Schicksenbluth

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Schicksenbluth
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S.R.G.

Schicksenbluth

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel - Ins Leben

2. Kapitel - Ankunft

3.Kapitel - Alltag in Berlin

4.Kapitel - Die Bibliothek

5.Kapitel - Leben leicht

6.Kapitel - Es ist wie es Ist

Impressum neobooks

1. Kapitel - Ins Leben

Ich habe Leid gesehen und Kriege freiwillig ertragen.

Ich habe mitgeholfen ein System zu stürzen, und ich habe dabei, ohne es zu ahnen, meine Heimat verloren.

Ich habe für wichtige Menschen aus Politik und Wirtschaft gearbeitet.

Und ich habe Stars und unwichtige Sternchen auf ihren Wegen durch die Glitzerwelt begleitet.

Ich bin bereit für Geld mein Leben für fremde Menschen aufs Spiel zu setzen.

Ich bin Leibwächter.

Zeitweise habe ich damit, für meine Verhältnisse, recht gutes Geld verdient.

Aber mein Leben hatte so viel Geschwindigkeit, dass ich nicht mitbekommen habe, wie ich an Jahren gealtert bin.

Die Aufträge sind noch immer akzeptabel und ich registriere mit einem gewissen Stolz, dass die meisten Kunden doch wieder Fachleute schätzen. Die meisten von ihnen haben in vielen Einsätzen ihr Können unter Beweis gestellt. Wem es gelungen war über eine gewisse Distance am Leben zu bleiben, ist für alle Zeiten geadelt.

Dennoch arbeite ich zurzeit auch wieder todesmutig, aber unschlagbar lukrativ in einem Krisengebiet!

Ich bewache als Mitglied einer bunt zusammengewürfelten privaten Schutztruppe ein Ölfeld. Eigentlich wollte ich nur sechs Monate bleiben, aber hier war es, im Gegensatz zum Rest des Landes, den auch eine aus aller Herren Länder zusammen gezogene Friedensmacht der freien Welt befrieden sollte, relativ ruhig.

Und so blieb ich doch nicht nur die vereinbarten sechs Monate.

Man lebt sich ein, man arrangiert sich und überhaupt: Wo sollte ich denn hin!?

Der Arbeitsmarkt ist voll von Sicherheitskräften, die für Überlebenslöhne in Deutschland ihr Dasein fristen.

Natürlich gibt es auch viele Pfeifen unter ihnen, aber die richtig guten Jungs erfahren nur sehr selten die Anerkennung oder den Chorgeist, der auch die widrigsten Umstände erträglich macht.

Die Sonne steht im Zenit, die Luft flimmert, ein unerträglich heißer Wind bläst mir seit Tagen direkt ins Gesicht, wenn ich über den Wall aus Sandsäcken Stunde um Stunde auf eine Kreuzung spähe.

Genau so muss es sich anfühlen, wenn dir eine durchgeknallte Frisöse mit einem beherzten Griff den Kopf fixiert und dir ihren Fön mit Stufe drei mitten ins Gesicht hält.

Von dieser Kreuzung aus führt eine der Pisten direkt zum Ölfeld und zu unserem Camp, die Hauptstraße entlang geht es weiter Richtung Süden. Es ist die Einzige, über die man in den Süden gelangt. Hier müssen sie alle vorbei, die Guten und die Bösen.

Meine nächste Wache beginnt, und außer dem normalen Treiben auf der Straße sind keine Auffälligkeiten zu beobachten.

Aber hier sieht sowieso alles und jeder so aus, wie immer oder überall.

Ich betrachte mir jedes Fahrzeug ganz genau, schaue mir an, ob der Mann, der den Wagen lenkt, frisch rasiert ist oder ob sich Frauen und Kinder mit im Auto befinden.

Ich versuche zu erkennen, ob unter ihrer Kleidung Waffen verborgen sein könnten oder ob die Ladung auch das ist, was sie vorgibt zu sein.

Es gibt bestimmte Merkmale, die als „bedrohlich“ eingestuft werden, aber so ganz genau sagen kann man das nie. Man wägt alle Eindrücke ab und hofft, dass man mit seiner Einschätzung, für die nur wenige Augenblicke bleiben, richtig liegt.

Die Leute hier wischen sich noch immer ihren Hintern mit der rechten Hand sauber, obwohl die Amerikaner schon seit 1857 Toilettenpapier in Fabriken herstellen!

Und selbst wenn die Leute hier kein Toilettenpapier benutzen, weil es die Amerikaner tun, bleibt doch noch zu erwähnen, dass schon die Chinesen das erste Toilettenpapier im 14. Jahrhundert produziert haben. Also, kein Toilettenpapier aus Antiamerikanismus zu benutzen wäre wirklich Unfug.

Aber die Leute hier besitzen das Wissen Bomben zu bauen, die mich und jede Menge meiner Kameraden in den Tod schicken können.

Zwanzig Minuten später fällt mir in fünfhundert Metern Entfernung ein bis übers Dach beladener, alter, klappriger LKW auf. Die Ballen, die dieser Wagen wahrscheinlich Richtung Süden transportiert, sind wagemutig zusammengebunden. Im Führerhaus sind ein Mann und eine Frau zu erkennen. Er ist glatt rasiert und sie hält ein Bündel im Arm, welches ein Baby sein könnte.

Hier rasieren sich die Männer ihre Bärte ab, bevor sie freiwillig vor den Allmächtigen treten.

In meiner Hosentasche vibriert das Telefon. Ungewöhnlich, denn seit Wochen hatte mich niemand mehr angerufen.

Der Wagen fährt nicht wie erwartet weiter Richtung Süden, er biegt auf die Sandpiste ein und rollt in für hiesige Verhältnisse normaler Geschwindigkeit weiter auf unseren Kontrollpunkt zu. Ich kann grade noch erkennen, wie die Frau, oder wer da auch immer auf dem Beifahrersitz hockt, aus dem Bündel eine automatische Waffe zieht.

Es bleibt keine Zeit mehr für Worte. Ich reiße mein Maschinengewehr durch und

eröffne sofort das Feuer auf die Reifen des Lastkraftwagens. Das schwere Maschinengewehr neben mir fängt an zu hämmern und die Kameraden unten am Kontrollpunkt werfen sich hinter die Befestigung.

Blutig sägt das SMG neben mir das Führerhaus des Wagens auseinander, aber er rollt unaufhaltsam weiter und weiter. Noch zwanzig Meter bis zur Sperre, bis plötzlich eine Explosion Luft und Erde in ihre Bestandteile zerreißt.

Eine gewaltige Druckwelle fegt alles im Umkreis hinweg, der Geruch von Pulver, Erde und fremdem Blut presst sich in meine Lungen.

Danach ist es still. Auch das Telefon in meiner Hosentasche rührte sich nicht mehr.

Ich setze meinen Helm ab, nehme meine Waffe und begebe mich zu meinen Kameraden an unserem Kontrollpunkt, trotz der gewaltigen Explosion sind alle körperlich unverletzt geblieben.

Von dem Lastwagen und seiner Besatzung ist nicht mehr viel übrig, die Trümmer und Teile der Beiden liegen in der ganzen Gegend verstreut. Im Zentrum der Explosion befindet sich nur noch ein metertiefes Loch.

Das schwere Maschinengewehr aus meiner Stellung beginnt wieder zu hämmern, und gleich darauf meldet sich das Zweite aus den Trümmern unseres Kontrollpunktes eindrucksvoll zurück.

Sie finden ihr Ziel in je einer Staubwolke, die sich aus Richtung der Sonne auf uns zu bewegen.

Quer durch die Wüste rasen zwei Pick-up-tracks auf uns zu. Hinten auf ihren Ladeflächen sind Maschinengewehre montiert. Die Schützen stehen dahinter und feuern auf alles, was sich hier bewegt.

Sie stehen ohne Furcht und ihre Gewänder wehen wie die Banner des Todes im Wind der Wüste.

Sie kommen schnell näher, doch ihre Kleider und der Staub, der mit ihnen reitet, verfärben sich blutrot.

Ich werfe mich hinter einen Sandhaufen und auch dieses Gefecht wird durch meine Kameraden nach wenigen Augenblicken zu unseren Gunsten entschieden.

Neben mir im Dreck sehe ich zum zweiten Mal einen blutigen Brocken Fleisch, an dem ich eindeutig erkenne, dass die ersten Angreifer doch zwei Männer gewesen sind.

Es wird wieder ganz still. Selbst auf sonst sehr belebten Straße in Richtung Süden ist weit und breit kein Auto mehr zu sehen, als wüssten alle um uns herum um die drohende Gefahr, nur wir eben nicht.

Die Kämpfer in den beiden Pick-up-tracks, die durch die Wüste kamen, sollten sicher den Erfolg der nun fehlgeschlagenen Mission dokumentieren und Überlebende zur weiteren Verwertung einsammeln oder auch nicht.

Aber hier und jetzt gibt es dieses Mal für die Angreifer nichts mehr zu verwerten. Unsere Leute sind auch bei dieser zweiten Attacke unverletzt geblieben und das Leben geht hier weiter, ohne dass sich etwas grundlegend geändert hätte.

Auch die Straße Richtung Süden ist wieder belebt, als wäre nichts geschehen. Es lacht sogar die Sonne zynisch vom Himmel. Ich habe schon viel erlebt, aber in meiner Vorstellung passen meine Sonnenbrille und der Geruch meiner Haut nach Sonnencreme nicht zum Krieg, und der Tod nicht zum traumhaften Urlaubswetter.

Ich erwarte innerlich, dass auch der Himmel hier Anteil nimmt am Leid und am Sterben.

Aber es ist wie es ist.

Die Beobachtungsposten und unsere Sicherungsschützen bleiben in ihren jeweiligen Stellungen, während eine Hand voll Männer und ich langsam über das frisch bestellte Schlachtfeld streunen.

Alle halten ihre Waffen fest im Anschlag mit der Mündung auf den Boden gerichtet, als würden wir nun einen Angriff ihrer Geister aus dem Wüstensand unter unseren Füßen erwarten.

Noch immer ungläubig über so eine gewaltige Aktion, die militärisch an Sinnlosigkeit nicht zu überbieten ist, ist es doch möglich, dass noch eine Überraschung aus dem Wüstensand springt.

 

Meter für Meter gehen wir durch die Reste und sichten die Trümmer, bevor die Planierraupe alles in ihr selbst gesprengtes Grab zurück schiebt.

Das Telefon in meiner Hosentasche vibriert wieder unerschrocken. Dieses Mal nehme ich das Gespräch an und melde mich kleinlaut.

„Ja bitte?“.

„Sind Sie es, Alex?“.

„Sicher, was kann ich für Sie tun?“.

„Alex, Sie haben vor Jahren mal für mich gearbeitet und ich möchte, dass Sie das wieder tun. Wissen Sie, Ihre Telefonnummer zu bekommen war nicht leicht!“. Ohne Luft zu holen kommt die Stimme am anderen Ende der Leitung auf den Punkt. „Ich brauche Sie, es geht um meine Tochter.“

„Jetzt fiel bei mir der Groschen! „Professor Zeelen, sind Sie es?“

„Ja, Entschuldigung.“

„Es tut mir leid Professor, ich bin für längere Zeit nicht in Deutschland.“, sagte ich ihm nicht ohne Bedauern in meiner Stimme.

„Ich weiß wo Sie sind, Alex, ich brauche Sie hier.“

„Worum geht es genau?“

„Das kann man am Telefon schlecht besprechen, aber ich kann Ihnen versichern, dass es nicht so gefährlich ist wie das, was Sie jetzt im Moment grade tun.

Aber um es mit wenigen Worten zu sagen, meine Charlotta trennt sich von ihrem Mann und möchte zurück nach Deutschland.“

„Und wo liegt da das Problem?“

„Wenn Charlotta ihren Mann in den USA verlässt und zurück nach Deutschland kommt, wird sie Shifra, das ist ihre kleine Tochter, unter keinen Umständen bei ihm in Amerika lassen. Charlotta ist viel auf Reisen.“ Schweigen…

„Alex, um es jetzt kurz zu machen, ich hätte gern, dass Sie für sie da sind.

Ich bitte Sie, Alex, nehmen Sie diesen Auftrag an. Die genauen Details können wir besprechen, sobald Sie wieder im Lande wären.“

Ich halte das Telefon noch immer fest zwischen Schulter und Ohr gepresst, die Waffe im Anschlag und die Mündung auf den Boden gerichtet, höre ich den Professor reden von seinen Erste-Welt-Sorgen und Wünschen, und sehe vor mir eine Katastrophe im Urlaubsgewand.

Er redet von Familie, Kindern und von Trennung, er spricht zu mir aus einer so fernen Welt, am anderen Ende der Leitung.

Und an meinem Ende sehe, fühle und rieche ich, dass einige Menschen bereit waren, den höchsten Preis zu zahlen, nur um unsere Art des Lebens zu pulverisieren.

Aber mir ist es lieber, wenn man angesichts solcher Bilder überhaupt von lieber sprechen kann, dass sie uns hier, und wenn es seien muss auch jetzt, noch einmal angreifen, als dass sie sich feige in unser Land schleichen, um in Kaufhäusern oder Bussen ihre Bomben zu zünden und unschuldige Frauen und Kinder mit in den Tod reißen.

Mir wird übel bei dem Gedanken, dass sich Gotteskrieger und Kriminelle vermischen, mit Tüten auf dem Kopf vor Videokameras herum hüpfen und meine Kameraden als Geiseln im Fernsehen zur Schau stellen.

So edel sich der Koran auch liest, aber so wie er sich hier an der Front präsentiert, hat er seine Magie verloren.

„Professor, Sie haben mich jetzt gerade zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt erwischt, aber ich versuche, hier aus dieser Nummer raus zu kommen.“ Innerlich war ich schon lange bereit für einen neuen Auftrag, und ohne weiter nachzudenken sagte ich ihm:

„Wenn das alles so klappt, wie ich mir das vorstelle und die Bedingungen stimmen, könnte ich frühestens in ein bis zwei Wochen zurück sein. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich wieder in Berlin bin. Sie wohnen doch noch in Berlin?“.

„ Ja, danke Alex, das werde ich Ihnen nie vergessen!“

Das Gespräch aus dieser anderen Welt ist damit beendet.

Hinter mir hatte eine große Raupe schon damit begonnen, den ganzen „Heldenmut“ zurück in den Trichter zu schieben, und in zwanzig Minuten sieht hier wieder alles so aus wie vor einer Stunde.

Pünktlich um 18:00 Uhr kommt unsere Ablösung und wir fahren alle gemeinsam zurück in unser Camp.

Die Kameraden auf der Ladefläche tauschen sich wieder über ganz banale männlichen Themen aus, sie rauchen und planen, alles ist wie immer und niemand scheint Schäden jedweder Art davongetragen zu haben.

Nur mir scheint etwas auf der Seele zu liegen. Ich bin erstaunt, dass nicht im Geringsten das sinnlose Sterben heute vor unserem Kontrollpunkt erkennbare Spuren hinterlassen hat, aber ich will meinen Entschluss hier und jetzt vor allen loswerden.

Das bin ich meiner Familie hier schuldig!

Darum stehe ich auf, nehme so gut es eben geht in der Mitte der Ladefläche Haltung an, ziehe in Respekt mein Base-Cap vom Kopf und kralle mich im Gestänge unter der Plane fest, um nicht noch komisch auf der Ladefläche hin und her zu wanken, bei dem, was ich zu sagen habe.

Und ich verkünde allen meinen Entschluss, den Dienst zu quittieren. Ich versichere nicht ,dass es nichts mit dem heutigen Vorfall zu tun habe und ich sage kein Wort darüber, dass ich ein vielleicht gutes Angebot aus Deutschland erhalten habe, aber ich versichere allen Anwesenden meinen Respekt und beschreibe ihnen äußerst ausführlich das Loch in meinem Herzen, wenn ich nicht mehr mit ihnen gemeinsam im Dreck liegen würde.

Das war’s! Mir wird im Gegenzug glaubhaft versichert, dass ich mich“ zu Hause bei Mutti“ sowieso nicht lange wohl fühle, und „dass der Arbeitsmarkt für solch einen Hurensohn wie mich höchstens ein Taschengeld zahlen würde“, aber dass ich „jederzeit wieder kommen“ könne.

Im Camp gehe ich dann auf dem schnellsten Weg in unsere Einsatzzentrale, um meinen Dienst, wenn das möglich wäre, zum Ende der Woche zu quittieren.

In den nächsten vier Tagen besorge ich mir bei unserem Service ein Ticket, packe meine Sachen und fliege über Kuwait nach Frankfurt und dann weiter bis nach Berlin…

Es war ein wunderschöner Abend Ende April, es war mild und Deutschland hatte mich um diese Jahreszeit auf eine ungewöhnlich angenehme Weise willkommen geheißen.

Ich bestieg ein Taxi und fuhr in den Osten der Stadt, nahm ein günstiges Hotel mit Frühstück und meldete mich bei Professor Zeelen.

„Alex! Wie schön, dass Sie schon hier in Berlin sind, hatten Sie eine gute Reise?“

„Ja, Professor.“

„Wir haben viel zu organisieren in den nächsten Tagen und ich schlage vor, dass wir uns gleich morgen 11 Uhr bei mir in der Klinik treffen, um alles genau zu besprechen.

Können Sie das einrichten?“

„Sicher, das ist kein Problem, Professor.“

„Alex?“

„Ja, Professor!?“

„Ich bin sehr glücklich, dass Sie es einrichten konnten.

Sie sind der Einzige, dem ich Shifra und meine Tochter anvertrauen kann.“

„Schon gut Professor, bis morgen.“

„Bis morgen, Alex.“, sagte er, und er klang äußerst zufrieden.

1. Montag

Pünktlich 11 Uhr traf ich bei Professor Zeelen in Potsdam ein, ich läutete an der Tür und mir wurde sofort aufgetan.

Der gute Geist des Hauses, eine ältere Frau ohne größere Auffälligkeiten, die man nur in ihrem Dienstgewand wahrnahm, geleitete mich direkt ins Arbeitszimmer des Professors.

„Hallo Alex, ich bin überglücklich Sie zu sehen, aber kommen wir gleich zur Sache.-

Shifra und meine Tochter kommen in fünf Tagen hier in Berlin an.

Bis dahin ist noch einiges zu organisieren.

Ich denke, einen Vertag können wir uns sparen.“

Der Professor hatte alles bis ins Detail vorbereitet, und er redete heute so schnell und präzise, dass ich keine Möglichkeit hatte, auch nur eine Zwischenfrage zu stellen. Aber eigentlich ließ er sowieso niemals je eine Frage offen, zumindest was seine organisatorischen Bereiche betraf.

„Alex, ich habe für Sie eine finanzielle Absicherung auf diesem Sparbuch hinterlegt.“

Ich nahm das Buch, öffnete es mechanisch, ohne den Blickkontakt mit dem Professor zu unterbrechen, und schielte peinlich berührt erst bei der nächsten Gelegenheit hinein.

Die hinterlegte Summe ließ mich nicht wie geplant mit dem nächsten Wimpernschlag wieder zum Professor blicken, sondern malte mir einen erstaunten Glanz in meine Augen, welcher dem Professor nicht verborgen blieb.

„Alex, das ist eine kleine Rente für Sie. Ich habe das Geld drei Jahre fest angelegt, danach können Sie damit machen, was Ihnen beliebt. Da wir nun schon einmal beim finanziellen Teil angekommen sind, bekommen Sie gleich Ihr Honorar für den gesamten Monat plus Spesen, und bevor ich es vergesse, hier ist noch ein Umschlag mit etwas Geld für ein passendes Auto usw. Das werden Sie brauchen.

So, nun zum Schluss noch die Schlüssel und die Adresse von Ihrem neuen Zuhause, in dem auch meine Tochter mit Shifra wohnen wird. Bitte verzeihen Sie mir meine bestimmende Art, aber ich bin mir sicher, dass Sie sich dort wohl fühlen werden und Sie brauchen ja schließlich ein Zuhause, in dem auch ein wenig für Sie gesorgt wird.

Ich habe das Haus herrichten lassen, und die Firma Brandt hat alle Sicherheitslücken beseitigt.

Die Alarmanlage ist auf dem neuesten Stand und kann auch von Ihren Wohnräumen aus gesteuert werden.

Ich möchte Sie bitten, sich unter dieser Adresse anzumelden und auch gleich den Wagen auf Ihren Namen zu zulassen.“

Der Professor zwinkerte mir mit einem verschmitzten Lächeln zu und mir kam es so vor, als freute er sich innerlich diebisch selber über seine Großzügigkeit oder wer weiß was. Bei ihm weiß man das nie so genau.

„Ihnen muss ich ja nicht erklären, worauf es mir ankommt. Ich denke, Sie wissen genau, dass mir das Wohl der Beiden sehr am Herzen liegt.

Niemand hat die geringste Ahnung, dass meine Tochter ihren Mann verlassen wird und nach Berlin zurückkehren möchte, wir haben noch fünf Tage, um alles vorzubereiten.

Wenn sich dann der Trubel gelegt hat, möchte ich, dass Sie die kleine Shifra betreuen. Versuchen Sie, ihr Sicherheit und etwas Normalität zu geben, insofern das überhaupt möglich ist.

Alex, Sie werden sie mögen und ich habe Ihnen ja schon am Telefon gesagt, dass es nicht so gefährlich sei.“

Nun war ich wirklich überrascht, so eine Wendung hatte ich nicht erwartet.

Charlotta zu bewachen wäre für mich kein Problem gewesen, aber ein sechsjähriges Mädchen, das ständig in Bewegung ist, mit Puppen spielt und wer weiß was noch für seltsame Dinge tut?! Schön.

„Sind Sie sicher, dass ich der Richtige für diesen Auftrag bin?“

„Ich muss Ihnen ehrlich sagen, Leute wie Sie, die ihr Geld auf ihre Weise verdienen, haben meinen vollsten Respekt und meine tiefste Bewunderung.

Ihr seid bereit, euer Leben für das anderer Leute zu geben.

Obwohl eure Einsätze bezahlt werden, wisst ihr genau was ihr tut, und das ihr auch nur das Eine zur Verfügung habt.

Unsere Urinstinkte, die für viele hier seit langem schon verloren sind, sind euer tägliches Handwerkszeug.

Sie ermöglichen euch, wo auch immer ihr es müsst zu überleben und das Leben so zu meistern, wie es ursprünglich mal gedacht war.

Ihr lebt Kameradschaft. Loyalität und Treue sind für euch keine Worte aus einer anderen Welt. Ihr müsst euch nicht morgens schon im Auto auf der Autobahn beweisen, dass ihr stärker, schneller oder besser seid, ihr würdet selbst nach solch einer Aktion noch einen souveränen Eindruck machen, wenn ihr euer Auto verlasst, egal wer euch dann zur Rede stellt. Und ihr habt wenig natürliche Feinde.

Ich sehe in Ihren Augen Wahrhaftigkeit, und genau das ist es, warum ich Ihnen das Wichtigste in meinem Leben anvertraue. Es wäre mein größter Wunsch, wenn meine Shifra sie erleben darf, Alex.“

Ich verließ die Klinik und begab mich umgehend zur angegebenen Adresse.

Zu meinem Erstaunen war das Haus schon bewohnt. Ein älterer Mann und zwei Frauen, die so um die 25 sein dürften, bauten sich im Eingangsbereich wie die Orgelpfeifen auf und stellten sich vor. Der Hausmeister als Hausmeister, die Rechte als Köchin mit Namen Olga und die in der Mitte als Kindermädchen Maria aus Spanien, was mich nun auch wieder erstaunte, denn ich hatte den Professor so verstanden, dass ich diese Rolle übernehmen sollte.

„Sie müssen Alex sein“, sprach mich der Hausmeister mit einem Urberliner Dialekt an.

„Darf ich Ihnen ihre Zimmer im Oberjeschoss zeijen?“

„Sicher dürfen Sie.“

„Wo haben sie ihre Sachen?“

„Mein Gepäck hole ich später noch aus dem Hotel.“

„Aber erst mache ich dir noch eine Kleinigkeit zu essen“, haucht Olga dazwischen.

 

Die drei benahmen sich mir gegenüber mit einer Vertrautheit und Wärme, die mir das Gefühl einer völlig normalen Situation vermittelten. Ich war erstaunt.

Die Sonne flutete in das Haus, Gerüche aus einer längst vergessenen Zeit schmeichelten meiner Nase, die alten Möbel, all das breitete sich wohlig in mir aus und ließen mich fühlen, angekommen zu sein.

Später nahm ich mir wieder ein Taxi und fuhr zurück zum Hotel, packte meine Klamotten, zahlte mein Zimmer und fuhr zurück.

Auf dem Weg ist mir ein Autohaus aufgefallen, das auch einen Geländewagen im Programm hatte, genau das passende Modell für meine Aufgabe, dachte ich.

Ich ließ anhalten und erschien im Foyer genau diesen Autohauses.

Entweder waren die Empfangsdamen an der zentralen Information nicht auf Kunden eingestellt und dachten, wenn überhaupt, ich wäre von UPS oder so was ähnlichem.

Dennoch schaute ich mich um, aber niemand nahm mich zu Kenntnis.

Sicher schlagen die Damen erst auf Schlips und Kragen an wie dressierte Afghanenhunde, wenn man im Anzug diesen Laden betritt.

Leider war ich weder in Schlips noch in Kragen, sondern in Jeans und T-Shirt hier hineingeschwebt. Meine Haare sind kurz geraspelt, meine Haut braun gebrannt und ich hatte sogar die Sonnenbrille abgezogen, um ihnen meine Wertschätzung zu verdeutlichen.

Es half nichts, ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Die eine telefonierte mit ihrer Mutter und die andere starrte in einen Rechner und klimperte eine Rechnung oder so was ähnliches.

Nach einer sehr langen quälenden Minute der Ignoranz, die auch locker gefühlte Zehn hätte sein können, fühlte sich die, die mit ihrer Mutter telefonierte dadurch genötigt, mit mir zumindest Blickkontakt herzustellen, dass ich ihr kein Paket auf den Tresen stellte und ihr kein Pad zur Unterschrift unter die Nase schob.

Sie unterbrach mutig für einen Augenblick das Gespräch mit ihrer Mutter und säuselte total entspannt mit leicht zur Seite geneigtem Köpfchen „Was kann ich denn für Sie tun?“.

„Ich hätte gern einen großen schwarzen Geländewagen“, säuselte ich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf zurück.

Dann ging alles relativ schnell, sie drückte ihre Mutter nun endgültig in eine Warteschleife, meldete mich bei einem Kollegen an, wies mir die ungefähre Richtung durch den Ausstellungsraum und setzte mit einem um Nachsicht flehendem Jauchzen ihr Gespräch mit Mutti fort.

Ein schnittiger Verkäufer, der genau zu dem schwarzen Geländewagen passte, der mir vorschwebte, tänzelte auf mich zu.

„Sie interessieren sich für einen X5?“

„Ja, und ich hätte ihn gern so schnell wie möglich!“

„Leider haben wir für dieses Modell eine Lieferfrist von mindestens 60 Tagen.“

„Ich brauche so ein Auto bis spätestens übermorgen in schwarz und mit ein wenig Ausstattung, bekommen Sie das hin oder nicht?“

„Einen Neuwagen, unmöglich! Aber ich könnte Ihnen unseren Vorführwagen anbieten. Er ist schwarz und hat eine Ausstattung, die keine Wünsche offen lässt, sozusagen mit allem Geknister. Wenn wir das mit der Finanzierung schnell über die Bühne bekommen haben Sie ihn in drei Tagen auf der Straße.“

Er schleppte mich wieder tänzelnd durch einige Türen auf den Hof, stellte mich vor einem großem schwarzem X5 ab, versicherte mir in wenigen Augenblicken mit dem Schlüssel zurück zu sein, verschwand, erschien und setzte mich in den Wagen meiner Träume. Jetzt kam mein großer Auftritt, so oder ähnlich hatte ich mir einen Autokauf schon immer mal vorgestellt. Der Wagen war genau das Richtige, man spürt so etwas auf Anhieb, wenn man drin sitzt und auch noch das nötige Kleingeld in der Tasche hat.

„Sind Sie mir böse, wenn wir ihn nicht finanzieren und die Kennzeichen, sagen wir mal für zwei Tage Probefahrt am Wagen lassen?“

Ich öffnete meinen Frontspoiler *, zog meinen Zeigefinger langsam über das pralle Bündel sehr großer Geldscheine, blieb an einem hängen, der nicht so einheitlich im Bündel steckte und zupfte diesen als kleine Ermunterung heraus.

„Ich wiederhole mich: Maximal zwei Tage!

Solange bis ich den Wagen auf meinen Namen zugelassen habe. Das Finanzielle erledigen wir natürlich gleich.“

Das Scheinchen verschwand blitzschnell, und wir bewegten uns plötzlich auf einer völlig anderen Ebene, alles war jetzt möglich.

Das Taxi mit meinem Gepäck als Unterpfand war auch noch da, wo ich den Fahrer bat auf mich zu warten.

Ich beglich auch diese Rechnung und meine Sachen wurden von Mitarbeitern des Autohauses in den neuen Wagen umgeladen. Auf Drängen des Verkäufers trank ich noch eine Kleinigkeit, weil er unter allen Umständen darauf bestand, den Wagen noch einmal auf Vordermann bringen zu lassen.

Er beatmete die Servicemannschaft, den Wagen noch schnellstens einer Grundreinigung zu unterziehen, und 30 Minuten später verließ ich den Hof des Autohauses.

So macht Autokaufen Spaß! * Frontspoiler = Bauchtasche

Olga stand Sekunden, nachdem ich das Einfahrttor zur Villa passiert hatte, im Portal der Villa und beobachtete jede meiner Bewegungen, während ich den neuen Wagen noch einmal genau untersuchte und einige der technischen Finessen genau auf meine Bedürfnisse einstellte.

Ich konnte mich aber unter ihren Blicken partout nicht so frei entfalten und beschloss, nach einem fachmännischen Blick unter die Motorhaube mein Gepäck aus dem Kofferraum zu holen und das für Frauen nur schwer nachzuvollziehende Schauspiel zu beenden. Ich bin der Überzeugung, dass höchstens Mütter es verstehen würden, und da Olga nun überhaupt nichts mit meiner Mutter gemein hatte, war ich bemüht, im Moment nicht übermäßig lächerlich zu erscheinen.

Und noch eins, ich musste vermeiden, mir nun auch noch im Übereifer auf meine Zunge zu beißen, welche mir grade ein wenig aus dem Mund flutschte, als ich mich grade noch selbst dabei ertappte, einen Fleck auf dem Lack mit meinem sauberen Shirt wegpolieren zu wollen. Ich müsste mir unbedingt noch einmal etwas Zeit nehmen, um mein Auto fertig in Besitz zu nehmen. Natürlich ginge das nur an einem geheimen Ort, an dem ich völlig ungestört sein würde. Selbst unter Gleichgesinnten könnte ich mich nicht derart gehen lassen, dass ich in dieser Sache Befriedigung finden würde. Mich beschleicht auch das Gefühl, dass Olga meine Gedanken genau lesen konnte.

Und das störte mich unheimlich.

Als ich an ihr vorbei ins Haus ging hatte sie so etwas in ihrem Blick,

gepaart mit der Stellung ihrer Mundwinkel fühlte ich mich ertappt und begrüßte sie kleinlaut „Hi, Olga.“ und begab mich direkt in meine Räume, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, ein einziges Wort an mich zu richten.

Ich war von den Ereignissen der letzten Tage so aufgekratzt und begann sofort mit einer mir eigenen Routine mit meinen Sachen die Schränke in Besitz zu nehmen.

Zwischen den alten Möbeln kam ich mir vor, als wäre ich bei meiner alten Tante auf Ferien. Außer im Schlafzimmer, was recht geräumig war und gleichzeitig als Arbeitszimmer eingerichtet wurde, fühlte ich mich sofort heimisch.

Ein großes Bett, Visasvis ein riesiger Arbeitstisch mit Computer und viele kleinere Monitore scharten sich um einen riesengroßen flachen Bildschirm, und in der Tischplatte eingearbeitet befand sich die gesamte Steuerung der Alarmanlage.

In der Mitte des Raumes stand ein großer bequemer Arbeitssessel auf Rollen und an der Fensterseite fielen schwere Vorhänge auf den glatten Holzboden.

Es war fantastisch, man konnte alles von hieraus bedienen und in jeden Winkel außerhalb der Villa blicken. Der Innenbereich war, außer den Privatzimmern, auch einzusehen. Wenn es jemand schaffte, die Außenmauer unbemerkt zu überwinden, würde die Anlage jede seiner Bewegungen und die Entfernung zum Haus auf dem Bildschirm anzeigen. Drucksensoren, welche zu Tausenden in Matten um das ganze Haus eingegraben wurden, meldeten jede Bewegung und zögen automatisch die Blicke der Außenkameras auf sich. Im Ernstfall wäre es möglich, alle Außentüren und Fenster mit Gittern zu verschließen.

Selbst wenn ich mich nicht vor der Steuerung am Arbeitstisch befände, hätte ich die Möglichkeit je nach Gefährdung, die auch elektronisch eingeschätzt und angezeigt wurde, die Villa zu sichern. Oder sie verriegelte sich selbst mit Mann und Maus, wenn niemand auf ihre Warnungen eingehe.

Den Strom bekam sie von einem im Keller montierten Aggregat, das von außen nicht manipuliert werden konnte.

Natürlich war es möglich nur zu beobachten und die Sicherheitsstufen auf alle erdenklichen Situationen anzupassen. Von meinem Sessel aus unternahm ich nun erst einmal einen virtuellen Spaziergang durch die Villa und machte mich so mit ihrer Steuerung und den zahlreichen Finessen vertraut.

Auf dem Küchentisch entdeckte ich mit der Kamera einen Teller mit belegten Käsebroten. Diese waren verführerisch lecker mit roten Zwiebeln garniert.