Über die belehrte Unwissenheit

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ZWEITES KAPITEL
Einleitender Überblick des Ganzen

Die Erörterung über das größte Nichtwissen erfordert allererst eine Erläuterung der Natur des Größten.

Das Größte ist das, über welches hinaus es nichts Größeres gibt. Die höchste Fülle (abundantia) kommt aber der Einheit zu. Es koinzidiert also mit dem Größten die Einheit, die auch das Sein (entitas) ist. Da diese Einheit von allem Verhältnis und allem Konkreten (contractione) ganz und gar frei ist, so hat sie offenbar keinen Gegensatz. Das absolut Größte ist daher eine Einheit, die alles ist und in der alles ist, weil es das Größte ist. Weil es keinen Gegensatz hat, so koinzidiert mit ihm das Kleinste, es ist daher auch in allem. Weil es absolut ist, so ist es in Wirklichkeit (actu) alles mögliche Sein, ohne durch die Dinge beschränkt zu sein, da alle Dinge von ihm sind.

Dieses Größte, das im einstimmigen Glauben aller Nationen Gott genannt wird, werde ich im ersten Buche in nicht begriffsmäßiger Weise, über den menschlichen Verstand hinausgreifend (supra humanam rationem incomprehensibiliter inquirere laborabo) zu erforschen suchen, unter der Leitung dessen, der allein in einem unzugänglichen Lichte wohnt.

Wie das absolute Größte das absolute Sein ist, durch welches alles ist, was ist, so gibt es auch eine universale Einheit des Seins aus jener, die das absolut Größte ist. Sie existiert konkret (contracte) als Universum, dessen Einheit in konkreter Vielheit besteht, ohne welche sie nicht sein könnte. Obwohl dieses Maximum in seiner universalen Einheit alles umfaßt, und alles, was aus dem Absoluten stammt, in ihm ist und es in allem, so hat es doch seinen Bestand nicht außer dem Bereiche der Vielheit, da es nicht ohne konkrete Beschränkung (contractione) besteht, von der es sich nicht losmachen kann. Von diesem Maximum, dem Universum, werde ich im zweiten Buche einiges sagen.

Konsequent wird sich dann das Maximum der dritten Betrachtung herausstellen. Denn da das Universum nur ein beschränktes Sein in der Vielheit hat, so werden wir aus dem vielen ein Größtes heraussuchen, in dem das Universum auf die größte und vollkommenste Weise aktuell, als in seinem Ziele, Subsistenz findet. Dieses muß sich mit dem Absoluten, das der Höhepunkt des Universums (terminus universalis) ist, vereinen, weil es das vollkommenste Ziel sein soll, über alle menschliche Fassungskraft. Von diesem Größten, das zugleich konkret und absolut ist, das wir Jesus, den ewig gepriesenen nennen, will ich im dritten Buche einiges, soweit mich Jesus selbst hierzu erleuchtet, beifügen.

Wer aber meinen Sinn erforschen will, muß über die Wortdeutung hinaus sich zum geistigen Verständnis erheben und nicht an der eigentlichen Bedeutung der Worte hängen bleiben (oportet potius supra verborum vim intellectum efferre, quam proprietatibus vocabulorum insistere), die zur Bezeichnung solcher Mysterien des Geistes in ihrer gewöhnlichen Bedeutung nicht ausreichen (quae tantis intellectualibus mysteriis proprie adaptari non possunt). Auch Vergleichungen aus der Sinnenwelt muß man zur Anleitung anwenden, indem man sie auf das Geistige überträgt, auf daß der Leser leichter sich zur einfachen Vernunfterkenntnis (ad intellectualitatem simplicem) erhebt. Den Weg hierzu bemühte ich mich auch gewöhnlichen Talenten so deutlich als möglich, mit Vermeidung aller Härte der Darstellung zu zeigen. Zu dem Ende werde ich sogleich zu dem Wurzelbegriff der Wissenschaft des Nichtwissens – die Unmöglichkeit einer präzisen Erfassung der Wahrheit, übergehen.

DRITTES KAPITEL
Die präzise Wahrheit ist unerfaßbar

Da es an und für sich klar ist, daß das Unendliche und Endliche in keiner Proportion zu einander stehen, so ist auch das ganz klar, daß man da, wo sich Ausschreitungen (excedens et excessum) finden, auf ein einfach Größtes nicht kommt, weil die Ausschreitungen endlich sind, das Größte aber als solches notwendig unendlich ist. Nimmt man also irgendeinen Gegenstand, der nicht das schlechthin Größte selbst ist, so läßt sich immer ein größerer auffinden. Und da die Gleichheit eine stufenmäßige ist, so daß etwas dem einen gleicher ist, als dem anderen, nach der generischen, spezifischen, räumlichen, zeitlichen etc. Übereinstimmung und Verschiedenheit, so erhellt, daß nicht zwei oder mehrere so ähnlich und gleich sich finden lassen, daß sie nicht unendlich ähnlicher sein könnten. Zwischen dem Maß und dem Gemessenen wird bei der größten Gleichheit immer noch eine Differenz übrig bleiben. Der endliche Verstand kann mithin die Wahrheit der Dinge durch Aufsuchung der Ähnlichkeit (per similitudinem) nicht präzise erkennen. Denn die Wahrheit ist ein nicht Mehr und nicht Weniger, ein gewisses Unteilbare, was von allem, das nicht die Wahrheit selbst ist, nicht präzise gemessen werden kann, so wenig, was nicht Kreis ist, den Kreis, dessen Sein in einem gewissen Unteilbaren besteht, messen kann. Unser Verstand, der nicht die Wahrheit ist, erfaßt daher die Wahrheit nie so präzise, daß nicht ein unendlich präziseres Erfassen möglich wäre, er verhält sich zur Wahrheit wie das Polygon zum Kreise. Mögen auch der Winkel noch soviele gemacht werden, so wird doch das Polygon nie dem Kreise gleich, bis es sich in die Identität mit demselben auflöst. Wir wissen somit von der Wahrheit nichts anderes, als daß sie in präziser Weise unerfaßbar ist. Sie ist die absoluteste Notwendigkeit, die nicht mehr und nicht weniger ist, als sie ist, unser Verstand ist die Möglichkeit. Das Was (quidditas) der Dinge, das die Wahrheit des Seienden ist, bleibt in seiner Reinheit unerreichbar. Alle Philosophen haben es gesucht, aber keiner, wie es an sich ist, gefunden. Je gründlicher aber unsere Überzeugung von diesem Nichtwissen ist, desto mehr werden wir uns der Wahrheit selbst nähern.

VIERTES KAPITEL
Das absolut Größte wird nur als unbegreiflich erkannt. Mit ihm koinzidiert das absolut Kleinste.

Das einfach und absolut Größte erfassen wir, da es zu groß ist, als daß es von uns begriffen werden könnte, weil es die unendliche Wahrheit ist, nicht anders, denn als unbegreiflich (non aliter quam incomprehensibiliter attingimus). Denn da es nicht von der Natur der Dinge ist, welche Ausschreitungen zulassen, so geht es über alles das hinaus, was wir begreifen können. Was wir nämlich durch Sinne, Verstand (ratione) oder Vernunft (intellectu) erfassen, ist unter sich gegenseitig so verschieden, daß keine präzise Gleichheit stattfindet. Die größte Gleichheit, die von nichts verschieden ist, geht somit über allen Begriff.

Da das absolut Größte alles das ist, was sein kann, so ist es ganz und gar Wirklichkeit (in actu). Wie es nicht größer sein kann, so auch aus demselben Grunde nicht kleiner, da es alles das ist, was sein kann. Das Kleinste ist, was nicht mehr kleiner sein kann. Da das Größte eben das ist, so ist klar, daß das Größte und Kleinste koinzidieren. Dies wird dir deutlicher, wenn du beide Begriffe auf das Gebiet der Quantität herüberträgst. Die größte Quantität ist die am meisten (maxime) große, die kleinste – die am meisten kleine. Denke nun die Quantität hinweg, so bleibt das Größte, der Superlativ, in beiden gleich … Gegensätze kommen daher nur im Gebiete des Konkreten vor (oppositiones igitur his tantum excedens admittunt atque excessum, et his differenter conveniunt, maximo absoluto nequaquam), nicht im absolut Größten, es ist über allem Gegensatze. Es ist eben deshalb über aller Bejahung und Verneinung, alles, was es nach unseren Begriffen ist, ist es ebenso, als daß es dasselbe auch nicht ist (omne id, quod concipitur esse, non magis est, quam non est) und umgekehrt, es ist in der Weise das Einzelne (hoc), daß es zugleich alles ist, und in der Weise alles, daß es nichts von allem ist, und in der Weise am meisten dieses, daß es dieses auch am wenigsten ist. Sage ich: Gott, die absolute Größe, ist das Licht, so heißt dies nichts anderes, als: Gott ist am meisten (maxime) Licht, er, der am wenigsten (minime) Licht ist. Das absolut Größte wäre nicht alles Mögliche in Wirklichkeit, wenn es nicht unendlich wäre, der Begriff (via rationis) in seinem (dem kontradiktorischen) Prinzip nicht verbinden kann; denn wir stehen auf dem Boden dessen, was uns die Betrachtung der Natur offenbart, die, weit von der unendlichen Kraft abstehend, ihre unendlichen kontradiktorischen Gegensätze nicht vereinigen kann.

FÜNFTES KAPITEL
Das Größte ist Eines

Ohne Zahl kann die Vielheit der Dinge nicht bestehen; denn ohne Zahl gibt es keine Unterscheidung, Ordnung, Proportion, Harmonie. Wäre die Zahl selbst unendlich, so wäre dasselbe der Fall. Denn daß die Zahl unendlich und daß sie gar nicht ist, kommt auf Eines heraus. Man kommt daher bei der Zahl in aufsteigender Richtung auf kein absolut Größtes. Wäre bei der absteigenden Richtung dasselbe der Fall, so wäre wieder alle Ordnung, Proportionen etc. unmöglich. Man muß daher in der Zahl auf ein Kleines kommen, das nicht kleiner sein kann, und dies ist die Einheit. Sie ist als das schlechthin Kleinste mit dem schlechthin Größten identisch; diese Einheit kann nicht selbst Zahl sein, wohl aber ist sie das Prinzip aller Zahl, weil das Kleinste, und das Ende aller Zahl, weil das Größte. Diese absolute Einheit, die keinen Gegensatz hat, ist das absolut Größte – Gott. Sie ist nicht der Vervielfältigung fähig, weil sie alles ist, was sein kann. Sie kann daher selbst nie Zahl werden. Die Zahl hat uns also zu der Einsicht geführt, Gott sei die absolute Einheit, vermöge welcher er alles wirklich ist, was sein kann. Wer daher sagte, es gebe mehrere Götter, der würde soviel sagen, als, es gebe keinen Gott und kein Universum …

 

SECHSTES KAPITEL
Das Größte ist die absolute Notwendigkeit

Im Vorhergehenden ist gezeigt, daß außer dem einen Größten alles endlich und begrenzt ist. Das Endliche und Begrenzte hat notwendig etwas, von dem es seinen Anfang und Begrenzung hat. Und da man nicht sagen kann, jenes absolute Größte sei größer als ein gegebenes Endliches, da man nicht so ins Unendliche fortsteigen kann, da sonst das Größte von der Natur des Endlichen wäre, so ist das absolut Größte notwendig, als Anfang und Ende alles Endlichen. Überdies könnte nichts sein, wenn jenes nicht wäre. Wäre das Endliche aus sich, so existierte es, bevor es existiert, und in den Ursachen und Prinzipien gibt es, wie die Regel sagt, keinen Regressus in infinitum. Sodann müssen wir sagen: Das Größte hat keinen Gegensatz, weder das konkrete Sein, noch das Nichtsein. Wie läßt es sich also denken, das Größte könne nicht sein, da gar nicht sein (minime esse) bei ihm heißt: am meisten sein (maxime esse)? Es läßt sich also kein Sein denken ohne das Sein. Ferner: Die größte Wahrheit ist das absolut Größte. Nun aber die größte alle denkbaren Fälle erschöpfende Wahrheit ist die, daß das absolut Größte entweder sei oder nicht sei, oder sei und nicht sei, oder endlich weder sei noch nicht sei. Welches Glied dieser Disjunktion du als das am meisten wahre (maxime verum) bezeichnen magst, so ist der Beweis damit geliefert, denn ich habe jedesmal die größte Wahrheit, die das schlechthin Größte ist. Wenn gleich auch das Wort Sein keine präzise Bezeichnung für das Größte ist, das alle Namen übersteigt, so muß doch dieser Name noch am ehesten ihm zukommen.

Durch diese und unendlich viele ähnliche Beweise vom Standpunkte der Wissenschaft des Nichtwissens erhellt, daß das schlechthin Größte notwendig existiere, weshalb es die absolute Notwendigkeit ist.

SIEBENTES KAPITEL
Von der dreifachen und einen Ewigkeit

Es hat keine Nation gegeben, die nicht Gott verehrte und an ihn als das absolut Größte glaubte. Wir finden von Minar in den Büchern der Altertümer aufgezeichnet, daß die Sissenier hauptsächlich die Einheit angebetet. Pythagoras dagegen, zu seiner Zeit von unerschüttertem Ansehen, faßte jene Einheit als eine dreifache auf. Um die Wahrheit hiervon zu erforschen, müssen wir den Blick des Geistes erhöhen und nach unsern Prämissen sagen:

Was allem Anderssein vorhergeht, ist ohne Zweifel ewig; denn das Anderssein ist soviel als das Veränderlichsein. Das Anderssein besteht aber aus einem und einem andern, es ist daher, wie die Zahl, nach der Einheit; diese geht ihm naturgemäß (naturaliter) voran; sie ist somit ewig. Alle Ungleichheit ist aus einem Gleichen und etwas darüber (excedente), sie geht also der Gleichheit nach; denn sie kann durch Wegnehmen des darüber Hinausgehenden in Gleichheit verwandelt werden. Die Gleichheit geht also naturgemäß der Ungleichheit, die das Anderssein ist, vorher, sie ist also ewig.

Die Einheit endlich ist entweder Verbindung (connexio) oder Ursache der Verbindung. Verbunden ist, was zugleich geeint ist. Die Zweiheit dagegen (binarius) ist Trennung oder Ursache der Trennung. Wie nun die Einheit der Natur nach der Zweiheit vorhergeht, so auch die Verbindung der Trennung. Folglich ist die Verbindung, wie die Einheit, ewig.

Nun kann es aber nicht mehrere Ewigkeiten geben, sonst wäre etwas vor der Ewigkeit, was unmöglich ist. Auch würde sonst eines dem andern fehlen, und es wäre daher keine der drei Ewigkeiten vollkommen; es wäre etwas ewig, was nicht ewig wäre, da es nicht vollkommen ist. Folglich sind Einheit, Gleichheit und Verbindung Eines (unum). Das ist die Dreieinigkeit, welche Pythagoras, der erste unter allen Philosophen, die Zierde Italiens und Griechenlands, als Gegenstand der Anbetung lehrte.

Wir wollen jedoch noch einiges Bestimmtere über die Zeugung (generatione) der Gleichheit aus der Einheit beifügen.

ACHTES KAPITEL
Von der ewigen Zeugung

Zeigen wir nun ganz kurz, daß aus der Einheit die Gleichheit der Einheit erzeugt werde, und die Verbindung aus der Einheit und der Gleichheit der Einheit hervorgehe.

Die Einheit ist das Sein (unitas dicitur quasi onitas von ὂv = ens, woher entitas). Gott ist das Sein der Dinge, denn er ist das Prinzip des Seins. Die Gleichheit der Einheit ist daher die Gleichheit des Seins, d. i. daß in einem Dinge nicht mehr und nicht weniger ist, nichts darüber, nichts unter seinem Sein. Ist in einem Wesen mehr, so ist es ein Monstrum, ist weniger, so findet keine Zeugung der Gleichheit aus der Einheit statt. Denn Zeugung (generatio) ist Wiederholung der Einheit oder Vermehrung derselben Natur, wie z. B. der Sohn. Diese Zeugung findet sich nur im Irdischen, aber die Zeugung der Einheit aus der Einheit ist eine Wiederholung der Einheit (una unitatis repetitio) oder die Einheit einmal, wodurch die Einheit kein anderes, wie bei zwei, drei etc. erzeugt, sondern nur die Gleichheit der Einheit, was nichts anderes heißen will, als: Die Einheit erzeugt die Einheit, und diese Zeugung ist ewig.

NEUNTES KAPITEL
Von dem ewigen Hervorgehen der Verbindung

Wie die Zeugung der Einheit aus der Einheit eine einmalige Wiederholung der Einheit ist, so ist das Hervorgehen aus beiden die Einigung (unitio) der Widerholung jener Einheit, oder besser: die Einigung der Einheit und der Gleichheit der Einheit. Sie heißt ein Hervorgehen (processio), weil sie gleichsam eine Ausdehnung vom einen auf das andere ist. Wenn zwei Dinge gleich sind, so breitet sich gleichsam die Gleichheit von dem einen auf das andere aus, sie verbindet und verknüpft sie. Mit Recht sagt man daher, die Verbindung gehe aus der Einheit und Gleichheit der Einheit hervor, denn die Verbindung (connexio) bezieht sich nicht bloß auf eines, sondern die Einheit geht aus der Einheit in die Gleichheit und von der Gleichheit der Einheit in die Einigung (unitionem) hervor. Sie dehnt sich also von dem einen in das andere aus. Nicht von einem Gezeugtwerden aus der Einheit oder der Gleichheit der Einheit sprechen wir bei jener Verbindung, weil sie nicht aus der Einheit durch Wiederholung oder Vermehrung entsteht. Wiewohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus beidem die Verbindung hervorgeht, so ist doch Einheit, Gleichheit der Einheit und aus beiden hervorgehenden Verbindung eines und dasselbe, wie wenn man von demselben Gegenstande sagt: hoc, id, idem.

Wenn unsere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit den Sohn, die Verbindung den hl. Geist genannt haben, so haben sie hierbei auf die Ähnlichkeit mit irdischen Verhältnissen Rücksicht genommen. Denn in dem Vater und Sohne ist eine gewisse Gemeinsamkeit der Natur, welche Eine ist (quaedam communitas naturae, quae una est), so daß der Sohn dem Vater in der Natur gleich ist. Denn es ist nicht mehr oder weniger Menschheit in dem Sohne, als in dem Vater (nihil enim magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und es besteht unter ihnen eine gewisse Verbindung. Denn eine natürliche Liebe verbindet den einen mit dem andern, wegen der Ähnlichkeit (similitudinem) derselben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deshalb liebt er den Sohn mehr als einen andern, der mit ihm in der Menschheit übereinstimmt (secum in humanitate convenientem).

Dies ist meiner Ansicht nach, gemäß der pythagoreischen Forschung, die klarste Auffassung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in der Dreiheit.

ZEHNTES KAPITEL
Das Verständnis der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe

Untersuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er sagte, eine Philosophie, die sich zum Verständnisse dieser Dreieinigkeit erheben wolle, müsse zuvor Kreise und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es ist oben gezeigt, daß es nur ein einfachstes Größtes gibt. Es ist nicht die vollkommenste körperliche Figur – die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreieck, nicht Linie, sondern über alles dieses hinaus. Man muß daher, was Sinn, Einbildung oder Verstand darbietet, aufgeben, um zu der einfachsten und abstraktesten Vernunfteinsicht (intelligentia) zu gelangen: Alles ist Eines; die Linie ist Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit der Dreiheit usf., das Akzidens Substanz, der Körper Geist, die Bewegung Ruhe etc. Dann erkennen wir, daß Jegliches in dem Einen Eines ist und das Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich hat man nicht vollständig Kugel, Kreis etc. aufgegeben, solange man nicht zur Einsicht gelangt, die größte Einheit sei notwendig dreieinig. Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) besteht in dem Erkennenden, dem Erkennbaren und dem Erkennen. Willst du dich nun von dem Erkennenden zum absolut Größten erheben und sagen, es sei das am meisten Erkennende, dabei aber nicht beifügen, es sei auch das am meisten Erkennbare und das höchste Erkennen, so hättest du keine rechte Auffassung der größten und vollkommensten Einheit. Die Einheit schließt ferner die Unteilbarkeit, Unterscheidung und Verbindung in sich, da alle drei aus der Einheit stammen; die größte Einheit ist mithin alle drei zumal. Als Unteilbarkeit ist sie die Ewigkeit ohne Anfang, wie denn das Ewige von Nichts getrennt oder geschieden ist; als Unterscheidung ist sie aus der unveränderlichen Ewigkeit, als Verbindung geht sie aus beiden hervor. Folglich, indem ich sage: Die Einheit ist die größte, spreche ich damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Anfang ohne Anfang (principium sine principio), mit dem Worte: »größte« den Anfang aus dem Anfange, mit der Kopula »ist« – das Hervorgehen aus beiden.

Ich sagte oben, im Größten sei die Linie zugleich Oberfläche, Kreis und Kugel. Um nun deinen Geistesblick zu schärfen, will ich dich zu der Einsicht dieses Satzes erheben, die dir dann, wenn du dich von den (mathematischen) Figuren zur geistigen Wahrheit selbst erhebst, einen überaus großen Genuß gewähren wird, und du wirst auf diesem Wege in der Wissenschaft des Nichtwissens große Fortschritte machen.