Buch lesen: «How to get Veränderung»
Patrick Lynen
how to get
VERÄNDERUNG
Krisen meistern, Ängste loslassen,
das Leben lieben!
Dies ist kein therapeutisches Buch. Therapie ist nach dem Verständnis der Macher die Behandlung von Krankheiten. Dieses Buch versucht nur, Klärungen und Lösungen für Scharniermomente im Leben zu bieten. Die folgenden Seiten sind nicht dazu geeignet, gesundheitliche Störungen oder persönliche Probleme zu diagnostizieren oder zu behandeln. Der Autor und der Verlag übernehmen daher keine Haftung für Folgen jedweder Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Lesen oder den Übungen dieses Buches ergeben. In manchen Lebenssituationen kann es sinnvoll sein, sich professionelle therapeutische Hilfe zu holen. Hausärzte können in der Regel geeignete Fachleute wie Psychologen, Psychotherapeuten oder Neurologen empfehlen.
© KOHA-Verlag GmbH Burgrain
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Nayoma de Haën
Illustrationen: © Reiner Bergmann/SEHiGEL.DE, Aachen
Autorenfoto: © Amanda Berens, Köln
Cover: © Reiner Bergmann/SEHiGEL.DE, Aachen
Gesamtherstellung: Karin Schnellbach
ebook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
ISBN 978-3-867-28751-7
Am Ende wird alles gut.
Wenn es nicht gut ist,
ist es noch nicht das Ende.
Oscar Wilde
Gedanken
Wir können nicht mutig sein, ohne Angst zu kennen.
Wir können nicht stark sein, ohne verletzlich zu sein.
Wenn wir uns ehrlich zeigen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Wenn wir uns öffnen, um unsere Erfahrungen zu teilen, unsere Ängste, Gedanken, unseren Schmerz und unsere Freude, unsere tiefsten inneren Gefühle – welche Kraft entsteht da, welches Lernen erfolgt dann.
Dania König
Dania König, erfolgreiche Komponistin zahlreicher Hits, lebt in einem kleinen Dörfchen in der Nähe von Köln. Über den Autor sagt sie: »Patrick zeigt und öffnet sich in berührender Weise, um seine Erfahrungen mit uns zu teilen. Er schöpft dabei aus einem nahezu unbegrenzten Repertoire.«
Vorwort
Warum ist es so schwer, sich neu zu erfinden, etwas zu wagen, oder im richtigen Moment aufzuhören? Instinktiv schrecken wir vor dem Unbekannten zurück und halten uns lieber an das Altvertraute.
Doch das Leben geht vorwärts. Unsere Lebensumstände ändern sich, ob es uns gefällt oder nicht. Die Kunst besteht darin, das Unveränderliche gelassen anzunehmen und das Veränderbare mutig beim Schopf zu packen.
Was es dazu braucht, weiß Patrick Lynen aus eigener Erfahrung: Aus einer Fülle von Zutaten wie Offenheit, Selbstliebe, Beharrlichkeit, Verzeihen, Intuition, Verrücktheit und Leichtigkeit braut er einen herzhaften Stärkungstrank für herausfordernde Zeiten. Zu Ihrem und unser aller Wohl!
Viel Spaß mit diesem besonderen Buch wünscht Ihnen
Ihr Konrad Halbig, Verleger
In der Strömung gefangen
»Hier Knopf drücken, damit alles wieder gut wird.« Das Bild auf Facebook lockt mit großen Versprechungen. Mensch, das wäre was: Einfach auf den Button drücken und mit einem Klick alle aktuellen Probleme beseitigen! Doch die Realität sieht anders aus: Meine Gedanken drehen sich heute im Kreis. Immer schneller und schneller. Und kein Knopf weit und breit. Also los, eine Runde mit dem Rad fahren. Irgendwie runterkommen. Der Körper fühlt sich danach deutlich besser – doch die Sorgen und Zweifel kommen zurück. »Wo wird das nur alles hinführen?« Ich notiere spontan ein paar Wörter, die mir durch den Sinn gehen: …loslassen, zulassen, frei lassen, gehen lassen, gelassen, offen lassen, weg lassen, zurück lassen.
Viele Menschen durchleben in diesen Tagen eine enorme Welle von Ängsten und Sorgen. Sie fürchten sich, sie schlafen schlecht, sie haben Angst vor der Zukunft. Daraus entsteht leicht ein Teufelskreis. Angst macht starr und klamm. Wird sie groß, kann daraus Neid und Hass entstehen. In diesem Buch geht es genau darum – um die Ängste und Sorgen, die wir derzeit erleben. Um das Gefühl der Ohnmacht angesichts einer sich massiv verändernden Umgebung. Und es geht darum, wie wir aus unserem Hamsterrad aussteigen können. Denn nicht das Hamsterrad selbst zwingt uns zum schnellen Laufen – es dreht sich nur so schnell, weil wir so schnell laufen.
In Zukunft wird es vor allem die innere Gelassenheit sein, welche darüber entscheidet, ob wir in der modernen Welt bestehen. Studien aus den USA weisen nach, dass es Menschen, die bei sich sind und ihre Gefühle und die anderer kennen und gut deuten können, eher gelingt, komplexe Probleme zu lösen. Sie sind stressresistenter und leiden darüber hinaus seltener unter Angstzuständen, Schizophrenie oder Borderline-Verhalten.
Veränderung als neue Konstante
Wir erleben einen permanenten Zuwachs von Tempo und Möglichkeiten. In der Technik, in der Gesellschaft, im Erleben. Wir fühlen uns dabei oft wie in einer Strömung gefangen. Noch vor vierzig Jahren haben wir einen Brief verschickt und er kam im Idealfall am übernächsten Tag an. Heute können wir die gleiche Botschaft binnen Millisekunden von A nach B schicken. Unser Reisetempo hat sich ungeheuer beschleunigt und die durchschnittliche Schlafenszeit eines Mitteleuropäers ist etwa 120 Minuten pro Tag kürzer. Und wir erleben eine Völkerwanderung, die in rasender Geschwindigkeit Hunderttausende Menschen nach Mitteleuropa bringt.
Die größte Gefahr in Zeiten
der Veränderung ist nicht die
Veränderung selbst.
Die größte Gefahr ist, mit der
Logik von gestern darauf zu
reagieren.
In Zeiten großer Veränderungen klammern sich die meisten Menschen erst mal an Handlungsmuster und Werte, die ihnen in der Vergangenheit ein gutes Leben geschenkt haben. Sie verteidigen ihre Gewohnheiten. Sie akzeptieren nicht, dass sich ihr Umfeld so grundlegend verändert, dass sie sich auch selbst verändern müssen, um mit der Situation klarzukommen. Doch selbst wenn das Erlebte bizarr und traumatisierend sein sollte, führt kein Weg darum herum, uns mit vollem Bewusstsein die Tatsache anzuschauen: Alles, was irgendwo auf unserem Planeten passiert, hat längst auch Einfluss auf uns. Ob Umwelt, Klimawandel, Finanzmärkte, politische Konflikte, die Streitigkeiten um Rohstoffe, die aktuellen Migrationsbewegungen oder die Verteilungskämpfe um Nahrung und Wasser. In Zeiten der Veränderung geht es vor allem darum, gut für uns selbst zu sorgen und immer wieder unsere innere Mitte zu finden, um mit den sich daraus ergebenden Umbrüchen, Sorgen und Ängsten besser klarzukommen. Es geht darum, die Veränderungen anzuerkennen und sich vor dem Hintergrund dieser Akzeptanz eine innere Insel zu bauen, von der wir immer wieder gestärkt zurück in den Trubel treten können. Denn auf die Dauer können wir uns dem Wirbel nicht entziehen. Wir können uns nur immer wieder aufs Neue für eine Weile aus dem Sog befreien. In diesem Buch geht es darum, wie das am besten funktioniert. Alle folgenden Gedanken sind wie ein wundervoller Werkzeugkasten, aus dem du dich nach Lust und Laune bedienen kannst. Nimm dir, was du brauchen kannst – und lass den Rest einfach liegen.
Herzliche Grüße,
Patrick Lynen, im Januar 2016
Perspektiven und Erkenntnisse
In meiner Jugend habe ich viele Aushilfsjobs gemacht. Ich war Burger-Bräter bei McDonalds, wo sich die Klofrau Sprüche wie »…also, an Ihrer Stelle würde ich mich schämen« anhören musste. Später war ich Auslieferungsfahrer für eine Großküche und erlebte jeden Tag Senioren, die in Einsamkeit ihren Tag fristeten und für die mein »Essensservice« der einzige Lichtblick ihres langen Tages war. (Der anstrengendste Job in dieser Zeit war erstaunlicherweise der als Parkwächter. Den hatte ich völlig unterschätzt. Das lange Sitzen im Kassenhäuschen machte mir höllische Rückenschmerzen.)
In dieser Zeit habe ich sehr viele Menschen kennengelernt, die mit ihrer Umgebung, ihren Jobs und ihrem Leben unglücklich waren und meinten, an ihrem Zustand nichts ändern zu können. Man könnte sagen, sie verschliefen ihr Leben mit offenen Augen. Und sie schienen um nichts in der Welt bereit, sich aus ihrem eigenen Gefängnis zu befreien.
Damals reifte in mir die Idee, Wege zu finden, aus solch einer Verharrung auszubrechen. In den folgenden 29 Jahren lernte ich viele Hundert Perspektiven und Denkanstöße kennen. Ich bin zu einem Fachmann für Veränderung geworden. Es gelang mir immer besser, meinen eigenen Denkfehlern, Bremsklötzen und Barrieren rechtzeitig auszuweichen, bevor sie größeren Schaden anrichteten. Mir wurde immer klarer, wie Dinge zusammenhängen, warum Menschen unvernünftig handeln oder sich nicht verändern. Ich habe angefangen, diese Erkenntnisse aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Schon bald wurden meine Gedanken-Sammlungen von Smartphone zu Smartphone weitergereicht. Radiokollegen in Süddeutschland wurden darauf aufmerksam und wir entwickelten eine Coaching-Serie für Sender in Deutschland, Österreich, die Schweiz, und Liechtenstein. Schließlich wurde daraus sogar das TV-Format »Die Runde Ecke« im WDR Fernsehen, in dem Menschen ihre persönlichen Erkenntnisse mit anderen Menschen teilen.
Hier liest oder hörst du nun nach meinem ersten Buch in dieser Reihe »how to get Gelassenheit« den zweiten Teil dieser kleinen und großen Erkenntnisse. Die darin enthaltenen Anregungen garantieren sicher nicht das immerwährende Glück, doch zumindest sind sie eine höchst wirksame Versicherung gegen selbst verschuldetes Unglück. Das ist jedem möglich. Ich bin sicher, auch du kennst mindestens einen Menschen, der seinem Leben eine völlig neue Richtung gegeben hat, jemand, der sich von Zwängen und Ängsten befreit hat und heute viel glücklicher lebt als noch vor einer Weile. Und nicht weil er/sie gerade zufällig verliebt ist oder gerade ein neues Auto bekommen hat, sondern weil er/sie etwas anders macht als früher.
Wenn du die Gedanken und Erkenntnisse in diesem Buch für dich nutzt, wird es dir mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich ergehen. Du wirst viele Dinge in einem ganz anderen Licht sehen und einen Quantensprung an Zufriedenheit und Klarheit erleben. Versprochen.
Phasen des Übergangs
Im Leben gibt es immer wieder Phasen des Übergangs. Wir werden geboren, lernen das Nachahmen, erleben Sturm und Drang, wollen die Welt aus den Angeln heben, wollen beruflichen Erfolg, haben es irgendwann geschafft, müssen uns nach einer Weile neu erfinden, bemerken, wie unser Kräfte schwinden, gestalten die Zeit des Alters, entwickeln uns zurück – und sterben. Ein stetiger Wandel. Jede Stunde unseres Lebens ist Wandel. Millionen von Zellen sterben, werden durch neue ersetzt. Die gewohnte Ordnung löst sich auf, eine neue muss gefunden werden. Solche Übergänge mögen uns beunruhigen oder gar verwirren, doch sie bieten uns auch große Chancen und Freiräume, in denen sich unser Leben neu entfalten kann.
Veränderungsprozesse können ungeahnte Kräfte freisetzen, wenn wir es zulassen. Wenn wir beispielsweise die Zeit der Verpuppung als kostbar und wertvoll anerkennen, können daraus poetische Momente des Lebens werden. Nicht ohne Grund schreiben Künstler in Phasen des Zweifels und der eigenen Neuerfindung ihre größten Hits und malen ihre eindrücklichsten Bilder. In der Krise kann sich die Tiefe unserer Seele zeigen, unser wahres Potenzial.
Von der Natur können wir lernen, dass der Fluss des Lebens voller Übergänge ist. Natur ist Veränderung pur. Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind nur das augenscheinlichste Beispiel für die ständige Metamorphose des Lebens. Dabei gibt es Muster, die wir erkennen und verstehen können. Sie können uns helfen, den Übergang zuzulassen und die Veränderung als wundervolles Übel unseres Daseins zu akzeptieren, sodass sie ihr schöpferisches Potenzial entfalten kann.
»Wenn du glaubst, Abenteuer seien gefährlich, dann probier’s mal mit Routine: die ist tödlich.«
Paulo Coelho
Routine versus Leben
Das Leben rauscht vorbei. Tag für Tag. Alles scheint zu funktionieren, und dennoch ist da dieses merkwürdige Gefühl der inneren Leere, das Gefühl, etwas Wesentliches verpasst zu haben. Es fühlt sich an wie hinter unsichtbaren Gitterstäben.
Jahrelang fühlte ich mich so. Ich wollte es schaffen, es allen zeigen, durchhalten, fühlte mich in dieser Situation wie gefangen. Die Türe meines Kerkers stand mir immer offen, doch ich merkte es nicht. Meine Ängste zeigten sich in Gedanken wie »Ich kann nicht, weil …« oder »Ich werde abstürzen, weil …«. Meine Konformität flüsterte mir Sätze zu wie »Ich darf doch nicht, weil …«. Ich dachte, Freiheit bedeute den Verlust von Sicherheit, von beruflichen Kontakten, und Verarmung. Die Folge war, dass ich zu lange in meiner Zelle sitzen blieb und auf bessere Zeiten oder den »richtigen« Moment wartete.
Die Gitterstäbe dieses Gefängnisses bestehen aus den Grenzen dessen, was wir als angenehm empfinden. Wir ziehen uns hinter diese Grenzen zurück, weil wir hoffen, dass sie uns vor den Gefahren des Lebens schützen. »Ich wurde enttäuscht«, hast du gesagt und einen Teil dieses Gefängnisses gebaut. »Ich werde immer wieder die gleichen schmerzhaften Erfahrungen machen, ohne wahrhaft geliebt zu werden«, hast du gesagt und die nächsten Gitterstäbe eingezogen. »Ich hasse mich für meine Partnerwahl«, hast du gesagt und damit den Deckel geschlossen. So hast du dich allmählich eingemauert. Innerhalb dieser Grenzen fühlt es sich wohlig und weich an, doch das Leben in Freiheit findet draußen statt.
Jeder von uns wurde irgendwann enttäuscht, verletzt, zurückgewiesen, kritisiert oder verurteilt. Wir empfanden Schmerz und verschlossen unser Herz, gingen innerlich auf Distanz. Wir hörten auf, unsere wahren Gefühle und Gedanken zu zeigen und verstellten uns, um den Schmerz der Zurückweisung zu vermeiden. So nahm unsere Abgrenzung und Vorsicht Stück für Stück Gestalt an.
Unsere Lebendigkeit sehnt sich aber weiter nach Nähe, Liebe, Freundschaft und Intimität. Wir suchen Nähe und vermeiden gleichzeitig, unsere wahren Gefühle zu zeigen, damit wir nicht wieder verletzt werden. Das macht unsere Partnerschaften und Freundschaften mit der Zeit oberflächlich und flüchtig und wir werden immer isolierter. Der Gegenentwurf besteht aus Veränderungsbereitschaft und Verletzlichkeit. Damit öffnen wir die Tür zu neuen Eindrücken, zu wahrhafter Nähe und Intimität. Nur wenn wir wahrhaft sagen, was wir denken und fühlen, können sich andere in uns wiedererkennen. Nur wenn wir anderen Menschen nicht ständig ein anderes Ich vorspielen, ziehen wir Menschen an, die unsere Ideen, Haltung und Liebe zu schätzen wissen. Veränderungsbereitschaft heißt, Verletzlichkeit zu riskieren, ohne Gitterstäbe oder Ritterrüstung und wahrhaft zu sagen: »So geht es mir gerade. Ich fühle mich einsam, ängstlich, verletzt, beschämt, ohnmächtig, schwach, klein, hilfsbedürftig, mutlos, verzweifelt, wütend oder traurig.« Auch wenn sich das vielleicht für eine Weile desolat anfühlt – wichtig ist, deinem inneren Kern nahe zu sein, mit dir selbst in Berührung zu kommen. Auch wenn diese Momente schmerzhaft sind, machen sie dich echter, wahrhafter und wirklicher.
Erwarte dabei nicht, dass jeder Mensch dich einfach so annimmt, liebt und versteht. Doch steh zu dir und deinen Gefühlen. Mut, Ehrlichkeit und Verletzlichkeit öffnen nämlich die Tür zu deinem eigenen Herzen und vor allem zum Herzen deines passenden Partners oder Freundes. Zeige deinen Mitmenschen dein wahres Gesicht. Sprich von dem, was dich wirklich bewegt. Lass die Gitterstäbe deiner Sorgen und Ängste hinter dir, und du bist FREI. Dein Bewusstsein wird sich weiten und du wächst über deine bisherigen Grenzen hinaus.
Erkennen, akzeptieren und erforschen
Wenn wir über die Umbrüche in der Welt schimpfen, dann wird sich die Welt dafür kaum interessieren. Sie wird sich einfach weiter verändern. Ob es die aktuell zu erlebende Zuwanderung ist mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Umbrüchen, oder eine persönliche Krise, eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag: Wir können mit Furcht darauf reagieren, uns Gitterstäbe zulegen, uns klamm und eng machen und eine angstbestimmte Perspektive einnehmen –, oder wir können einen ruhigen Geist bewahren und mit dem nötigen Abstand und innerer Gelassenheit kluge Optionen entwickeln. Wir können uns immer entscheiden. Jeder von uns hat diesen Handlungsspielraum.
Hinter jeder Krise oder Katastrophe verbergen sich Entwicklungschancen – wenn wir sie erkennen. Ob Kündigung, Krankheit, Scheidung, Unfälle, finanzielle Nöte, gesellschaftliche Verwerfungen oder gar Terrorgefahr: Das Gefühl, am Abgrund zu stehen, kann ein hervorragender Nährboden für persönliches Wachstum sein. Wenn wir erkennen, dass in den Verwerfungen des Lebens große Potenziale stecken, schwindet nach einer Weile sogar die Angst. Falls du gerade in einer Krise steckst, möchte ich dir Mut machen, dich wieder mit der kreativen Kraft des Lebens zu verbünden. Dabei hilft es unter anderem, anderen Meinungen und Sichtweisen nicht zwangsläufig zu viel Bedeutung einzuräumen.
Was ist wahr?
»Der Zufall ist im Weltenlauf der entscheidende Faktor. Wie sich die Dinge entwickeln werden, das können wir wohl kaum aus den Schlagzeilen der Nachrichten ableiten«, sagte einst ein kluger Historiker zu mir.
Wir glauben jedoch unbeirrt, aus den Informationen der Medien etwas über die Zukunft ableiten zu können. Beinahe jeden Tag hören oder sehen wir derzeit Schlagzeilen wie: Europa steht vor der Explosion! Euro-Katastrophe hat dramatische Folgen! Flüchtlingswelle schwappt über Deutschland!
Solche Nachrichten sind sehr geschickt formuliert. Schließlich sollen sich Nachrichten »verkaufen«. Starke Headlines, bunte Bilder, große Emotionen, kraftvolle Konflikte, These/Antithese. Wir springen darauf an und glauben, ein Abbild der existierenden Welt zu erfahren. Doch meistens lenken die Macher unsere Aufmerksamkeit nur auf Dinge, die keine direkte Relevanz für unser Leben haben oder die nicht in unserer Macht stehen. Und weg von den Dingen, die wir tatsächlich beeinflussen können.
Deswegen konsumiere ich seit einiger Zeit deutlich seltener Webseiten, Blogs oder die klassischen Nachrichten im Radio und Fernsehen. Denn wenn ich nicht ständig mit diesen angeblich weltverändernden Informationen konfrontiert werde, mache ich mir deutlich weniger Sorgen um Ereignisse, die in den meisten Fällen so gar nicht eintreten werden. Ganz schön praktisch, nicht wahr?
Das bedeutet natürlich nicht, dass ich nicht mehr über gewisse Dinge nachdenke oder mich wegducke. Natürlich schaue ich wachsam hin und reagiere dort, wo ich es für sinnvoll halte. Manche Ereignisse lassen sich nun mal nicht »schönreden«. Das Rad des Lebens dreht sich, Geschenke und Prüfungen warten auf uns – und Ungerechtigkeit lässt sich nun mal nicht weglächeln. Über das Unangenehme haben wir keine Kontrolle. Doch über die Dosis der an mich herangetragenen Informationen habe ich eine Kontrolle. Und so akzeptiere ich das tägliche »rien ne vas plus« des großen Croupiers, der mein Leben leitet. Ich denke gerne über Licht und Schatten in meinem Umfeld nach, doch nicht über Hunderte von Meldungen, die mich über die Medien erreichen.
Cool bleiben
Wer mein Buch »how to get Gelassenheit« gelesen hat, der wird einen Teil der Gedanken aus diesem Kapitel schon kennen. Doch mir haben so viele Menschen geschrieben, dass ihnen diese Geschichte geholfen hat, mit Unsicherheit und Krisen besser klarzukommen, dass ich sie hier noch mal in überarbeiteter Form erzählen möchte:
Im Jahr 2005 werde ich für eine Sprachaufnahme in einem noblen Düsseldorfer Tonstudio gebucht. Im Regieraum sitzen die Geschäftsführer des Werbekunden und drei überaus wichtige Vertreter der Werbeagentur. Vor dem Mikrofon stehen eine Sprecherkollegin und ich. Wir sollen die Kampagne stimmlich zum Klingen bringen. So weit, so gut – könnte man meinen.
Nach der dreißigsten Aufnahme des Spots werde ich langsam nervös. Mal passt dem Kunden dieses nicht, dann den Werbeagentur-Fritzen jenes. Wir Sprecher scheinen uns von Minute zu Minute mehr als absolute Fehlbesetzung herauszustellen. So langsam kriechen Selbstzweifel und eine ungewohnte Nervosität in uns hoch. Unsere Souveränität schwindet dahin – und die Folgeversionen des Spots werden nicht unbedingt besser.
Nach der gefühlt vierzigsten Version sind meine Zweifel größer denn je. Kann ich das überhaupt? Soll ich weitermachen oder besser gleich hinschmeißen? Ich bin kurz davor, mich mit einem Honorarverzicht aus der unangenehmen Situation zu befreien, als der Tontechniker uns über die Gegensprechanlage zuflüstert: »Hey, lasst sie diskutieren. Coooool bleiben!«
Seine Stimme ist dabei so eindringlich, dass ich sie nie wieder vergessen habe. Wie die Geschichte weitergeht? Du wirst es kaum glauben! Nach einer elend langen Diskussion zwischen Werbeagentur und Kunden wurde die dritte (!) Aufnahme ausgewählt. Warum nun überhaupt der ganze Wahnsinn? Warum haben die Werbefritzen uns über drei Stunden mit insgesamt 55 Einzelversionen gequält – um dann doch die dritte Sprachaufnahme zu nehmen? Es lag – wie sich später herausstellte – nicht an unserer Leistung, sondern an einem schon länger schwelenden Dissens zwischen Agentur und Auftraggeber.
»Im Zweifel – cool bleiben.« Das ist seither mein Lebensmotto geworden. Denn oft genug kann ich die Rahmenbedingungen eines Ereignisses noch gar nicht ausreichend einschätzen oder ich kenne zentrale Spielstränge noch nicht. Eine übereilte Reaktion wäre dann womöglich genau das Falsche.
Ein paar Monate später konnte ich dieses »Im Zweifel – cool bleiben!« schon brauchen. Ich bekam wie aus heiterem Himmel massive Stimmprobleme und konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr vor einem Mikrofon sprechen. Für einen Radiosprecher eine denkbar ungünstige Situation. Wochenlang hatte ich Schlafstörungen und Schweißausbrüche. Ich konnte vor lauter Angst kaum noch morgens aufstehen und fühlte mich körperlich und seelisch zunehmend am Ende. Gleichzeitig war ich davon überzeugt: Wer in unserer Gesellschaft scheitert, gilt als Verlierer. Ich überlegte sogar, deswegen ins Ausland zu gehen. Doch die Arbeit im Medienbereich lag mir einfach am Herzen.
Mein Stimmproblem war kein organisches, wie sich nach einigen ärztlichen Untersuchungen zeigte. Im Alltag war meine Stimme in Ordnung. Nein, etwas in mir wollte einfach nicht mehr in ein Mikrofon sprechen. Meine Seele stellte mir gewissermaßen ein Bein und »missbrauchte« dafür meine Stimmbänder. Vermutlich brauchte ich genau diese Erfahrung des Scheiterns, der Verzweiflung, der Demut und des Durchhaltens, um zu persönlicher Einkehr zu gelangen und mich selbst neu zu erfinden.
Und so habe ich damals einen Schritt zur Seite gemacht und für eine Weile den Rückwärtsgang eingelegt. Anstelle des dauerhaften und weitgehend selbst gemachten Leistungsdrucks erlaubte ich mir wieder die Leichtigkeit des Anfängers, der Fehler machen durfte. Das gab mir die Freiheit, eine der schöpferischsten Phasen meines Lebens in Angriff zu nehmen. Ich beschloss, alle Kompetenzen zu erwerben, die man als Trainer und Coach braucht. Ich habe mich weiter fortgebildet und mir damit einen völlig neuen Tätigkeitsbereich erschlossen. All das wäre gewiss nicht passiert, wenn meine Stimme mich damals nicht für eine Weile im Stich gelassen hätte. Und so wurde aus einer anfänglich als Katastrophe empfundenen Situation mit der richtigen Haltung eine Chance.
Wenn wir auf wackeligen, unsicheren Boden gestellt werden, kann uns daraus mit der richtigen Haltung eine kluge Erkenntnis erwachsen. Haben wir erst einmal Zutrauen zu diesem Evolutionsprozess gewonnen, begreifen wir, dass wir immer wieder durch Angst und Sorge gehen werden, bis wir uns diesen Gefühlen offensiv stellen. Mit der richtigen Haltung werden aus Tränen Edelsteine. Deswegen möchte ich jene schlimme Zeit nicht missen, auch wenn sie mir zuweilen unerträglich zäh vorkam.
Jeder von uns kann sich jeden Tag neu entscheiden, wie er oder sie mit den Herausforderungen des Lebens umgehen will. Ganz entscheidend ist dabei das Wissen um die Phasen der Veränderung in persönlichen Krisen. Diese Phasen erleben alle Menschen auf dieser Welt, wenn es in ihrem Leben ruckelt.