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Die Liebesbriefe der Marquise

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Daß ich diese Sieger kommender Schlachten fand, mit ihnen Schritt halte, die Erfüllung unserer Hoffnung in der eigenen Hand habe, weil ich handle – das läßt mich des Lebens froh werden. Meine letzte Brochüre »Nieder mit der Bastille!«, die ich anonym erscheinen ließ, – man liefert sich nicht leichtsinnig ans Messer der anderen, wenn man das eigene wetzen muß, – wurde konfisziert. Aber Hunderte hatten sie schon gelesen; Tausende wissen heute, daß die Bastille kein bloßes Bauwerk ist, von veralteten Kanonen und halben Invaliden bewacht, sondern der Staat selbst.

Verzeihen Sie mir, Frau Marquise! Meine Feder ist so sehr an Freiheit gewöhnt, wie ich. Ich wollte Sie nicht erschrecken, die Sie auf einem anderen Sterne leben. Wenn ich es könnte, würde ich nur für Sie diesen Stern erhalten wollen. Aber er ist ja auch Ihnen kein Glücksstern.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Paris, den 4. Juli 1786.

Teuerste Delphine! Trotzdem ich in der Dämmerung des Zimmers Deine Hand in der meinen halten, Deine weiche Wange leise mit meinen Lippen streifen konnte, bitte ich Dich, die Besuche bei Herrn von Puységur aufzugeben. Du bist nicht stark genug, um den Reden der Somnambulen mit der Ruhe gefestigten Geistes zu begegnen. Und ich selbst gestehe zu, der Eindruck, den das arme Bauernmädchen der Vogesen hervorruft, wenn sie aus dem Schlafe spricht, ist erschütternd. Ich habe sie heute nur im Beisein von Herrn von Puységur geprüft; sie erzählte Szenen aus dem amerikanischen Feldzug, die nur ich so deutlich hätte schildern können, und als wir sie nach der Zukunft fragen, befiel sie wieder jene quälende Angst. Sie stammelte: »Blut – Blut«, sie schlug entsetzt die Hände vors Gesicht, als ob sie mit geschlossenen Augen Gräßliches sähe; sie ging auf Fußspitzen mit hochgehobenem Rock durch das Zimmer, »das Blut steigt – steigt« stöhnte sie.

Ich würde ihren Aussagen nicht mehr Bedeutung beilegen, als den Wahnsinnsausbrüchen einer Kranken, nicht, weil ich nur glaube, was sich beweisen läßt, – wir haben nachgerade eingesehen, daß Holbachs System de la nature mehr das Produkt menschlicher Überhebung, als menschlicher Weisheit ist! –, wenn nicht überall Phänomene auftauchten, wie dieses. Mein alter Reitknecht hat in einem Wirtshaus der Vorstadt St. Antoine Ähnliches erlebt; eine kleine Tänzerin von Wauxhall hat neulich mitten in der Probe, von Schlaf überfallen, gräßliche Visionen gehabt. Es gibt viele Leute in allen Kreisen der Bevölkerung, die von der »großen Furcht« wie von einer Krankheit befallen sind.

Vielleicht wären wir beide, meine einzige Geliebte, weniger leicht der Ansteckung ausgesetzt, wenn unsere verfolgte Liebe nicht selbst voll Furcht wäre. Wie soll es enden?!

Da der Marquis Sonntag nach Saint-Cloud fahren will, werden wir endlich Gelegenheit haben, uns allein zu sehen. Sei um Mitternacht im Garten Deines Hotels unter der großen Linde. Ich weiß einen Eingang, der mich vor allen Blicken schützen dürfte. Wir müssen uns sprechen, obwohl ich zum erstenmal empfinde, daß ich einen Mann betrüge, der mir vertraut.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Saint-Cloud, den 25. Juli 1786.

Allerschönste Frau Marquise. Erst jetzt erfahren wir von Ihrem Aufenthalt in Paris. Haben Sie am Ende – es soll das sehr in Mode sein! – Ihr Herzchen an irgend einen Mirabeau verloren, daß Sie so herzlos sein konnten, unserer zu vergessen? Die Prinzessin Lamballe schreibt Ihnen zu gleicher Zeit, um Sie nach Saint-Cloud einzuladen, und ich putze den Rost von meinem Witz, damit er mit dem Geist der Pariser konkurrieren kann. Sind Sie doch, wie ich zu meiner lebhaften Betrübnis vernehme, auch eine Schülerin des Lyceums. Kennen Sie nicht den reizenden Chanson darüber? Sie bekommen ihn, wenn Sie hier sind. Heute – als Lockmittel! – nur den Schluß.

 
Craignons, qu'une jalouse fée
Bornant les sages du Lycée
Dans leurs projets,
Hors du giron de la science
Ne les change par sa puissance
En perroquets.
 

Glauben Sie wirklich, daß Männer und Frauen stundenlang in einem Raum zusammen aushalten, ohne daß alle trockene Weisheit vom lebendigen Gefühl besiegt wird? Oder sollte vor all den Theorien und Prinzipien, die mir vorkommen wie Schulbuben mit dem Schmetterlingsnetz, die ausziehen, reizende Falter zu fangen, um sie schließlich aufzuspießen, die arme Liebe die Flucht ergreifen? Anzeichen genug gibt es dafür.

Allein die Kleidung, – für die Frauen halb Sack halb Hemd, für die Männer der dunkle Frack und das Gilet, – scheint auszudrücken, daß sie ihre Aufgabe, zu schmücken, die Reize der Trägerin hervorzuheben, nicht mehr erfüllen will. Aber wo der Wunsch zu gefallen aufhört, da werden die Sitten roh, der Ton der Konversation wird schwerfällig, die Phantasie weicht der Nüchternheit, die Künste verarmen. Der Geist der Gesellschaft bildet sich nur in Kreisen, wo Männer in der Nähe der Frauen durch den Wunsch, liebenswürdig zu sein, alle Gaben ihres Geistes leuchten, zur höchsten Vollkommenheit sich steigern lassen, wo Frauen sich im stillen Ringen um den Würdigsten stets erinnern, daß sie der Natur schönstes Kunstwerk sind.

Aber die Philosophie unserer Tage, die uns, den nicht Unsterblichkeitsgläubigen, lehrte, daß kein Besitz so kostbar, kein Verlust so unersetzlich ist, als der der Zeit, hat diese Reize der Geselligkeit grausam zerstört. Man will genießen, statt sich die Mühe zu machen, zu gefallen. Ohne die sichere Aussicht auf ihren raschen Besitz schenkt man der Frau kaum noch Beachtung. Jedes weibliche Wesen wird als Kurtisane gewertet, und wenn sie Erfolg haben will, muß sie mit der Kurtisane konkurrieren.

Wir, schönste Frau, ein kleines Häuflein Verehrer der Vergangenheit, sind vor Paris und seinen Reformen bis nach Saint-Cloud geflohen, um jetzt schaudernd zu bemerken, daß die Reformen in Gestalt des Herrn von Calonne uns folgen. Der Kauf von Saint-Cloud, den die Königin ihm schließlich abtrotzte, hat ihn um den letzten Rest seiner Ruhe gebracht. Selbst für die Polignac, die seinen allzeit offnen Geldbeutel dem Herzoginnentitel vorgezogen hätte, ist er der Mann der zugeknöpften Taschen.

Kommen Sie, teuerste Delphine, um uns durch den Reichtum Ihrer Schönheit und Ihres Geistes den schauderhaften Anblick gähnend leerer Schatzgewölbe vergessen zu machen. Bringen Sie der Königin frische Luft aus den Vogesen. Sie leidet sehr, und der kleine Dauphin ist wie die Verkörperung ihrer Sorgen. Ein frohes Ereignis genügt jedoch, um sie aufzuheitern.

Als sich die reizende Komtesse Turpin mit dem Marquis Lemierre verlobte, wurde die Gelegenheit gleich zu einem Fest benutzt; wir erschienen alle im Hofkostüm der Regentschaft und träumten uns in jene schöne Zeiten zurück. Ein Bonmot des geistvollen Vaters der Braut machte die Runde. Lemierre, der seiner Schulden wegen, – die übrigens die Königin bezahlte, – bei Turpin nicht im besten Ansehen stand, suchte sich auf alle Weise bei ihm einzuschmeicheln. So sagte er einmal: »Man braucht Sie nur zu sehen, um zu glauben, daß Sie Toinettens Vater sind.« Mit der ernstesten Miene von der Welt entgegnete der Graf: »Sie vergessen, mein Herr, daß wir so glücklich sind in einer Zeit zu leben, wo man nichts mehr glaubt.«

Aus diesem langen Brief mögen Sie die Länge der Konversationen ermessen, die Ihrer warten. Madame Campan will freilich gehört haben, daß das Neueste in Paris die Verachtung der Konversation ist. Irgend ein Held der Feder hat im Mercure de France auseinandergesetzt, sie sei »eine verächtliche Kunst schmarotzenden Hofgeschmeißes« –, das ist der liebenswürdige Ton, mit dem man uns auf Grund des Schimpflexikons, das das Pariser Parlament einführte und eifrigst zu bereichern trachtet, zu behandeln pflegt! –, und er fügt hinzu, man möge endlich aufhören, die Jugend in ihr zu unterrichten, um so mehr, als sie die brotloseste aller Künste sei.

Wahrhaftig: Idealisten vom Schlage Lafayettes können nicht soviel Unheil anrichten als die revolutionären Philister, die den Zweck als ihren Gott anbeten. Sie werden noch unsere Schlösser in Kasernen umwandeln und in unseren Rosengärten Rüben pflanzen.

Sie wissen, das Feld meiner Schlachten war stets das Parkett. Erst neuerdings habe ich mir den Degen schleifen lassen und trage Pistolen in der Manteltasche. Denn ich bin gesonnen, mich dem Pöbel von Paris erst zu ergeben, wenn ich nicht mehr ich, sondern nur ein Bündel blutiger Lumpen bin.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Paris, den 2. August 1786.

Du fragst mich, ob Du der Einladung nach Saint-Cloud folgen sollst? Daß Du fragen kannst, Geliebteste, trägt die Antwort schon in sich. Wir wollen einander nicht aus Schonung belügen; das wäre der Anfang geistiger Trennung. Freudlosigkeit ruht schwer auf unserer Liebe, auf unseren heimlichen Zusammenkünften lastet die Schuld. Reise ruhig, armer Liebling, vielleicht daß die Luft fern von mir Dich leichter atmen läßt.

Ich fand heute früh an den Mauern von Paris ein Gedicht angeschlagen, worin die Lämmer glücklich gepriesen werden, deren Hirte einen Zaun um sie zieht, damit Füchse und Wölfe sie nicht schrecken können. Zum Schluß heißt es:

 
Mais si ces mêmes loups avaient formé l'enceinte
Pour vous mieux dévorer sans péril et sans crainte
Du berger vigilant, de la garde des chiens,
Que seriez-vous, hélas?.. De pauvres Parisiens.
 

Mir scheint, als ob auch wir zu diesen gehörten.

Graf Guibert an Delphine
Paris, den 26. August 1786.

Teuerste Marquise. Erst jetzt erfuhr ich, daß Sie Paris mit Saint-Cloud vertauschten. Ein böses Omen, würde ich sagen, wenn es sich um jemanden anders handeln würde, als um Sie. Denn wer heute den Hof sucht, ohne zu müssen, gehört zu seiner Partei.

 

Sie werden vermutlich von der Reise des Königs in die Normandie jetzt ein anderes Bild bekommen, als ich es Ihnen malte: weißgekleidete Mädchen, vor Rührung weinende Bauern, vivat-schreiende Massen, Männer und Frauen, die glücklich waren, wenn sie den Rock des Monarchen küssen konnten! So sieht jeder Fürst seine Untertanen, auch wenn sie alle schon heimlich den Dolch im Mantel trügen, um ihn in seine Brust zu stoßen. Die Krone und die Kirche haben, wenn sie all ihren Glanz entfalten, die gleiche faszinierende Gewalt. Der mystische Zauber, der sie umgibt, wirkt selbst auf die Ungläubigen.

Auch von den Regimentern, die der König inspizierte, sah er nur die neuen schönen Uniformen. Daß Glieder desselben Volkes darin stecken, das ihn in allen Wirtshäusern mit Spottliedern verfolgt und über alles räsonniert, was von der Regierung ausgeht; daß die Unzufriedenheit mit ihrer persönlichen Lage und mit der Frankreichs die Offiziere, wie die Gemeinen ergriffen hat, und die Armee, die vor kurzem noch befürchten ließ, sie könne vor dem Feind nicht schlagfertig sein, weil ihre Führer sich zu viel amüsierten, jetzt in Gefahr steht, sich ihrem Kriegsherren zu widersetzen, weil ihre Führer zu viel denken, – das alles sieht kein König.

In Brest will man, wie ich las, Ludwig XVI. ein Denkmal errichten, – selbst unter dem großen König hat man dergleichen der Nachwelt überlassen; sollte man es jetzt damit so eilig haben, weil man befürchtet, sie könnte es vergessen?! Herr von Calonne wird es ihm als ein Zeichen der Treue seiner Untertanen darstellen, was nur ein Zeichen für die Servilität einiger titellüsterner Bürger ist.

Ich würde von Ihrer Klugheit und Ihrer Königstreue hoffen, daß Sie bei Marie Antoinette den Einfluß der Polignacs untergraben, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß ihre Popularität seit dem Prozeß Rohan und dem Kauf von Saint-Cloud, – eine Million für ein neues Schloß, während das Volk von Paris bei der allgemeinen Teuerung kein Fleisch essen kann! –, endgültig verloren ist.

An der Kirche von St. Géneviève ist kürzlich ein neues Portal geweiht worden, das die Königin gestiftet hat; es ist so prächtig, daß man den lieben Gott, wollte man ihm den besten Platz seines Hauses anweisen, vor die Türe setzen müßte. Das Volk stand umher und machte die bösesten Witze: »Die Österreicherin schenkt uns ein Portal, wir werden sie zum Danke dafür höflichst hinausgeleiten.«

Frau von Staël, die der Szene zufällig beiwohnte und sich beeilte, sie in ihrem Notizbuch festzuhalten, bedauerte sehr, Ihre Gesellschaft, teuerste Marquise, so rasch schon entbehren zu müssen. In ihrem Salon herrscht eine neue Passion; jeder überbietet einander in der Erfindung von Geschichten über das gleiche Thema: den Liebeswahnsinn. Sie selbst hat mit ihrer Erzählung »Die Wahnsinnige des Waldes von Sénart« alle übertroffen.

Da ich demnächst dem König über den Fortschritt der Heeresreform Vortrag zu halten habe, hoffe ich Sie in Saint-Cloud noch zu sehen. Es gibt für mich dort keinerlei andere persönliche Anziehungskraft. Selbst mein Ehrgeiz weiß nicht, wie lange es unter diesem Regiment noch eine Ehre ist, ihn zu befriedigen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Paris, den 27. August 1786.

Geliebteste. Die überraschende Nachricht von der Berufung der Notabeln, die Du mir gibst, nötigt mich zur Abreise in die Provinz. Da von ihrem Zusammentreten ungeheuer viel abhängt, muß ich alles daran setzen, die Stimmung in meinen Kreisen zu beeinflussen. Ich habe natürlich von Deiner Mitteilung keinen Gebrauch gemacht, glaube aber, daß sie trotzdem eher, als es Calonne lieb ist, in die Öffentlichkeit dringen wird. Für ihn ist die Notabelnversammlung der Strohhalm des Ertrinkenden, denn die Steuerreformen, die er vorschlägt, und von denen Du in Deinem leicht entflammten Enthusiasmus das Heil der Welt erwartest, sind nichts anderes, als die süße Oblate, in der dem großen Kinde Frankreich die bittere Medizin des Defizits gereicht werden soll. Ich begrüße trotzdem diese Entwicklung der Dinge, sie wird Klarheit bringen und das ist, – auch wenn sie schrecklich sein sollte, – besser als der ewige Dämmerzustand.

Daß der Marquis sich ihr mit aller Kraft widersetzte und selbst die Ungnade des Königs nicht gefürchtet hat, ist vollkommen begreiflich. Für ihn ist der Appell an irgendeine Körperschaft und wäre es auch nur die seines Standes, eine Konzession an die öffentliche Meinung; für ihn sind die Reformen, vor allem der Vorschlag der Aufhebung der Grundsteuerfreiheit des Adels ein Waffenstrecken vor dem dritten Stand. Ich glaube aber auch, daß er einer der ersten ist, der die Veröffentlichung des Defizits zu fürchten hat, denn er ist zu sehr mit den großen Banken liiert, als daß eine allgemeine finanzielle Deroute ihn nicht treffen müßte.

Vielleicht, – und diese Hoffnung stärkt meine Kraft für den kommenden Kampf –, läßt er Dich frei, wenn er einen Erben nicht mehr braucht!

Unsere Korrespondenz wird erschwerter sein denn je. Meine offene Gegnerschaft zu der politischen Stellung des Marquis wird über dem schmalen Landstrich, der Montbéliard von Montjoie trennt, ihre Wirkung haben, seinen Zorn gegen mich also noch steigern. Kannst Du mir nachempfinden, Geliebteste, daß mich diese Gegnerschaft innerlich befreit? Mag kommen, was da will, wir bleiben vereint, auch wenn wir einander unerreichbar erscheinen. Verstummen zu können, ohne sich zu verlieren, ist ein Prüfstein der Liebe.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Saint-Cloud, den 3. September 1786.

Daß auch Sie uns verlassen konnten, schönste Delphine! Denn diesmal ist es ein Verlassen! Die Königin, die sich bei der letzten Audienz wahrhaft königlich benahm, – sie lächelte Ihnen zu, als Sie kamen, sie legte Ihnen mit eigenen Händen die Kette mit ihrem Bildnis an, die Ihnen beweisen sollte, daß die Haltung des Marquis nicht als die Ihre empfunden wurde, sie flüsterte beim Abschied »Auf Wiedersehen!« –, und warf sich aufschluchzend in die Arme der Lamballe, als die Türe hinter Ihnen zufiel.

Sie waren zu den königlichen Kindern gegangen. Bald darnach kam der Dauphin langsam, in Nachdenken verloren zu seiner erhabenen Mutter; seine dunklen Augen blickten fragend aus dem schmalen Gesichtchen, er hob die kleine blasse Hand zu ihr empor, – »ich glaube,« sagte er kopfschüttelnd, »die Frau Marquise Montjoie hat geweint.«

Sind so viele Tränen nötig gewesen, holde Freundin? War der Moment nicht der geeignete, um – zu bleiben, während der Marquis ging?! Als uns vor einem Jahr die Nachricht von der Geburt Ihres Kindes erreichte, als dann der Marquis voll väterlichem Stolz von seinem Sohn und Erben sprach, war es mir gleich vollkommen klar, daß Sie nichts getan hatten, als Ihre Pflicht. Aber nun sind Sie ihrer entbunden, – kommen Sie zurück, schönste Marquise, ehe der Abgrund zwischen uns unüberbrückbar wird.

Meine Devise bleibt: »Ma vie au roi, mon cœur aux dames;« seien Sie barmherzig und werden Sie nicht die Ursache, daß der zweite Satz mit dem ersten in Zweikampf gerät!

Graf Guibert an Delphine
Paris, den 9. September 1786.

Verehrte Frau Marquise. Mit einer fluchtähnlichen Hast hat die Familie Montjoie Paris verlassen. Und doch wäre es von solchem Interesse gewesen, uns über die bedeutungsvollen Ereignisse der letzten Zeit mit Ihnen zu unterhalten.

Herr von Calonne ist von der Not zu einem Schritt genötigt worden, der unter Umständen der Anfang konstitutioneller Entwicklung sein kann, – freilich nicht mit ihm, sondern gegen ihn. Im Kreise Neckers herrscht nur die eine schwere Besorgnis, daß er, der nur von Augenblickssorgen getrieben und von Augenblickserfolgen geblendet wird, töricht genug sein könnte, die finanziellen Verhältnisse in einer Weise zu enthüllen, die nur geeignet wäre, die Autorität der Regierung zu untergraben. Necker, der mir, – das möchte ich gerade Ihnen anvertrauen, der gegenüber ich mich seinerzeit so rückhaltlos gegen den damaligen Minister aussprach, – unter vier Augen mitteilte, daß er mit vollem Bewußtsein dessen, was er tat, im Compte rendu von 1781 die Wahrheit verschleierte, hegt nach dieser Richtung die ernstesten Befürchtungen.

Wissen Sie etwa Näheres?

Es wäre vielleicht noch möglich, wenn man beizeiten die nötige Kenntnis davon besäße, folgenschwere Entschlüsse rückgängig zu machen. Schreiben Sie mir, bitte, auch von Ihren nächsten Plänen. Bleiben Sie bis zur Notabelnversammlung in Froberg? Mein Dienst führt mich vielleicht nach dem Elsaß und ich möchte nicht verfehlen, der schönsten Frau Frankreichs die Hand zu küssen.

Lucien Gaillard an Delphine
Paris, den 11. Oktober 1786.

Verehrte Frau Marquise. Mit Freuden erfülle ich Ihren Wunsch, von dem ich nur bedaure, daß er sich so leicht erfüllen läßt. Sie werden stets im Besitz meiner Adresse sein, auch wenn sie noch so häufig wechselt. Meine Feder von der kein Geringerer, als der Polizeileutnant Lenoir behauptete, daß sie mit Gift statt mit Tinte schreibt, wird mich während der Notabelnversammlung zwingen, im Dunkeln zu bleiben. Selbst von meinen Gesinnungsgenossen verstehen nur wenige mein Entzücken über die Aussicht auf das Ereignis des nächsten Jahres.

Die Notabeln, die das naive Volk immer noch durch den Glanz ihres Auftretens und die gewandte Form ihres Benehmens zu blenden verstehen, werden jetzt vor aller Welt gezwungen sein, auch den Blindesten Einblick in ihr Innerstes zu gewähren. Man wird ihre Selbstsucht erkennen, die auch ihre guten Handlungen regiert.

Ihre Wohltaten sind Opium für das Volk; ihre Königstreue ist das Mittel, ihnen die reichsten Pfründen zu sichern, ihr Stolz die Maske für ihre innere Leere!

Nur unter den Frauen gibt es Ausnahmen. Durch die schönste und bitterste Erfahrung meines Lebens weiß ich es: eine gibt es, die alle Tugenden und alle Vorzüge des Adels in sich vereinigt, ebenso wie ich eine andere kannte, deren Seele die offene Gosse war, die die Schmutzfluten aller Laster des dritten Standes in sich aufnahm. Die eine war meine Mutter. Werden Sie verstehen, Frau Marquise, daß meines Daseins glühendste Sehnsucht ist, mich so weit als möglich von ihr zu entfernen? Daß Sie darum der Stern sind, zu dem ich den krummen Körper emporrecke?

Die Kinder der Zukunft dürfen keine Mütter mehr haben wie die meine. Das ist das höchste Ziel der Revolution.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, den 20. Oktober 1786.

Geliebteste. Endlich ein zärtlicher Gruß auf sicherem Wege. Wie danke ich Dir, du Süße, für all die liebevollen, sehnsüchtigen Zettelchen, die Du mir schicktest. Ich trage sie auf dem Herzen; sie könnten mich vor feindlichen Hieben schützen, wie Deine Liebe mich für alles persönliche Leid unempfindlich macht.

Was Du von unserem Sohne schreibst, beglückt mich aufs tiefste; daß er kräftig ist, wird ihn fähig machen, den Stürmen der Zukunft zu trotzen. Wie das Kind Dich über die Qual der Gegenwart hinweghebt, – »wenn ich es sehe, sehe ich dich,« sagst du, – so hilft mir die Arbeit.

Unter dem kleinen Landadel spürt man den Hauch eines neuen Geistes. Grade der Umstand, daß er verarmte, macht ihn fähig zur Aufnahme moderner Ideen. Um so leichter wird er die Steuerprivilegien fallen lassen, wenn er auf der anderen Seite sieht, daß die Finanziers, die »an Papieren Reichen« zu neuen Steuern herangezogen werden. Mit den großen Grundbesitzern allerdings steht es anders. Der Marquis Montjoie hat unter ihnen die stärkste Anhängerschaft, und wenn der schlanke Greis mit dem Adlerprofil und den ruhigen Bewegungen seiner langen, blaugeäderten Hand vor die Versammlung tritt, um das ganze ehrwürdige Rüstzeug der Tradition gegen unsere neuen, unerprobten, blanken Waffen ins Feld zu führen, so hat er von vornherein gewonnenes Spiel. Jede Interessengemeinschaft mit dem dritten Stand lehnt er ab, am energischsten die mit den Parvenus, – »weil sie unsere Herrensitze usurpierten, glauben sie uns gleich zu stehen. Reich kann man werden, aber vornehm muß man sein.« Selbst im Kampf gegen mich verläßt ihn nicht seine äußere Ruhe; nur ich höre den schärferen Ton seiner Stimme, und sehe das Aufblitzen unversöhnlichen Hasses in seinen Augen. Aber wir sind ja erst beim Vorpostengefecht; der Feldzug beginnt in Paris.

 

Einen einzigen Mißton, geliebte Frau, hat Dein letzter Brief in den reinen Akkord Deiner Liebesworte gebracht. Du willst während der Notabelnversammlung des Kindes wegen, dem die Pariser Luft nicht gut bekommt, in Froberg bleiben, Du freust dich sogar, mit ihm allein zu sein, der täglichen, stündlichen Pein enthoben, die die Zärtlichkeiten des Marquis für den Kleinen dir verursachen. Und ich?! Und die Möglichkeit, daß wir den rechten Augenblick versäumen könnten, einander ganz zu gehören?!

Überlege mit dem Herzen, Geliebte, das in Wahrheit der Kopf der Frauen ist.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Paris, 16. Februar 1787.

Geliebteste. Dich nicht hier zu wissen, ist qualvoll genug, aber zu denken, daß Du allein in Froberg trüben Gedanken nachhängst, verwundet mein Herz noch mehr. Mir ist, als hätte auf dem Papier Deiner Briefe Deine Hand gelegen, heiß von der Stirn, auf die sie kurz vorher gepreßt war, als schwebe um jedes Wort ein langer Seufzer. Und doch sollte ein einziger Gedanke genügen, Dich aufzurichten: daß unser Schicksal von Deinem Willen allein abhängt. Willst Du Dich trennen von dem Manne, der Güte, Rücksicht, Vornehmheit benutzt, um Dich unter diesem Deckmantel nur um so mehr quälen zu können, so kannst Du es auch. Wahrhaftig, Du hast ihm seine grausamen Wohltaten genug gedankt. Nimm unser Kind auf den Arm und komm zu mir; wer Dich um dieser Tat willen ächtet, dessen Urteil trifft uns nicht.

Trübe Ahnungen, sagst Du, schienen den Schlaf des Marquis zu stören; stundenlang hörtest Du ihn in der Nacht auf und nieder gehen, und wenn er, wie es neuerdings seine Gewohnheit ist, zuweilen vom neuen Schloß zu der alten, verlassenen Burg hinüberging, dann sahst Du ein Licht unruhig hinter ihren Fenstern auftauchen und verschwinden. In einer solchen Nacht hat Dein mitleidiges Herz Dich zu ihm getrieben und Du hast ihm stumm die Hand gereicht!

Wie könnte ich Dir darum zürnen, Du Einzige Du?! Vergiß nur nicht, daß ein anderer Mann noch bemitleidenswerter ist!

Die Mitglieder der Notabelnversammlung dürften schon vollzählig eingetroffen sein. Die Pariser, für die das Schauspiel doch nur hinter verschlossenen Türen vor sich geht, benehmen sich wie Kinder vor den Vorhängen des Kasperltheaters. Alles scheint Zeit zu haben, denn alles ist auf der Straße. Man scherzt und lacht, aber die Fröhlichkeit, die wie ein leichter Luftzug die Oberfläche des Wassers zierlich kräuselt, läßt nicht vergessen, daß ein Sturm seine dunkle Flut bis in ihre schlammigen Tiefen aufwühlen kann.

Als Herr von Calonnes Erkrankung bekannt wurde, und man verbreitete, er speie Blut, frugen die Witzbolde der Journale: seins oder das der Nation? Als er zum ersten Male das Haus verlassen durfte, fand er an seiner eigenen Tür folgenden Anschlag: »Die Schauspieler des Finanzministers werden zur Aufführung bringen: 'Überflüssige Vorsicht' und 'Trügerische Hoffnungen'. Die Rolle des Souffleurs übernimmt er selbst.« Im Theater zu Versailles wurde in Anwesenheit der Königin die Oper »Theodor« von Paësiello aufgeführt. Als der Titelheld, ein verlassener König, seine Schmerzen klagte, rief eine Stimme im Parterre: »Berufen Sie doch die Notabeln!« Schallendes Gelächter und endloses Bravorufen unterbrach die Aufführung. Man versuchte, die Unruhstifter zu verhaften, die Königin erhob Einspruch; das Publikum jedoch empfand ihre Güte nur als Schwäche, als ein Buhlen um seine Gunst, und laute Pfiffe folgten ihrem davoneilenden Wagen.

Wer es in den Journalen oder gar in den erregten Diskussionen versucht, die Reformen zu verteidigen, von deren Inhalt manches bekannt wurde, begegnet meist dem stärksten Unwillen. »Wir wollen keine Almosen, wir wollen Rechte,« rief Gaillard vor ein paar Tagen solch einem geheimen Emissär der Regierung zu. »Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten. Die Reformen sind nichts als neue Mittel, ihn den Machtmachern unterwürfig zu machen. Wir verwerfen sie. Wir verlangen die Anerkennung der Souveränität des Volkes, nicht die Stillung unseres Hungers durch Brosamen, die von des Reichen Tische fallen.«

Die Notabeln sind äußerlich ruhiger, umso erregter im Innern. Es ist ein andrer Adel als der von Versailles, der sich den erstaunten Blicken der Pariser preisgibt: viele Männer mit großem Namen in geflicktem Rock, viele Priester mit arbeitsharten Händen.

Ehe Du diesen Brief erhältst, werden wir zusammengetreten sein. Eine eben erschienene Broschüre steigert noch die Erregung. Sie trägt den Titel: »Letzte Gedanken des Königs von Preußen«, und enthält unter anderem folgende Sätze, die heute früh in großen Lettern an den Straßenecken prangten:

»Nationen, die mit geborgtem Geld Kriege führen, werden niemals Frieden haben; nach dem Krieg mit dem Nachbarn beginnt der Krieg mit den Geldgebern; das Volk kommt nie zur Ruhe. Bleibt schließlich nur der Ausweg des Bankrotts, und er ist unvermeidlich.«

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 3. März 1787.

Meine Liebe. Die außerordentlich anstrengende Tätigkeit im dritten Bureau der Notabelnversammlung macht es mir erst heute möglich, Ihnen für die gewünschten regelmäßigen Berichte zu danken. Es freut mich zu hören, daß Sie und Godefroy sich wohlbefinden.

Obwohl die Geheimhaltung der Verhandlungen mir verbietet, Ihnen ihren Verlauf im einzelnen zu schildern, so halte ich mich doch für verpflichtet, Ihnen, im Vertrauen auf Ihre unverbrüchliche Verschwiegenheit, – jede Veröffentlichung der Tatsachen würde unabsehbares Unglück heraufbeschwören –, den Ernst der Lage nicht vorzuenthalten.

Stutzig gemacht durch die Andeutungen des Finanzministers über die Höhe der Schulden, und empört über die uns zugemutete neue Grundsteuer, – der Adel Frankreichs hat sich bisher die Steuer des Bluts und des Lebens für den König selbst auferlegt und braucht sich darum nicht wie ein jeder Krämer des dritten Standes behandeln zu lassen, dem man die Opfer für das Vaterland erst abzwingen muß, – haben wir einen Rechenschaftsbericht verlangt, um ihn mit dem Compte rendu Neckers vergleichen zu können. Er ist uns gestern in unzureichendster Weise gegeben worden. Darnach scheint die Schuldenlast seit 81, wo ein Überschuß von 10 Millionen konstatiert wurde, auf nicht weniger als 112 Millionen angewachsen zu sein. Das bedeutet, wenn die Aufstellung richtig und wenn eine Deckung nicht zu beschaffen ist, den Staatsbankrott, und wenn die Öffentlichkeit unterrichtet wird, eine ungeheure finanzielle Deroute. Diese beiden Möglichkeiten bitte ich Sie, ins Auge zu fassen und sich darauf vorzubereiten, daß auch ich den größten Teil, wenn nicht den ganzen Rest meines Vermögen bei dem stark engagierten Bankhaus Saint-James verlieren könnte.

Es ist selbstverständlich, daß wir Alles tun, um ein Unglück zu verhindern. Es ist aber auch ebenso selbstverständlich, daß wir uns nicht, wie die Regierung zu erwarten schien, zu ihrem willenlosen Sprachrohr machen. Alle sieben Bureaux haben trotz des leidenschaftlichen Widerstandes des Herrn von Lafayette und seiner Anhänger, die um den Beifall der Straßenpolitiker zu geizen scheinen, die Grundsteuer abgelehnt, ehe uns nicht die detailliertesten Nachweise über die finanzielle Lage gegeben werden. Verschwendungen ungeheurer Art oder schmähliche Veruntreuungen innerhalb der Regierung sollen wir gezwungen sein, auf unsere Schultern zu nehmen? Der König, der sein Ohr schlechten Ratgebern lieh, hat es verstanden, den Adel, auf den er sich sonst allein stützen konnte, im Lager seiner Gegner zu sehen.

Sollte Außerordentliches geschehen, so werde ich Ihnen durch besonderen Kurier Nachricht geben.

Graf Guibert an Delphine
Paris, den 22. März 1787.

Verehrte Frau Marquise. Ihre Antwort auf meinen Brief war so diplomatisch, daß ich wieder einmal von der Begabung der Frauen für die Politik überzeugt worden bin.

Inzwischen haben die Ereignisse mir rechtgegeben. Calonne wird über ihnen stürzen, jetzt besonders, wo sein kopfloser Appell an die Öffentlichkeit sich als ein Schlag ins Wasser erwiesen hat. Das Volk steht auf Seite der Notabeln, nur weil sie die Frondeure der Regierung sind. Die Zahlen, die allmählich, trotz des strengsten Schweigegebots durchsickern, steigern die Aufregung und rauben uns allen Kredit und alles Ansehen. Man hört von geheimen Rüstungen in England, von preußischen Truppen, die sich an der holländischen Grenze zusammenziehen. Der Tod Vergennes', eines tüchtigen Mannes, der verstand, unsere auswärtige Politik durch die bedrohlichsten Stürme zu steuern, die Unfähigkeit des Lakaien Montmorin, seines Nachfolgers –, das alles sind Vorboten trüber Tage.