Freiheit

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Freiheit
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Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

Für die Unterstützung des Buchprojekts danken wir:

Gerhard E. Schmid

Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.

Lektorat: Rachel Camina, Hier und Jetzt

Gestaltung: Simone Farner, Naima Schalcher, Zürich

Satz: Benjamin Roffler, Hier und Jetzt

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ulm

ISBN Druckausgabe 978-3-03919-487-2

ISBN E-Book 978-3-03919-955-6

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

© 2019 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden, Schweiz

www.hierundjetzt.ch

Inhalt

Prolog von Laura de Weck

Einleitung

Zwischenruf: Dina Pomeranz

Die Büchse der Libertas – Freiheitliches Denken als Prüfstein für die Politik Karen Horn

Zwischenruf: Jacqueline Fehr

Über den Liberalismus hinaus. Freiheit, das «Gattungswesen» Mensch und ökologische Abhängigkeiten Raul Zelik

Zwischenruf: Andrea Caroni

Freiheit und Wissen. Denis Diderots Höhlengleichnis und die heutige Bildungspolitik Christine Abbt

Zwischenruf: René Scheu

Ambivalenzen der kapitalistischen Ordnung. Zur Aktualität des Freiheitsdenkens von Karl Marx Urs Marti-Brander

Zwischenruf: Laura Zimmermann

Die Freiheit am Ende des fossilen Zeitalters Marcel Hänggi

Zwischenruf: Natascha Wey

Diagnose: Ambivalenz. Freiheit im digitalen Zeitalter Anna Jobin

Zwischenruf: Andri Silberschmidt

Freund oder Feind? Zum Verhältnis von Freiheit und Staat Daniel Binswanger

Zwischenruf: Cédric Wermuth

Migration: Quelle der Freiheit, Labor der Repression Johan Rochel und Stefan Schlegel

Zwischenruf: Andreas Kyriacou

Zur Sonne, zur Freiheit. Über die Notwendigkeit beharrlichen Freiheitsstrebens der Linken Min Li Marti und Jean-Daniel Strub

Zwischenruf: Sibylle Berg

Epilog von Rebekka Wyler

Anmerkungen

Die Autorinnen und Autoren

Prolog von Laura de Weck
Frei sein

Fritz und Vreni sitzen draussen vor einer Beiz.

Vreni: Prost, Fritz, auf die Freiheit!

Fritz: Prost, Vreni, auf unsere Freiheit!

Vreni: Freiheit ist unser höchstes Gut!

Fritz: Ja, unsere Freiheit müssen wir beschützen!

Vreni: Und aufs Blut verteidigen!

Fritz: Auf unsere Freiheit!

Vreni: Prost.

Fritz: Prost.

Vreni: Du, Fritz, ich bin so frei, mir eine Zigarette anzuzünden.

Fritz: Du, Vreni, lieber nicht, jetzt bin ich grad erkältet. Lass uns lieber die frische Luft im Freien geniessen.

Vreni: Ach so …

Fritz: Ja.

Vreni: Du, Fritz … Was meinst du eigentlich mit Freiheit?

Fritz: Ich? Ist doch klar. Frei sein. Immer und überall. Frei von …

Vreni: Nein, Fritz, es heisst nicht «frei von», es heisst «frei zu». Frei zu rauchen, beispielsweise.

Fritz: Von oder zu, das kannst ja legen, wie du willst.

Vreni: Eben. Meinst du die Freiheit zu tun, was man will?

Fritz: Eher die Freiheit, sich zu wehren, wenn jemand tut, was er will.

Vreni: Meinst du auch, der Natur ihre Freiheit zu gewähren?

Fritz: Oder die Freiheit, sich ein Haus zu bauen, wo man möchte?

Vreni: Die Freiheit, nicht dauernd mit irgendwelchen Nachrichten zugeballert zu werden?

Fritz: Oder die Freiheit, jederzeit erreichbar zu sein?

Vreni: Steuerfrei?

Fritz: Oder macht erst die Steuer frei? Wer sonst soll die Strassen bauen und Sicherheit gewährleisten?

Vreni: Ist nur der frei, der in Sicherheit ist?

Fritz: Oder nehmen uns die Sicherheitskontrollen unsere Freiheit?

Vreni: Freiheit durch Menschenrechte?

Fritz: Was wäre eine Demokratie ohne Menschenrechte?

Vreni: Eine Diktatur.

Fritz: Und die freie Marktwirtschaft?

Vreni: Oder die freie Vetterliwirtschaft?

Fritz: Die Freiheit, auch Minderheiten beschimpfen zu dürfen?

Vreni: Oder die Freiheit, als Minderheit geschützt zu werden?

Fritz: Die Freiheit zu fliehen.

Vreni: Und die Freiheit, wo anzukommen.

Fritz: Die freie Liebe?

Vreni: Oder die freie Entscheidung für einen Partner?

Fritz: Sich von der Macht des Gelds zu befreien?

Vreni: Oder Geld als Freiheit?

Fritz: Ist die freie Entscheidung zu einem Familienmodell nur dann gewährleistet, wenn Krippenplätze selbst zu bezahlen sind?

Vreni: Oder kann sich eine Familie erst frei für ein Modell entscheiden, wenn ihr die Krippe frei zur Verfügung steht?

Fritz: Die Freiheit, Mauern zu bauen?

Vreni: Oder die grenzenlose Freiheit?

Fritz: Frei von Verantwortung?

Vreni: Oder macht Freiheit verantwortlich?

Fritz: Ist nur der frei, der von seiner Freiheit Gebrauch macht?

Vreni: Oder ist vor allem der frei, der nichts braucht?

Fritz: Welche Freiheit soll denn nun beschützt werden, Vreni?

Vreni: Meine oder deine?

Einleitung Freiheit: wundersames Tier, Errungen­schaft, Selbst­verständ­lichkeit?
Von Min Li Marti und Jean-Daniel Strub

«Die Freiheit ist ein wundersames Tier», sang der österreichische Liedermacher Georg Danzer 1979 in seinem Lied über einen Zoobesuch. Sperre man sie ein, so lehrt ihn der Zoowärter, sei sie «augenblicklich weg». Dennoch, singt Danzer, hätten manche Menschen «Angst vor ihr. Doch hinter Gitterstäben geht sie ein, denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein.»

Kaum ein Wert steht so zentral für das Erbe der europäischen Aufklärung wie die Freiheit. Kaum einem Attribut menschlicher Existenz wird so hohe Bedeutung zugeschrieben wie ihr. Deshalb beschäftigt auch seit Jahrhunderten kaum ein Thema die politische Theoriebildung und die realpolitische Praxis in ähnlicher Weise. Die Frage, was Freiheit ausmacht und wie sie, dieses «wundersame Tier», für möglichst viele Menschen verwirklicht werden kann, ohne dass man sie einsperrt und damit gleich wieder riskiert, gehört gewiss zu den zentralen Fragen unserer Zeit.

Freiheit stand zwar stets im Mittelpunkt gesellschaftlicher und politischer Kämpfe, die sich als Revolten oder Reformbewegungen gegen etablierte Ordnungen vollzogen. Das Streben nach Freiheit erwies sich dabei immer von Neuem als wirkungsvolle Triebfeder und als Wert, für den Menschen grosse Mühen und hohe Risiken auf sich nahmen. So zeigt gerade die Geschichte des europäischen Kontinents, dass das Verständnis dafür, dass Freiheit immer auch «Freiheit der Andersdenkenden» (Rosa Luxemburg) sein muss, hart erkämpft werden musste – und stets fragil bleibt. Freiheit, so schreibt der Tübinger Philosoph Otfried Höffe, «beflügelt unsere Epoche, die als Moderne ein Zeitalter der Freiheit bleibt». Ein Zeitalter, in dem freie Märkte, die liberale Demokratie und pluralistische Gemeinwesen in unseren Breiten ein Mass an Wohlstand geschaffen haben, wie es nie zuvor existiert hat. Ein Wohlstand freilich, der – ebenso wie die Freiheit selbst – höchst ungleich verteilt bleibt.

Deshalb gewinnt Freiheit in unserer Zeit noch einmal neue Brisanz. Denn anders als früher scheint sie – jedenfalls für uns in der Schweiz – schon fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Vielen Menschen begegnen Freiheit im politischen Sinn, aber auch Freiheit von Not gerade hier als ungefährdete Realität. Auch wenn unser Land den Frauen erst unrühmlich spät Zugang zum politischen Leben gewährt hat, selbst wenn auch heute Einwohnerinnen und Einwohner mangels Bürgerrechts von der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind: Kaum jemand würde die Freiheit grundsätzlich infrage stellen. Auch persönlich und gesellschaftlich sind unsere Freiheiten gewachsen. Man kann sich kaum mehr vorstellen, dass vor vierzig Jahren ein unverheiratetes Paar noch keine gemeinsame Wohnung mieten konnte oder Lehrerinnen und Lehrer wegen ihrer politischen Einstellung mit Berufsverboten belegt wurden. Heute können wir in unseren Breiten unsere Welt- und Lebensentwürfe frei und weitgehend nach unseren Vorstellungen entwickeln, während zugleich die Annahme verbreitet scheint, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis verbleibende, teils gravierende Freiheitseinschränkungen ebenfalls überwunden sein werden. Zu denken ist dabei etwa an die «Ehe für alle» oder zeitgemässe Rahmenbedingungen für eine gleichberechtigte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, aber auch an weiterhin verbreitete Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder körperlicher Einschränkungen.

 

Den säkular-freiheitlichen Gesellschaften unserer Tage gilt Freiheit – verkörpert im Gewand von Autonomie und Selbstbestimmung – also als ein selbstverständliches Wesensmerkmal. In dieser Form des Gemeinwesens scheint das liberale Projekt zu seiner politischen Vervollkommnung gefunden zu haben, und die Freiheit begegnet uns und den Politikerinnen und Politikern unserer Zeit immer seltener als Gut, das im Mittelpunkt des politischen Engagements zu stehen hat.

Dieser Blick auf die Freiheit ist jedoch allzu optimistisch: Weder ist Freiheit so weitgehend verwirklicht, wie es in einer westlichen Mittelschicht den Anschein machen könnte, noch folgt aus jedem Postulieren von Freiheit tatsächlich ihre Realisierung.

Als Beleg für Ersteres genügt ein genauerer Blick auf Lebensumstände im In- und erst recht im Ausland. Er zeigt, dass die Freiheit, die manchen so selbstverständlich scheint, eine Freiheit der wenigen, keinesfalls aber die Freiheit aller ist. Zu ausgeprägt ist die materielle Armut in der Schweiz und anderswo. Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg, Diskriminierung und Willkürherrschaft, aber auch entwürdigende Arbeitsverhältnisse und Perspektivlosigkeit sind vielerorts Alltag. Und es ist inzwischen offensichtlich, dass der Klimawandel an manchen Orten bereits beträchtliche Verwüstungen und Verödungen hinterlässt, die zahllose Menschen schon heute ihrer Freiheiten berauben. Das Versprechen der Freiheit ist universell – ein Leben zu führen, in dem es eingelöst ist, bleibt gleichwohl das Privileg jenes geringen Teils der Weltgemeinschaft, der doch umso eifriger dafür kämpfen müsste, Freiheit für alle statt für wenige Wirklichkeit werden zu lassen.

Zweiteres, dass nämlich im Namen der Freiheit auch allzu oft faktische Unfreiheit vermehrt wird, belegt etwa die Diskussion um das richtige Verhältnis von Sicherheit und Freiheit, die im Anschluss an terroristische Attacken der jüngeren Zeit westliche Staaten immer von Neuem beschäftigt. Mit dem Ziel, die offene Gesellschaft – die eine freie Gesellschaft ist – zu verteidigen, werden im Zug dieser Debatte Freiheiten zur Disposition gestellt, indem etwa Überwachung oder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ermöglicht werden. In dieses Spannungsfeld gehören aber auch politische Systeme, die im Namen der Freiheit autoritäre Machtstrukturen aufbauen oder zementieren. Und es manifestiert sich nicht zuletzt mit Blick auf Bestrebungen, Freiheit zu «exportieren» oder freiheitliche Gesellschaften zu fördern, indem militärisch oder wirtschaftlich interveniert wird, ohne dass dadurch nachhaltig freiere Strukturen entstünden. Schliesslich führen auch Politikansätze, die wirtschaftliche Deregulierung und den Abbau von Umverteilung propagieren, um individuelle Freiheiten zu fördern, letztlich oft zu unfreieren Verhältnissen und ungleicheren Chancen, Freiheitspotenziale realisieren zu können.

Die liberale Demokratie ist für viele Inbegriff eines politischen Systems, das Freiheit und Mitbestimmung, politische Freiheit und gleiche Rechte paradigmatisch verwirklicht. Doch zeigen auch hier zeitgenössische Entwicklungen, dass Liberalismus und Demokratie keinesfalls Zwillinge sind, sondern zueinander in einem fragileren Verhältnis stehen, als uns lieb sein mag. Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe etwa hat jüngst darauf hingewiesen, dass das Konzept der «illiberalen Demokratie», wie es beispielsweise in Ungarn unter Viktor Orbán propagiert wird, kein Widerspruch in sich selbst sei. Vielmehr führe das andauernde Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit, das demokratische Gemeinwesen auszeichne, dazu, dass solche Demokratieformen möglich sind – Mouffe zufolge als Resultat einer Verabsolutierung des liberalen Freiheitsdenkens. Freiheit, so diese Einschätzung, bedarf der gesellschaftlichen Verankerung und des Gefühls, dass sie allen zugutekommt. Zeitgenössischer Zuspruch für den Autoritarismus ist insofern oft auch Skepsis gegenüber dem Liberalismus – und Symptom einer Krise desselben.

So selbstverständlich sie uns scheint, so sehr ist Freiheit heute also ein Grundwert, der an manchen Brennpunkten in Bedrängnis geraten ist. Es ist die Absicht des vorliegenden Bandes, zu fragen, was aus diesem Befund folgt. Wie lässt sich Freiheit vermehren, sichern und gestalten in einer Welt, deren Grenzen dichter werden, deren Ressourcen zur Neige gehen und deren Klima einer menschengemachten Veränderung unterliegt, die den elementaren materiellen Grundlagen von Freiheit überhaupt den Boden zu entziehen droht? Welchen – und nicht zuletzt wie viel – Staat braucht die Freiheit heute? Welche Wirtschaftsordnung kann wahrhaft der Freiheit dienen? Wer gewährleistet, dass Bildung und Wissen als Grundvoraussetzung für die Wahrnehmung von Freiheitsspielräumen allgemein zugänglich bleiben beziehungsweise noch vermehrt zugänglich werden? Wie retten wir die Demokratie, die politische Freiheit für alle erst möglich macht, vor den Auflösungserscheinungen, welche populistische und nationalistische antiliberale Strömungen – auch als Reaktion auf wirtschaftliche Freiheitsexzesse unserer Zeit – in Gang gesetzt haben? Und nicht zuletzt: Wie bleibt die Freiheit erhalten in der digitalisierten Welt von morgen?

Wir haben einige profilierte Stimmen der (Schweizer) Debatte angefragt, sich dieser Brennpunkte anzunehmen, an denen sich die Freiheit und unser Einsatz für sie heute besonders zu bewähren haben. Dies in einer Form, die es erlaubt, die Vielschichtigkeit, die Ambivalenz und das Mitreissende der Freiheit hinreichend zum Ausdruck zu bringen. Dabei steht nicht in erster Linie die philosophische, ökonomische oder ideengeschichtliche Einbettung des Freiheitsdenkens zur Debatte. Hierzu existiert genügend Literatur, was nur verdeutlicht, welch zentraler Rang dem Wert der Freiheit auch im Denken, das unsere Gesellschaft fundiert, zukommt. Die aufgeworfenen Fragen interessieren uns in diesem Band allem voran als politische Fragen, denn sie stehen für drängende Aufgaben, an denen sich die Zukunft der Freiheit entscheiden könnte. Entsprechend versteht sich dieses Buch dezidiert als Beitrag zu einer dringlichen politischen Debatte, und war von Anfang an mit dem Anspruch verknüpft, Stimmen aus der Zivilgesellschaft, dem politischen Journalismus, der Wissenschaft und der aktiven Politik zusammenzubringen, die sich nicht ein- und demselben politischen Milieu zuordnen lassen.

Die neun Hauptbeiträge werden unterbrochen von «Zwischenrufen», die spielerische und ganz persönliche Überlegungen der jeweiligen Autorinnen und Autoren zu einigen wichtigen Themenfeldern rund um den Freiheitsbegriff beinhalten. Für die «Zwischenrufe» genossen die Autorinnen und Autoren im Sinne einer «Carte Blanche» vollumfängliche Freiheit bezüglich Fokus, Gestalt und Form ihres Textes. Alle Beiträge in diesem Buch eint die Faszination für die Freiheit, dieses wundersame Tier, und das kritische Interesse am liberalen Versprechen, dessen Einlösung in vielerlei Hinsicht noch immer in weiter Ferne scheint. Die grosse Bereitschaft aller angefragten Persönlichkeiten, in Form eines Haupttextes oder eines «Zwischenrufs» zu diesem Band beizutragen, hat uns erlaubt, einen breit gefächerten Blick auf aktuelle Fragen rund um die Freiheit zu werfen und, so hoffen wir, blinde Flecken, wie sie die politische Inanspruchnahme des Freiheitsbegriffs oft kennzeichnen, zu vermeiden.

Uns bleibt der Dank an alle, die zum Gelingen dieses Vorhabens beigetragen haben. Dieser geht allem voran natürlich an alle Autorinnen und Autoren, die uns ihre Zeit, ihre Gedanken und ihre in fast allen Fällen originalen Texte zur Verfügung gestellt haben. Bei ihnen allen bedanken wir uns herzlichst für das fast blinde Vertrauen in unser Vorhaben, das wir bewusst nur minimal kuratiert haben und das bei allen Beteiligten den Willen vorausgesetzt hat, die Freiheit, welche wir in inhaltlicher und formaler Hinsicht gewährt haben, im Interesse dieses gemeinsamen Projekts zu nutzen. Zu danken für Vertrauen und Freiheit haben wir ebenfalls dem Verlag Hier und Jetzt, namentlich Denise Schmid, Rachel Camina und Bruno Meier.

«Was meinst du eigentlich mit Freiheit?», fragt Vreni ihren Fritz im Dialog von Laura de Weck, der diesen Band eröffnet. Uns bleibt zu hoffen, dass wir mit dem vorliegenden Buch nicht nur zur vermehrten Debatte über die Freiheit, diesen in Bedrängnis geratenen Grundwert, anregen, sondern dass es Lust macht darauf, uns gerade diese Frage immer wieder zu stellen: «Was meinst du eigentlich mit Freiheit?» Vor allem aber auch: «Was brauchst Du, um wirklich frei zu sein?»

Zwischenruf Dina Pomeranz

Fast nichts hilft einem so sehr, die Wirkung von langsamen, graduellen Veränderungen wahrzunehmen, als wenn man längere Zeit weg ist. Als ich 2016, nach 18 Jahren in der Westschweiz und in den USA, wieder zurück nach Zürich kam, fielen mir sehr viele positive Veränderungen auf, die sich in der Zwischenzeit entwickelt hatten. Im Gegensatz zu meinen alten Freundinnen und Freunden, die diese Veränderungen graduell miterlebt hatten, und sie deshalb für selbstverständlich hielten, erschienen mir die neuen Realitäten als überraschend und beeindruckend. An jeder Ecke begegneten mir Erinnerungen aus meiner Kinder- und Jugendzeit, und der Kontrast zu heute sprang deshalb ins Auge.

Vieles hat sich verändert, aber wenn ich meinen Eindruck in einem Satz zusammenfassen müsste, würde ich sagen: «Mehr Freiheit, sich selbst zu sein.» Zum einen zeigt sich das für mich in der stark gewachsenen Diversität unserer Gesellschaft. Im Vergleich war in der Schweiz meiner Kindheit viel klarer definiert, was ein «normaler» Lebensstil sei und wie man sich zu verhalten habe. Wenn man in diesen Stil gut hineinpasste, mochte das sehr angenehm sein. Für viele Menschen bedeutete es jedoch eine ständige Anpassungsleistung und ein Gefühl, so wie man war, irgendwie nicht ganz dazuzugehören. «Wow, Du bist ja laut für eine Frau!», «Was, Ihr feiert keine Weihnachten zu Hause?», «Peinlich, hast Du gehört, er soll schwul sein.» Solche Sätze fielen oft und schienen normal. Selbstverständlich hören wir auch heute noch solche Stimmen in der Schweiz. Aber die Bandbreite der sichtbar gelebten Lebensformen ist viel grösser geworden. Wir sehen in unserem Alltag Hausfrauen und Firmenchefinnen; verheiratete, unverheiratete und vermehrt auch homosexuelle Eltern; Menschen mit christlicher, jüdischer, muslimischer, buddhistischer oder keiner Religion; Eingewanderte, Urschweizerinnen, Doppel- und Tripelbürger; Politikerinnen und Politiker, von strohblond bis dunkelhäutig. Ich stelle mir vor, dass es heutzutage für junge Menschen ein viel breiteres Spektrum an Vorbildern gibt. Dadurch entsteht eine grössere Freiheit der denkbaren und erträumbaren Zukunft. Mehr Freiheit, uns selbst akzeptiert und zugehörig zu fühlen, so wie wir sind, mit all unseren vielfältigen Facetten.

Den gesellschaftlichen Unterschied zwischen heute und der Zeit, als ich hier aufgewachsen bin, sehe ich in vielen Bereichen. Als Kind war ich als jüdisches Mädchen in der Schule eines von ganz wenigen Kindern einer nicht christlichen religiösen Minderheit. Heute leben in der Stadt Zürich 36 Prozent religionslose, 6 Prozent muslimische und 1 Prozent jüdische Menschen sowie 9 Prozent Menschen anderen Glaubens. Auch in der Geschlechterfrage hat sich vieles getan: Als ich zehn Jahre alt war betrug der Anteil Frauen im Nationalrat nur gerade 11 Prozent. Heute ist diese Zahl auf 31 Prozent gestiegen (obwohl sie im Ständerat wieder auf 13% gesunken ist). Die Diversität und die Freiheit der Lebensgestaltung haben in vielen Dimensionen zugenommen. In meinem Wohnhaus leben Menschen mit mindestens zehn verschiedenen Nationalitäten und in ganz verschiedenen Lebensformen: Familien, Wohngemeinschaften, Singles, Konkubinatspaare. Dieser letztere Begriff ist ja inzwischen fast ausgestorben. Es ist heute schwer vorstellbar, dass das unverheiratete Zusammenwohnen in Zürich noch bis 1972 von Gesetzes wegen verboten war.

 

Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entwicklung durchgemacht. Ein gesellschaftlich relativ starres, homogenes und hierarchisches Land hat sich gewandelt zu einer viel diverseren, freiheitlicheren, kreativeren und weltoffeneren Gemeinschaft. Darauf dürfen wir stolz sein! Wir haben Institutionen entwickelt, die es der neu zugewanderten Bevölkerung erlauben, sich hier relativ schnell und erfolgreich zu integrieren und konstruktiv zum Erfolg der Schweiz beizutragen. Wir tragen gesellschaftliche und politische Konflikte durch unsere direkte Demokratie offen und häufig aus und vermeiden dadurch langsam schwelende Frustrationen und eine Resignation grosser Bevölkerungsteile. Wir verbinden die alten Traditionen der Schweiz – den Föderalismus, die Integration von regionalen und sprachlichen Minderheiten, die direkte Demokratie – produktiv mit den neuen Herausforderungen unserer Zeit.

Diese neue, alte Schweiz, mit ihren tollen alten Institutionen und ihrer neuen Offenheit für verschiedene Identitäten und Lebenswege, war ein wichtiger Grund dafür, dass ich mich nach Jahren in den USA wieder zur Rückkehr in meine alte Heimat entschieden habe. Denn fast nichts hilft einem mehr, sich zu Hause zu fühlen, als die Freiheit, sich selbst sein zu dürfen.