Hitlers Theologie

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3. Der „nationalsozialistische Kult“

Dass der Nationalsozialismus den Kirchen auch auf ihrem eigenen Gebiet, der religiösen Formierung des Lebens, Konkurrenz machte, fiel ihnen bald auf. Vor allem die „neu-heidnischen“, gerade in der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung starken anti-christlichen Tendenzen beunruhigten die Kirchen. Man hatte davor gewarnt, dass sich „eine neue Weltanschauung an die Stelle des christlichen Glaubens setzen“26 wolle. Zumal diese nicht nur Theorie und „Weltanschauung“ blieb, sondern auch alternative religiöse Praktiken hervorbrachte.

Dabei erwies sich der Versuch des Nationalsozialismus, unmittelbar in christliche Domänen, etwa das Weihnachtsfest, einzudringen, als nicht sehr erfolgreich: Er blieb im Wesentlichen auf die eigene Kernanhängerschaft beschränkt. Es gelang etwa nie wirklich, christliche Weihnachtslieder flächendeckend durch sublim nationalsozialistische Neuschöpfungen ohne christlichen Bezug („Hohe Nacht der klaren Sterne“)27 zu ersetzen.28

Erfolgreicher war da schon der umgekehrte Weg: der Import christlicher und außerchristlicher Ritualtraditionen (Weihen, Prozessionen, Wallfahrten, Gedächtnisfeiern) in die nationalsozialistische Herrschaftspraxis. Dass zur nationalsozialistischen Herrschaftstechnik kultische Inszenierungen auf den verschiedensten Ebenen und in den verschiedensten Varianten ganz wesentlich gehörten, das wurde früh erkannt und in den letzten Jahren auch detailliert analysiert.29

Das Spezifische des Nationalsozialismus waren dabei nicht nur die Monumentalität und der hemmungslose Wirkungswillen, sondern auch die Radikalität, mit der neueste technische Mittel für die kultischen Inszenierungen eingesetzt wurden. Spektakuläres Beispiel dieser Inszenationskraft und technischen Innovationsphantasie sind etwa die „Lichtdome“ der Reichsparteitage. Am Abend des fünften Tages stand die nächtliche Weihestunde der „Politischen Leiter“, also der kleineren und mittleren Parteifunktionäre, auf dem Programm. Seit der Premiere des „Lichtdoms“ 1934, beim „Reichsparteitag des Willens“, galt diese von Albert Speer geschaffene imaginäre Kathedrale als Höhepunkt jedes Parteitages und als Intensiverfahrung der nationalsozialistischen Liturgie.

Mit Einbruch der Dämmerung formierten sich über 100 000 Funktionäre in einem dichten braunen Block auf dem „Zeppelinfeld“ des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes; auf den Tribünen um sie herum wartete noch einmal die gleiche Zahl an Zuschauern. Ein Fanfarenstoß kündigte Hitler an. Hunderte rote Parteifahnen flatterten im Wind, angestrahlt auch sie. Der Säulengang der Haupttribüne war von innen indirekt ausgeleuchtet, auf den Eckpfeilern der Tribüne loderten Feuer.

Just zu dem Zeitpunkt, da Hitler die Tribüne hinaufschritt, entstand der riesige „Lichtdom“. Im Abstand von zwölf Metern waren um das ganze Feld 152 Flakscheinwerfer postiert, die acht Kilometer hoch ihr Licht warfen. Der Eindruck überwältigte. Nach einem Moment der Stille wurden dann die 25 000 Fahnen aller NS-Ortsgruppen, kunstvoll ausgeleuchtet auch sie, hereingetragen, dazu vergoldete Adler auf Standarten. Es folgten Totenehrung und Weihlied, dann eine kurze Ansprache Hitlers, Heilrufe und die Nationalhymne. So wurde man kleiner NS-Funktionär.

Wie bisweilen bei allzu Erhabenem, ist auch hier das Lächerliche nicht weit. Albert Speer „erfand“ den „Lichtdom“, weil, im Unterschied zu den disziplinierten und schlanken Männern von SS und Wehrmacht, die braunen Funktionäre zumeist „ihre kleinen Pfründen in ansehnliche Bäuche umgesetzt“ hatten, wie Speer in seinen „Erinnerungen“ schreibt, weshalb er eben vorgeschlagen habe, sie „in der Dunkelheit aufmarschieren“30 zu lassen.

Ohne Zweifel: Die Nationalsozialisten verstanden etwas von Kult und Liturgie, und der Nationalsozialismus hat nicht nur durch Terror und Gewalt, sondern auch durch erlebbare Faszination und ästhetische Verführung geherrscht. Er erschloss seinen Anhängern kultische Erlebnisintensitäten, insofern er das Religiöse primär ästhetisch und in kollektiven Erfahrungsorgien vermittelte. Mit dieser Strategie unterlief er sowohl die aufklärerische Religionskritik des 18. und 19. Jahrhunderts wie den Rationalismus einer sich in das neuscholastische, anti-aufklärerische Ghetto flüchtenden katholischen Theologie und Kirche.

Die liturgisch-kultische Kompetenz des Nationalsozialismus, in Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ aus dem Jahre 1935 noch einmal verdichtet, konserviert und verbreitet, war ebenso schlagend wie auffällig. Auch ihr Zusammenhang mit Hitlers Theologie ist offenkundig: nicht nur, weil Hitler es war, der im Mittelpunkt der allermeisten dieser Liturgien stand und sie, wenn nicht selbst inszenierte, doch akribisch überwachte. Vor allem: Hitlers Liturgien waren die liturgische Feierseite seiner Theologie, inszenierten sie als mächtiges Erlebnis. Das aber legt die Frage nahe: Welche Theologie feiert hier ihren Glauben? Welcher Glaube verleiht sich hier ästhetische und rituelle Gegenwart?

4. „Hitlers Religion“

Diese Frage ist freilich zu unterscheiden von jener nach „Hitlers Religion“. Es geht in diesem Buch nicht um den von Hitler persönlich zutiefst geteilten Glaubensinhalt oder gar um seine persönliche Religiosität im Sinne seines Glaubensvollzugs.31 Aussagen über persönlich geteilte Glaubensinhalte oder über persönliche Glaubensvollzüge, und die müssten gewagt werden, wollte man wirklich von „Hitlers Religion“ sprechen, sind ausgesprochen schwer zu treffen und noch schwerer zu belegen, von historischen Personen gleich gar. Denn sie betreffen, wie immer man auch Religion definieren mag, das Innerste des Menschen, seine tiefsten Überzeugungen, sein Verhältnis zu Welt und Kosmos überhaupt. Es geht in diesem Buch um das, was Hitler gesagt und geschrieben hat.

Manche Indizien sprechen allerdings dafür, dass Hitler an das, was er zu Gott, Vorsehung, Glaube, Erwählung und ähnlichen Themen geschrieben und gesagt hat, auch persönlich glaubte, es sich also um von ihm geteilte Anschauungen handelte. So fällt etwa die Häufigkeit wie auch die geradezu unheimliche Konstanz seiner entsprechenden Aussagen auf. Mit nur kleinen Varianten finden sie sich von den frühen Reden der so genannten „Kampfzeit“ über „Mein Kampf“ bis zu seinen letzten Schriften und Äußerungen in den ersten Monaten des Jahres 1945.

Zudem wurde das, was ich im Folgenden als „Hitlers Theologie“ zu rekonstruieren versuche, offenkundig handlungsleitend. Es ist ebenso auffällig wie erklärungsbedürftig, dass Hitler die Ermordung des europäischen Judentums fanatisch weiterbetrieb, selbst als auch für ihn unübersehbar war, dass dies Deutschland und ihn selbst vernichten würde und ein anderer Einsatz der letzten Ressourcen, etwa für die Landesverteidigung, eigentlich näher gelegen hätte.32 Das lässt auf tiefere, ereignisunabhängige, in hartnäckigen Überzeugungen wurzelnde Handlungsgründe schließen.

Sicher: Hitler instrumentalisiert auch religiöse Praktiken und Inhalte mit einigem Zynismus und Raffinesse. Seine Auftritte bei den nationalsozialistischen Massenliturgien etwa sind einstudiert und von kühler Rationalität. Andererseits aber verfällt Hitler offenkundig auch seinen eigenen Inszenierungen und bejaht in seinen Äußerungen überdeutlich die Authentizität des Religiösen. Hitler hat sich bekanntlich selbst als „gottgläubig“ bezeichnet, und niemand Geringerer als Kardinal Faulhaber hat es ihm nach seinem Besuch auf dem Obersalzberg am 4.11.1936 bescheinigt: „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott“33, so Faulhaber in einem Schreiben an die bayerischen Bischöfe. Hitlers Einstellung zu konkreten religiösen Praktiken wird man daher vielleicht am ehesten als „semi-instrumentell“ bezeichnen können.

Hitlers Theologie orientiert die Prioritäten seines Handelns. Sie wurde zwar nicht zur offiziellen Doktrin des Nationalsozialismus, da gab es immer auch andere, wenn auch verwandte Entwürfe, etwa von Himmler34, Ley35 oder Rosenberg36: Rassistisch waren sie alle, unterschiedlich aber in ihrer Nähe und Distanz zum „völkischen Neuheidentum“, zum Monotheismus oder generell zur Frage nach dem Verhältnis von Rationalität und Glaube. Himmler etwa war Monotheist und gleichzeitig Anhänger okkulter Praktiken, Hitler Monotheist und Gegner alles Okkulten, andere waren tatsächlich polytheistische „Neuheiden“.

Zudem bekannte sich die NSDAP offiziell zum „positiven Christentum“, was immer das auch genauer sein sollte. Für Hitler selbst aber war seine Theologie offenkundig ein gültiger Maßstab: Immer wieder kommt er darauf zurück, immer wieder orientiert er sich an ihren Grundgedanken, immer wieder auch veröffentlicht er sie. Selbst als die Wirklichkeit sich ganz anders zeigt, als es seine Theologie erwarten ließ, gibt er sie nicht auf, eher schon sich und das deutsche Volk. Hitler wählt nicht den Weg des „Abfalls“, sondern jenen der Selbst- und, zumindest intentional, auch der Weltvernichtung. Wort und Tat stimmen bei ihm durchaus überein. Hitler hat nach seiner Theologie gehandelt: Einen stärkeren Beweis für ihre persönliche Relevanz kann es rein immanent betrachtet kaum geben.

Es wird darum gehen, von welchem Gott diese Theologie spricht und welche Anweisungen er gibt. Nicht Hitlers schwer eruierbare persönliche Religiosität wird also rekonstruiert werden, sondern Hitlers politische Projektbeschreibung und ihre theologischen Begründungsstrukturen. Das aber kann nachgeprüft werden: Denn Hitler hat immer wieder davon gesprochen.

5. Nationalsozialismus als „Politische Religion“

Nun hatten bereits Zeitgenossen den Nationalsozialismus als Ganzes als „Politische Religion“37 begriffen und damit versucht, ihn primär von einer religionswissenschaftlichen Perspektive her zu verstehen. Der Erste, der diesen Analyseansatz für den Nationalsozialismus wählte, war der emigrierte österreichische Philosoph und Staatsrechtler Eric Voegelin. In seinem Werk „Die politischen Religionen“38 bestimmt er sie als politische Massenbewegungen, die Innerweltliches wie Staat, Rasse oder Klasse mit dem Ziel sakralisieren, einen innerweltlichen Idealzustand herbeizuführen.

 

Voegelin vertritt die These, dass moderne Totalitarismen säkularisierte Formen ehemals absoluter kirchlich-religiöser Gewissheiten darstellten. Der Zerfall klassisch-kirchlicher Autorität in der Moderne habe zum Entstehen innerweltlicher Religionen geführt, die an die Stelle eines transzendenten Gottes immanente Phänomene setzten, welche für die Anhänger dieser „Politischen Religionen“ nun aber eben jenen religiösen Stellenwert besitzen, wie er einstmals den kirchlichen Glaubensinhalten zukam.

Politische Religionen verkörpern für Voegelin also Heilslehren, die, wie die klassischen Religionen, das Ganze der Geschichte erklären, anders als sie aber ein in der Geschichte erreichbares Endziel der Geschichte vorstellen. Diese Erreichbarkeit rechtfertigt nun aber absolute Gewalt, nicht als Ausbruch roher Leidenschaften, sondern als kalte Exekution einer erkannten Logik, als „Säuberung“ und „Befreiung“. Politische Religionen seien also nicht einfach ein Rückfall in frühere Grausamkeiten, sondern Ausdruck eines neuen immanenten, aber absoluten Glaubens.

Voegelins Ansatz wurde von Anfang an kritisch diskutiert. Die Einwände gegen Voegelin laufen darauf hinaus, seinen weiten Religionsbegriff zu kritisieren, der letztlich nur rein Immanentes umfasse, zudem absolut Grausames, ja Grausamstes, und bei der Anwendung auf den Nationalsozialismus davon ausgehe, dass dieser ein halbwegs geschlossenes, in sich konsistentes System gewesen sei.

Genau diese drei Voraussetzungen Voegelins – dass es sinnvoll ist, auch von rein immanenten Religionen zu sprechen, dass Religionen nicht nur das Höchste, sondern auch das Grausamste umfassen und dass der Nationalsozialismus zwar ein primitives, aber zumindest bei Hitler ein in sich relativ kohärentes System darstellt – dürften heute wieder plausibler geworden sein. Die totalitären politischen Projekte des 20. Jahrhunderts können als Risikovarianten einer aufgeklärtmodernen Trennung von Religion und Politik verstanden werden, insofern sie diese Trennung wieder zurücknehmen, Politik also resakralisieren, diesmal aber von der unabhängig gewordenen Sphäre des Politischen aus. Darauf wird noch einzugehen sein.

Dennoch: Der Ansatz dieser Untersuchung ist im gewissen Sinne bescheidener. Es geht hier nicht darum, Voegelins universalhistorischen Ansatz fortzuschreiben, sondern Hitlers Texte auf ihre theologischen Kategorien hin zu analysieren.

6. Zum verwendeten Theologiebegriff

Freilich, von einer „Theologie“ bei Hitler zu sprechen, provoziert. Es provoziert Theologen, denn sie finden sich plötzlich in einer Nachbarschaft, die schrecklicher nicht sein könnte. Es provoziert aber auch Christen und andere gläubige Menschen, denn das, woran sie glauben, Gott, wird scheinbar in die Nähe eines der größten Verbrecher der Weltgeschichte gerückt.

Nun wissen Theologen, dass „Theologie“ kein geschützter Begriff ist und es viele höchst unterschiedliche Theologien gab und gibt. Nach langen Jahrhunderten, da die christliche(n) Kirche(n) bestimmte(n), was Theologie ist und sein darf, öffnete sich das Feld der „Theologien“ im 18. Jahrhundert nach und nach wieder über das Christentum hinaus, zuerst für die Gelehrten, im 19. Jahrhundert aber in der Weite der Gesellschaft. Heute, nach dem definitiven Ende der kirchlichen Sanktionsmacht und der endgültigen Freisetzung zu religiöser Selbstbestimmung39, ist das „theologische Feld“ trotz der nach wie vor starken institutionellen Stellung der christlichen Kirchen breit, offen und vielfältig besetzt.

Gläubige können aus der Geschichte zudem lernen, dass Religion und ihre theoretischen Konzepte weder harmlos noch gewaltfrei sind. Eher im Gegenteil. „Die unkritische Gleichsetzung von Religion und Güte wird durch schlichte Fakten direkt widerlegt. Religion kann das Hauptinstrument des Fortschritts sein und ist es auch gewesen. Wenn wir aber das gesamte menschliche Geschlecht in Betracht ziehen, müssen wir betonen, dass es sich im Allgemeinen nicht so verhalten hat.“ Ja: „Religion ist die letzte Zuflucht menschlicher Grausamkeit.“40 Die aktuelle Remilitarisierung des Religiösen in spezifischen Weltgegenden lehrt zudem, dass dies keineswegs nur ein Phänomen der Vergangenheit ist. Im Gegenteil, Religion ist zurück und zeigt dabei, neben ihrem gütigen Antlitz, immer wieder auch ihr hässliches Gesicht: Scheinheiligkeit, Lieblosigkeit und Gewalttätigkeit. Die liberale Illusion jedenfalls, man ginge einer global säkularisierten Weltgesellschaft mit harmlos-friedlich individualisierter Religionspraxis entgegen, ist verblasst.

Theologie und Religion sind weder christliche Reservate noch an und für sich etwas Gutes. Von „Hitlers Theologie“ zu sprechen setzt also voraus, den Begriff Theologie nicht für ein Reden und Denken über Gott zu reservieren, dem man zustimmen kann, sondern für alles Reden über Gott und auch und gerade seine Folgen.

Es setzt zweitens voraus, dass man unter „Theologie“ nicht nur wissenschaftlich-akademische Theologie versteht. Die hat Hitler natürlich nicht betrieben, wenn er auch mit seiner berühmt-berüchtigten Halbbildung immer wieder selbst seinen wissenschaftlichen Gesprächspartnern imponieren konnte und, wie noch zu zeigen sein wird, der Ansicht war, dass seine Theologie auf wissenschaftlicher, letztlich naturwissenschaftlicher Basis stünde. Hitlers Theologie weist aber eben doch, bei aller Vulgarität und Primitivität, eine gewisse innere Konsistenz und Kohärenz auf.

Den Begriff „Theologie“ nicht nur für ein zustimmungsfähiges Reden über Gott zu reservieren und auch nicht auf wissenschaftlich-akademisches Reden über Gott einzuschränken ist heute eher unüblich. Das war aber nicht immer so. Im gewissen Sinne war es ganz am Anfang der Christentumsgeschichte sogar umgekehrt. Die frühe Christenheit etwa hat den Theologiebegriff ausdrücklich zurückgewiesen. Im ganzen Neuen Testament findet er sich nicht und noch bei den frühen Kirchenvätern wird er negativ-kritisch gebraucht. Denn so, wie er in der griechischen Umwelt vorlag, war er für die christliche Reflexion des Glaubens schlicht nicht annehmbar. Es war die Nähe zu nicht-christlichen, mythisch-kultischen Zusammenhängen, welche die frühen Theologen des Christentums davon abhielt, den Theologiebegriff auf sich und das, worum es ihnen ging, zu beziehen.41

Theologie wird im Folgenden wörtlich verstanden als „Rede von Gott“, allerdings, und das entspricht wieder heutigem Allgemeinverständnis, als Rede von Gott mit individueller Relevanzoption, mit persönlichem Konsequenzpotential, auch bis hin zur Rede zu Gott, also dem Gebet. Denn gerade dies kann man Hitler nicht absprechen.

Natürlich ist Hitler kein christlicher und auch kein wissenschaftlicher Theologe, aber er verkündigt sein Politikprojekt im Namen eines Gottes, und das vom Beginn seines öffentlichen Redens bis zu seinen letzten dokumentierten Äußerungen. Die Theologie dieser Verkündigung kann man erheben. Die Texte Hitlers verkörpern einen genuinen theologischen Diskurs im genannten Sinne. Leider verkörpern sie mehr als bloß eine wirkungslose Privatmythologie.

7. Nur Rhetorik?

Dass Hitlers Rhetorik42 zentral mit Stilelementen der religiösen Sprache43 und mit theologischer Begrifflichkeit arbeitete, wurde ebenfalls früh notiert. Kenneth Burke, der amerikanische Kommunikationstheoretiker, stellte bereits 1939 in seinem brillanten Essay über „Die Rhetorik in Hitlers ‚Mein Kampf‘ “ fest: „Hitlers Denkschemata sind nichts anderes als pervertierte oder karikierte Formen religiösen Denkens.“44 Hitler habe „deshalb so große Wirkung“ erzielt, „weil er sich auf eine Bastardisierung ursprünglich theologischer Denkschemata stützt“45. Von der nationalsozialistischen Propaganda selbst wurde übrigens auch die mediale Form der Verbreitung Hitlerscher Reden unter theologischen Kategorien erfasst: „Was das Gebäude der Kirche für die Religion, das wird der Rundfunk für den Kult des neuen Staates sein.“ Der Rundfunk sei „nun nicht länger im physikalisch-technischen Sinne, sondern endlich im geistigen Sinne ‚Sendung‘. Jeder Funkschaffende ist Träger nationalsozialistischer Sendung, ein Propagandist und Apostel der Idee“, so Eugen Hadamovsky, „Reichssendeleiter“ von 1933 bis 1942.46

Vor allem aber der österreichische Kulturhistoriker und Publizist Friedrich Heer wies dann in den späten 1960er Jahren die theologische Herkunft vieler Versatzstücke des Hitlerschen Diskurses detailliert nach.47 Natürlich war auch der chiliastische Hintergrund48 vieler Begriffe Hitlers, etwa des von Hitler allerdings zunehmend misstrauisch betrachteten Terminus „Drittes Reich“, immer schon aufgefallen. Hitlers Wissenschaftsgläubigkeit allerdings lässt es freilich geraten erscheinen, gerade diesen chiliastischen Einfluss auf Hitler nicht zu überschätzen; Hitler benutzte denn auch den Terminus „Drittes Reich“ nach 1933 gerade wegen dessen „schwärmerischen“ Implikationen nicht mehr.49

Bei aller Befassung mit Hitlers Rhetorik: Lange wurde die unübersehbare theologische Komponente des Hitlerschen Diskurses als genau dieses nur genommen: als rhetorische Strategie. Doch Hitlers theologische Begriffe formulieren tragende Prinzipien seines Denkens und seines politischen Projekts. Die Durchsicht der Hitlerschen Texte jedenfalls ergibt: Hitlers Diskurs ist durchgängig in allen Phasen seiner politischen Biographie mit theologischen Begriffen durchsetzt. Sie spielen keine nur rhetorische, sondern eine zentrale und konstitutive Rolle.

Vor allem drei Orte des Hitlerschen Diskurses lassen theologische Elemente erwarten. Zum einen sollten sie dort zu finden sein, wo Hitler sich mit den Kirchen auseinandersetzt, sein Vorhaben also gegenüber den traditionellen theologischen Kompetenzträgern definiert; dann auch dort, wo er sich mit der genuinen religiösen Tradition seiner eigenen Bewegung, also der völkischen Religiosität auseinandersetzt. Drittens aber, und zentral, sind jene Stellen des Hitlerschen Diskurses aufzusuchen, wo Hitler positiv das eigene Projekt über theologische Begriffe konzipiert und legitimiert.