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Die Liebesbriefe der Marquise

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Laß mich Dich von nun an nur in Deinem stillen Zimmer sehen; morgens, ehe die Nichtstuer ihren Tageslauf mit Besuchen beginnen, mittags, wenn die von tausend Klatschgeschichten Erschöpften sich zurückziehen, und nachts, Du geliebteste Frau, wenn ein gütiges Dunkel allen neugierigen Blicken den Zugang verwehrt.

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, den 26. August 1783.

Teuerste Marquise! Mein erster Weg nach meiner Rückkehr aus London war nicht zum Grafen Vaudreuil, sondern zu Ihnen. Ermessen Sie daraus, was ich für Sie empfinde! Und an Ihrer Türe erfahre ich, daß Sie krank sind –, grade jetzt!

In drei Wochen müssen Sie gesund sein, und wenn ich Ihnen die Wunderdoktoren der ganzen Welt verschreiben sollte! Haben Sie es schon mit den neuesten Heilweisen: den Zuckerkügelchen Herrn Dillons, dem Mäusefett Madame Renards, der elektrischen Behandlung Doktor Durands versucht?! Sie sind ja nicht Madame La France, der es für alle Kuren durch erste Autoritäten am Notwendigsten fehlt: am Gelde! Sie wird sich darum die Behandlung eines Barbiers gefallen lassen müssen, die Arme!

Darf ich auf Nachricht hoffen, sobald Sie mich empfangen können?

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, den 12. September 1783.

Sie sind nirgends zu sehen, Ihre Fenster sind verhängt –, und doch grübeln Sie nicht im einsamen Laboratorium über das Geheimnis des Goldmachens! Ihre Türe bleibt mir verschlossen und doch sah ich einen Gast, dem sie sich öffnete.

Fürchten Sie nichts: was sich laut oder leise gegen Gesetz und Herkommen empört, steht unter Figaros Schutz.

Wissen Sie, daß ich aus diesem Grunde beginne, eine sehr hochgestellte Dame unter meine Schützlinge zu zählen?! Sie denken vielleicht an die Herzogin von Bourbon, die ihrem ungetreuen Gatten mit gleicher Münze zahlte, an die kleine Prinzessin Chartres, die, während ihr Gemahl bei Madame Genlis die – Harfe spielen lernte, mit seinem schönen Adjutanten – Duette sang, oder an die hübsche Condé, die in süßer Mädchenunschuld von irgend einem unsichtbaren Gott erobert wurde, und, – wahrscheinlich zur Belohnung ihrer Heiligkeit! – doch noch einen Prinzen königlichen Geblütes fand, der sie zum Altar, aber nie zum – Bett geleitete? Gehen Sie auf diesem Gedankengang nicht weiter, meine Schöne; er ist zwar fast endlos, aber er führt doch nicht zu meiner Dame.

Ich wollte Ihnen erzählen, was mir begegnete, in Ihren ausdrucksvollen Augen Neugier, Bewegung, Erschrecken lesen, kurz –, all die Empfindung, die Ihr Mund mir aus Diskretion verschweigen würde. Soll ich nun schweigen? Ich bin zu sehr Dichter, als daß ich es ertragen könnte, den spannenden Akt des Schauspiels, den ich sah, – der zweifellos weder der erste noch der letzte gewesen ist! – ganz für mich zu behalten. Hören Sie also:

Ich gehe, wie Sie wissen, nur des Nachts spazieren. Wenn die Körper sich ihrer Paruren entledigen, die rote Farbe von den gelben Wangen wischen, die Lockenperücke von dem kahlen Kopfe nehmen, die schönen reinen weißseidenen Strümpfe mit dem üppigen Wadenpolster von den schmutzigen, dürren, haarigen Beinen ziehen, dann entkleiden sich auch die Geister. Auch ihre Nacktheit ist nicht immer erfreulich, aber stets unglaublich interessant. Ich sah Marschälle von Frankreich als blutige Revolutionäre, Erzbischöfe als Teufelspriester, und auch Possendichter als tragische Helden, Hetären als Madonnen, Königinnen als –. Schweigen wir, um endlich zu meinem Abenteuer zu kommen!

Im Parke von Versailles war es. Niemand in Frankreich hat solch gesunden Schlaf wie seine Wächter, und in jener Stunde vollends hemmte kein Ruf, kein Säbelklirren meinen Schritt. Spätsommernacht. Der erste leise Duft der Verwesung, – viel sinnenverwirrender noch als die ersten unschuldigen Frühlingsgerüche, – lag schwer über dem Park.

Da hörte ich ein Rascheln, dann ein Knirschen im Kies, – ich versteckte mich rasch hinter dem nächsten Boskett, – nicht um den Späher zu spielen, sondern um das Liebespaar ungestört zu lassen. Aber die Männer und Frauen, die in Mäntel gehüllt hin- und herhuschten, führte nicht Liebessehnen zueinander. Zuweilen zuckte ein scharfer Strahl verborgener Blendlaternen unter den Mänteln hervor. Schon wollte ich die Wache alarmieren, »Diebe!« schreien, – doch mein Blick fiel auf zarte Füßchen, elegante Schnallenschuhe.

Und plötzlich zogen sich die Gestalten zurück. Drei andere tauchten auf: ein schlanker Elegant, nur eine Halbmaske vor dem Gesicht, vielleicht: – der Graf Chevreuse! – ein kleinerer folgte ihm; ich sah den seidenen Mantel des Priesters, die Tonsur auf dem unbedeckten Kopf, vielleicht: – Rohan, der Kardinal! – und dann ein Weib, das Haupt von Schleiern umweht, unkenntlich, aber von einer Haltung! – vielleicht –: die Königin Marie Antoinette. Ich hielt den Atem an. Die drei sprachen kein Wort. Irgend ein dunkles Etwas legte der Priester in zwei Hände, so schneeweiß, daß sie zu leuchten schienen. Pariser Klatsch fiel mir ein: daß Rohan sich mit dem famosen Halsband Böhmers die Gunst der Königin erkaufen wolle –, aber ich hatte keine Zeit, nachzudenken. Wieder ein Rascheln, ein Knirschen, – ich rieb mir die Augen; vielleicht war alles nur nächtlicher Spuk! Vielleicht hat es mich gerade darum so erschüttert; ich glaubte bisher nicht an Geister.

Ist der Graf Chevreuse nicht Ihr Freund? Warnen Sie doch durch ihn die Dame mit der verräterischen Gestalt. Nicht alle unberufenen Lauscher sind Figaro!

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, am 15. September 1783.

Der Gedanke, verehrteste Marquise, daß ich mich bei meinem gestrigen Besuch ungeschickt benahm, erregter zeigte, als es der Sache entsprach, – einer offenbaren Dienstbotenaffaire, wie ich Ihnen schon versicherte, – nötigt mich zu diesen Zeilen. Die Parkwächter sind bereits aufs strengste instruiert, nächtlichen Spuck der Art nicht mehr zuzulassen. Um alle Ihre Befürchtungen zu zerstreuen, möchte ich Ihnen noch versichern, was ich gestern, – empört über die Verdächtigung unserer teuren Königin, – zu sagen vergaß: ich befand mich in derselben Nacht in Paris bei der Guimard; sie und alle ihre Gäste würden meine Anwesenheit bezeugen. Und Ihre Majestät hatte sich, wie mir die Prinzessin Lamballe erzählte, wegen starker Kopfschmerzen bereits um neun Uhr zur Ruhe begeben.

Die Pariser sehen überall Gespenster, seit Cagliostro Geister erscheinen läßt.

Daß Sie hartnäckig dabeibleiben, nicht nach Gennevilliers fahren zu wollen, bedaure ich nicht nur um meinetwillen. Sie warnten mich; darf ich Ihnen meine Dankbarkeit für Ihre gute Absicht auch durch eine Warnung beweisen?

Es ist oft sehr unklug, krank zu sein!

Wenn ich hoffe, Ihnen bei dem versprochenen Bericht über den großen Tag sagen zu können, daß man Sie – und den Prinzen! – nicht zu sehr vermißte, so müssen Sie fühlen, daß ich nicht aus Unhöflichkeit, sondern aus Freundschaft diese Hoffnung hege.

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, den 27. September 1783.

Daß Sie nicht dabei gewesen sind! Es war ein Tag ohnegleichen: Die Straße nach Gennevilliers von früh an überflutet mit Karossen und Reitern; die Säle des Schlößchens überfüllt von allem, was durch Schönheit, Geburt, Geist und Reichtum Paris zur Zentralsonne des Erdballs macht; dabei jene fieberische Spannung auf allen Zügen, die die Augen leuchten und jeden glauben läßt, daß der beschleunigte Herzschlag nichts als das Zeichen der Kraft und Jugend ist. Man vergaß in der Erwartung die neuesten Skandale und Chansons, von denen man sonst zu leben pflegt.

Der Saal war kaum imstande, die Masse der Gäste zu fassen. Noch hatte sich der Vorhang nicht geteilt und schon lag es wie Gewitterschwüle über allen Köpfen. Sie steigerte sich mit jeder Szene. Recht und Gesetz, Moral und Religion, Philosophie und Politik –, all das zog in den Gestalten des Guzmann und des Bartholo, des Basilio und der Marzeline, des Almaviva und des Figaro auf der Bühne an uns vorüber, wurde besprochen, verhöhnt, mit den Geißelhieben des Witzes blutig geschlagen. Und wir saßen da, wie gebannt, zwischen Empörung und Beifall, Zähneknirschen und Gelächter hin und hergerissen.

War es die Erregung, die heiß aus allen Poren drang, war es das Feuer der zahllosen Kerzen, – die Sonne der Sahara kann nicht glühender sein, als die Luft, die wir atmeten. Schon hörte ich Schreckensrufe ohnmächtig werdender Damen, als die Scheiben der hohen Fenster in gleichmäßigen Intervallen klirrend zerbrachen: Beaumarchais selbst schlug sie mit der Krücke seines Stockes ein, um die Frische von draußen hereinzulassen. Erst als sie mir den Kopf umwehte, wurde mir klar, daß sein Stück wie ein Sturmwind über uns weggefegt war.

Er wurde mit Beifall überschüttet. Kein Zweifel, daß er nun in kurzer Zeit die öffentliche Aufführung seines Werkes durchsetzen wird. Ob es uns dann noch ebenso amüsiert? Ich lache gern über mich selbst, aber es wäre das Zeichen einer gefährlichen Gleichstellung, wenn der Pöbel sich je erlauben sollte, über mich zu lachen.

Die meisten Gäste, die Graf Vaudreuil nicht zu logieren vermochte, fuhren in der Nacht noch zurück. Die Pariser Ärzte werden zu tun haben; es regnete in Strömen, und bei den aufgeweichten Wegen und der fast undurchdringlichen Finsternis bewegten sich die Wagenreihen mit ihren frierenden Insassen nur ganz langsam vorwärts.

Ich fuhr mit Herrn von Wurmser. Er ist in sehr gedrückter Stimmung. Sollte er in seinem Vertrauen zu Cagliostro zu weit gegangen sein? »Ich fürchte, die Zeit der Goldmacher ist vorüber und die der Barbiere gekommen,« meinte er bitter.

 
Marquis Montjoie an Delphine
Schloß Froberg, den 2. Oktober 1783.

Meine Liebe. Ihre Absicht, das seit langem unbenützte Schloß Laval zu ihrem Aufenthalt zu wählen, noch dazu jetzt, wo der Winter vor der Türe steht, ist befremdend. Da es aber ausschließlich Ihr Besitztum ist und Sie, wie mir scheint, nur zwischen diesem und irgendeinem andern Ort wählen wollen, um weiter von mir getrennt zu leben, so will und kann ich Ihre Entschlüsse nicht beeinflussen. Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, werde ich einen Teil der Dienerschaft nach Laval senden, um wenigstens das Notwendigste für Sie vorzubereiten.

Mir geht es gut.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, den 19. Oktober 1783.

Meine geliebte Delphine. Wie recht Du hattest: schon atme ich freier in der trauten alten Umgebung; schon sehe ich, wie viel hier vernachlässigt wurde, seitdem mein Bruder, der regierende Herzog, sich ganz auf seine preußischen Besitzungen zurückgezogen hat, wie ich alle Kräfte anspannen muß, um die Folgen jahrelanger Mißwirtschaft durch gewissenlose Verwalter wieder gutzumachen. Daß ich notwendig bin, daß Arbeit meiner wartet, macht mich schon froh.

Ich ritt heute nach Laval, – den schönen Waldpfad, der mich täglich zu meinem Engel führen soll. Klopfenden Herzens sah ich die altersgrauen Türme vor mir aufsteigen, aus deren Fenstern das süße Köpfchen eines kleinen Mädchens mir einst schelmisch entgegennickte.

Im Schloßhofe fand ich reges Leben: man lud von hochbepackten Wagen Möbel und Kisten und Kasten ab. Sonderbar: mir schnürte der Anblick, der doch ein Zeichen Deines Nahens ist, das Herz zusammen! Ich fühlte, daß hier die Sorge dessen waltet, der Dich mir stumm überläßt –, ob aus verächtlicher Gleichgültigkeit, oder aus großmütiger Entsagung, beides ist gleich niederdrückend.

Aber ich will Dich nicht wieder quälen, Du armes Herz, die Du mir alles zu Liebe tust, und so grenzenlos um mich leidest!

Marquis Montjoie an Delphine
Schloß Froberg, am 1. November 1783.

Meine Liebe! Es bedarf nicht des Dankes. Ich habe nur meine Pflicht getan, indem ich das Schloß Ihrer Väter, aus dem ich einst ein unwissendes Kind entführte, für seine Rückkehr empfangsbereit machen ließ. Ich wünsche nur eins: von Zeit zu Zeit, – nach vorheriger Ansage, – empfangen zu werden, um möglichem Getuschel böser Zungen die Spitze abzubrechen. Da ich Anfang nächsten Jahres in Sachen meiner Vermögensverwaltung nach Paris zu gehen beabsichtige, werde ich mir erlauben, mich in den Weihnachtstagen nach Ihrem Befinden zu erkundigen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, den 6. Januar 1784.

Heute nur einen zärtlichen Gruß, Geliebteste. Ich kann nicht kommen; Scharen von Landleuten strömen in die Stadt und sammeln sich vor dem Schloß. Die fürchterliche Kälte treibt sie her, aber obwohl ich fast allen Vorrat an Holz und Nahrungsmitteln verteilen ließ und die Erlaubnis gab, den Wald von Navire zu schlagen, nehmen vor allem die fremden Leute eine drohende Haltung an. Ich habe die Ställe und die Reitbahn öffnen lassen, um wenigstens den Frauen und Kindern Unterkunft gewähren zu können.

Mein Bote ist beauftragt, Deine Antwort entgegenzunehmen und sich durch eignen Augenschein zu überzeugen, ob Laval in Sicherheit ist. Im Notfall lasse ich selbstverständlich alles im Stich und komme zu Dir.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, den 7. Januar 1784.

Geliebteste! Fürchte dich nicht. Wie kann mir etwas geschehen, da ein Engel wie Du mich mit seiner Liebe schützt! Der Reitknecht erzählte mir alles, selbst gerührt von dem, was er gesehen hatte: im Rittersaal von Laval die Menschenmenge, blasse Gesichter, zerlumpte Kleider, magere, von Frostbeulen bedeckte Glieder, von den glühenden Scheiten im Kamin grell beleuchtet, Du selbst mitten unter ihnen, furchtlos auch angesichts der rohesten Gesellen!

Ich schicke Dir heute ein paar handfeste Leute zum Schutz. Ein Feuersignal auf dem Bergfried, und ich selbst bin in kürzester Frist bei Dir.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Etupes, den 9. Januar.

Landstreicher erbrachen das Schloß. Ich warf sie mit meinen Leuten hinaus. Ein Schuß traf mich in die Hüfte. Ich habe nur einen Gedanken: Dich. Mein Reitknecht jagt dem Wagen voran, der mich zu Dir bringt. Niemand außer ihm und dem Kutscher kennt das Ziel der Fahrt.

Baron von Wurmser an Delphine
Straßburg, den 10. Februar 1784.

Verehrteste Frau Cousine. Vergebens habe ich versucht, Sie hier und in Froberg aufzusuchen und erfuhr erst dort, daß Sie sich in Laval befinden. Nach langem, inneren Kampf halte ich es für meine Pflicht, Ihnen folgende Mitteilung zu machen: der Graf Cagliostro ist ein Betrüger. Die Kräfte, die er besitzt, – und ich hörte und sah zu viel, als daß ich an ihnen zu zweifeln vermöchte, – hat er in teuflischer Weise benutzt, um seine Opfer zu fangen. Auch ich gehöre zu ihnen. Das kleine Vermögen, das ich besaß, ist in seinen Händen. Ich dachte daran, ihn ohne weiteres arretieren zu lassen, aber ich habe keine Beweise, und die Zeugen, die ich nennen könnte, würden teils aus Feigheit, teils aus Angst, sich lächerlich zu machen, versagen; außerdem ist dem Grafen alles Geld, das er erhielt, freiwillig gegeben worden. Mich selbst kann ich nicht mehr retten, vielleicht aber andere.

Um klar zu sehen, habe ich mein Mißtrauen noch nicht laut werden lassen und habe vor wenigen Tagen einer Sitzung im Palais des Kardinals beigewohnt, an der sich außer dem Hausherrn und mir nur Ihr eben aus Paris wieder zurückgekehrter Herr Gemahl beteiligte. Man erwartete so etwas wie ein Wunder; Haufen Goldes lagen bereit, die ja von jeher die Voraussetzung aller Experimente waren. Je länger die Versuche resultatlos blieben, desto erregter wurde der Kardinal. »Ich bin verloren – ich und sie!« schrie er schließlich in fassungsloser Verzweiflung. Und als der Graf als Antwort grell auflachte, stürzte er sich auf ihn, packte ihn mit eisernem Griff an die Kehle und brüllte mit der Stimme eines wilden Tieres: »die Million oder –.« Wir rissen ihn los und während ich noch um den Tobenden beschäftigt war, verließ Cagliostro mit dem Marquis das Zimmer.

Rohan reiste gestern nach Paris. Der Marquis hat sich mit dem Schwindler eingeschlossen; er vertraut ihm um so mehr, als er seine Kräfte nun für sich allein in Anspruch nehmen zu können hofft.

Nur Sie, teuerste Cousine, können den Verblendeten retten und damit Ihre eigene Existenz. Was Sie auch immer von ihm trennen, was Sie in Laval festhalten mag, kommen Sie rasch! Könnten Sie den Marquis sehen, wie er gebeugt, mit zitternden Knieen durch die Straßen schleicht, rotgeränderte, des Schlafs entwöhnte Augen über den spitz hervortretenden Backenknochen, – das Mitleid würde Sie zu ihm führen, auch wenn er Ihnen ein Fremder wäre.

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, den 15. Februar 1784.

Meine Liebe. Ihr Anerbieten ist gut gemeint, aber Ihre Besorgnis unbegründet. Ich bin gesund. Meinetwegen brauchen Sie Laval nicht zu verlassen. Die chemischen Experimente, mit denen ich mich beschäftige, sind rein wissenschaftlicher Natur. Es kann Sie nur beruhigen, daß diese Tätigkeit mir alles ersetzt, was ich bisher als Lebensinhalt betrachtet habe: den Hof, die Politik, die Frauen.

Ich höre, daß Sie im Schloß so etwas, wie ein Hospital eingerichtet haben. Frauen, Kinder und Greise finden bei Ihnen Schutz vor Hunger und Kälte, auch Kranke werden gepflegt. Das ist sehr lobenswert und wird einer frommen Frau wie Ihnen die Freuden von Versailles vergessen machen.

Der Vetter Wurmser, nachdem Sie fragen, widmet sich neuerdings eifrig in Verbindung mit Herrn Adorn der Konstruktion eines neuen aerostatischen Globus. So findet jeder eine Ablenkung von Gedanken und Erinnerungen, die nicht immer belustigend sind.

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, am 30. April 1784.

Schönste Marquise. Sie lieben nur die Unterlegenen und finden größeren Genuß darin, zu trösten, als zu bewundern? Denn seit Figaro triumphiert, sind Sie ihm untreu geworden. Ich aber dachte mitten im tobendem Theater an Sie; ich suchte Ihr reizendes Köpfchen in allen Logen; mir fehlte die Herzenskönigin, der der Sieger im Turnier das Knie beugt, um von ihr allein den Kranz zu empfangen.

Figaro hat gesiegt, Frau Marquise! Und er hat Gedanken aus dem Gefängnis feiger Köpfe befreit, Stummen die Sprache gegeben und Blinden das Gesicht. Bald gibt es in Paris kein Fischweib mehr und keinen Lastträger, der ihn nicht jubelnd begrüßt hätte; Hunde und Katzen ruft man an allen Straßenecken mit seinem Namen; mit Hüten und Mänteln à la Figaro schmücken sich Dirnen und Hofdamen, so daß sein Name schließlich auch denen gellend in die Ohren klingt, die ihn verdammen.

Es war eine Komödie in der Komödie: Von früh an belagerten die Eintrittheischenden die Pforten des Theaters. Vornehme Frauen hielten, um rasch ein Plätzchen zu erhaschen, stundenlang in den Toilettenzimmern kleiner Schauspielerinnen aus. Herzoginnen kämpften mit Freudenmädchen um einen Sitz. Ganz Versailles war im Theater. Der König muß sehr verlassen gewesen sein!

»Worin besteht das Handwerk des Höflings?« frug Figaro; »im Empfangen, im Nehmen, im Fordern« – und die Herren und Damen in den Logen hörten erblassend den brüllenden Beifall des Parketts.

Wahrhaftig noch toller als mein Stück ist sein Erfolg!

Der laute Lärm erstickte tagelang alles heimliche Flüstern, das immer schärfer, immer feindlicher durch die Hintertüren der Schlösser kriecht.

Sie erinnern sich des Schauspielaktes, den ich sah. Nun: die vornehmen Akteure und Aktricen machen nicht den Eindruck als ob der Schluß, wie der des Figaro, in Chansons bestehen würde. Selbst der Graf Chevreuse, – er muß als Knabe meines Cherubin Zwillingsbruder gewesen sein, – hat seinen Leichtsinn so sehr verloren, daß die Guimard ihm den Laufpaß gab.

Warum ich Ihnen schreibe? aus Eitelkeit und aus Neugierde. In Frankreich zieht sich eine schöne Frau wie Sie nur aus drei Gründen von der Welt zurück: entweder sie hat die Blattern, oder einen Blaubart zum Mann, oder ihren Lakai zum Geliebten. Da keiner dieser Gründe auf Sie zutreffen kann –, die Blattern würden sich schämen, ein Gesicht, wie das Ihre zu zerstören, der Marquis hat sich dem Teufel verschrieben, und Sie haben zu viel Geschmack für eine Liebschaft mit einem Bedienten; so fragt sich alles, was hindert Sie, uns zu beglücken?!

Ich suche nach einem neuen Stoff für ein Stück. Vielleicht liefern Sie ihn mir, wenn es sich um keine Tragödie handelt.

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, im Juli 1784.

Meine Liebe. Damit Sie nicht aus den Journalen davon erfahren, teile ich Ihnen mit, daß Baron Wurmser gestern beim ersten Aufstieg im Ballon Monsieur Adorns verunglückt ist. Er brach beim Absturz aus einer Höhe von kaum dreißig Metern beide Beine. Die Ärzte geben Hoffnung, ihn am Leben zu erhalten. Ich sprach ihn heute. Er hat mir Grüße an Sie aufgetragen und mich ausdrücklich gebeten, Ihnen zu erzählen, daß er sich nun erst tatsächlich »nicht auf der Höhe erhielt«.

Ich habe heute noch eine Bitte an Sie. Meine Gesundheit ist nicht die beste; ein Aufenthalt in Spa würde mir gut tun und es wäre mir erwünscht, wenn Sie mich begleiten wollten. Alle unliebsamen Gerüchte würden durch diese gemeinsame Reise im Keime erstickt. Falls Sie zustimmen, werde ich sobald als möglich meine weiteren Dispositionen treffen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, den 25. Juli 1784.

Das war ein böser Ritt: in der schwülen Nacht, die fern am Horizont nur fahle Blitze hie und da erleuchteten, das Herz von Kummer schwer, die Stirne heiß von Zorn. Zorn auf Dich, meine süße Delphine, die Du unser Glück zerstörst aus lauter grausamer Güte!

 

Weil einem alten Manne plötzlich die Laune packte, sich mit seinem schönen jungen Weib der Welt zu zeigen, warst Du sofort bereit, ihm zu willfahren? Du behauptest ihm Dank schuldig zu sein. Wofür?! Weil er Dir Freiheit läßt. Tut er es vielleicht aus Güte, oder nicht vielmehr aus Selbstsucht? Er stört Dich nicht, weil er in seinem dunklen Beginnen nicht gestört sein will. Und weil er unsere Beziehungen nicht sieht, nicht sehen will, hältst Du ihn für einen entsagenden bewundernswerten Freund. Ich halte ihn für einen jämmerlichen Feigling! Dir erscheint als ein bescheidener Wunsch, worin ich die Geltendmachung verbriefter Gattenrechte sehe. Er kümmert sich nicht um Dich, solange es ihm paßt, er fordert Dich, sobald die greisenhafte Lust ihn reizt. Und Du beugst Dich seinem Verlangen! Mich, den die Natur selbst Dir angetraut hat, dem Du allein gehörst im Namen ewiger Liebe, mich ließest Du von Dir gehen!

Du sagst, der Marquis sei unglücklich. – Auch zu einem großen Unglück gehört ein großer Mensch; dieses Mannes Unglück ist klein, kalt, verächtlich, und Du willst ihm unser großes, heißes überreiches Glück opfern?!

Du sagst, er ertrüge es nicht, wenn Du den Mut der Wahrheit hättest. Was wäre verloren, wenn er wirklich daran zugrunde ginge? Gibt es auch nur einen einzigen Menschen, dem er unersetzlich wäre? Würde er eine Lücke hinterlassen, die kein anderer auszufüllen vermöchte?

Ich liebe Dich um Deiner rührenden Güte willen, die niemanden wehe zu tun vermag, um Deiner sorgenden Liebe willen, die alles Schwache und Alte schützt und pflegt. Wo wäre ich heute ohne Deine weichen zarten Hände?! Aber das Leben, Geliebte, ist männlich und hart, der morsche Stamm kann nicht erhalten werden, wenn junge Bäume zum Licht verlangen, und den alten Staat, der schon in seinen Grundvesten zittert, dürfen wir nicht stützen, wenn er einem neuen Geschlecht zu eng geworden ist.

Wir werden Monate getrennt sein und wollen einander auch nicht mit brieflichen Klagen und Vorwürfen quälen. Aber prüfen sollst Du, Geliebte, Dein Herz, damit Du zu entscheiden vermagst, wenn wir uns wiedersehen. Er oder ich –, das ist die Frage, die ich Dir stelle.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, den 30. September 1784.

Meine Liebe. Es freut mich zu hören, daß Sie die Reise gut überstanden haben und ich benutze die Gelegenheit Ihnen für die Zeit zu danken, die Sie mir widmeten. Ich hoffe, Sie werden nicht ganz ohne Befriedigung an die vollkommen ruhigen Wochen zurückdenken, die auch Ihnen notwendig waren.

Mein Aufenthalt hier wird höchstens zwei Monate dauern. Paris, wo der Pöbel überall das große Wort führt, und Versailles, wo nichts als Lakaiengesinnung herrscht, widern mich an.

Die Königin spielt ihre Schäferspiele jetzt nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Boudoir. Man erzählt sich in allen Pariser Kaffeehäusern, daß Chevreuse und Vaudreuil ihre Partner sind.

Herr von Calonne, den ich sprach, ist in schlechtester Stimmung. Er würde denjenigen zum höchsten Orden der Monarchie vorschlagen, der ihm die Möglichkeit einer neuen Steuer nachweisen könnte. Die unaufhörlichen Fürstenbesuche, – eben erst hat der König von Schweden Paris verlassen –, verschlingen Unsummen, was in dieser Zeit ungewöhnlicher Teuerung sehr verbitternd wirkt. In den ärmeren Stadtteilen von Paris hat die Polizei immer häufiger Revolten zu unterdrücken, an denen sich sogar Frauen beteiligen sollen. Über die Hilfsaktionen der königlichen Familie, des Adels und der Finanziers schwirren die Spottlieder durch ganz Paris. Daß der König von Schweden zehntausend Franken den Armen stiftete, und für dreimalhunderttausend allein in Sèvres Porzellan kaufte, daß Ihre Majestät fünfhundert Louisd'or für Suppen hergab und Mademoiselle Bertin zu gleicher Zeit tausend für eine neue Toilette – schuldig blieb, – das alles bietet freilich, da es in die breiteste Öffentlichkeit getragen wird, Stoff genug. Man müßte die halbe Bevölkerung von Paris einsperren, wenn man wie früher jeden Witz, jede Beleidigung der Krone und der Kirche bestrafen wollte.

Ich bin zufrieden, in die ungetörte Ruhe meines Laboratoriums zurückkehren zu können. Daß ich den größten Teil der Dienerschaft von Froberg entließ, braucht Sie wirklich nicht zu beunruhigen. Es hieße Tagediebe erziehen, wenn ich sie behalten hätte.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Etupes, den 3. Oktober 1784.

Wie habe ich auf einen Brief von Dir gewartet! Je mehr meine Sehnsucht wuchs, in je glühenderen Farben meine Erinnerung mir das Bild vergangenen Liebesglücks vor die Augen zauberte, um so gewisser wurde mir, daß Delphine mein, ganz mein werden würde!

Und nun diese geheimnisvollen Zeilen: »Erwarte mich in Etupes. Jeder Baum, jede Blume, jede kleine Welle im Teich werden für mich bitten.« Du kommst zu mir und doch bedarfst Du noch irgend welcher Fürsprache?! Aber ich will nicht grübeln, will Dich mit keinem Zweifel verletzen, will nur der seligen Erwartung leben!

Jeden Tag lasse ich die Blumen in allen Vasen durch frische ersetzen, stelle Körbe voll Obst auf den runden Tisch im Gartensaal, fülle, wenn ich einsam vor meiner Mahlzeit sitze, immer zwei Gläser mit feuerrotem Wein. Mit dem Fernrohr sehe ich stundenlang die Straße hinab, stehe, bis der feuchte Herbstwind mich frösteln macht, auf der Terrasse und warte, ob nicht drüben ein Kleid auftaucht, eine Stimme ruft.

Wann wirst Du kommen, Geliebte, um nie mehr weg zu gehen?! Es ist alles bereit!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Etupes, den 23. November 1784.

Und nun bist Du wieder fort! Ein dunkler Trauerschleier, hängt der Nebel über den Gärten, mit geschlossenen Läden trauert das weiße Schlößchen. Ich kann nicht hier sein ohne Dich. Wie auf einem Kirchhof ist es: In jedem Raum, auf jedem Sessel, vor jedem Tisch, – draußen unter den Buchen und Trauerweiden, und tief unten im Teich schlummert ein totes Glück. Die letzten späten Blumen, die Du pflücktest, welken in den Gläsern und füllen mit Modergeruch die Räume, die eben noch Deines Duftes voll waren.

Du überschüttetest mich mit unsagbarer Seligkeit, Du machtest die Tage zu einem süßen Traum der Nacht und die Nächte zu einem Fest der Götter. Warst Du heimlich bei Aphrodite zu Gast und lerntest von ihr den Zaubertrank der Liebe bereiten, der Gedanken bändigt, Zweifel verscheucht, Willen in Ketten legt?

Jetzt erst beginne ich vom Rausch zu erwachen. Sagtest Du nicht: »habe Geduld«? Sprachst Du nicht von ein paar Wochen, oder waren es am Ende gar Monate?!

Du hast also meine Frage nicht beantwortet, die ich Dir stellte, als Du mich damals gehen hießest? Ich saß heute vor dem Tempel der Venus im Regen gelber Blätter; das Lächeln der Göttin erschien mir plötzlich so spöttisch, so – zweideutig.

Delphine, wäre es möglich, daß Du nur mit mir spielst?! Pirch, Chevreuse, Altenau – alle fallen mir ein, deren bloßer Name mich einst zur Verzweiflung brachte, und die ich in Deinen Armen vergaß. Bin ich nur Einer mehr in der Reihe?!

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, am 6. Dezember 1784.

Geliebteste. Daß auch ich Dich quälen mußte, als Du so Böses erfuhrst! Von dem plötzlichen Verschwinden Cagliostros hörte ich. Es kamen mir sogar Gerüchte zu Ohren, daß Rohan sich infolgedessen zu töten versuchte. Er soll alles verloren und andere in den finanziellen Zusammenbruch mit hineingerissen haben.

Was Du, Geliebte, selbst erlebtest, erschütterte mich aufs tiefste. Entsetzlich, wie der Marquis in sinnloser Wut mit dem Hammer sein Laboratorium zerstörte, so daß das Volk, vom Lärm gelockt, vor seinen Fenstern zusammenlief! Und wie muß Dein sanftes Herz geblutet haben, als der Betrogene weinend vor Dir zusammenbrach!

Etwas wie Mitleid mit ihm regt sich sogar in meinem Herzen. Alle Zweifel, alle Vorwürfe, alle Ungeduld will ich zurückdrängen, bis der alte Mann zu sich selbst gekommen sein wird und Du klarer siehst. Für ihn mag es schon jetzt eine Beruhigung sein, daß er nur die Hälfte seines Besitztums verlor; für Dich, meine süße Delphine, ist all das einerlei. Wenn Du zu mir kommst, nur vom schimmernden Seidenmantel Deiner Haare umhüllt, bringst Du mir den unerschöpflichsten Reichtum der Erde.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Montbéliard, am 15. Januar 1785.

Du kehrst nach Laval zurück, so plötzlich?! Deine Schrift zittert auf dem Papier, als hätte Dein Herzschlag die Feder regiert? Ich folge dem Boten auf dem Fuße.

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, den 17. Januar 1785.

Meine Liebe. Ihre Mitteilung hat mich weniger überrascht, als Sie geglaubt haben. Schon vor drei Jahren hat mich der Kardinal auf Ihre Beziehungen zum Prinzen Montbéliard aufmerksam gemacht. Ich hielt sie damals nur für eine Liaison mehr und war überzeugt –, nicht nur im Vertrauen auf den Ausspruch Cagliostros, sondern auch in Erinnerung an die schnelle Verabschiedung Ihrer früheren Liebhaber –, daß Sie um so eher ein Ende machen würden, je rascher ich Sie zur beneidetsten Frau Europas zu machen imstande wäre. Ich habe mich nach beiden Richtungen getäuscht und wenn trotzdem mein Glaube in die hellseherischen Fähigkeiten des Grafen eine Stärkung erfuhr, so deshalb, weil er Ihnen, wie Sie Sich erinnern werden, noch ein Kind prophezeite, von dem ich allerdings fälschlicherweise annahm, daß es auch das meine sein würde.