Buch lesen: «Die Mutter bleibt»

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Nolini Kanta Gupta

Die Mutter bleibt

Letzte Betrachtungen

1973 – 1983

Nolini Kanta Gupta

SRI AUROBINDO ASHRAM

PONDICHERRY

The Mother Abides Final Reflections 1973 - 1983 Nolini Kanta Gupta First edition 2012 * © Sri Aurobindo Ashram Trust 2012 Published by Sri Aurobindo Ashram Publication Department Pondicherry

Die Mutter bleibt Letzte Betrachtungen 1973 – 1983 Nolini Kanta Gupta 1. Ausgabe 2019 ISBN 978-3-96387-028-6


Copyright 2019

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SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION

Deutschland, Berchtesgaden

Anmerkung des Herausgebers

Diese Gedanken und Erinnerungen teilte Nolini Kanta Gupta im letzten Jahrzehnt seines Lebens mündlich oder schriftlich mit – vom Hinscheiden der Mutter im November 1973 an bis kurz vor seinem eigenen Tod im Februar 1984. Während dieses Zeitraumes waren sie der Ashram-Gemeinschaft eine Quelle der Orientierung und des Trostes, und sie scheinen auch heute noch bedeutungsvoll zu sein.

Viele dieser Niederschriften und Gespräche (Ansprachen) richteten sich zuerst an die Schüler, junge und alte, in Nolinidas Klassen. Später wurden sie im Advent, einem von ihm herausgegebenen viermal im Jahr erscheinenden Journal, oder in seinen Gesammelten Werken veröffentlicht. Einzelheiten ihrer Publikation und eine Lebensskizze des Autors finden sich am Ende des Buches.

* * *

InhaltsverzeichnisTitelseiteCopyrightAnmerkung des HerausgebersI. SÜSSE MUTTER1. Der 17. November 19732. Eine kanadische Frage3. Die Mutter bleibt4. Zwillingsgebete5. Die Freiheit der Seele6. Ein weiterer Tag7. Die Mutter, menschlich und göttlich8. Die Mutter und die Natur ihres Werkes9. Sie ist immer hier10. Eine VisionII. DER ASHRAM1. Ein Überblick über unser Ashram-Leben2. Der innere und äußere Ashram3. Der Ashram, die Welt und der EinzelneIII. EINE NEUE SCHÖPFUNG1. An der Schwelle2. Der Große Holocaust – Chhinnamasta3. Was muss getan werden?IV. ANSPRACHEN AN DIE SCHÜLER1. Worte, Worte, Worte2. Die goldene Kette3. Mutters Playground4. Die eiserne Kette5. Die zwei Ketten der Mutter6. Eure SeeleV. DER INTEGRALE YOGA1. Nicht zerstören, sondern transformieren2. Liebe das Göttliche3. Wie ist Savitri zu verstehen4. Der Mensch und andere Wesen5. Im Inneren leben6. Falschheit7. Das Geheimnis des Lebens8. Unser Yoga9. Intensität ohne Ungeduld10. Freiheit11. GesternLEBENSSKIZZE NOLINI KANTA GUPTASANMERKUNGEN ZUM TEXTGuideCoverTable of ContentsStart Reading

Teil 1
SÜSSE MUTTER

Sie ist immer hier in jenem Bereich der Erdatmosphäre, von dem aus sie schon früher immer wirkte – heute genauso wie zu der Zeit, als sie in unserer Mitte war. Sie ist auf die gleiche Weise für uns erreichbar, – wir müssen nur erkennen, wie wir uns ihr nähern und uns auf sie einstimmen können. — Nolini Kanta Gupta

Kapitel 1
Der 17. November 1973

1

Der Körper der Mutter gehörte der alten Schöpfung an. Er war dazu bestimmt, der Sockel des Neuen Körpers zu sein. Er hat seine Aufgabe gut erfüllt. Der Neue Körper wird kommen.

Dies ist ein Test, in wieweit wir ihr unverbrüchlich zugetan, ihrem Bewusstsein treu sind.

Die Wiedererweckung des Körpers hätte das Wiederaufleben der alten körperlichen Beschwerden bedeutet. Diese Beschwerden wurden während Mutters Anwesenheit soweit wie möglich beseitigt, – mehr konnte nicht getan werden. Denn es wurde eine neue Umwandlung, eine neue Vorgehensweise benötigt. „Tod“ war die erste Stufe in diesem Prozess.

2

Süße Mutter,

Dein physischer Körper gehörte zur alten Schöpfung, denn Du wolltest mit Deinen Kindern eins sein. Du wolltest, dass dieser Körper den Neuen Körper, den Du auf ihm aufbauen wolltest, unterstützte, und er leistete Dir die Dienste, die Du von ihm verlangtest. Du wirst in Deinem Neuen Körper wiederkommen.

Der Ruf und die Sehnsucht, die Liebe und Hingabe Deiner Kinder und der Welt sind Dir in Dankbarkeit zu Füßen gelegt.

November 1973

Kapitel 2
Eine kanadische Frage

1

In „A Practical Guide to Integral Yoga“ steht: „Die physische Nähe zur Mutter ist für die Vollständigkeit der Sadhana auf der körperlichen Ebene unverzichtbar. Die Transformation des physischen und äußeren Wesens ist sonst nicht möglich.“ (Sri Aurobindo)

Meine Frage ist: Wie sollen wir diese Worte im Hinblick auf das kürzliche Hinscheiden der Mutter interpretieren? Bedeutet dies, dass eine vollständige Transformation für den Aspiranten nicht mehr möglich ist? Oder hat auf dem Pfade des Integralen Yoga die Schülerschaft auf der materiellen Ebene ein Ende gefunden?

Offensichtlich ist das unmittelbare Programm einer physischen Transformation verschoben – nicht aufgegeben. Aber was wir erhielten, ist nichts weniger als ein Wunder. Mutter hat für uns in der inneren Welt, im Feinstofflichen, ihren neuen Körper vorbereitet, der genau so lebendig und erfahrbar ist wie ihr physischer Körper, obschon nicht auf die gleiche konkrete Weise. In einer ihrer letzten „Notes on the Way“ bezieht sie sich auf diesen neuen transformierten Körper und beschreibt ihn, wie er sich in ihrer Schau dargestellt hat. Jenen Körper hat sie in langer mühsamer Arbeit geschaffen, ihm eine vollständige Gestalt gegeben und ihn uns und der Menschheit hinterlassen.

Sie versuchte, ihrem neuen Körper, den sie hinter dem materiellen Schleier vorbereitet hatte, eine stoffliche Gestalt zu geben und ihn sogar in dieses neue Element hinein zu pressen oder zu zwingen. Aber die Materie oder die physische Natur des Menschen waren noch nicht bereit: die Erde empfand es noch immer als ein Eindringen, als etwas Fremdes. Infolgedessen brach die materielle Hülle zusammen, – sie brach vielleicht nicht zusammen, sondern brach durch. Aber das muss eine andere Geschichte sein.

Aber ihr neuer Körper ist da, lebendig und wunderbar in seiner Schönheit und Kraft, er arbeitet immer noch unaufhörlich in uns und der umgebenden Welt auf die letztliche Vollendung seiner materiellen Verkörperung hin. Von uns wird erwartet, diese goldene Mutter in uns zu sehen und zu versuchen, innerlich und äußerlich ihre goldenen Kinder zu werden, so wie sie es immer gewünscht hat.

Sri Aurobindo spricht von einem inneren Mental, inneren Vital und inneren Physischen. Gerade neulich wurde während der Playground-Meditation die Passage vorgelesen. Der goldene Körper, der neue Körper ist aus einem inneren Mental, inneren Vital und inneren Physischen gebildet und erneuert und umgeformt worden. Wir können unsere Liebe zu ihr, unsere Verpflichtungen ihrer Gnade gegenüber erfüllen, indem wir ihre Gegenwart in unser physisches Wesen hineinlassen und ihr erlauben, das Werk zu tun, das sie begonnen hat.

2

Für uns ist es jetzt Zeit, die Fehler der Vergangenheit wieder gutzumachen, – es gab Fehler, tatsächlich, schlimme Fehler. Solange ihre physische Anwesenheit unser Schutz war, mussten wir nicht unter den vollen Konsequenzen unseres Karma leiden, denn sie wirkte wie ein Puffer: Sie zerstörte die Kraft des karmischen Einflusses und reduzierte seine bösen Auswirkungen auf ein Minimum. Ihr Körper trug unsere Last und befreite uns von dem Leid, das uns sonst erwartet hätte. Die Menschheit, sogar die Welt weiß nichts von der rettenden Gnade, die ihr stofflicher Leib ihr gebracht hat. Sie wäre zerstört worden und ohne die körperliche Anwesenheit des Göttlichen dem Verfall preisgegeben gewesen.

Die Welt hat überlebt, die Menschheit hat eine gesicherte Zukunft, – dies ist das von ihrer physischen Anwesenheit vollbrachte Werk. Sie erstrebte ein wenig mehr, um uns etwas von der konkreten Gestalt der Zukunft zu zeigen, aber offensichtlich sollte das nicht sein, denn es war auch etwas von uns, von der Welt und Menschheit notwendig, eine Hand, die bei der Arbeit half. Wir erinnern uns an ihre eindringlichen Worte: „Si seulement l’humanité consentait à être spiritualisée“ („Wenn nur die Menschheit der Spiritualisierung zustimmen würde“). Nun, das war das Mindeste; dieses Minimum wurde ihr auch nicht gewährt. Sie war für alle ohne große Umstände und Mühe so leicht erreichbar, dass wir jeden Sinn für die Kostbarkeit, die direkt zu uns kam, verloren haben. Wir vermochten sie nicht wahrhaftig zu schätzen und den besten Nutzen aus ihr zu ziehen. Oft hat sie bedauernd etwas in diesem Sinne zu uns gesagt; wir vergeudeten einen Schatz wie der verschwenderische, verhätschelte Sohn.

Es ist bedauerlich, aber sie hat uns keinen Grund für Bedauern hinterlassen. Sie hat uns die wahre Quelle ihrer schützenden Kraft, ihr lebendiges Bewusstsein hinterlassen, konkret in der Erdatmosphäre, in der persönlichen Atmosphäre eines jeden von uns. Wir brauchen nur dankbar unsere Augen zu öffnen, um sie zu sehen. Die Leiter ist weggenommen worden, aber sie ist uns näher gekommen und eine kleine Bemühung wird uns wieder in ihre Arme heben.

Weil es nicht länger die Unterstützung ihrer körperlichen Anwesenheit gibt, von der wir fast vollständig getragen wurden, und die wir unachtsam nicht genug wertschätzten, sind wir darauf angewiesen, den wahren Halt, die Unterstützung ihres Bewusstseins, ihre innere Gegenwart, ihre lebendige Person, – die innere Realität, die ihr Körper repräsentierte, – tief in uns selbst zu suchen. Nun sind wir auf die einzige vorhandene Alternative zurückgeworfen. Der Weg wird schwierig sein, wir hätten die Bewusstseinsleiter viel einfacher mit ihrer hilfreichen physischen Anwesenheit erklimmen können, fast spielerisch wie Kinder. Nun ist auf unserer Seite ein bisschen Anstrengung notwendig; die Bemühung ist nötig, um unser äußeres Leben und physisches Bewusstsein mit ihrem Bewusstsein in Einklang zu bringen und bereit zu machen. Ihr stofflicher Körper bot bedingungslose Hilfe und Schutz; nun wird das alles an Bedingungen geknüpft sein – Bedingungen wie unsere bereite Kooperation, unsere frohe und bewusste Zusammenarbeit. Natürlich wird die Gnade immer da sein. Einmal hat sie uns geradeheraus gefragt, denn wir befanden uns in einer Krise: „Seid ihr bereit?“ Fast gedankenlos, mit einer Geste der Prahlerei und des Edelmuts antworteten viele: „Ja, wir sind es.“ Aber tatsächlich waren wir es nicht.

Unsere Aufgabe und die der Welt ist es also, uns bereit zu machen, das heißt, unser physisches Wesen und Bewusstsein von den alten Reaktionen zu befreien, ihnen das Bewusstsein, das sie repräsentiert und mit dem sie uns immer noch umarmt, einzuflößen, damit wir, wenn der nächste Ruf kommt, obschon der Ruf immer da ist, wahrhaftig sagen können: „Wir sind bereit.“

Veröffentlicht im April 1974

Kapitel 3
Die Mutter bleibt

1

Wenn es ein Pralaya ist, sogar ein Mahapralaya, ist nicht alles verloren, nicht alles weggeschwemmt. Etwas bleibt, unberührt, unsterblich, der göttliche Teil in euch, der Teil der Mutter in euch, das verkörperte und klare Bewusstsein.

In der Tat war es eure Seele, die sie aus dem Nichtbewussten geborgen und als eine lebendige Wirklichkeit in euch etabliert hat. Das war ihre erste und wichtigste Aufgabe, und sie hat sie erfüllt. Sie war immer da, ja; aber sie war ein weit, sehr weit entfernter inaktiver Lichtpunkt, ein unbekannter und auf keiner Karte verzeichneter Stern, der noch nicht am Horizont menschlichen Maßes und menschlicher Macht aufgetaucht war. Sie hat die Seele näher zu uns gebracht und sie in unserem lebendigen und dynamischen Bewusstsein verankert. Sie hat sie von den unbewussten Tiefen herauf oder aus vagen, flüchtigen, nebulösen Räumen herabgeholt, sie nach und nach entwickelt, genährt und ihr einen festen Wohnsitz in unseren inneren Bereichen gegeben. Sie hat sie zu einer Persönlichkeit mit einem Namen und einer Form ausgestaltet. Wenn wir sie manchmal nicht oder auch nie erkennen, liegt das daran, dass die äußere Hülle der Sinne noch nicht ganz für sie geöffnet ist. Aber dennoch ist sie da als unser innerer Lenker und Ratgeber trotz aller Irrungen und durch alle Dunkelheiten hindurch.

Der nächste Schritt, der zweite Teil ihres Werkes bestand darin, um diese Seele, dieses innere Wesen herum einen Körper, ein materielles Instrument zu bilden, das sie verkörpern konnte. Dieser Seelenwirklichkeit eine konkrete göttliche Form zu geben, war zu diesem Zeitpunkt ihre Arbeit. Die Seele war da, aber eine Gottheit muss kommen und in ihr wohnen; diese Gottheit, sozusagen eine Macht, eine Form der eigenen Persönlichkeit der Mutter muss herabgebracht und die Seele in sie integriert werden. Offenbar wurde der Versuch an diesem Punkt aufgegeben und nicht zu Ende geführt.

Weil der Sinn und das Ziel nicht eine individuelle Verwirklichung oder auch eine Verwirklichung in mehreren Individuen ist, sondern eine Errungenschaft der menschlichen Art (womit ein großer oder bedeutender Teil von ihr gemeint ist), muss das Bemühen auf dieses Ziel gerichtet sein. Die menschliche Bewusstseinsebene muss emporgehoben werden, damit sie die für den Wandel in sie gekommene Inspiration halten und verkörpern kann. Sonst ist ein Individuum, welches die menschliche Ebene repräsentiert und Teil des materiellen Bewusstseins ist, nicht dazu in der Lage. Nicht nur das Erdbewusstsein, sondern die materielle Zusammensetzung der Erde muss umgewandelt werden. Damit der menschliche Körper die Stufen der Transformation durchlaufen und vollenden kann, muss es gleichartige Echos in anderen Individuen geben, – nicht unbedingt in der gesamten Menschheit, sondern – wie ich sagte – vermutlich in einem größeren Teil. Sonst wird der Zweck der Umwandlung, ein globaler Wandel, nicht erreicht. Ein isolierter individueller supramentalisierter Körper auf der Erde wäre eine Laune der Natur, gewissermaßen ein erzwungenes Wunder, ein anomales Objekt der Natur, und die Menschheit würde sogar auf ihrer höchsten Stufe keine Beziehung oder Verwandtschaft mit ihm erkennen.

Deshalb muss die Erd-Natur im Hinblick auf dieses Ziel vorbereitet werden – zuallererst das Erd-Bewusstsein in der physischen Substanz und dann die grobe Substanz selbst. Dieses muss als unsere unmittelbare und dringliche Lebensaufgabe in Angriff genommen werden.

2

Ich sagte, dass das Erd-Bewusstsein für die endgültige Transformation des Körpers der Mutter, das heißt, der materiellen Substanz des Körpers, noch nicht bereit war. Deshalb konnte er die hereinkommende transformierende Kraft nicht aufnehmen und zerbrach: Hierbei muss diese Kraft durch die harte, dichte, äußerste Kruste der Materie hereingebrochen sein, – mit welchem Resultat wird die Zeit zeigen.

Was uns betrifft, die wir weiterleben, lasst uns von Anfang an beginnen. Lasst uns sozusagen ganz von vorn anfangen. Wir erinnern uns an Mutters eigene Geschichte, was sie für sich getan hat, als sie zu Sri Aurobindo kam. Sie löschte vollständig ihre alte Persönlichkeit, ihre Errungenschaften und Vollendungen, machte aus ihrem Bewusstsein eine unbeschriebene Tafel und legte sich wie ein neugeborenes Baby, von der Vergangenheit unberührt, Sri Aurobindo zu Füßen. Lasst uns auch auf die gleiche Weise mit unserer Baby-Seele vorneweg dem Tag begegnen, denn das kleine Wesen ist die Gegenwart der Mutter in uns, noch immer durchglüht von ihrem Bewusstsein.

3

Ihr wisst, ich habe sehr gezögert euch dieses vorzulesen.

In gewisser Weise ist das richtig, aber…

Tatsächlich ist es eine mentale und intellektuelle Präsentation eines Phänomens, das jedes intellektuelle und mentale Maß übersteigt. Dieses Phänomen ist nicht nur überintellektuell, supra-mental, sondern auch supra-kosmisch; sein Sinn und seine Bedeutung werden uns im Laufe der Zeit offenbart werden.

Inzwischen, denke ich, ist es das Beste für uns, ruhig zu bleiben mit einem heiteren Vertrauen, mit der ganzen Aspiration unserer Seele, – unserer Seele, die die konkrete Gegenwart der Mutter selbst ist, die wir immer in uns tragen.

Veröffentlicht im April 1974

Kapitel 4
Zwillingsgebete

1

Herr, heute Morgen hast Du mir die Gewissheit gegeben, dass Du bei uns bleiben würdest, bis Dein Werk vollendet ist, nicht nur als Bewusstsein, welches leitet und erleuchtet, sondern auch als dynamische aktive Gegenwart. Auf unmissverständliche Weise hast Du versprochen, dass alles von Dir hierbleiben und nicht die Erdatmosphäre verlassen würde, bis die Erde transformiert ist. Lass uns dieser wunderbaren Gegenwart würdig sein, und, dass von nun an alles in uns sich auf den einen Willen konzentriert, uns immer mehr der Erfüllung Deines großen Werkes zu widmen. (7. Dezember 1950)

Das Gebet der Mutter zu Sri Aurobindo – so schön, so ergreifend und so wahr. – Wir, ihre Kinder, wenden uns nun wieder ihrem eigenen süßen Selbst zu.

Die neue Schöpfung, die die Mutter verkörperte, ist nicht verloren. Sie ist mit dem Verschwinden des materiellen Körpers nicht ausgelöscht. Es ist eine wirkliche Schöpfung gewesen, sie ist unauslöschlich in der Erdatmosphäre verankert und wird immer dort bleiben. Und sie ist nicht bloß ein statisches Gefüge, sie ist ein lebendiges und wachsendes Wesen. Sie ist in der Atmosphäre der Erde nicht nur ein Abbild oder eine leblose, wie auf eine Leinwand gebannte Darstellung. Sie ist lebendig und wächst – aber nicht nur in und für sich selbst. Sie lässt ihre Umgebung, die Atmosphäre, ebenso in neuen Dimensionen leben und sich entfalten. Das heißt, sie transformiert sie entsprechend ihrer eigenen sich gestaltenden Wahrheit und Wirklichkeit. Sie wächst und zwar auf charakteristische Weise nach unten, das heißt, sie weitet sich immer mehr auf eine irdische Manifestation oder Inkarnation hin aus. Sie ist wie der von den alten Rishis erwähnte Ashwattha-Baum, der auf dem Kopf steht und seine Zweige nach unten streckt. Sie wächst tatsächlich nach unten und erhält ihren Lebenssaft von oben. Die physische Verkörperung, die Materialisierung der inneren Gestalt wird im Laufe der Zeit unweigerlich stattfinden. Sie wird den Boden berühren, den wirklichen Boden der Erde, und als ihre wunderbare Schöpfung bestehen. – Vielleicht geschieht dies durch einen Prozess der Schicksalsschläge und Katastrophen, die allerdings minimiert werden können, wenn die Umstände es erlauben und die Gnade zustimmt. Aber wie auch immer der Prozess verläuft, das Ende ist vorbestimmt, denn das Göttliche hat es verfügt. Es ist das Geschick des Erd-Bewusstseins.

2

Dies ist aber Mutters Teil der Arbeit, und sie führt sie ihrerseits auf perfekte Weise aus. Aber was ist mit uns? Was ist unser Anteil an der Arbeit? Denn es ist beabsichtigt, dass wir, ihre Kinder, an ihrem Werk mitarbeiten sollen, damit wir in die Göttliche Verwirklichung integriert werden können. Die Mutter hat selbst in der Mitteilung, die ich euch gerade vorgelesen habe, aufgezeigt, wie wir mitarbeiten können:

...dass von nun an alles in uns sich auf den einen Willen hin konzentriert, uns immer mehr der Erfüllung Deines großen Werkes zu widmen.

Die Situation hat sich seitdem etwas geändert und ist schwieriger geworden. Bei dem Hinscheiden Sri Aurobindos, einige Zeit danach, gab uns Mutter eine Botschaft, eine Warnung, in der sie uns auf die Schwierigkeit hinwies:

Um Sri Aurobindo in dem großen Abenteuer seines Integralen Yoga zu folgen, musste man immer ein Kämpfer sein; aber jetzt, wo er uns physisch verlassen hat, muss man ein Held sein.1

Jetzt, wo auch die Mutter nicht mehr hier ist – scheinbar – und wir wie verlassene Kinder zu sein scheinen, was sollen wir tun oder sein? Es ist nicht mehr genug, ein Kämpfer zu sein, nicht einmal mehr genug, ein Held zu sein. Man muss ein Yogi sein. Ein Yogi ist jemand, der das Göttliche Bewusstsein oder das Bewusstsein der Mutter besitzt. Wenn ihr findet, dass es nicht so einfach ist, ein Yogi zu sein, sogar wenn man sich ernsthaft bemüht, schlage ich euch eine andere Alternative vor. Man muss in eine andere Dimension springen: ein Kind sein, ein Kind der Mutter.

Ich gebe euch dieses Thema für die Meditation: ein Kind werden, ein vorbildliches Kind der Mutter.

Veröffentlicht im August 1974

1 Pour suivre Sri Aurobindo dans la grande aventure de son yoga intégral, il fallait toujours être guerrier; mais maintenant qu’il nous a quitté physiquement, il faut être un héro. (24. November 1952)

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Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
25 Mai 2021
Umfang:
122 S. 4 Illustrationen
ISBN:
9783963870286
Rechteinhaber:
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