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Aus der Reihe: Chronik der Invasion #1
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„Was kann ich tun?“, fragte Kevin erneut.

„Es gibt Dinge, die du tun kannst, die sie zwar nicht beseitigen, aber zumindest wärst du in der Lage, damit umzugehen.“

„Was zum Beispiel?“, fragte Kevin. Er musste zugeben, dass er einen Moment Hoffnung hatte. Er wollte nicht, dass diese Visionen ihm ständig im Kopf herumgingen. Er hatte nicht darum gebeten, Nachrichten zu erhalten, die niemand verstand und die ihn einfach nur verrückt erschienen ließen, wenn er darüber sprach.

„Du kannst versuchen Dinge zu finden, die dich von den Halluzinationen ablenken, wenn sie kommen“, sagte Dr. Yalestrom. „Du kannst versuchen dich selbst daran zu erinnern, dass das nicht echt ist. Wenn du Zweifel hast, dann finde Wege, das zu überprüfen. Vielleicht fragst du jemand anderen, ob er dasselbe sieht. Erinnere dich daran, es ist okay, zu sehen, was du siehst, aber wie du darauf reagierst, liegt an dir.“

Kevin nahm an, er konnte sich an all das erinnern. Dennoch half das nicht dabei, den schwachen Puls des Countdowns ruhiger zu stellen, der im Hintergrund trommelte und immer ein wenig schneller wurde.

„Und ich glaube, du musst es den Menschen erzählen, die es nicht wissen“, sagte Dr. Yalestrom. „Es ist nicht fair, sie darüber im Unklaren zu lassen.“

Sie hatte recht.

Und es gab eine Person, der er dringender als anderen davon erzählen musste.

Luna.

KAPITEL VIER

„Also“, sagte Luna, als sie und Kevin auf den Wegen des Lafayette Reservoir Erholungsparks umherliefen und Touristen und Familien auswichen, die ihren freien Tag genossen, „warum bist du mir aus dem Weg gegangen?“

Luna kam immer schnell zum Punkt. Das war eines der Dinge, die Kevin an ihr gefielen. Nicht, dass sie ihm so gefiel. Die Leute schienen das immer anzunehmen. Sie dachten, weil sie hübsch und blond war und wahrscheinlich Cheerleader-Material − wenn sie das nicht alles für absolut bescheuert halten würde − dass sie zweifellos ‚miteinander gingen‘. Sie nahmen einfach an, dass die Welt so funktionierte.

Sie waren nicht zusammen. Luna war seine beste Freundin. Die Person, mit der er die meiste Zeit außerhalb der Schule verbrachte. Wahrscheinlich die einzige Person auf der Welt, mit der er über fast alles reden konnte.

Außer über das hier.

„Ich war nicht …“, Kevin verstummte bei dem Blick auf Lunas Gesicht. Sie war gut im Starren. Kevin nahm an, dass sie das heimlich übte. Er hatte jeden, von Mobbern bis zu unhöflichen Ladeneigentümer zurückrudern sehen, nur damit sie sie nicht länger anstarrte. Wenn sie einen so anstarrte, war es unmöglich, sie anzulügen. „Okay, ich bin dir aus dem Weg gegangen, aber es gab einen Grund, Luna. Ich habe etwas … na ja, etwas von dem ich nicht weiß, wie ich es dir sagen soll.“

„Oh sei nicht dumm“, sagte Luna. Sie hatte eine leere Soda-Dose gefunden und trat sie den Weg hinunter, sie schubste sie von Fuß zu Fuß mit einer Routine, die davon kam, wenn man das viel zu oft tat. „Ich meine, wie schlimm kann es sein? Ziehst du um? Gehst du wieder auf eine andere Schule?“

Vielleicht erwischte sie etwas in seinem Ausdruck, denn sie wurde nach ein paar Sekunden still. Es lag etwas Verletzliches in der Stille, als würden beide um etwas drumherum redeten, um zu vermeiden, dass es brach. Dennoch musste er es tun. Sie konnten nicht für ewig hier herumlaufen.

„Ist es so schlimm?“, fragte sie und kickte die Dose mit einem letzten Stoß ihres Fußes in den Mülleimer.

Kevin nickte. Schlimm war das richtige Wort dafür.

„Wie schlimm?“

„Schlimm“, sagte er. „Gehen wir zum Stausee?“

Der Stausee war der Ort, an den sie beide hingingen, wenn sie über etwas reden wollten. Sie hatten über Billy Hames gesprochen, der Luna gefiel, als sie neun waren, und über Kevins Katze Tiger, die gestorben war, als sie zehn waren. Nichts davon schien eine gute Vorbereitung auf das hier gewesen zu sein. Er war keine Katze.

Sie gingen zum Wasserrand und schauten auf die Bäume an der Längsseite und die Menschen mit ihren Kanus und Paddelbooten auf dem Stausee. Im Vergleich zu anderen Orten, an denen sie gewesen waren, war es nett hier. Die Leute nahmen an, dass Kevin der Junge von der falschen Seite der Stadt war, der einen schlechten Einfluss auf Luna hatte, aber sie war diejenige mit dem Talent, über Zäune zu klettern und an verfallenen Gebäuden hochzuklettern, während Kevin ihr folgte, wenn er konnte. Hier gab es nichts von dem, nur Wasser und Bäume.

„Was ist denn los?“, fragte Luna. Sie zog ihre Schuhe aus und ließ ihre Füße in das Wasser gleiten. Kevin war nicht danach, dasselbe zu tun. Im Moment wollte er rennen, sich verstecken. Alles, nur um ihr nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Er dachte, je länger er es von Luna fernhalten konnte, umso länger war es nicht echt.

„Kevin?“, sagte Luna. „Du machst mir Angst. Hör zu, wenn du mir nicht sagst, was los ist, dann werde ich deine Mutter anrufen und es so herausfinden.“

„Nein, tu das nicht“, sagte Kevin schnell. „Ich bin nicht sicher … Mama kann damit nicht gut umgehen.“

Luna sah jede Minute besorgter aus. „Was ist los? Ist sie krank? Bist du krank?“

Kevin nickte bei Letzterem. „Ich bin krank“, sagte er. Er legte eine Hand auf Lunas Schulter. „Ich habe etwas, dass sich Leukodystrophie nennt. Ich sterbe Luna.“

Er wusste, er hatte es zu schnell gesagt. Bei so etwas sollte es eine lange Erklärung geben, ein richtiger Aufbau, aber ganz ehrlich: das war der Teil, der wichtig war.

Sie schaute ihn an und schüttelte ihren Kopf in offensichtlichem Unglauben. „Nein, das kann nicht sein, das ist …“

Sie umarmte ihn, fest genug, sodass Kevin kaum noch atmen konnte.

„Sag, dass das ein Witz ist. Sag, dass das nicht wahr ist.“

„Ich wünschte, das wäre so“, sagte Kevin. Er wünschte es sich mehr, als alles andere, in diesem Moment.

Luna zog sich zurück und Kevin konnte sehen, wie sie sich bemühte, nicht zu weinen. Normalerweise war Luna gut dabei, nicht zu weinen. Jetzt aber konnte er sehen, dass es sie viel Selbstbeherrschung kostete.

„Das … wie lange?“, fragte sie.

„Sie sagen, vielleicht sechs Monate“, sagte Kevin.

„Und das war vor Tagen, also ist es jetzt noch weniger“, gab Luna zurück. „Und du musstest die ganze Zeit damit alleine umgehen und …“ Sie wurde wieder still, als das ganze Ausmaß sie traf.

Kevin konnte sehen, wie sie die Menschen auf dem Stausee anschaute, die mit ihren kleinen Booten fuhren und ihre Paddel durchs Wasser zogen. Sie schienen so glücklich hier. Sie starrte sie an, als wenn sie der Teil waren, den sie nicht glauben konnte, und nicht die Krankheit.

„Das ist nicht fair“, sagte sie. „All diese Menschen, die einfach so weitermachen, als wenn die Welt dieselbe ist, die Spaß haben, während du stirbst.“

Kevin lächelte traurig. „Was sollen wir sonst tun? Ihnen sagen, dass sie keinen Spaß mehr haben dürfen?“

Zu spät wurde ihm die Bedeutung seiner Worte bewusst, als Luna aufstand, ihre Hände an ihrem Mund zu einem Trichter formte und, so laut sie konnte, schrie.

„Hey, ihr alle da, ihr müsst aufhören. Mein Freund stirbt und ich verlange, dass ihr alle sofort aufhört, Spaß zu haben!“

Ein paar Menschen schauten sich um, aber niemand hörte auf. Kevin nahm an, dass das nicht der Punkt war. Luna stand für mehrere Sekunden da und dieses Mal, war er derjenige, der sie umarmte und sie festhielt, während sie weinte. Das geschah so selten, dass der reine Schock darüber Kevin erstarren ließ. Luna, die Leute anschrie, die sich auf eine Art und Weise verhielt, die man von jemandem wie ihr nicht erwarten würde, war normal. Lunas Zusammenbruch nicht.

„Fühlst du dich besser?“, fragte er nach einer Weile.

Sie schüttelte ihren Kopf. „Nicht wirklich. Was ist mit dir?“

„Na ja, es ist schön zu wissen, dass es da jemanden gibt, der versuchen würde, die Welt für mich anzuhalten“, erwiderte er. „Weißt du, was das Schlimmste ist?“

Luna schaffte ein weiteres Lächeln. „Nicht in der Lage zu sein, die Krankheit auszusprechen, die du hast?“

Kevin konnte das Lächeln nur zurückgeben. Er vertraute darauf, dass Luna wusste, dass sie so normal sein musste wie möglich und sich über ihn lustig machen sollte.

„Kann ich, ich kann üben. Das Schlimmste daran ist, dass all das heißt, dass mir niemand glaubt, wenn ich sage, dass ich Dinge sehe. Alle glauben, das ist einfach die Krankheit.“

Luna legte ihren Kopf schief. „Was für Dinge?“

Kevin erklärte ihr die merkwürdigen Landschaften, die er gesehen hatte, das Feuer, die diese sauber wischte, das Gefühl eines Countdowns.

„Das …“, begann Luna, als er fertig war, wusste aber nicht, wie sie es beenden sollte.

„Ich weiß, das ist verrückt … ich bin verrückt“, sagte Kevin. Sogar Luna glaubte ihm nicht.

„Du hast mich nicht ausreden lassen“, sagte Luna und atmete ein. „Das … ist so cool.“

„Cool?“, wiederholte Kevin. Das war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte, auch nicht von ihr. „Jeder andere denkt, ich werde verrückt oder mein Gehirn schmilzt oder so.“

„Alle anderen sind dumm“, erklärte Luna − um fair zu sein, das schien ihre Standardeinstellung gegenüber der Menschheit zu sein. Für sie war jeder dumm, bis er das Gegenteil bewies.

„Du glaubst mir also?“, fragte Kevin. Sogar er war sich nicht mehr ganz so sicher, nach all dem, was die Ärzte ihm gesagt hatten.

Luna hielt ihn an seinen Schultern fest und sah ihm direkt in die Augen. Bei einem anderen Mädchen hätte Kevin vielleicht gedacht, dass sie ihn küssen würde. Aber nicht bei Luna.

„Wenn du mir sagst, dass diese Visionen echt sind, dann sind sie echt, ich glaube dir. Und in der Lage zu sein, die Welt von Aliens zu sehen, ist definitiv cool.“

Kevins Augen weiteten sich ein wenig dabei. „Warum glaubst du, dass es eine Alien-Welt ist?“

 

Luna trat mit einem Achselzucken zurück. „Was sollte es sonst sein?“

Als sie das fragte, bekam Kevin das Gefühl, das sie genauso erstaunt davon war, wie er. Es gelang ihr nur besser, das zu verstecken.

„Vielleicht …“, sagte sie, „… vielleicht hat all das dein Gehirn verändert, sodass es eine direkte Leitung zu diesem Alien-Ort hat?“

Wenn Luna jemals Superkräfte erwerben würde, dann wäre es wahrscheinlich die Fähigkeit, große Schlüsse in einem einzigen Satz zu ziehen. Kevin gefiel das an ihr, besonders wenn das hieß, dass sie die einzige Person war, die ihm glaubte, aber dennoch fühlte es sich an, als wenn es viel zu entscheiden gäbe, sehr schnell.

„Du weißt, wie verrückt sich das anhört?“, fragte er.

„Nicht verrückter als der Gedanke, dass meinen Freund aus keinem guten Grund aus dieser Welt gerissen wird“, gab Luna zurück. Ihre Fäuste ballten sich auf eine Art zusammen, die erahnen ließ, dass sie gerne dagegen ankämpfen würde. Oder vielleicht presste sie sie auch nur so zusammen, damit sie nicht wieder weinen musste. Luna neigte dazu, sauer zu werden oder Witze zu machen oder verrückte Dinge zu tun, anstelle sich aufzuregen. In dem Moment konnte Kevin ihr keine Vorwürfe daraus machen.

Er sah zu, wie sie sich beruhigte und stattdessen ein Lächeln erzwang.

„Also, schreckliche Krankheit, coole Visionen von Alien-Welten … gibt es irgendwas, dass du mir noch nicht erzählt hast?“

„Ja, das mit den Zahlen“, sagte Kevin.

Luna schaute ihn mit offensichtlicher Genervtheit an. „Du verstehst schon, dass du hier nicht ja sagen solltest?“

„Ich wollte, dass du alles weißt“, sagte Kevin, obwohl er annahm, dass es dafür wahrscheinlich ein bisschen zu spät war. „Tut mir leid.“

„Okay“, sagte Luna. Wieder hatte Kevin das Gefühl, dass sie darum kämpfte, das alles zu verarbeiten. „Zahlen?“

„Ich sehe sie“, erklärte Kevin. Er wiederholte sie aus seinem Gedächtnis. „23h 06m 29.283s – 05° 02‘ 28.59“

„Okay“, sagte Luna. Sie schürzte ihre Lippen. „Ich frage mich, was sie bedeuten.“

Dass sie vielleicht gar nichts bedeuteten, schien ihr nicht einzufallen. Kevin liebte das an ihr. Sie holte ihr Handy heraus. „Es ist zu lang für ein Autokennzeichen und es wäre merkwürdig für ein Passwort. Was sonst?“

Kevin hatte nicht daran gedacht, zumindest nicht mit der Art von Direktheit, die Luna bei dem Problem anwandte.

„Vielleicht ist es wie eine Artikelnummer, eine Seriennummer?“, schlug Kevin vor.

„Aber es gibt Stunden und Minuten“, widersprach Luna. Sie schien sehr in dem Problem der Bedeutung gefangen zu sein. „Was noch?“

„Vielleicht eine Lieferzeit und eine Lage?“, schlug Kevin vor. „Der zweite Teil hört sich wie Koordinaten an.“

„Das ist nicht ganz richtig für einen Kartenhinweis“, sagte Luna. „Vielleicht, wenn ich es google dann … oh cool.“

„Was?“, fragte Kevin. Ein Blick auf Lunas Gesicht sagte, dass sie einen Volltreffer gelandet hatten.

„Wenn man diese Zahlenfolge in die Suchmaschine eingibt, dann erhält man nur Ergebnisse zu einer Sache“, erklärte Luna. Sie ließ das so sicher klingen. Sie drehte ihr Handy, um es ihm zu zeigen, die aufgelisteten Seiten waren alle Verweise auf eines: „Das Trappist 1 Sternensystem.“

Kevin konnte Aufregung fühlen. Noch mehr, er konnte fühlen, wie sich Hoffnung aufbaute. Er hoffte, dass das etwas bedeutete und das es nicht nur seine Krankheit war, egal was die anderen sagten. Er hoffte, dass das vielleicht wirklich echt war.

„Warum sollte ich Zahlen sehen?“, fragte er.

„Vielleicht weil das Trappist Systems eines ist, auf dem es wahrscheinlich Leben gibt?“, sagte Luna. „So wie es hier steht, gibt es mehrere Planeten dort, die anscheinend bewohnt sind.“

Sie sagte es, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Der Gedanke an Planeten, auf dem es vielleicht Leben gab, schien zu sehr ein Zufall, da Kevin dieses Leben doch gesehen hatte. Oder ein merkwürdiges Leben zumindest.

„Du musst mit jemandem darüber sprechen“, forderte Luna. „Du bist … wie der erste Beweis für außerirdischen Kontakt oder so. Wer waren diese Menschen, diese Wissenschaftler, die nach außerirdischem Leben suchten? Ich habe mal etwas im Fernsehen über die gesehen.“

„SETI?“, fragte Kevin.

„Das sind sie“, sagte Luna. „Und sie sitzen in San Francisco oder San José oder so?“

Kevin hatte das nicht gewusst, aber je mehr er darüber nachdachte, umso mehr zerrte die Idee an ihm.

„Du musst gehen Kevin“, sagte Luna. „Du musst zumindest mit ihnen reden.“

***

„Nein“, sagte seine Mutter und setzte ihre Tasse so schnell ab, dass der Kaffee darin überschwappte. „Nein, Kevin auf gar keinen Fall!“

„Aber, Mama –“

„Ich fahre dich nicht nach San Francisco, nur, damit du einen Haufen von Spinnern nerven kannst“, sagte seine Mutter.

Kevin hielt sein Handy hoch und zeigte ihr die Information von SETI darauf. „Sie sind nicht verrückt“, sagte er. „Das sind Wissenschaftler.“

„Wissenschaftler können auch verrückt sein“, erwiderte seine Mutter. „Und diese ganze Idee … Kevin kannst du nicht einfach akzeptieren, dass du Dinge siehst, die nicht da sind?“

Das war das Problem, es wäre zu leicht zu akzeptieren. Es wäre leicht, sich zu sagen, dass es nicht echt war, aber etwas nagte in seinem Hinterkopf, das ihm sagte, dass es eine schlechte Idee wäre, wenn er das täte. Der Countdown lief immer noch und Kevin nahm an, dass er mit jemandem darüber sprechen musste, der ihm glauben würde, ehe der Countdown zu Ende war.

„Mama, diese Zahlen, die ich sehe, … sie sind die Lage eines Sternensystems.“

„Es gibt so viele Sterne da draußen, dass ich mir sicher bin, dass eine zufällige Zahlenreihenfolge zu einem von ihnen passt“, antwortete seine Mutter. „Es wäre dasselbe wie die Masse an Sternen oder …oder ich weiß nicht genug über Sterne, dass mir noch mehr einfällt, aber es wäre irgendwie so etwas.“

„Das meine ich nicht“, sagte Kevin. „Ich meine, dass es genau dieselbe ist. Luna hat die Zahlen eingegeben und das Trappist 1 System war das Erste, was dabei herausgekommen ist. Das Einzige, was herausgekommen ist.“

„Ich hätte wissen müssen, dass Luna da mit drinhängt“, seufzte seine Mutter. „Ich mag das Mädchen, aber sie hat viel mehr Vorstellungskraft, als ihr guttut.“

„Bitte Mama“, sagte Kevin. „Das ist ernst.“

Seine Mutter legte ihre Hände auf seine Schultern. Seit wann musste sie dafür nach oben fassen? „Ist es nicht Kevin! Dr. Yalestrom hat gesagt, dass du Probleme hast, all das zu akzeptieren. Du musst verstehen, was hier los, ist und ich muss dir helfen, das zu akzeptieren.“

„Ich weiß, dass ich sterbe, Mama“, sagte Kevin. Er hätte das nicht so sagen sollen, denn er konnte die Tränen in den Augen seiner Mutter sehen.

„Weißt du das? Denn das –“

„Ich werde einen Weg finden, um dort hinzukommen“, versprach Kevin. „Ich nehme den Bus, wenn es sein muss. Ich nehme den Zug in die Stadt und laufe. Ich muss zumindest mit ihnen sprechen.“

„Und ausgelacht werden?“ Seine Mutter zog sich zurück und schaute ihn nicht an. „Du weißt, dass das passieren wird, richtig, Kevin? Ich versuche nur, dich zu beschützen.“

„Ich weiß, dass du das willst“, sagte Kevin. „Und ich weiß, dass sie mich wahrscheinlich auslachen werden, aber ich muss es zumindest versuchen, Mama. Ich habe das Gefühl, dass dies wirklich wichtig ist.“

Er wollte noch mehr sagen, aber er war sich nicht so sicher, ob das helfen würde. Seine Mutter war ruhig, sie dachte nach und im Moment war das das Beste, worauf Kevin hoffen konnte. Sie dachte weiter nach, ihre Hand klopfte auf die Küchentheke und markierte die Zeit, bis sie einen Entschluss gefasst hatte.

Kevin hörte seine Mutter seufzen.

„Okay“, sagte sie. „Ich mache es. Ich fahre mit dir, aber nur, weil ich annehme, dass ich sonst einen Anruf von der Polizei bekommen werde, die mir sagt, dass mein Sohn irgendwo im Bus zusammengebrochen ist.“

„Danke Mama“, sagte Kevin und ging auf sie zu, um sie zu umarmen.

Er wusste, dass sie ihm nicht wirklich glaubte, aber auf eine Art machte dies den Beweis ihrer Liebe noch beeindruckender.

KAPITEL FÜNF

Es dauerte eine Stunde von Walnut Creek bis zum SETI-Institut in Mountain View, aber für Kevin fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Der Verkehr in der Stadt kroch durch Baustellen und Umleitungen; jeder Moment war eine Verschwendung, wenn er dort sein konnte, wenn er herausfinden konnte, was mit ihm los war. Sie würden es wissen, da war er sich sicher.

„Versuche nicht zu aufgeregt zu sein“, warnte seine Mutter ihn zum gefühlten zwanzigsten Mal. Kevin wusste, dass sie nur versuchte, ihn zu beschützen, aber dennoch wollte er seine Aufregung nicht dämpfen. Er war sich sicher, dass dies hier der Ort wäre, wo er herausfinden würde, was mit ihm los war. Hier waren Wissenschaftler, die außerirdisches Leben beobachteten. Sicherlich würden sie alles darüber wissen?

Als sie dort ankamen, war das Institut jedoch nicht das, was er erwartet hatte. 189 Bernardo Avenue sah mehr wie eine Kunstgalerie oder wie ein Teil einer Universität aus, als die Art von Ultra-modernem Gebäude, das Kevins sich ausgemalt hatte. Er hatte Gebäude erwartet, die aussahen, als wenn sie aus dem Weltall kamen, aber stattdessen sahen sie aus wie die teure Version von der Art Gebäude, in der seine Schule untergebracht war.

Sie fuhren darauf zu und parkten vor dem Gebäude. Kevin nahm einen tiefen Atemzug. Auf geht‘s. Sie gingen in die Lobby, wo eine Frau sie anlächelte und es schaffte, das in eine Frage zu verwandeln, sogar noch, ehe sie zu sprechen begann.

„Hallo, sind Sie sicher, dass Sie hier am richtigen Ort sind?“

„Ich muss mit jemandem über Alien-Signale sprechen“, sagte Kevin bestimmt, noch ehe seine Mutter versuchen konnte, es zu erklären.

„Es tut mir leid“, sagte die Frau. „Wir machen keine öffentlichen Führungen.“

Kevin schüttelte seinen Kopf. Er wusste, dass er ihr das erklären musste. „Ich bin nicht wegen einer Führung hier“, begann er. „Ich glaube … ich glaube, ich erhalte eine Art Signal von Außerirdischen.“

Die Frau sah ihn nicht schockiert oder ungläubig an, wie andere Menschen es vielleicht getan hätten oder überrascht wie seine Mutter, als er ihr das offenbart hatte. Das hier war eher ein resignierter Blick, als ob sie solche Dinge öfter hören würde, als es ihr lieb war.

„Ich verstehe“, sagte sie. „Leider sind wir nicht befugt mit Menschen zu sprechen, die einfach von der Straße hereinkommen. Wenn Sie uns per E-Mail kontaktieren wollen, dann werden wir das sicherlich überdenken, aber im Moment …“

„Komm, Kevin“, sagte seine Mutter. „Wir haben es versucht.“

Zu seiner eigenen Überraschung schüttelte Kevin jedoch seinen Kopf. „Nein, ich gehe nicht.“

„Kevin, du musst gehen“, drängte seine Mutter.

Kevin setzte sich direkt in die Mitte der Lobby. Der Teppich war nicht besonders bequem, aber das war ihm egal. „Ich gehe nirgendwo hin, bis ich nicht mit jemandem darüber gesprochen habe.“

„Moment einmal, das geht nicht“, widersprach die Dame am Empfang.

„Ich gehe nirgendwo hin“, erklärte Kevin.

„Kevin …“, begann seine Mutter.

Kevin schüttelte seinen Kopf. Er wusste, dass es kindisch war, aber er war dreizehn und seiner Meinung nach durfte er das. Außerdem war das wichtig. Wenn er jetzt ging, war es vorbei. Das würde er nicht zulassen.

„Steh auf oder ich rufe den Sicherheitsdienst“, sagte die Empfangsdame. Sie kam zu ihm und nahm ihn fest am Arm.

Sofort lenkte seine Mutter ihre Aufmerksamkeit von ihm zu der Empfangsdame. „Nehmen Sie Ihre Hände von meinem Sohn, sofort.“

„Dann sehen Sie zu, dass Ihr Sohn aufsteht und geht, ehe ich die Polizei rufe.“ Die Rezeptionistin ließ ihn dennoch los, obwohl das vielleicht auch etwas mit dem Blick zu tun hatte, dem seine Mutter ihr zuwarf. Kevin hatte das Gefühl, dass jetzt, wo sie einen Grund hatte, ihren Sohn zu beschützen, würde seine Mutter es tun, was immer es kostete.

„Drohen Sie uns nicht mit der Polizei. Kevin fügt niemandem Schaden zu.“

„Glauben Sie, hier kommen nicht andauernd Verrückte herein?“

„Kevin ist nicht verrückt!“, rief seine Mutter, in einer Lautstärke, die sie normalerweise an Kevin richtete, wenn er etwas wirklich Schlimmes angestellt hatte.

In den nächsten Minuten wurde mehr gestritten, als Kevin lieb war. Seine Mutter rief ihm zu, er solle aufstehen. Die Rezeptionistin schrie, dass sie den Sicherheitsdienst rufen würde. Sie schrien sich gegenseitig an, da Kevins Mutter entschieden hatte, dass sie nicht wollte, dass jemand ihrem Sohn mit dem Sicherheitsdienst drohte und die Frau schien anzunehmen, dass diese Mutter nicht in der Lage war, Kevin zum Gehen zu bewegen. Kevin saß währenddessen die ganze Zeit mit überraschender Gleichgültigkeit da.

 

Es machte ihn müde und in diesen Tiefen, sah er etwas …

Die kühle Dunkelheit eines Raumes war um ihn, Sterne blitzen und die Erde sah so anders aus von oben, dass es Kevin fast den Atem nahm. Es gab ein silbernes Objekt, das dort im Weltraum schwebte, eines von so vielen, die im Weltraum unterwegs waren. Die Worte Pioneer 11 waren auf der Seite eingeprägt.

Dann lag er auf dem SET1 Institutsboden und seine Mutter half ihm auf, zusammen mit der Rezeptionistin.

„Ist er okay?“, fragte die Rezeptionistin. „Soll ich einen Krankenwagen rufen?“

„Nein, mir geht’s gut“, antwortete Kevin.

Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Wir wissen, was mit ihm los ist. Mein Sohn stirbt. All das hier … ich dachte, es würde ihm helfen die Tatsache zu akzeptieren, dass das, was er sieht, nicht echt ist, dass es die Krankheit ist.“

So gesehen fühlte es sich wie Betrug an, als ob Kevins Mutter es geplant hatte, dass seine Träume so plötzlich zerplatzen.

„Ich verstehe“, sagte die Rezeptionistin. „Okay, komm hoch Kevin. Kann ich Ihnen beiden irgendetwas bringen?“

„Ich will nur mit jemandem reden“, antwortete Kevin.

Die Empfangsdame biss sich auf die Lippe und nickte dann. „Okay, ich schaue mal, was ich tun kann.“

Einfach so hatte sich ihr ganzes Verhalten geändert.

„Warten Sie hier. Setzen Sie sich. Ich werde sehen, ob es jemanden gibt, der zumindest mit dir reden oder dich herumführen kann. Auch, wenn es nicht wirklich viel zu sehen gibt.“

Kevin setzte sich zu seiner Mutter. Er wollte ihr alles erzählen, was er gerade gesehen hatte, aber er konnte in ihrem Gesicht sehen, dass es sie nur verletzen würde. Stattdessen wartete er stumm.

Endlich kam eine Frau heraus. Sie war in ihren frühen Fünfzigern, in einem schwarzen Anzug gekleidet, der vermuten ließ, dass sie Meetings hatte, bei denen lässige Kleidung nicht angemessen wäre. Etwas an ihr sagte ihm, dass sie eine Wissenschaftlerin war – vielleicht etwas an dem neugierigen Blick, mit der sie Kevin anschaute. Sie gab erst seiner Mutter die Hand und dann Kevin.

„Hallo Kevin“, sagte sie. „Ich bin Dr. Elise Levin. Ich bin die Direktorin des Instituts.“

„Sie sind die Direktorin?“, fragte Kevin und Hoffnung stieg in ihm auf. „Von dieser ganzen Alien-Forschung?“

Sie lächelte ein wenig amüsiert. „Ich glaube, das ist ein wenig drastisch ausgedrückt. Die meiste Forschung nach außerirdischem Leben findet woanders statt. Die NASA bietet Daten, einige Universitäten sind involviert und wir mieten uns oft Zeit an anderen Teleskopen. Aber ja, ich leite das Institut und bin verantwortlich für die Dinge, die hier vor sich gehen.“

„Dann muss ich Ihnen etwas sagen“, sagte Kevin. Er sprach schneller, als wollte er versuchen, die Worte herauszubekommen, ehe diese Erwachsene Zeit hatte, ihm nicht zu glauben. „Etwas passiert. Ich weiß, wie merkwürdig sich das anhört, aber ich habe Dinge gesehen, es gibt eine Art Countdown …“

Wie konnte er den Countdown erklären? Es war nicht wie Zahlen, es gab keinen offensichtlichen Punkt, der das Ende markierte. Es gab nur ein schwaches Pochen, mit dem Signal in seinem Kopf, das immer beständiger wurde, schon fast schneller, während es um etwas herum arbeitete, was Kevin nicht erkennen konnte.

„Warum erzählst du mir nicht davon, während wir uns umsehen?“, schlug Dr. Levin vor. „Ich zeige dir, was wir hier machen.“

Sie führte Kevin und seine Mutter durch die Korridore des Instituts und um ehrlich zu sein, hatte Kevin gedacht, dass es aufregender sein würde. Er hatte gedacht, es würde weniger wie ein Bürogebäude aussehen.

„Ich dachte, hier gäbe es große Teleskope oder Labore voll mit Ausrüstungen, um Dinge aus dem Weltall zu testen“, sagte Kevin.

Dr. Levin zuckte die Achseln. „Wir haben einige Labore und wir testen manchmal Material, aber wir haben keine Teleskope. Wir arbeiten jedoch mit Berkeley zusammen, um ein eigenes Radioteleskop zu bauen.“

„Wie suchen Sie dann nach Außerirdischen?“, fragte Kevins Mutter. Sie schien genauso überrascht von dem Fehlen eines Riesen-Teleskops und von Abhör-Einrichtungen, wie Kevin.

„Wir arbeiten mit anderen Instituten zusammen“, erklärte Dr. Levin. „Wir erbeten oder erkaufen Zeit an Teleskopen und Sensoren. Wir arbeiten mit Daten von der NASA. Wir schlagen ihnen Orte vor, die sie sich vielleicht näher betrachten sollen oder die Art von Daten, die sie vielleicht sammeln sollten. Es tut mir leid, ich weiß, es ist nicht so aufregend, wie die Allgemeinheit manchmal glaubt. Hier entlang, bitte kommen Sie mit.“

Sie ging zu einem Büro, das zumindest ein wenig interessanter aussah, als die anderen. Es hatte mehrere Computer, viele der Poster bezogen sich auf das Solarsystem, ein paar Magazine, welche SETIs Arbeit erwähnten und einige Möbel sahen so aus, als wären sie ergonomisch, stilvoll und ungefähr so bequem wie ein Ziegelstein.

„Lass mich dir ein paar Dinge zeigen, an denen wir arbeiten“, sagte Dr. Levin und rief Bilder von großen Teleskop-Arrays auf, die gerade gebaut wurden. „Wir planen die Entwicklung von Radioteleskop-Arrays, die möglicherweise stark genug sind, um Funkfrequenzen aus der Umgebung aufzunehmen, anstatt nur darauf zu warten, dass jemand uns mit einem Signal anvisiert.“

„Aber ich denke, jemand signalisiert uns“, sagte Kevin. Er musste sie dazu bringen, es zu verstehen.

Dr. Levin hielt inne. „Ich wollte dich fragen, ob du dich auf die Theorie einiger Leute beziehst, das hochfrequente Radiobündel von einem Pulsar vielleicht verständliche Signale sind, aber das tust du nicht, oder?“

„Ich habe Dinge gesehen“, sagte Kevin. Er versuchte, das mit den Visionen zu erklären. Er erzählte ihr von der Landschaft, die er gesehen hatte und von dem Countdown.

„Ich verstehe“, sagte Dr. Levin. „Aber ich muss dich etwas fragen, Kevin. Du verstehst, dass SETI daran arbeitet, diese Themen mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen und anerkannte Beweise zu erbringen? Das ist der einzige Weg, um sicher zu sein, dass alles was wir finden, wissenschaftlich belegt und echt ist. Also muss ich dich fragen, Kevin woher weißt du, dass das was du siehst, echt ist?“

Kevin hatte das bereits mit Luna zusammen beantwortet. „Ich habe Zahlen in meiner Vision gesehen. Als ich im Internet nach ihnen gesucht habe, hat sich herausgestellt, dass sie die Position für etwas, was sich das ‚Trappist 1 System‘ nennt, sind.“

„Einer der vielversprechendsten Kandidaten für außerirdisches Leben“, sagte Dr. Levin. „Dennoch, Kevin verstehst du mein Problem? Du hast gesagt, du hast diese Nummern gesehen und ich glaube dir, aber vielleicht hast du sie gesehen, weil du sie irgendwo gelesen hast. Ich kann darauf basierend keine SETIs Ressourcen umleiten und ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt etwas tun könnten, wenn es um das Trappist 1 System geht. Für so etwas bräuchten wir etwas Neues. Etwas, was man nicht auf anderen Wegen auch bekommen kann.“

Kevin merkte, dass sie versuchte, ihn so behutsam wie möglich abzuweisen, aber dennoch tat es weh. Wie konnte er ihnen den Beweis bringen? Dann dachte er darüber nach, was er in der Lobby gesehen hatte. Er hatte das aus einem bestimmten Grund gesehen, oder?

„Ich glaube …“ Er war sich nicht sicher, ob er das sagen sollte oder nicht, aber er wusste, er musste es sagen. „… ich glaube, Sie werden ein Signal von etwas, was sich Pioneer 11 nennt erhalten.“

Dr. Levin sah ihn ein paar Sekunden lang an. „Es tut mir leid Kevin, aber das hört sich nicht sehr wahrscheinlich an.“

Kevin sah seine Mutter die Stirn runzeln. „Was ist Pioneer 11?“

„Es ist eine der Weltraumsonden, die die NASA ins All geschickt hat“, erklärte Dr. Levin. „Sie ist durch unser Solarsystem geflogen, hat Daten zurückgeschickt und hatte ausreichend Geschwindigkeit, um es hinter die Grenzen unseres Solarsystems zu schaffen. Leider war der letzte Kontakt, den wir mit ihr hatten im Jahr 1995, also glaube ich nicht –“

Sie hielt inne, als ihr Handy zu klingeln begann, sie nahm es heraus und wollte den Anruf erst ignorieren. Kevin bemerkte den kurzen Moment, als sie innehielt und darauf starrte.

„Es tut mir leid, ich muss da rangehen“, sagte sie. „Ja, hallo, was ist los? Kann es einen Moment warten, ich bin gerade inmitten … okay, wenn es so dringend ist. Ein Signal? Sie rufen mich an, weil die NASA Daten hereinbekommen hat? Aber die NASA hat immer …“ Sie machte erneut eine Pause und sah ungläubig zu Kevin herüber. Dennoch sagte sie es. „Darf ich raten?“, sagte sie ins Handy. „Sie hatten gerade ein Signal von einer Art Pioneer 11? Wirklich? Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir glauben würden, wenn ich es täte.“