Ohne dich

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Michaela Santowski

Ohne dich

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ohne dich

Leben in einer WG

Chicago

Das erste Date

Zuhause

E-Mail

Wiedersehen

Las Vegas

Zuhause Teil 2

Kennenlernen

Zwischenspiel

Trennung ?

Andre

Trennung !

Liebeskummer

Urlaub

Ende

Ablenkung

Überraschung

Abendessen

Neuanfang

Hochzeit

Urlaub Teil 2

Ende?

Impressum neobooks

Ohne dich

WIDMUNG

Für Karl-Heinz, der schon immer etwas von mir lesen wollte

Weitere Romane:

 Das Schicksal, das dem Menschen zugeteilt ist – Moira

 Schatten und Licht

Erhältlich als e-book oder bei der Autorin unter

www.michaela-santowski.de

sales@michaela-santowski.de

Leben in einer WG

Gott sei Dank. Endlich Feierabend, dachte Bea, während das Flugzeug langsam zum Terminal rollte. Der Airbus war zum Glück nur zu einem Drittel gefüllt, sodass es nicht lange dauerte bis die Passagiere ausgestiegen waren. Bea lächelte noch mal jeden Gast an und wünschte ihm einen angenehmen Abend.

Nachdem der Flieger leer war, nahm sie ihre Sachen, verabschiedete sich von ihren Kollegen und ging in Richtung ihres Autos. Heute war ein ziemlich stressiger Tag gewesen. Sie waren ständig zwischen Frankfurt und München hin und her geflogen, sodass der Kabinenchef zum Schluss selber nicht mehr wusste auf welchem Flughafen er die Passagiere nun durch den Lautsprecher im Flugzeug begrüßen sollte. Bea hatte insgesamt fünfmal die Sicherheitsvorführung machen müssen, da sie die Dienstjüngste in der Crew war. Das Cockpit hatte auf die Schwimmwesten bestanden, da sie über den Bodensee geflogen waren. Bea hatte das erst für einen Scherz gehalten. Doch leider musste sie tatsächlich die Schwimmweste vorführen. Selbst die Passagiere mussten lachen. Aber gegen die Anweisung des Kapitäns konnte niemand etwas sagen, nicht mal der Kabinenchef.

Seufzend ließ Bea sich in ihr Auto fallen und streifte die unbequemen Schuhe ab. Im Auto hatte sie immer ein paar Turnschuhe für den Fall der Fälle. Und das traf heute auf jeden Fall zu, da sie ihre Füße kaum noch spürte. Als sie den zweiten Schuh anzog, klopfte es an die Scheibe. Bea zuckte erschrocken hoch und stieß dabei mit dem Kopf unter das Lenkrad.

Na toll, jetzt auch noch Kopfschmerzen.

„Entschuldigung, wir wollten Sie nicht erschrecken“, kam eine Stimme von draußen. „Wir sind vom Werkschutz und führen heute Kontrollen durch.“

„Kontrollen?“, fragte Bea, während sie ausstieg und sich den schmerzenden Kopf rieb.

„Hat man Ihnen noch nicht von uns berichtet? Wir kontrollieren Ihr Gepäck, ob Sie auch nichts von Bord mitgenommen haben. Sowie Zeitschriften, Schokoriegel, Kaffee und so weiter. Eben nichts, was der Fluggesellschaft gehört.“

„Ach, doch, von Ihnen habe ich schon gehört. Habe es anscheinend verdrängt.“

„Das tun wohl die meisten. Darf ich dann mal einen Blick in Ihr Gepäck werfen?“

Der jüngere der beiden lächelte sie freundlich an, während der ältere eher gelangweilt vor sich hinstarrte. Bea konnte ihn sehr gut verstehen. War bestimmt auch für ihn schon ein langer Tag. Und sie wollte sich nicht ausmalen, wie viele Ausreden sie schon gehört hatten, weil eben doch mal einer eine Zeitschrift eingesteckt hatte. So etwas war durchaus üblich. Zum Glück kam Bea heute vor lauter Stress nicht dazu, den Focus mitzunehmen.

„Ich habe nur eine Handtasche mit. War heute lediglich eine völlig überflüssige Tagestour.“

Der Jüngere lächelte. „Irgendwie freut es mich, dass auch ihr Stewardessen mal schlechte Touren habt.“

„Glauben Sie mir, es ist keineswegs immer nur ein Traumberuf“, entgegnete Bea, während sie nach ihrer Tasche griff.

Der junge Mann öffnete sie, warf kurz einen Blick auf den Inhalt und gab sie ihr zurück.

„Vielen Dank. Es scheint nichts drin zu sein, was nicht drin sein darf.“

„Selbstverständlich nicht“, gab sie gespielt entsetzt zurück. „Wer würde denn auch so was machen?“

„Ja, genau“, entgegnete er grinsend und griff sich grüßend an seine Mütze. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend. Ach ja, echt schicke Schuhe zur Uniform.“

„Sehr witzig. Laufen Sie mal den ganzen Tag auf hochhackigen Schuhen. Dann hätten sie auch bei der ersten Gelegenheit wieder Turnschuhe an.“

Freundlich lächelnd verschwand er, gefolgt von seinem missmutigen Kollegen.

Endlich konnte Bea sich auf den Heimweg machen.

Sie wohnte mit ihren Freundinnen Tanja und Susanne in einem kleineren Vorort von Frankfurt am Main in einem eher ruhigem Viertel. Susanne war ebenfalls Flugbegleiterin, während Tanja Jura studierte und sozusagen das Küken der Wohngemeinschaft war. Zufrieden stellte Bea fest, dass direkt vor ihrer Wohnungstür ein Parkplatz frei war. Endlich mal etwas Glück heute, dachte sie. Jetzt war die ersehnte Dusche nicht mehr weit entfernt. Mit Schwung parkte sie ihren roten VW Polo ein, griff nach ihrer Handtasche und ging in Richtung Wohnungstür.

Grade als sie diese aufschließen wollte, wurde von innen aufgerissen und Tanja rief empört: „Der Typ ist schon wieder da!“

Verdattert blickte Bea sie an. Dann schaltete sie. Es ging um den neuen Freund von Susanne. Sie atmete hörbar genervt ein und entgegnete: „Ich wünsche dir auch einen schönen guten Abend, Tanja. Wie war dein Tag? Meiner war bescheiden, aber danke der Nachfrage. Darf ich jetzt erst mal reinkommen?“

„Schon gut. Tut mir leid. Hallo, Bea“, antwortete Tanja zerknirscht nur um gleich darauf wütend hinzuzufügen: „Der Typ ist schon wieder da.“

„Tanja, ich hatte wirklich einen miesen Tag. Und im Moment interessiert mich erst mal die Dusche. Danach können wir gerne bei einem Radler über Mister Ich-bin-der-Tollste lästern.“

„Gut. Dann gebe ich dir eben fünf Minuten.“

Tanja ging ein Stück zur Seite und Bea konnte endlich die Wohnung betreten. Drei Minuten später stand sie endlich unter der Dusche. Das warme Wasser tat gut. Langsam entspannte sie sich ein wenig, was auch ihre Kopfschmerzen erträglicher machte. Jetzt konnte sie sogar über Tanja schmunzeln. Dieser Typ, wie Tanja ihn sehr zum Ärger von Susanne immer nannte, war seit fast einem Monat der neue Freund von Susanne. Eigentlich hieß er Andy, aber so nannte ihn weder Bea noch Tanja. Er war in Frankfurt beim Bundesgrenzschutz stationiert. Ursprünglich kam er aus Kassel, wo er mit seiner Freundin seit über drei Jahren zusammen lebte. Susanne störte es wenig, dass er eine Freundin hatte. Im Gegenteil sagte sie; so erspare sie sich lästige Verpflichtungen, die mit einer Beziehung einher kämen und könne alles entspannt genießen. Bea tat an der ganzen Sache nur die Freundin leid. Aber das war alleine Andys Problem.

Sie zog sich bequeme Klamotten an und verließ das Bad. Tanja wartete schon mit einem eiskalten Radler auf sie.

„Du siehst tatsächlich ein bisschen müde aus“, stellte sie mitfühlend fest.

„Glaub mir, das bin ich auch“, gab Bea zu und ließ sich erschöpft in einen Stuhl sinken. „Ich bin dauernd zwischen München und Frankfurt hin und her geflogen. Bis auf den letzten Flug war die Maschine ständig voll besetzt. Dann hatten wir noch eine Business-Klasse von mindestens achtzig Passagieren jedes Mal. Du weißt, dass alle vor dem Start noch ihre Zeitschriften haben wollen. Ich bin noch niemals so gehetzt worden. Man gut, dass ich jetzt erst mal zwei Tage frei habe.“

 

„Und dann?“, fragte Tanja neugierig.

„Rufbereitschaft. Ich hoffe nur, dass die mich nicht nochmal wegen so einer Tagestour anrufen. Ich hätte jetzt gerne eine Langstrecke nach San Francisco und dann fertig.“ Rufbereitschaft war bei den Flugbegleiterinnen nicht sonderlich beliebt. Man musste für zehn Tage vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar sein. Im Zeitalter des Handys war es zwar einfacher geworden, da man wenigstens mal einkaufen gehen konnte, um den Kühlschrank aufzufüllen; aber deswegen noch nicht beliebter. Wenn man Glück hatte, bekam man bereits einen Tag vor dem offiziellen Beginn dieser Rufbereitschaft einen Anruf, wie der Dienstplan weiter aussah. Und wenn man noch mehr Glück hatte, bekam man nur einen Langstreckenflug in die Rufbereitschaft und war erlöst.

„Stimmt. Du hast ja in zehn Tagen Urlaub“, stellte Tanja fest und prostete Bea zu.

„Den habe ich mir auch verdient.“ Bea nahm einen großen Schluck von ihrem Radler. „Und ich werde die kompletten vierzehn Tage hier verbringen und nichts tun außer die Füße hochzulegen und zu genießen.“

„Stelle ich mir ziemlich langweilig vor.“

„Du bist ja auch nicht ständig unterwegs. Ich bin froh, wenn ich mal meine eigenen vier Wände sehen kann und nicht dauernd in irgendwelchen Hotels aufwache.“

Tanja grinste. „Das könnte man jetzt aber auch falsch verstehen.“

„Doofe Kuh.“

„Hey, hey, hey, du hättest ja auch studieren können. Dann wärst du froh, wenn du mal aus der Wohnung rauskommen würdest“, warf Tanja ein.

„Vielleicht mache ich das noch. Drei Jahre fliegen reicht langsam.“

In dem Moment hörten sie ein Kichern aus Susannes Zimmer.

Böse guckte Tanja in die Richtung.

„Wann genau will sie eigentlich schlau werden und erkennen, dass der Typ nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Der meint doch tatsächlich, die Welt würde sich um ihn drehen. Sie verschwendet sich doch völlig an ihn.“

Das Kichern wurde lauter.

Neidisch blickte Bea auf die geschlossene Tür. „Wenigstens hat sie Spaß. Das ist sehr viel mehr als man von uns beiden sagen kann. Bis auf ein paar Knutschereien, die, zugegebenermaßen, nicht schlecht waren, habe ich in letzter Zeit keinen Spaß gehabt. Und bei dir ist es ja wohl auch schon länger her.“

Tanja wurde rot. „Stimmt zwar“, entgegnete sie, „aber deswegen würde ich mich nicht mit so einem abgeben. Der baggert ja sogar uns zwei an, wenn Susanne im Bad ist.“

„So ist das eben mit diesen Typen. Die denken, dass jede Frau schwach wird, wenn sie nur Hallo sagen.“

„Eklig.“

„Na ja, wenn man nur Spaß haben will, ist das ne klasse Sache. Der hat jedenfalls genug Erfahrung, um zu wissen, was eine Frau will.“

„Beatrix!“ Tanja blickte sie empört an.

„Was denn?“, erwiderte Bea mit Unschuldsmine. „Ich sage doch nur die Wahrheit. Ich beneide Susi jedenfalls manchmal, auch wenn er menschlich ein Miststück ist.“

„Ich glaube wirklich du brauchst dringend mal ein wenig Abwechslung.“

„Meine Rede. Nur leider bin ich dafür wohl zu wählerisch. Küssen ist die eine Sache aber das Bett zu teilen ist eine ganz andere.“

„Dabei finde ich küssen fast intimer als Sex“, sinnierte Tanja.

Bea zog die Stirn kraus. „Wie soll ich denn das verstehen?“

„Um es mal ganz banal auszudrücken: beim Sex steckt er ihn rein, zieht ihn wieder raus und das war schon mehr oder weniger der ganze Körperkontakt. Ich meine, einen Orgasmus bekommst du ja wohl recht selten bei jemandem, den du gar nicht kennst. Mal ganz abgesehen davon, dass das den meisten Kerlen auch völlig schnuppe ist, solange sie ihren Spaß haben. Aber beim Küssen tauscht du viel intimere Gefühle aus. Die Zungen berühren sich, sein Körper presst sich an deinen, seine Hände berühren dich sanft, du spürst ihn viel intensiver. Du bekommst Schmetterlinge im Bauch und weiche Knie. Dein ganzer Körper fängt an zu kribbeln.“

„Hm - das ist eine ganz neue Perspektive“, gab Bea zu.

„Warum denkst du lässt sich eine Prostituierte nicht küssen? Weil das wesentlich intimer ist als der Sex an sich.“

Bea lachte auf. „Du hast einmal zu oft Pretty Woman geguckt. Wer weiß, ob das mit dem Nicht-Küssen-Lassen überhaupt stimmt. Aber nichts desto trotz hast du irgendwie recht. Wenn ich genauer drüber nachdenke, habe ich tatsächlich nur beim Küssen diese intensiven Gefühle. Beim Sex kamen die erst mit der Zeit, wenn man den anderen besser kannte und wusste, was er mochte.“

„Sag ich ja!“, rief Tanja triumphierend auf. „Hör mal auf mich! Küssen ist viel erotischer.“

„Wer ist erotisch?“ ertönte in dem Moment eine männliche Stimme aus Richtung der Küchentür. Andy war unbemerkt von den beiden in die Küche gekommen und hatte die letzte Äußerung mitbekommen. Tanja verdrehte die Augen und ignorierte Andy.

Bea jedoch wandte sich mit einem aufgesetzten Lächeln um. „Wir führen Frauengespräche“, erklärte sie mit honigsüßer Stimme. „Vielleicht kannst du uns helfen. Tanja meint, Didi Hallervorden sei wesentlich erotischer als Karl Dall. Ich sehe das völlig anders.“ Sie blickte ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag an.

„Ha ha, verarschen kann ich mich alleine“, murmelte er, drehte sich um und verschwand im Bad.

„Müsst ihr euch immer so unmöglich aufführen?“ fragte Susanne, die hinter Andy aufgetaucht war.

„Irgendwie provoziert dieser Typ so ein Verhalten bei uns.“

„Ich mache mich ja auch nicht über eure Freunde lustig. Wartet mal: was für Freunde?“ entgegnete Susanne mit einem Lächeln und nahm einen Schluck aus Beas Glas.

„Problem erkannt, meine Liebe. Wir sind nur neidisch. Und das ist mein Radler“, fügte Bea hinzu und gab ihr einen Klaps auf die Hand.

„Ich hab dich auch lieb“, erwiderte Susanne und verschwand ebenfalls im Bad.

„Die Zwei können anscheinend nicht mal getrennt duschen“, regte Tanja sich auf.

„Jetzt klingst du auch ein wenig neidisch.“

„Aber verrate das ja Susi nicht. Ich werde jetzt noch ein bisschen lernen müssen. Bis später.“

„Und ich werde todmüde ins Bett fallen. Bis morgen.“

Als Bea am nächsten Morgen um halb zehn aufwachte war noch alles ruhig in der Wohnung. Da Andys Auto nicht mehr vor der Tür stand, war er wohl den Abend vorher noch verschwunden. Bea zog sich leise an und ging zum Bäcker, um für sie drei Brötchen zu besorgen. In der Nacht hatte es wieder geschneit. Die Kinder aus dem Nachbarhaus waren schon dabei einen Schneemann zu bauen.

„Morgen, Beatrix“, rief ihr die Mutter der Kinder zu. „Auch mal wieder im Land?“

„Morgen, Silke. Ja, aber ich befürchte, dass ich übermorgen schon wieder weg muss.“

„Vielleicht fliegst du ja in die Sonne. Hier reicht es langsam mit dem Schnee.“

„Wir haben doch erst Januar“, entgegnete Bea lachend.

„Ich sage ja, mir reicht es.“ Silke machte eine genervte Mine.

„Na, da wirst du wohl noch ein wenig aushalten müssen.“

„Ich befürchte, da könntest du recht haben. Manchmal beneide ich dich um deinen Beruf. Mach´s gut.“

„Ja, du auch.“

Beim Bäcker war es nicht voll, sodass sie eine halbe Stunde, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte, wieder zuhause war. Mittlerweile war auch Susanne wach und hatte bereits Kaffee gekocht.

„So mag ich das“, sagte Bea und hielt ihre Nase schnuppernd in die Luft. „Nach Hause kommen und alles riecht nach Kaffee.“

„Werd´s mir merken für die nächsten Tage. Tanja liegt noch in den schönsten Träumen.“

„Dann müssen wir sie wohl wecken. Oder wollen wir die Studentin ausschlafen lassen? Schließlich hat sie ein wirklich hartes Leben“, sagte Bea ironisch.

„Wie kann man nur am frühen Morgen und auf nüchternen Magen so gemein sein?“, fragte Susi gespielt entsetzt.

„Hey, ich habe die Idee mit dem Schneeball doch noch gar nicht laut geäußert.“

„Lass die Kleine schlafen. Setz dich einfach zu mir und gib mir den Kaffee rüber!“

„Auch noch arbeiten. Ich habe doch schon die Brötchen geholt“, entgegnete Bea, während sie nach der Kaffeekanne griff.

„Los, einschenken, Sklave!“ Susanne streckte ihr den Becher hin.

„Und ich habe mich auf meine freien Tage gefreut.“ Seufzend ergab sich Bea ihrem Schicksal und schenkte den Becher voll.

„Apropos“, sagte Susanne, während sie nach einem Brötchen griff, „wohin fliegst du eigentlich als nächstes?“

„Weiß ich noch nicht. Ich habe Rufbereitschaft. Aber ich hoffe auf Sonne, Strand und Cocktails. Und ein paar hübsche Männer wären auch nicht schlecht.“

„Du kannst ja meine Tour nach Südafrika haben. Ich bin irgendwie dauernd in Johannesburg und Kapstadt. Sonne, Strand und Cocktails sind garantiert. Die Männer kann ich dir nicht wirklich garantieren.“

„Beschwerst du dich etwa? Die haben wenigstens noch Sommer. Und du hast vier freie Tage dort.“

„Ja, aber mal woanders hin wäre nicht schlecht.“

„Das Gespräch von zwei Stewardessen, entschuldigt, Flugbegleiterinnen zu belauschen, ist nicht sehr prickelnd für eine arme Studentin, die nicht mal aus der Stadt rauskommt“, hörten sie Tanjas Stimme von der Tür her. Sie lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und zog einen Schmollmund. „Ich gehe lieber duschen. Hoffe, ihr seid mir eurem Gejammer fertig, wenn ich wiederkomme.“

„Guten Morgen, Tanja“, rief Bea ihr hinterher. „Man lauscht ja auch nicht an Türen.“

Sie drehte sich um und streckte den beiden die Zunge raus.

„Wo ist meine Handtasche?“, fragte Susanne verzweifelt und hob zum x-ten Mal dasselbe Sofakissen hoch. „Keiner verlässt die Wohnung bis ich sie gefunden habe.“

„Susi, du machst mich noch ganz verrückt mit deiner Hektik. Deine Handtasche steht in der Küche, wo du sie selber vor einer halben Stunde hingestellt hast, weil du noch irgendwas aus der Küche dort hinein tun wolltest“, entgegnete Bea nun sichtlich genervt und versuchte sich auf ihr Buch zu konzentrieren.

„Ich komme noch zu spät zum Briefing. Und dann kriege ich Ärger.“

Bea verdrehte die Augen. Das war typisch Susanne. Laut sagte sie: „Du bist immer auf den letzten Drücker. Wahrscheinlich wissen das schon längst alle Kapitäne. Die richten ihre Flugbesprechung zeitlich bestimmt schon nach dir.“

„Ha ha, sehr witzig.“

„Das traurige ist, das Bea das bestimmt nicht als Witz meinte“, mischte sich nun auch noch Tanja ein. „Würde mich nicht wundern, wenn in den Notizzetteln der Piloten steht: Achtung, Besprechungsbeginn, wenn sie Susannes roten Fiat in die Parkgarage fahren sehen.“

„Tanja, das war’s. Du hast dir soeben deine Chancen auf das Straußenfilet, das ich dir aus Südafrika mitbringen wollte, verspielt.“ Susi warf Tanja einen finsteren Blick zu, während sie in die Küche ging.

„Ich bringe dir eins mit, wenn ich das nächste Mal hinfliege“, warf Bea lachend ein.

„Haltet nur zusammen“, rief Susanne aus der Küche. „Besser du verlässt dich nicht drauf, Tanja. Unsere Bea fliegt immer nur in die kalten Gegenden. Aber vielleicht kann sie dir ja Kaviar aus Moskau mitbringen.“

Bea schmiss mit ihrem Kissen nach Susanne, die in dem Moment aus der Küchentür trat. Das Klingeln des Telefons verhinderte Schlimmeres.

„Das ist bestimmt der Einsatz, der nachfragt, ob Susanne heute noch erscheint!“, sagte Bea boshaft.

„Großer Gott.“ Susanne warf einen Blick auf die Uhr im Wohnzimmer. „Ich habe wirklich nicht mehr viel Zeit.“

In aller Eile zog sie sich ihren Mantel an, schnappte sich den Koffer und stand schon an der Wohnungstür als sie Bea schimpfen hörte.

„Mist! Das ist echt ein Fluch, der auf mir liegt.“ Bea schmiss ärgerlich den Hörer auf die Gabel.

„Was?“ fragte Susanne schon im Gehen.

„Chicago. Übermorgen. Morgens um 6 muss ich am Flughafen sein. Minus 20 Grad haben die da im Moment.“

„Dir ist schon klar, dass ich mir jetzt ein Geschieht dir recht nicht verkneifen kann.“

„Hau endlich ab! Und denk an das Filet!“

„Bis Sonntag. Und dir viel Spaß in der Kälte.“

Eh Bea ihr das zweite Kissen an den Kopf werfen konnte, schloss Susanne die Tür hinter sich.

Chicago

Zwei Tage später fand sich eine ziemlich mürrische Beatrix auf dem Flughafen ein. Zu allem Überfluss hatte sie den Wecker morgens nicht gehört und verschlafen. Leider schaffte sie es nicht mehr pünktlich zu der Vorbesprechung. Bei dieser Besprechung wurden die einzelnen Positionen im Flugzeug den jeweiligen Stewardessen zugeteilt. Die Dienstälteste durfte sich die erste Position aussuchen, dann die zweitälteste und so weiter. Natürlich waren die Dienstältesten immer in der First Class vertreten, da man dort meist die angenehmeren Passagiere hatte. Trotz ihrer dreijährigen Zugehörigkeit, musste Bea die Position im Flugzeug nehmen, die ihr zugeteilt wurde. Das bedeutete, dass sie an der sogenannten Dreiertür stand. Dort saß man den Passagieren bei Start und Landung quasi direkt gegenüber, während an anderen Türen meist noch Wände dazwischen waren. Man war ihnen sozusagen vollkommen ausgeliefert. Wenn man Glück hatte, waren die zwei gegenüber Morgenmuffel und ließen einen in Ruhe. Wenn man Pech hatte, waren sie genau das nicht und laberten einen so dicht, dass man sich nicht in Ruhe auf den Start konzentrieren konnte. Man konnte den Passagieren allerdings auch schlecht sagen, dass sie einfach mal die Klappe halten sollen. Obwohl Bea schon etliche Male kurz davor gewesen war.

 

Außerdem war die Dreiertür ein Platz, an dem man anscheinend irgendwie unsichtbar wurde. Die einsteigenden Gäste ignorierten einen selbst dann, wenn man freundlich lächelte und ihnen einen guten Morgen wünschte. Und man bekam ständig Mäntel und Jacken um die Ohren gehauen, wenn die Leute sich nach ihren Angehörigen umdrehten, um zu schauen, ob diese ihnen auch folgten. Bea hatte die Theorie, dass keiner damit rechnete, dass eine Flugbegleiterin auch in der Kabine stehen konnte und nicht nur direkt an der Eingangstür oder im Bereich der Bordküche.

Trotz der Tatsache, dass Bea schon mehrere Mäntel ins Gesicht bekommen hatte und niemand ihr Guten Morgen erwiderte, versuchte sie tapfer weiter zu lächeln. Als ein jüngerer Mann ihr seinen Trolley gegen das Schienbein schlug, weil er sich nach seiner Freundin umdrehte, reichte es ihr allerdings.

„Aua. Ein bisschen Rücksicht ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Auch nicht morgens um 8.“

Der Mann ignorierte sie einfach und ging weiter.

„Ich werde schon rausfinden, wo du sitzt und dann gnade dir Gott“, murmelte Bea in sich hinein, während sie ihr schmerzendes Schienbein rieb. Als sie wieder hochschaute, um die Gäste weiter zu begrüßen, blieb ihr das Guten Morgen im Hals stecken. Noch etwa sieben Passagiere von ihr entfernt, erblickte sie einen jungen Mann, der ihr nicht nur auffiel, weil er fast zwei Meter groß war, sondern weil er tatsächlich in ihre Richtung lächelte. Je näher er kam, desto nervöser wurde Bea. Als er kurz vor ihr war, sagte er: „Ich wünsche Ihnen einen Guten Morgen. Und ich verspreche, dass ich meinen Trolley nicht gegen Ihr Schienbein schlagen werde.“

Bea lächelte ihn einfach an.

„Lassen Sie mich vorbei? Ich habe den Platz vor dem Sie stehen“, fragte er höflich.

Immer noch lächelnd trat Bea einen Schritt zur Seite. Es wunderte sie, dass ihre Beine ihr nicht den Dienst versagten. Dieser Mann hatte eine Wirkung auf sie, die sie so noch nie erlebt hatte. Seine Augen waren von einem satten Grün, das Bea an eine Wiese im Sommer erinnerte, kurz bevor es anfing zu regnen. Sein Lächeln würde jeden Hollywoodstar in den Schatten stellen. Trotz seiner Größe hatte er eine sportlich, schlanke Figur, an der auch nicht ein Gramm Fett zu viel war. Die kurzgeschnittenen dunklen Haare waren noch nass, so als käme er direkt aus der Dusche. Wenn sie allerdings nicht bald ihre Sprache wiederfand, würde er sie noch für völlig bescheuert halten. Bea beschloss, sich einfach auf die hereinkommenden Passagiere zu konzentrieren und ihn erst mal zu ignorieren, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Leider war sie sich seiner Nähe ziemlich deutlich bewusst. Auch merkte sie, dass er sie unverhohlen von seinem Platz aus beobachtete. Und ihr wurde auch bewusst, dass sie die Frau vor ihr ziemlich dusselig anlächelte und diese langsam böse wurde.

„Sie sollen mich nicht nur dumm angrinsen, sondern mir sagen, wo ich mein Handgepäck hin räumen kann, wenn das Fach über meinem Platz schon voll ist.“

Anscheinend hatte die Dame sie schon ein paar Mal angesprochen. Bea riss sich zusammen und antwortete: „Entschuldigung. Ich habe nur nachgedacht, wo wir noch Platz haben könnten.“

Klasse, Bea, das war die beknackteste Ausrede, die dir einfallen konnte. Und absolut durchschaubar. Nach einem kurzen Blick auf ihren Traummann sah sie, dass er schmunzelte. Und er hat es auch bemerkt, dachte sie. Ärgerlich über sich selber, wuchtete Bea das reichlich schwere Handgepäck der Dame in ein freies Fach.

„Das ist viel zu weit weg von meinem Platz“, beschwerte sie sich sofort. „Ich muss da oft dran.“

„Tut mir leid. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, entgegnete Bea liebenswürdig. Solche Passagiere liebte sie. Hätte sie es doch einfach als Gepäck aufgegeben und nur eine kleine Tasche als Handgepäck gepackt, hätte sie auch keine Probleme gehabt.

„Und wenn ich es unter meinen Vordersitz schiebe?“

War ja klar, dass so ein Vorschlag noch kommen musste. Mit unendlicher Geduld erklärte Bea: „Dafür ist es leider zu groß. Das ist nicht erlaubt.“

„Also da kann es jedenfalls nicht bleiben.“ Resolut verschränkte die Frau ihre Arme vor der Brust und blickte sie stur an.

„Gut“, gab Bea nach. „Ich komme mit zu ihrem Platz und sehe, ob wir etwas umräumen können.“

„Warten Sie“, sagte Beas Traummann, als sie das Gepäck wieder herunter heben wollte. „Ich helfe ihnen. Das ist bestimmt nicht leicht.“

Und ehe Bea es verhindern konnte, stand er auf und griff nach dem kleinen Koffer. Da es in einem Flugzeug recht eng ist, stand er sehr nah bei ihr. Bea nahm den leichten Duft von Rasierwasser wahr; irgendetwas Zitroniges. Ihr Herz fing wie wild an zu klopfen.

„Bitteschön“, sagte er mit diesem umwerfenden Lächeln.

„Äh-danke“, entgegnete Bea und nahm ihm schnell die Tasche ab. Nicht, dass er noch auf die Idee kam, diese zum Platz der Dame zu bringen. Bea war nämlich recht dankbar dafür einen Moment verschwinden zu können. Sie musste dringend durchatmen und ihre völlig verrücktspielenden Gefühle unter Kontrolle bekommen. Nachdem sie das Handgepäck der Dame direkt über ihrem Platz verstaut hatte, ging sie erst mal in die Küche.

„Hey, was willst du denn hier? Wer bewacht denn jetzt deine Tür?“ fragte ihre Kollegin gespielt streng.

„Leider komme ich im Moment nicht zu meiner Tür, da mir viel zu viele entgegen kommen.“

„Na gut, kann ich gelten lassen. Die Passagiere sind heute mal wieder fürchterlich gelaunt. Na ja, wäre ich wahrscheinlich auch, wenn ich nach Chicago müsste. Dort ist es saukalt. Die haben tatsächlich minus 18 Grad im Moment.“

„Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich friere schon bei dem Gedanken daran. Wenigstens sind wir nur 24 Stunden dort. Und ich werde das Hotel auf gar keinen Fall verlassen.“

Die nächste halbe Stunde waren die Flugbegleiter damit beschäftigt, alles für den Start vorzubereiten und in der Kabine zu überprüfen, ob die Passagiere auch ordnungsgemäß angeschnallt waren. Nachdem der Check durchgeführt worden war, trafen sich alle in der Bordküche, auch Galley genannt.

„Das kann ja ein netter Flug werden. Gott sei Dank beträgt die Flugzeit nur acht Stunden.“

„Du musst dich grade beschweren. Auf deiner Seite sitzen doch kaum Leute.“

„Aber die paar, die dort sitzen, sind fast alle schlecht gelaunt. Manchmal fällt es einem wirklich schwer zu lächeln.“

„So, ihr Lieben“, kam der Purser in die Galley, „auf die Plätze. Es geht gleich los.“

In dem Moment wurde Bea bewusst, dass sie sowohl beim Start als auch bei der Landung dem Traummann genau gegenüber saß. Das kann ja heiter werden, dachte sie und machte sich auf den Weg zu ihrem Sitz.

Vor dem Start musste ein Flugbegleiter in Gedanken noch einmal alle Eventualitäten, die passieren könnten, durchgehen, damit man im Falle eines Falles vorbereitet ist. Bea versuchte verzweifelt sich auf ihren sogenannten thirty-second-review zu konzentrieren. Allerdings gelang ihr das nicht. Angestrengt starrte sie aus dem kleinen Fenster. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass er sie beobachtete.

„Da wir ja jetzt mindestens acht Stunden nebeneinander sitzen, sollten wir uns vielleicht vorstellen. Mein Name ist Hans“, hörte Bea seinen Sitznachbarn zu ihm sagen.

„Hallo, Hans. Ich heiße Patrick.“

Die beiden reichten sich die Hand.

„Und Patrick, was führt dich nach Chicago?“

Jetzt war es endgültig aus mit Beas Konzentration. Sie spitzte die Ohren.

„Ich lebe dort. Ich war geschäftlich in Frankfurt.“

„Dann fliegst du diese Strecke wohl recht häufig?“

„Kann man sagen. Ich bin sehr viel unterwegs. Meistens allerdings in Südamerika.“

Sein Sitznachbar fing daraufhin an über sein Geschäft zu reden. Bea hörte nicht mehr hin. Patrick hieß er also. Und anscheinend war er nicht so häufig in Frankfurt. Er würde jedenfalls kaum über Deutschland fliegen, wenn er nach Südamerika musste. Allerdings war das nicht so schlimm. Schließlich hatte Bea die Möglichkeit ebenfalls nach Südamerika zu fliegen und sich dort mit ihm zu treffen. Stopp, dachte sie entsetzt. Was überlegst du denn da? Das geht jetzt wohl doch ein wenig zu weit.

Mittlerweile waren sie in der Luft und Bea wartete auf das Ausgehen der Anschnallzeichen, damit sie aufstehen konnte, um in der Galley ihren Aperitif-Wagen aufzubauen.

„Wie ist denn das Wetter in Chicago?“, hörte sie eine dunkle Stimme fragen.

Bea schaute hoch. Patrick lächelte sie erwartungsvoll an.

„Minus 18 Grad“, antwortete sie einsilbig.

„Oh je, da wäre ich doch wohl lieber in Frankfurt geblieben. Da hatten wir nur minus fünf Grad. Fliegen Sie gleich wieder zurück?“

„Nein.“ Wieder nur ein Wort.

„Wie lange bleiben Sie denn dort?“

„Vierundzwanzig Stunden.“

„Mache ich Sie irgendwie nervös? Sie sind ziemlich kurz angebunden.“ An der Art, wie Patrick sie ansah, mit diesem spöttischen und doch gleichzeitig lieben Blick, merkte sie, dass die Zweideutigkeit der Frage durchaus gewollt war. Und endlich fand sie zu ihrem alten Selbst zurück.