Buch lesen: "Schnuggelhäschen"

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Niklas Feingroll

SCHNUGGEL HÄSCHEN

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Coverdesign © Nicole Winter | Mediendesign

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Schnuggelhäschen

Nachwort

Es war einmal … So fangen eigentlich Märchen an, aber das hier ist eine wahre Geschichte – und doch ein Märchen.

Im Januar 2004 war ich fünfzig Jahre jung und geschieden, lebte also allein, lange Zeit schon, zu lange Zeit. Jemanden zu finden, bei dem es kribbelt im Bauch, ist nicht einfach und irgendwann hatte ich es aufgegeben. Zu der Zeit hatte ich keine Arbeit, da der vorherige Arbeitsplatz für ein Jahr befristet gewesen war und dann endete. Ich musste mir also was Neues suchen und fand auch gleich etwas, erstmal für ein paar Stunden in der Woche, aber mit der Aussicht auf eine feste Einstellung. Es war eine Weinvertriebsfirma, ein Großhandel, in einer Kleinstadt in einem ehemaligen Kulturhaus, dessen Saal, Küche, Büros, Sanitäranlagen und unendlich viele Räume seit Jahren in einem Dornröschenschlaf gelegen hatten, so sahen sie zumindest aus, innen wie außen.

Eine Sekretärin ging um das Gebäude, als ich gerade vorbei fuhr. Ich hielt an, lief ihr hinterher und fragte, ob sie einen Mitarbeiter bräuchte. „Ja, schon …“, meinte sie verdutzt, ich solle doch mal mit dem Chef reden. Ich rief ihn an, stellte mich vor und behauptete: „Ich kann fast alles.“ Er meinte, es gäbe viel zu tun, das Gebäude und die Außenanlagen seien wieder zu beleben. Am Ende des Gespräches hatte ich den Job.

Es gab wirklich Arbeit ohne Ende, ’ne Lebensaufgabe, dachte ich. Der Chef war Portugiese, zirka dreißig Jahre alt und konnte sechs Sprachen. Er sollte die Vorbereitungen treffen, bis sein Vater und die Schwester nach Deutschland nachkämen und ihre Firma eröffneten. Es war also noch aufzuräumen, zu malern, zu renovieren und so weiter. Das schaffe ich nie allein, war meine Sorge, aber er wollte nicht viele Mitarbeiter, war mit mir zufrieden.

Ende März kam von Portugal ein Lkw mit Wein, der hier verkauft werden sollte. Jetzt geht’s los!, dachte ich. Ich musste einen Stapler organisieren, um die Paletten abzuladen, es war alles sehr umständlich, aber schließlich klappte es doch. Der Fahrer sagte, er komme nicht wieder hierher, es sei ihm zu kalt in Deutschland, – es schneite halt ein wenig.

Das Lager war nun vollgestellt mit Wein, den ich nicht kannte, weißer, roter, rosé, Portwein … Der Chef meinte, dass es demnächst meine Aufgabe sei, mich als Lagerarbeiter zu betätigen, also den Wein zu sortieren, auszuliefern und so weiter. Ich dachte: Ne, ich bleibe lieber bei den reinen Handwerkerarbeiten. Damit hatte ich genug zu tun. Außerdem konnte ich die Etiketten nicht lesen, sie waren in Portugiesisch verfasst. Ich tat also so, als ob mich das Weinlager nichts anginge und äußerte nichts weiter dazu. Vielleicht stellte er ja doch noch jemanden dafür ein.

Die nächsten Tage hatte ich an den Außenanlagen zu tun, die Einfahrt und den Hof von dem wuchernden Unkraut, von Sträuchern und Bäumchen zu befreien. Mir wuchs die Arbeit bald über den Kopf und ich fürchtete immer wieder, dass ich das alles nie alleine schaffen würde. Aber ich hatte eine Arbeit und freute mich darüber. Mein Chef hatte kein Auto und fuhr mit dem Rad, um sämtliche Wege zu erledigen. Ab und zu musste ich ihn mit meinem Auto fahren, zum Baumarkt zum Beispiel, um Material einzukaufen: Zement, Laminat für das Büro und die Wohnung. Dabei fragte ich ihn einmal, warum denn diese Sekretärin nicht mehr käme, die ich am ersten Tag gesehen hatte. Er würde eine neue einstellen, war seine Antwort. Dann zeigte er mir ein paar Bewerbungen und wollte meine Meinung dazu hören. – Wie? Meine Meinung? Da sah ich mir die Fotos an und meinte, die gefällt mir, oder die. – Ja, ob das das war, was er hören wollte?

Am nächsten Tag war ich draußen beschäftigt, als plötzlich mein Chef mit einer der Bewerberinnen zu mir raus kam und sie mir vorstellte. Na bitte, dachte ich, hast ja doch einen guten Geschmack. Ich freute mich über eine Arbeitskollegin, sie sah auch gut aus, war jung und alles war gut, dachte ich. Aber es kam anders …

*

Zwei Tage später arbeitete ich im Hof, es sollte zwischen den Bäumen, wo jetzt Platten und Steine lagen, ein Verkaufsplatz für das Weinsortiment der Firma hergerichtet werden, ich musste also erst mal aufräumen, die Sträucher und das Unkraut entfernen und die Ränder neu bepflanzen. Der Chef kam zu mir und fragte mich, ob es bei uns in Deutschland zu viel Arbeit gäbe.

„Wie?“, fragte ich verdattert zurück. „Warum? – Ne, eigentlich nicht.“ Es stellte sich heraus, dass die Sekretärin schon nach zwei Tagen nicht mehr gekommen war, und das konnte er nicht verstehen. Ich verstand das allerdings auch nicht und grübelte, was wohl geschehen war. Vielleicht war sie mit dem Hund nicht zurechtgekommen? Der schnüffelte nämlich überall herum, auf dem Hof, im Verkaufsraum, im Büro. Ich mochte den Hund auch nicht besonders leiden, aber muss man deswegen gleich kündigen? Jedenfalls kam sie nicht mehr, was schade war, weil ich wieder allein arbeiten musste. Würde es also doch nichts werden mit einer netten Arbeitskollegin? Ich hoffte sehr, dass der Chef zumindest eine Bürokraft brauchte.

Ich arbeitete also weiter am Eingansbereich zum Verkaufsraum, der war wichtig, dort mussten Gehwegplatten verlegt, der Rasen gemäht, Blumen gepflanzt werden. Kunden, die hier ihren Wein kaufen wollten, sollten einen guten Eindruck von der Firma erhalten, es sollte alles picobello aussehen. Auch ein Firmenschild war vorgesehen, ich brachte es am Eingang an und dachte: Na, jetzt kann’s ja endlich losgehen!

Doch eine Firma zu etablieren, sie bekannt zu machen und Kunden für sich zu gewinnen, ist nicht so einfach. Aber das war nicht meine Aufgabe, bloß gut, ich hatte ohnehin genug zu tun mit dem Bauen, Aufräumen, Gestalten. So vergingen die Tage und ich wartete immer noch, dass endlich eine neue Sekretärin käme. Ich fragte meinen Chef.

„Ja“, antwortete er, „ich habe schon Jemanden zur Vorstellung eingeladen.“ Ich war gespannt, ob mir die neue Kollegin gefallen würde, schließlich wollte ich mich wohl fühlen in der Firma und in einem angenehmen Klima arbeiten.

Es war zur Frühstückszeit – ich war noch immer im Eingangsbereich beschäftigt, der ganze Raum stand voller Kartons, denn es war eine Lieferung eingetroffen mit dem Material zum Renovieren des Büros –, ich wollte soeben in die Werkstatt, um Pause zu machen, da öffnete sich die Tür und eine freundliche Stimme fragte nach dem Chef der Firma.

„Der ist im Büro oben“, sagte ich und drehte mich um. Ein junges Fräulein schaute mich freundlich an, sie wirkte lustig, fast albern, kichernd stieg sie die Treppe empor. – Ob das die Neue ist? Na ja, sie ist ganz schön albern, dachte ich. Mal sehen, ob er sie nimmt. – Ich hatte noch keine Meinung zu ihr, war mir nicht schlüssig, ob ich sie mochte oder nicht. Sie war klein, schlank, jung – jedenfalls nicht gerade unsympathisch.

Am nächsten Tag schon stellte mein Chef sie mir vor: „Das ist Frau L., Susi, die neue Sekretärin.“ – Na, schauen wir mal, wie lange sie bleibt, dachte ich mir. – Sie sah mir gerade in die Augen und gab mir die Hand.

„Ich bin die Susi.“ Sie grinste mich an – oder lachte sie mich aus?

„Hallo, ich bin Lothar.“ – Wie alt sie wohl ist? Na, ich muss ja nicht gleich alles wissen, das kriege ich schon noch raus, waren meine Gedanken. Sie trug einen Ring an der Hand, war also verheiratet, na gut. – So, Vorstellung beendet, jeder an seine Arbeit.

Wie kann man jemanden besser kennenlernen als auf Arbeit? Susi saß im Büro, ich war auf dem Gelände unterwegs. Würde der Chef erst mal weg sein, könnten wir ein bisschen miteinander quatschen, über die Herkunft, die Familie und so was alles, ist ja auch wichtig fürs Arbeitsklima, wenn man sich gut versteht. Ich arbeite zwar gerne alleine, aber ab und zu schwatzen ist auch ganz schön.

Doch die Tage vergingen, ohne dass sich mal die Gelegenheit ergab, meine Neugier zu stillen. Nun hatten wir auch noch jemanden für den Außendienst dazu bekommen, einen jungen Mann, Frank. Er sollte für den Umsatz sorgen, was nicht einfach war. Ich hatte das ja auch schon mal gemacht und wusste, was zu tun war: von früh bis spät Klinken putzen, also Kunden aufsuchen und anbieten, was im Sortiment ist. – Aber was war nur los mit ihm? Er saß schon seit Tagen im Büro rum, bei Susi, Einarbeitung nannten sie das. Da musste ich ihn doch mal fragen, wann er nun endlich seinen Job machen will, also Außendienst, wofür er ja eingestellt war, fürs Durch-die-Gegend-fahren … Eines Morgens hielt ich auf dem Weg zur Arbeit kurz an, keine 20 Kilometer von meinem Wohnort entfernt, und pflückte einen Strauß Blumen. – Für Susi, dachte ich, das ist doch ein guter Grund, mit ihr in Kontakt zu treten. Ich schenke Frauen gern Blumen.

Ich ging also zu ihr, der Chef war nicht da, und überreichte ihr den Strauß. Frank saß natürlich auch im Büro, was mich mächtig störte. Sie freute sich aber sehr darüber, endlich etwas Freundliches im Büro zu haben, so sagte sie. Was sie damit genau meint, ob die Blumen oder mich, fragte ich sie daraufhin schmunzelnd zurück. Da kicherte sie wieder so albern wie am ersten Tag, als wir uns kennenlernten. Dann sprachen wir über Beziehungen und ich sagte, dass ich alleine lebe. Wieder kicherte sie und meinte: „Na, da brauchst du wohl mal was zum Poppen, oder?“ Das war sehr direkt, ich schluckte; – daran muss ich mich erst mal gewöhnen, dachte ich. Aber es gefiel mir auch, sie war zwar so klein und zierlich, doch auch frech.

Nun unterhielt ich mich mit Frank über den Außendienst und gab ihm ein paar Tipps. Ich dachte, er würde jetzt anfangen und endlich losfahren, doch nöö, er blieb einfach sitzen. Na gut, dann nicht, dann gehe ich eben wieder, irgendwann würde ich Susi schon mal allein antreffen und aushorchen können. Ich war sehr gespannt darauf, mehr über sie zu erfahren, denn sie hatte etwas sehr Geheimnisvolles an sich. Aber das war vielleicht nur ein Eindruck, weil ich noch nichts über sie wusste? Frauen sind ja generell interessante Wesen.

*

Ich fuhr nach Hause, hatte endlich Feierabend. Auch Susi hatte Schluss, sie wurde allerdings abgeholt. Von ihrem Mann! – Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder. So ist sie also im sicheren Hafen, dachte ich. – Meinen Hafen hatte ich schon vor langer Zeit verlassen und war jetzt auf offener See, doch auf der Suche nach etwas Passendem, was nicht sehr einfach ist.

Am nächsten Tag waren Susi und ich allein in der Firma, ich hatte zwar meine Arbeit, aber irgendwie zog es mich immer wieder ins Büro. Wir quatschten lange miteinander, kamen uns dabei immer näher, sie erzählte mir von ihrer Familie, ihrem Mann, ihren Kindern, von ihrer Schwiegermutter und ihrer Mutter. Sie konnte interessant erzählen und hatte viel zu sagen, und ich hörte ihr gerne zu. Sie war natürlich auch neugierig und horchte mich aus, das konnte sie sogar sehr gut. Ich erzählte ihr alles – fast alles, von meiner Ehe, den beiden Kindern, unserer Scheidung, meiner Arbeit … kurz und gut breitete ich mein ganzes Leben vor ihr aus. Natürlich erfuhr sie auch von mir, dass ich schon sehr lange jemanden suchte, der zu mir passt. Ich bin vom Sternbild Fisch, also sensibel, etwas verträumt, romantisch, ich helfe gern anderen Menschen und bin sehr verlässlich. Wenn ich einmal jemanden gefunden habe, schenke ich ihm viel Liebe und Zuneigung – so steht es zumindest in meinem Horoskop. Doch das trifft auch alles tatsächlich auf mich zu, man könnte sagen, ich bin ein typischer Vertreter der „Fisch-Geborenen“.

Susi hörte mir aufmerksam zu. Dann sagte sie, sie sei im Sternbild Krebs geboren. Damit konnte ich nun erstmal gar nichts anfangen, ich hatte noch keinen „Krebs“ kennengelernt.

„Da muss ich doch mal in meinem Büchlein nachschlagen, was es mit dem Krebs auf sich hat. Ich werde es morgen mal mitbringen“, versprach ich ihr. Dann musste ich los, musste endlich wieder was schaffen. Der Eingangsbereich war herzurichten, der Weg musste neu gemacht werden: Rasen mähen, Steine setzen, Blumen pflanzen, Kübel aufstellen.

„Beim Bauen des Holzspaliers, da kannst du mir mal helfen“, sagte ich zu Susi. „Du könntest mir die Leiter halten und das Werkzeug reichen“, bat ich sie.

„Ja, ist gut, ich sage dir Bescheid, wenn ich Zeit dafür habe“, erwiderte sie. Es dauerte auch nicht lange, da kam sie zu mir und half mir bei der Arbeit. Sie gab mir prompt das richtige Werkzeug und die passenden Schrauben und ich kam mit ihrer Hilfe gut voran.

„Ich habe auch bei unserem Haus immer mitgebaut, da gab es viel zu tun“, schnatterte sie drauflos und fragte mich sofort wieder aus. Sie wollte wissen, was ich denn von jüngeren Frauen hielte. Sie war nur halb so alt wie ich und ich dachte, sie fragt das nur so allgemein. Ich erzählte ihr von meiner Bekanntschaft, die etwa in ihrem Alter war. Dabei ging es aber eigentlich nur um eine Versicherung:

Die junge Vertreterin war bei mir gewesen und hatte sich lange mit mir unterhalten. Sie hatte sehr gute Argumente vorgebracht, warum ich zu ihrer Gesellschaft wechseln sollte, trotzdem wollte ich bei meiner alten Versicherung bleiben. Wir trafen uns später noch öfter und telefonierten miteinander. Sie gefiel mir, ich fand sie attraktiv, doch war sie im Alter meiner Tochter, und verheiratet. – Nee, das geht ja gar nicht, dachte ich, das sind schon zwei Gründe, die dagegen sprechen! – Das Mädel war indes der Meinung, dass wir miteinander befreundet seien, na gut, es war ja weiter nichts passiert …

Dann hatte sie mich eines Tages angerufen und berichtet, dass sie ihren Mann verlassen habe. Ich möge sie doch mal besuchen kommen und mir ihr neues Büro ansehen. Ob ich ihr denn nicht beim Malern helfen könne? Das schien mir aber nun nicht ganz geheuer und so fuhr ich nicht zu ihr. Später hörte ich von ihr, dass ihr Mann sie und ihre dreijährige Tochter zurückgeholt hatte. Es verging ein halbes Jahr, in dem wir keinen Kontakt mehr pflegten. Dann erfuhr ich, dass sie unter Depressionen litt und mit ihrer Situation nicht mehr zurechtkam Schließlich hatte sie sich aufgehängt. – Das muss doch vor allem für ihr Kind schrecklich gewesen sein! Doch auch mich schockierte diese Nachricht, sie war ja erst 30 Jahre alt gewesen! Ich hatte ein schlechtes Gewissen gehabt: Hätte ich ihr helfen können? Oder sogar müssen? Ich machte mir einige Vorwürfe.

Als ich nun Susi davon erzählte, meinte die sofort, die Frau habe sich das Leben wegen mir genommen. Susi hatte eben eine rege Fantasie, ich erklärte ihr, dass ich keine Schuld an diesem Vorfall trug. – Auf jeden Fall wusste sie nun, wie ich zu jüngeren Frauen stehe und ob ich Vorbehalte gegen sie hege.

Ich stand währenddessen auf der Leiter und baute über dem Eingang an einem Holzrahmen für Kletterrosen. Susi reichte mir das entsprechende Werkzeug und Material, den Akkubohrer, die Schrauben, Holzlatten und so weiter. – Es mache ihr Spaß, mir zu helfen, meinte sie. Und obwohl ich nicht gern Leute anstelle und für mich arbeiten lasse, hatte auch ich Spaß daran, mit meiner neuen Kollegin zusammen zu arbeiten.

Der Chef war zurück und rief nach seiner Sekretärin. Als Susi ging, flüsterte sie mir noch schnell zu: „Morgen sind wir alleine, der Chef fährt zum Einkaufen, dann machen wir weiter!“

„Ja“, rief ich ihr hinterher, „ich bringe das Sternzeichenbuch mit, und Bilder von meinen Kindern und so …“

*

Am nächsten Tag war Susi schon in der Firma, als ich morgens kam. Sie begrüßte mich mit einer duftenden Tasse Kaffee: „Heute haben wir sturmfrei, der Chef ist unterwegs!“, und zwinkerte mir zu. Wir hatten zwar jeder seine Arbeit, trotzdem nahmen wir uns die Zeit, uns noch besser kennenzulernen. Als Arbeitskollegen. – Ich hatte ein paar Fotos mitgebracht und zeigte ihr meine Kinder und die Bilder von meiner Hochzeit. Sie sah sich alles interessiert an.

„Die Hochzeitsbilder sind sehr schön“, sagte sie. Das fand ich auch, wir waren schließlich erst knackige 25 Jahre alt darauf.

„Ja, solche Bilder sind immer schön, nur von den Scheidungen gibt es später keine so hübschen mehr. Warum eigentlich nicht?“ Ich feixte. Darauf hatte sie auch keine Antwort. – Ich erzählte ihr nun wieder aus meinem Leben und bemerkte auch, dass ich mich nun lange Zeit schon sehr alleine fühlte. Doch auf der anderen Seite hatte ich auch sehr Schönes erlebt, was ich während meiner Ehezeit nie hätte erfahren können. Zum Beispiel auf eine Anzeige geantwortet und mich mit jemandem verabredet. Aber trotz der Erfahrungen, positive wie negative, habe ich leider bisher keine Frau kennengelernt, bei der ich das Gefühl hatte, das ist jetzt für immer, – oder wenigstens für eine längere Zeit. Also suchte ich weiter.

Ich sagte zu Susi, dass ich auch jemanden im Rollstuhl nehmen würde, denn wenn der Mensch mich interessiert, ich mit ihm über alles reden kann und das Gefühl habe, mich auf ihn verlassen zu können, dann steht einer Beziehung nichts im Wege. Natürlich muss man auch gern etwas miteinander unternehmen können und zusammen träumen, und es muss kribbeln im Bauch. Ohne das geht es nicht!

Ich fragte nun Susi, ob Sie mir bei der Antwort auf eine Anzeige helfen würde: „Du bist doch Sekretärin und im Schreiben sehr geübt.“

„Ne, du, lass mal, das mach mal lieber alleine“, lehnte sie freundlich aber bestimmt ab. Ihr gefiel die Idee, mir bei meiner Suche nach der passenden Frau zu helfen, anscheinend gar nicht. Na gut, dachte ich, sie ist schließlich verheiratet und versorgt, sie kennt das Problem nicht, wenn man sich bemühen muss, jemanden zu finden.

„Wo sind denn deine Bilder“, fragte ich, um auf ein anderes Thema zu kommen.

„Na ja … ich … ich habe keine Fotos mit, ich will das nicht.“

„Wie bitte?!“, brach es verdutzt aus mir heraus. „Ich lege dir hier mein halbes Leben vor die Füße und du? Du teilst mir gar nichts mit?“ Ich war nun doch ziemlich irritiert und fühlte mich genarrt.

„Vielleicht später mal“, erwiderte sie sanft und schlug die Augen nieder. – Na gut, rätselhafte Frau, dachte ich, und erkannte aber auch, dass es ein geschickter Schachzug war, denn ihr Schweigen machte sie noch interessanter. Setzte sie dies bewusst oder unbewusst ein? Vielleicht bekomme ich das ja noch heraus, dachte ich und schmunzelte in mich hinein. – Dann fiel mir das Sternzeichenbüchlein ein und ich zog es aus der Tasche.

„Sieh mal“, sagte ich und hielt es vor sie, „es ist zwar nur ein ganz, ganz kleines, aber wollen wir da mal reinschauen, wie so dein Charakter als Krebs ist?“ Sie wurde neugierig und sah gespannt zu, wie ich zur richtigen Seite blätterte. „Da ist der Krebs: Er ist verschlossen, verträumt, gefühlvoll, er zieht sich gern in seinen Panzer zurück. Doch ist er auch sehr familiär und seine Familie bedeutet ihm sehr viel.“ Ich machte eine kleine Pause und suchte das Kapitel mit dem Fisch. „Der Fisch träumt gern, er ist romantisch, und wenn er jemanden gefunden hat, gibt er alles für seine Angebetete, es ist Verlass auf ihn. Ja, das stimmt“, meinte ich, blätterte weiter nach hinten und las vor: „Krebs und Fisch passen gut zusammen – steht hier“, ich sah sie an, „schade, dass du schon vergeben bist.“

„Wenn du wüsstest …“, hörte ich sie murmeln.

„Wie? Was?“ Ich starrte sie verdattert an.

„Ich glaube, wir müssen jetzt mal ein bisschen arbeiten“, sagte sie schnell und wandte sich ab.

„Ja, gut“, sagte ich erstaunt, „es ist schon interessant, mit dir zu reden.“

„Nur reden …?“, flüsterte sie. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, ich hatte keine Ahnung, was sie meinte und konnte mir nicht viel mehr vorstellen. – Sie ist doch verheiratet, dachte ich wieder. Gut, meine Ex war auch verheiratet gewesen und hatte sich doch mit jemand anderem eingelassen. Aber für mich konnte ich mir das nicht vorstellen, das gibt doch bloß Ärger, und belastet einen, oder? –

Susi ging an ihren Schreibtisch und beschäftigte sich mit der Post. Ich stand auf und machte mich daran, die Heizkörper zu streichen. Währenddessen hatte ich Zeit, allein und in Ruhe über alles noch einmal nachzudenken. Diese Susi ging mir nicht aus dem Kopf, was meinte sie nur damit: „Wenn du wüsstest …“? Ob sie Probleme hatte? Oder war ich einfach zu neugierig? Aber unter Arbeitskollegen kann man sich doch vieles erzählen, oder? – Es machte mir keinen Spaß mehr, diese blöden Heizkörper zu streichen, noch dazu ganz alleine, doch es musste nun mal sein.

Endlich war Mittagpause. Ich dachte, wenn wir schon allein in der Firma sind, können wir auch gemeinsam die Mittagpause verbringen und ging zu Susi ins Büro. Ich lud sie ein, mit auf den Hof an die frische Luft zu kommen. Wir gingen raus und setzten uns unter einen Baum in den Schatten. Es war ruhig und die Sonne schien und wir waren uns einig, dass es eigentlich ein schöner Tag war.

Auf einmal fing Susi an zu erzählen. Sie sprach von ihren Kindern, einem achtjährigen Jungen und einem kleinen Mädchen, und tat das gut, anschaulich und interessant – ich hörte ihr gern zu. Die Pause ging viel zu schnell vorbei.

„Was machst du heute noch?“, wollte sie wissen.

„Heizkörper streichen“, sagte ich gelangweilt.

„Soll ich dir helfen? Ich arbeite gern handwerklich.“

„Und deine Büroarbeit?“

„Es ist nicht viel zu tun, ich würde lieber streichen.“

„Na gut“, meinte ich, „ich habe noch einen Pinsel da.“ Ich hatte zwar wenig Lust, alleine zu pinseln, war aber auch skeptisch, ob sie wirklich gut streichen konnte. Sie konnte, nahm Pinsel und Farbe und fing einfach an. Sie saß neben mir auf dem Fußboden und wir strichen gemeinsam am gleichen Heizkörper. Ihre Beine kamen mir immer näher – Zufall, dachte ich –, bis sich unsere Füße berührten … Huch …? War das Absicht?

„Wenn ich dich jetzt anfasse – hast du keine Angst, so allein mit mir in der Firma?“

„Na, versuch’s doch! Wirst schon sehen, was passiert. Ich kann mich schon wehren.“

„Ist schon gut, war nur ein Spaß“, beruhigte ich sie. Sie wurde mir mehr und mehr ein Rätsel, ich war völlig verwirrt. – Sie kochte einen Kaffee, wir machten Pause. Es war nun bald Feierabend und ihr Mann würde kommen und sie abholen. Er kam mit dem Auto, denn sie wohnten ein paar Kilometer von der Stadt, in der wir arbeiteten, entfernt, auf einem Dorf.

„Was machen wir morgen?“, fragte ich. „Wahrscheinlich ist dann der Chef wieder da. Wenn erst sein Vater, seine Schwester und deren Mann kommen und sie alle hier in der Firma mitarbeiten wollen, dann sind wir nicht mehr so oft alleine“, sagte ich.

„Hättest du das denn gern?“

„Na ja, es ist schon interessant, mit dir zu arbeiten.“

Der Dienst war vorbei, jeder fuhr zu sich nach Hause. Da ich allein war, hatte ich viel Zeit, über diesen merkwürdigen Tag nachzudenken. Es macht Spaß in dieser Firma zu arbeiten, dachte ich, und ich glaube, das liegt auch mit an meiner netten Kollegin.

*

Ein neuer Tag begann. Ich fuhr gern zur Arbeit, begrüßte als erstes Susi, die schon auf mich wartete. Sie sagte mir, dass unser Chef da sei mit seiner Schwester, deren Mann, ihrem Vater und mit zwei Hunden. O Gott, zwei Hunde? Es waren ein kleiner und ein ziemlich großer.

„Denen werde ich aber tunlichst aus dem Weg gehen“, meinte ich, „und die mir hoffentlich auch.“ Ich bin kein Hundefreund, habe einfach keinen Sinn für sie, sie bellen, lecken an einem herum und kacken überall hin. Nein danke. – Die Hunde schienen mein Missbehagen zu bemerken, so kam es also dazu, dass wir uns gegenseitig ignorierten.

Susi hatte jetzt viel zu tun, die neue Chefin wollte die Firma bekannt machen und Susi musste viele Angebote schreiben an alle möglichen Geschäfte und Handelstreibende. Ich kam ganz gut klar mit den „Neuen“, meine Arbeit wurde durch sie nicht weniger, jeder hatte Ideen, Wünsche und Vorstellungen, was aus dem Objekt gemacht werden müsste, was aus der Firma rauszuholen wäre. Aber sie waren auch oft unterwegs, einkaufen und Geschäfte erledigen. Dann hatten Susi und ich mal wieder Zeit miteinander zu quatschen, und wir machten uns so unsere Gedanken, wo das viele Geld herkam, was die Familie in die Firma investierte. Letztlich war uns das aber egal, Hauptsache wir bekamen unseren Lohn pünktlich ausgezahlt.

Es ging voran, es wurden neue Büromöbel gekauft und ich verlegte Laminat in den Büroräumen. Vitrinen für den Ausstellungsraum wurden angeschafft, die ich zusammenbauen musste. Also hatte ich viel zu tun und war rund um die Uhr beschäftigt. – Heute sollte ich die Wände in der Toilette vor dem Büro streichen. Da kam Susi vorbei und meinte:

„Ich muss mal Pi-pi, bist du denn nicht bald fertig?“, und grinste mich an.

„Soll ich mal kurz rausgehen?“, sagte ich etwas verlegen.

„Na, willste etwa zugucken?“, sie sah mich schelmisch an.

„Ne-ne, ich gehe schon.“ Ich drehte mich um und ging mit rotem Kopf schnurstracks davon. Als sie fertig war, kam ich zurück und wollte weiter malern. Susi ging aber nicht, sie blieb in der Tür stehen und erzählte mir von der neuen Chefin und ihrem Mann. Ja, reden konnte das Mädel, und ich hörte ihr gerne zu. Aber, ging es mir durch den Kopf, wenn das einer mitbekommt, dass wir beide allein auf der Toilette sind und uns die Zeit vertreiben …

Es war ein sehr warmer Sommer und Susi hatte nicht viel an. Sie hob ihre nackten Arme und zeigte an die Decke. „Die musst du auch noch streichen!“, meinte sie.

„Ja, ja, ich weiß“, brummte ich und sah ihre rasierten Achselhöhlen, auf denen kleine Stoppeln zu erkennen waren.

„Darf ich da mal anfassen?“, wollte ich wissen, „ich finde das so süß, deine dünnen Arme und diese Stoppeln.“

„Spinnst du? Mich berühren?“, rief sie empört und rannte davon. Doch kam sie sofort zurück, hob den Arm, grinste und sagte: „Na gut, du darfst.“

„Und dann bekomme ich eine geklatscht oder wie?“

„Nun mach schon, ich tu dir nichts“, meinte sie aufmunternd.

Da traute ich mich und strich ganz vorsichtig über ihre Achsel. Wie ein Stromschlag ging es mir durch den Körper, Susi zu berühren, noch dazu an dieser ungewöhnlichen, reizenden Stelle, das war ein Gefühl als ob … Ich fand diese Berührung so außerordentlich erotisch, dass ich für den Moment nichts sagen konnte.

„Und? Was nun?“, fragte sie kess.

Ich schluckte. Schließlich antwortete ich trocken: „Toll. Das habe ich noch nie gemacht: Bei einer Frau die rasierten Achselhöhlen streicheln. Bist du noch woanders rasiert?“

„Das möchtest du wohl gerne wissen, was?“, feixte sie und verließ mich, um an ihre Arbeit zu gehen.

Ich musste nun erst einmal nachdenken, darüber, was eben hier passiert war. Warum hatte es mich so sehr ergriffen, mich überwältigt, geradezu elektrisiert und erregt, eine Frau an dieser Stelle zu berühren? War das noch normal? War ICH noch normal? – Ich stellte mir vor, dass auch ihr Mäuschen rasiert war, das machte mich ganz verrückt. – Ich musste mich sehr zwingen, um weiterarbeiten zu können. Aber ich schaffte es dann doch, bis zum Feierabend die Toilette fix und fertig gemalert zu haben.

Abends, als ich allein zu Hause war, dachte ich noch einmal über den ganzen Tag nach, das mache ich immer so, das beruhigt mich und ich sammle mich und entspanne mich dabei. Heute hatte ich natürlich nur die Begegnung mit Susi in der Toilette im Kopf, denn das war so etwas Besonderes gewesen, so ungewöhnlich und aufregend. Sie hatte etwas an sich, was mich unheimlich faszinierte und erregte, ich dachte an ihre zierliche Figur, ihr freches Grinsen, ihren reizenden Geruch, ja ihre ganzen Bewegungen, wie sie lief und sich gab, und was sie alles zu erzählen hatte und wie sie sprach. Ich glaube, ich mochte einfach alles an ihr. Doch dann fiel mir ein, dass sie ja doch verheiratet war und alle meine Träume für immer Schäume bleiben würden. – Na gut, aber träumen wird man doch dürfen, – und das habe ich immer schon gerne gemacht, schließlich bin ich doch vom Sternbild Fisch!

*

Ein neuer Tag hatte begonnen. Ich fuhr zur Arbeit, das sind jedes Mal 30 Minuten, in denen ich vor mich hin sinne und mich auf den Tag vorbereite. Ich hatte wie immer das Radio eingeschaltet und vernahm auf einmal eine neue Stimme, die ich noch nie gehört hatte. Es war die einer Frau, die deutsch sang, eine feine, ruhige Stimme: „Ich will doch nur spielen …“ Ich war hin und weg von diesem Lied und dieser Stimme.

Als ich in die Firma kam, ging ich als erstes zu Susi und begrüßte sie. Dann fragte ich sie, ob sie denn auch das neue Lied im Radio gehört habe.

„Nein, das habe ich nicht“, sagte sie. „Aber ich werde mal im Internet nachsehen, da wird es ja zu finden sein“, versprach sie.

Ich ging an meine Arbeit. Heute war Laminat im Büro zu verlegen. So eine Tätigkeit hatte ich noch nie gemacht und der Chef wies mich ein und gab mir ein paar Tipps. Ich stellte fest, dass es gar nicht so schwierig war. Als ich allein war, kam Susi angeschwänzelt und sagte: „Ich habe recherchiert, die neue Stimme, die du gemeint hast, das war Anett Luisian mit ihrem ersten Titel: Ich will doch nur spielen.“ Ich erinnerte mich sofort an das Lied und war gleich wieder begeistert. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es genau zu Susi passte, mir kam es so vor, als wollte auch sie nur spielen – mit mir! Das sagte ich ihr jetzt auch. Da grinste sie und schwieg. Das setzte prompt meine Fantasie in Gang, dieses Grinsen …

€4,99
Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
22 Dezember 2023
Umfang:
150 S. 1 Illustration
ISBN:
9783960081715
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