu ist unter dieser Voraussetzung somit die Zur-Verfügung-Stellung der Materie, die durch die Schöpfermacht Gottes belebt und geformt wird.

Dies stimmt im Grundsatz mit alttestamentlichem Denken überein. Hier ist das πνεῦμα bzw. hebräisch die רוח als die göttliche Lebenskraft verstanden, mit der Gott den Menschen schafft und am Leben erhält. So dürfte der Geist Gottes (רוח אלהים/πνεῦμα θεοῦ) bereits in Gen 1,2 grundlegend als die schöpferische, lebensspendende Energie verstanden sein, die die träge, unorganisierte Materie transformiert, durch seine Gegenwart auf sie einwirkt und sie mit seinem Geist belebt.[27] Bezogen auf die Erschaffung des Menschen heißt es in Hi 33,4 ganz entsprechend: »Der Geist Gottes (רוח אל/πνεῦμα θεῖον) hat mich geschaffen, und der Atem Schaddais (נשׁמת שׁדי/πνοὴ παντοκράτορος) gibt mir Leben.«[28] In Anspielung auf die protologische Erschaffung des Menschen in Gen 2,7 bezieht Ez 37,5 das schöpferische Handeln |132|Gottes in der Kraft des Geistes sodann auf die eschatologische Neuschöpfung: Die vertrockneten Gebeine sollen durch den Geist wieder lebendig werden.

Auch die göttliche Dynamis kann bereits im Alten Testament vereinzelt als Schöpfermacht verstanden werden.[29] So hat sich Gott nach Ps 93,1 MT // 92,1 LXX mit Hoheit und mit Macht (עז/δύναμιν) bekleidet, so dass der Erdkreis fest gegründet ist und nicht wankt.[30] Auch Philo verwendet den Begriff der δύναμις in diesem Sinn. In opif. 7 spricht er von »den Kräften Gottes als denen des Schöpfers und Vaters«.[31] In § 21 wird diese Kraft als die weltschöpferische (κοσμοποιητική) konkretisiert.[32] In QG 3,18 schließlich wendet er die Vorstellung der schöpferischen Macht Gottes auf die Erschaffung eines Menschen an: Die Geburt Isaaks durch Sara beruht nicht auf »Zeugung, sondern ist das Werk der göttlichen Macht (τῆς θέας δυνάμεως ἔργων)«.

Ähnlich versteht Lukas πνεῦμα und δύναμις als die Kräfte Gottes, die bei der Hervorbringung Jesu aus Maria wirksam werden. Der Geist ist für ihn im Unterschied zu den angeführten alttestamentlich-frühjüdischen Texten mit Ausnahme von Ez 37,4f. jedoch zugleich eine eschatologische Gottesmacht.[33] Darin stimmt er mit Paulus überein, bei dem πνεῦμα und δύναμις allerdings in der Auferweckung Jesu und der Glaubenden von den Toten ihre Wirkmacht entfalten.[34] Auch in Lk 1,35 sind die beiden Kräfte mit der Gottessohnschaft Jesu verbunden. Lukas verlegt die pneumatisch-dynamistisch gewirkte Gottessohnschaft Jesu jedoch an den Anfang von dessen Geschichte. Auf diese Weise bestimmt er die gesamte irdische Existenz Jesu als Ausfluss der Macht des eschatologischen Gottesgeistes. Vor dem aufgezeigten traditionsgeschichtlichen Hintergrund weist die Hervorbringung Jesu so gleichermaßen in die Protologie wie in die Eschatologie. πνεῦμα und δύναμις sind die Kräfte, die im Raum der ersten |133|Schöpfung die Erschaffung von Welt und Mensch ins Werk setzen. Da es sich bei πνεῦμα und δύναμις im Lukasevangelium aber zugleich um eschatologische Größen handelt, ist Jesus vom Augenblick der Überschattung Marias an auch Teil der eschatologischen Neuschöpfung, wie besonders sein Wirken als Dämonenaustreiber zeigt.

Bei Lukas wie auch sonst im Neuen Testament sind »Heiliger Geist« und »Kraft« als Begriffspaar wiederholt zu finden.[35] Innerhalb des lukanischen Doppelwerkes sind sie nur in Lk 1,35 auf das schöpferische Handeln Gottes bezogen. Grundsätzlich bezeichnet das Begriffspaar die wirkmächtige Präsenz Gottes,[36] die den Menschen zu der ihm von Gott in der Heilsgeschichte zugedachten Rolle befähigt, Maria zur Mutter Jesu, Jesus zum machtvollen Gegenspieler Satans,[37] die Apostel zu Zeugen Jesu von Jerusalem bis ans Ende der Welt.[38] Im Lukasevangelium steht das gesamte öffentliche Wirken Jesu in der Kraft des Geistes (Lk 4,14f.18). Pneuma und Dynamis Gottes manifestieren sich bei ihm so in Schöpfung und Geschichte. Im Rahmen der Geburtsankündigung liegt der Ton aber auf dem Schöpferhandeln Gottes.[39]

|134|In der Rede von der Überschattung Marias durch die Geistkraft Gottes (V. 35b) scheint eine Bezugnahme auf Abraham-Sara-Stoff vorzuliegen. In Gen 21,1f. wird der Beginn der Schwangerschaft Saras folgendermaßen beschrieben: »Und der Herr besuchte Sara (ἐπεσκέψατο[40]), so wie er es gesagt hatte, und der Herr tat an Sara (ἐποίησεν), so wie er gesprochen hatte, und Sara empfing und gebar Abraham einen Sohn (συλλαβοῦσα ἔτεκεν Σαρρα […] υἱόν) im Greisenalter zu der Zeit, so wie der Herr zu ihm gesprochen hatte.« Der Text erzählt von der Erfüllung der Verheißung. Gott handelt in Treue zu seinem Wort, indem er, so scheint es, Sara ohne Zutun Abrahams einen Sohn verschafft, der aber dennoch Abrahams Sohn ist.[41] Dies ist im Alten Testament singulär[42] und entspricht, vom Alter der beiden Protagonistinnen einmal abgesehen, exakt der Situation Marias und ihres Verlobten Josef. Was in Gen 21 angelegt ist, verstehen dann das Jubiläenbuch[43], Philo[44] und Paulus[45] ausdrücklich so. Entsprechend schreibt eine Tradition im Midrasch die Hervorbringung Isaaks aus Sara der Herrlichkeit Gottes, seinem כבוד, zu.[46] Damit füllt sie, Lukas nicht unähnlich, die Lücke, die der alttestamentliche Text lässt, dynamistisch.

Die Formulierung, Gott habe Sara heimgesucht (ἐπισκέπτεσθαι), in Verbindung mit der skizzierten Deutungsgeschichte von Gen 21 und |135|der Dichte der Rezeption von Gen-Traditionen in Lk 1 unterstützt die Vermutung, dass die lukanische Aussage vom Kommen des Geistes auf Maria (ἐπέρχεσθαι) und ihrer Überschattung (ἐπισκιάζειν) durch die göttliche Kraft auf dem Hintergrund des Abraham-Sara-Stoffes zu verstehen ist. Biologisch unterscheidet sich die Schwangerschaft der Jungfrau Maria zwar grundlegend von der Schwangerschaft der Greisin Sara, theologisch aber sind sie gleich zu beurteilen: Gott schafft Leben aus dem Nichts, wo nach den Regeln der Natur kein Leben zu erwarten wäre. Die Parallele zwischen Sara und Maria verdeutlicht, dass die Jungfräulichkeit Marias für Lukas keinen Eigenwert hat, sondern es ihm vielmehr darum geht, dass das von Maria geborene Kind seine Existenz ausschließlich dem Eingreifen Gottes verdankt. Darin unterscheidet sich Lukas wie übrigens auch Matthäus grundsätzlich von späteren Deutungen der Jungfrauengeburt.[47]

 

So handelt es sich bei der Empfängnis Marias nicht anders als bei den biblischen Aqara-Geschichten um Konkretionen des solus deus. Gott durchbricht mit seinem schöpferischen Handeln an diesen Frauen die natürliche Ordnung, um die Söhne ins Leben zu rufen, die er zu zentralen Figuren der Heilsgeschichte erwählt hat. Die Schöpfermacht Gottes fällt hier mit seiner Geschichtsmächtigkeit zusammen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria nicht in ihren Entsprechungen zu den Aqara-Geschichten aufgeht. Sie allein ist unter allen Frauengestalten eine Jungfrau, was aber, wie angedeutet, nichts oder jedenfalls nicht viel heißen muss,[48] und, wichtiger noch, allein bei ihr gründet die Existenz ihres erstgeborenen Sohnes in keinerlei spezifischem Gedanken, Wollen oder Hoffen eines Menschen, so sehr dieser Sohn für Lukas der erwartete Messias Israels ist. Er ist in singulärer Weise Geschöpf Gottes, das dem Willen keines Mannes entstammt, um nicht von dem – bei Sara, Rahel und Hannah noch stärkeren – Willen der Frau[49] zu reden, sondern allein der Absicht Gottes. Dies scheint mir der theologische Sinn der besonderen Gestalt der Jungfrauengeburt bei Lukas zu sein.

|136|Die christologischen Aussagen in Lk 1,26–38 bestätigen dies. Pneumatologisch-dynamistisch hervorgebracht, ist Jesus »groß«, der »Sohn des Höchsten« (V. 32) bzw. der »Heilige«, der »Sohn Gottes« (V. 35), der göttlichen Wesens ist. Als solcher partizipiert er an den Eigenschaften, die in dem die Engelsankündigung kommentierenden Magnificat[50] über Gott selbst ausgesagt werden.[51] Jesus ist m.a.W. deshalb »groß«, »heilig« und »Sohn Gottes«, weil er ohne Zutun eines Mannes allein durch die göttliche Geistkraft ins Sein gerufen wurde. Demgemäß verbindet sich auch seine Davidskindschaft nicht mit seiner Mutter, sondern ist durch Joseph vermittelt, d.h. wie gesehen, rechtlich, nicht genealogisch. Entsprechendes gilt für die christologischen Aussagen in Mt 1,18–25: Der pneumatisch empfangene, von der Jungfrau Maria geborene Sohn ist mit Jes 7,14 Immanuel, »Gott-mit-uns«, in dem Gott in der Welt einwohnt. Dieser »Gott-mit-uns« partizipiert seinem Namen Jesus gemäß an dem göttlichen Privileg der Rettung von Sünden. Die Davidssohnschaft Jesu ist auch hier rechtlich vermittelt.[52]

Im Kontext der Beantwortung des Einwandes der Maria (V. 34) wird das Schöpferwort (4.) als wirksames Wort entfaltet. Die sich im heiligen Geist und in der göttlichen Dynamis vollziehende Schöpfermacht Gottes, die sich in der Geburt Jesu manifestieren soll, verdeutlicht Lukas mit Hinweis auf die, wie es heißt, »unfruchtbar genannte« Elisabeth, die in ihrem fortgeschrittenen Alter (V. 18.36) noch einen Sohn empfing. An ihr werde deutlich, dass auch »nicht ein Wort (ῥῆμα) unwirksam sein wird (ἀδυνατήσει), das von Gott (kommt)«. Bei dieser Aussage handelt es sich um ein annähernd wörtliches Zitat |137|aus Gen 18,14.[53] Es findet sich dort im Mund des Boten Gottes, der in Hörweite Saras Abraham die Geburt eines Sohnes ansagt. Das Lachen, das Sara angesichts ihres und Abrahams Greisenalters anstimmt, beantwortet der Bote mit der rhetorischen Frage: »Ist denn ein Wort (ῥῆμα) von Gott unwirksam (ἀδυνατεῖ)?« Der Rekurs auf die Vergangenheit mit ihrer in der Geburt Isaaks erfüllten Verheißung, verstärkt durch das aktuelle Zeichen der Schwangerschaft Elisabeths, die die Leserschaft bereits kennt (V. 24), hat die argumentative Funktion, die Ankündigung der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria als wirksames Botenwort Gottes zu qualifizieren, dessen Realisierung gewiss ist. Die Wirksamkeit des Gotteswortes ist auch im Alten Testament und damit im Bereich des ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses über die Abraham-Sara-Geschichte hinaus wiederholt Thema. Neben dem bereits berührten Zusammenhang Gen 1 ist hier insbesondere an Deuterojesaja zu erinnern, der die Verlässlichkeit und Wirksamkeit des Wortes nun freilich für das Geschichtshandeln Gottes betont.[54]

Die Wirksamkeit des Gotteswortes erweist sich Lukas zufolge aber nicht erst in der Zukunft. Es verändert die Realität derjenigen, an die es sich wendet, bereits bevor es eintritt. Noch bevor Jesus geboren wird, besingt Maria in ihrem Lobgesang die ihr durch die Engelsoffenbarung angesagte Statusveränderung als bereits vollzogene Realität. Der, dessen Wort nicht unwirksam bleibt, ist der Mächtige, der δυνατός, der Großes an Maria getan hat, indem er sie zu einer zentralen Gestalt der Heilsgeschichte erwählt hat. Aus der Niedrigkeit der Magd wird die Gepriesene (V. 48), der der Makarismus der Elisabeth bereits in der Gegenwart zuteilwird.

(5.) Schließlich ist das Wort Gottes im Kontext der Geburtsankündigung das Wort, das eine Reaktion herausfordert.[55] »Es geschehe mir nach deinem Wort (ῥῆμα)«, ist die Antwort Marias auf die Sohnesverheißung. In V. 45 wird dies als der Glaube Marias gedeutet, dass das, was ihr von Gott her gesagt wurde, Erfüllung finden wird.[56] Ihr |138|Glaube ist damit Verheißungsglaube. Die Realisierung der Verheißung ist aber weder bei Lukas noch in Genesis zwingend an die Zustimmung des Menschen bzw. an seinen Glauben gebunden. Abraham und Sara lachen ein ungläubiges Lachen angesichts der Verheißung eines Sohnes,[57] Zacharias fragt nach einem Zeichen (1,18), was ihm als Unglaube an die Engelsworte ausgelegt wird. Die Wirkmacht des Wortes liegt allein im göttlichen Wollen begründet. Der Theozentrismus zeigt sich so auch bei der Durchsetzung des Wortes der Verheißung.

3. Das Schöpferwort Gottes in der Gemeinde Jesu Christi

Die verschiedenen für Lk 1,26–38 aufgezeigten Dimensionen des Schöpferwortes begegnen im Neuen Testament auch sonst, werden dort aber mit Blick auf die Glaubenden, und das heißt zugleich mit Blick auf den dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses entfaltet. Besonders eng sind die Bezüge zu Paulus, auf den ich mich darum im Folgenden konzentriere. Unmittelbar auf der Linie der obenstehenden Ausführungen zu Lukas liegt der Abschnitt Röm 4,17–25, dem ich mich deshalb zunächst zuwende.

3.1 Die schöpferische Macht des Wortes Gottes in Röm 4,17–25

Nach Röm 4,17 erweist sich der Gott, der Abraham verheißt: »Ich habe dich zum Vater vieler Völker eingesetzt« (Röm 4,17 // Gen 17,5), im Vollzug des Wortes der Verheißung als der Schöpfergott, »der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende ins Sein ruft«. Dies entfaltet Paulus anschließend unter Rekurs auf weitere Zusammenhänge der biblischen Abrahamerzählung (Röm 4,18–22). Dabei stellt er, seinem spezifischen Argumentationsinteresse entsprechend, die Reaktion Abrahams auf die Verheißung, den Glauben, ins Zentrum. Quer zum Gesamtbefund der Abrahamdarstellung in Gen steht der unerschütterliche Glaube Abrahams im Zentrum der Auslegung, der wider alle Hoffnung auf Hoffnung hin dem Wort der Verheißung (τὸ εἰρημένον): »So wird dein Same sein« (V. 18 // Gen 15,6 LXX), glaubt, nämlich wie die Zahl der Sterne am Himmel. Dieser Glaube an das Wort der Verheißung ist es, der ihm zur Gerechtigkeit angerechnet werden sollte (Röm 4,3.22). An seinem Glauben ändert sich auch |139|nichts, als er auf seinen und Saras erstorbenen Leib blickt (V. 19 // Gen 17,17). Er zweifelt die Verheißung (ἐπαγγελίαν) Gottes keinen Augenblick im Unglauben an, »sondern wurde (sc. von Gott) im Glauben gestärkt, so dass er Gott die Ehre gab und völlig gewiss war, dass er (sc. Gott) das, was er verheißen hat, auch zu tun vermag (δυνατός ἐστιν καὶ ποιήσαι)« (4,20f.).

Diese Aussagen berühren sich in den Formulierungen ebenso wie in der theologischen Grundaussage eng mit Lk 1. Der Glaube an das Wort der Verheißung ist hier wie dort der Glaube an die Wirkmacht Gottes und seines Wortes, die sich im Zuge seiner Realisierung als Schöpfermacht manifestiert. Angesichts der Dichte der Gen-Rezeption in Röm 4 ist davon auszugehen, dass die Wendung δυνατός ἐστιν καὶ ποιήσαι (V. 21) eine Anspielung auf den auch von Lukas zitierten Text Gen 18,14 ist.[58] Den Verheißungsglauben Abrahams bestimmt Paulus hier zugleich als den rechtfertigenden Glauben. Damit durchzieht das Motiv des Wortes der Verheißung als des gleichermaßen verlässlichen wie wirkmächtigen Schöpferwortes im Kontext von Abraham-Sara-Überlieferung und -rezeption den gesamten Raum dessen, wovon das Apostolikum in seinen drei Artikeln handelt.

Dies ist nun für den Glauben der Christusgläubigen zu vertiefen. Sein Inhalt wird in Röm 4 in Entsprechung zum Glauben Abrahams an den Gott, »der die Toten lebendig macht und das Nicht-Seiende ins Sein ruft«, als Glaube an den Gott bestimmt, »der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat« (V. 24). In der Exegese wird die Frage kontrovers diskutiert, ob der Verheißungscharakter des Glaubens Abrahams auch Strukturelement des christlichen Glaubens ist[59] oder dieser nicht vielmehr auf die in der Auferweckung Jesu von |140|den Toten erfüllte Verheißung des Glaubens Abrahams zurückblickt.[60] Diese Frage ist m.E. im ersteren Sinne zu beantworten. Denn Paulus sagt von dem Abraham zur Gerechtigkeit angerechneten Glauben, die Schrift schreibe davon »nicht seinetwegen [sc. Abraham] allein […], sondern auch um unsretwillen«, d.h. um der Glaubenden willen, denen der Glaube an den Gott, der Jesus im Akt der eschatologischen Neuschöpfung von den Toten auferweckt hat, »angerechnet werden soll (μέλλει λογίζεσθαι)«. Diese Aussage hat futurische Bedeutung.[61] Damit blickt der rechtfertigende Glaube, wie ihn Paulus fasst, zwar auf das in der Auferweckung Jesu eschatologisch erfüllte Wort der Verheißung an Abraham zurück, doch behält diese auch über ihre Erfüllung in Isaak und Jesus hinaus den Charakter der Verheißung. Paulus buchstabiert das bleibend futurische Moment der Verheißung an Abraham hier zwar nicht im Einzelnen aus. Die knappen Formulierungen in Röm 4,24f. lassen jedoch insbesondere an die eschatologische »Rechtfertigung zum Leben« (5,18) sowie an die |141|endzeitliche Auferweckung der sterblichen Leiber der Glaubenden durch den schöpferischen Geist und die Kraft Gottes denken (Röm 8,11).[62]

Das Wort der Verheißung behält so auch und gerade als erfülltes Gotteswort seinen Verheißungscharakter bei. Die Verheißung an Abraham, die sich mit der Geburt Isaaks im Raum der ersten Schöpfung erstmals erfüllt, wird von Paulus für die eschatologische Neuschöpfung angeeignet, in der Auferweckung Jesu für die eschatologische Gegenwart und in der Neuschöpfung der Leiber der Glaubenden für die eschatologische Zukunft. Die göttliche Verheißung ist bei Paulus so nicht anders als bei Lukas das Wort, das die Schöpfermacht Gottes enthüllt, die sich hier wie dort am irdisch-natürlichen Leib erweist. Wirksam wird es dabei nach beiden Autoren durch πνεῦμα und δύναμις Gottes. Empfangen schließlich wird sie durch den Glauben.

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