Columbans Revolution

Text
Aus der Reihe: Edition IGW #1
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

2.2 Irische Kultur und irisches Mönchtum
2.2.1 Nachfolger der Druiden

In der keltischen Kultur erfüllten die Druiden die Funktion der Priester. Sie vermittelten zwischen der geistlichen Welt und stellten damit das Überleben in der Ungewissheit des Lebens sicher.5 Für ihre Anbetungsstätten wählten sie Orte, an denen „der Himmel die Erde berührt“ (Bitel 1990:43). Die Druiden rekrutierten sich in erster Linie aus der keltischen Oberschicht. Bis zu 20 Jahre dauerte die Ausbildung der jungen Männer, die sich ihnen anschlossen. Sie lernten zu schreiben und bildeten die intellektuelle Elite der Gesellschaft, zahlten keine Steuern und waren vom Kriegsdienst befreit. Sie waren Mediziner, Forscher, Lehrer und Richter.

Hatte Patrick noch Priester nach dem im späten Römischen Reich üblichen Modell der Diözesen mit ihren städtischen Pfarrkirchen eingesetzt, so passten die Iren sehr schnell die Kirchenstrukturen ihrer gesellschaftlichen Realität an. Das christliche Leben organisierte sich um Klöster herum, die aus mönchischen Einsiedeleien in der Nähe von Siedlungen hervorgegangen waren, und zwar oft genau an den Orten, an denen vorher druidische Heiligtümer gewesen waren (Bitel 1990:50, 98). Manchmal existierten die alten heidnischen Monumente sogar neben den neuen christlichen Kirchen weiter.6 In der Mentalität der irischen Christen mit ihrer Ehrfurcht vor der und Liebe zur Natur findet sich das Denken der Druiden wieder (Hunter 2000:87). Der berühmte Mönch Columcille etwa bezeichnete Jesus einmal als seinen „heiligen Druiden“ (Olsen 2003:114). Es ist nicht zu übersehen, dass die Mönche fließend und scheinbar recht mühelos die Rolle übernahmen, die bis dahin die Druiden gespielt hatten. „Die Kirche ersetzte die Druiden als Angelpunkt der Gesellschaft“ (:71). Daraus erklärt sich auch ihre später für Europa so entscheidende Bildung und intellektuelle Brillanz, mit der die Iren „die Zivilisation retteten“ (Cahill 1995:196). Es zeigt, wie die Mönche selbstverständliche gesellschaftliche Erwartungen erfüllten, was sicherlich ein Faktor für die rasante Ausbreitung des christlichen Glaubens in Irland war.7

2.2.2 Netzwerke: Starke Verflechtung mit der Gesellschaft

Das frühmittelalterliche Irland war relativ dünn besiedelt. Hunderte von Königreichen mit einer Bevölkerung von jeweils 500 bis 12 000 Personen überzogen die Insel (Bitel 1990:2). Aus dieser Zahl kann man schon sehen, dass ein König eher ein Stammesfürst war. Die Lebensbedingungen waren hart: Fruchtbarer Boden musste dem stetig nachwuchernden Wald abgekämpft werden, das unberechenbare Wetter verdarb Ernten, und so war der Hunger eine ständige Bedrohung. Um überleben zu können, war der Einzelne auf die Unterstützung der Gruppe angewiesen, und nicht selten überfiel ein Stamm den anderen in einem der berüchtigten Rinderraubzüge. Seit dem siebten Jahrhundert unterwarfen einzelne Könige andere, um sie tributpflichtig zu machen. Eine die ganze Insel überspannende Herrschaft gab es allerdings nie.

Eine Stammeskultur funktioniert nach ganz anderen Prinzipien als unsere moderne pluralistische Gesellschaft. Die Sicherheit kommt aus der Gemeinschaft, die den Einzelnen unterstützt, etwa bei Krankheit oder dem Aufbringen des Brautpreises. Umgekehrt stellt die Gruppe Forderungen an den Einzelnen (Hiebert 1992:C29). Entscheidungen werden als Gruppe getroffen und Verwandtschaft ist die Basis für soziale Beziehungen. Die Ordnung baut dabei nicht auf Gesetzen auf, sondern auf der gegenseitigen Verantwortung und Haftung von Mitgliedern einer Gruppe, die auch von außen als Gruppe gesehen wird (Aschoff 2006:45).

Die Iren lebten in einer solchen Stammeskultur, bevor das Evangelium sie erreichte, und auch viele Jahrhunderte danach. Der Gemeinschaftsgedanke war ihnen so tief verwurzelt, dass auch Mönche und Nonnen entgegen der formellen Rhetorik des „Vater und Mutter verlassen um Christi Willen“ und des Ideals der Abgeschiedenheit faktisch fast ausnahmslos in starken Netzwerken über die Klostermauern hinaus eingebunden waren (Bitel 1990:89). Anders ließen sich auch die Gefahren des Lebens nicht meistern. Jedes Kloster errichtete um sich herum ein Netzwerk zum Schutz und zur Versorgung.

Zölibatäres Leben als (offizielle) Voraussetzung für ein Mönchsdasein setzte sich erst im elften Jahrhundert allmählich durch (Bitel 1990:236). Mönche hatten Familien, Ämter wurden mit Verwandten besetzt (Bitel 1990:105). Die Gründerfamilien, die oft aus dem irischen Adel stammten, besaßen ein Quasi-Erbrecht auf die Besetzung geistlicher Ämter (Angenendt 1990:205). Das Kloster war also „Klan“, gleichzeitig aber auch – wie jeder Klan – in ein enges Netzwerk mit anderen Klans eingebunden. Diese Verbindungen konnten durch Verwandtschaft begründet sein oder durch politisches Taktieren. Wie fest diese Netzwerke zwischen Kloster und Politik waren, lässt sich etwa daran erkennen, dass Klöster öfter überfallen und niedergebrannt wurden – und zwar nicht nur von Stammesfürsten, sondern auch von anderen Klöstern. Beinahe jeder Grund schien dafür gut genug: der Reichtum eines Klosters, sein Bündnis mit dem falschen König oder Rivalitäten zwischen Klöstern. Das Kloster Armagh etwa wurde zwischen 800 und 1 200 mindestens 50 Mal überfallen (Bitel 1990:148 f.).

Um das Zentrum des Abtes bzw. der Oberin und seiner/ihrer Mönche und Nonnen gab es Landpächter und Handwerker – die Manaig –, die im Austausch für ihre Dienste geistliche Dienstleistungen erhielten (Bitel 1990:127 f.). Mit lokalen Fürsten wurden Bündnisse geschlossen; dem militärischen Schutz und Geldzahlungen standen praktische Dienste wie die Ausbildung der Kinder der Oberschicht (Olsen 2003:92) und das Sicherstellen des Segens Gottes gegenüber (Bitel 1990:191 ff.). In einer so unberechenbaren Welt war der Schutz Gottes etwas, für das die Menschen bereit waren, einen hohen Preis zu zahlen. Klöster wurden gestiftet, Ländereien geschenkt – manchmal auch gleich mit den Menschen, die darauf lebten (Bitel 1990:121).

2.2.3 Mönche gehörten zur politischen Oberschicht

„Die Söhne und Töchter der irischen Führer werden Mönche und Jungfrauen Christi“, schrieb Patrick um das Jahr 450 in seiner Confessio. In Scharen schlossen sich die Kinder der regierenden Klasse dem neuen Glauben und seinen Gemeinschaften an (Olsen 2003:74). Das lag wohl auch daran, dass die örtlichen Túaths (Mitglieder der Regierung) ihren Nachwuchs dort ausbilden und erziehen ließen.

Die Mönche traten wie schon ihre Vorgänger, die Druiden, als Richter und Schlichter in Konfliktfällen auf. Diese Rolle als Friedensstifter bauten sie im Laufe der Jahrhunderte immer weiter aus. So wurden sie zu Reformern der Gesellschaft. Seit Anfang des siebten Jahrhunderts begannen die Mönche, so genannte Cána zu erlassen. Ein Cáin war ein niedergeschriebenes Gesetz, das über die Grenzen des jeweiligen Königreiches hinweg galt, manchmal für ganz Irland. Das Cáin Pátraic etwa verbot das Umbringen von Klerikern, andere Cána richteten sich gegen Rinder-Raubzüge oder die Sonntagsarbeit (Bitel 1990:163). Wenn soziale Beziehungen, die durch Gesetze geregelt wurden, nicht richtig funktionierten, brachten die Mönche sich als Mediatoren und Beschützer der Hilflosen ein (Bitel 1990: 171 f.). So veränderten sie nicht nur das Wertesystem und die soziale Struktur Irlands, sondern führten ganz nebenbei auch noch eine Schrift- und Gesetzeskultur ein.

Einzelne Äbte spielten dabei die Rolle von Diplomaten. Columcille beispielsweise, selbst ein Königssohn und zur Sühne einer von ihm angezettelten blutigen Schlacht nach Iona in die Verbannung gegangen, setzte sich aktiv ein in der Königsnachfolge und für das Existenzrecht der Barden (Olsen 2003:113 f.). Seine Nachfolger in Iona waren nicht weniger einflussreich. Sie wurden aktiv als Geiselbefreier, Gesetzgeber, für den Schutz von Frauen im Krieg und die Menschenrechte im Allgemeinen (Olsen 2003:118 ff.).

2.3 Die Spiritualität irischer Mönche

Die Spiritualität der irischen Mönche im Frühmittelalter wirkt für den Betrachter im 21. Jahrhundert seltsam widersprüchlich. Da ist einerseits eine radikale, oft unmenschlich wirkende Askese. Andererseits erkennt man eine enge Gemeinschaft und Bodenständigkeit, von der wir in unserem heutigen, oft viel zu kopflastigen Christentum sicher einige wichtige Lektionen lernen können.

Sünde verstanden die Iren als Symptom einer Krankheit, nämlich des sündhaften Grundzustandes des Menschen. Sie war also nicht das Ergebnis einer einmaligen Entscheidung für Gut oder Böse. Buße diente darum nicht der Wiedergutmachung, sondern der Therapie. „Eine Vielzahl von Vergehen erfordert eine Vielzahl von Bußen“, heißt es in der Bußregel Columbans. „Und so wie Ärzte verschiedene Medizinen herstellen müssen, so müssen geistliche Ärzte verschiedene Heilmittel für die verschiedenen Wunden, Unpässlichkeiten, Leiden und Schwächen der Seele haben.“ Die Buße entsprach der Krankheit: Wer zuviel redet, wurde mit Schweigen bestraft, der Ruhelose mit dem Praktizieren von Sanftmütigkeit, der Vielfraß mit Fasten, der Schläfrige mit Wachen, der Stolze mit Gefängnis (Olsen 2003:88). Dabei richtete sich die Buße nach der Tat, weniger nach der Motivation, was sich für das Mittelalter als prägend erweisen sollte (Angenendt 190:201 ff.). In Columbans Bußbüchern ist nachzulesen: Wer beichtet, der „erfragt die geschuldete Buße“. Wer etwa wegen Völlerei oder Trunkenheit die Kommunion erbricht, hat dreimal 40 Tage zu büßen; wenn dasselbe wegen Krankheit geschieht, sind es sieben Tage. Buße ist gleichbedeutend mit Strafe: „Wer am Beginn eines Psalmes hustet und nicht gut singt, werde mit sechs Schlägen bestraft; wer beim Opfer nicht die Ordnung einhält, sechs Schläge; wer beim Chorgebet lächelt, sechs Schläge“ (aus Columbans Bußbuch, Angenendt 1990:214).

 

Arbeit galt den Mönchen als das Mittel, um Demut zu lernen. Die Begriffe wurden austauschbar verwendet, auch für „Arbeiten“ wie das Beten in einem eiskalten Fluss (Bitel 1990:133). Die Askese war nach diesem Verständnis eine unbedingte Voraussetzung für wirkliches geistliches Leben. Häufig wurden in Klöstern täglich alle 150 Psalmen gebetet. Strenges Fasten, lange Nachtwachen, stundenlanges Stehen im kalten Wasser stellten einige der geistlichen Übungen dar, mit denen die sündhafte fleischliche Natur bezwungen werden sollte. Beim Crossfigel (Crucis Vigilia) hielt der Asket die Arme stundenlang in Kreuzesform ausgebreitet. Gebete wurden dabei oft als Lorica bezeichnet, was soviel heißt wie „Schutzpanzer“: Sie waren ein magisches Mittel, um Unheil abzuwehren (Angenendt 1990:205). Diese Arbeit hatte allerdings auch ihren Lohn. Der Mönch, der sich in Gebet und Askese übte, erwarb dadurch Virtus, die himmlische Kraft. Wie wir in Kapitel 4.8 sehen werden, eine der Kernkompetenzen, die einen Vir Dei ausmachten, einen Mann Gottes. Denn mit dieser Kraft konnte er den Segen und Schutz Gottes sicherstellen. Aus eben diesem Grund waren auch die Gräber der Heiligen und deren Reliquien so wichtig, denn in ihnen wohnte die Kraft des oder der verstorbenen Heiligen (Bitel 1990:185). Auch in der keltischen Kultur hatten die Gräber schon eine wichtige Rolle gespielt. Nun wurden sie zu Orten, an denen man dem Heiligen begegnen konnte (Bitel 1990:70 f.).

Als eine besondere Form der Askese verstand man das Martyrium. Nachdem es eine Christenverfolgung wie in der Antike in Irland nie gab, bei der jemand ein Rotes Martyrium – den Tod um Christi willen – erlitt, entwickelten die Mönche die Idee des Grünen Martyriums – durch Fasten und Arbeit vom eigenen Verlangen befreit werden – und des Weißen Martyriums. Bei letzterem ging es darum, alles um Christi willen zu verlassen, selbst wenn das Fasten, Hunger und harte Arbeit bedeutete. Wer in das Weiße Martyrium ging, wurde ein Peregrinus. Dieser Begriff wurde später ein Synonym für die irischen Wandermönche des Frühmittelalters.

Im irischen Verständnis war die Zugehörigkeit zu einer Sippe gleichbedeutend mit dem Menschsein, damit, eine „Person“ zu sein, mit dem Leben an sich. Peregrini ist der Plural des lateinischen Peregrinus und war ursprünglich ein juristischer Begriff für Menschen, die wegen Verbrechen aus der menschlichen Gemeinschaft, der Familia, ausgeschlossen wurden. Sie, die sich wie Tiere verhalten hatten, sollten nun wie ein Tier ohne Gemeinschaft leben. Sie wurden zu einem Schreckgespenst, zu einer Unperson, und verhielten sich auch nach ihrer Verbannung oft so, in dem sie beispielsweise Reisende überfielen und bestialisch ermordeten. Die Mönche übernahmen diesen Begriff für jemanden, der alle Gemeinschaft um Christi willen verlässt. Besonders in der Zeit von 500 bis 800 verließen irische Mönche Heimat, Verwandte und Verbündete, um Heiligung in der Fremde zu suchen. „Ihr tiefer Glaube war, dass ihr Tod in der Ödnis Gottes Gericht über einen Sünder demonstrieren würde; ihr Überleben aber würde ihnen eine geistliche Belohnung geben, die über alles hinausging, was sie zuhause finden konnten“ (Bitel 1990:223 ff.).

Selbst im Weißen Martyrium gingen die Iren nie allein. Columban etwa zog nach dem Vorbild Jesu mit zwölf Mönchen in die Fremde. Das gemeinschaftliche Leben war wie die Askese fest im „genetischen Code“ der Iren verwurzelt. Wie wichtig Netzwerke waren, haben wir bereits gesehen. Jeder Mönch hatte außerdem seinen Anamchara. Das Wort bedeutet „einer, der meine Zelle mit mir teilt“, ein Seelenfreund. Diese Person, der man sich ganz öffnete, leitete einen auf dem Weg der Nachfolge Christi. Als der Seelenfreund eines jungen Mönches im Doppelkloster Kildare gestorben war, sagte die Heilige Brigid (454–524) zu ihm: „Jemand ohne einen Seelenfreund ist ein Körper ohne einen Kopf. Iss nicht, bevor du einen Seelenfreund gefunden hast“ (Olsen 2003:93 f.). Der Seelenfreund Columcilles erlegte ihm als Buße auf, ins Exil zu gehen und so viele Seelen zu bekehren, wie durch dessen Verschulden in der unheilvollen Schlacht von Cúl Dreimne getötet wurden: 3 000.

Lange vor Guinness und Kilkenny kannten die Iren schon das Bier. Von Brigid ist ein Biersegen überliefert, und im Kloster Cell Sléibe verwandelte die Oberin sogar einmal Wasser in Bier, um durch dieses Wunder bei episkopalem Besuch angemessen auftischen zu können (Bitel 1990:209). Gastfreundschaft hatte einen hohen Stellenwert. Der Besuch eines Gastes war immer wichtiger als das eigene Fasten, das die Mönche bereitwillig unterbrachen, um mit einem Gast zu essen. Auch wenn die heiligen Orte im Kloster für Besucher und Laien tabu waren, so wurden Gäste doch mit warmem Herzen und Händen in eigenen Gästehäusern willkommen geheißen. Reisende, Flüchtlinge und junge Menschen fanden eine zeitweise und manchmal auch dauerhafte Heimat in den Klostermauern, was ein Ausdruck der keltischen Großzügigkeit war (Aschoff 2006:65). Und wie man späteren Berichten über „das Geschrei der Iren“ entnehmen kann,8 verstanden sie schon immer zu feiern.

Das Abschreiben und Studieren der Bibel und anderer antiker Texte, auch das Aufschreiben keltischer Sagen, entwickelte sich zu einer wichtigen Beschäftigung der irischen Mönche. Dabei leisteten sie erstklassige handwerkliche Arbeit und verzierten die von ihnen gefertigten Handschriften mit manchmal nachgerade witzigen und charmanten Illustrationen. Aus den Randnotizen, die sie neben den eigentlichen Texten machten, kann man sehen, wie sie über die Arbeit reflektierten – und manchmal auch über ganz andere Dinge.9 Sie besaßen die in der Antike so großartig entwickelte Fähigkeit, in abstrakten Bahnen zu denken, die dem frühmittelalterlichen Europa mit dem Niedergang der antiken Kultur verloren gegangen war.

Anmerkungen

3 Die Lebensdaten stammen, sofern nichts anderes vermerkt ist, aus dem Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon.

4 Diese Schriftlosigkeit war eine bewusste Entscheidung. Für Geschäftszwecke und auf Gräbern verwendete die Oberschicht allerdings auch schon mal Griechisch oder das keltische Ogham (Wikipedia: Kelten).

5 Prinzipielle Ausführungen dazu im Kapitel zur „Mitte“, 4.8.

6 So beispielsweise bod Fergusso, „Fergus’ Penis“, ein phallischer Stein neben einem dem weiblichen Geschlecht entsprechenden Steinbecken (Wikipedia: Bullaun). Bei Krönungen wurde er verwendet, um die Einheit des Königs mit der weiblichen Erde darzustellen. Später wurde ein Kreuz eingemeißelt, der Stein stand in der Ecke einer mittelalterlichen Kirche in Knockdrum, Cork (Bitel 1990:53).

7 Hunter (2000:87 f.) sieht besonders in der Achtung gegenüber der und Liebe zur Natur, die die irische Spiritualität kennzeichnet, einen deutlichen Zusammenhang mit der Spiritualität der Druiden.

8 Der Ire Dungal erzählt zum Beispiel um 800, dass irische Pilger ihren Gastgebern durch ihre hohe Zahl, ihre Unausstehlichkeit und ihr Geschrei lästig wurden (Löwe 1982:1 026 f.).

9 Aus Platzgründen kann ich das hier nicht weiter ausführen. Ich hatte aber wirklich meinen Spaß mit dem sechsten Kapitel in Thomas Cahills Wie die Iren die Zivilisation retteten.

3. Die Welt, in die die Iren kamen

Geschichten finden immer in der Geschichte statt. Sie basieren auf einem Vorspiel, das die Bühne bereitet. In der Geschichte von „Columbans Revolution“ ist dieser Kontext ein gewaltiger Umbruch. Das, was wir als „Ende der Antike“, „Untergang des Römischen Reiches“ und „Völkerwanderung“ bezeichnen, findet in Westeuropa statt. Das Leben der Menschen verändert sich in vieler Hinsicht radikal – und zwar nicht nur das der Römer und Kelten, die bisher dort gelebt hatten, sondern auch das der einwandernden Goten, Sweben, Alanen, Burgunder, Langobarden und Germanen. Religion, Kultur, Lebensstil – alles wird in einen Strudel der Veränderung gezogen und verwandelt. Tatsächlich ist dieses Chaos, das ab etwa 400 n. Chr. in Westeuropa einsetzt, die Geburtsstunde des Europas, in dem wir leben. In diese Welt wandern schließlich seit 590 die irischen Mönche und setzen eine Dynamik in Gang, die prägend für die nächsten 1 000 Jahre und darüber hinaus sein sollte.

3.1 Gallisch-römische Kultur

Bis zum Jahr 400 ist dieses Westeuropa bis an Donau und Rhein Teil des Römischen Imperiums, das im zweiten und dritten Jahrhundert seine größte Ausdehnung überhaupt erreicht hatte. Ein durchgängiges Straßensystem, eine einheitliche Sprache und „Leitkultur“ reichen vom Fuß der schottischen Highlands bis ans Schwarze Meer, von der Nordsee bis nach Ägypten. In vielem ähnelt das Römische Reich unserer heutigen Welt: Es gibt ein komplexes Regierungssystem mit einer hoch entwickelten Gesetzeskultur – übrigens so gut durchdacht, dass sogar unser heutiges deutsches Recht in etlichen Punkten darauf aufbaut – und ausgeklügelten fiskalischen Strukturen. Bildung, Kunst, Handwerk, Architektur, Verkehr, Technik, Landwirtschaft und selbst die Küche sind feingliedrig ausgebildet, es herrscht ein hohes Maß an abstraktem Denken. Die Gesellschaft hat pluralistische Züge und ein erstaunlich modern anmutendes politisches Grundwesen.10


Abbildung 2: Römerreich um 400 n. Chr. mit gallischer Diözese Galliarium (diese und alle folgenden Karten basieren auf der Europakarte EU2 des Schweizer Weltatlasses, © Prof. Dr. h. c. Ernst Spiess).

Konstantin der Große (regierte 306 bis 337) organisierte die Verwaltung des riesigen Reiches neu in vier Bezirken. Diese waren in sogenannte Diözesen eingeteilt; die Diözesen wiederum umfassten verschiedene Provinzen. Die Beweggründe für seine Reformen klingen für uns heute erstaunlich vertraut: Alles im Reich sollte einer umfassenden Administration unterliegen, so dass der Staat Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen haben würde und ihm keine Steuereinnahmen verloren gingen. Das riesige Römische Reich wurde in ein West- und ein Ostreich geteilt. Etwa 100 Jahre nach dieser Entscheidung benötigte der verarmende Westen immer dringender Geld,11 um den aufgeblähten Apparat von Bürokratie und Militär zu unterhalten, der für den Erhalt des weitläufigen Westreiches erforderlich war (Angenendt 1990:53 f.). Das wahrhaft gnadenlose römische Steuersystem hatte eine Ausdünnung der Mittelschicht zur Folge und das Auseinanderklaffen der „Schere“ zwischen Armen und Reichen. Während der kleine Mann unbarmherzig für seine Steuerschuld herangezogen wurde, war der Landadel in der politischen und gesellschaftlichen High Society zuhause und zahlte faktisch keine Steuern; es entwickelte sich eine Kaste von Superreichen mit großen Ländereien. Seit etwa 400 begünstigte diese Situation in Westeuropa einerseits die Flucht des kleinen Mannes unter die Herrschaft der einfallenden Barbaren, die immer noch besser schien als der Quasi-Sklavenstatus des Imperium Romanum. Auf der anderen Seite schottete sich der Geldadel mit Privatarmeen auf seinen Ländereien gegen einfallende Plünderer ab (Cahill 1995:24 ff.). Als immer öfter germanische Plünderer in die gallischen Grenzgebiete einfielen, zogen die Bessergestellten ins Landesinnere. Gutshöfe und Kulturlandschaften wurden aufgegeben, germanische Siedler füllten die Leere. Das zivilisatorisch hochstehende römische Leben hörte innerhalb weniger Jahre auf zu existieren. Am Ende stand der Zerfall der römischen Herrschaft in diesem Gebiet (Angenendt 1990:113).

 

Im Jahr 313 hatte Konstantin das Christentum zur akzeptierten Religion im Römischen Reich gemacht. Unter Kaiser Theodosious wurde es 380 zur Staatsreligion. Heidnische Religionen wurden verboten. Die Kirche wurde nicht nur salonfähig, sondern auch steuerbegünstigt und schmiegte sich eng an die staatliche Verwaltung. Geistliche erhielten den Status von kaiserlichen Beamten und trugen auch deren Kleidung, nämlich Talare (Uhlmann 1996/97:116 f.). Um das Jahr 400 gibt es bereits überall im römischen Westeuropa Christen. Bischofssitze bestehen in Köln, Mainz, Trier, Straßburg und Augsburg, also an den Grenzen zu den Germanen. In der Diözese Gallien sind allerdings nur die Städte christlich (Hillgarth 1987:321), während sich trotz des Verbotes nichtchristlicher Religionen durch Theodosius auf dem Land – auf der Heide, daher der Begriff „Heiden“ – die alten Religionen halten.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?