Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland

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Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland
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Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte Band 1

Herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz e. V.

In Verbindung mit dem Landtag Rheinland-Pfalz und der Landeszentrale für politische Bildung

Die Mainzer Republik

und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland


HANS BERKESSELMICHAEL MATHEUSKAI-MICHAEL SPRENGER (HGG.)

Impressum

228 Seiten mit 119 Abbildungen

Titelabbildung: Konventsprotokoll März 1793 und Freiheitsbaum – Revolutionsalmanach 1794

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH, Oppenheim am Rhein

ISBN 978-3-96176-097-8

Redaktion: Hans Berkessel, Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V.

Lektorat: Nünnerich-Asmus Verlag & Media GmbH

Gestaltung des Titelbildes: ADDVICE DESIGN & ADVERTISING

Gestaltung: ADDVICE DESIGN & ADVERTISING

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

Weitere Titel aus unserem Verlagsprogramm finden Sie unter: www.na-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort der Herausgeber der Reihe Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte

Grußwort des Landtagspräsidenten Hendrik Hering

Teil I – Beiträge

MICHAEL MATHEUS

Die Mainzer Republik – Französischer Revolutionsexport, deutscher Demokratieversuch, Mosaikstein einer europäischen Freiheitsgeschichte

WOLFGANG DOBRAS

Die Mainzer Republik – Ausgewählte Ereignisse und ihre archivalische Überlieferung

MATTHIAS SCHNETTGER

Die Mainzer Republik im Diskurs der Wissenschaft und als Spiegel der jüngeren Geschichtskultur

VOLKER GALLÉ

„Freiheit ist mein Gott – Frankreich mein Vaterland“

Die Wormser Freiheitsdebatte 1792/93, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen

IMMO MEENKEN

Kampfschriften und Lieder – Revolutionäre und gegenrevolutionäre Publizistik auf dem linken Rheinufer

SARA ANIL

Die Festung Königstein – Zum Schicksal der inhaftierten Mainzer Revolutionäre

WALTER RUMMEL

Freiheitsbewegungen und Bürokratie – Das Nachwirken von französischer Revolution und französischer Herrschaft in der staatlichen Entwicklung Deutschlands

Teil II – Dokumentation der Festveranstaltung

Landtagsvizepräsidentin BARBARA SCHLEICHER-ROTHMUND

Begrüßung

JÜRGEN GOLDSTEIN (Festvortrag)

Georg Forster – Ein sonderbarer Jakobiner zwischen Freiheit und Naturgewalt

GEORG FORSTER: Ansichten vom Niederrhein

Von Brabant, Flandern, Holland, England … und Frankreich

Im April, Mai und Junius 1790

Auszüge aus dem Podiumsgespräch

Georg Forster und das Erbe der „Mainzer Republik“ in ihrer Bedeutung für die deutsche Demokratiegeschichte

Teil III – Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren


VORWORT DER HERAUSGEBER DER REIHE
Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte

Mit dem vorliegenden Tagungsband eröffnet das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. (IGL) seine neue Reihe „Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte“.

Das Thema des ersten Bandes – die Mainzer Republik von 1792/93 und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland – ist hierbei durchaus programmatisch gewählt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund unverändert aktueller, kontroverser Debatten zur Verortung der kurzlebigen, neun Monate existierenden Mainzer Republik und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents von 1793 in der deutschen bzw. europäischen Demokratiegeschichte.

Die Geschichte der Mainzer Republik hat seit ihrem Untergang sehr unterschiedliche Deutungen und erinnerungspolitische Vereinnahmungsversuche erfahren. Sie reichen von einer euphorischen, revolutionsbegeisterten Verklärung durch die Zeitgenossen oder aber einer deutsch-nationalen Distanzierung gegenüber dem französischen Revolutionsexport über eine Inanspruchnahme innerhalb der sozialistisch-materialistischen Erbe-Interpretation in der DDR-Historiographie oder die Negierung jeglicher frühdemokratischer Elemente der Mainzer Republik bis hin zu aktuellen landes- und bundespolitischen Manifestationen, die in dem Rheinisch-Deutschen Nationalkonvent den Versuch der Etablierung einer neuen politischen Kultur erkennen.

Die Heterogenität der langen und intensiven Rezeption der Geschichte der Mainzer Republik hat nicht zuletzt eine reiche Forschungsliteratur wie auch zahlreiche populäre Publikationen über diese kurze Phase der Mainzer Geschichte hervorgebracht. Bereits 1993 konstatierte der Mainzer Historiker Dr. Franz Dumont (1945–2012), dass kein anderer vergleichbarer Abschnitt der Mainzer Geschichte mittlerweile so gut erforscht sei wie jener von Oktober 1792 bis Juli 1793. Schon in den späten 1970er-Jahren und frühen 1980er-Jahren hatte der Ostberliner Historiker Heinrich Scheel mit seinen umfassenden und sorgfältig kommentierten Quelleneditionen der Protokolle des Mainzer Jakobinerklubs und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents die umfangreichen Quellenbestände erstmalig der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Franz Dumont, der sich bereits in seiner 1982 erschienenen Dissertation und später immer wieder mit der Mainzer Republik beschäftigte, hat in seinem wissenschaftlichen Lebenswerk selbst maßgeblich zur Erweiterung des Forschungsstandes beigetragen und hierbei auch seine eigenen früheren Bewertungen immer wieder kritisch überprüft und modifiziert. Seine Deutung der Mainzer Republik als „Französischer Revolutionsexport und Demokratieversuch“ hat nicht zuletzt die nach einem heutigen Verständnis durchaus bestehenden immanenten Widersprüche und das Scheitern der Mainzer Republik betont und damit auch deutlich gemacht, dass man diese frühen demokratischen Gehversuche sicher nicht an den Maßstäben unseres heutigen Demokratieverständnisses messen kann, sondern aus ihrer Zeit heraus beurteilen und zumindest als Beginn einer neuen politischen Kultur werten muss, von der durchaus Linien zu unserem heutigen Verständnis der Grundlagen und Voraussetzungen parlamentarischer Demokratie gezogen werden können. Zugleich bieten die Debatten der Akteure der Mainzer und der Bergzaberner Republik interessante Anhaltspunkte, um über Traditionen und Brüche einer europäischen Freiheitsgeschichte und deren Ambivalenzen in der Moderne weiter nachzudenken.

 

Auch wenn wir heute durch zahlreiche Einzelstudien über ein recht differenziertes Bild verfügen, so zeigen aktuelle Debatten um die Mainzer Republik die ungebrochene Relevanz und Notwendigkeit weiterer Forschungen zu jenen Jahren. Zahlreiche Einzelaspekte, etwa die Frage nach prosopographischen Kontinuitäten zwischen der Mainzer Republik und den demokratischen Bewegungen des Vormärz, oder ganz generell die bessere Erschließung des reichen Quellenmaterials (Protokolle und Flugschriften der Mainzer Republik, aber auch der südpfälzischen Begzaberner Republik) auch mit Blick auf eine digitale Zugänglichkeit bieten auch künftig noch vielfältige Felder einer intensiveren und differenzierten Beschäftigung mit dem Thema.

Die besondere Aktualität der Beschäftigung mit der Geschichte der Mainzer Republik erklärt sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines bemerkenswerten Paradigmenwechsels in der Wahrnehmung, Verortung und Beschäftigung mit der deutschen Demokratiegeschichte. Bereits 1970 hatte der damalige Bundespräsident Gustav Heineman bei der „Bremer Schaffermahlzeit“ die Forderung erhoben, dass ein freiheitlich-demokratisches Deutschland die Geschichte – vor allem mit Blick auf die deutsche Demokratiegeschichte – bis in die Schulbücher hinein anders schreiben müsse, und 1974 anlässlich der Eröffnung der Rastatter Erinnerungsstätte mit Blick auf die Mainzer Republik präzisiert, die deutschen Jakobiner ebenfalls in diese spezifische Erinnerungskultur einer deutschen Demokratiegeschichte miteinzubeziehen.

Tatsächlich aber ist eine deutsche Demokratiegeschichte mit Blick auf die etablierte Erinnerungskultur nur selten über die ebenfalls gescheiterte Weimarer Republik, die ihrerseits überwiegend im Fokus dieses Scheiterns und seiner Gründe betrachtet wurde, hinausgelangt oder wenn überhaupt zumeist mit Erinnerungsorten wie dem Hambacher Fest und dem Paulskirchenparlament in Verbindung gebracht worden.

Die Frage, ob oder in welchem Maße die Mainzer Republik als Vorläufer in die Geschichte der parlamentarischen Demokratie in Deutschland eingeordnet werden kann oder muss, erfährt derzeit auch in einem übergeordneten Kontext neuen Rückenwind. Denn seit einigen Jahren gerät auch die Mainzer Republik wieder zunehmend in den Fokus einer demokratiegeschichtlichen Debatte und Erinnerungskultur. So hat der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Festrede zum 220. Jubiläum der Proklamation der Mainzer Republik am 18. März 2013 im rheinland-pfälzischen Landtag die freiheitlich-demokratischen Bewegungen in Deutschland mit der Mainzer Republik beginnen lassen als „erste[n] radikaldemokratische[n] Versuch deutscher Jakobiner, eine Republik zu gründen.“

Mit dem Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Mainzer Landtag im März 2018 hat nun erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt überhaupt die Mainzer Republik als frühen Erinnerungsort der deutschen Demokratiegeschichte, als Beginn des schwierigen deutschen Weges zur parlamentarischen Demokratie gewürdigt und in einer beeindruckenden Rede betont, dass „wir unsere heutige Verfassung auch denen zu verdanken haben, die sich in unserer Geschichte für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens eingesetzt haben.“ Nicht das Scheitern, sondern der Versuch der Etablierung einer neuen politischen Kultur, der Demokratieversuch selbst, wird somit Orientierungs- und durchaus wertiger Bezugspunkt mit Blick auf unsere parlamentarischen Traditionen und unser heutiges Demokratieverständnis.

Zunehmend wird somit auch in einem bundesweiten erinnerungspolitischen Diskurs wahrgenommen und vertreten, dass die Geschichte der Demokratie in Deutschland mit Blick auf Frühformen, ihre Genese und Wurzeln über die Zeit der Weimarer Republik und des Vormärz hinaus betrachtet und verstanden werden muss, eine Auffassung, die nicht zuletzt auch in die Aufnahme der Demokratiegeschichte als wichtiges Thema in den aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine bemerkenswerte Resonanz erfährt. Eine 2017 gegründete Arbeitsgemeinschaft „Erinnerungsorte der Demokratiegeschichte“ mit dem Ziel, die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern sowie schon bekannte oder bisher weniger bekannte Orte und Ereignisse im öffentlichen Gedenken zu verankern und als Lernorte weiter zu entwickeln, trägt dieser Erkenntnis ebenfalls Rechnung und hat auf Initiative des Instituts für Geschichtliche Landeskunde neben dem Hambacher Schloss auch die Mainzer Republik als einen solchen auch überregional bedeutenden Erinnerungsort der frühen deutschen Demokratiegeschichte mit aufgenommen.

Ohnehin verfügt Rheinland-Pfalz mit der Mainzer Republik, dem Hambacher Fest und Schloss über eine beachtliche Konzentration an überregional wichtigen Erinnerungsorten der frühen deutschen Demokratiegeschichte. Das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. hat diesen Forschungen zur Demokratiegeschichte daher in den letzten Jahren auf verschiedenen Ebenen verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt, beginnend etwa 2008 mit der Konzeption der Dauerausstellung auf dem Hambacher Schloss und nicht zuletzt durch die dauerhafte Verankerung dieses thematischen Schwerpunkts im Arbeitsprofil des Instituts. Mit der Herausgabe einer eigenen Reihe zur Demokratiegeschichte setzen wir nun diese Bemühungen fort.

Wir danken allen, die an diesem Werk mitgewirkt und es gestaltet haben: den Mitveranstaltern der wissenschaftlichen Tagung in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und der Festveranstaltung im Mainzer Landtag im Oktober 2017, den Referentinnen und Referenten sowie den Autorinnen und Autoren, die wir zusätzlich für diesen Band gewinnen konnten, den Archiven, die uns die Abbildungen und Quellen zur Verfügung gestellt haben, insbesondere dem Stadtarchiv Mainz, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts, die bei der Recherche behilflich waren und nicht zuletzt dem Nünnerich-Asmus Verlag und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die keine Mühe gescheut haben, diese Publikation auch durch eine aufwändige Gestaltung und Bebilderung für eine breite interessierte Leserschaft attraktiv zu machen.

Unser Dank gilt auch allen Institutionen, die durch ihre finanzielle Unterstützung den Druck dieses Buch und damit den Start der neuen Reihe ermöglicht haben: dem Landtag Rheinland-Pfalz, der Landeszentrale für politische Bildung und dem Verein für Sozialgeschichte Mainz e. V.

Allen Verantwortlichen sei hiermit herzlich gedankt.

Für das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V.

Hans Berkessel Michael Matheus Kai-Michael Sprenger

HENDRIK HERING
Zum Geleit


Wer in Deutschland nach den frühen Gehversuchen der Demokratie sucht, der kommt am Sitz des Landtags Rheinland-Pfalz, dem historischen Deutschhaus, nicht vorbei. Hier debattierte der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent, das erste auf der Grundlage moderner demokratischer Grundsätze gewählte Parlament in Deutschland. Am 18. März 1793 rief es einen auf demokratischen Prinzipien – Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität – beruhenden Staat aus. Kein anderes Landesparlament in Deutschland tagt an einem vergleichbar geschichtsträchtigen Ort.

Die Ereignisse von damals markieren, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „den Beginn des schwierigen deutschen Wegs zur parlamentarischen Demokratie. Es war, wie wir wissen, ein krummer und steiniger Weg, und das frühe demokratische Experiment in dieser Stadt steht in einzigartiger Weise für seine Widersprüche, Brüche und Rückschläge.“

Mit dem Hambacher Schloss liegt ein weiterer Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz. Trotzdem wissen wir auch heute noch mehr über die absolutistischen Fürsten als über die frühen Demokratiebewegungen in unserem Land. Wie die Wiederentdeckung der Bergzaberner Republik in jüngster Zeit zeigt, klafft auf der Landkarte der Demokratiegeschichte noch so mancher blinder Fleck.

Es ist das Verdienst von Institutionen wie dem Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, die historische Demokratieforschung beharrlich voranzutreiben und hier Abhilfe zu schaffen.

Ich bin der Überzeugung – wer weiß, unter welchen Mühen unsere Demokratie einst errungen werden musste, wird auch heute engagiert für sie eintreten. Deshalb freue ich mich sehr, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Fachtagung zum 225. Jahrestag der Mainzer Republik jetzt leserfreundlich und reich bebildert vorliegen.

Das Buch trägt den aktuellen Forschungsstand zusammen, dokumentiert die Festveranstaltung im Landtag und liefert wertvolle Hintergrundinformationen. Damit trägt es zu einem differenzierten, kritischen Gedenken bei und stärkt gleichzeitig die demokratische Tradition unseres Gemeinwesens.

Ich wünsche dem Buch eine breite Leserschaft.


Hendrik Hering

Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz

I. Beiträge

MICHAEL MATHEUS
Mainzer Republik – Französischer Revolutionsexport, deutscher Demokratieversuch, Mosaikstein einer europäischen Freiheitsgeschichte1

Vier Jahre, nachdem die Mainzer Republik im Landtag von Rheinland-Pfalz anlässlich des 220. Jahrestages geschichts- und kulturpolitisch eingeordnet wurde, erinnerte 2017 eine Fachtagung erneut an diesen Mosaikstein unserer demokratischen Tradition. In vieler Hinsicht handelte es sich 2013 um einen bemerkenswerten Versuch einer weitgehend konsensualen Erinnerung und Aneignung, mitgetragen von den damals im Stadtrat und im Landtag vertretenen Parteien. Hierzu trug auch eine viel beachtete Rede von Bundestagspräsident Nobert Lammert bei. Schon am 18. März 2012 hatte er die Mitglieder der Bundesversammlung in Berlin auf das Mainzer Geschehen am 18. März 1793 hingewiesen. In seiner Rede betonte er im folgenden Jahr im Parlament des Landes Rheinland-Pfalz, die Mainzer Republik könne „ganz sicher nicht als (der) glanzvolle Beginn einer stabilen deutschen Demokratie“ gelten, sei aber „gewiss mehr als ein lokales oder regionales Ereignis.“2 Ein während der Festveranstaltung des Jahres 2013 formuliertes Postulat liegt auch den folgenden Ausführungen als methodische Prämisse zugrunde. „Wir müssen der Versuchung widerstehen, unser heutiges Demokratieverständnis als Messlatte zu nehmen“ für Versuche in der Vergangenheit, „eine gewählte Volksvertretung an die Stelle einer als gottgegeben empfundenen Ständeordnung zu setzen.“3

Diese von bemerkenswerter Zustimmung getragene Aneignung war keineswegs selbstverständlich, wurde doch besonders in der Phase des sog. Kalten Krieges die wissenschaftliche und kulturpolitische Beschäftigung mit der Mainzer Republik in geradezu agonale Deutungen eingespannt. Im Rahmen dieses Bandes geht es um die wissenschaftliche Verortung der Mainzer Republik. Zwischen Jubiläen und Gedenktagen einerseits und historischer Forschung andererseits muss unterschieden werden, sollte Distanz bestehen. Nicht selten spiegeln Jubiläen mehr Befindlichkeiten der eigenen Gegenwart, als dass sie das historische Ereignis angemessen würdigen. Die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Arbeit muss in jedem Fall gegenüber politischer Vereinnahmung bewahrt bleiben. Andererseits existiert keine unüberbrückbare Kluft, vielmehr können beide Pole in wechselseitigem, gelegentlich spannungsvollem, aber im besten Fall konstruktivem Austausch aufeinander angewiesen sein.

 

Am Tag der Deutschen Einheit, am 3. Oktober 2017, mahnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Mainz mit Blick auf die Märzrevolution und die Weimarer Republik, „dass die Demokratie weder selbstverständlich noch mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Dass sie – einmal errungen – auch wieder verloren gehen kann, wenn wir uns nicht um sie kümmern.“4 Von der Mainzer Republik sprach er am 19. März 2018 bei seinem Besuch in der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz am Ende seiner „besondere[n] Deutschlandreise“ zu Orten, „an denen mutige Männer und Frauen zu unterschiedlichen Zeiten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gestritten haben.“5 Die Mainzer Republik markiere „den Beginn des schwierigen deutschen Wegs zur parlamentarischen Demokratie. Es war, wie wir wissen, ein krummer und steiniger Weg, und das frühe demokratische Experiment in dieser Stadt steht in einzigartiger Weise für seine Widersprüche, Brüche und Rückschläge.“ Zugleich sprach er sich mit Blick auf die Ereignisse von 1792/93 für ein „differenziertes und kritisches Gedenken“ aus: „an die erste freiheitliche und demokratische Bewegung, die es auf deutschem Boden gab, aber auch an die Schattenseiten des Regimes, das die Mainzer Demokraten dann mit Hilfe der französischen Besatzungskräfte ins Leben riefen.“ Zum „ambivalenten Prolog“ (Frank-Walter Steinmeier) einer deutschen Demokratiegeschichte, die ohne ihre europäischen Zusammenhänge nicht verstanden werden kann, zählen aber auch ältere Gestaltungsversuche politischer Partizipation wie die antike Polis und die mittelalterlichen Bürgerkommunen. Diese sind zwar untergegangen, wirkten und wirken aber über Prozesse der Rezeption und nicht zuletzt der Instrumentalisierung und Stilisierung historischer Ereignisse weiter. In Mainz beendete der Einsatz von Militär sowohl die Geschichte der mittelalterlichen Stadtkommune als auch die der Mainzer Republik. Im Folgenden werden zunächst drei Aspekte aus dem Blickwinkel der longue durée und anschließend die Studien des Bandes angesprochen.