Wir haben alle mal klein angefangen

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Wir haben alle mal klein angefangen
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Rainer Bartelt

Wir haben alle mal klein angefangen

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Wo wir herkommen

Wir haben alle mal klein angefangen

Am Anfang war nur Adam

Ohne Eva kein Chichi

Mäuse im Queen’s Park

Dumm gelaufen

Der Geisterfahrer

Dummheit muss bestraft werden

Ich war stocknüchtern, Herr Richter!

Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen...

Fünf Mark für’s Falschparken

Man sieht sich immer zweimal

Wilde Zeiten als Student

Zucker im Kaffee

Schwarze Milch

Die Liebe und das Raucherbein

Ein Prinz im Wohnheim

Norwegische Fröhlichkeit

Ruhe im Karton

Eine unruhige Nacht im „Affenheim“

Fast auch eine Bettgeschichte

Allein unter Frauen

Willkommen in Europas „Dritter Welt“

Endstation Rumpelkammer

Die fröhliche Tramperin

Der Überfall der Eselbande

Fridolin, unser Kater

Fridolin an der Leine

Fridolin, das Versuchsobjekt

Orgia Augusta

Die Wunderheilung

Die Unfallklinik streikt

Probleme mit der Logistik

Gestörter Mittagsschlaf

Ringelpietz auf’m Dach

Eine Kommissarin macht sich unbeliebt

Keine Emanzipation auf der schiefen Bahn

Die ist vom Straßenstrich!

Hinter Gittern

Oldenburg in Oldenburg: Die Hochzeit

Über Ostern in Prag

Stop and Go

Ich bin der Bruder

Koffer raus!

Endlich in Prag

Vier Kisten Krimsekt

Weyrichs Geschäfte

Auf Umwegen nach Großbritannien

Wer den Pfennig nicht ehrt...

...irgendwas mit Menschen

Harte Zeiten in Braunschweig

Flammende Experimente

Es rumst im Physiksaal

Bombenterror auf dem Schulhof

Das Patt

Wie J. R. Ewing den Abend rettete

Ein Einstellungsgespräch der etwas anderen Art

Beamtenmikado

Willkommen im Paradies

Erste Steine im Paradies

Nicht aller Anfang ist schwer

Schlafen im Hochregal

Ein Kollege namens „Frühstück“

Keine Luft zum Atmen

Ich, das Michelin-Männchen

Schwester Rabiata

Menschenversuche im Klinikum

Fälle ich mein Todesurteil?

Der Geiz siegt

Zwei Schwestern blasen mir einen

Urlaub mit Amerikanern

Mit dem Auto über die Straße

Auf der Jagd nach der vergessenen Zahnbürste

Was ist mit der Klimaanlage?

Parkplatzprobleme

Im Anzug mit Hosenklammern

Angie braucht Begleitung

Hart verhandelt

Benchmarking

Was im Großen nicht funktioniert

Ein Unternehmen wird abgefackelt

Der neueste Blödsinn

Sprachlos in Frankreich

Das große Fressen

Ich spreche kein Französisch

Good-Old-England

Bob ergreift die Flucht

So also hätten wir England besiegen können

Andere Länder, andere Sitten

Inselhopping auf den Seychellen

Kubanische Zigarren

„Where is Mrs. Bartelt?“

First-Class zurück nach Deutschland

Das Untersegelboot

Moses teilt das Meer

 

Tretboot in Seenot

Die Ersten werden die Letzten sein

Verfluchte Schallplatten

Policía, policía!

Autonomes Fahren in den Siebzigern

Wer liest, verliert

Eine Düse und kein Flugzeug

Der Gast ist König

3 Sterne in der City of London

Wasserschaden im Hotel

Das Paradies ist eine Insel im Meer

Echte Bürgernähe

Kein Ort zum Leben

Die Selbstvertreibung

Der verliebte Stier

Märchen von Amts wegen

Der Reichtum lacht

Die graue Wirklichkeit

Und noch’n Märchen von Amts wegen

Nicht witzig

Dumm gelaufen

Nachschlag Nummer Eins: Verkehrsregeln für Frauen

Nachschlag Nummer zwei: Selbstfahrende Autos

Nachschlag Nummer drei: Kampfroboter

Nachschlag Nummer vier: Petra rettet die Welt

Vom gleichen Autor

Impressum neobooks

Wo wir herkommen


Dem Paradies sehr nah: Straßenszene auf Mahe, Hauptinsel der Seychellen

Für Petra,

meine super-taffe Ehefrau


Wir haben alle mal klein angefangen

Als ich noch klein war und auf die Grundschule ging, hatten alle Erwachsenen nur ein Thema: ihre Erlebnisse im letzten Krieg – oder in dem davor. Meine Eltern, meine Lehrer und alle, die schon etwas länger volljährig waren, kannten keinen anderen Gesprächsstoff. Besonders beliebt war der zweite Weltkrieg: Nicht, weil er so schrecklich, sondern weil er so aufregend gewesen war. Was hatte man da nicht alles erleben können? Hunger, Not und Vertreibung, aber auch viele schöne Reisen in fremde Länder und zu fremden Kulturen. Mit Full-Service, All-Inklusive, professioneller Reiseleitung, Wahnsinns-Animationen und – als ob das nicht genug gewesen wäre – oben drauf alles das auch noch zu Null Kosten! (Was meinen Vater anging, so erlebte er diese paradiesischen Zustände nicht nur als Soldat, sondern danach auch noch als zuerst amerikanischer und dann englischer Kriegsgefangener. An der Ostfront zum Beispiel soll die Verpflegung selbst bis ganz zum Schluss noch ohne Fehl und Tadel gewesen sein. Genau so wurde es mir jedenfalls vor kurzem noch ungefragt aus berufenem Mund berichtet. Der Zweite Weltkrieg scheint daher – nicht nur für meinen Vater, sondern für viele andere Väter auch – so etwas wie die Mutter aller fröhlichen Pauschalreisen gewesen zu sein.)

Es ist also nur zu verständlich, dass es in meiner Jugend nicht wenige gab, die Hitlers Wahnsinnstat, die halbe Welt mit Mord und Todschlag überziehen zu wollen, als „kleine Dummheit“ angesehen und abgetan haben – genau von der Art, wie sie das Leben (vor allen Dingen wohl als deutscher Herrenmensch) erst lebenswert macht. Dumm nur, dass das mit dem Endsieg dann doch nicht so ganz geklappt hat. Und dumm auch die Sache mit dem Holocaust. Aber bestimmt hat AH, „unser Führer“, das mit den Juden in Wirklichkeit gar nicht so gemeint. Hat vielleicht nur schlechte und übereifrige Berater gehabt: Dass die Leute auch immer alles gleich übertreiben müssen, wenn der Chef sich mal nicht ganz so klar ausgedrückt hat – z-z-z!

Aber was denken Sie? Haben sich die Zeiten seit meiner Jugend geändert? Ich bin sicher, und Sie hoffentlich auch: nur unwesentlich. Denn die größte Geisel der Menschheit ist ... die Langeweile! Nicht Hunger, nicht Durst, nein, der totale Ausfall des Internets oder – schlimmer noch – aller Shopping-Sender im Deutschen Fernsehen würde hierzulande unmittelbar und sofort eine flächendeckende Revolution auslösen – so wie anno dunnemal beim alten Luther. Auch ohne 95 Thesen auf Twitter.

Es ist wahr: Damals wie heute fehlt vielen Leuten leider – und damit meine ich beileibe nicht nur die oftmals viel zu gerne Krieg spielenden Herren der Schöpfung – vor allen Dingen eins: der Blick für’s Wesentliche, der Blick dafür, was im Leben wirklich wichtig ist. Im Märchen strebt jeder Mensch nach Glück und Zufriedenheit im Leben. Angeblich. Tatsächlich streben einige nach Geld, andere danach, möglichst als erster an der nächsten roten Ampel anzukommen, und andere wieder streben danach, fremde Länder zu erkunden. Sie werden sehen, dieses Buch bietet für jeden etwas: Wahnsinn, Chaos, aber auch schöne Reisen in ferne Länder. Und das alles garantiert ohne kriegerische Handlungen, zu absoluten Friedenszeiten also.

Der Titel verrät es schon: Wir wollen in diesem Buch klein anfangen, gehen der Frage nach der Rettung der Welt also von Anfang auf den Grund und fangen sofort nach der Erschaffung unserer noch jungen Erde mit dem Geschichtenerzählen an. Nämlich bei Adam und Eva in ihrem – wie Sie sehen werden – äußerst irdischen Paradies!

Am Anfang war nur Adam

Du, Adam, probier’ mal diesen roten Apfel hier: Weißt du was? Der schmeckt einfach köstlich!“

Eva


Kennen Sie die Schöpfungsgeschichte? Nein, ich wette, die kennen Sie nicht! Jedenfalls nicht die volle Wahrheit. Denn warum der liebe Gott überhaupt auf die keineswegs besonders nahe liegende Idee gekommen ist, so etwas Verrücktes wie Mann und Frau zu erschaffen, genau hierüber lässt die Bibel den interessierten Leser leider ziemlich im Unklaren.

Immerhin stellt das Buch der Bücher zum ewigen Ärgernis aller überzeugten Feministinnen zweifelsfrei fest, dass Adam vor Eva geschaffen wurde. Und weil sie angeblich die ersten waren, die die jungfräuliche Erde bevölkern durften, kommen viele Männer nach einem oberflächlichen Studium des Alten Testaments zu dem falschen Schluss, seien sie automatisch auch die Krone der Schöpfung. Weit gefehlt: Den Mann im Allgemeinen und Adam im Speziellen kann man bestenfalls als einen ersten, vergeblichen Versuch Gottes werten, ein Wesen zum Leben zu erwecken, das in der Lage ist, die Welt zu hegen, zu pflegen und nachhaltig zu bewirtschaften. Einen fleißigen und willfährigen Hausmeister sozusagen. Falls Gott selbst mal nicht vor Ort sein sollte. Weil er sich um irgendeine andere, weit entfernt gelegene Galaxis kümmern muss.

„Pass du mir gut auf Mutter Erde auf“, könnte er mit erhobenem Zeigefinger zu Adam gesagt haben: „Ich bin dann mal weg!“

Aber was war nur ein paar wenige Lichtjahre später, als Gott wieder in unserer Milchstraße vorbeikam, um bei der angeblichen Krone seiner Schöpfung nach dem Rechten zu sehen? Sie ahnen es sicher schon: Nichts war! Adam saß einfach nur stumpf vor seiner Höhle. So als ob nichts geschehen wäre. In ein Bärenfell eingewickelt, nagte er gelangweilt an einer halbgaren Wildschweinkeule herum und schien auf die Erfindung des Fernsehens und den Beginn der ersten Bundesliga-Saison zu warten.

„So wird das nix mit ‚Mutter Erde’!“, schüttelte Gott enttäuscht seinen bärtigen und grau behaarten Kopf und fuhr fort:

„Hier muss unbedingt wer her, der den ganzen Laden ein bisschen aufmischen und etwas Schwung in die Weltgeschichte bringen kann.“

Gesagt, getan: Plötzlich stand Eva zwischen dem erstaunt dreinblickenden Adam und dem ihn wärmenden Feuer, stemmte die Fäuste in ihre unbekleideten Hüften und schnaubte ihren total abgeschlafften Göttergatten aufs Höchste entnervt an:

„Was ist hier los, Adam? Du sitzt einfach nur dumm rum und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein? Dabei gäbe es jede Menge zu tun! Schau dich doch einmal um: Wie sieht es bloß in deiner Höhle aus? Was müssen meine zurzeit noch ungeschminkten Augen sehen? Keine Gardinen vor den Fenstern? Kein Teppich auf dem Fußboden? Keine Möbel, um es sich einmal ein bisschen bequem zu machen? Und dein Bärenfell, mein Gott, das ist ja vollkommen verschnitten: Sitzt um die Hüften ganz und gar nicht! Mann, Mann, Mann, du kannst von Glück sagen, dass du der einzige weit und breit bist, sonst wäre ich hier schon längst über alle Berge auf Nimmerwiedersehen verschwunden!“

Just von diesem Moment an, als Eva erschien, hatte Gott keinen Grund mehr, sich um Adams Arbeitseifer irgendwelche Sorgen zu machen. Denn sofort nach Evas erster „Gardinenpredigt“ fing er an, unter ihrer peinlich genauen und unnachgiebigen Aufsicht zu schuften und zu werkeln, dass es eine wahre Lust war. Nur damit er ihr und seinen beiden leider ziemlich streitsüchtigen Söhnen Kain und Abel ein trautes Heim bieten konnte. Das – damit seine Eva auch wirklich zufrieden war – außerdem natürlich viel schöner sein musste als all die vielen anderen Nachbarhöhlen.

Ohne Eva kein Chichi

Ja, es tut mir leid, liebe Männer, aber es stimmt wirklich: Erst die Frauen bringen Farbe und Glanz in unsere Welt! Wer’s nicht glauben will, der schaue sich einfach mal die ISS an, diese über unseren Köpfen kreisende internationale Blechdose. Entschuldigung, ich meinte natürlich: „Raumstation“! Im Internet zum Beispiel. Wie es in der ISS aussieht, darüber gibt es dort jede Menge Bilder. Und so wie es in dieser Blechbüchse aussieht, das können Sie mir glauben, so würde es auch überall sonst auf unserer kleinen Mutter Erde aussehen, wenn Männer für sich allein fortpflanzungsfähig wären und für die Produktion kleiner Schreihälse keine Evas bräuchten.

Adam Welt wäre: Technik, Technik überall und kein einziger Tischläufer. Ja, nicht einmal einen richtigen Esszimmertisch mit bunter Tischdecke, frischen Blumen und einem goldenen Teeservice aus Meißner Porzellan würde es geben! Ich kann Ihnen sagen: Einfach grauenhaft, die Welt wäre sowas von öd und leer. Ich bezweifele sogar, dass die von der ISS sich in der Vergangenheit oder jüngsten Gegenwart jemals einen Innenarchitekten zugelegt haben. Und wenn doch: Jede Frau hätte den allein wegen der schon dem bloßen Augenschein nach erwiesenen Unfähigkeit sofort gefeuert! Also: Sofern sich in der modernen Raumfahrt in Sachen Schick und Gemütlichkeit nicht sehr bald etwas Grundlegendes ändert, werden wir Männer auf unserem ersten Flug zum Mars sehr, sehr einsam sein…

Genauso einsam und verzweifelt wie ich damals war, bevor ich meine eigene Eva namens Petra traf. Im Schlussverkauf bei Karstadt. In der Abteilung für Damenoberbekleidung. Erst da nahm mein Lebensglück seinen Anfang. Denn Petras unverrückbare, sich im Detail nur sehr unwesentlich widersprechenden (Über-)Lebensgrundsätze lauten, damals wie heute:

„Man findet anderswo allemal etwas Interessanteres als Zuhause!“

Und:

„Nie ohne mein Kopfkissen!“

Womit wir Adam für den Moment einmal hinter uns gelassen und in Evas Welt gelandet sind. Wobei – landen wollen wir eigentlich gar nicht, wir wollen starten, wir wollen auf die Reise gehen. Durch fünf Jahrzehnte und über (mindestens) drei Kontinente. Mit oder ohne Kopfkissen. Zu Fuß, mit dem Auto, dem Zug, dem Schiff oder mit dem Flugzeug. Nur nicht mit der ISS.

 

Unsere erste Reise führt uns zurück ins England des frühen Millenniums, und gleich danach geht es langsam aber sicher noch weiter zurück in die Zeit von Afrolook, Schlaghosen und Diskomusik. Da sind wir dann in Göttingens berühmt-berüchtigter Studentenszene angekommen. Göttingen, eine kleine Großstadt am Rande des Harzes, die angeblich jede Menge „Wissen schafft“, in der stattdessen aber genauso viel Blödsinn passiert, wie anderswo auf der Welt – nur eben hoch-wissenschaftlich be- und gegründet.

Enden werden wir – nach einer Reise kreuz und quer durch diese Welt – mit gendergerechten Verkehrsregeln, selbstfahrenden Autos und intelligenten Kampf-Robotern. Also in einer mit Riesen-Schritten herannahenden Zukunft, in der nicht nur der gute alte Adam, sondern wir alle irgendwann einmal überflüssig sein werden. In der es dann trickreich programmierte Maschinen gibt, die für uns den ganzen Blödsinn erledigen, den wir sonst selber machen müssten. Dumm gelaufen für die Spezies Mensch. Obwohl – urteilen Sie selbst, sind wir es wirklich wert, diesen wunderschönen Planeten zu bewohnen? Ich habe da so meine Zweifel...

Mäuse im Queen’s Park

Oh schau mal, Claire, die süßen kleinen Mäuse!”

Zwei piekfeine englische Ladies, die genau so aussahen, als ob sie gerade eben einem Rosamunde-Pilcher-Roman entsprungen waren, betrachteten ganz verzückt das lustige Tiertreiben, das sich am helllichten Tag unweit des Buckingham Palastes unmittelbar vor ihnen zutrug. Unwillkürlich mussten Petra und ich auch hinschauen – und trauten unseren Augen kaum: Was tummelte sich da, mitten auf dem ultrakurz gemähten englischen Rasen im hochherrschaftlich-königlichen Queen’s Park? Nein, da hüpften keine süßen kleinen Mäuschen lustig auf dem gepflegten Londoner Grün herum und erfreuten sich eines unbeschwert-fröhlichen Mäuselebens. Vor unseren Nasen hockte stattdessen ein halbes Dutzend dicker, fetter, abgrundtief hässlicher Ratten, die allesamt so böse dreinschauten, als ob sie gleich gemeinsam aufspringen, über den Rasen laufen und sich mit großem Appetit auf die beiden alten Damen stürzen wollten.

Nun, wenn das mit den „süßen Mäuschen” kein typisch britisches Understatement war, was war es dann – nicht wahr?

Dumm gelaufen

Kerstin war jung, Single und neu in Göttingen, einer großen Universität mit einer gemütlich kleinen Stadt dabei – ach, und natürlich am Rande des Harzes gelegen. Unternehmungslustig, wie Kerstin nun mal von Natur aus war, ging sie fast jeden Abend aus, um andere Leute kennenzulernen oder einfach nur, um Spaß zu haben. So lang wie viele Menschen von nah und fern in großer Zahl zum Studieren hierher kommen, war das in Göttingen noch nie ein Problem, denn gefühlt gab’s und gibt’s hier für jeden Tag und für jeden einzelnen Studenten Abend für Abend ‘ne andere Kneipe zum Abchillen.

Recht spät in der Nacht, voll des süßen Weines und immer noch ganz beschwingt vom Tanz im Club versuchte Kerstin, ihren gebraucht gekauften BMW einigermaßen sicher in Richtung Heimat zu steuern. Gerade eben dachte sie noch bei sich: „Ob ich den süßen Typ von heute Abend wohl noch einmal wiedersehe?”, da hörte sie eine Sirene direkt neben sich und sah, wie ihr eine Polizeikelle aus dem Seitenfenster des vorbeifahrenden Fahrzeug entgegengestreckt wurde, um ihr zu bedeuten, dass sie nach rechts an den Straßenrand fahren und anhalten solle.

„So ein Mist”, rief sie laut, als sie auf die Bremse trat: „eine Zivilstreife!” Und sie dachte: „Jetzt ist es aus, ich habe bestimmt zu viel getrunken. Keine Chance davonzukommen, der Führerschein ist weg!“

Vor lauter Aufregung würgte sie das Auto ab, als die beiden Zivis an ihr Fahrzeug traten und sie nach ihren Wagenpapieren fragten. Sie hatten – ganz nach Vorschrift – zuvor ihre Dienstmützen aufgesetzt. Dadurch waren ihre Gesichter in der Dunkelheit kaum zu erkennen.

Zu Kerstins großer Überraschung und Erleichterung erhielt sie nur eine einfache mündliche Ermahnung wegen eines defekten Rücklichts – der eigentliche Grund, warum sie angehalten worden war – und durfte weiterfahren, nachdem sich herausgestellt hatte, dass mit ihren Papieren alles in Ordnung war.

Ein paar Tage später war sie mit einer Arbeitskollegin wieder in derselben Disko und traf an der Bar zufällig auf zwei super-cool aussehende junge Typen. Man unterhielt sich über dies und das, und Kerstin fing an, von der Polizeikontrolle zu erzählen:

„Ihr glaubt nicht, was mir passiert ist: Halten mich doch zwei Bullen an, wie ich mit dem Auto nachhause fahre, und merken nicht, dass ich ziemlich einen im Kahn habe! Könnt ihr euch das vorstellen?“

Mit leicht angesäuerter Miene antwortete einer der beiden „ coolen Typen“:

„Das können wir uns ganz gut vorstellen, denn schließlich waren wir ja die zwei ‚Bullen’, die dich angehalten und kontrolliert haben!“

Dumm gelaufen…

Der Geisterfahrer

Verglichen mit Kerstin waren vier autofahrende Studenten am Ende doch wesentlich schlauer, obwohl sie sich zunächst ganz fürchterlich dumm anstellten: Auch sie waren nach einer fröhlichen Zecherei angeheitert auf dem Heimweg, als plötzlich ein Polizeifahrzeug im Rückspiegel auftauchte.

„Mensch gib’ Gas: Das sind die Bullen!“, rief einer der Studenten, der hinten saß und durch die Heckscheibe sehen konnte, wie die „grüne Minna“ immer dichter an ihr Fahrzeug herankam. Der hinter dem Steuer sitzende Student ließ sich nicht lange bitten und machte sich daran, mit der Polizei um die Wette zu fahren. Prompt gingen hinter ihnen Blaulicht und Martinshorn an, und die wilde Hatz begann.

Unglaublich aber wahr, ungeachtet des nicht unerheblichen Alkoholpegels gelang es dem jugendlich-unbekümmerten Fahrer, durch einen äußerst riskanten und rasanten Fahrstil Boden gegen die Polizei gut zu machen. Von den Rücksitzen her kamen wilde Anfeuerungsrufe:

„Los, Manni, fahr zu!”, „Schneller, schneller, du schaffst es!”

Der Motor heulte, die Reifen quietschen, das Auto konnte die Spur kaum halten, und fast sah es so aus, als ob die Flucht gelingen würde. Der Abstand zu dem Polizeifahrzeug wurde immer größer und größer. Bald waren die „Bullen“ ganz außer Sichtweite.

Da passierte das Unerwartete: Ohne irgendeine Vorwarnung tauchte hinter einer scharfen Kurve eine große Baustelle auf. Zum Ausweichen war es viel zu spät. Trotz sofortiger Vollbremsung rauschte das Fluchtauto mit vollem Karacho in die Absperrung und blieb im losen Schotter der ihrer Teerdecke beraubten Straße stecken. Eine große Staubwolke vernebelte den studentischen Ausreißern die Sicht.

Ob’s volle Absicht war oder nur glückliche Fügung – ich war damals nicht mit von der Partie und kann es daher nicht mit letzter Bestimmtheit sagen: Alle drei Beifahrer saßen auf der Rücksitzbank, der Vordersitz neben dem Fahrer war deshalb unbesetzt. Geistesgegenwärtig rutschte unser unglücklicher Bruchpilot schnell über Mittelkonsole und Schalthebel auf den Beifahrersitz, im selben Moment als das Polizeiauto an der Unfallstelle scharf bremsend zum Stehen kam.

Die Beamten sprangen aus ihrem Fahrzeug. Einer zog zur Sicherheit seine Dienstwaffe und zielte damit auf die Heckscheibe des verunglückten Fluchtwagens, der andere stürzte nach vorn zur Fahrertür und riss sie auf. Dann machte er ein ziemlich belämmertes Gesicht: Der Fahrersitz war leer!

„Was ist hier los? Wo ist der Fahrer, bitte?“, schrie der Beamte die Fahrzeuginsassen voller Aufregung und Verblüffung an.

„Ja haben Sie ihn denn nicht gesehen, Herr Wachtmeister? Der ist abgehauen!“

„Was sagen Sie da? Was soll das heißen?“

„Der ist aus dem Auto gesprungen, als Sie gekommen sind und schnell über das Feld dort abgehauen. Sie müssen ihn doch noch gesehen haben: Nach dahinten ist er lang gelaufen!“

„Das glaube ich Ihnen nicht: Ich denke, Sie dort auf dem Beifahrersitz, Sie sind gefahren! Zeigen Sie mir bitte mal Ihre Papiere!“

„Nein, nein, Herr Wachtmeister: Ich bin nicht gefahren, wirklich nicht, da können Sie alle hier im Auto fragen!“

Währenddessen fingen die drei vom Alkohol ziemlich benebelten Studenten auf der Rücksitzbank an, lautstark im Chor zu singen:

„Wir wollen pusten, wir wollen pusten! Bitte, bitte Herr Wachtmeister, lassen Sie uns ins Röhrchen pusten…“

Was soll ich sagen, die Sache ging vor Gericht, aber alle vier Studenten hoben am Ende die Hand zum Schwur und wurden so allesamt von jeder Schuld freigesprochen. Und das, obwohl sie vor Gericht standhaft darüber geschwiegen haben, wer am Ende dieser ominöse flüchtige „Geisterfahrer“ gewesen sein sollte, der so schnell durch die Kurven gerast war, dass selbst die Polizei nicht mehr hinter ihm her kam.