Mine | Erotischer SM-Roman

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Aus der Reihe: BDSM-Romane
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Mine | Erotischer SM-Roman
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Impressum:

Mine | Erotischer SM-Roman

von Myriam Brixton

Myriam Brixton wurde 1973 in London geboren und wuchs in einem Heim auf.Sie studierte Philosophie und lernte während eines Auslandssemesters einen hochrangigen afrikanischen Politiker kennen. Ihre heimliche Liebschaft mit dem fast dreißig Jahre älteren Staatsmann währte rund zehn Jahre, in denen sie stets versuchte, ihn von Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit zu überzeugen. Als sie sich 2003 schließlich von ihm trennte, tauchte sie unter und nahm zu ihrer eigenen Sicherheit eine neue Identität an.2009 kam der Staatsmann bei einem bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben.Vielleicht sind ihre Bücher auch eine Art Aufarbeitung ihrer Erlebnisse während dieser Jahre.

Lektorat: Sabine Wagner

Originalausgabe

© 2019 by blue panther books, Hamburg

All rights reserved

Cover: AleksandarNakic @ istock.com

Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de

ISBN 9783862774050

www.blue-panther-books.de

Kapitel 1

Eine Beziehung wollte ich nicht eingehen. Private Verpflichtungen waren nicht mein Ding. Rücksichtnahme, Beziehungsgespräche, die mir binnen weniger Tage den letzten Nerv raubten und überhaupt die Vorstellung, mit nur einer einzigen Frau zusammen zu sein, all das waren Argumente, die eindeutig gegen eine Beziehung sprachen. Zudem langweilte mich jede Frau innerhalb kürzester Zeit, spätestens dann, wenn ich mehrmals oder manchmal auch nur einmal mit ihr geschlafen hatte. Und dann war es meist unheimlich mühsam, diese Kletten wieder loszubekommen. Eine ewige Heulerei, die irgendwann in bösartige Beschimpfungen mündete.

Gleichsam anstrengend empfand ich Affären oder auch nur One-Night-Stands. Es kam immer auf das Gleiche hinaus. Ich wollte ficken, sonst nichts. Unverbindlich und ohne Emotionen. Aber die Mädchen verknallten sich zielsicher. Sie wollten ein Wiedersehen, sie wollten mehr und widerten mich ab diesem Moment unglaublich an.

So war es das »Elisa Galéen« geworden, wo ich meinen Durst nach körperlicher Befriedigung stillen konnte. Kein Geheule, keine Illusionen, keine falschen Hoffnungen, keine bescheuerten Dialoge. Und wenn, dann solche, die schmutzig waren und mich aufgeilten. Ich legte großen Wert auf ästhetische Frauen und die waren dort zu Hauf zu finden. All diese Mädels hätten das Zeug gehabt, Karrieren als Models anzustreben. Stattdessen ließen sie sich von sämtlichen wohlhabenden Männern der Stadt in den Arsch ficken. Sie verlangten ihren Preis, aber sie waren es, zumindest optisch, allemal wert.

Kapitel 2

Dr. Caruso öffnete auf seine elegant, charmante Art die Tür und begrüßte mich in seiner gewohnt arroganten Gastlichkeit. Dieser Mann hatte vermutlich weder Monate auf einer einsamen Insel verbracht, noch jemals eine Universität von innen gesehen. Er war der Typ Zuhälter, der durch Witz, Charme, Bauernschläue und jede Menge Verbindungen zu Politik und Polizei ein erotisches Imperium aufgebaut hatte. Er besaß Clubs in mehreren Metropolen der Welt und ließ die Mädchen geschickt von Club zu Club wechseln, sodass er den Kunden das Gefühl vermittelte, regelmäßig Frischfleisch vorzufinden. Ich wählte Katharina, eine große, blonde Schönheit mit blauen Augen, langen, glatten Haaren, einem sinnlichen Mund, von dem ich bereits wusste, was er in wenigen Augenblicken machen würde. Katharina bestand zu einem großen Teil aus Beinen. Sie erinnerte mich an ein Fohlen. Ich hatte sie bereits einige Male gebucht und wollte sie heute für die ganze Nacht haben. Inklusive Zimmer war ich mit fünftausend Dollar dabei. Extrawünsche ausgenommen. Ich konnte es mir leisten und ich wollte es mir leisten. Katharina würde am nächsten Tag nicht heulen und nicht nach einem Wiedersehen flehen. Ich würde mit ihr machen können, was ich wollte und wenn ich keine Lust mehr auf sie hatte, konnte ich sie zum Teufel schicken. Diese Art von Beziehung gefiel mir. Ich folgte Katharina aufs Zimmer und sie verschloss hinter uns die Tür.

Ich blickte an mir herab, auf meine High Heels, die schon beim Anprobieren geschmerzt hatten. Ich streifte mir das schwarze Minikleid über, das ich mir erst vor wenigen Tagen gekauft hatte. Es war ein billiger Laden gewesen. Einer dieser Läden, in denen alles für wenig Geld zu haben war und dessen Geruch die Atmosphäre eines Chemielabors vermittelte. Geschirr, Kleidung, Kinderspielzeug, selbst verpackte Lebensmittel konnte man hier erwerben, solange man keine Angst vor Krebserregern hatte. Das Kleid war simpel. Dünner Stoff, nicht viel davon, in der Form eines Schlauches. Es schlang sich eng um meinen Körper wie die Haut einer schwarzen Mamba. Ich hatte lange vor dem Spiegel gestanden und mich von allen Seiten betrachtet. Nicht, dass ich mich wohlgefühlt hätte. Im Gegenteil. Es war, als wäre ich nackt. Als stünde ich in diesem Giftladen wie die schwarze Mamba, die schon so lange nichts mehr erbeutet hatte. Ein ausgehungertes Tier, das vor Verlangen zu allem bereit war. War ich bereit für dieses Kleid? Ich musste es sein. Die Schuhe waren dagegen ein Klacks. Sie standen einige Regale weiter und gingen einfach mit.

Meine Haare verdeckten den tiefen Ausschnitt am Rücken des Kleides. Das gab mir etwas Schutz. Ich hatte ein großes Ziel oder vielmehr eine Vision und mir war klar, dass der Preis dafür ein hoher sein würde. Aber welche Preise hatte ich in meinem kleinen Leben nicht bereits bezahlen müssen?

Wackelig in meinen Schuhen, setzte ich mich in Bewegung. In jenes Viertel der Stadt, wo die teuren Hotels neben den Luxusboutiquen angesiedelt waren. In den Bars tanzte die finanzielle Elite des Landes mit den Schönen. Auch Touristen mit dementsprechendem monetären Background suchten diese Gegend auf.

In den Restaurants kostete eine Vorspeise so viel, wie ich an einem ganzen Tag als Babysitterin verdienen konnte. Vielleicht musste ich sogar zwei Tage dafür arbeiten. Ich hatte immer gerne auf Kinder aufgepasst, als ich noch zur Schule gegangen war. Doch nun war die Schulzeit vorbei. Das Abitur hatte ich in der Tasche. Mit Auszeichnung. »Großartige Leistung« hatte der Direktor bei der Zeugnisverteilung gesagt. Ich lächelte. Die Erinnerung an das Lob tat gut.

Als ich das noble Viertel erreicht hatte, blieb ich stehen. Und jetzt? Wie sollte ich mich verhalten? Wohin genau sollte ich gehen? Wie sollte ich gehen? Oder einfach stehen bleiben? Mein Herz schlug spürbar schneller. Ich blickte zu Boden. Da unten erschien es mir am sichersten.

Der Tag war ein anstrengender gewesen. Drei Meetings, ein Haufen unselbständiger Mitarbeiter, die abwechselnd mein Einverständnis gebraucht und mir damit auf die Nerven gegangen waren. Zusätzlich vier Telefone, die nicht aufhören wollten, zu läuten. Und das alles nach einer ganzen Nacht im »Elisa Galéen«. Mein Schädel brummte. Ich beschloss, auf dem Heimweg ein Bier im »Cult« zu nehmen. Hier brauchte ich dem Barkeeper nicht zu sagen, welche Sorte in welcher Größe ich unverzüglich serviert haben wollte. Alles war Routine und ich erhielt zu jeder Zeit einen Platz, oft zum Ärgernis anderer Gäste. Ich parkte meinen Porsche im Halteverbot. Der Weg ins »Cult« war von hier aus der kürzeste. Meine Laune war schlecht und die innere Unruhe setzte mir zu.

Kapitel 3

Ich bemerkte das Mädchen aus den Augenwinkeln. War es ein Kind? Kinder trugen für gewöhnlich keine Stöckelschuhe und auch keine schwarzen, eng anliegenden Kleider, die gerade einmal bis über das Gesäß reichten. Die Größe des Mädchens ließ auf ein Kind schließen, so auch ihr Körperbau. Ihre Kleidung jedoch sprach die Sprache der Erwachsenen. Sie stand dort drüben im Halbdunkeln unter der Straßenlaterne, regungslos, den Blick zu Boden gesenkt. Kurz darauf stieß ich die Tür zum »Cult« auf und fiel in einen der Lounge Sessel.

Ich wusste nicht, wie lange ich hier gestanden hatte. Ich fühlte mich miserabel und wollte weg. Ich hatte mich für einen Schritt entschieden, dessen Umsetzung in die Realität schon jetzt schwierig wurde. Ich stand einfach nur da und starrte auf den Boden. Nichts geschah, außer, dass meine Fußballen zu brennen begannen und die Riemen der Schuhe sich in meine Zehen schnitten. Ich wollte, dass jemand neben mir stehen blieb und mich ansprach und gleichzeitig wollte ich genau das überhaupt nicht. Ich zog die blöden Schuhe aus und begann, zu laufen. Morgen war ein neuer Tag und vielleicht war dann alles leichter.

Als ich am nächsten Abend meinen Porsche durch dieselbe Straße lenkte, war sie wieder da. Wie am Vorabend stand sie unter der Laterne und hielt die Hände gefaltet. Ihr Blick haftete am Boden. Betete sie? Oder wartete sie auf jemanden? Auf eine Eingebung? Hier? In dieser Kleidung? Das passte nicht zusammen. Als ich das »Cult« verließ, war sie verschwunden. Wie am Tag zuvor. Warum fiel mir das überhaupt auf? Es war Freitagnacht, das Wochenende stand bevor und ich hatte Lust, Druck abzulassen. Ich lenkte meinen Porsche in die Tiefgarage des »Elisa Galéen« und inhalierte den Anblick der Models, die mich an der Bar empfingen. Warum ich mich dann doch wieder für Katharina entschied, konnte ich mir nicht genau erklären. Vielleicht, weil sie meine Vorlieben bereits kannte und die ganze Nacht wacker durchhielt. Sie war schön, sie war heiß und sie war willig. Never change a winning team.

Rein gar nichts war leichter am nächsten Abend. Im Gegenteil, der Mut verließ mich schneller als am Tag zuvor. Mit den Schuhen in der Hand lief ich über den Asphalt, bis meine Füße rabenschwarz waren.

Den Samstag verbrachte ich mit Small Talk im Tennisclub. Viele meiner beruflichen Kontakte hatte ich hier geknüpft. Ich war ein guter Netzwerker, was sich beruflich als großer Vorteil herausstellte. Ich wusste stets, wie es um die Unternehmen im Land stand. Ich hatte meine Quellen und ein untrügliches Gespür, welche Unternehmen es sich lohnte, aufzukaufen. Renditenschwache Teile der Unternehmen wurden abgegeben, Lieferantenverträge gekündigt, wenn sie ihre Waren nicht im zweistelligen Prozentbereich günstiger anbieten konnten. Die Produktion wurde in Billiglohnländer ausgelagert. Um Personalkosten einzusparen, folgte meist eine gröbere Kündigungswelle und schon machte das Unternehmen satte Gewinne. Nach einigen Jahren verkaufte unsere Investorengruppe das Unternehmen weiter und schnitt mit einem saftigen Plus ab. Danach wurde das Spiel mit einer anderen Gesellschaft wiederholt. Die verkauften Betriebe hielten sich oft nicht mehr lange am Markt, weil sie ausgesaugt waren. »Hinter mir die Sinnflut« lautete mein Motto. Ich war ein Spieler, das Leben war ein Spiel. Geld zu verdienen, machte mir Spaß und ich hatte genug von beidem: von Geld und von Spaß.

 

Kapitel 4

Den Abend wollte ich zu Hause verbringen. Die vergangene Nacht mit Katharina war einmal mehr intensiv gewesen. Sie war mit Sicherheit noch völlig wund und fiel für die nächsten Tage aus. Der Gedanke gefiel mir. Ich hatte sie hart rangenommen. Es waren in Summe siebentausend Dollar, die mich die Nacht inklusive Extrawünsche gekostet hatte. Dr. Caruso würde sein Rennpferdchen schon wieder gesund pflegen.

Kapitel 5

Ob die Kleine wohl wieder unter der Laterne stand? Es war die Neugierde, die mich zu später Stunde doch noch auf die Straße lockte. Ich wollte wissen, ob sie da war. Im Halbdunkeln versteckt, den Blick im Boden versenkt, betend. Ein wenig mehr Beleuchtung hätte dieser Block durchaus vertragen. Kaum bog der Wagen um die Kurve, stach sie mir ins Auge. Als ich an ihr vorbeifuhr, streifte mich ein scheuer Blick. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein.

Ich riss den Porsche nach rechts in eine Parklücke und überquerte offensiv die Straße. Je näher ich dem Mädchen kam, desto winziger wurde sie. Jetzt, als ich vor ihr stand, reichte sie mir nicht einmal mehr bis zur Brust.

»Was tust du hier?« Sie antwortete nicht. Sie sah mich nicht einmal an.

»Ich sehe dich seit drei Abenden hier stehen. Auf wen wartest du?« Kein Ton entkam der Minifrau. Verstand sie mich überhaupt?

Mir war das weiße Auto schon die Tage zuvor aufgefallen. Dieses Rennauto, dessen Motorengeheul sich wie das Brüllen eines Löwen anhörte. Jeden Abend war es an mir vorbeigerauscht und hatte sein Röhren zum Besten gegeben. Es war gar nicht möglich gewesen, es nicht zu bemerken. Dass es nun aber genau jener weiße Hai war, welcher dort drüben in der Finsternis anhielt und seinen Herren ausspuckte, schnürte mir die Kehle zu. Ich sah eine mächtige Gestalt auf mich zukommen und fand mich in einem dieser grimmigen Träume wieder, in denen ich verfolgt wurde und meine Beine nicht gehorchten. Ich war gelähmt.

Kapitel 6

Erinnerungen, die ich längst verschüttet hatte, kamen in mir hoch. Ich war plötzlich wieder in jenem Heim, in welches ich nach dem Unfall meiner Eltern gebracht worden war. Ich war erst drei Tage dort gewesen, als mich der Betreuer nachts zu sich geholt hatte. Er brachte mich in sein Zimmer. Der Vorhang war zugezogen, sodass man von außen nicht hineinsehen konnte. An der Wand hingen Zeichnungen, die von Kindern gemalt worden waren. Zeichnungen von windschiefen Häusern und Tieren, deren Artenzugehörigkeit nur zu erraten war. Ein Bücherregal, in dem alles kreuz und quer lag, war an der Mauer festgenagelt. Das Bett war ungemacht. Er knipste auf dem Schreibtisch die Tischleuchte an und setzte mich darauf. Ich hielt die Luft an, irgendetwas war in diesem Moment nicht in Ordnung. Was das war, verstand ich erst, als er mir das Nachthemd über den Kopf zog. Er drohte mir, mich in den Keller zu sperren. Ein Sterbenswörtchen und ich säße in der feuchten Finsternis. Niemandem würde es auffallen, wenn ich verschwunden wäre. Es waren ohnehin viel zu viele Kinder hier. Ich war damals zehn Jahre alt. Ich glaubte ihm jedes Wort. Erstarrt saß ich vor ihm. Ich zitterte, obwohl mir nicht kalt war und es kostete mich immense Kraft, Luft in die Lunge zu ziehen. Meine Augen brannten. Sie wollten sich nicht schließen lassen. Sie hörten nicht auf, ihn anzustarren. Diesen Mann, der die nächsten Jahre auf mich aufpassen sollte. Ich wollte weinen, aber es ging nicht. Ich wollte »Bitte« sagen, aber auch das kam nicht heraus. Er bog den Draht der kleinen Tischlampe wie einen Spot zurecht, bevor er mit beiden Händen meine Beine auseinanderdrückte. Die Zeit hatte angehalten. Ich erinnerte mich an seinen Blick. Seine Augen traten hervor, sein Mund öffnete sich. Er sah aus, als hätte ihn von hinten eine Eisenstange getroffen. Er verwandelte sich in einen Zombie und nahm mich in seinem Horrorfilm gefangen. Ich erinnerte mich an den Augenblick, als er die Schreibtischlade aufzog und eine Kamera hervorholte. Die andere Hand griff nach mir. Ich wollte weg. Ich wollte schreien. Ich wollte treten. Nichts davon tat ich. Ich rührte mich nicht. Auch nicht, als seine Finger in mein Inneres drangen. Klick. Klick. Klick. Ich weiß nicht, wie viele Finger es gewesen waren, die sich wie Tentakel in meine geheimste Stelle gebohrt hatten. Nur das Klicken der Kamera nahm ich wahr. So, als wollten die Töne mich warnen, bloß den Mund zu halten. Er hob mich vom Tisch. Ich war eine Barbie. Meine Körperteile ließen sich verbiegen. Der Puppenspieler krümmte mich in jede Stellung. Nur meine Augäpfel blieben selbstbestimmt und richteten ihren Fokus genau dorthin, wohin mein »Ich« nicht sehen wollte. Es war das erste Mal, dass ich einen erigierten Penis sah. Mit einem Griff hatte er den Knoten seines Bademantels aufgezogen und sich in meinen Mund geschoben. Ich würgte und krümmte mich reflexartig nach vorne. Mein Hals war zu kurz. Ich war gefangen in einer Welt aus Brechreiz, aus Panik und der Gefahr, zu ersticken. Die Hand des Zombies hatte sich in den Haaren der Puppe festgekrallt. Die Geräusche, die von oben kamen, waren dämonisch. Es war das Böse, das sich aus der Finsternis anschlich. Lauter und lauter wurde es. Der Horror kam immer noch näher. Es waren die Klauen des Teufels, die mich festhielten! Ich konnte seine Hufen sehen! Und plötzlich war alles still. Alles ruhig. Alles wie erstarrt. Nichts regte sich mehr, so als wäre der Dämon zu Eis erstarrt. Ich übergab mich vor seinen Augen.

Wie ich damals zurück in mein Bett gekommen war, weiß ich nicht mehr. Hatte er mich getragen? War ich alleine gegangen? War ich jemandem auf dem Flur begegnet? Was war danach geschehen? Nichts davon war in meinem Gedächtnis geblieben. Die Stunden danach waren ausgelöscht. Erst, als ich mich mit meiner schwarzen Tasche auf der Straße wiederfand und keine Ahnung hatte, wohin ich gehen sollte, erst da setzte meine Erinnerung wieder ein. Wie viel Zeit dazwischen vergangen war und womit ich diese verbracht hatte, weigerte sich mein zentrales Nervensystem, wiederzugeben.

Kapitel 7

Ich blickte dem Fremden ins Gesicht. Warum war dieser Mann, der Herr des weißen Hais, zu mir gekommen? Warum stand er jetzt da und sprach mich an?

»Gib mir eine Antwort. Du erscheinst wie ein Mahnmal. Wie eine Betende. Eine Wartende. Eine zu Boden Starrende. Was tust du hier?«

Mein Hals war zugeschnürt. Ich hätte gesprochen, wenn es möglich gewesen wäre. Ich spürte nur mein Herz. Aber nicht dort, wo es hingehörte. Mein Herz pochte im Hals.

»Mädchen, du bist jung, du bist hübsch. Hier zu stehen, kann dumm für dich ausgehen. Du solltest zu Hause oder mit Freunden unterwegs sein, aber nicht alleine. Nicht in dieser Kleidung und nicht an dieser Straßenecke. Das könnte zu falschen Schlussfolgerungen führen, und das möchtest du doch nicht? Oder?«

»Das ist mein Vorhaben.« Ich hatte es gesagt. Es war raus.

Also doch das »Oder«? »Du stehst hier, um deinen Körper zu verkaufen? Habe ich dich richtig verstanden?«

»Ja.«

»Du bist ein Kind. Wie lange machst du das schon?«

»Ich bin Anfängerin.« Wie damals wollten sich nur noch meine Augäpfel bewegen. Ich war wieder die Barbiepuppe. Er hätte mich nur wegtragen müssen.

»Du bist Anfängerin.« Na klar, Mädchen, und ich bin total blöde. »Brauchst du Geld für Drogen?«

Die Kleine war doch krank, oder? So, wie sie dastand und gaffte. Riesige Augen. Völlig überzeichnet. Wie die einer Kuh. Die Körperhaltung so, als hätte ihr ein Unsichtbarer »Freeze!«ins Ohr gehaucht. Sie musste psychisch abgefuckt sein, ein anderes Bild ergab sich für mich nicht.

»Wo wohnst du? Ich bring dich heim.« Wollte ich sie wirklich in meinem Wagen haben? Was, wenn sie kotzte? Oder durchdrehte? Plötzlich ins Lenkrad griff? Sie war hübsch. Gestört, aber hübsch.

Wieder kein Ton. Nur Stille. Nein, ich wollte sie nicht in meinem Auto haben. Ich wollte sie ficken. Oder? Ach, scheiß drauf. Ich drehte mich um und ging.

Ich musste etwas sagen! Unbedingt! Seit drei Tagen kam ich nun hierher, ohne dass etwas passiert war. Hör auf, eine Barbiepuppe zu sein! Los jetzt! Mach den Mund auf, der Typ haut sonst ab! Rede endlich! »Ich bin Studentin. Ich muss Geld verdienen!«

Ich hatte gesprochen. Endlich. Noch dazu die Wahrheit. Zumindest einen Teil davon. Ich wollte an Geld kommen. In meinem Herzen war ich keine Prostituierte. In meinem Herzen war ich eigentlich gar nichts mehr, seit damals, als meine Eltern den Unfall gehabt hatten. Seit diesem Tag, der mein ganzes Leben vernichtet hatte. Ich wollte wieder zurück ins Leben! In ein schönes Leben! So, wie es einmal gewesen war. Dafür stand ich hier! Nur dafür! Vielleicht würde er derjenige sein, der mich hier rausholte. Ich hoffte es. Mir graute davor. Er wusste, was er wollte. Und ich wusste nicht einmal, wie es ging. Die Nacht im Heim hatte mir die Abgründe menschlicher Seelen gelehrt.

»Ich bin gesund, Sie können mich ruhig mitnehmen.« Das hatte ich jetzt wirklich gesagt? Aber was, wenn er nicht gesund war?

»Mädchen, wie alt bist du eigentlich? Ich möchte mich nicht wegen Kindesmissbrauch verantworten müssen. Warum suchst du dir nicht einen anständigen Job?«

»Ich kann beweisen, dass ich neunzehn bin. Was würden Sie bezahlen?« Hör auf, zu fragen! Nimm mich endlich mit!

»Ist dir eigentlich bewusst, was du gerade tust?«

Mann! Darüber wollte ich nicht nachdenken! Ich wusste selber, dass ich kneifen würde, wenn die Gedanken zu tief gingen. Augen zu und durch! Mit diesem Vorsatz war ich seit drei Tagen hierhergekommen. Und immer wieder abgehauen. Ich hatte ja versucht, einen anderen Job zu bekommen. Ich hatte die letzten Schulwochen nichts anderes getan, als nach Arbeit zu suchen. Ich schrieb Bewerbungen an alle möglichen Unternehmen. Ich erhielt sogar ein paar Einladungen zu Gesprächen. Selbst das eine oder andere Jobangebot war dabei gewesen. Allerdings war die Bezahlung bei all den Teilzeitangeboten dermaßen schlecht, dass ich damit kein Studium hätte finanzieren können. Und einen Vollzeitjob konnte ich nicht annehmen, weil ich Zeit für die Ausbildung benötigte. Ich wollte studieren. Ich wollte ein anderes Leben führen als jenes der letzten neun Jahre! Dieser Typ hatte keine Ahnung, wer ich war, woher ich kam und wie ich lebte! Aber er stellte bescheuerte Fragen!

»Entweder Sie buchen mich jetzt auf der Stelle, oder Sie gehen weiter. Wenn Sie hier neben mir nur rumstehen, dann vertreiben Sie mir die anderen Kunden.« Wow, war ich mutig. Ich hörte mich sprechen und verblüffte mich selber. Er war mein erster Kunde. Nicht mal das, er war mein erster Interessent. Eigentlich sollte ich ihn ködern, nicht verscheuchen. Aber seine Fragen verschlimmerten meine Unsicherheit. Er sollte damit aufhören! Ich wollte Geld verdienen. Ich wollte studieren. Ich wollte mein Leben zurück. Los, du Kerl, nimm mich jetzt mit!

»Wie heißt du?«

»Isabell.«

»Ist das dein richtiger Name?«

»So haben mich meine Eltern getauft.« Danke für die Idee, ich würde mir bei Gelegenheit einen Künstlernamen einfallen lassen.

Doch. Ich wollte sie ficken. Warum nicht auch mal eine Kranke ficken? Oder vielleicht mal gerade deshalb?

»Okay, wie viel willst du?« Schon wieder diese Glubschaugen. Was jetzt, Mädchen? Wollen oder nicht wollen?

Scheiße. Und jetzt? Der Typ fragte nach dem Preis. Schuhe ausziehen und rennen? Wie viel ich wollte? Keine Ahnung. Gar nichts. Ich wollte gar nichts, weil ich gar nicht wollte. Plötzlich war alles anders. Auf diesen Moment hatte ich gewartet und war gleichzeitig überhaupt nicht darauf vorbereitet. Mein Kreislauf kippte. Ich fühlte Übelkeit und Schwindel. Ich sollte mich hinsetzen. Schnell, bevor ich wegkippte. Ich kannte das bereits. Aber jetzt durfte ich nicht umfallen. Nicht jetzt. Komm, Isabell, denk an dein Ziel und mach weiter!

 

»Wie viel bin ich Ihnen denn wert?« Meine Stimme war verschwunden, ich konnte sie selbst nicht mehr hören. Der Typ kniff die Lider zusammen. Vor meinen Augen tauchten die Kinderzeichnungen auf. »Dreihundert.« Was hätte ich bloß sagen sollen? Wo konnte ich mich hinsetzen?

Die Kleine quasselte doch irgendetwas. Ich fragte sie nach einer Zahl, sie sagte eine Zahl. Eine x-beliebige. Mir erschien es, als konnte sie nicht klar denken. Benebelt von den Drogen? Psychopharmaka? Pipolar, Borderline? Auf alle Fälle durfte ich die Kondome nicht im Wagen vergessen. Wer wusste schon, was so ein Junkie an Ansteckungspotenzial mit sich herumschleppte. Ob sie spritzte? Ob sie mich überhaupt spüren würde? Oder war sie da unten auch benebelt? Ob sie stinken würde? Diese Gedanken riefen einen gewissen Ekel in mir hervor. Ich würde sie erst mal unter die Dusche schicken. Die Mädchen im »Elisa Galéen« waren allesamt supergepflegt und wurden wöchentlich durchgecheckt. Warum interessierte ich mich für eine Straßennutte? Weil sie winzig war und es mich aufgeilte, meinen Schwanz in den viel zu kleinen Körper zu stecken? Weil ich seit drei Tagen ihre Angst spüren konnte, die ihre gebückte Haltung im Halbdunkeln hatte erkennen lassen? In meiner Hose wurden alle Fragen mit »Ja« beantwortet. Kippte die Kleine jetzt etwa weg?

»Dreihundert. Für wie lange?« Ich reagierte blitzschnell und bekam sie unter den Armen zu fassen.

Ich konnte dem Druck im Kopf nicht mehr standhalten. Vor meinen Augen wurde es schwarz. Als ich zu mir kam, saß ich am Asphalt an die Laterne gelehnt. Er musste mich aufgefangen haben. Er hockte neben mir und hielt meine Schulter.

Seine letzte Frage war mir nicht verloren gegangen. Für wie lange? Jetzt stand er auf und blickte von oben auf mich herab.

»Pass auf, Mädchen. Ich nehme dich mit. Für zwei Stunden. Du bekommst deine dreihundert Dollar. Aber du machst, was ich von dir verlange. Keine Aufzahlung für Extrawünsche.« Ich sprach mit ihr, als wäre sie völlig normal. Als wäre sie nicht gerade weggekippt und insgesamt völlig durch den Wind. Innerlich war mir klar, dass es mein Schwanz war, der hier sprach. Und sie stank nicht. Zumindest nicht am Kopf. Für diese Beurteilung war ich ihr eben nahe genug gekommen. Auch das gefiel dem Schwanz.

Extrawünsche? Noch konnte ich davonlaufen. Ich konnte schnell laufen. Ich musste mir nur die High Heels ausziehen. Ohne sie konnte ich rennen wie ein Wiesel. Allerdings nur, wenn der Kreislauf funktionierte. Das tat er momentan nicht. Fürs Babysitten hatte ich fünf Dollar in der Stunde bekommen.

Das Mädchen hatte keinen blassen Schimmer vom Job als Nutte. Da saß sie auf der Straße und war stumm wie ein Fisch. Sie hatte sich scheinbar nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht, was passieren würde, wenn sie wirklich jemand kaufen wollte.

Ich sah den Kerl durchdringend an. Was konnte der für Extrawünsche haben? Was gab es überhaupt an Extrawünschen? Ich wusste, was Sex war. Ich hatte mir vorgestellt, ich würde mich auf den Rücken legen. Ein Mann würde sich befriedigen, zahlen, gehen. Nein, ich hatte es mir nicht vorgestellt. Ich war ohne bildhafte Vorstellung hierhergekommen. Und ohne Extrawünsche. Dabei hätte ich nach der Nacht im Kinderheim alles wissen müssen. In meinem Gehirn war die Hölle los. Meine Gedanken prallten an die Kopfdecke, wurden umgeleitet und schlugen wie Blitze in die schwabbelige Masse ein. Seit drei Tagen kam ich nun hierher, um jetzt mit Kreislaufproblemen am Boden zu hocken und mir vor Stress fast in die Hose zu pinkeln.

»Wir gehen ins Hotel. Steh auf und komm.«

Die Kleine hockte wie eine Besoffene an die Laterne gelehnt und brachte keinen einzigen Laut hervor. Dabei waren wir vor wenigen Minuten bereits viel weiter gewesen. In meiner Hose war alles klar. Ich schnappte sie bei der Hand und zog sie hinter mir her. Das »Imperial« war einen Katzensprung entfernt.

Jetzt war es zu spät, um wegzurennen. Seine Pranke hatte zugepackt. Er hielt mich in seinen Fängen und schleppte mich wie eine Beute hinter sich her. Mir war übel, mir war schwindlig und ich war zu schwach, um mich zu befreien.

Die Hand des Mädchens fühlte sich zart an. Wie die Pfote eines Kätzchens. Das Kätzchen versuchte, zu bremsen, was in Anbetracht ihrer Winzigkeit lächerlich war. Ich spürte meine Erregung und zog … Wie hieß sie noch mal? … Isabell! … schneller die Straße entlang.

An der Rezeption angekommen, buchte ich die Junior Suite und ließ das Mädchen dabei nicht aus den Augen. Zum Davonlaufen war es jetzt zu spät. Der Deal war beschlossen. Die Kleine war drei Tage lang genau zu diesem Zweck auf die Straße gegangen. Mist! Die Kondome!

Die Blicke anderer Gäste entgingen mir nicht. Bestimmt entfachte in dem einen oder anderen Zimmer eine Diskussion zum Thema »mangelnde Zivilcourage«. Sie sah niemals aus wie neunzehn.

In der Suite angekommen, schloss ich die Tür ab und ließ Isabells Händchen los. Sie stand vor mir, rührte sich nicht und suchte den Teppich ab. »Sieh mich an.« Isabell hob den Kopf. Ihre Augen waren tränengefüllt. Das hatte ich gebraucht. Das war das Letzte, was ich vertragen konnte.

Was für einen bescheuerten Plan hatte ich mir da einfallen lassen? Es war wie damals, nur die Kinderzeichnungen fehlten. Es fühlte sich falsch an! Vollkommen falsch! Es hatte sich gestern falsch angefühlt und vorgestern auch. Warum war ich jeden Tag aufs Neue unter die Laterne gegangen? Mir war übel und schwindlig. Ich hatte alle Signale erhalten, die mein Körper aussenden konnte. Damals war es passiert. Heute hatte ich es in der Hand, mich dagegen zu entscheiden.

»Warum heulst du?« Meine Barschheit war berechtigt. Ich wollte ficken und mich nicht um irgendwelche seelischen Ungereimtheiten kümmern. Sie brauchte Drogen. Ich hatte das Geld dafür. Isabell sackte zu Boden und schluchzte hemmungslos los. Ich blätterte dreihundert Dollar auf den Tisch.

»Ich habe das noch nie gemacht. Ich habe überhaupt noch nie mit einem Mann geschlafen. Ich will das alles gar nicht!«

Mir blieb die Spucke weg. Wie kam diese dumme Ziege dazu, sich zum Verkauf auf die Straße zu stellen, wenn sie es nicht wollte? Um mich zu verarschen? »Sag mal, spinnst du? Was soll dieses Theater?« Wut breitete sich in mir aus und ich kannte mich gut genug, um zu wissen, wie das ausgehen konnte.

»Es tut mir leid.« Oh Gott! Nein! Das war kein Theater! Vor mir lagen dreihundert Dollar. Genau das war es gewesen, woran ich gedacht hatte, als ich meine Pläne geschmiedet hatte. Geld. Geld, um von dort rauszukommen, wo ich momentan gefangen war. Neun Jahre hatte ich nun in Angst gelebt und ich dachte, ich wäre meiner Angst längst gewachsen. Aber hier in diesem Zimmer, mit diesem Mann, war ich plötzlich gar nichts mehr gewachsen. Ich fühlte mich winzig klein und schutzlos. So wie damals auf dem Schreibtisch. Angeleuchtet von der Tischlampe. Auf die Kinderzeichnungen starrend.

Ich wählte die Selbstbeherrschung, schlug die Tür zum Badezimmer hinter mir zu und hoffte, dass diese Irre verschwunden sein würde, wenn ich ins Zimmer zurückkehrte. Sollte ich Katharina ordern, jetzt, da ich das Hotel schon mal gebucht hatte? Aber eigentlich hatte ich die Schnauze gestrichen voll und wollte keine bescheuerte Schlampe sehen. Ich zog den Bademantel über und betrat den Salon.