Ich kann mir die Arbeit nicht leisten

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4. Rückblick

Frank-Peter Sommer hatte vor seiner Arbeitslosigkeit fast zwei Jahre lang in einer mittelständischen Firma gearbeitet, die Schaltschränke produziert. Nach kurzer Montagetätigkeit in dieser Firma, die ihm durch eine Zeitarbeitsfirma vermittelt worden war, kam er mit dem Meister Karlheinz Jungnickel ins Gespräch. Karlheinz Jungnickel las in seiner Mittagspause immer Bücher. „Was für Bücher liest du da“, fragte er ihn. „Eigentlich alles“, antwortete er, „nur gut muss es sein“. Bei diesen Gesprächen erfuhr Karlheinz Jungnickel von Frank-Peter Sommers Computerkenntnissen und seiner Qualifikationen und delegierte ihn ins Büro, wo gerade ein Engpass bei der Computerbearbeitung der Revisionsunterlagen eingetreten war. Mit kurzer Anlernzeit konnte er mithalten, weil er mit einem ähnlichen Computerprogramm bereits Erfahrungen hatte. Später wurde er gebeten, eine Bewerbung zu schreiben. Von sich aus wäre er keinesfalls auf diese Idee gekommen, soweit lag sie außerhalb seiner Vorstellungskraft. Frank-Peter Sommer wurde dank seiner Ingenieurausbildung als Techniker fest eingestellt und erhielt den Auftrag, ein neues CAD-Programm in der Firma einzuführen. Diesem Programm war intuitiv sehr schwer beizukommen, die zweitägige Schulung mit zehn Projektanten lieferte nur Einstiegsinformationen zu Idealprojekten. Einen großen Teil seiner Freizeit nutzte er in den kommenden Wochen und Monaten, um sich über Internetforen und andere Quellen mit diesem Programm zu beschäftigen. Der Durchbruch war nicht einfach, einige Male schien die Stimmung in der Chefetage schon gegen dieses Programm zu pendeln, zumal überzogene Erwartungen damit verknüpft waren. Diese bestanden unter anderem aus unklaren Forderungen zu Standardisierungen, an denen sich einige Bereichsleiter seit Jahren erfolglos versuchten. Sicher hatten sie selbst schon eine Menge Zeit und Herzblut in derartige Ziele eingebracht, aber selbst mit ihren Erfahrungen, die nach Jahrzehnten zu messen sind, gelang ihnen bisher nicht einmal eine Einführung im kleinen Stil. Nun, mit dem neuen Programm konnte man die schwere Last von den Schultern werfen und dann jemand verantwortlich machen, wenn es nicht klappt. Die zweite überzogene Erwartung war, dass auf Knopfdruck die Unterlagen in einer anderen Sprache ausgegeben werden sollten. Erst einmal muss hierzu alles Erforderliche dem Computer beigebracht werden. Und letztendlich waren die Chefetagen davon überzeugt worden, dass ebenfalls auf Knopfdruck verschiedene Darstellungsarten der notwendigen Unterlagen bereit stehen. Vielleicht ist das in einer späteren Version des Programms problemlos möglich, aber hier galt es, Neuland zu betreten und alle Programmschritte einzeln vorzubereiten. Für jedes Schaltzeichen, das nicht standardmäßig als Zeichnungssymbol vorhanden war, musst selbiges erstellt werden und sorgte bereits hier für Kontroversen in den verschiedenen Betriebsebenen und bei den Projektanten. War dem einen ein Symbolelement zu groß, meinte der andere, er könne es nicht erkennen. Man kann es sicher nicht jedem Recht machen und an dieser Stelle hatte Frank-Peter Sommer weder die Autorität noch die Unterstützung von jemanden mit einer solchen und so begannen die verschiedenen Leitungsebenen sich in Details zu verlieren, ohne den mit dem neuen Programm erreichbaren Produktivitätsschub zu begreifen. Auch die Arbeitsverteilung in der Projektierung war eine Widerspiegelung der inneren Hierarchie und sorgte für ein angespanntes Betriebsklima.

Schließlich war Frank-Peter Sommer jedoch so sattelfest im Umgang mit dem CAD-Programm, dass er die Projektanten nun selbst schulen und relativ schnell erforderliche neue Artikel in die Datenbank eingliedern konnte. Auch gelang es ihm zusehends, Fehler der Projektanten im Umgang mit dem Programm zu lokalisieren und Standards durchzusetzen. In der Firma gab es jedoch in verantwortlichen Stellen einige Mitarbeiter, die diesem Programm grundsätzlich ablehnend gegenüber standen. Auch zählte Frank-Peter Sommer nicht zum inneren Zirkel seines unmittelbaren Chefs Peter Peisker, teilte mit ihm nicht die Rauchpausen. Frank-Peter Sommer war schon immer Nichtraucher. Ein junger Projektingenieur, Mathias Biedermann, der weder über Erfahrungen noch über sonderlich gefestigtes Fachwissen verfügte, schaffte es mit einer Art Bauernschläue, dem Chef, der ihm im Großraumbüro am Schreibtisch gegenüber saß die Fragen so zu stellen, dass dieser ihm die Lösung seiner Probleme praktisch vorkaute. Die Schleimspur war schon sehr breit, die dieser Kollege legte und die meisten anderen Kollegen außer dem Chef selbst merkten dieses angewidert. Der Choleriker Marco Haferkorn sonnte sich regelrecht in seinen Posen über die Widersprüche, die das Computerprogramm noch hatte und profilierte sich als oberschlauer Projektant. Marco Haferkorn beherrschte das Vorgängerprogramm dieses CAD-Programms, aber nicht als CAD-Programm, sondern in einer von ihm vergewaltigten Form als Zeichenprogramm. Jeden Fehler von Frank-Peter Sommer, auch vermeintliche und solche, die Marco Haferkorn wegen seiner Arroganz und seiner Lernunwilligkeit für das neue Programm als Fehler zu deuteten neigte, trug er in extra organisierten Tratschrunden in die nächste Instanz. Michael Dobrindt, der mit keinem der verwendeten Computerprogramme richtig klar kam, erst recht nicht mit dem CAD-Programm, entwickelte sich ebenfalls zur Betriebsbremse. Seine offensichtlichen eigenen Schwächen schob er nach der Methode „haltet den Dieb“ immer lauter auf das Programm und dessen Unvollkommenheit. In der Tat gab es einige wenige Probleme mit diesem Programm, die jedoch auch dank seiner Zusammenarbeit mit der Softwarefirma und einem sehr engagiertem Forum mit jedem update geringer wurden, aber mit denen Michael Dobrindt nie auch nur im Entferntesten konfrontiert wurde. Es war die Faulheit einiger Projektanten, einmal gelerntes mit dem geringsten Aufwand immer wieder zu verwenden und sich gegen alle Neuerungen zu sperren. Wer klug genug war, konnte sich ausmalen, dass bei sachgemäßer Anwendung des neuen CAD-Programms die Projekte in wesentlich kürzerer Zeit erstellt werden konnten und letztlich einige der Projektanten nicht mehr benötigt werden würden. In der Abteilung gab es auch Kollegen, die mit Frank-Peter Sommer sehr gut und auch gern zusammen arbeiteten und die mit dem Programm zunehmend erfolgreicher wurden. Kurz, es gab eine Reihe von ungelösten Problemen und es waren in der Chefetage Begehrlichkeiten entstanden, die Frank-Peter Sommer als Einzelkämpfer nicht einlösen konnte.

Als 2009 die vermeintliche Krise ihre Tentakel auch nach dem Mittelstand streckte wurde seitens der Geschäftsleitung die Gelegenheit genutzt, einige eingefahrene Wege zu verlassen und die Weichen in der Firma neu zu stellen, wie sie von den firmeneigenen Lobbyisten langfristig vorbereitet worden waren. Sehr viel später erfuhr Frank-Peter Sommer auf der Handwerkermesse „eva“ von einer Vertreterin der Softwarefirma: „Ach ja, sie waren doch derjenige, der in dieser Firma die Software zum Laufen gebracht hatte und als alles lief, hat man sich ihrer entledigt“. So wurde das Geld für die sicher sehr teuren Lizenzen des CAD-Programms gekürzt und sein Arbeitsplatz gestrichen. Seine über die Stechkarte nachweisbaren Überstunden konnte er nicht mehr abfeiern, bekam dafür auch keinen finanziellen Ausgleich. Etwa drei Arbeitstage musste er so dem Unternehmen schenken, das nicht einmal ein Dankeschön für sein Engagement übrig hatte. Heute werden in Deutschland Arbeitnehmer wegen des Verzehr einer Maultasche, die sonst in den Müll wandert oder eines eingelösten Pfandbons von weniger als einem Euro fristlos gekündigt, hier bemächtigt sich der Arbeitgeber an etwa fünfundzwanzig Stunden geleisteter Arbeitszeit zum Nulltarif, ohne das rein rechtlich die gleichen Normen wie für Arbeitnehmer gelten. Für Frank-Peter Sommer war es schon die zweite Erfahrung dieser Art, diese jedoch eher in einer für ihn banalen Größenordnung.

Die erste Erfahrung dieser Art hatte Frank-Peter Sommer, als er bei einer kleinen Elektrofirma arbeitete. Im Radio hörte er vom Fachkräftebedarf einer Elektrofirma, reagierte sofort und meldete sich beim Radiosender. Dort bekam er die Firmenanschrift, telefonierte umgehend mit dem Firmeninhaber und wurde eingeladen. Die Firma bestand neben dem Chef Otto Hermenau und dessen Ehefrau, welche die Buchführung übernommen hatte, aus einer Sachbearbeiterin, einer Praktikantin als Sekretärin, aus einem selbstständigen Mitarbeiter Falk Schuster, der neben seiner eigenen Selbstständigkeit 30 Wochenstunden ausschließlich für Antennen- und Telefonanlagen zuständig war und aus dem einzigen Elektriker Heinrich Keller. Ab und zu orderte der Chef noch die Hilfe des Sohnes des ehemaligen Firmeneigners Hilmar Keitel, dessen Namen die Firma noch verwendete und der seinerseits selbständiger Elektromeister war. Frank-Peter Sommer wurde auf der Basis einer 35-Stunden-Arbeitswoche eingestellt, natürlich mit sechs Monaten Probezeit. Mit Heinrich Keller war er also in dem Zweimannteam, das für vier unproduktive Planstellen die Kosten einspielen durfte. Seine Lohnkosten wurden zum überwiegenden Teil von der Arbeitsagentur getragen. Otto Hermenau war ein absoluter Pedant, der mit unrealen zeitlichen Vorgaben seine mangelhafte Kompetenz mehr als einmal unter Beweis stellte. Der Chef hatte auf den Baustellen niemals selbst mit gearbeitet, nur hin und wieder war er zu Kontrollen erschienen. Auf einer Baustelle eines seiner Bekannten wurde das gesamte für diese Baustelle zu verwendende Material in einem der Kellerräume eingelagert, die Baustelle aber immer wieder für eine oder zwei Wochen verlassen, weil der Bauherr den überwiegenden Teil der Bauarbeiten in Eigenleistung realisierte. Frank-Peter Sommer erfuhr durch seinen Kollegen, dass Otto Hermenau fast einen ganzen Tag seine beiden Büromädels sämtlich Lieferscheine für diese Baustelle durchsuchen ließ um am Ende festzustellen, dass ein Kleinteil von etwa 40 Cent verschwunden war. Die obligatorische Reaktion des Chefs war ein winziger Zettel in der für Frank-Peter Sommer bestimmten Ablage, auf der „bitte Rücksprache“ stand, oder in diesem Fall: „wo ist das Material mit der Bestellnummer xyz?“. Die Nummer sagte ihm nichts, er hatte das Material weder bestellt noch eine Übersicht, welche Bestellnummern die einzelnen Artikel hatten. Frank-Peter Sommer ignorierte erst einmal diesen unsinnigen Zettel, zumal die Rücksprachen in der Regel bedeuteten, dass nach Feierabend in der Firma angetanzt werden durfte. Die Schreibweise auf dem Zettel wurde aggressiver, die Rücksprache wurde zwingend vom Chef verlangt. Nun erfuhr er auch, um was es sich bei der angegebenen Bestellnummer handelte, ein kleines Zwischenrähmchen für einen Schaltereinsatz. Die Frage des Chefs nach dem Verbleib des verschollenen Teils war in einer unterstellenden Form: „Wo haben sie das fehlende Teil?“ „Mir geht das in diesem Fall nichts an“, antwortete er. „Die Baustelle war auf ihre Veranlassung mehrmals für längere Zeit verlassen worden, für das Material gab es keinen gesicherten Raum und außerdem ist der finanzielle Verlust durch die Beschäftigung von zwei Leuten fast über einen ganzen Tag zum Aufspüren dieses „Vorkommnisses“ ungleich größer als der vermeintliche Materialverlust.“ Frank-Peter Sommer beteuerte noch einmal, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und mit den Zetteln von Otto Hermenau nichts anfangen kann. Bestimmt war das der Anfang vom Ende, wenn es Otto Hermenau nicht schon von vorneherein darauf angelegt hatte, ihn nur über den Zeitraum des von der Arbeitsagentur bezuschussten Lohnanteils zu beschäftigen. Sein Arbeitsvertrag war über täglich 35 Stunden abgeschlos- sen worden, was sich in der Praxis als nicht durchführbar zeigte. Er konnte nicht nach sieben Stunden sein Werkzeug fallen lassen, zumal er die erste Zeit mit Heinrich Keller zusammen arbeitete. Die Arbeitzeit betrug in der Regel 9 … 10 Stunden, um dem Aufgabendruck zu entsprechen. Für Frank-Peter Sommer waren diese überzähligen Stunden Bestandteil seines Überstundenkontos, dass er wöchentlich dem Chef zu melden hatte. Mehrmals musste er die Ehefrau des Firmeninhabers, die für die Buchhaltung zuständig war, anmahnen, ihm wenigstens am Jahresende eine Übersicht seiner Überstunden zu bestätigen, versprochen war ihm das monatlich. Die erste dieser Überstundenübersichten wies ein gehöriges Manko zu seinen Lasten auf und machte Frank-Peter Sommer das erste Mal stutzig. Nach seiner Intervention wurde es halbherzig korrigiert.

 

Zu den einzelnen Projekten gab es in dieser Firma keine Arbeitsberatungen und keinerlei Projektabsprachen, die erforderlichen Unterlagen wurden nur ungenügend bereitgestellt, einige zu erbringende Leistungen waren aus den Unterlagen gar nicht zu entnehmen. Nur Heinrich Keller wusste aus seiner langen Zeit in der Firma, was dann zu machen war. Frank-Peter Sommer konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass nach seiner Probezeit, die gleichzeitig das Ende der Förderung durch das Arbeitsamt bedeutete, eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht gewünscht war. Als einmal neue Schaltertypen einzubauen waren, informierte der Chef nur den „Altknecht“ Heinrich Keller zu den Anschlussdetails, Frank-Peter Sommer durfte dem Gespräch nicht beiwohnen und wurde zwei Meter weiter an die „Arbeit“ verwiesen. Dann erfuhr er, dass bereits neue Mitarbeiter gewonnen worden waren, die aber niemals Kontakt zu Heinrich Keller und ihm hatten und auf „heimlichen“ Baustellen beschäftigt wurden. Obwohl ein Firmenfahrzeug ungenutzt in einer der Nebenstraßen parkend abgestellt war, musste Frank-Peter Sommer die ersten vier Monate zu allen Baustellen mit seinem privaten PKW fahren. Erst als die damit verbundenen Materialtransporte von ihm mit dem Hinweis, dass sein PKW kein Bestandteil der Firma sei, abgelehnt wurden und Heinrich Keller nun auch Frank-Peter Sommer auf abgelegenen Baustellen, auf denen er allein arbeitete, mit Material versorgen musste, bekam er das Firmenauto. Heinrich Keller hatte sich beim Chef beschwert, weil seine eigene Arbeit dadurch ineffektiv wurde, zumal die Baustellen oft weit auseinander waren. Der Firmenwagen, ein Renault Rapid, war ihm bereits mit der Einstellung zugesagt worden. Viel zu lange hatte er gewartet, dass der Chef seiner Zusage von selbst nachkam. Gespräche mit dem Arbeitgeber Otto Hermenau waren so gut wie nicht möglich und wenn es doch einmal klappte, endeten sie in formalen Kleinigkeiten.

Der ungerechtfertigte Leistungsdruck durch unrealistische Zeitvorgaben und das zunehmende Mobbing verursachten ernsthafte gesundheitliche Probleme. Ganz schlimm wurde es, als Heinrich Keller zu einer Leistenbruchoperation ins Krankenhaus einrückte und Frank-Peter Sommer ohne richtige Übergabe angefangene Objekte allein fertig stellen musste. Innerhalb von zwei Monaten hatte er einen Gewichtverlust von über zehn Kilogramm zu verkraften. Frank-Peter Sommer zog die Notbremse und kündigte nach genau sechs Monaten. Lange versuchte er, die ausstehenden Bezüge einzufordern, wurde anfänglich hingehalten, später wurde ihm mitgeteilt, dass er keine Forderungen mehr hätte. Seine geleisteten Überstunden waren plötzlich weg, sie wären angeblich niemals angewiesen worden. Die Urlaubstage des alten Jahres waren von Gesetzes wegen und seiner Unkenntnis über die besondere Gesetzeslage ohnehin futsch und Frank-Peter Sommer zog vor Gericht. In weiten Teilen seiner Forderungen bekam er Recht, aber lange nicht die ausstehenden Bezüge. Seinem ehemaligen Chef wurden dagegen einmal die Grenzen der Willkür aufgezeigt, ohne fraglich die Konsequenzen dazu voll auszuschöpfen. Rechtsstaat Deutschland! Warum zum Teufel gibt es eine besondere Rechtssprechung für die Mitnahme des Urlaubsanspruchs ins nächste Jahr während der Probezeit? Beschäftigten in der Probezeit steht während der Probezeit kein Urlaub zu, wohl aber Urlaubsanspruch. Das heißt übersetzt, die Tage gehen nicht verloren. Im Unterschied zu „normalen“ Beschäftigten muss der Beschäftigte während der Probezeit aber im alten Jahr seinen Urlaubsanspruch geltend machen. Nur dann, und das steht im Gesetzbuch, hat er ein Anrecht, seine Ansprüche ins neue Jahr zu retten. Wer also am 01. Juli einen neuen Job beginnt und ein halbes Jahr, wie fast überall üblich, Probezeit hat, die dann am 31. Dezember des Jahres enden würde, kann in seinem Arbeitsvertrag bereits lesen, dass es in dieser Zeit keinen Urlaub gibt. Es steht aber nicht drin, dass er diesen trotzdem beantragen muss! Schon hier beginnt mit juristischem Rückenwind eine schreiende Ungerechtigkeit. Auf diese Art und Weise hatte Frank-Peter Sommer weit über eintausend Euro als Verluste zu verbuchen. Normale Praxis in den Betrieben ist, dass der Urlaubsanspruch bis 31. März erhalten bleibt.

5. Der neue Start

Der neue Start ins Berufsleben war fast überstürzt. Am 31. 05. 2010 bekam Frank-Peter einen Anruf. Ein privater Arbeitsvermittler versprach Arbeit schon am nächsten Tag. Auch ein vorwiegend regionaler Einsatz stelle kein Problem dar. Bereits für den Nachmittag wurde „vor den Räumlichkeiten“ des künftigen Arbeitgebers ein Termin vereinbart, man wolle anschließend gemeinsam zu dem Arbeitgeber gehen. In der Praxis gestaltete sich das so, dass direkt in den Räumlichkeiten einer Zeitarbeitsfirma der erste Kontakt stattfand. Nach der Erteilung der Genehmigung zur Vermittlung an die Zeitarbeitsfirma und Einbehalt des Vermittlungsgutscheines wechselte lediglich der Gegenüber. Später konnte Frank-Peter aus einer unbedachten Äußerung der Chefin der Zeitarbeitsfirma die Erkenntnis gewinnen, dass der private Arbeitsvermittler quasi ein Angestellter der Zeitarbeitsfirma war oder zumindest mit dieser kungelt, und nur für die Abfassung des Vermittlungsgutscheines ein Gewerbe eingetragen hatte.

Diese Zeitarbeitsfirma in Teuma ist im Tarifverbund der christlichen Gewerkschaft organisiert. Während der Einarbeitungszeit gibt es, wie schon berichtet, regulär keinen Urlaub, jedoch Urlaubsanspruch auf der Basis von zwanzig Tagen im Jahr. Eventuell benötigter Urlaub ist separat zu vereinbaren. Aus einer früheren Pleite mit Totalverlust des Urlaubs während der Einarbeitungszeit wusste Frank-Peter, dass die Juristen eine böse Stolperfalle eingebaut hatten. In der Probezeit wird der Urlaub nicht, wie allgemein üblich, automatisch bis Ende März ins nächste Jahr übernommen, er muss definitiv beantragt werden, obwohl Urlaub während der Einarbeitungszeit ausgeschlossen ist3. Fatal für eine halbjährliche Probezeit, die am ersten Juli eines Jahres beginnt. Die Urlaubstage werden indes angesammelt. Nur dann, wenn der Antrag abgelehnt wird, weil er ohnehin nicht angetreten werden kann gilt, dass der Urlaubsanspruch die übliche Frist bis Ende März erhalten bleibt. Wer macht solche Gesetze, die einmal unverständlich sind, nicht allgemein bekannt gemacht werden und zum anderen die bereits Benachteiligten noch einmal bestraft? Der bekannte deutscher Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) schrieb: Gesetze verraten nicht das, was ein Volk ist, sondern das, was ihm fremd erscheint“

Der Tarif der christlichen Gewerkschaft wurde im Nachhinein im Internet gefunden, ausgedruckt und studiert. Er erwies sich rückständiger als der allgemeine gewerkschaftliche Zeitarbeitstarif. Auch der Arbeitsvertrag enthielt nach genauem Studium einige „Eier“ und zeigte sich in einigen Passagen unverständlich. So sollte bei einer vorzeitigen Kündigung eine Vertragsstrafe gezahlt werden!


Was ist eine vertragswidrige Kündigung und was versteht man unter ‚Arbeitstage bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist’?

Die Probezeit wird grundsätzlich in der niedrigsten finanziellen Eingruppierung begonnen. Wenn Arbeitnehmer generell nach der Probezeit, so sie sich nicht als Eier legende Wollmilchsauen entpuppen, entlassen werden (genügend arme Schweine stehen bereits in den Startlöchern), braucht die Staffelung des Tarifs niemals ausgeschöpft zu werden. Interessant ist das dann auf dieser Lohnbasis erzielbare Arbeitslosengeld! Organisierte und verordnete Spirale der Armut! Unbekannt ist, wie ausgewiesene Spezialisten den Leihfirmen gegenüber dargestellt und abgerechnet werden.

Mit einem glaubhaft vorgebrachten Arztbesuch am 03. 06. 2010 konnte Frank-Peter die Arbeitsaufnahme am kommenden Tag abwenden. Der organisatorische Aufwand für bereits geplante und gebuchte Termine in dieser Woche brauchten also nicht neu aufgerollt werden, obwohl seitens der Chefin der Arbeitszeitfirma eine Variante mit sofortigem Start und Freistellung für den 03. 06. 2010 ins Spiel gebracht worden war. Nach erneuter Rücksprache mit der Elektrikerfirma reicht der Start am 07. 06. 2010, weil wegen Bauverzugs ein früherer Einsatz eh nicht möglich war. Frank-Peter schaute im Internet nach der Adresse der Elektrikerfirma und fuhr auch schon mal hin, damit nicht unvorhergesehene Dinge, wie Umleitungen oder ähnliches die geplante Fahrzeit außer Kontrolle bringen würden.

Am Donnerstag konnte somit die lange geplante Fahrt zu den Verwandten erfolgen. Dort bekam Frank-Peter einen Anruf, ob er nicht doch am Wochenende in die Geschäftsstelle kommen könne. Mann bat ihn inständig, im Rahmen der abgesprochenen Ausnahme, eine Woche als Urlaubsvertretung Montage in den alten Bundesländern zu übernehmen. Nun bekannte Frank-Peter, dass er nach Wahrnehmung seiner medizinischen Termine das Wochenende anders genutzt habe und nicht in der Region sei. Die Urlaubsvertretung würde er übernehmen, alle Daten dazu sollten per E-Mail zugesandt werden. Daraus entnahm Frank-Peter, dass er am Montag den 07. 06. 2010 früh 05 : 00 Uhr im über 300 km entfernten Buscheck hinter Kassel bei Ullrich Geibel, Inhaber einer Elektrikerfirma, erwartet wurde. Das Navi in Frank-Peters Auto war bestimmt mit einer rund zehn Jahre alten Software ausgerüstet und kannte die neue Autobahn A 38 nicht, die eine direkte Verbindung von Leipzig nach Göttingen bot. Von dort ist es nicht weit bis Kassel. Unterwegs kam die Meldung: „kann Route nicht berechnen“, die mit OK bestätigt wurde. In Kenntnis dessen, dass nach Göttingen Kassel anvisiert werden sollte, war eine Fahrt nach Ausschilderung möglich. Bei einem Stau wurde das Navi überprüft: es hatte sich abgeschaltet. Die erneute Eingabe der gespeicherten Zieladresse führte glücklicherweise zum pünktlichen Erscheinen.

Buscheck war eine einzige Baustelle, alle Straßen waren gesperrt. Große Radlader versperrten die Zufahrten in den Ort und riesige Rohre lagen neben den Erdwällen der aufgebrochenen Straße, um irgendwann darin verbaut zu werden. Das hatte schon der Firmenchef in einem Telefonat am Tag vorher bemerkt und ein Abholen angeboten. Frank-Peter nutzte dieses. Als Ullrich Geibel mit seinem 5er BMW Touring erschien, vernahm Frank-Peter eine deutliche „Fahne“. Ullrich Geibel muss am Tag zuvor ordentlich gefeiert haben. Von Buscheck ging es mit einem Firmenfahrzeug weiter Richtung Bonn, nachdem der Angestellte des Firmeninhabers, Freddy geweckt worden war. Freddy erklärte später, dass er sich grundsätzlich wecken lässt, weil die Absprachen zum Arbeitsbeginn durch den Chef in der Regel nicht eingehalten werden. Die Baustellen waren allesamt Finger-Häuser, eine Holzständer-Fertighauskonstruktion. Bereits am zweiten Tag der Errichtung, das Erdgeschoss ist in der Regel bereits auf der Bodenplatte oder dem Kellergeschoss erstellt und das Obergeschoss wird gerade errichtet, müssen die Elektriker auf die Baustelle, um bei gegenseitiger Behinderung mit den Rüstern mit der Installation zu beginnen und der Hausbaufirma den Vorteil einer Zeiteinsparung von 1 … 2 Tagen zu ermöglichen. Innerhalb von etwa zwei Tagen ist die gesamte Elektrik verlegt und bereits die meisten Installationsgeräte, wie Schalter und Steckdosen verdrahtet. Alle elektrischen Arbeiten sind soweit beendet, dass der Estrichbeton im Inneren auf die Bodenplatten gegossen werden kann und der Trockenbau von Decke und Wänden von den Rüstern beendet werden kann. Der Zeitdruck forderte auch Opfer. Einer der Rüster hatte sich versehentlich mit dem Luftdrucknagler an einer Dachlatte festgeschossen. Da die Nägel einen eingewalzten Drall gegen unbeabsichtigtes Lockern haben, konnte man ihn auch nicht so einfach herausziehen. Deshalb wurde die Dachlatte rund um den festgenagelten Finger heraus gesägt und mit zum Arzt genommen. „Der Knochen ist angeschrammt“, lautete kurz die Information zur Diagnose. Was der gebeutelte Monteur beim Arzt alles gesagt hat, entzieht sich Frank-Peters Kenntnis. Er muss aber so gekonnt geschwindelt haben, dass sich die Balken gebogen haben, denn normalerweise kommt nach jedem Unfall die Berufsgenossenschaft. Das blieb dieser Baustelle aber erspart, nur der arme Schlucker musste nach Hause.

 

Am ersten Tag waren Restarbeiten an zwei nebeneinander errichteten Häusern in der Nähe von Bonn erforderlich. Abgeschlossen werden konnten diese nicht, weil eine Schalterabdeckung fehlte. Mit einer entsprechenden Mängelliste bekam Freddy die Unterschrift eines der Bauherren. Der Zweite verweigerte sie mit dem Hinweis, dass er sich erst einmal in Ruhe alles durchlesen und auch im Haus kontrollieren müsse. Von diesem Bauherren berichteten die Rüster folgende Geschichte, die schnell unter allen Beschäftigten, nicht nur dieser Baustelle die Runde machte: Die Ehefrau des Bauherren kam eines tags auf die Baustelle. Die Putzer, die gerade Restarbeiten an der Fassade ihres Hauses erledigt hatten und nun am direkt daneben liegenden Haus arbeiteten, hatten ein Radio am Baustellenstrom der Bauherrin angeschlossen. Lauthals und mit unangemessenen Worten beschwerte diese sich darüber, wieso von ihr Strom genommen würde, obwohl am Nachbarhaus gearbeitet wird! Später wurde auch bekannt, dass dieser Bauherr, ein Lehrer, genau berechnet hatte, dass ihm durch die vom örtlichen Stromanbieter verschuldete verspätete Abschaltung des Baustroms über vierzehn Euro Verlust entstanden seien, die dieser nun durch die Installationsfirma ersetzt haben wollte. Kopfschütteln unter den Bauleuten war die geringste der daraufhin einsetzenden Reaktionen. Auf der nächsten Baustelle bekam Frank-Peter mit, wie Freddy die Bauherrin großmäulig überzeugte, auf die im Projekt ausgewiesenen Niederspannungslampen, im Volksmund „Spots“ genannt, im Bad zu verzichten. Absolut bestimmend, ja fast schon überheblich sprach er mit der Bauherrin. „Haben sie sich das gut überlegt mit den Niederspannungslampen im Bad? Sie wissen schon, dass damit nur eine punktuelle Beleuchtung stattfindet? Die Lampen haben eine relativ geringe Lebensdauer und die Verhältnisse im Bad reduzieren diese noch weiter. Vor allem eins, ihr Haus besteht aus Holz und die Wärmeentwicklung der Lampen könne vor allem bei einer Störung eine Gefahr für das Haus bedeuten!“ Die Bauherrin lenkte ein. Frank-Peter sprach anschließend mit Freddy, dass er bei bisherigen Baustellen in solchen Fällen in die Gipskartondecke Zusatzgehäuse aus Glasfaser-Gips einbauen musste. „Halt´ die Klappe“, meinte Freddy. „Ich weiß, was es alles gibt, habe aber keine Lust, so etwas einzubauen. Das ist alles Mehraufwand!“ „Ist schon OK, im Beisein der Bauherrin würde ich so etwas auch nicht erzählen“, antwortete Frank-Peter. Freddy, ein sportlicher junger Typ von 26 Jahren, war nicht zimperlich im Umgang mit den Kunden. Er trat dominant auf und duldete keinen Widerspruch. Es ist eigenartig, dass die Bauherren sich von ihm wegen nicht vorhandener eigener Fachkompetenz einlullen ließen. Freddy sammelte auch die Schnittreste des Kupferkabels ein, die er privat zu Geld machte. An den Wochenenden verdient Freddy mit Schwarzarbeit, wie er stolz berichtete, eine Menge Geld. Mit seinem Chef hatte er ein herzliches Verhältnis, aber erst, nachdem beide hart aneinander geraten waren und Freddy kündigen wollte. Bei gelegentlichen gemeinsamen Arbeiten mit dem Chef, so berichtete Freddy, habe er diesen immer regelrecht vorgeführt. Er habe weniger Fehler als der Chef gemacht und war auch bedeutend schneller. So hat dieser wohl erkennen müssen, dass er schlecht auf Freddy verzichten konnte. Am Ende der Woche kam die Hiobsbotschaft: die Montage soll um eine weitere Woche verlängert werden, weil nur dann die Urlaubsvertretung richtig abgesichert ist. In dieser zweiten Woche wurden Häuser im Umfeld der Firma installiert. Die Hinfahrt war auch wieder von Problemen des Navis geprägt, die 80 km Umweg brachten und die eingeplante Zeitreserve bis auf die letzte Sekunde aufzehrte.

Diese Woche arbeitete Frank-Peter mit Torsten, dem Altknecht in der Firma. Torsten lebte seit vielen Jahren mit seiner Partnerin in einer Lebensgemeinschaft, die leider kinderlos blieb. Eine Heirat kommt für ihn heute aus steuerlichen Gesichtspunkten nicht mehr in Frage. Seine Partnerin ist Vertreterin und dadurch zeitlich straff eingespannt. Ein so genanntes Familienleben gibt es nur an den Wochenenden, die Woche über machte jeder seins, auch wenn, wie in diesem Fall, Torsten in unüblicher Manier jeden Tag nach Hause kam. Frank-Peters Übernachtung war im 15 km entfernten Goldenhagen organisiert worden. Jeweils am Morgen wurde ein Lunchpaket bereitgestellt, üppig bezüglich Wurst, schließlich war die Unterkunft auch gleichzeitig eine Schlachterei. Mit einer trockenen Brotscheibe in der einen und einer Wurst in der anderen Hand wurde in der zehnminütigen Frühstückspause, die man sich als einzige Pause am Tag auf Kosten des Chefs gönnte, nicht gerade der kulinarische Höhepunkt erreicht, von hygienischen Bedingungen ganz zu schweigen. Torsten war mit Frank-Peters Arbeit zufrieden. Frank-Peter gab sich leidlich Mühe, fragte, wenn er Dinge nicht verstand. Vor allem waren das Sachen, die Frank-Peter von anderen Baustellen anders kannte und die ihm dort, wenn er so wie hier arbeiten würde, mehr als nur Ärger eingebracht hätten. Dafür war es hier unumgänglich, in die Glasisolierung zu greifen und die Leitungen zwischen Glasisolation und Deckenlattung entlang zu ziehen. Die mikroskopisch feinen Glasbruchstücke verursachten einen ständigen Hustenreiz und ein Jucken am ganzen Körper. Vielfach kamen in den Folgetagen vermutlich Reste der Glasisolierung in kleinen schmerzhaften Pusteln an den Armen und den Händen wieder aus dem Körper heraus.