Feuersturm der Drachenseele

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Feuersturm der Drachenseele
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Mein aufrechter Dank geht an Alexander und Ingrid Schug. Ohne Sie hätte ich das Buch niemals beenden können.

Drachenberge – Erste Begegnung

Freiheit. Pure Freiheit. Meine mächtigen Flügel spannten sich und ich spürte die frische Bergluft an meinen Schwingen vorbeisausen. Als mein scharfer Blick nach unten wanderte, erkannte ich in dem eiskalten, kristallklaren Bergwasser mein verschwommenes Spiegelbild. Ich war eines der mächtigsten Geschöpfe, welches die Welt je hervorgebracht hatte. Ich war ein orangefarbener, ausgewachsener und furchteinflößender Drache. Na ja, ausgewachsen ist ein wenig übertrieben, denn obwohl ich schon gute einhundertzwanzig Jahre auf dem Buckel hatte, gab ich immer noch einen ziemlich jungen Drachen ab, der noch einiges zu lernen hatte. Als Mensch wäre ich jetzt ungefähr siebzehn. Auch wenn ich noch kein Feuer speien konnte und somit noch zu den Jungdrachen zählte, würde ich einem unerfahrenen Menschen mit meinem Drachengebrüll sicherlich einen schönen Schrecken einjagen. Ich flog gerade eine steile Rechtskurve, schnappte mit meinen scharfen Zähnen nach einer dummen Gans und erhöhte nach diesem kleinen, morgendlichen Snack meine Geschwindigkeit. Mit meinen Augen, die sogar eine kleine Maus aus einhundert Meter Höhe auf dem Boden davon flitzen sehen konnten, suchte ich nach dem deutlichen Ende der weitflächigen Berglandschaft. Mein Ziel – die Todesschlucht – lag nicht weit vor mir. Deshalb legte ich die Flügel an, neigte den langen, geschuppten Kopf und stürzte auf den Abhang zu. Ich landete geschickt und vollkommen sicher vor der tödlichen Klippe. Nachdem ich mich mit meinen Augen, Ohren und meiner feinen Nase vergewissert hatte, dass kein Mensch oder ein anderer Drache in meiner Nähe war, klappte ich zufrieden meine Flügel ein und legte mich auf die spitzen Steine, die mich aber nur leicht an den harten Schuppen kitzelten. Meine beiden vorderen Klauen ließ ich entspannt über den Klippenrand baumeln. Die Klippe war tief und versetzte viele Tiere und Menschen in furchtbare Schrecken . Außer uns Drachen natürlich, die Höhenangst nicht kannten. Der Name dieser Schlucht stammte nicht von irgendwo her. Genau an diesem langgezogenen und sichelförmigen Abgrund hatten sich des Öfteren schreckliche Schlachten zwischen Menschen und Drachen zugetragen. Schließlich wurde diese Klippe zu einer Grenze, die ein Reich der Drachen von den Gebieten der Menschen trennte. Mein Blick wanderte zum glühenden Osten. Gerade stieg der große Feuerball am blauen Himmelszelt über den fernsten Rand empor und erhellte mit seinem warmen Licht eine weitläufige Steppe, in der sich eine kleine Menschensiedlung befand. Die unentwickelten Menschenaugen hätten aus meiner Position diesen winzigen, langgezogenen Fleck in der Landschaft, ihre eigene Heimat, wohl kaum sehen können. Aber ich hatte so gute Augen, dass ich jedes einzelne Haus zählen konnte und genau wusste, welches der zottelige Dorfköter jeden Morgen als sein Revier markierte. Eigentlich durfte ich nicht hierher. Der Drachenälteste meinte, dass die Menschen, wenn sie mich sähen, sofort Alarm schlagen würden und somit wieder ein Kampf entstehen könnte. Klar, als wenn diese zweibeinigen Blinden einen kleinen Drachen auf einer weit, weit entfernten Schlucht erkennen könnten. Ich müsste mich schon groß machen, meine Flügel voll ausbreiten und so laut brüllen, wie ich nur konnte, damit überhaupt die Wahrscheinlichkeit entstünde, dass sie mich bemerken könnten. Deshalb war es strengstens verboten, an oder über diese Klippe zu fliegen. Das Steppenland und vieles, was dahinter lag, gehörte ihnen. Und diese für uns kleine Berglandschaft gehörte uns. Menschen galten als unsere größten Feinde und wir galten für sie als übermächtige Feinde. Aber ich kam immer und immer wieder zu dieser verbotenen Schlucht, nicht um dem Drachenältesten etwas zu beweisen oder ihn zu ärgern, sondern um die Menschen mit eigenen Augen zu sehen und mir selber ein Bild von ihnen zu machen. Denn die Menschen wurden von unseren Älteren immer als brutale, seelenlose Bestien bezeichnet, die einfach alles niedermachten ohne mit den Wimpern zu zucken. Selbst die wilden Tiere der Länder, wie Rehe, Füchse, Vögel und andere Lebewesen flohen vor ihnen, was angeblich ihre Grausamkeit beweisen sollte. Aber vor uns flohen sie gleichermaßen und das zu Recht. Schließlich sahen wir in einem ausgewachsenen Hirsch eine willkommene Mahlzeit. Also war die Scheu der Tiere kein Beweis für den Aberglauben, die Menschen seien Bestien. Dass es solche Bestien geben sollte, konnte ich nicht glauben und so schlich ich mich davon, um die Menschen zu studieren. Schon nach wenigen Tagen bemerkte ich, dass die Menschen uns genauso hassten oder fürchteten wie wir sie. Sie hatten am Ende des Dorfes einen hölzernen und für mich sehr wackligen Hochstand errichtet, in dem sich eine große, metallgegossene Glocke befand, mit der jederzeit Alarm geschlagen werden konnte, wenn sie einen Drachen erblickten. Bisher hatten mich diese seltsamen Zweibeiner aber noch nie gesehen.

Plötzlich hörte ich das Knacken eines Zweiges, welcher durch das Gewicht eines Hufes, einer Tatze oder, was für mich am gefährlichsten war, eines Fußes brach. Ich wirbelte erschrocken und mit drohendem Knurren herum, bereit einen starken, menschlichen Krieger zu töten. Doch es war kein Krieger, der mir auflauerte. Ich war so verblüfft über das, was sich mir da gute zehn Meter entfernt bot, dass ich mein Knurren einstellte und das Wesen vor mir mit großen Glupschaugen betrachtete. Dort vor mir stand doch tatsächlich ein Mädchen. Sie stand einfach da, umklammerte fest die Stiele einiger Heilpflanzen, die sie sicherlich hier auf dem Hügel gepflückt hatte, und starrte mich mit großen Augen an. Ihr schmächtiger Leib war in schmuddelige Lumpen gehüllt und Schuhe trug sie überhaupt keine. Doch was an übermäßigem Schmuck und Tand fehlte, machte ihre Schönheit wieder wett. Sie hatte große, braune Augen, blondes glattes Haar und ein ansehnliches rundes Gesicht mit einer kleinen Stupsnase. Hätte ich ihr Alter schätzen müssen, so würde ich auf die Zahl siebzehn tippen. Trotzdem! Es war egal, wie jung oder wie schön sie war. Jeder Drache, der noch halbwegs bei Verstand war, hätte keine Sekunde gezögert und die Gefahr sofort mit Haut und Haaren gefressen. Aber was machte ich dummer Narr? Ich setzte mich vor sie hin, um das kleine Wesen genauer zu betrachten. Schließlich hatte ich bisher noch keinen Menschen so aus der Nähe gesehen. Und da ich vollkommen davon überzeugt war, dass sie mir nichts tun konnte und auch nicht würde, schloss ich lammtreu die Augen und schnüffelte ein wenig. Hmm... Ich roch zuerst die köstliche Würze der gepflückten Blumen mit den verschiedenen Eigenschaften. Ja, wir Drachen kannten Aussehen, Gerüche und die verschiedenen Eigenschaften der Pflanzen, die auf diesen Bergen wuchsen. Schließlich waren wir ja nicht irgendwelche dummen Echsen, denen urplötzlich Flügel gewachsen waren. Nein! Wir Drachen waren mindestens genauso schlau, wie die Zweibeiner, wenn nicht sogar eine Drachenschwinge schlauer. Noch einmal nahm ich einen tiefen Atemzug und zwischen diesen ganzen verschiedenen Gerüchen der Pflanzen konnte ich auch den eigenen, ganz persönlichen Duft des Mädchens wittern. Er war so stark und hatte eine so bezaubernde Wirkung auf mich, dass er mich für einen Moment fesselte. Ich öffnete erschrocken die Augen, als ich bemerkte, dass der würzige Duft der Blumen sowie der seine etwas stärker geworden waren .Und ich erblickte sofort wieder das Mädchen, das seltsamerweise nur noch drei Drachenschritte von mir entfernt stand. Es sah mich weiterhin mit prüfenden, braunen Augen an. Dann machte es noch einen Schritt auf mich zu und noch einen. Was für ein mutiges Ding es doch war, sich mir Schritt für Schritt zu nähern mit einem solch starken Vertrauen, nicht gefressen zu werden,. Dann stand es direkt vor mir. Ich war etwa in seiner Höhe, hatte aber nicht seine Größe. Ich schloss meine Augen und öffnete sie langsam wieder, während mir sein betörender Geruch in die großen Nüstern stieg. Die Gerüche der Heilkräuter blendete ich vollkommen aus. Dann hob das Mädchen zwar langsam, aber für mich unerwartet eine Hand.

»Vorsicht Kleine! Sonst beiß ich dich! «, meinte ich scherzhaft, was für sie jedoch nur ein leises Knurren und ein kurzes Wedeln meines langen Schweifes bedeutete. Verunsichert hielt sie kurz inne, fasste dann aber doch Mut und berührte meine lange Schnauze. Ich spürte seine warme Hand auf meiner dicken Haut, die langsam hin und her strich und ich sah, wie sich ein bezauberndes Lächeln auf seinem Mund ausbreitete. Ich schloss erneut die Augen und genoss die kaum spürbare Berührung seiner Hand, sog seinen Duft in mich ein und hörte das wilde Klopfen seines vor Aufregung rasenden Herzens. Sicher war sie aufgeregt! Schließlich läuft man ja nicht alle Tage einem zahmen Drachen über den Weg, den man wie einen Hund einfach so streicheln konnte ohne Gefahr, als Frühstück zu enden.

»Mein Name ist Vila . «, hörte ich es leise zu mir sagen. Vila… Ein schöner Name. Ich machte einen leisen Schnaufer zum Zeichen, dass ich den Namen für gut betrachtete. Unter seiner sachten Berührung begann es in meiner Kehle leicht zu grummeln. Ein leises, wohlwollendes Raunen, welches nur meine innerste Zufriedenheit kundtat. Wäre ich eine Katze gewesen, dann läge ich jetzt auf dem Rücken und würde laut schnurren. Doch dann würde die Stille um uns herum unterbrochen. In meinen lauschenden Ohren ertönte plötzlich das laute dröhnende Geräusch einer Glocke, die wild geläutet wurde. Und dieses Geräusch hallte eindeutig von der kleinen Siedlung her. Ich erschrak und hob mit einem aufgeregten Fauchen meinen Kopf. Mein schneller Blick fegte über die Ebene und fand schließlich den entfernten, kleinen Wachturm. Ein kleiner Mann läutete gerade wie wild die Glocke und schrie so etwas wie »Drachen!«. Auch das Mädchen hatte sich erschrocken seiner Heimat zugewandt.

 

»Nein!«, hörte ich es flüstern, während ihm Tränen über die Wangen liefen. Dann wandte es sich wieder mir zu.

»Ich habe nicht gewollt, dass sie dich entdecken! «, sagte es zu mir, scheinbar in dem festen Glauben, ich könnte ihre Sprache verstehen. Natürlich verstand ich! Des Öfteren hatte ich dem Müller beim

Streit mit seiner Frau zugehört und musste hin und wieder einen lauten Brüller unterdrücken, da sie sich immer wegen der kleinsten Kleinigkeiten in die Haare kriegten. Aber dies war jetzt unwichtig.

»Lauf schnell nach Hause, Mädchen!«, fauchte ich. Im Unterschied zu mir verstand es meine Sprache und Gestik nicht - hatte keine Ahnung was ich ihm sagte. Ich sah es ängstlich zurückweichen, während mein Schwanz ungeduldig durch die Luft peitschte und ich meine Schwingen ausbreitete. Dann sah ich ihm noch einmal direkt in die Augen in der Hoffnung, es würde in meine Seele blicken und meine Worte verstehen. Und dann gab es diesen kurzen Moment, in dem alles um uns herum bedeutungslos war, sogar die Geräusche der wild geschlagenen Glocke, und wir uns ohne Worte verstanden. Es begriff, dass ich niemals vorhatte, es anzugreifen und ich es auch niemals tun würde. Dann breitete ich meine Schwingen vollends aus und flog mit einigen mächtigen Schlägen davon in den Himmel, während ich seinen faszinierenden Blick auf mir spürte. Ich flog und flog, so schnell mich meine Schwingen tragen konnten, denn ich wusste, dass ich in Schwierigkeiten steckte. In gewaltigen Schwierigkeiten! Denn die Drachen im Drachenhort hatten sicherlich die Glocke gehört. Und wenn jetzt rauskäme, dass ich für den Tumult verantwortlich war, dann würde mich der Älteste wahrscheinlich umbringen. Zudem trug ich einen bestimmten Geruch mit mir, der mir ebenfalls gefährlich werden konnte: Der eigentümliche Geruch des Mädchens. Den Geruch, den ich so liebte. Ich musste ihn loswerden und das rasch! Aber wie? In wilder Panik blickte ich umher, versuchte irgendetwas zu erkennen, was die Gerüche von meinen Schuppen abtragen oder zumindest überdecken könnten. Ein Schlammloch oder wenigstens ein gewaltiger Dunghaufen sollten den Geruch anständig überdecken können, auch wenn man mich dann für verrückt erklären würde. Doch ich konnte nichts anderes unter mir erkennen als öde Steinlandschaft. Und Stein würde nicht helfen, den verräterischen Duft los zu werden. Doch dann erblickte ich den See einige Schwingen entfernt und weit unter mir . Zwar war ich nicht darauf erpicht , schon am frühen Morgen ein kaltes Bad zu nehmen, aber was hatte ich für eine Wahl? Also tauchte ich drei Atemzüge später hinab, indem ich die Flügel einzog, in die eisigen Fluten. Jede meiner Zellen zog sich schmerzhaft zusammen und es fühlte sich so an, als würden mir alle Schuppen gleichzeitig herausgezogen. Doch mein Wille war stärker als das eiskalte Wasser und die Schmerzen. Und so tauchte ich mehrere Male auf und wieder ab. Zum Schluss ließ ich mich tiefer in die Dunkelheit sinken, nahm dann Anlauf und durchstieß die Wasseroberfläche wie ein Speer. Im richtigen Moment entfaltete ich meine Flügel, in denen sich einen Herzschlag später die Luft fing und nach einigen mühseligen Schlägen hatte ich meine sichere Flughöhe erreicht. Dieses Kunststück, das ich gerade vollführt hatte, konnte nicht jeder! Nur eine Neugiernase, wie ich es war, versuchte neue Flugmanöver, die sich später immer wieder als äußerst praktisch erwiesen. Genau wie dieses Manöver auch. An meiner rechten Klaue zuckte etwas. Ich blickte hinab und erkannte einen dicken Karpfen, den ich scheinbar aus Instinkt und Gewohnheit gefangen hatte. Doch da mir die Todesstrafe drohte, war mir aller Appetit auf Fisch vergangen. Also ließ ich ihn wieder zurück in seine ekelhaft kalte und nasse Welt fallen. Dann setzte ich meinen Flug fort mit der Hoffnung, dass der Älteste am heutigen Tage milde gestimmt war..

Im nächsten Augenblick lag ich stark blutend und keuchend am Boden. Meine Flügel hingen schlaff herunter und durch die rechte Flügelmembran zog sich ein langer Schnitt. Aber nicht nur mein Flügel war verwundet. Über meinen ganzen geschuppten Körper zogen sich lange Kratzer und jedes Mal, wenn ich ein und ausatmete, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Brustkorb. Sicherlich war die eine oder andere Rippen angebrochen. Ich konnte das nicht genau sagen, da ich ja keiner von diesen Menschenheilern war. Leider! Und zum Glück, denn Drachenblut hat wie das von Magiern besondere Fähigkeiten. So heilen unsere Wunden schneller als bei Menschen. Klar, ich war nicht gerade leicht verletzt, aber dennoch sollte ich in zwei bis drei Tagen wieder fit sein, wenn ich den heutigen Tag überlebte. Ich schaute laut schnaufend und mit einiger Mühe auf und erblickte vor mir den Drachenältesten . Er hatte mich gerade zurechtgewiesen. Nur leider nicht mit Worten sondern mit Krallen und Zähnen. Eine Bestrafung, die jedem ungehörigen Drachen Vernunft beibringen sollte.

»Weigerst du dich noch immer zuzugeben, dass du einem von diesen stinkenden Menschen begegnet bist?« fauchte er. Ich öffnete mein rechtes Auge und schaute zu ihm auf. Das linke ließ ich lieber zu, da sich eine klaffende Wunde über der Augenbraue befand. Der Drachenälteste ragte weit über mich hinweg. Schließlich war er einer der ältesten und größten Drachen. Was sage ich da? Er ist einer der ältesten und größten Drachen. Er war beinah dreimal so groß wie ich. Seine panzerdicken Schuppen schillerten im Licht der Sonne blutrot. Und seine gefährlichste Waffe befand sich an seiner Schwanzspitze. Zwei Reihen mit je drei langen, spitzen Stacheln ragten dort empor. Ein mächtiger Schlag mit seinem Schwanz und ich wäre Hackfleisch. Und bei einem höheren Vergehen, wie einen Menschen zu besuchen, gab es keine Gnade, egal ob Jungdrache oder nicht. Zudem hatte mich der Drachenälteste etwas gefragt, worauf ich antworten musste. Die Wahrheit zu sagen wäre reiner Selbstmord, genauso wie lügen. Denn wir Drachen kommunizierten über spezielle Laute, Körpersprache und verschiedene Düfte, die unsere Drüsen ausschieden. Und so würden eine zögerliche Antwort, ein wenig erhöhter Herzschlag und geweitete Augen schnell eine Lüge entlarven. Also musste ich die Lüge mit einer Halbwahrheit umgehen.

»Nein, ich habe keinen Menschen aufgesucht, Meister« ,zischte ich. Der Schweif des Drachenältesten schlug dicht neben meinem Kopf ein und Gestein flog umher. Er knurrte ungehalten – scheinbar unentschieden, mich in Stücke zu reißen oder doch Gnade walten zu lassen und mich zu verschonen. Er schaute mit seinen grimmigen Augen auf mich hinab und zögerte kurz. Ich schloss mein gesundes Auge und wartete auf das Ende.

»Verschwinde!«, fauchte er. »Und wag es ja nicht wieder, mich zum Narren zu halten!«

Dann drehte er sich um, hob seine mächtigen Flügel und rauschte dann mit einem lauten, zornigen Brüllen davon, das die Berge um mich herum erschütterte. Ich lag keuchend auf dem Boden, während ich leichte Erschütterungen um mich herum wahrnahm. Andere Drachen, die meiner Belehrung zugesehen hatten, trampelten nun schwerfällig wieder davon oder stiegen auf in die Lüfte. Aber ich achtete nicht weiter auf sie. Mit geschlossenen Augen lag ich auf dem kalten Berggestein und spürte den stechenden Schmerz meiner vielen Wunden, als wenn Tausende dünne Pfeile gleichzeitig meinen Leib durchbohrt hätten. Auch hörte ich, dass mein Herz wie verrückt raste. Kein Wunder, denn ich war ja soeben nur knapp einer Hinrichtung entkommen. Aber plötzlich spürte und hörte ich noch etwas anderes. Leichte Schwingungen und leises Rauschen von Flügelschlägen lagen in der Luft. Dann folgte eine kleine Erschütterung der Erde. Ich öffnete mein rechtes Auge, obwohl ich mir eigentlich schon denken konnte, wer da seinen langen Hals mitfühlend in Höhe meines Kopfes senkte.

»Und, alles in Ordnung mit dir?«

Mein Auge traf auf die fragenden, gelben Augen eines moosgrünen Drachens. Ich schnaufte amüsiert.

»Nein, ich liege hier bloß ein bisschen herum! Machst du mit?«

»Halb totgeschlagen und trotzdem immer noch zu Scherzen aufgelegt, was«, schnaufte der Grüne mit einem leichten Kopfschütteln und einem grimmigen Blick. Wieder ließ ich ein amüsiertes Schnauben ertönen. Ich mochte den moosgrünen Drachen. Wir beiden waren die einzigen Jungdrachen in den gesamten Bergen. Und er war nur einige Tage später als ich geschlüpft, was in der Welt der Drachen etwa eine unbedeutende Sekunde bedeutete, also nicht besonders viel. Dennoch war er nicht bei allen Drachen wirklich beliebt, da er ein wenig tollpatschig war. Einmal hatte er im Winter mit einem lauten Niesen eine Lawine ausgelöst, die unglücklicherweise einige schlafende Drachen verschüttete. Eine sehr kalte und ungemütliche Art, aus einem wohligen Schlaf geweckt zu werden. Aber da wir enorme Kräfte entwickeln und mit unserer Magie Feuer speien konnten, waren wir den erstickenden Schneemassen sofort wieder entkommen. Ich mochte ihn, trotz seiner Tollpatschigkeit. Denn er hatte sein Herz am rechten Fleck und war mutig. Außerdem war er ein echter Freund, der mich niemals im Stich lassen würde, auch wenn ich dreiundzwanzigtausendvierhundertdreiundsiebzig Drachentöter mit magischen Fähigkeiten herausgefordert hätte. Er würde sich als einer der Wenigen an meine Seite stellen und mit mir um Sieg oder Tod kämpfen. Er war der Einzige, dem ich voll vertrauen konnte.

»Ich werde bei dir bleiben. Und wenn du etwas brauchst, sag es mir einfach«, schnurrte er und legte sich nahe an meine Seite. Und wieder einmal bewies er mit seiner Tat, dass er einer der ganz großen war. Wenn ich ihm einen menschlichen Spitznamen geben sollte, würde ich ihn Freund nennen.

»Ich danke dir«, schnaufte ich und klappte erschöpft mein Augenlid zu.

Drachenbrück – Tumulte im Dorf

Mein Herz schlug immer noch wie wild, während ich über das Flachland in Richtung Heimat rannte. Schließlich hatte ich soeben einem lebendigen Drachen die Schnauze gestreichelt und wer konnte schon von sich behaupten, einen Drachen nur aus nächster Nähe gesehen zu haben. Ich hatte insgeheim schon immer von Drachen geschwärmt und sie nicht wie die anderen verachtet. Doch die Wache hatte ihn in der Todesschlucht gesehen und sofort Alarm geschlagen - Das erste Mal nach gut zwei Jahren. Ausgenommen letzten Frühling, als Hans bei der Wache eingeschlafen, mit seinem dicken Schädel gegen die Glocke geschlagen war und somit einen blinden Alarm ausgelöst hatte. Danach plagten ihn eine ganze Woche lang arge Kopfschmerzen. Das Dorf bestand aus vielen kleinen Häusern, die alle kreuz und quer aufgebaut waren. Die meisten von ihnen bestanden aus den einfachsten Materialien wie Holz, Stroh oder Lehm. Um die Häuser herum wuchs meistens schönes saftiges Gras, welches leider in den letzten Wochen von der unbarmherzigen Sonne in trockenes, totes Gestrüpp verwandelt worden war. Die wenigen Zugpferde, die sich nur noch vereinzelte Bürger halten konnten, fraßen das braune Zeug nur, damit sie nicht verhungerten. Bäume wuchsen hier fast überhaupt nicht. Der nächste Wald begann erst südlich an einem der beiden Berge, die uns beinahe vollständig umgaben. Unser Dorf galt als Brücke zu den Drachenbergen. Es stand am nächsten zu den Gebieten der Drachen und besaß keine Abwehreinrichtungen wie eine Mauer. Wenn die Drachen beschließen sollten, uns anzugreifen, dann würde das Dorf leichte Beute sein, zudem auch die vielen Holzhäuser schnell herunter brennen würden. Doch glücklicherweise war es bisher zu keinem Angriff gekommen, auch wenn er stark provoziert wurde. Hin und wieder kam es vor, dass eine Schar Soldaten des Königs hier rastete, um am nächsten Tag die Berge zu besteigen und einen Kampf anzuzetteln. Sonst zeigten sie sich nur, wenn wieder einmal Steuern abzugeben waren. Dass dabei viele Bewohner Hunger litten und keine Möglichkeit bestand, der Armut zu entkommen, scherte sie nicht. Allgemein gaben sich die Soldaten meist ungehobelt gegenüber den anderen. Wenn sie wütend wurden, zerstörten sie gerne Einrichtungen und plünderten. Sie nahmen sich, was sie wollten, auch wenn es die Jungfräulichkeit eines jungen Mädchens bedeutete. Doch momentan herrschte glücklicherweise Frieden in unserem Dorf. Noch jedenfalls.Denn wenn jemand einen Drachen gesehen hatte, herrschte immer Aufregung im Dorf, meistens noch Wochen nach dem Vorfall. Mein Vater hatte mir erzählt, dass auch die Soldaten des Königs gerufen wurden, die die ganze Situation nur noch verschlimmerten. Auch wenn sich der Drache nie wieder zeigte, wurde ihm der Krieg erklärt. Als ich vor der alten Holztür meines Vaters stand, atmete ich noch einmal tief durch, um mein auffälliges Schnaufen zu beruhigen. Dann schob ich das alte Holz zur Seite und trat in den allzu vertrauten Flur. Es war ein schmaler, kleiner Flur, dessen Boden aus abgetretenen Holzleisten bestand. Zu meiner Linken führte ein türloser Rahmen in einen benachbarten Raum, den wir als Küche und Wohnstube nutzten. Sonst gab es nur noch eine steile, ebenso abgetretene Treppe, die in unsere Kammer führte. Alles in allem hatte das gesamte Haus eine ziemlich düstere Atmosphäre, weshalb ich auch lieber draußen den Tag verbrachte und immer wieder mal Ärger mit meinem strengen Vater bekam.

 

»Vila? Bist du das? «, fragte er mit ernster Stimme und trat in den Flur. Seine große und abgemagerte Statur zeichnete sich unter seinem teils zerfetzten Wams und seiner kurzen Stoffhose ab. Um seine rechte Hand waren vergilbte Bandagen gewickelt, die eine schmerzhaft entzündete Wunde verdeckten. Er hatte sich die Hand bei der Jagd nach einem jungen Bock verletzt, als er ausrutschte und hingefallen war. Ein dicker Splitter hatte sich durch seine Hand gebohrt und eine gefährliche Entzündung hervorgerufen, die unser Leben noch weiter verschlechterte, da mein Vater jetzt auch nicht mehr richtig jagen konnte. Seine einst dunkelblonden Haare waren mit vielen neuen, grauen Strähnen durchzogen. Das Gesicht wirkte eingefallen und wurde von sorgenvollen Falten zerfurcht, obwohl er noch nicht alt war. Nicht das Alter oder eine Krankheit hatten sein einst hübsches Aussehen so verändert, sondern mehr oder weniger die Soldaten des Königs. Dieses Jahr kamen sie öfter vorbei und zogen Steuern ein, welche in unserem Fall meistens Lebensmittel waren, die wir selbst zum Überleben brauchten. Auch die anderen Dorfbewohner ereilte das Schicksal der Armut und des Hungers. Deshalb hatten wir selbst nur noch wenig zu essen, und das meiste seiner Mahlzeiten gab der Vater mir ab. Wenn ich ihn daraufhin böse anstarrte, behauptete er fest, dass ich ja noch wachse und er deshalb nicht ganz so viel benötige. Er war ein guter Vater, verzichtete selbst auf die nötigsten Lebensmittel, damit es wenigstens seiner Tochter gut ging, während er selbst sich langsam dem Sterben hingab. Doch nun stand er mir gegenüber. Und er stand mir nicht irgendwie gegenüber, sondern mit einer so ernsten Miene, dass ich mein Unglück schon erahnen konnte.

»Wo warst du denn so früh am Morgen? «, fragte er noch

beherrscht. Doch ich wusste, dass das Wasser gleich überkochen würde.

»Hier, Vater. Heilkräuter für deine Hand!« versuchte ich ihm auszuweichen. Schon spürte ich, wie seine gesunde, starke Hand schmerzhaft auf meine Wange traf. Die Heilkräuter flogen mir in hohem Bogen aus der Hand und landeten auf dem verschmutzten Holzboden. Während meine Hand zu meiner heißen Wange wanderte, traten Tränen auf mein Gesicht.

»Hast du das nicht gehört?«, fragte mein Vater wütend, während er in Richtung des Wachturmes deutete. »Sie haben geläutet! Der erste Alarm seit Ewigkeiten und das mitten am helllichten Tag!« Ich wusste, worauf er hinaus wollte, sagte aber nichts. Meine Augen suchten sein ausgemergeltes und wütendes Gesicht.

»Drachen, Kind! Drachen! Was ist, wenn sie uns plötzlich

angreifen und du unter den Opfern bist?« Er schüttelte seinen Kopf, um diesen für ihn furchtbaren Gedanken loszuwerden.

»Du bist das Einzige, was ich noch habe!«, sagte er endlich und schaute mir mit ebenfalls tränenden Augen in die meinen. Schließlich konnte ich ja nicht voraussehen, dass ausgerechnet heute ein gefährlicher Drache auftauchen sollte (den ich auch noch streicheln würde). Nach einer kurzen Pause sagte er leise und voller Trauer:

»Und nun mache das Essen! «

Ich gehorchte wortlos und ging in die Küche, wo alte Töpfe und ein Kamin auf mich warteten. Weinend stellte ich mich erst einmal an die abgenutzte Arbeitsfläche und starrte durch ein kleines, mit Spinnweben verdecktes Fenster. Eigentlich konnte ich meinen Vater verstehen. Er machte sich Sorgen um mich. Besser gesagt, machte er sich immer Sorgen um mich. Da meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war, war ich sein Ein und Alles. Aber auf der anderen Seite wollte ich ja auch meine Freiheiten haben, die wie bei allen in meinem Alter manchmal sogar gefährlich sind. Erst nachdem ich mich ein wenig beruhigt und die Tränen abgewischt hatte, schnappte ich mir den großen Holzeimer und verließ das Haus , um Wasser zu holen. Für alle Menschen des Dorfes zugänglich , gab es einen Brunnen, der ziemlich in der Mitte des Dorfes stand. Ich schritt zu dem alten Steinrand, an welchem schon seit langem verschiede Moose wuchsen. Von einem Dach oder einem einfachen Zug, der helfen würde den schweren Wassereimer heraufzuholen, fehlte jede Spur. Nur eine rostige Niete, die tief in einen Stein außerhalb des Brunnens getrieben worden war, hielt das Ende des alten Seils davon ab, durch ein Missgeschick in die Tiefe zu fallen. Ich legte meinen Holzbottich auf den Boden, nahm den Strick und begann den Wassereimer aus der Tiefe hochzuziehen. Der Eimer wog wie immer schwer und das leise knirschende Seil schnitt mir in die Hände. Ein leises Keuchen stahl sich aus meiner Kehle, doch dann kam schon der Eimer in Sicht. Ich schüttete die braune Flüssigkeit in meinen Bottich und entließ den Eimer langsam zurück in die feuchte Dunkelheit. Dass das Wasser eine schlammig braune Farbe aufwies, störte mich nicht weiter. Schon seit langem hatte es nicht mehr geregnet und das Grundwasser im Brunnen ging ganz allmählich zur Neige. Mittlerweile schrammte der Eimer am Grund entlang und wühlte dort den ganzen Schlamm auf. Ich hoffte nur, dass es bald wieder regnete, denn ohne Wasser konnten wir nicht leben. Pflanzen, Pferde, Hühner, Ziegen und Menschen brauchten Wasser, um zu leben. Nur noch einige Tage ohne Wasser würden reichen, um so viele Tiere zu töten, dass das Leben in diesem Dorf nicht mehr möglich wäre. Auch wenn momentan das Gras rund herum verwelkte, war es dennoch meine Heimat, in der ich aufgewachsen war und die ich liebte. Ich schnappte mir meinen Bottich mit dem Schmutzwasser und stiefelte zurück nach Haus.Dort stellte ich den Bottich auf den Boden und widmete mich dem halb vertrockneten Gemüse, welches ich aus der kleinen Speisekammer holte. Ich wusste bereits, wie ich das Schmutzwasser sauber bekam: Ruhe und Zeit. Nachdem ich das Gemüse geschält und geschnitten hatte, schaute ich in den Bottich. Das Wasser sah nun viel klarer aus, denn der Schmutz hatte sich auf dem Boden abgesetzt. Ich musste lächeln. Wenigstens das Wasser gehorchte noch den Naturgesetzen. Ich schöpfte mit einem hölzernen Löffel das saubere Wasser ab und tat es zusammen mit einigen Zutaten in einen Kessel. Dann entzündete ich das bisschen Holz im Kamin mit zwei Feuersteinen und hängte den Kessel darüber. Die Mahlzeit, die daraus entstand, war wie immer wässrig und besaß kaum Geschmack. Doch sie sättigte wenigstens etwas für kurze Zeit. Die Schalen und die Töpfe wusch ich mit dem ohnehin schon verschmutzten Wasser ab und schüttete es hinter dem Haus in das trockne Gras. Anschließend ging ich hinauf in meine kleine Kammer und warf mich, müde wie ich war, in mein heugefülltes Bett. Als ich wieder erwachte, lag ich in einem anmutig erleuchteten Zimmer. Ich schaute mich in dem kleinen vertrauten Raum um. Er war klein und ziemlich leer. Außer meinem Holzbett befanden sich nur noch ein kleiner Stuhl und eine Kleidertruhe mit meiner abgetragenen Kleidung darin. Alles – die Möbel, die Wände, die Decke und der Boden – bestand aus altem Holz. Das Holz war so alt, dass die Maserung deutlich hervortrat. Doch ich mochte diesen alten Raum mit dem kleinen Fenster. Denn immer, wenn zur Abendzeit die Sonne durch das dünne Glas schien, tauchte sie alles in ein faszinierendes, warmes Licht. Und da meine kleine Kammer gerade in diesem fantastischen Licht erstrahlte, musste Abend sein. Aber nicht das Licht hatte mich geweckt, sondern das laute Wiehern eines Pferdes. Nichts Außergewöhnliches, denn ich lebte ja in einem kleinen Dorf mit einigen Feldern drum herum und vielen Jägern. Ergo hielten sich einige der Dorfbewohner Pferde, außer einigen Familien, die sich keine leisten konnten und zu denen bedauerlicherweise wir gehörten. Ich hätte gerne ein Pferd gehabt auf dem ich reiten und das ich pflegen konnte…