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Ein Leben für die Wiesn

Das ganz persönliche Volksfestglück der Dr. Gabriele Weishäupl


Wie viele Dirndlkleider sie hat? Diese Frage ist Gabi Weishäupl von Journalisten aus aller Welt immer wieder gestellt worden. Geantwortet hat sie einmal klipp und klar: Sie sei als Festleiterin im Einsatz, nicht als Dirndlkönigin.

Es gibt Orte und Ereignisse, da ist Bayern noch schöner, als es jede Tourismusbroschüre anzudeuten vermag. An einem sonnigen Sonntag, Ende September, am Fuße der Bavaria, vereint sich alles, was man typisch bayerisch nennen kann, zu einem großen Bild. Gut 400 Musikanten, traditionell gewandet, bringen sich in Stellung. Im glänzenden Blech ihrer Instrumente spiegeln sich Gamsbärte und Filzhüte. Über den Häuptern grüßt ein überdimensionales Plakat die Gäste im Namen der Wiesn-Wirte. Zahlreiche Menschen strömen zur vorgelagerten Bühne, multikulturell und doch – so glaubt man auf den ersten Blick – sind alle in Lederhosen und Dirndlkleidern gekommen. Als i-Tüpfelchen überdacht der weißblaue Himmel die Szenerie. Da kann einem nur das Herz aufgehen. Was für ein Gefühl muss es erst sein, mitten drin zu stehen.

Jetzt, genau jetzt, richten sich alle Blicke auf sie. Dr. Gabriele Weishäupl hat den Taktstock gehoben. Sind es auch die Musikanten, die in den nächsten Minuten den Kaiserjäger-Marsch gen Theresienwiese erschallen lassen – die Augen tausender Zuschauer, die Augen der Weltpresse liegen in diesem Moment auf der Frau, die inmitten der Bühne alle anderen überstrahlt. Sie trägt ein dunkelgrünes Dirndlkleid, das goldbraune Haar über der Stirn hoch auftoupiert, am Hinterkopf mit einer grünen Schleife zusammengefasst, eine vierreihige Perlenkette um den Hals und eine rote Rose im Mieder. Während die rechte Hand den Dirigentenstock schwingt, geht die linke rhythmisch mit. Federleicht vollzieht Gabriele Weishäupl nun eine Drehung auf hohen Sohlen gen Publikum, schenkt der bunten Masse wie bereits den Musikern ein sonniges Lächeln, begleitet von einer ermunternden Geste zu kollektiver Fröhlichkeit. Niemand ahnt, dass die glücklich Strahlende nur wenige Minuten später in gleicher Kulisse mit den Tränen kämpfen wird. Sie wird die Szene noch Jahre später als schmerzhaften Abschied einer langen, außergewöhnlichen Berufslaufbahn im Gedächtnis haben. Mehr noch: Als das symbolische Ende eines Weges, der ohne Herzblut nicht möglich gewesen wäre.

Es ist das Platzkonzert zum Oktoberfest 2011, bei dem Dr. Gabriele Weishäupl zum letzten Mal den Taktstock schwingt. 27 Jahre, seit der Jubiläumswiesn 1985, hat die gebürtige Passauerin als Fremdenverkehrs- und später Tourismusdirektorin der Landeshauptstadt München auch die Festleitung des Oktoberfests übernommen. Weder vor ihr noch nach ihr gab es jemals eine Frau in vergleichbarer Position. Dass sie bei ihrem Amtsantritt als Fremdenverkehrsdirektorin einst betonte, ihr Augenmerk auf ihre Kernkompetenzen, das internationale Marketing und Public Relations legen zu wollen, wurde von manchem Wiesn-Urgestein von Anfang an argwöhnisch belächelt. „Wart nur, bis du mit dabei bist“, schien es erfahrenen Zeitgenossen auf der Zunge zu liegen.

Wer einmal vom Wiesnfieber gepackt wurde, wird sein Leben lang das Kribbeln spüren, wenn die Landeshauptstadt zum größten Volksfest der Welt rüstet. Dass Gabriele Weishäupl München auf nahezu allen Kontinenten beworben hat, wird manchmal eher beiläufig erwähnt. Ihr Amt war facettenreich, keine Facette aber erlangte von außen so viel Aufmerksamkeit wie das Amt als Wiesn-Chefin.

Ganz erkannt fühlt sich Gabriele Weishäupl nicht, sieht man „nur“ die Wiesn-Chefin in ihr. War doch der Slogan „Munich is more“ (than Octoberfest) ein wesentlicher Ankerpunkt ihrer Werbestrategie. Jahrzehnte später weiß sie ganz genau, dass es die Rolle der Wiesn-Chefin, der Frau in dieser Position, war, die das öffentliche und vor allem das mediale Interesse an ihrer Person begründete. Es war die Rolle, die ihre Stimme so gefragt macht, auch noch Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Als die legendäre Pralinenmanufaktur Elly Seidl Pralinen mit den Gesichtern bekannter Münchner herausbringt, ist auch Weishäupls Porträt auf einer kleinen Köstlichkeit aus Kakaobutter und Nougat abgebildet. Natürlich mit der obligatorischen Hochsteckfrisur und dem angedeuteten Dekolleté über einer Dirndlbluse. Dr. Gabriele Weishäupl, in den Medien meist kurzerhand Gabi Weishäupl genannt, gibt gerne zu: „Die Wiesn war ein Teil meines Lebens.“


Beim Platzkonzert zum Oktoberfest 2011 schwingt Dr. Gabriele Weishäupl zum letzten Mal den Taktstock.

Als Toni Roiderer, Sprecher der Wiesn-Wirte, der scheidenden Festleiterin nach dem letzten Dirigat den Ehrenpreis der Wiesn-Wirte überreicht, scheint die Welt am Fuße der Bavaria stillzustehen. Ein Musikant spielt „s’ist Feierabend“ auf der Trompete. Gabi Weishäupl hält den so eben an sie überreichten Preis, eine in Bronze gegossene Bavaria, tapfer aufrecht in der linken Hand. Mit der rechten drückt sie den großen Blumenstrauß fest an sich. Dass in ihrem Inneren tausend Gefühle arbeiten, eine Enge im Herzen ihr die Kehle zuschnürt – der Betrachter kann es angesichts ihrer um Fassung bemühten Mimik nur erahnen. Als sie die Tränen nicht mehr zurückhalten kann, schwenkt die Fernsehkamera taktvoll ab. Gabi Weishäupl spricht auch Jahre später noch von diesem Moment mit einem kleinen Beben in der Stimme.

Es ist die symbolische letzte Klappe, aber wahrlich nicht das Ende des Films.

Das „Blumen-Gaberl“ aus dem Bayerwald

Gabi Weishäupls Leben begann weder in Reichweite der Theresienwiese, noch hatte in irgendeiner Hinsicht einen Bezug zur Landeshauptstadt oder gar dem Oktoberfest. Sie wurde am 28. Februar 1947 in Passau geboren. Ihr Zuhause lag gut 20 Kilometer nordwestlich der Dreiflüssestadt. Der kleine Ort Aicha vorm Wald hat heute 2460 Einwohner, zu Weishäupls Kindheit war er noch kleiner. Sie selbst hat in einem Schulaufsatz einst ihrem Heimatdorf 500 Einwohner zugeschrieben. In dieser Umgebung wuchs das Mädchen als Tochter des Landarztes Dr. Engelmar Weishäupl und dessen Frau Josefa, geborene Vogl, auf.

Die Vogl-Villa fällt dem Betrachter noch heute direkt ins Auge. Das Gebäude im Jugendstil gehört zu den prominenten und geschichtsträchtigen Häusern des Orts, die rosafarbene Fassade leuchtet dem Besucher beim Passieren der Hofmarkstraße entgegen. Nicht nur da übrigens. Gabi Weishäupl erkennt ihr Elternhaus – das auch das Haus der Großeltern und Urgroßeltern war – bereits, wenn sie von München kommend ins Ohetal einbiegt. Die Vogl-Villa mit ihrem prägnanten Äußeren ragt zwischen den anderen Dächern hervor, als möchte sie die weit gereiste Tochter begrüßen. Gabi Weishäupl wird noch im fortgeschrittenen Alter auf dem Heimweg nach Aicha jedes Mal den Moment herbeisehnen, da sie das Licht im Fenster der Eltern erblickt.


Die geschichtsträchtige Villa Vogl in Aicha ist das Heimathaus von Gabriele Weishäupl.

„Mittlerweile sind beide verstorben. Beim Blick ins Ohetal ist das Haus dunkel.“ Der Abschied von den Eltern, die Endgültigkeit des Todes zu akzeptieren, fällt Gabi Weishäupl, zum Zeitpunkt dieses Gesprächs 71-jährig, nicht leicht. Wenn sie im Salon des Jugendstilhauses sitzt, bei Kerzenlicht Schwarztee trinkt und die Gedanken schweifen lässt, merkt man, dass hier die Erinnerungen kommen – und sei es nur beim Blick auf den Heizkörper, der unter der mit Fresken bemalten Wand fast exotisch wirkt. „Früher gab es hier keine Zentralheizung und es war bitterkalt. Die Leute haben mich immer das Blumen-Gaberl genannt – weil ich beim ersten Sonnenstrahl im Frühling herumgelaufen bin und Gänseblümchen und Buschwindröschen gepflückt habe.“

Man spürt, dass vor ihrem inneren Auge Kindheit und Jugend lebendig werden, die Gabi Weishäupl mit bunten Farben nachzeichnen kann. Die Vogl-Villa war Ort vieler Begegnungen.

Die kleine Gabi ist zwischen Erwachsenen mit unterschiedlichen Schicksalen und Lebensvorstellungen aufgewachsen. In der Nachkriegszeit waren stets einige Zimmer an Flüchtlinge vergeben. Liesl, genannt Li, die Tochter des benachbarten Gastwirts, und Lo (Lotte), die Tochter der Köchin, wurden zu Kindheitsfreundinnen von Gabi Weishäupl. Im Obergeschoss lebten zwei Großtanten, die das Kind häufig unter ihre Fittiche nahmen.

Von ihrem Vater schwärmt Gabi Weishäupl heute noch. Engelmar Weishäupl war ein Landarzt vom alten Schlag, zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Sorgen der Menschen da. Dennoch legte er auch Wert darauf, seinem Kind Zeit zu widmen. Er zeigte dem Mädchen die Sterne, machte Ausflüge mit seiner einzigen Tochter in den Wald, brachte ihr in der eisig kalten Ohe das Schwimmen bei und übte im Winter bei Mondschein mit Gabi auf dem vor Kälte krachenden Eis Schlittschuhlaufen. Körperliche Betätigung schrieb er groß. Im Kinderzimmer montierte er für Gabi Turnringe, ein Reck und eine Schaukel. „Sei ned zimperlich“, verlangte er, wenn sie bei Streifzügen in der Natur Schlangen beobachteten und streichelten.

Dass er seine Tochter niemals in eine Richtung gedrängt hat, beschreibt sie später als Privileg. Ob Engelmar Weishäupl auf ihre Intuition für den richtigen Weg vertraute oder schlichtweg vor ihrem starken Willen kapitulierte? Gabi Weishäupl lacht heute noch über die lapidare Beschreibung, mit der ihr Vater sie einmal charakterisiert hat: „Die Gabi macht immer, was sie will.“ Der Satz beschrieb nicht nur das Wesen der Tochter, sondern in seiner Klarheit auch die Tatsache, dass der Vater Gabis Willen niemals zu brechen versucht hätte.

 

Das Verhältnis zur Mutter sollte hingegen stets ein ambivalentes bleiben. Gabi Weishäupl spricht mit wechselnder Emotion von ihr. „Manche Taktlosigkeit habe ich ihr erst nach ihrem Tod verziehen.“ Versöhnlicher und auch ein wenig nach Dankbarkeit klingt die Formulierung, dass die Beziehung ihr früh half, Resilienz zu entwickeln. Psychologen bezeichnen damit eine besondere Widerstandskraft, die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu überdauern, ohne daran zu Grunde zu gehen. Gabi Weishäupl hat einige davon erlebt.

Das Interesse von Josefa Weishäupl, die mit 27 Jahren Mutter wurde, schien an einem kleinen Kind zunächst nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. „Sie hatte einfach andere Vorlieben“, meint Gabi Weishäupl heute: „Sie fuhr gern zum Einkaufen nach Passau und so was. Ist ins Kino gegangen oder zum Friseur. Im Bayerischen Wald versauern, ein Kind bekochen – das war nicht ihr Ding.“ Gabi Weishäupl macht eine wegwischende Handbewegung, lacht dazu – tempi passati. Viele Dinge erzählt sie jetzt, Jahrzehnte später, als wäre es das Normalste der Welt gewesen. Ihre Mutter sei stets von einem Kreis Bewunderer und etlichen Verehrern umschwärmt gewesen. Mit manchem habe die Mama Mokka trinkend im Salon gesessen.

Gabi Weishäupl erinnert sich offen daran, dass es manchmal schwierig war, als Tochter mit den Lebensvorstellungen der Mutter überfrachtet zu werden. Als Gabi den Kinderschuhen entwuchs, zeigte Josefa Weishäupl mehr Begeisterung an gemeinsamen Unternehmungen. Sie nahm ihre Tochter mit in die Dreiflüssestadt, ging mit ihr zum Friseur und in Boutiquen, staffierte Gabi aus. Legte Wert darauf, dass sie Ballett und Reiten lernte und Tennis spielte. „Es war ihr wichtig, mich für den Zugang zu höheren Gesellschaftsschichten vorzubereiten.“

Dem hat die Tochter letztlich alle Ehre gemacht. „Es kann sein, dass ich lebte, was sie erträumt hat“, sagt Gabi Weishäupl. In einem Film über ihre Lebensgeschichte erinnert sie sich daran, nach dem Tod der Mutter stapelweise Zeitungsausschnitte gefunden zu haben. Augenscheinlich hat sie akribisch gesammelt und aufbewahrt, was über ihre Tochter, die prominente Wiesn-Chefin, geschrieben wurde. „Das sagt mir was“, betont Gabriele Weishäupl. Mit einem bekräftigenden, ausgesöhnten Kopfnicken: „Das sagt mir was.“

Die Klosterschule – ein Ort zum Wachsen

Es mag außergewöhnlich klingen, dass Gabi Weishäupl – Inbegriff der starken, selbstbewussten Persönlichkeit, für das Rampenlicht geboren – sich rückblickend als schüchternes, zurückhaltendes Kind beschreibt. Noch erstaunlicher: Es war ausgerechnet die Gymnasialzeit an der Klosterschule, die sie als Phase der Wendung empfand. Sie besuchte das Internat der Englischen Fräulein im Kloster Niedernburg in Passau, machte dort 1966 Abitur. Entgegen jeglichen Klischees empfand sie das Leben unter der Aufsicht der Nonnen weder einengend noch konservativ, sondern hat einen liberalen Geist in Erinnerung. Dass Bildung, sowohl intellektuell als auch die Herzensbildung betreffend, wesentlich dazu beiträgt, als Frau selbstbewusst und eigenständig das Leben meistern zu können – mit dieser Philosophie haben ihr die Englischen Fräulein den Weg geebnet.

„Ich habe endlich meine Talente in voller Hinsicht erkannt und durfte sie ausleben. Ich wurde dazu ermuntert und gefördert.“ Das hat ihr Selbstvertrauen gegeben.

Bereits in der Grundschule in Aicha bekam die Schülerin für ihre Deutscharbeiten ausschließlich Note Eins. Dass sie in der Freizeit so ziemlich alles las, was die reiche Bibliothek der Vogl-Villa hergab, ließ früh einen großen Sprachschatz und die Liebe zum geschriebenen Wort in ihr heranreifen. Bereits als Leseanfängerin vertiefte sie sich mit Begeisterung in anspruchsvolle Lektüren wie beispielsweise die schönsten Sagen des klassischen Altertums von Gustav Schwab. Sie begann früh, Tagebuch zu schreiben.

In Niedernburg krönte sie ihre Schreibleidenschaft schließlich. Sie schrieb für die Schülerzeitung und war Chefredakteurin der Abi-Zeitschrift. Die Schulleiterin, die Druckerzeugnisse dieser Art sonst immer gegengelesen hat, war völlig ohne Argwohn: „Ich vertraue dir da, Gabi.“

Nicht minder haben die Auftritte vor Publikum dazu beigetragen, dass das Selbstbewusstsein der jungen Gabi erblühte. Noch heute schwärmt sie vom Szenenapplaus, den sie als Zehnjährige in der Rolle der Lilie Ahnungslos im Stück „Der Fischer und seine Frau“ bekommen hat. Oder davon, im Kirchenchor als Solistin mit Gounods Ave Maria geglänzt zu haben. Eine große Musikalität ist ihr immer erhalten geblieben, sie spielt Klavier, Akkordeon und Gitarre. Dass sie mit Darbietungen dieser Art vor allem ihre Eltern in Staunen und Anerkennung versetzt hat, scheint fast der schönste Erfolg gewesen zu sein: „Ich sehe ihre Blicke noch heute vor mir.“

Gabi Weishäupl entwickelte nach und nach die Fähigkeit, Räume beim Betreten zu erobern. Das junge Mädchen war hübsch, begabt und charismatisch. Kein Wunder, dass sich in der Passauer Internatszeit auch bald die Verehrer einstellten. Das erste Verliebtsein ordnet sie heute als Teil der Umstände ein, die zur Persönlichkeitsbildung beigetragen haben.

Größeres Interesse an Liebschaften hat die junge Frau aber in dieser Zeit nicht gezeigt. Eine Bindung mit dauerhafter Verpflichtung erschien ihr wenig verlockend, ließ sich nicht mit ihren Vorstellungen von Beruf und Karriere vereinbaren. Sie schickte jeden Verehrer weg: „Es gab einige davon. Aber ich war nicht auf Heirat aus.“

Noch eine andere Begegnung machte die im Bayerwald Aufgewachsene in Passau, allerdings bereits vor der Schulzeit. Es war eine zukunftsweisende Begegnung, auch wenn niemand davon ahnte. Auf der Maidult spendierten die Eltern dem vierjährigen Gaberl einst eine Fahrt auf dem Pemperlprater. Das legendäre Holzkarussell wurde 1830 vom Schuhmachermeister Engelbert Zirnkilton in Passau gebaut. Es kam auf der Dult zum Einsatz und hatte in der volksfestfreien Zeit lange Jahre an der Innpromenade seine Heimstatt. Heute gilt es als ältestes Karussell der Welt mit Ringelstechen. Als Vierjährige ahnte Gabi Weishäupl noch nicht, dass sie ausgerechnet diesem besonderen Fahrgeschäft Jahrzehnte später einen Platz auf der Theresienwiese geben würde. Mittlerweile hat sich sogar ein Pemperlprater-Verein gegründet, dessen Mitglied sie ist.

Als die Kleine auf eines der Holzpferde gehoben wurde, die Musik erklang, sich das Karussell zu drehen begann, erlebte sie Minuten der Seligkeit. Dass man auf dem Pemperlprater mit einer Ahle in der Hand auch Ringelstechen konnte, verstand sie zu dieser Zeit noch nicht. Sie hob den Arm wie einen Flügel in die Luft und empfand vielleicht bei der Fahrt ein Gefühl, als würde sie sanft schweben. Später nennt sie es ihr „erstes, persönliches Volksfestglück“.

Die frankophile Studentin der 68er

Ihre Premiere als Oktoberfestbesucherin hatte sie erst als Studentin. Nicht im Dirndlkleid, sondern ganz praktisch in Jeans. So wie es zu jener Zeit üblich war. Es begannen die wilden 68er, als Gabi Weishäupl vom Bayerwald in die Welt hinauszog – oder besser: in die Landeshauptstadt. München sollte von da an das Zentrum ihres Lebens werden und immer bleiben.

Frei nach des Vaters Ausspruch „Die Gabi macht immer, was sie will“ durfte sie ihre Studienrichtung entsprechend der persönlichen Neigungen und Lebensträume wählen. Im Herbst 1966 begann sie ein Studium der Kommunikationswissenschaft, der Bayerischen Geschichte und der Politischen Wissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität. Sie spielte mit dem Gedanken, später für das Feuilleton einer Zeitung zu schreiben. Ein wenig machte die Mutter ihren Einfluss auch hier geltend: Dr. Hans Kapfinger, Gründer der Passauer Neuen Presse, legte der jungen Gabi Weishäupl den Gang nach München ans Herz. Erst 1963 war der bekannte Publizist und Kommunikationswissenschaftler Professor Dr. Otto Bernhard Roegele auf den neugegründeten Lehrstuhl für Zeitungswissenschaften berufen worden, damit einher ging die Leitung des Instituts für Zeitungswissenschaften. Roegele, späterer Doktorvater von Gabi Weishäupl, war ein Freund Kapfingers und Kapfinger wiederum ein guter Bekannter von Josefa Weishäupl. Auf Geheiß der Mutter hatte die Tochter bereits als kleines Mädchen für „Onkel Hans“ Ballett vorgetanzt.

In München war der Einfluss der Mutter zum ersten Mal weit weg. Gabi Weishäupl entdeckte die Freiheit für sich. Gemeinsam mit einer Freundin bezog sie eine WG, eine „Wohlstands-WG“, sagt sie später darüber lachend. Ihre Kommilitonin stammte wie sie aus einem wohlhabenden Elternhaus, es mangelte daher nicht an Mitteln, sich das Leben in Schwabing so schön wie möglich zu gestalten. Allabendlich war die WG das Domizil debattierfreudiger Studenten. Stets herrschten Plauderei und fröhliches Feiern. Gabi Weishäupl, die sich rückblickend eine „frankophile Studentin der 68er“ nennt, frönte dabei gerne einem Gläschen Rotwein und einer Gauloise, genoss gute Gespräche und die bewundernde Zuneigung von so manchem Verehrer.

Das gesellschaftliche Klima jener Zeit wurde zunehmend aufgeheizter. Obwohl interessiert an Zeitgeschichte, empfand Gabi Weishäupl die linken Unruhen, die sich auf den Gängen der Universität zusammenbrauten, als belastend. Sie war Studentin einer ganz besonderen Zeit – fühlte sich aber nicht zugehörig zur 68er-Bewegung, grenzte sich ab von den Rufen nach Sit-ins und Teach-ins und damit auch von Kommilitonen wie Brigitte Mohnhaupt, späteres RAF-Mitglied, und anderen bekannten Figuren der linken Szene. Von ihr und vielen anderen berichtet sie heute noch mit spürbarer Abneigung. „Anfangs haben wir nicht begriffen, was da passiert. Wir fanden es amüsant, wenn die Leute mit Palästinenser-Tuch in den Hörsaal stürzten und Ho-Ho-Ho-Chi-Minh riefen. Wir waren aber irgendwann genervt, ständig über Habermas und andere Zeitgenossen zu diskutieren.“ Als indoktrinierend beschreibt Gabi Weishäupl das Verhalten eingefleischter 68er-Studenten: „Ständig kam die Forderung: Wir müssen endlich die Väter stellen. Wofür hätte ich meinen Vater denn stellen sollen?“ Angewidert zeigt sie sich noch heute von den Aktionen der Protestler, die vor Kriminalität und Gewalt nicht zurückscheuten. Einer habe sogar auf den Schreibtisch von Otto Roegele uriniert. Gabi Weishäupl kann damals wie heute nur den Kopf darüber schütteln.

Die Studentin suchte Kontakt zu anderen Kreisen. Das hatte auch mit ihrem beruflichen Ehrgeiz zu tun. Deswegen nahm sie neben der Theorie schon bald Tuchfühlung mit dem beruflichen Alltag einer Journalistin auf. Gabi Weishäupl absolvierte mit 23 Jahren ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk als Radioreporterin. Als jüngstes Redaktionsmitglied kam sie alsbald mit einem Thema in Berührung, das sie später regelmäßig begleitet hat: der Bierpreis auf dem Oktoberfest. Bei einer Pressekonferenz im Bayerischen Hof hielt sie anno 1970 dem damaligen Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel das Mikrofon entgegen und fragte, wie viel die Maß dieses Jahr kosten würde. Die Eltern daheim in Aicha lauschten gespannt dem ersten großen Interview ihrer Tochter, das in der Bayernchronik gesendet wurde.

Kennzeichnend für die junge Gabi Weishäupl: Sie sagte selten Nein. Brauchte jemand Unterstützung, bot jemand eine interessante Tätigkeit an – sie war dabei. „Fürchte dich nicht. Vor keiner Herausforderung“, hat sie sich immer wieder gesagt. Aus einem globalen Interesse heraus und der steten Überzeugung, etwas zu lernen.

So etwa als Hostess bei den Olympischen Spielen 1972. Hier machte sie nicht nur die erste Bekanntschaft mit einem Dirndlgewand als Dienstkleidung, sondern erfuhr auch hautnah ein Thema, das ihr später als Wiesn-Chefin schlaflose Nächte bereitet hat: Wie schafft man auf einer internationalen Großveranstaltung so viel Sicherheit wie nur irgendwie möglich, ohne das Gefühl der Freiheit einzuschränken? Was für die damals 25-Jährige als schönes, buntes Abenteuer begann, endete durch das Olympia-Attentat in einem Blutbad. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, wie sehr das Thema Sicherheit ihren beruflichen Alltag später noch bestimmen würde. Angesichts der Ereignisse um den 11. September 2001 denkt sie zurück an Olympia. 2001 ist das Jahr mit der weit abgeschlagenen geringsten Besucherzahl der Wiesn in Weishäupls Karriere. Dass das Oktoberfest trotz der lähmenden Angst vor einem Anschlag nicht abgesagt wird, empfindet sie als richtig. Genauso wie man damals die Olympischen Spiele nicht der Einschränkung durch den Terrorismus hingegeben hat.