Kostenlos

Geschlecht und Charakter

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Damit hängt endlich noch die wichtige Beobachtung zusammen, welche zu machen man nie verfehlen wird, sobald man einmal aufmerksam geworden ist. Wenn in einen Raum, in dem ein Weib sich befindet, ein Mann tritt und sie ihn erblickt, seinen Schritt hört oder seine Anwesenheit auch nur ahnt, so wird sie sofort eine ganz andere. Ihre Miene, ihre Bewegungen ändern sich mit unglaublicher Plötzlichkeit. Sie »richtet ihre Frisur«, zieht ihre Röcke zusammen und hebt sie, oder macht sich an ihrem Kleide zu schaffen, in ihr ganzes Wesen kommt eine halb schamlose, halb ängstliche Erwartung. Man kann im Einzelfalle oft nur darüber noch im Zweifel sein, ob sie mehr errötet über ihr schamloses Lächeln, oder mehr schamlos lächelt über ihr Erröten.

Seele, Persönlichkeit, Charakter ist aber – hierin liegt eine unendlich tiefe, bleibende Einsicht Schopenhauers – identisch mit dem freien Willen oder es deckt sich wenigstens der Wille mit dem Ich insofern, als dieses in Relation zum Absoluten gedacht ist. Und fehlt den Frauen das Ich, so können sie auch keinen Willen besitzen. Nur wer keinen eigenen Willen, keinen Charakter in höherem Sinne hat, bleibt, schon durch die bloße Gegenwart eines zweiten Menschen, so leicht beeinflußbar, wie das Weib es ist, in funktioneller Abhängigkeit von dieser, statt in freier Auffassung derselben. Sie ist das beste Medium, M ihr bester Hypnotiseur. Aus diesem Grunde allein ist unerfindlich, warum die Frauen gerade als Ärztinnen besonders viel taugen sollen; da doch einsichtigere Mediziner selbst zugeben, daß der Hauptteil dessen, was sie bis heute – und so wird es wohl bleiben – zu leisten vermögen, in der suggestiven Einwirkung auf den Kranken besteht.

Schon in der ganzen Tierreihe ist W stets leichter hypnotisierbar als M. Und wie die hypnotischen Phänomene doch mit den alltäglichsten in einer nahen Verwandtschaft stehen, erhellt aus dem Folgenden: Wie leicht wird nicht (ich habe schon gelegentlich der Frage des weiblichen Mitleids darauf hingewiesen) W durch Lachen oder Weinen »angesteckt«! Wie imponiert ihr nicht alles, was in der Zeitung steht, wie leicht fällt sie nicht dem dümmsten Aberglauben zum Opfer, wie probiert sie nicht sofort jedes Wundermittel, das ihr eine Nachbarin empfohlen hat!

Wem ein Charakter fehlt, dem gebricht es auch an Überzeugungen. Darum ist W leichtgläubig, unkritisch, ganz ohne Verständnis für den Protestantismus. Dennoch hat man, so sicher ein jeder Christ schon als Katholik oder als Protestant vor der Taufe auf die Welt kommt, kein Recht, den Katholizismus darum als weiblich anzusehen, weil er den Frauen noch immer eher zugänglich ist, als der Protestantismus. Hier wäre ein anderer charakterologischer Einteilungsgrund in Betracht zu ziehen, dessen Erörterung nicht Sache dieser Schrift sein kann. – —

So ist denn ein ganz umfassender Nachweis geführt, daß W seelenlos ist, daß es kein Ich und keine Individualität, keine Persönlichkeit und keine Freiheit, keinen Charakter und keinen Willen hat. Dieses Resultat ist aber für alle Psychologie von kaum zu überschätzender Wichtigkeit. Es besagt nicht weniger, als daß die Psychologie von M und die Psychologie von W getrennt zu behandeln sind. Für W scheint eine rein empirische Darstellung des psychischen Lebens möglich, für M muß jede Psychologie nach dem Ich als dem obersten Giebel des Gebäudes in der Weise tendieren, wie Kant dies als notwendig eingesehen hatte.

Die Humesche (und Machsche) Ansicht, nach welcher es nur »impressions« und »thoughts« (A B C .... und α β γ …) gibt, und die heute allgemein zur Verbannung der Psyche aus der Psychologie geführt hat, erklärt nicht nur, daß die ganze Welt ausschließlich unter dem Bilde eines Winkelspiegels, als ein Kaleidoskop zu verstehen sei; sie macht nicht nur alles zu einem Tanz der »Elemente«, sinnlos, grundlos; sie vernichtet nicht nur die Möglichkeit, einen festen Standpunkt für das Denken zu gewinnen, sie zerstört nicht nur den Wahrheitsbegriff und damit eben die Wirklichkeit, deren Philosophie sie einzig zu sein beansprucht: sie trägt auch die Hauptschuld an dem Elend der heutigen Psychologie.

Diese heutige Psychologie nennt sich mit Stolz die »Psychologie ohne Seele«, nach dem ersten, der dies Wort ausgesprochen hat, nach dem vielüberschätzten Friedrich Albert Lange. Diese Untersuchung glaubt gezeigt zu haben, daß ohne die Annahme einer Seele den psychischen Erscheinungen gegenüber kein Auskommen zu finden ist: sowohl an den Phänomenen von M, dem eine Seele zuerkannt werden muß, als auch an den Phänomenen von W, die seelenlos ist. Unsere heutige Psychologie ist eine eminent weibliche Psychologie, und gerade darum ist die vergleichende Untersuchung der Geschlechter so besonders lehrreich, nicht zuletzt darum habe ich sie mit dieser Gründlichkeit ausgeführt; denn hier am ehesten kann offenbar werden, was zur Annahme des Ich nötigt, und wie die Konfusion von männlichem und weiblichem Seelenleben (im weitesten und tiefsten Sinne), bei dem Bestreben, eine Allgemeinpsychologie zu schaffen, als der Faktor angesehen werden darf, der am weitesten in die Irre geführt hat, wenn er auch (ja gerade weil er) gar nicht bewußt zur Geltung gebracht worden ist.

Freilich erhebt sich nun die Frage, ist von M überhaupt Psychologie als Wissenschaft möglich? Und hierauf ist vorderhand mit Nein zu antworten. Ich muß wohl darauf gefaßt sein, an die Untersuchungen der Experimentatoren verwiesen zu werden, und auch wer in dem allgemeinen Experimentalrausch nüchterner geblieben ist, wird vielleicht verwundert fragen, ob diese denn gar nicht zählten. Aber die experimentelle Psychologie hat nicht nur keinen einzigen Aufschluß über die tieferen Gründe des männlichen Seelenlebens gegeben; nicht nur kann niemand an eine mehr als sporadische Erwähnung, geschweige denn an eine systematische Verarbeitung dieser ungeheueren Zahl von Versuchsreihen denken: sondern vor allem ist, wie gezeigt wurde, ihre Methode, außen anzufangen und von da in den Kern hineinzudringen, verfehlt; und darum hat sie auch nicht eine Aufklärung über den tieferen innerlichen Zusammenhang der psychischen Phänomene gebracht. Die psychophysische Maßlehre hat überdies gerade gezeigt, wie das eigentliche Wesen der psychischen im Gegensatz zu den physischen Phänomenen darin besteht, daß die Funktionen, durch welche ihr Zusammenhang und ihr Übergehen ineinander allenfalls darstellbar wäre, auch im besten Falle unstetig und darum nicht differenzierbar geraten müßten. Mit der Stetigkeit ist aber auch die prinzipielle Möglichkeit der Erreichbarkeit des unbedingt mathematischen Ideales aller Wissenschaft dahin. Wem übrigens klar ist, daß Raum und Zeit nur durch die Psyche geschaffen werden, der wird nicht von Geometrie und Arithmetik erwarten, daß sie je ihren Schöpfer erschöpfen könnten.

Es gibt keine wissenschaftliche Psychologie vom Manne; denn im Wesen aller Psychologie liegt es, das Unableitbare ableiten zu wollen, ihr endliches Ziel müßte, deutlicher gesprochen, dieses sein, jedem Menschen seine Existenz und Essenz zu beweisen, zu deduzieren. Dann wäre aber jeder Mensch, auch seinem tiefsten Wesen nach, Folge eines Grundes, determiniert und kein Mensch dem anderen mehr, als einem Mitgliede eines Reiches der Freiheit und des unendlichen Wertes, Achtung schuldig: im Augenblick, wo ich völlig deduziert, völlig subsumiert werden könnte, hätte ich allen Wert verloren, und wäre eben seelenlos. Mit der Freiheit des Wollens wie des Denkens (denn diese muß man zu jener hinzufügen) ist die Annahme der durchgängigen Bestimmtheit unverträglich, mit welcher alle Psychologie ihr Geschäft beginnt. Wer darum an ein freies Subjekt glaubte, wie Kant und Schopenhauer, der mußte die Möglichkeit der Psychologie als Wissenschaft leugnen; wer an die Psychologie glaubte, für den konnte die Freiheit des Subjektes auch nicht eine Denkmöglichkeit mehr bleiben: so wenig für Hume als für Herbart (die zwei Begründer der modernen Psychologie).

Aus diesem Dilemma erklärt sich der traurige Stand der heutigen Psychologie in allen ihren Prinzipienfragen. Jene Bemühungen, den Willen aus der Psychologie hinauszuschaffen, jene immer wiederholten Versuche, ihn aus Empfindung und Gefühl abzuleiten, haben eigentlich ganz recht darin, daß der Wille kein empirisches Faktum ist. Der Wille ist in der Erfahrung nirgends aufzutreiben und nachzuweisen, weil er selbst die Voraussetzung jedes empirisch-psychologischen Datums ist. Versuche einer, der am Morgen gern lange schläft, sich in dem Momente zu beobachten, da er den Entschluß faßt, sich vom Bette zu erheben. Im Entschlusse liegt (wie in der Aufmerksamkeit) das ganze ungeteilte Ich, und darum fehlt die Zweiheit, die notwendig wäre, um den Willen wahrzunehmen. Ebensowenig wie das Wollen ist das Denken ein Faktum, das man in den Händen behielte, wenn man wissenschaftliche Psychologie treibt. Denken ist urteilen, aber was ist das Urteil für die innere Wahrnehmung? Nichts, es ist ein ganz Fremdes, das zu aller Rezeptivität hinzukommt, aus den Bausteinen, welche die psychologischen Fasolte und Fafners herbeigeschleppt haben, nicht abzuleiten: jeder neue Urteilsakt vernichtet von neuem die mühselige Arbeit der Empfindungsatomisten. Ebenso ist's mit dem Begriff. Kein Mensch denkt Begriffe, und doch gibt es Begriffe, wie es Urteile gibt. Und am Ende sind auch Wundts Gegner vollständig im Rechte damit, daß die Apperzeption kein empirisch-psychologisches Faktum, und kein irgendwann wahrnehmbarer Akt ist. Freilich ist Wundt tiefer als seine Bekämpfer – nur die allerflachsten Gesellen können Assoziationspsychologen sein – und es ist auch sicherlich begründet, wenn er die Apperzeption mit dem Willen und der Aufmerksamkeit zusammenbringt. Aber sie ist so wenig eine Tatsache der Erfahrung wie eben diese, so wenig wie Urteil und Begriff. Wenn trotzdem alle diese Dinge, wenn Denken und Wollen da sind, nicht hinauszubringen, und jeder Bemühung einer Analyse spottend, so handelt es sich nur um die Wahl, ob man etwas annehmen wolle, das alles psychische Leben erst möglich mache, oder nicht.

 

Darum sollte man dem Unfug ein Ziel setzen, von einer empirischen Apperzeption zu reden, und einsehen, wie sehr Kant recht hatte, als er nur eine transcendentale Apperzeption gelten ließ. Will man aber hinter die Erfahrung nicht zurückgehen, so bleibt nichts übrig als die unendlich ausgespreizte, armselig öde Empfindungsatomistik mit ihren Assoziationsgesetzen; oder die Psychologie wird methodisch zu einem Annex der Physiologie und Biologie, wie bei Avenarius, dessen feiner Bearbeitung eines, übrigens recht begrenzten, Stückes aus dem ganzen Seelenleben jedoch nur sehr wenige und recht unglückliche Versuche der Weiterführung gefolgt sind.

Somit hat sich, ein wirkliches Verständnis des Menschen anzubahnen, die unphilosophische Seelenkunde als völlig ungeeignet erwiesen, und keine Vertröstung auf die Zukunft vermag sichere Bürgschaft zu bieten, daß ihr dies je gelingen könne. Ein je besserer Psychologe einer ist, desto langweiliger werden ihm diese heutigen Psychologien. Denn sie steifen sich samt und sonders darauf, die Einheit, die alles psychische Geschehen erst begründet, bis zum Schluß zu ignorieren: allwo wir dann regelmäßig noch durch einen letzten Abschnitt unangenehm überrascht werden, der von der Entwicklung einer harmonischen Persönlichkeit handelt. Jene Einheit, die allein die wahre Unendlichkeit ist, wollte man aus einer größeren oder geringeren Zahl von Bestimmungsstücken aufbauen; die »Psychologie als Erfahrungswissenschaft« sollte die Bedingung aller Erfahrung aus der Erfahrung gewinnen! Das Unternehmen wird ewig fehlschlagen und ewig erneuert werden, weil die Geistesrichtung des Positivismus und Psychologismus so lange bestehen muß, als es mittelmäßige Köpfe und bequeme, nicht bis zu Ende denkende Naturen gibt. Wer, wie der Idealismus, die Psyche nicht opfern will, der muß die Psychologie preisgeben; wer die Psychologie aufrichtet, der tötet die Psyche. Alle Psychologie will das Ganze aus den Teilen ableiten und als bedingt hinstellen; alles tiefere Nachdenken erkennt, daß die Teilerscheinungen hier aus dem Ganzen als letztem Urquell fließen. So negiert die Psychologie die Psyche, und die Psyche ihrem Begriff nach jede Lehre von ihr: die Psyche negiert die Psychologie.

Diese Darstellung hat sich für die Psyche und gegen die lächerliche und jämmerliche seelenlose Psychologie entschieden. Ja, es bleibt ihr fraglich, ob Psychologie mit Seele je vereinbar, eine Wissenschaft, die Kausalgesetze und selbstgesetzte Normen des Denkens und Wollens aufsuchen will, mit der Freiheit des Denkens und Wollens überhaupt verträglich sei. Auch die Annahme einer besonderen »psychischen Kausalität«44 kann vielleicht nichts daran ändern, daß die Psychologie, indem sie zuletzt ihre eigene Unmöglichkeit dartut, durch ein solches Ende den glänzendsten Beweis für das jetzt allgemein verlachte und verlästerte Recht des Freiheitsbegriffes wird erbringen müssen.

Hiemit soll aber keineswegs eine neue Ära der rationalen Psychologie ausgerufen sein. Vielmehr ist die Absicht im Anschluß an Kant die, daß die transcendentale Idee der Psyche von Anfang an als Führer beim Aufsteigen in der Reihe der Bedingungen bis zum Unbedingten zu dienen habe, durchaus nicht hingegen »in Ansehung des Hinabgehens zum Bedingten«. Nur die Versuche mußten abgelehnt werden, jenes Unbedingte aus dem Bedingten (am Schlusse eines Buches von 500–1500 Seiten) hervorspringen zu lassen. Seele ist das regulative Prinzip, das aller wahrhaft psychologischen, und nicht empfindungsanalytischen, Einzelforschung vorzuschweben und diese zu leiten hat; weil sonst jede Darstellung des Seelenlebens, auch wenn sie noch so detailliert, liebevoll und verständnisinnig geschrieben ist, in ihrer Mitte gähnend ein großes schwarzes Loch aufweist.

Es ist unbegreiflich, wie Forscher, die nie einen Versuch gemacht haben, Phänomene wie Scham und Schuld, Glauben und Hoffnung, Furcht und Reue, Liebe und Haß, Sehnsucht und Einsamkeit, Eitelkeit und Empfindlichkeit, Ruhmsucht und Unsterblichkeitsbedürfnis zu analysieren, den Mut haben, über das Ich kurzerhand abzusprechen, weil sie es nicht vorfinden wie die Farbe der Orange oder den Geschmack des Laugenhaften. Oder wie wollen Mach und Hume auch nur die Tatsache des Stiles erklären, wenn nicht aus der Individualität? Ja, weiter: die Tiere erschrecken nie, wenn sie sich im Spiegel sehen, aber kein Mensch vermöchte sein Leben in einem Spiegelzimmer zu verbringen. Oder ist auch diese Furcht, die Furcht vor dem Doppelgänger (von der bezeichnenderweise das Weib frei ist45) »biologisch«, »darwinistisch« abzuleiten? Man braucht das Wort Doppelgänger nur zu nennen, um in den meisten Männern heftiges Herzklopfen hervorzurufen. Hier hört eben alle rein empirische Psychologie notgedrungen auf, hier ist Tiefe vonnöten. Denn wie könnte man diese Dinge zurückführen auf ein früheres Stadium der Wildheit oder Tierheit und des Mangels an Sicherung durch die Zivilisation, woraus Mach die Furcht der kleinen Kinder als eine ontogenetische Reminiszenz erklären zu können glaubt! Ich habe übrigens dies nur als eine Andeutung erwähnt, um die »Immanenten« und »naiven Realisten« daran zu mahnen, daß es auch in ihnen Dinge gibt, von denen .....

Warum ist kein Mensch angenehm berührt und völlig damit einverstanden, wenn man ihn als Nietzscheaner, Herbartianer, Wagnerianer u. s. w. einreiht? Wenn man ihn, mit einem Worte, subsumiert? Auch Ernst Mach ist es doch gewiß schon passiert, daß ihn ein oder der andere liebe Freund subsumiert hat als Positivisten, Idealisten oder irgendwie sonst. Glaubt er sich richtig beschrieben, wenn jemand sagen wollte, das Gefühl, das man bei solchen durch andere vorgenommenen Subsumtionen habe, gehe bloß auf die fast völlige Gewißheit der Einzigartigkeit des Zusammentreffens der »Elemente« in einem Menschen, es sei nur beleidigte Wahrscheinlichkeitsrechnung? Und doch hat dieses Gefühl, genau genommen, nichts von einem Nichteinverstandensein, wie sonst wohl mit irgend einer wissenschaftlichen These. Es ist auch etwas ganz anderes, und darf damit nicht verwechselt werden, wenn jemand selbst es sagt, er sei Wagnerianer. Hierin liegt im tiefsten Grunde immer eine positive Bewertung des Wagnertums, weil man selbst Wagnerianer ist. Wer aufrichtig ist, wer es sein kann, wird zugeben, daß er mit einer solchen Aussage auch eine Erhöhung Wagners vornimmt. Vom anderen Menschen fürchtet man meist, daß er das Gegenteil einer Erhöhung beabsichtige. Daher die Erscheinung, daß ein Mensch sehr viel von sich selbst sagen kann, was ihm von anderen zu hören höchst peinlich wäre, wie Cyrano von Bergerac von den tollsten Sticheleien bekennt:

 
»Je me les sers moi-même, avec assez de verve,
Mais je ne permets pas qu'un autre me les serve.«
 

Woher rührt also jenes Gefühl, das selbst tiefstehende Menschen haben? Von einem, wenn auch noch so dunklen Bewußtsein ihres Ich, ihrer Individualität, die dabei zu kurz kommt. Dieses Widerstreben ist das Urbild aller Empörung.

Es geht endlich auch nicht recht an, einen Pascal, einen Newton einerseits höchst geniale Denker und anderseits mit einer Menge beschränkter Vorurteile behaftet sein zu lassen, über die »wir« längst hinaus seien. Stehen wir denn wirklich auf unsere elektrischen Bahnen und empirischen Psychologien hin schon ohne weiteres um so viel höher als jene Zeit? Ist Kultur, wenn es Kulturwerte gibt, wirklich nach dem Stande der Wissenschaft, die immer nur einen sozialen, nie einen individuellen, nicht-demonstrierbaren Charakter hat, nach der Zahl der Volksbibliotheken und Laboratorien zu messen? Ist Kultur denn etwas außerhalb des Menschen, ist Kultur nicht vor allem im Menschen?

Und man mag sich noch so erhaben fühlen über einen Euler, gewiß einen der größten Mathematiker aller Zeiten, welcher einmal sagt: was er, im Augenblick, da er einen Brief schreibe, tue, das würde er genau so tun wie wenn er im Körper eines Rhinozeros steckte. Ich will die Äußerung Eulers auch nicht schlechthin verteidigen, sie ist vielleicht charakteristisch für den Mathematiker, ein Maler hätte sie nie getan. Aber dieses Wort gar nicht zu begreifen, nicht einmal die Mühe zu seinem Verständnisse sich zu nehmen, sich über sie einfach lustig zu machen und Euler mit der »Beschränktheit seiner Zeit« zu entschuldigen, das scheint mir keineswegs gerechtfertigt.

Also, es ist, wenigstens für den Mann, auch in der Psychologie ohne den Ich-Begriff nicht dauernd auszukommen; ob mit diesem eine im Windelbandschen Sinne nomothetische Psychologie, d. h. psychologische Gesetze vereinbar sind, scheint sehr fraglich, kann aber an der Anerkennung jener Notwendigkeit nichts ändern. Vielleicht schlägt die Psychologie jene Bahn ein, die ihr ein früheres Kapitel vorzeichnen zu können glaubte, und wird theoretische Biographie. Aber gerade dann werden ihr die Grenzen aller empirischen Psychologie am ehesten zum Bewußtsein kommen.

Daß im Manne für alle Psychologie ein Ineffabile, ein Unauflösliches bleibt, damit stimmt es wunderbar überein, daß regelrechte Fälle von »duplex« oder »multiplex personality«, Verdoppelung oder Vervielfachung des Ich, nur bei Frauen beobachtet worden sind. Das absolute Weib ist zerlegbar: der Mann ist in alle Ewigkeit, auch durch die beste Charakterologie nicht völlig zerlegbar, geschweige denn durchs Experiment: in ihm ist ein Wesenskern, der keine Zergliederung mehr zuläßt. W ist ein Aggregat und daher dissoziierbar, spaltbar.

Deswegen ist es ungemein komisch und belustigend, moderne Gymnasiasten (als platonische Idee) von der Seele des Weibes, von Frauenherzen und ihren Mysterien, von der Psyche des modernen Weibes etc. reden zu hören. Es scheint auch zu dem Befähigungsnachweis eines gesuchten Accoucheurs zu gehören, daß er an die Seele des Weibes glaube. Wenigstens hören es viele Frauen sehr gerne, wenn man von ihrer Seele spricht, obwohl sie (in Henidenform) wissen, daß das Ganze ein Schwindel ist. Das Weib als die Sphinx! Ein ärgerer Unsinn ist kaum je gesagt worden. Der Mann ist unendlich rätselhafter, unvergleichlich komplizierter. Man braucht nur auf die Gasse zu gehen: es gibt kaum ein Frauengesicht, dessen Ausdruck einem da nicht bald klar würde. Das Register des Weibes an Gefühlen, an Stimmungen ist so unendlich arm! Während gar manches männliche Antlitz lange und schwer zu raten gibt.

Schließlich werden wir hier auch einer Lösung der Frage: Parallelismus oder Wechselwirkung zwischen Seelischem und Körperlichem? nähergeführt. Für W trifft der psychophysische Parallelismus, als vollständige Koordination beider Reihen, zu: mit der senilen Involution der Frau erlischt auch die Fähigkeit zu geistiger Anspannung, die ja nur im Gefolge sexueller Zwecke auftritt, und diesen dienstbar gemacht wird. Der Mann wird nie in dem Sinne völlig alt wie das Weib, und es ist die geistige Rückbildung hier durchaus nicht notwendig, sondern nur in einzelnen Fällen mit der körperlichen verknüpft; am allerwenigsten endlich ist von greisenhafter Schwäche bei jenem Menschen etwas wahrzunehmen, welcher die Männlichkeit in voller geistiger Entfaltung zeigt, beim Genie.

Nicht umsonst sind jene Philosophen, welche die strengsten Parallelisten waren, Spinoza und Fechner, auch die strengsten Deterministen. Bei M, dem freien, intelligiblen Subjekte, das sich für Gut oder für Böse nach seinem Willen entscheiden kann, ist der psychophysische Parallelismus, der eine der mechanischen genau analoge Kausalverkettung auch für alles Geistige fordern würde, auszuschließen.

So weit wäre denn die Frage, welcher prinzipielle Standpunkt in der Behandlung der Psychologie der Geschlechter einzunehmen ist, erledigt. Es erwächst dieser Ansicht jedoch wieder eine außerordentliche Schwierigkeit in einer Reihe merkwürdiger Tatsachen, die zwar für die faktische Seelenlosigkeit von W noch einmal, und zwar in geradezu entscheidender Weise in Betracht kommen, die aber anderseits von der Darstellung auch die Erklärung eines sehr eigentümlichen Verhaltens der Frau fordern, das seltsamerweise noch kaum jemand ernstlich Problem geworden zu sein scheint.

 

Schon längst wurde bemerkt, wie die Klarheit des männlichen Denkens gegenüber der weiblichen Unbestimmtheit, und später wurde darauf hingewiesen, wie die Funktion der gesetzten Rede, in welcher feste logische Urteile zum Ausdruck kommen, auf die Frau wie ein Sexualcharakter des Mannes wirkt. Was aber W sexuell anreizt, muß eine Eigenschaft von M sein. Ebenso macht Unbeugsamkeit des männlichen Charakters auf die Frau sexuellen Eindruck, sie mißachtet den Mann, der einem anderen nachgibt. Man pflegt in solchen Fällen oft von sittlichem Einfluß des Weibes auf den Mann zu reden, wo doch sie nur das sexuelle Komplement in seinen komplementierenden Eigenschaften voll und ganz sich zu erhalten strebt. Die Frauen verlangen vom Manne Männlichkeit, und glauben sich zur höchsten Entrüstung und Verachtung berechtigt, wenn der Mann ihre Erwartungen in diesem Punkt enttäuscht. So wird eine Frau, auch wenn sie noch so kokett und noch so verlogen ist, in Erbitterung und Empörung geraten, wenn sie beim Manne Spuren von Koketterie oder Lügenhaftigkeit wahrnimmt. Sie mag noch so feige sein: der Mann soll Mut beweisen. Daß dies nur sexueller Egoismus ist, der sich den ungetrübten Genuß seines Komplementes zu wahren sucht, wird allzuoft verkannt. Und so ist denn auch aus der Erfahrung kaum ein zwingenderer Beweis für die Seelenlosigkeit des Weibes zu führen als daraus, daß die Frauen vom Manne Seele verlangen, und Güte auf sie wirken kann, obwohl sie selbst nicht wirklich gut sind. Seele ist ein Sexualcharakter, der nicht anders und zu keinem anderen Zwecke beansprucht wird als große Muskelkraft oder kitzelnde Schnurrbartspitze. Man mag sich an der Kraßheit des Ausdruckes stoßen, an der Sache ist nichts zu ändern. – Die allerstärkste Wirkung endlich übt auf die Frau der männliche Wille. Und sie hat einen merkwürdig feinen Sinn dafür, ob das »Ich will« des Mannes bloß Anstrengung und Aufgeblasenheit oder wirkliche Entschlossenheit ist. Im letzteren Falle ist der Effekt ein ganz ungeheuerer.

Wie kann nun aber eine Frau, wenn sie an sich seelenlos ist, Seele beim Manne perzipieren, wie seine Moralität beurteilen, da sie selbst amoralisch ist, wie seine Charakterstärke auffassen, ohne als Person Charakter zu haben, wie seinen Willen spüren, obgleich sie doch eigenen Willen nicht besitzt?

Hiemit ist das außerordentlich schwierige Problem formuliert, vor dem die Untersuchung weiterhin noch zu bestehen haben wird.

Bevor aber seine Lösung versucht werde, müssen die errungenen Positionen nach allen Seiten hin befestigt und gegen Angriffe geschützt werden, die in den Augen mancher imstande sein könnten, sie zu erschüttern.

44Es ist nur zu begreiflich, daß man leicht zu einer solchen Annahme verführt werden mag. Wer hat nicht z. B. in der Lektüre dieses Buches beim Übergang vom ersten zum zweiten Teil das Gefühl, daß es sich in beiden um etwas ganz anderes handle! Dort um äußerliche, hier um innere Zusammenhänge.
45Noch hat niemand von Doppelgängerinnen gehört. Man nennt die Frauen das furchtsame Geschlecht, weil man zu wenig scheidet zwischen Angst und Furcht. Es gibt eine tiefe Furcht, die nur der Mann kennt.