Buch lesen: «Foodporn.»

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Marie Schröer Foodporn Ein Kurztrip in die sozialen Medien

Die Autorin

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Marie Schröer

Foodporn

Ein Kurztrip in die sozialen Medien


So-yeon Schröder-Kim, Altkanzler Schröders Frau, fotografiert den Frühstückstisch. Instagram-Post vom 01.11.2020, https://www.instagram.com/p/CHCpm_XH_m7/ (© So-yeon Schröder-Kim // Instagram: @soyeonschroederkim)

Sonntagsfrühstück

Altkanzler Schröder greift mit einer beherzten Rechten zum Körnerbrot, und das ansonsten menschenleere Stillleben ist damit einen Deut weniger beschaulich. Der Frühstückstisch auf dem Balkon ist in saisonalen Herbstfarben geschmückt – Kürbis, Kastanien, Hagebuttenstrauß. Das kulinarische Arrangement ist nicht opulent, aber sorgfältig kuratiert: Ginseng-Tee statt Kaffee (so verrät es der Begleittext), dazu sehr grüne Smoothies (Kiwi-Apfel, so legen es die Obst-Emojis nahe), zwei Frühstückseier, eine halbierte Grapefruit, aufgeschnittene Cherrytomaten, eine Handvoll gebratener Speck, eine Flasche gutes Olivenöl, Gabel, Messer, Stäbchen. Es ist der Morgen des 1. November 2020. Zwei Stunden nach Veröffentlichung des Fotos hat So-yeon Schröder-Kims Allerheiligen-Frühstück auf Instagram rund 1000 Likes und um die 30 Kommentare generiert. Dass die prominente Hand ihres Gatten das Bild ein Stück weit (zer)stört, mag Zufall, kann aber auch Absicht sein: Ein echter Arm als effet de réel, als Barthes’scher Realitätseffekt, ein vermeintliches Stück Authentizität im oft sehr glatten Instagram-Universum. Wenn Gerhard Schröder mitten in das Foto langt, gibt das der Szenerie den Reiz des imperfekten Schnappschusses, der den Betrachtenden das Gefühl gibt, ziemlich nah dran zu sein: Schröders Stillleben-sprengender Arm verhilft einem ansonsten weitgehend konventionalisierten Untergenre der Food-Fotografie durch den kleinen Bruch zu mehr Dynamik und Originalität. Ganz nebenbei demonstriert er freudige Ungeduld und damit gesunden Appetit, was dem Altkanzler »zum Anfassen« sicher ein paar Sympathiepunkte beschert. Das Sonntagsfrühstücksfoto dient also nicht bloß als Inspiration für das saisonale Arrangement gesunder Leckereien, sondern ist Teil dessen, was man in den Termini des Boulevardjournalismus als Instagram-Homestory des prominenten Paares bezeichnen würde: Der dekorative Strauß, so wissen es die fleißigen Follower, ist auf Schröder-Kims Instagram-Wall schon zum Leitmotiv avanciert: In einem kleinen wackligen Video, das nur wenige Tage zuvor gepostet wurde, posiert Gerhard Schröder mit Hagebuttenzweigen und erzählt vergnügt aus seiner Jugend, von der Herstellung von Juckpulver, mit dem die Jungs die Mädels zu drangsalieren pflegten …

Über den Frühstückspost in meinem Insta-Feed, der die folgenden Ausführungen eröffnet, stolpere ich am Sonntagmorgen eher zufällig. Genauso hätten diese mit den visuell anspruchsvolleren Posts professioneller Food-Blogger à la @berlinfoodstories beginnen können (ihre sieben Tage ältere farbenprächtige Dokumentation der Pommes frites mit Kaviar und Schnittlauchmayo des Kreuzberger Lokals »Goldies« generierte ähnlich viele Likes) oder der Abbildung von aufwendig verzierten Halloween-Keksen einer US-amerikanischen Hobby-Bäckerin (mit deutlich weniger Likes). Beide wären gleichermaßen geeignet gewesen, um einige analytische Schlaglichter auf eine prominente Art und Weise der Kommunikation über Essensbilder auf Instagram zu werfen. Das soziale Netzwerk quillt über vor diversen Essensbildern unterschiedlichster Provenienz, Ästhetik und Reichweite, die zunächst nur eines gemeinsam zu haben scheinen: Sie inszenieren Speisen fotografisch und öffentlich. Angesichts der stilistischen und inhaltlichen Bandbreite gibt es auf die Frage, warum Menschen ihr Essen fotografieren und die Bilder im Anschluss mit einer mehr oder minder breiten Öffentlichkeit teilen, allerdings definitiv mehr als nur eine Antwort.

Essensbilderflut

#instafood, #omnomnom, #foodporn, #food, #foodie, #organic, #healthyeats, #goodeats, #vegetarian, #vegan, #glutenfree, #hungry, #homemade, #madefromscratch, #foodiesofinstagram, #eats, #instacool, #foodstagram, #instafood, #foodpic, #foodgasm, #delicious, #foodoftheday, #foodpics: So lauten nur einige der Hashtags, die spezialisierte Seiten mit aussagekräftigen Namen wie www.top-hashtags.com sozialen Netzwerkern zur Untermalung kulinarischer Posts zwecks optimaler Verbreitung und Follower-Generierung empfehlen. Angepriesen wird die ausgewogene Mischung zwischen altbewährteren (#foodporn) und originelleren Hashtags neueren Datums (#quarantinecooking), denn es gilt, sich von einer Flut von Bildern abzusetzen, die oft ähnliche Motive (wie das kanonische Avocado-Sandwich) in ähnlicher Ästhetik (grün auf braun, Avocado auf rustikalem Holzbrett) zeigen. Digitale Kameras und vor allem Smartphones bieten Voreinstellungen, mit dem sich Essen besonders gut ablichten lässt, oder spezielle Apps, mit denen sich Fotos im Anschluss bearbeiten lassen. Unzählige Blogs geben Tipps für gute Belichtung, passende Hintergründe und abwechslungsreiche Gestaltung. Das klingt dann etwa so (hier im Wortlaut von nicestthings.com): »Wenn das Café oder Restaurant so gar nichts (Hübsches) zu bieten hat, schaut doch mal in eurer Tasche. Vielleicht ist da ja eine Sonnenbrille drin? Zack, hat das Foto vom Espresso auf der Strandpromenade etwas mehr Kontext … Ansonsten hängt die beste Perspektive wie bei der normalen Fotografie auch vom Gericht ab. Man will ja die Schokoladenseite zeigen. Also wie immer, ihr kennt das: Burger oder Pancake-Stapel am besten von vorne, Pizza oder Tarte von oben fotografieren.« Unter dem Hashtag #foodporn finden sich aktuell (Anfang November 2020) 245 Millionen Posts; im Juni letzten Jahres waren es noch 190 Millionen. Unter den Hashtags mit Food-Bezug ist #foodporn damit der zweitbeliebteste, nach dem deutlich nüchterneren Hashtag #food mit aktuell rund 416 Millionen Beiträgen.

Einheitsbrei und Übersättigung: Kritik der Speisefotografie

Was vor zehn Jahren, als Instagram noch ganz neu war, zumindest noch ansatzweise für Irritation sorgte, ist zur alltäglichen Szene in kulinarischen Kontexten geworden: Mit Mobiltelefonen hantierende Menschen betreiben einen Riesenaufwand, um die auf Verzehr wartende Mahlzeit in das rechte Licht zu rücken. Das gilt eben nicht nur für spektakulär angerichtete Gerichte aus der Sterneküche, sondern auch fürs Mensaessen, die Mantaplatte, Burger in allen Variationen oder auch (nicht nur in Corona-Zeiten) Selbstgekochtes oder eben das heimische Frühstück. Viele Restaurants haben sich mit dem Trend arrangiert (immerhin kostenlose Werbung) oder gar begonnen, ihre Speisen Instagram-tauglich anzurichten (in Tel Aviv, darauf verweisen viele Glossen, soll es mit dem »Catit« sogar ein Restaurant mit Handyhalterung am Teller gegeben haben). Andere halten dagegen: Das Berliner Sternerestaurant »Nobelhart & Schmutzig« fordert in der Speisekarte zum Verzicht auf Fotografie auf: »Please take memories not pictures.« Debattiert (und nicht selten kritisiert) wurde und wird dieser Trend im Feuilleton, in Glossen und Interviews: »Im Restaurant sieht man oft, dass Gäste ihr Essen fotografieren. Später posten sie das Bild auf Facebook. Was soll das?«, fragt der Spiegel Eva Barlösius 2013 mit passiv-aggressivem Unterton. Der primäre Grund, so die Soziologin, sei mit dem Zelebrieren besonderer Anlässe und der entsprechenden Mahlzeiten vor allem das Ausstellen des kulturellen Kapitals: »Es geht nicht um den Alltag. In den sozialen Netzen werden Sie kaum auf Fastfood-Bilder stoßen. Mit diesen Fotos zeigt man: Ich kann mir das leisten. Aber auch, und das ist viel wichtiger: Ich habe kulturelle Kenntnisse und weiß ›gutes Essen‹ zu würdigen.1 Sieben Jahre nach Veröffentlichung dieses Interviews kann man Barlösius in einem Punkt zustimmen, im anderen Punkt problemlos widersprechen: Ja, es geht (auch) um das Ausstellen des kulturellen Kapitals, aber nein, es muss kein besonderes Essen sein. Instagram und Alltag, wenn auch ein inszenierter, und Instagram und Burger gehören zusammen wie die von Roland Barthes kanonisierten Steak-frites. Wie der Prolog vom Schröder-Kim’schen Frühstückspost zeigt: Das (Pseudo-)Authentische der geteilten Intimität ist entscheidendes Merkmal erfolgreichen Pos(t)ens. Und: Das Essen darf dann auch durchaus profan sein. Daraus folgt: Tatsächlich finden sich sehr viele sehr ähnliche Bilder. Bestimmte Lebensmittel sind schlicht besonders beliebt (wie Burger und Pizza), andere eben noch dazu gesund (wie die bereits erwähnte Avocado) oder, das wussten schon unterschiedlichste Stilllebenmaler wie Polidoro da Caravaggio, Pieter Claesz und Edouard Manet, auf monochromen Hintergrund eben besonders dekorativ (Zitronen, Trauben, Feigen, Nüsse, Meeresfrüchte). Die resultierende Redundanz ist ein Grund, aus dem manch einer den Fotografierreflex nicht nachvollziehen kann: Warum das x-te Avocado-Sandwich ablichten? Führt die Wiederholung nicht zwangsläufig zu einem Gefühl von Übersättigung?

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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