Buch lesen: «Der Aufsteiger»

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Der Aufsteiger

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Lernen der Anderen

Auf dem Weg nach Irgendwo

Die Spötter müssen verrückt sein!

Impressum neobooks

Das Lernen der Anderen

Ich war schon als Baby ein Klugscheißer gewesen. Das bedeutete, daß meine Kacke oft wesentlich intelligenter war als ich selbst, doch das machte mir nichts aus, denn in meinen ersten Lebensjahren gab es für mich jede Menge wichtigere Dinge. Erzogen wurde ich nicht wirklich, denn im Wortschatz meiner mit mir heillos überforderten Eltern fehlte ein entscheidendes Wörtchen und das lautete "nein". Mir persönlich fehlte das Wort kein bißchen, denn dadurch konnte ich immer das machen, was ich wollte und das tat ich dann auch pflichtbewußt. Nicht alle Leute in meiner Umgebung fanden das großartig, aber das war mir scheißegal. Im Kindergarten war ich in irgend so einem antiautoritären Projekt gelandet und fühlte mich dort ausgesprochen wohl, schließlich gab es dort ja weder Verbote noch Regeln, ein wahres Paradies für so unge- sowie unerzogene Fratzen wie mich. Erst in der Schule wurde mir schön langsam klar, daß mir eine gewisse Kompetenz fehlte, denn unser Lehrer brachte uns schon in der ersten Klasse ganz zu Beginn des Schuljahres Folgendes bei: "Wir lernen und üben heute das "Nein"-Sagen. Wenn Ihr nicht "nein" sagen könnt, dann wird es mit Euch ein ganz schlimmes Ende nehmen. Schweigen bedeutet nämlich Zustimmung und deshalb ist es ganz wichtig, daß Ihr "nein" sagt, wenn Ihr etwas nicht wollt." Fortan trainierten die anderen Kinder fleißig und sie bekamen es auch früher oder später durchaus vernünftig hin, "nein" zu sagen, nur ich versagte in steter Regelmäßigkeit und irgendwann gab sogar mein äußerst geduldiger Lehrer entnervt auf.

Zunächst hatte meine Inkompetenz keine gravierenden Folgen, jedoch merkten meine Mitschülerinnen und Mitschüler ziemlich schnell, daß sie mit mir machen konnten was sie wollten, weil ich mich nicht dagegen wehrte und das taten sie dann auch. Ich wurde sowohl verprügelt als auch abgeknutscht, man beklaute mich oder ließ sich von mir bedienen, ich war im Klassenzimmer die niedrigste Kreatur, manchmal wurde ich sogar von den Schulratten gedemütigt. Die waren zwar entfernte Verwandte von den asozialen Kanalratten, aber die wollten unbedingt was lernen, weshalb sie sich in der Schule niedergelassen hatten. Trotz aller Schwierigkeiten kam ich in der Schule einigermaßen unverletzt über die Runden, allerdings gab es da ja auch noch die böse, gefährliche Außenwelt mit ihren ganz speziellen Kunden, die jemanden wie mich natürlich sofort auf ihrer Liste hatten.

"Na, mein Kleiner, willst Du einen Lutscher?" fragte mich ein scheinbar netter älterer Herr und da ich nicht gelernt hatte "nein" zu sagen und wußte, daß mein lautes Schweigen Zustimmung bedeutete, nickte ich lieber gleich, um damit mein Einverständnis zu erklären. Zwar hatte man auch mich irgendwann mal vor den bösen Onkels gewarnt, doch der Typ war ja nett und außerdem garantiert nicht mein Onkel, denn bei unseren Geburtstagsfeiern sowie Familienfesten hatte ich ihn noch nie gesehen gehabt. "Wenn Du schön brav bist, dann werde ich Dich schon bald ganz groß herausbringen und Du wirst ein richtiger Filmstar", versprach er mir eines Tages. Ich blickte ihn begeistert an und sah mich in Gedanken bereits vor Tausenden von Fans auf einem Roten Teppich laufen, doch er dachte bei mir leider eher an einen Kinderpornofilmstar und wenn ich das damals schon begriffen gehabt hätte, dann wäre meine Enthusiasmus wohl weniger gigantisch ausgefallen. "Darf ich Dich streicheln?" fragte er mich irgendwann und als von mir keine negative Antwort kam, tat er es. Unangenehm fand ich das nicht, aber auch nicht so toll, daß ich es unbedingt gebraucht hätte. "Irgendetwas stimmt mit Dir nicht", wollte er mir einmal einreden, doch ich reagierte darauf erst gar nicht, was ihn allerdings nicht gerade zu beruhigen schien. "Ich habe mich mit einem Kollegen über Dich unterhalten und der glaubt, daß Du autistisch veranlagt bist", teilte er mir mit. "Out war ich schon immer", fiel mir dazu nur ein. "So etwas darfst Du doch nicht sagen und auch nicht denken, mein kleiner Liebling. Eigentlich stehe ich ja drauf, wenn die Kinder sich weigern, schreien und weinen, aber bei Dir weiß ich ja, daß Du das nicht kannst oder willst." Schön langsam wurde es richtig brenzlig für mich, ohne daß ich selbst das so richtig geschnallt hätte, doch dann kam zum Glück meine Rettung in Gestalt eines anderen Pädophilen, der ebenfalls scharf auf mich war. "Du bist etwas ganz Besonderes", lobte mich mein zweiter Verehrer gern und alsbald entwickelte sich zwischen den beiden Männern ein heftiger Streit darum, wer denn nun zukünftig mein alleiniger Lover sein dürfte. Sie kriegten sich so richtig in die Haare und es hätte nicht viel gefehlt, daß sie sich um mich duelliert hätten, aber mir war das Ganze zu blöd geworden, weshalb ich einfach nach Hause ging und mich nie wieder mit den Kinderschändern traf. Klar, da hatte ich noch mal großes Glück gehabt, aber in der Schule lief es auch nicht unbedingt optimal, sondern eher recht bescheiden. "Dankwart, willst Du aufs Gymnasium?" erkundigte sich mein Lehrer bei mir und durch mein beredtes Schweigen stimmte ich mal wieder versehentlich zu. Vielleicht handelte es sich dabei im Nachhinein betrachtet um den allergrößten Fehler meines Lebens, denn die höhere Bildung machte mir psychisch endgültig den Garaus. Ich lernte wenig, hörte im Unterricht aber so viele Sachen, bei denen es sich um völlig unnützes Wissen handelte, das ich nie wieder in meinem Leben brauchen würde; jedoch wurde ich es nicht mehr los, weil es in meinem Kopf herumspukte, obwohl es mich rein gar nicht interessierte. Manchmal hegte ich den Verdacht, daß es sich bei unserem Schuldirektor auch um einen Kerl aus dem Päderastenmilieu handelte, da der die echt dumme Angewohnheit hatte, im Unterricht des Öfteren seine Hand auf meine Schulter zu legen, was ich, in der ersten Reihe sitzend, leider nicht verhindern konnte. Im Schulbus bekam ich öfter mal einen Schlag ab, reagierte aber natürlich nicht darauf und das sorgte interessanterweise dafür, daß ich nicht weiter malträtiert wurde. Manchmal glaubte ich sogar, ich würde selbst irgendetwas ausstrahlen, das die Leute aggressiv machte, was mir insbesondere viele Frauen in späteren Jahren eindeutig bestätigten. Womöglich gehörte ich zu den passiv Aggressiven, zuzutrauen war mir das durchaus, doch in der Schule lief ich nur so nebenher, ich brachte es dort nicht mal zum Mitläufer, sondern wohl eher zum Hinterher-, oder bestenfalls Nebenherläufer. All die Anderen wurden immer schlauer und schneller, ich dagegen ging zum Feuer entfachen in den Keller. Meine Eltern hatten mich schon längst total abgeschrieben, nicht nur emotional, sondern auch in ihrer gemeinsamen Steuererklärung. "Wenn Du nie "nein" sagst, dann wirst Du später viele merkwürdige Freunde an Deiner Seite haben", prophezeite mir meine Oma , nachdem ich sie mal wieder besucht hatte und ich dachte nach. Freunde, was war das eigentlich? Handelte es sich dabei womöglich um junge Menschen in meinem Alter, die mich nicht verdroschen? Gab es solche Individuen überhaupt? Grundsätzlich gehörte ich zu dem uninteressanten Menschenschlag, für den sich niemand sonderlich interessierte, weil er nichts zu bieten hatte. So etwas wie Hobbys kannte ich nicht, mit meiner Freizeit wußte ich noch weniger anzufangen wie mit meiner aus persönlicher Sicht völlig sinnlos vergeudeten Zeit in der doofen Schule und so schleppte ich mich von Schuljahr zu Schuljahr, ohne jede Zukunftsperspektive und Hoffnung auf eine Verbesserung. Meine Leistungen in den Prüfungen waren so durchschnittlich wie ich selbst und als ich das Abitur irgendwann tatsächlich in der Tasche hatte, fragte ich mich ernsthaft, wofür so ein Schulabschluß gut sein sollte. "Jetzt kannst Du studieren", bekam ich von meiner Tante zu hören. "Und was soll das bringen?" wandte ich ein. "Dann bekommst Du später einen tollen Job, in dem Du unheimlich viel Geld verdienst. Möchtest Du nicht reich und berühmt werden?" Verdammt noch mal, ich brachte das böse Wort einfach nicht über meine Lippen und so fand ich mich auf irgendeiner Universität wieder und fühlte mich genauso dämlich und beschissen wie auf dem Gymnasium. Der einzige Riesenvorteil der Hochschule bestand für mich darin, daß sich die Professoren noch weniger für uns Studenten interessierten als die Lehrer für uns Schüler. Nur auf die jungen und hübschen Studentinnen waren sie ganz scharf und ich wunderte mich nicht sehr darüber, daß die in den Prüfungen nie versagten, wahrscheinlich hatten sie mit dem Herrn Professor immer fleißig für die Prüfungen gepaukt gehabt, davon war ich felsenfest überzeugt und hielt das Ganze für eine unlautere Wettbewerbsverzerrung. Eines Abends war ich, weil ich mal wieder nicht "nein" hatte sagen können, auf einer Parteiveranstaltung gelandet und hörte einem Redner zu, der davon redete, daß es mit unserem Land endlich wieder aufwärts gehen müsse, denn es könne echt nicht länger angehen, daß wir hier der kranke Mann Europas wären, schließlich würden wir uns so nach zwei verlorenen Weltkriegen in unserer ganzen unmittelbaren Nachbarschaft nur vollkommen lächerlich machen. Ich hörte ihm zwar zu, verstand aber nicht wirklich was er meinte und wollte deshalb unauffällig verschwinden. Blöderweise wurde ich von irgendeinem Schlipsträger aufgehalten und der fragte mich mit weit aufgerissenen Augen, ob ich nicht auch so begeistert von dem Redner wäre wie er. Mein Schweigen deutete er als Zustimmung und wenige Minuten später hielt ich bereits einen Mitgliedsantrag für die Partei in der Hand. Nun half bald wirklich nur noch beten, denn jetzt war ich versehentlich auch noch in die bayerischste aller Volksparteien eingetreten.

Das Leben meinte es nicht wirklich gut mit mir, ich studierte sinnlos vor mich hin und als plötzlich irgendwelche Personalsucher von einem großen bayerischen Autobauer bei uns auftauchten, um uns von der Uni abzuwerben, konnte ich mal wieder nicht "nein" sagen, was dazu führte, daß ich mich schon wenig später an einem Fließband in einer riesigen Maschinenhalle befand. Immer heiter weiter auf der Karriereleiter, ich wurde schlicht und einfach nicht gescheiter. Also dilettierte ich auf dem Firmengelände so unauffällig wie möglich vor mich hin, doch als ich eines Abends mal wieder bei einer Parteiversammlung anwesend war, kam der Ortsvorsitzende auf mich zu und erklärte: "Mein lieber Dankwart, wir brauchen Dich als Direktkandidaten für unseren Wahlkreis bei den Landtagswahlen." Ich erschrak fürchterlich und fühlte mich weder geschmeichelt noch erfreut. Vielmehr hoffte ich inständig, aus jenem Alptraum ganz schnell aufzuwachen, denn ich wußte nur zu gut, was mit Leuten wie mir irgendwann passieren würde, wenn sie das Wort "nein" nicht über die Lippen brachten. Aber da halfen auch meine ganzen bösen Blicke nicht weiter, denn ich wurde fast einstimmig zum Direktkandidaten für meinen Wahlkreis bei der Landtagswahl gewählt und das war natürlich viel mehr als eine mittlere Katastrophe, denn ich wußte, daß ich mich in einer Partei und einem Bundesland befand, in dem für jene Partei Verlieren so gut wie unmöglich war.

Auch privat lief alles ziemlich beschissen. Bei vielen Frauen hatte sich nämlich herumgesprochen gehabt, daß es von mir keine Widerrede gab und das fanden die Damen der Schöpfung selbstverständlich außerordentlich verlockend. Manchmal hatte ich fünf Freundinnen gleichzeitig und das war mir dann schon auch ein bißchen peinlich; vor allem, da ich mich ja in einer christlichen Partei befand und für die auch noch in den Landtag gewählt werden sollte. "Also mit Deinen ganzen Frauengeschichten muß jetzt bald mal Schluß sein", meinte unser Ortsvorsitzender väterlich zu mir, nachdem wir mal wieder eine lange und überaus anstrengende Parteiversammlung hinter uns gebracht hatten. "Sie reden sich leicht, sagen Sie das mal lieber den Frauen, die so hinter mir her sind wie der Teufel hinter einer Seele", hielt ich ihm entgegen. "Ja, ich weiß schon, was Dein Problem ist, aber wenn Du es in unserer scheinheiligen Partei weit bringen willst, dann mußt Du Dein moralisch ziemlich fragwürdiges Leben etwas besser tarnen. Am besten wäre es, wenn Du bald heiraten würdest und ein paar Kinder in die Welt setzt", schlug er mir vor. "Komisch, das wollen meine Freundinnen auch alle immer", wunderte ich mich. "Ja, Du bist mir vielleicht ein Schwerenöter. Vergiß aber nicht, daß Bigamie bei uns verboten und strafbar ist. Wir leben hier schließlich nicht in Saudi-Arabien", stellte er klar, bevor er leise murmelnd hinzufügte: "Noch nicht, jedenfalls." Ich aber wußte Bescheid und nahm mir fest vor, mein Privatleben endlich in Ordnung zu bringen, damit die ganzen Wählerinnen und Wähler nicht mehr das dumpfe Gefühl hatten, sie würden ihre wertvolle Stimme an einen echten Hallodri verschwenden. Dummerweise machte mir jede meiner fünf Freundinnen eine Szene und fragte mich mit Tränen in den Augen, ob ich sie tatsächlich verlassen wolle. Da brachte ich das Wort "ja" leider auf einmal auch nicht über mein Herz sowie über meine Lippen und so lief alles weiter wie bisher. Zum Glück hatte die Woche sieben Tage, so daß ich jede meiner Gespielinnen immerhin je einmal pro Woche besuchen konnte, die beiden anderen Abende verbrachte ich auf Parteiveranstaltungen oder Festen, auf denen ich anwesend sein sollte, damit mich die Leute ein wenig näher kennenlernen konnten und sich nicht nur die schrecklichen Gerüchte zuraunten, die über mich bereits damals überall im Umlauf waren.

Es hieß nämlich leider nicht nur, daß ich ein Weiberheld wäre, was beim einfachen Parteivolk, das nicht so kirchlich geprägt war, durchaus gut ankam, sondern daß es sich bei mir um ein extrem korruptes und geldgieriges Charakterschwein handeln würde. Dafür konnte ich im Grunde nichts. Die Vertreter großer Firmen hatten sich an mich herangewagt gehabt und darum gebeten, mich und meine Partei kräftig finanziell unterstützen zu dürfen und so etwas durfte man jenen honorigen Leuten natürlich nicht abschlagen. Ich befand mich also immer mehr in einer Zwickmühle und das noch, bevor ich überhaupt in den bayerischen Landtag gewählt worden war. Was für ein verheißungsvoller Start in ein mehr als fragwürdiges Leben! Mein Studium hatte ich ja bereits an den Nagel gehängt und die körperliche Arbeit im großen Betrieb schien auch nicht so das Wahre zu sein, deshalb lautete meine Antwort auf die Frage, ob ich mir denn vorstellen könne, Berufspolitiker zu werden, natürlich nicht "nein". Die Wahl stand vor der Tür und ich konnte auch nichts dafür.

Klar, Viele von Ihnen werden sich jetzt ziemlich fassungslos fragen, wie es sein konnte, daß die Partei so einen Schnösel wie mich aufstellen wollte und dafür gab es einen ganz einfachen Grund: Unser Parteivorsitzender und Ministerpräsident war keinen Widerspruch gewohnt, er entschied alles selbst und machte andauernd was er wollte, weshalb er es überhaupt nicht leiden konnte, wenn sich da jemand einem Befehl von ihm widersetzte. Landtagsdirektmandate waren in Bayern ja so etwas wie Erbhöfe und mein Vorgänger war einer von den ganz Wenigen gewesen, die eine eigene Meinung hatten und die auch vertraten. Jenen aus seiner Sicht ganz üblen Kerl wollte unser Parteichef loswerden und damit so etwas nicht noch einmal vorkam, suchte er in unserem Wahlkreis nach jemandem, der alles abnickte und nicht widersprach. Kein Wunder, daß man da letzten Endes bei mir landete. "Am besten wäre es wohl, wenn wir den Dankwart aufstellen würden", hatte der Generalsekretär verlauten lassen. "Ich will nicht wissen, was der Kerl von Beruf ist, sondern wie er heißt", hatte der Ministerpräsident daraufhin deutlich gemacht. Ja, so waren die hohen Herren der Partei damals auf mich gekommen und nun hatte ich den Salat. Aber damit nicht genug. Meine Unfähigkeit "nein" zu sagen hatte leider noch viele andere merkwürdige Begebenheiten nach sich gezogen. So gaben sich beispielsweise an meiner Haustür die Vertreter die Klinke in die Hand, denn sie wußten von meiner Schwäche und nutzten die natürlich weidlich aus. Ich kaufte ihnen allen etwas ab, was dazu führte, daß es auf meinem Konto ziemlich leer aussah und als mich mein Bankberater fragte, ob ich einen Kredit aufnehmen wolle, da hätte ich am liebsten mit dem Kopf geschüttelt, aber das traute ich mich leider nicht. Abends, wenn ich mal in München spazieren ging, redeten mich wildfremde Frauen an und erkundigten sich bei mir, ob ich vielleicht mit ihnen mitkommen möchte. Ich folgte ihnen, wir hatten Spaß und danach mußte ich schon wieder blechen, bis ich irgendwann gemerkt hatte, daß es sich bei den leichtbekleideten Damen wohl um Prostituierte gehandelt hatte. Es kam der Tag, an dem ich einfach nicht mehr weiter wußte und etwas ändern wollte, weshalb ich einen Psychologen aufsuchte. "Wenn Sie nicht bald lernen, "nein" zu sagen, dann droht Ihnen eine fürchterliche Zukunft", machte er mir Angst und ich nickte zustimmend. Aber ich brachte jenes ablehnende Wort einfach nicht über meine Lippen. Im Wahlkampf wurde ich mit Geschenken und Freundlichkeiten überhäuft, für die man sich natürlich Gegenleistungen erhoffte und erwartete. Mein Wahlkreis lag außerhalb von München auf dem Land und dort konnte man als CSU-Kandidat eigentlich überhaupt nicht verlieren. Beinahe hätte ich es trotzdem geschafft, denn die Wählerinnen und Wähler waren mit meinem Vorgänger immer sehr zufrieden gewesen und wollten sich an der Partei dafür rächen, daß sie ihn einfach nicht mehr aufgestellt gehabt hatte. Gerade noch so konnte ich einen winzigen Vorsprung ins Ziel retten und war darob extrem erleichtert, denn ansonsten hätte ich wohl in Zukunft wieder richtig arbeiten müssen und das wollte ich auf gar keinen Fall. Eines Abends wurde ich nach meinem "Wahlsieg" zum Ministerpräsidenten bestellt, der Parteichef war übrigens auch da und der Generalsekretär sowieso. "Mein lieber Dankwart, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Einzug in den bayerischen Landtag. Ihr Wahlergebnis hat mich nicht gerade vom Hocker gerissen, aber Sie hatten es ja auch nicht ganz leicht als Nachfolger von diesem Verräterschwein", begann der Ministerpräsident zu salbadern und der Generalsekretär nickte sowohl nachdenklich als auch angestrengt. "Sie gehören jetzt zur Mehrheitsfraktion im Landtag, von der ich nur Eines erwarte: Absolute Loyalität. Ich und meine Minister werden die Arbeit erledigen, viele neue Gesetze kreieren und Ihr Abgeordneten werdet die ohne Widerspruch durchs Parlament bringen. Außerdem erwarte ich von Ihnen ganz persönlich, daß Sie sich eine Scheinfamilie zulegen, mit der Sie in der Öffentlichkeit auftreten. Was Sie ansonsten in Ihrem Privatleben anstellen, interessiert mich nicht, es darf nur nichts davon in den Medien bekannt werden. Also gut, ich habe gesprochen und mein Generalsekret hier wird Ihnen den Rest erklären, wie es so läuft und das ganze andere Zeug halt", verabschiedete sich der Parteivorsitzende, ging zur Tür hinaus, nachdem er vorher aufgestanden war und nahm den Ministerpräsidenten gleich mit sich mit. Der Generalsekretär schaute mich fragend an. "Was ist?" begehrte ich zu wissen." "Ich habe gehört, daß Sie nicht "nein" sagen können. Stimmt das?" "Ja." "Sehr gut. Dann werden wir mit Ihnen hier überhaupt keine Probleme haben, das ist sehr erfreulich. Wissen Sie, mein lieber Dankwart, unser Hauptproblem sind zu selbstbewußte, aufmüpfige Abgeordnete, die sich für was Besonderes halten, nur weil sie von den meisten Leuten in ihrem Wahlkreis gewählt worden sind. Aber stellen Sie sich doch mal vor, wie das aussehen und laufen würde, wenn alle hier so wären. Da würde doch dann jeder halbwegs beliebte Landtagsabgeordnete Minister werden wollen oder wenigstens Staatssekretär. Selbstüberschätzung ist hier bei uns in der Fraktion leider weit verbreitet und deshalb bin ich heilfroh darüber, daß es auch so Leute wie Sie gibt, mein lieber Dankwart. Ein ziemlich bescheuerter Name übrigens, aber das nur so nebenbei. Sie werden schnell feststellen, daß Sie hier als Abgeordneter eine ruhige Kugel schieben können, wenn Sie nicht aufmucken und immer schön brav alles abnicken, was aus der Staatskanzlei oder irgendeinem Ministerium kommt." "Und wie ist das mit den Spenden?" "Was genau meinen Sie damit?" "Na ja, unsere vielen Gönner erwarten doch bestimmt auch was für ihre Großzügigkeit." "Also, da ich weiß, daß Sie einer von uns sind und ganz fest auf unserer Seite stehen, werde ich Ihnen das Ganze mal ausführlich erklären: Wir hier in Bayern sind unantastbar. Wir regieren seit Jahrzehnten dieses Land, im Grunde haben wir von der CSU uns den Freistaat unter den Nagel gerissen. Wir können uns fast alles leisten und erlauben, denn wir gewinnen fast immer. Wer an uns Geld spendet, der bekommt dafür natürlich eine Sonderbehandlung, schließlich sind wir hier in der Partei eine große Familie und wer uns unterstützt, wird selbstverständlich massiv gefördert. Früher war es ja so, daß sehr viele reiche Leute an den ehemaligen MP gespendet haben oder an die Partei, was im Grunde auf dasselbe hinauslief, oder vielleicht auch nicht, weil sich der Bazi viel von der Kohle, die ihm damals überreicht wurde, in die eigene Tasche gesteckt hat, aber das ist schon sehr lange her. Damals erwarteten die edlen Spender als Gegenleistung natürlich ein Entgegenkommen bei der Besteuerung ihrer Firmen, das es dann selbstverständlich auch gegeben hat." "Aber ist das denn in Ordnung im Vergleich zu den anderen Leuten, die ihre Steuern ganz normal zahlen müssen?" hakte ich nach. Er schaute mich leicht verwundert an, nahm einen Schluck Bionade zu sich und entgegnete dann: "Na klar! Diese anderen Leute haben entweder nichts, oder zu wenig an uns gespendet, oder sie haben keine Beziehungen zu hohen Würdenträgern aus der Partei, also geschieht es ihnen recht, daß sie keinen Steuernachlaß erhalten. Wir können hier schließlich nicht allen Firmen und Vermögenden Rabatte gewähren, sonst wäre unser Land ja ganz schnell pleite. Also, wer an uns viel spendet, muß entweder weniger Steuern zahlen, oder bekommt hohe Subventionen, oder wird irgendwie anderweitig bevorzugt behandelt. So lief das hier bei uns schon immer und daran wird sich auch niemals etwas ändern, haben Sie verstanden?" "Jawohl", antwortete ich militärisch knapp, was er mit einem äußerst zufriedenen Grinsen zur Kenntnis nahm. Nun begann er damit, irgendeinen Fraß zu futtern, was ihn aber nicht daran hinderte, laut schmatzend und kauend weiterzureden: "Das einzige Problem, das wir hier in Bayern haben, sind die Medien sowie die Opposition und zwar genau in der Reihenfolge. Früher hatten wir die blöde Presse noch ziemlich gleichgeschalten, aber heutzutage hat unser Einfluß auf das geschriebene Wort leider stark nachgelassen und das bedeutet, daß da immer wieder mal angebliche Skandale aufgedeckt und kritisch durchleuchtet werden. Da heißt es dann überall, irgendwelche Milliardäre würden bevorzugt, weil sie an die Partei oder an ihren Vorsitzenden viel Geld gespendet hätten; unliebsame Beamte, die nach Recht und Gesetz handeln, würden gemobbt oder anderweitig kaltgestellt werden und lauter solche üblen Sachen. Sie können sich bestimmt überhaupt nicht vorstellen, wie viele Halbwahrheiten und Gerüchte da im Umlauf sind." "Oh doch, das kann ich sehr gut", erwähnte ich und mußte aufpassen, daß ich mir ein Gähnen verkniff. "In manchen überregionalen Zeitungen stellt man es sogar so dar, als wären wir hier so etwas wie die Mafia, dabei helfen wir doch auch nur denen, die uns ebenfalls unterstützen und ich verstehe überhaupt nicht, was daran kriminell oder unrechtmäßig sein soll. Eine Hand wäscht die andere, so war es schon immer gewesen und so wird es auch immer bleiben. Wissen Sie, die ganzen Beamten, die für uns arbeiten, die sollen nicht selber denken, sondern nur das machen, was wir ihnen aufgetragen haben. Wenn ein Milliardär hier keine Steuern zahlen will, weil er dem Ministerpräsidenten jeden Monat 200000 DM gespendet hat, dann ist das doch völlig in Ordnung und dagegen gibt es auch rein gar nichts einzuwenden. Das finden Sie doch auch, oder?" Ich nickte. "Sehen Sie, wir Beide verstehen uns halt. Also, halten Sie sich lieber von den Pressefritzls fern, denn die wollen Sie nur aufs Glatteis führen. Machen Sie immer schön brav das, was Ihnen befohlen wird, dann kann Ihnen hier bei uns überhaupt nichts passieren und Sie werden es noch ganz weit bringen", versprach mir der Generalsekretär, rülpste zufrieden laut auf und bedeutete mir danach zu gehen. Ich war sowohl erleichtert als auch beeindruckt. Endlich mal hatte mir jemand in einfachen Worten erklärt, wie das hier bei uns so ablief. "Ach, Dankwart, einen Augenblick noch. Was hat man Ihnen eigentlich über die Gewaltenteilung erzählt?" forschte er noch interessiert. "Na ja, das Übliche halt. Exekutive, Legislative und Judikative stehen gleichberechtigt nebeneinander und sind völlig unabhängig voneinander." "Ah ja, ich verstehe. Sie kennen also bisher nur die offizielle Version. Ja, so wird es meist im Sozialkundeunterricht gelehrt und gelernt, aber bei uns hier in Bayern, da gehen die Uhren anders, wie Sie gewiß auch schon bemerkt haben. Hier bestimmt die Exekutive fast alles und sowohl die Legislative als auch die Judikative haben sich ihr zu fügen. Das bedeutet, wenn ein Staatsanwalt in eine Richtung ermittelt, die uns nicht paßt, dann bekommt er vom Justizministerium eine auf den Deckel. Verhält er sich immer noch unfreundlich der Partei gegenüber, dann wird er entweder versetzt, vom kritischen Fall abgezogen oder zwangspensioniert. Wir kennen da gar nichts. Wer hier in Bayern was werden will, muß sich nicht an Recht und Gesetz halten, sondern das machen, was wir wollen. Die CSU hat die Macht über Bayern, nicht irgendwelche Richter und Staatsanwälte, habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?" "Na und ob. Und was ist, wenn ein Richter oder ein Staatsanwalt auch CSU-Mitglied ist?" fragte ich nach. "Dann sieht die ganze Sache schon wesentlich hoffnungsvoller aus. Mit den Parteifreunden kann man ja in den meisten Fällen doch ganz vernünftig reden und die rennen auch nicht gleich zur Presse, wenn Ihnen etwas nicht paßt." "Bis auf den Einen da, diesen Stotterer." "Ich weiß, wen Sie meinen, aber letzten Endes hat uns der auch nichts anhaben können. Eigentlich hätten wir den wegen parteischädigendem Verhalten aus der CSU rausschmeißen müssen, aber so etwas ist leider nicht ganz so einfach." "Was hat eigentlich die Presse für ein Problem?" erkundigte ich mich zum Schluß. "Eine ganz ausgezeichnete Frage, mein lieber Dankwart. Das würde mich auch mal brennend interessieren. Ich glaube ja, daß es den Medienvertretern in erster Linie um Auflage und Schlagzeilen geht. Da kommt so ein vermeintlicher Skandal immer gut. Außerdem haben diese Korinthenkacker und Paragraphenreiter das Problem, daß sie die ganzen Gesetze viel zu wörtlich nehmen. Wir in der CSU sind da halt wesentlich pragmatischer und flexibler. Wir legen sowohl die bayerische Verfassung als auch die ganzen Gesetze, Regeln und Vorschriften so aus, daß sie uns in den Kram passen und nicht weiter stören. Damit können und wollen sich viele Pressevertreter und Oppositionspolitiker leider nicht abfinden, aber zum Glück haben wir ja die absolute Mehrheit hier in Bayern", faßte der Generalsekretär zusammen und danach entließ er mich aus der Audienz beim Allerhöchsten und seinem Stellvertreter. Ich war schwer beeindruckt von all diesen beeindruckenden Persönlichkeiten, denen ich fortan dienen durfte.

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70 S. 1 Illustration
ISBN:
9783742781567
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