Velasquita

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Velasquita
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Michael Schenk

Velasquita

Mit zarter Hand und langem Messer

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Andajoz

Kapitel 2 Der Kampf der Cazadores

Kapitel 3 Der Colonello

Kapitel 4 Das versteckte Tal

Kapitel 5 Von Liebe und Seelenheil

Kapitel 6 Unter Besatzung

Kapitel 7 Das Wunder der Eiche von Andajoz

Kapitel 8 Im Blutrausch

Kapitel 9 Flucht durch die Berge

Kapitel 10 Lord Wellington

Kapitel 11 Der kleine Krieg

Kapitel 12 Im Lager der King´s German Legion

Kapitel 13 Ein heimtückischer Überfall

Kapitel 14 Grausames Vergnügen

Kapitel 15 Das Regimienta de San Cristobal

Kapitel 16 Zurück nach Andajoz

Kapitel 17 Das geheime Dokument

Kapitel 18 Ein heimtückischer Mord

Kapitel 19 Im Angesicht des Todes

Kapitel 20 Dem Tod entkommen

Kapitel 21 Die List des Schlächters

Kapitel 22 Der Bär

Kapitel 23 Ein doppeltes Spiel

Kapitel 24 Delfina und Fradique

Kapitel 25 Der Untergang des Regimienta de San Cristobal

Kapitel 26 Velasquita´s Wiedersehen mit Colonello Mellendez

Kapitel 27 Krieger in der Nacht

Kapitel 28 Angriff auf das Castillo

Kapitel 29 Die Bedingung des Schlächters

Kapitel 30 Der Feind erhält Verstärkung

Kapitel 31 Die Rettung von Helene de Chaumer

Kapitel 32 Der Austausch

Kapitel 33 Velasquita´s Entscheidung

Kapitel 34 In den Fängen des Schlächters

Kapitel 35 Heilen oder töten

Kapitel 36 Männer von Ehre

Kapitel 37 Im Tal des Schlächters

Kapitel 38 Rettungsversuch

Kapitel 39 Das Duell der Messer

Kapitel 40 Auf der Suche

Kapitel 41 Entscheidungskampf

Kapitel 42 Eine Übereinkunft der Ehre

Kapitel 43 Nachwort des Verfassers:

Impressum neobooks

Kapitel 1 Andajoz

Es war einer jener kleinen Orte, an dem die Zeit und die Menschen meist achtlos vorüber gingen. Das spanische Andajoz lag nahe der Grenze zu Portugal und wurde an zwei Seiten von Wasser begrenzt. Dem eher bescheidenen Bachlauf des Ogodes, der nur einmal im Jahr durch die Schneeschmelze an Größe und Bedeutung gewann, und dem Fluss Alón. Letzterer hatte zur Gründung von Andajoz geführt, denn hier erhob sich eine alte römische Brücke über das Wasser, bewacht von einer kleinen Burg, dem Castillo.

Das war zu jener Zeit gewesen, als die heidnischen Mauren, um 715 nach der Geburt Des Herrn, ihre Invasion des christlichen Abendlandes begannen und große Teile Spaniens eroberten. Die großen Städte Seiner Allerchristlichsten Majestät, des Königs von Spanien, waren in den Händen der Araber gewesen, doch dank Kastilien und den unwirtlichen Bergregionen war es gelungen, die maurischen Heiden letztlich aufzuhalten. Lange Jahre waren große Teile des Landes von den Arabern unterdrückt worden, bis 1070 die Rückeroberung, die Reconquista, begann und es endlich gelang, die Invasoren um 1170 auch aus der gesegneten Stadt Granada zu vertreiben. Nur wenige Kilometer südlich von Andajoz, in der Schlucht der toten Schädel, hatte sich ein kleines christliches Heer mit einer maurischen Übermacht geschlagen. Dank der Hilfe Gottes und seines Abgesandten Santiago war es gelungen, jene Schlucht mit den toten Leibern der Heiden zu füllen. Nur zu gerne hatten die christlichen Ritter an den danach folgenden Kreuzzügen teilgenommen, um die Schändung des Christentums zu rächen. Doch damit versanken Andajoz und das kleine Castillo wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück.

Der Friedhof von Andajoz zählte mehr Grabstätten als die Gemeinde lebende Seelen. Nur gelegentlich wurde die beschauliche Ruhe durch kleine Handelskarawanen unterbrochen, die zwischen Portugal und den größeren spanischen Städten unterwegs waren.

Bis das Wunder geschah.

Jenes Zeichen, welches Andajoz seitdem einmal im Jahr aus der Bedeutungslosigkeit riss und zum Mittelpunkt des Glaubens und eines Pilgerstroms werden ließ. Das Wunder war eine Eiche. Die einzige Eiche, die sich auf viele Kilometer im Umkreis befand. Eine Eiche, die selbst ein Wunder bewirkt hatte und sich mitten auf dem Dorfplatz von Andajoz erhob. Vor fast Hundert Jahren hatte eine Jungfrau unter dieser einzigartigen Eiche genächtigt und als sie erwachte, da trug sie die Frucht eines Kindes in sich. Diese Jungfrauengeburt gab vielen Frauen aus dem Umkreis die Hoffnung auf eigene Leibesfrucht. Einmal im Jahr pilgerten sie nach Andajoz, um die Eiche zu berühren und um in der Kapelle des Ortes um Kindersegen für ihre Familie zu bitten. Immer wieder wurde das Wunder bestätigt, denn vielen der Frauen wurde die Gnade der Schwangerschaft gewährt.

Natürlich gab es ketzerische Stimmen die behaupteten, es handele sich um keine Wunder. Das Maultier einer Handelskarawane habe den Samen einer Eiche gefressen und auf natürlichem Wege am Standort der Eiche verloren, und die Jungfrau sei viel zu betrunken gewesen, um den Ursprung der Schwangerschaft bestimmen zu können. Doch das waren ketzerische Lügen ungläubiger Menschen, wie der Priester von Andajoz, Pater Umbrio, immer wieder anführte. Auch die Männer von Andajoz glaubten fest an das Wunder. Einmal im Jahr, wenn die Pilgerinnen kamen, taten sie alles, um den Willen Christi zu erfüllen und möglichst viele der Pilgerinnen mit Leibesfrucht zu segnen.

Das Wunder von Andajoz, die Eiche der Fruchtbarkeit, verschaffte dem kleinen Ort die Möglichkeit eines bescheidenen Wohlstandes und einer gewissen, wenn auch regional begrenzten, Bedeutung. Die Menschen von Andajoz waren zufrieden mit ihrem Leben. Sie interessierten sich nicht für Politik und die Vorgänge im fernen Madrid, wo Seine Allerkatholischste Majestät, Ferdinand VII., residierte.

Doch dann, im Jahre des Herrn 1809, begann sich ein Mann für Andajoz zu interessieren, dem es nicht um die Leibesfrucht seiner Gemahlin ging. Dieser Mann war Napoleon Bonaparte, der Kaiser der Franzosen.

*

Von den Bergen im Westen strich ein sanfter Wind heran und ließ über den Feldern kleine Staubwirbel entstehen, die träge zerfaserten. Der Wind brachte kaum Linderung, weder für Mensch noch Tier, und alles Leben in Andajoz schien sich unter der Hitze zu ducken. Es war Mittagszeit und die Bewohner vermieden es, jetzt in der Sonne zu arbeiten. Eigentlich arbeiteten sie ohnehin nur, wenn dies unbedingt erforderlich war. Nicht, dass sie keine fleißigen Menschen gewesen wären, denn schließlich waren sie gute Christen, aber der Herr hatte sicher Verständnis dafür, wenn man bei diesen Temperaturen sparsam mit seinen Kräften umging. Gegen Abend, wenn die Hitze erträglicher war, würde man genug Zeit finden, das restliche Tagwerk zu verrichten. Selbst den Hühnern, die sonst unentwegt nach ihrem Futter pickten, schien es an diesem Tag zu heiß zu sein. So rührte sich, abgesehen von den kleinen Staubwirbeln über den Feldern, nur wenig in dem kleinen Ort Andajoz. Selbst die junge Frau, die auf der Mauer vor der kleinen Kapelle saß, zeigte nur selten eine Regung.

 

Das Haar fiel lang und weich über ihre schmalen Schultern und ihr Gesicht wurde von den großen, ausdrucksstarken Augen dominiert. Sie trug einen langen grauen Rock und eine bauschige weiße Bluse, die über dem Ausschnitt mit einer schmalen Quastenschnur geschlossen war. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein junges Mädchen. Auf den Zweiten offenbarte sich die natürliche Schönheit einer heranwachsenden Frau.

Eigentlich war Velasquita noch keine richtige Frau, zumindest, wenn man den Worten ihres Ziehvaters, des braven Pater Umbrio, Glauben schenkte. Er hatte sie als kleines Kind in den Bergen gefunden und gerade noch rechtzeitig retten können. Der brave Gottesmann nahm das kleine Mädchen zu sich und zog es auf, umsorgte es mit derselben Sorgfalt, die er allen Seelen seiner Gemeinde zuteil werden ließ. Für ihn schien sie immer das kleine Mädchen zu bleiben, obwohl sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte. Vor allem Alejandro machte dies dem Pater nur zu deutlich. Ausgerechnet Alejandro, der Sohn des Bürgermeisters Don Domingo de Vega. In des Paters Brust stritten die Sorge um seine geliebte Ziehtochter und das Verständnis für die Bedürfnisse der Welt. Gott, der Herr, hatte gewiss nichts gegen die Liebe zweier Menschen einzuwenden. Auch Umbrio fand sie Gott gefällig, auch wenn er selbst eines Teils der Liebe entsagen musste. Doch als Stellvertreter des Herrn, auf Spaniens heiligem Boden, musste der gute Pater ein Auge darauf haben, das alles seine christliche Ordnung hatte. Was Pater Umbrio außergewöhnlich beunruhigte, das war die Vertrautheit, die er zunehmend zwischen Velasquita und Alejandro beobachten konnte. Hätte er die Gefühle der hübschen Ziehtochter genauer einschätzen können, so wäre es Umbrio sicherlich schwer gefallen, trotz der Mittagshitze sein Schläfchen zu nehmen. Doch so ruhte Gottes Vertreter in Andajoz und sein Schnarchen wurde allmählich von einem leisen Pochen begleitet, welches sich aus der Ortsmitte näherte.

Velasquita wandte ihr Gesicht dem sich nähernden Geräusch zu und strich unbewusst eine Strähne ihres Haares zur Seite. Von der Mauer, auf der sie saß, konnte sie, die kleine Hauptstrasse entlang, bis zur Ortsmitte mit der großen Plaza sehen, wo sich die Wundereiche erhob. Eine schlanke Gestalt erschien dort, die ein stämmiges braunes Pferd am Zügel führte. Über Velasquita´s Gesicht glitt ein erfreutes Lächeln und sie zupfte an ihrem langen Rock, während sie darauf wartete, dass ihr geliebter Alejandro mit dem Pferd näher kam.

Gott, der Herr oder sein Stellvertreter, der gute Pater Umbrio, mussten ein sehr wachsames Auge auf Velasquita haben, denn als Alejandro endlich heran war, verstummte das Schnarchen Umbrios mit jenem typischen Schnauben, das von seinem Erwachen kündete. Velasquita und Alejandro lächelten sich in stummem Einvernehmen an, berührten sich flüchtig mit den Händen.

„Du hast dir ein ungewöhnliches Reittier ausgesucht“, sagte sie leise und wies auf den Braunen. „Was ist mit deinem schönen Hengst Diavolo? Ist er krank?“

Alejandro blickte kurz zu der kleinen Kapelle und dem noch kleineren Pfarrhaus hinüber. Er war nicht überrascht, den braven Pater am Fenster stehen und freundlich nicken zu sehen. Alejandro winkte ihm einen Gruß zu und wandte sich dann zu Velasquita. „Nein, Diavolo geht es gut. Ich will nicht ausreiten, sondern der armen Frau Marta helfen. Sie will ihr Feld furchen.“

„Jetzt? Zu dieser Jahreszeit?“ Velasquita lachte auf. „Das ist nicht dein Ernst, Alejandro. Die Frühsaat ist längst vorbei und die Spätsaat noch in weiter Ferne.“

„Ich weiß.“ Alejandro zuckte die Schultern und blickte zu den kleinen Häusern am westlichen Rand von Andajoz hinüber. „Ich weiß das ebenso gut wie du, meine geliebte Velasquita. Aber die gute Frau Marta weiß dies nicht. Nicht mehr so genau.“ Er zuckte erneut die Schultern und lächelte dabei entschuldigend. „Du weißt ja, wie sie ist.“

„Ja, ich weiß.“ Velasquita seufzte leise. „Sie ist eine liebe alte Frau, aber schon entsetzlich wirr im Kopf.“

Marta gehörte zu den ältesten Einwohnern von Andajoz und selbst Marta wusste nicht genau zu sagen, wie alt sie überhaupt war. Pater Umbrio hatte einmal behauptet, die gute Marta habe sicher noch persönlich ein paar jener braven Ritter gekannt, welche die Mauren vom heiligen Boden Spaniens vertrieben, aber Velasquita hatte bemerkt, dass er dabei lächelte und sich bekreuzigte, und so nahm sie diese Bemerkung nicht sehr ernst. Aber unbestreitbar war Marta sehr, sehr alt und ebenso unbestreitbar ein wenig wirr im Kopf. An manchen Tagen schien sie völlig normal, an anderen suchte sie nach ihrem braven Mann Alvaro, der doch schon vor so vielen Jahren verstorben war. Sie alle versuchten Marta zu helfen und ertrugen auch ihre merkwürdigen Launen, denn sie war eine wahrhaft gute Seele.

Alejandro hielt den stämmigen Braunen am Zügel und strich über dessen Flanke. „Sie macht sich halt Sorgen um ihr Feld. Meint, es sei an der Zeit, es zu bestellen. Du kennst sie ja.“

„Aye, ich kenne sie“, versicherte Velasquita. „Aber willst du dich deswegen bei dieser Hitze schinden?“

„Du weißt, wie sie sich sorgen würde, wenn man sich nicht um das Feld kümmert.“

Velasquita nickte und ergriff Alejandro´s Hand. „Ich weiß. Dann lass mich dir helfen.“

Der Sohn des Bürgermeisters grinste fröhlich. „Nach ein paar Stunden weiß die gute Marta ohnehin nicht mehr, was wir auf ihrem Acker machen. Dann können wir aufhören.“ Er blickte über den Rücken des Braunen hinweg zum Pfarrhaus und sah Pater Umbrio noch immer am Fenster stehen. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, Velasquita spielerisch zu zwicken. „Dann können wir uns um den Braunen kümmern und um ein paar andere Dinge.“

„Andere Dinge?“ Sie wusste, was er meinte, ging jedoch auf sein Spiel ein. „Was denn für andere Dinge?“

„Viel angenehmere Dinge“, versicherte Alejandro. „Und viel weichere Dinge, als der harte Ackerboden.“

Er starrte unverhohlen auf Velasquita´s Bluse und sie drohte ihm schelmisch mit dem Finger. „Ich glaube, du solltest dich jetzt wirklich um Marta´s Acker kümmern, Alejandro de Vega. Das wird dich auf christlichere Gedanken bringen.“

Alejandro nahm die Zügel des Braunen etwas fester. „Was ist unchristlich an der Liebe, meine geliebte Velasquita? Hätte Gott etwas gegen die Liebe gehabt, dann hätte Er sie uns nicht geschenkt.“

Velasquita stemmte die Hände in ihre Hüften und sah ihn spöttisch an. „Irgendetwas sagt mir, dass du das anders meinst, als mein guter Pater Umbrio.“

Alejandro´s Lächeln wurde noch breiter, als er seine geliebte Velasquita an seine Seite zog und dem Braunen einen schnalzenden Laut zuwarf. Er verzichtete auf eine Erwiderung und die war auch nicht nötig. Schon oft hatten Velasquita und er sich heimlich getroffen und behutsam begonnen, einander zu erkunden. Für sie beide war dies ein aufregendes und neues Spiel, bei dem ihre Herzen gleichermaßen vor Liebe und Leidenschaft heftig pochten. Dennoch hatte Velasquita sich ihm noch nicht ganz hingegeben und Alejandro verspürte gerade deswegen immer deutlicher, wie sehr er sie begehrte. Aber er bemühte sich, seine Leidenschaft zu bezwingen und Velasquita nicht zu bedrängen.

„Wir sollten das Feld der guten Frau Marta furchen und sehen, dass wir und der Braune bald wieder Ruhe und Schatten finden“, sagte er leise und blickte zu dem kleinen Feld der alten Frau, das sich zwischen dem Friedhof von Andajoz und dem kleinen Bachlauf des Ogodes erstreckte.

Der Boden des Tals von Andajoz war guter Boden. Er war fruchtbar und die Wasser von Ogodes und Alón erlaubten gute Ernten. Die Bewohner hatten ein Bewässerungssystem aus kleinen Furchen angelegt. Wenn es zu heiß und trocken wurde, und der Regen zu lange ausblieb, führte der Ogodes immer noch genug Wasser, um es mit Eimern zu schöpfen und durch die Furchen fließen zu lassen. Sicherlich eine mühselige Arbeit, die man sich hätte ersparen können, wenn man, wie Pater Umbrio geraten hatte, einen verschließbaren Durchbruch geschaffen hätte. Doch den Durchbruch zu graben war Männerarbeit, und das Schöpfen des Wassers die der Frauen, und so blieb es beim Schöpfen.

Am Rand des kleinen Feldes von Marta stand bereits der Pflug, den Gonzo, der Stallbesitzer, am frühen Morgen heraus gebracht hatte. Bis vor einigen Jahren hatte man in Andajoz noch die alten Hakenpflüge benutzt, bei denen sich Mensch und Tier gleichermaßen ins Geschirr warfen, um die eisenverstärkte Pflugschar durch den Boden zu ziehen. Es war eine mühselige Arbeit gewesen, bis Gonzo, nach einem Besuch in Salamanca, den neuen Pflug mitgebracht hatte.

Vorne hatte er zwei metallbereifte Räder, von deren Achse ein langer Balken nach hinten führte. Aus der Mitte des Balkens ragte ein Eisen nach unten, welches den Boden aufriss. Hinten befand sich unter dem Balken eine Konstruktion, die von der Seite ein wenig an ein eckiges „U“ erinnerte. Die untere Seite des U bestand aus einem nach vorne ragenden, spitzen Brett, die den aufgerissenen Boden anhob und den aufgelockerten Boden durch ein zweites Brett zu einer Seite strich.

„Du kannst mir beim Anspannen helfen und den Braunen dann führen“, sagte Alejandro und dirigierte das kräftige Pferd vor den Pflug. „Dann kann ich das Furchen übernehmen.“

„Das Feld ist trocken und der Boden hart.“ Velasquita klopfte dem Braunen an den Hals und half Alejandro, das Geschirr anzulegen und die Riemen fest zu schnallen. „Das ist zu viel für den Braunen.“

„Aye, du hast Recht, aber wir kratzen nur ein wenig an der Oberfläche. Damit die gute Marta beruhigt ist.“

Von den Bergen war ein leiser, nachhallender Knall zu hören. Velasquita hob lauschend den Kopf und Alejandro seufzte. „Mein Vater“, sagte er lakonisch. „Er ist früh hinaus geritten, um zu jagen.“

„Viel wird er nicht finden.“ Velasquita schob eine Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück.

„Irgendetwas findet er immer“, erwiderte Alejandro lakonisch. „Und er ist ein guter Schütze.“

„Ich glaube, er mag mich nicht.“

„Natürlich mag er dich“, sagte Alejandro entschieden.

„Vielleicht.“ Velasquita zögerte. „Aber er mag es nicht, wenn wir zusammen sind.“

Alejandro grinste. „Aber ich mag es, wenn wir zusammen sind.“

Velasquita erwiderte sein Lächeln. „Komm, lass uns etwas für Martas Seelenfrieden tun, dann finden wir auch Zeit für uns.“

Dem war nichts hinzuzufügen.

Es war eine wirkliche Schinderei in der Gluthitze des Tages und nach kaum einer Stunde empfanden sie, dass Martas Ansprüchen nun Genüge getan sei. Erleichtert führten sie den Braunen mit dem Pflug vom Feld, erreichten den Stall, der zu Gonzo´s Hotel gehörte und versorgten zunächst den Braunen, bevor sie sich angenehmeren Dingen zuwandten.

Alejandro´s Berührungen erinnerten Velasquita an den sanften Wind, der zuvor von den südwestlichen Hängen Andajoz erreichte und der in der Hitze des Tages einen Hauch von Linderung brachte. Alejandro´s Berührungen brachten jedoch keine Linderung, sondern Verlangen, und trotz der drückenden Hitze, die selbst hier, im Stall des kleinen Hotels herrschte, fühlte sie sich außerstande, sich den gleitenden Fingerspitzen und Lippen zu entziehen.

„Wir sollten aufhören, Alejandro“, seufzte sie widerstrebend. „Es ist nicht gut, was wir tun.“

Er zupfte mit den Zähnen an der Brustverschnürung ihrer Bluse und lächelte dabei mit seinen Lippen. Ein wölfisch wirkendes Lächeln, welches durch den Ausdruck seiner braunen Augen gemildert wurde.

„Du kannst später bei Pater Umbrio zwölf Ave-Maria beten“, flüsterte er undeutlich und knurrte erleichtert, als sich die Verschnürung endlich löste.

„Wenigstens Zwanzig“, ächzte Velasquita, als sie spürte, wie sich das Kleidungsstück lockerte und Alejandro´s warmer Atem ihre Brüste umschmeichelte. „Doch das meine ich nicht.“

Sie schob ihre Hände zwischen seinen Kopf und ihre Blößen und bedeckte sie. „Du weißt genau, was ich meine.“

„Ja, ja, ich weiß.“ Er biss ihr spielerisch in einen Finger und Velasquita musste gegen ihren Willen lachen. „Du willst eine ehrbare Frau sein.“

 

„Was spricht dagegen, wenn wir heiraten? Pater Umbrio hat bei meiner letzten Beichte auch gesagt, ich solle mich nicht der Sünde hingeben.“

Alejandro seufzte. „Pater Umbrio kann dies leicht sagen. Seine Freuden sind auf ein üppiges Mahl und auf den Messwein beschränkt.“

Jesus Christus, wenn seine Hände und Lippen nur nicht so sanft gewesen wären. Velasquita fühlte, wie salziger Schweiß auf ihrer Haut perlte und Alejandro´s Zunge jede dieser Perlen zu liebkosen schien.

„Du weißt, wie sehr ich dich liebe und begehre“, murmelte er und seine Zunge glitt ihren Hals hinauf, umspielte ihr Ohrläppchen. „Wenn es wirklich Sünde wäre, würde Gott der Herr es schon verhindern.“

„Du versündigst dich.“ Velasquita bog ihren Kopf in den Nacken, ein paar Strohhalme piekten sie und sie schüttelte ihre schwarzen Locken.

„Gehet hin, seid fruchtbar und mehret euch“, flüsterte Alejandro lockend und seine Lippen glitten tiefer. Seine Zunge tauchte zwischen die lockenden Wölbungen von Velasquita´s Brüsten.

„Im heiligen Stand der Ehe“, ächzte sie und drückte halbherzig gegen ihn, aber sie spürte, dass sie ihm nicht lange widerstehen konnte. Zu lange schon warteten sie beide darauf, sich einander richtig hinzugeben, doch bislang war Velasquita immer vor dem entscheidenden Schritt zurückgeschreckt. Sie führte eher unbewusst ihre schmale Hand tiefer, berührte unmerklich die große Beule, die sich in Alejandro´s Hose abzeichnete und sie hörte, wie er tief Atem holte. Ihre Blicke trafen sich, während seine Lippen eine ihrer Brustwarzen fanden und liebkosten.

„Lass uns die Freude der Liebe genießen“, ächzte er lustvoll. „Daran ist nichts Falsches.“

„Wenn die Liebe nur der Lust dient, dann schon“, erwiderte sie leise.

„Ah“, Alejandro lächelte. „Ich habe nichts gegen ein Kind einzuwenden.“

Velasquita fühlte, wie ihr Widerstand nachgab, trotz der eindringlichen Worte Pater Umbrios.

„Dann lass uns zu Pater Umbrio gehen“, ächzte sie. „Er kann uns schon morgen vor Gott dem Herrn zusammenführen.“

„Ich kann uns schon heute zusammenführen.“

Seine Hand schob sich an den Saum ihres Rockes, glitt darunter, immer höher und Velasquita´s Atem wurde schwer. Gott war ihr Zeuge, wie sehr sie ihren Alejandro begehrte und doch empfand sie Unbehagen darüber, was wohl geschehen mochte, wenn sie ihrem und seinem Begehren nachgab und es vielleicht Folgen hatte. Wenn sie einen dicken Bauch bekam, dann würden die Menschen von Andajoz dies sicher nicht dem Wunder der Eiche zuschreiben, dazu war ihrer beider Liebe zu bekannt. Besonders Pater Umbrio und der Alcalde würden nicht glücklich sein.

Pater Umbrio war immer gut zu ihr gewesen und sorgte für sie, so wie er für die Seelen seiner Gemeinde sorgte. Dem gottesfürchtigen Pater würde es nicht gefallen, wenn Velasquita ihre Ehre verlor, selbst wenn die Gemeinde von Andajoz dadurch wuchs.

Alejandro hingegen war der Sohn des Alcalden, des Bürgermeisters von Andajoz, und Don de Vega war ein ebenso vermögender wie gestrenger und, wie es sich für einen guten Spanier gebührte, gottesfürchtiger Mann. Er empfand eine Bindung seines einzigen Sohnes, mit der ebenso hübschen wie mittellosen Velasquita, als nicht akzeptabel.

Alejandro´s Hand erreichte endlich jenes entscheidende Stück Stoff, das für ihn, in diesem Augenblick, die Pforte zum Himmel schien. Er war gleichermaßen erfüllt von Verlangen und Liebe, zumal Velasquita´s Hand die entscheidende Lücke in seiner Hose fand und ihre Finger sich einem sehr erregten Stück Alejandro näherten.

So hätte Velasquita sich nun vielleicht doch der eigenen Liebe und Lust hingegeben, allen Ermahnungen Pater Umbrios und ihres Glaubens zum Trotz, wenn sich in diesem Augenblick nicht, vernehmlich knarrend, die Tür des Stalls geöffnet hätte, und greller Lichtschein auf das liebende Paar gefallen wäre.

Alejandro grunzte enttäuscht und Velasquita stieß einen erschrockenen Schrei aus, als eine dunkle Gestalt in der Tür erschien, von hinten von Sonnenlicht angestrahlt, als handele es sich um den Boten Gottes persönlich. Vielleicht war es auch so, dass der Herr in seiner Gnade Velasquita gerade noch rechtzeitig auf ihre Tugend aufmerksam machte, auch wenn er dazu den stämmigen Gonzo gesandt hatte. Gonzo, den Besitzer des Hotels, zu dem der Stall gehörte, und der Velasquita und Alejandro sichtlich überrascht ansah.

Gonzo lächelte verständnisvoll, während Velasquita hastig ihre Blößen bedeckte und Alejandro versuchte, seine schrumpfende Männlichkeit mit einer gewissen Würde in die Hose zurückzuführen. „Du solltest die Kraft deiner Lenden etwas schonen, mein lieber Alejandro“, sagte der Hotelbesitzer freundlich. „Du wirst sie bald benötigen, denn in einer Woche beginnen die Pilgerinnen ihre Fürbitten um den Segen eines Kindes.“

Gonzo war höflich genug Velasquita zu ignorieren und so ihre Tugendhaftigkeit nicht in Frage zu stellen. Leider war Gonzo auch gläubig genug, um den Vorfall am Sonntag Pater Umbrio zu beichten. Velasquita wusste, dass ihr Ziehvater ihr wohl mehr als einige Ave-Maria auferlegen würde.

Der stämmige Gonzo führte ein Pferd in den Stall und man erkannte sofort, dass es keines der Tiere aus Andajoz war. Das Pferd trug eine rote Satteldecke mit grüner Einfassung. Mantel und Decke waren an den Sattel geschnallt und aus zwei braunen Sattelholstern ragten die Griffe zweier langläufiger Reiterpistolen. Das Pferd war staubig und verschwitzt, und Gonzo führte es zu einer der leeren Boxen, um es abzusatteln und abzureiben.

„Ich frage mich wirklich, wo Jorge steckt“, knurrte Gonzo mussmutig und lockerte den Bauchgurt des Sattels. „Der faule Lümmel wird jetzt bestimmt beim Alcalden herumlungern, um zu sehen, was der Bote für Nachricht bringt.“

„Ein Bote?“ Alejandro hatte glücklich seine Hose verschlossen. „Was für ein Bote?“

„Hatte ich das nicht gesagt?“ Gonzo runzelte die Stirn. „Ein Offizier der Armee Seiner Allerkatholischsten Majestät, Ferdinand VII. Kommt wohl von Badajoz herüber.“

Badajoz war eine gewaltige Festung an der Grenze Spaniens zum Nachbarn Portugal. Unter der Herrschaft der Araber hatte die Stadt noch Baled-Aix oder Baxangos geheißen, bis sie, während der Rückeroberung im Jahre 1169, ihren Namen Badajoz zurückerhielt und nun wieder der „Schlüssel Portugals“ war. Es war die Hauptstadt der Provinz Estremadura, zu der auch Andajoz gehörte. Badajoz war weit genug entfernt, so dass ein Mann schon einen triftigen Grund benötigte, um von der dortigen Garnison nach Andajoz zu reiten und dabei sein Pferd auf solche Weise anzutreiben.

Gonzo blickte über den Rücken des Pferdes zu Alejandro und Velasquita. „Ist kein Teniente. Auch kein Capitan. Ein echter Colonello. Es muss wichtig sein, wenn ein solcher Mann zu uns herüber kommt.“ Gonzo zuckte die Schultern und lächelte dann. „Es sei denn, er erbittet den Segen der Fruchtbarkeit für sein Weib. Was natürlich auch sehr wichtig sein mag.“

Kein einfacher Leutnant, kein Hauptmann, nein, ein echter Oberst, der Kommandeur eines Regiments, war nach Andajoz gekommen. Velasquita glaubte nicht, dass ein so wichtiger Mann den weiten Weg auf sich nahm, nur um für die Füllung des Bauches seiner Frau zu beten. Hinter diesem Besuch steckte weit mehr. Ihr fiel auf, dass Gonzo den Sattel des Pferdes nicht abnahm. „Will der Colonello heute noch weiter?“

Gonzo nahm Stroh auf und rieb das Pferd ab. „Wer weiß? Er ist sicher ein wichtiger Mann, dieser Colonello. Sitzt jetzt beim Alcalden und man hat sogar Sargente Ruiz aus dem Castillo gerufen.“

Velasquita stieß Alejandro auffordernd in die Rippen. „Wir sollten uns das ansehen, Alejandro. Wenn man den Feldwebel Ruiz als Kommandeur des Castillo ruft, dann ist etwas Wichtiges los. Du bist der Sohn des Alcalden, da werden wir doch schon etwas erfahren.“

Velasquita ergriff den Ärmel von Alejandro´s weitem Leinenhemd und zog ihn mit sich zur Tür des Stalls. Gonzo nickte verständnisvoll. „Wenn ihr Jorge, den faulen Lümmel, seht, dann schickt ihn zu mir. Ah, der Junge hat nichts als Unsinn im Kopf, sage ich euch.“

Gonzo begann zu lamentieren, während er das Pferd versorgte, aber Velasquita und ihr Alejandro achteten nicht darauf. Für einen Augenblick schlossen sie geblendet die Augen, als sie in das grelle Sonnenlicht hinaus traten. Der staubige Boden von Andajoz und die weiß getünchten Wände der Gebäude reflektierten das Licht auf unangenehme Weise, doch ihre Augen gewöhnten sich rasch daran. Velasquita zog ihren Geliebten mit sich, hinter dem Stall hervor an dem kleinen Hotel vorbei.

Das Hotel von Andajoz war eigentlich kaum mehr als eine kleine Herberge, denn das Jahr über verirrten sich nur wenige Reisende hierher. Es war ein zweigeschossiger Bau im typischen kalkigen Weiß Spaniens. Ein mehrere Meter breiter Vorbau, der sich über die ganze Länge des Gebäudes erstreckte, ruhte auf acht gemauerten Säulen. Alle Häuser in Andajoz waren getüncht und schon dies verriet einen gewissen Wohlstand, denn in vielen Dörfern des Landes blieben die Wände der Gebäude aus Armut unbehandelt. Im Schatten des Vorbaus standen ein paar Tische und Bänke, abends vom trüben Licht zweier Öllampen mäßig erhellt. Vom Vorbau trat man in den überraschend großen Vorraum, in dem der ebenfalls gemauerte und mit einer massigen Holzplatte bedeckte Tresen des Empfangs stand. Die Größe des Raumes war darin begründet, dass er früher der Familie Gonzos als Wohnraum gedient hatte. Direkt daneben befanden sich die kleine Küche und die Schlafkammer, die Gonzo früher mit seiner verstorbenen Frau geteilt hatte. Nun betrieb er das Hotel gemeinsam mit seiner Schwester, die ihre Kammer im Obergeschoss besaß. Dort verfügte auch Gonzos 12-jähriger Sohn Jorge über einen winzigen Raum.

Niemand hätte die sehr umfangreiche Juana als attraktiv bezeichnen mögen, zumal sie stets in ein düster wirkendes schwarzes Kleid gehüllt war, doch jeder musste ihr freundliches Wesen anerkennen. Sie kümmerte sich rührend um die Gäste und den jungen Jorge. Jorge, der immer wieder unter dem Temperament seines Vaters zu leiden hatte und der diesem oft im Hotel aushelfen musste, wo er doch lieber mit den anderen Kindern gespielt hätte.

Hinter dem „alten“ Haus hatte der rührige Gonzo sein Hotel errichtet. Das Erdgeschoss war ebenfalls aus gebranntem Lehm und Ziegeln errichtet, und wies fünf größere Kammern auf, die das ganze Jahr als Herberge hergerichtet waren. Sie besaßen richtige Bettstätten mit Rahmen und strohgefüllten Matratzen, einen Schrank oder wenigstens eine stabile Kleiderkiste, einen Tisch und Stuhl und, über der Bettstatt, Spanien war ja ein gläubiges Land, ein Kruzifix, welches böse Geister und schlechte Träume fernhielt. Diese Zimmer dienten, während der Wallfahrt der Pilgerinnen, den vornehmeren Damen als Unterkunft. Ihnen stand auf besonderen Wunsch auch die Sitzwanne der Familie zur Verfügung, und Jorge war dafür zuständig, die Matratzen mit frischem Stroh und die Wanne mit heißem Wasser zu versehen.