Kochen

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»Das Braten ist zugleich nichts und alles.«



MARQUIS DE CUSSY,

L’art culinaire



»Als man sich gegenseitig auffraß und es viel Schlimmes gab, da trat ein Mann auf mit Erfindergeist und schlachtete als erster Mensch ein Tier als Opfer, briet das Fleisch, und weil es weitaus besser schmeckte als das Menschenfleisch, verzehrten sie sich nicht mehr gegenseitig …«



ATHENAIOS,

Das Gelehrtenmahl



»Denn diese Kunst, sie ist ein Königreich von Rauch.«



DEMETRIUS,

Der Areopagit





I.

AYDEN, NORTH CAROLINA



Wenn man in die South Lee Street, die Lebensader dieser etwas verödeten kleinen Stadt, einbiegt, riecht man einen göttlichen Duft nach Holzfeuer und gebratenem Schweinefleisch, dessen Quelle laut GPS allerdings noch über einen halben Kilometer weit entfernt sein muss. Für einen Mittwochnachmittag im Mai sitzen entlang der Lee Street erstaunlich viele Erwachsene auf den Veranden vor ihren Häusern – einige weiß, die meisten schwarz – und beobachten das Geschehen. Sie nippen dabei an bernsteinfarbenen Getränken, die auch Tee sein könnten. Es ist nicht schwer zu erraten, weshalb Ayden so verödet ist. Die Stadt liegt eine Stunde von der nächsten Interstate entfernt, weit abgeschieden von so ziemlich allem Handel und Wandel. Die großen Ladenketten des Landes haben ihre Supermärkte zwanzig Kilometer nördlich in Greenville aufgestellt und damit alle geschäftlichen Aktivitäten aus Aydens Zentrum abgezogen. Die Rollläden der meisten Geschäfte bleiben inzwischen geschlossen. Früher konnte Ayden mit drei Grillrestaurants aufwarten. Heute gibt es nur noch eines, dessen Ruf sich jedoch weit genug verbreitet hat, um jeden Tag ein paar hungrige Reisende von der Interstate anzulocken. Das früher größtenteils von der Landwirtschaft geprägte Wirtschaftsleben der Stadt leidet unter dem Niedergang des Tabakanbaus – zwischen den blassen Maisfeldern findet man nur noch wenige Hektar der smaragdgrünen Tabakfelder – und dem zeitgleichen Aufkommen der CAFOs (

Concentrated Animal Feeding Operations

). Die Küstenebene North Carolinas gehört zu jenen Landstrichen, die den Profiten der industriellen Schweinefleischproduktion geopfert wurden, einem Industriezweig, der die Zahl der Landwirte in einer Region drastisch senkt, während gleichzeitig die Schweinepopulation extrem anwächst. Lange vor den lockenden Düften des gegrillten Fleischs waren mir entlang der grauen Straßen Richtung Ayden auch schon weniger angenehme Ausdünstungen in die Nase gestiegen.



Mein Ziel an diesem sonnigen Nachmittag im Mai war das Skylight Inn, das einzige noch existierende Grillrestaurant Aydens, und selbst ohne den Duft nach Eichen- und Hickoryholz hätte ich das Lokal unmöglich verfehlen können. Es befindet sich in einem kuriosen, um nicht zu sagen lächerlichen Backsteingebäude, einem gedrungenen, achteckigen Bauwerk, gekrönt von einem silbernen Mansardendach, auf dem sich eine Replik der Kuppel des Kapitols in Washington befindet. Über der Kuppel weht die amerikanische Flagge. Diese unförmige Hochzeitstorte legt den Verdacht nahe, dass an der Planung kein Architekt beteiligt war. Man hat eher den Eindruck, der Entwurf sei unter Einfluss von Alkohol auf einer Papierserviette entstanden. Die silberne Kuppel wurde 1984 errichtet, nachdem

National Geographic

 das Skylight Inn ein paar Jahre zuvor zum »Kapitol des Barbecues« erklärt hatte. Es hat übrigens kein Dachfenster,

skylight

, merkwürdig, da die Erbauer sonst alles ziemlich wörtlich nahmen. Über dem Parkplatz ragt eine Plakatwand mit dem Werbespruch

If it’s not cooked with wood it’s not Bar-B-Q

 (»Was nicht mit Holz gegrillt wird, ist kein echtes Barbecue«) und einer Porträtzeichnung von Pete Jones, dem verstorbenen Gründer des Restaurants. Jones heizte seine Grills zum ersten Mal im Jahr 1949 an, doch die Tafel weist darauf hin, dass die Familie schon sehr viel länger im Barbecue-Geschäft tätig ist: »Wir pflegen die Tradition unserer Familie seit 1830.« Der Familienlegende zufolge, soll ein Vorfahre namens Skilton Dennis im Jahr 1830 den ersten Barbecue-Betrieb North Carolinas, wenn nicht gar der ganzen Welt, eröffnet haben, als er unweit von hier aus einem Planwagen gegrilltes Schweinefleisch mit Maisbrotfladen verkaufte. Samuel Jones, Enkel von Pete und einer der drei Jones-Männer, die die Familientradition auch heute noch pflegen, nennt diese Pioniere des Barbecue-Geschäfts ganz ohne Ironie »unsere Ahnen«.



Das alles und noch vieles mehr wusste ich schon, bevor ich meinen Fuß zum ersten Mal ins Skylight Inn setze: Ich hatte die Zusammenfassungen mündlicher Überlieferungen gelesen und mir Dokumentarfilme zum Thema angeschaut. Heute gibt es über das Barbecue in den Südstaaten kaum noch etwas Wissenswertes, das nicht schon haarklein dokumentiert und überschwänglich gepriesen worden wäre. Diese ehemals wenig beachtete, volkstümliche Kochtradition ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und erstaunlich selbstbewusst geworden. Jeder Grillmeister aus dem Süden, der etwas auf sich hält – und an Selbstbewusstsein mangelt es den meisten von ihnen nun wirklich nicht –, hat Unmengen markiger Sprüche auf Lager, die denen eines Politikers an Volkstümelei und Abgedroschenheit in nichts nachstehen. Und auch an Gelegenheiten, diese Sprüche an den Mann zu bringen, mangelt es nicht, sei es auf Grillwettbewerben, vor interessierten Journalisten oder auf wissenschaftlichen Kongressen, organisiert von der

Southern Foodways Alliance

.



Ich selbst war in North Carolina allerdings weniger auf der Suche nach einem markigen Spruch als vielmehr nach einem wirklich neuen Geschmackserlebnis und der Bestätigung einer Theorie, die sich kurz gefasst so formulieren lässt: Wenn von den wenigen Methoden, die sich der Mensch ausgedacht hat, um Gaben der Natur in nahrhafte und schmackhafte Speisen zu verwandeln, das Kochen mit Feuer die erste und elementarste war, dann müsste – zumindest für einen Amerikaner – das Grillen eines kompletten Schweins über einem Holzfeuer eigentlich die reinste und ursprünglichste Form dieser Kunst sein. Nachdem ich mich ausführlich darüber informiert hatte, wie man das macht und welchen Platz das Grillen eines Schweins in einer Gemeinschaft oder Kultur einnehmen kann, hoffte ich, auch etwas über die tiefere Bedeutung dieser eigenartigen und ausschließlich menschlichen Betätigung zu erfahren, die wir Kochen nennen. Und natürlich wollte ich nebenbei auch meine eigenen Grillkünste ein wenig verbessern. Das Kochen ist inzwischen ein solcher Marketinghype geworden, so geräteintensiv und prätentiös, dass der Versuch, es auf seine Grundelemente zu reduzieren und es ganz nüchtern zu betrachten, eine gute Methode zu sein schien, diese Tätigkeit ganz neu zu begreifen, und ich hatte gute Gründe zu glauben, dass die Grillhütte des Skylight Inn der richtige Ort dafür sein könnte.



Die Suche nach Authentizität ist ein problematisches und oft auch zweifelhaftes Unterfangen, ganz besonders im Süden der Vereinigten Staaten und in Zeiten eines gesteigerten gastronomischen Qualitätsbewusstseins. Als ich eine Freundin, Küchenchefin in Chapel Hill, fragte, wohin sie gerne für ein Barbecue gehe, konnte ich sie in ihrer E-Mail fast seufzen hören: »Jedes Mal wenn ich durch North Carolina fahre, denke ich, ich müsste gleich auf das perfekte Grillrestaurant stoßen, eines, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Aber bislang habe ich es noch nicht gefunden.« Bis nach Ayden hinaus hatte es meine Freundin allerdings noch nicht geschafft, deshalb gestattete ich mir, weiter zu hoffen.



Ich suchte also eine Antwort auf die drängende Ausgangsfrage: Was ergibt Schweinefleisch plus Holzfeuerrauch plus Zeit? Und das eben im Grill hinter dem Skylight Inn. Laut einem Barbecue-Historiker – ja, es gibt tatsächlich Grill-Historiker – handelte es sich bei der Familie Jones um »Barbecue-Fundamentalisten«, die sich seit mehreren Generationen weigerten, von ihrer Urformel abzuweichen: dem sehr langsamen Grillen ausschließlich ganzer Schweine auf »selbst hergestellten« Eichen- und Hickorykohlen. Fertige Holzkohle verschmähen sie als minderwertiges modernes Zeug und das Verwenden von Soße als »Vertuschung schlecht ausgeführten Grillhandwerks«. Dem verführerischen Geruch nach zu urteilen, der aus ihren Kaminen drang, hatte die Familie Jones sich und ihren Kunden mit der Treue zu alten Traditionen einen guten Dienst erwiesen. Und er rechtfertigte auch die heldenhafte Verteidigung ihrer »aussterbenden Kunst« gegen die bedrohlichen Angriffe feindlicher Mächte: die Kontrollen des Gesundheitsamts, die wachsende Kritik der Feuerwehr, die Annehmlichkeiten von Gas und Edelstahl, der Mangel an Feuerholz, die Allgegenwärtigkeit der Fast-Food-Ketten und seitens der Grillmeister der Wunsch nach ordentlichem Nachtschlaf, aus dem sie nicht ständig durch Träume von einem Großbrand gerissen wurden. Oder besser gesagt Sirenen. Ich hatte gehört, dass in der Grillhütte des Skylight Inn regelmäßig Feuer ausgebrochen und sie schon mehr als einmal völlig niedergebrannt war. Jeder, der auf offenem Feuer kocht, wird bestätigen, dass es dabei nur auf eines ankommt: Kontrolle. Die zu behalten scheint aber auch im 21. Jahrhundert sehr viel schwieriger zu sein, als man gemeinhin annimmt.



••••••••••



Die Beherrschung des Feuers haben Menschen vor Urzeiten erlernt; sie markiert einen so entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, dass zahlreiche Mythen und Theorien dazu entstanden sind. Einige davon sind schlicht aberwitzig, und zwar nicht nur die aus grauer Vorzeit. Etwa die These von Sigmund Freud, die er in

Das Unbehagen in der Kultur

 in einer Fußnote aufstellt. Freud führt die Kontrolle des Feuers auf den folgenreichen Moment zurück, als der Mann – und er meint in diesem Kontext tatsächlich den Mann – erstmals den Drang überwand, jedes Feuer, auf das er zufällig stieß, auszupinkeln. Jahrtausendelang hatte sich dieser Drang als scheinbar unbezwingbar erwiesen, zum großen Nachteil unserer Zivilisation, die erst aufblühte, nachdem er unterdrückt werden konnte. Möglicherweise aus dem Grund, dass Frauen nicht besonders gut geeignet sind, mit einem Urinstrahl Feuer zu löschen, wurde diese Beschäftigung zu einer wichtigen Form männlichen Wettbewerbs und war laut Freud, was nicht wirklich überrascht, homoerotisch geprägt. Das Kochen auf offenem Feuer ist bis heute eine Domäne, in der Männer miteinander konkurrieren, und diejenigen unter uns, die sich diesem Konkurrenzkampf stellen, sollten froh sein, dass Freud nicht da ist, um uns seine Analyse dessen anzudienen, was genau wir da eigentlich treiben.

 



Der Lauf der Menschheitsgeschichte nahm an jenem schicksalhaften Tag eine Wendung, als es einem ungewöhnlich beherrschten Mann dämmerte, dass er nicht zwingend ins Feuer pinkeln

musste

, sondern es stattdessen am Brennen halten und sinnvoll nutzen konnte: um sich daran zu wärmen oder sein Abendessen darauf zu grillen. Freud war der Ansicht, dieser Fortschritt sei, wie viele wertvolle Errungenschaften der Zivilisation, der einzigartigen menschlichen Fähigkeit zu verdanken, Begierden und Triebe, denen andere Tiere blindlings gehorchen müssen, zu beherrschen oder zu unterdrücken. Wobei freilich kein Tier bekannt ist, das jemals Feuer durch Pinkeln gelöscht hätte. Selbstbeherrschung ist für Freud die Voraussetzung für die Beherrschung des Feuers und diese große Kulturleistung folglich der Lohn für einen Triebverzicht.



In all den Stunden, die ich bislang mit Grillmeistern vor glimmenden Holzscheiten verbrachte, habe ich Freuds Feuerthese noch nie erwähnt. Ich bezweifle, dass sie gut ankäme. Gelegentlich habe ich allerdings eine zweite, ähnlich obskure Theorie zum Besten gegeben, die immerhin ein Körnchen poetischer Wahrheit enthält und oft ein Lächeln auf das rußgeschwärzte, von Schweißspuren zerfurchte Gesicht der Grillspezialisten zaubert.



Diese These propagiert der englische Schriftsteller Charles Lamb (1775–1834) in seiner

Abhandlung über Schweinebraten

. Er behauptet dort, Fleisch wurde so lange roh gegessen, bis in China ein junger Mann namens Bo-bo, der einfältige Sohn des Schweinehirten Ho-ti, durch Zufall die Kunst des Grillens entdeckte. Eines Tages, Ho-ti sammelte gerade Futter für die Schweine, brannte sein pyromanisch veranlagter Sohn, der zudem »ein echter Tölpel« war, versehentlich die Hütte der Familie ab und verkohlte dabei einen Wurf Ferkel. Er stand vor den qualmenden Überresten und überlegte, wie er das seinem Vater beibringen sollte, und dabei »stieg ihm ein Duft in die Nase, der mit nichts zu vergleichen war, was er je zuvor gerochen hatte«. Als Bo-bo eines der verbrannten Ferkel auf ein Lebenszeichen abtastete, versengte er sich dabei die Finger und schob sie instinktiv in den Mund. »An seinen Fingern waren Spuren der verbrannten Schwarte kleben geblieben, und zum ersten Mal in seinem Leben (ja, sogar im Leben der gesamten Menschheit, denn keiner vor ihm hatte so etwas je gekostet) aß er – Bratenkruste!«



Bo-bos Vater kehrte zurück und sah seine Hütte, die toten Ferkel und seinen Sohn, wie er sich mit ihnen den Bauch vollschlug. Bei diesem Anblick wurde Ho-ti übel. Der Sohn erklärte ihm aber, dass die verbrannten Ferkel ausgesprochen gut schmeckten, und angezogen von dem köstlichen Duft probierte auch Ho-ti von der Kruste. Sie war überaus wohlschmeckend. Vater und Sohn, die die Missbilligung der Nachbarn fürchteten, beschlossen, ihre Entdeckung zu verheimlichen. Denn das Verbrennen einer Kreatur Gottes bedeutete letztlich, dass dieses Geschöpf in rohem Zustand nicht vollkommen gewesen sei. Doch wenig später:



Merkwürdige Geschichten machten die Runde. Es wurde beobachtet, dass Ho-tis Hütte häufiger niederbrannte. Von nun an brannte es unaufhörlich … Jedes Mal wenn die Sau Ferkel warf, stand kurze Zeit später Ho-tis Hütte in Flammen.



Schließlich kam ihr Geheimnis doch ans Licht. Die Nachbarn erprobten diese Methode ebenfalls und waren vom Ergebnis begeistert. Das Beispiel machte Schule. Um Schweinebraten zu bekommen, wurden bald so viele Hütten niedergebrannt, dass die Errungenschaften der Baukunst der Welt verloren zu gehen drohten. »Die Leute bauten ihre Häuser immer einfacher«, berichtet uns Lamb, und »man sah nur noch Feuer, wohin man auch blickte«. Glücklicherweise erkannte schließlich ein kluger Kopf, dass man Schweinefleisch auch braten konnte, »ohne eine ganze Hütte für die Zubereitung zu opfern«. Der Bratrost wurde erfunden und kurz darauf auch der Bratspieß. So entdeckte der Mensch aus reinem Zufall die Kunst, Fleisch über offenem Feuer zu braten. Oder besser gesagt: Fleisch über einem

kontrollierten

 offenen Feuer zu braten.



••••••••••



»Willkommen im Vorhof zur Hölle«, kicherte Samuel Jones als er mich um das Skylight Inn herumführte und mir die Grillhütte mit den Fleischgrills zeigte. Eigentlich gab es zwei dieser Hütten, kleine Gebäude aus Betonziegeln, die in einem seltsamen, eher willkürlichen Winkel zum Restaurant und auch zueinander standen. Samuel meinte dazu: »Mein Großvater hat vermutlich einen Betrunkenen angeheuert, das alles hier zu entwerfen.« Das größere Gebäude hatte man erst vor Kurzem neu errichtetet, nachdem eines Nachts eine der Backsteinfeuerstellen zusammengebrochen war und die Hütte bis auf die Grundmauern niederbrannte. »Diese Feuer brennen Tag und Nacht«, erklärt Samuel mit einem Schulterzucken, »und alle paar Jahre gehen sogar die Schamottsteine in den Kaminen eben kaputt. Diese Grillhütte ist schon ein Dutzend Mal abgebrannt. Aber so ist das eben, wenn man ganze Schweine anständig grillen will.«



Manchmal ist es auch das Schweinefett, das sich unten im Grill sammelt und dann Feuer fängt, oder ein glühender Span fliegt durch den Kamin nach oben und landet auf dem Dach. Erst neulich war Samuel, ein paar Stunden nachdem sie das Restaurant geschlossen hatten, hier vorbeigefahren und hatte Flammen unter der Tür der Grillhütte hervorzüngeln sehen. »Das war wirklich knapp«, meinte er grinsend. Eine Überwachungskamera in der Grillhütte hatte aufgezeichnet, wie das Feuer ausbrach, nur vier Minuten nachdem der Grillmeister gegangen war.



Charles Lamb wäre bestimmt begeistert, dass es in North Carolina noch immer Männer gibt, die eine ganze Hütte niederbrennen, um ein Schwein zu braten.



Samuel Jones ist 29 Jahre alt, ein fröhlicher Mann mit rundem Gesicht und Kinnbart. Seit seinem neunten Lebensjahr arbeitet er mit kleinen Unterbrechungen in diesem Familienunternehmen, auf das er unendlich stolz ist. Er hält es für seine Pflicht, die alten Traditionen nicht nur zu pflegen, sondern sie auch vor modernen Neuerungen (»Erleichterungen«) zu schützen. In den Südstaaten ist Barbecue seit jeher äußerst traditionsverbunden, was mit der Zeit aber auch hier immer schwieriger wird. »Unsere Familie kann dieses Restaurant nie verkaufen«, erklärt Samuel mit leichtem Bedauern in der Stimme. »Wir haben eine Ausnahmegenehmigung vom Gesundheitsamt und müssen uns nicht an Neuregelungen halten. Sollte jemand, der kein Jones ist, dieses Lokal einmal übernehmen, müsste er es den Vorschriften anpassen, und das wäre das Ende.«



Wir betraten die neue Grillhütte, und ich sah sofort, was er damit meinte. Nun ja, eigentlich sah ich zunächst einmal gar nichts: Alles war in einen dicken Nebel aus duftendem Holzfeuerrauch gehüllt, und obwohl der Raum sicherlich nicht mehr als acht Meter lang war, konnte ich die Stahltür am anderen Ende kaum erkennen. An den Breitseiten befanden sich große, tiefe Backsteinfeuerstellen, deren monströse Gitterroste aus Autoachsen mit hohen Haufen aus brennenden Holzscheiten bepackt waren. Die rot glühenden Holzstücke, die durch die Stäbe nach unten fielen, wurden von dort mit einer Schaufel auf die etwa einen Meter hohen, an Sarkophage erinnernden Backsteingrills entlang der Seitenwände verteilt. In die Grills waren Eisenroste für die Schweine eingelassen, versehen mit circa 1×2 Meter großen, an Seilen hängenden Stahlklappen. Diese Stahlplatten ließ man zum Abdecken der Grills herunter und beschwerte sie mit Betonziegeln. Zusammen fassten diese Grills zwölf 90-Kilo-Schweine. Innen waren sie mit einer fettigen, schwarzen Rußschicht überzogen, die bei jedem Beamten des Gesundheitsamts schieres Entsetzen hervorrufen musste, ausgenommen vielleicht bei Vertretern der hiesigen Behörde. Ganz offensichtlich hat der Bundesstaat North Carolina für Barbecue-Restaurants ein wenig nachsichtigere Hygienebestimmungen erlassen, was im Verbund mit der »Ausnahmeregelung«, die Samuel erwähnte, dafür sorgt, dass Lokale dieser Art nicht längst verboten sind.



»Klar putzen wir die Grills manchmal, kommt ganz darauf an«, meinte Samuel, als ich ihn auf die Hygiene ansprach. »Aber man sollte sie nie ganz sauber machen, sonst geht die Wärmedämmung verloren.« Das Problem ist allerdings, dass diese Verkrustungen, die, wie ein Chemiker feststellen würde, zur einen Hälfte aus gesättigtem Schweinefett und zur anderen aus Feinstaub bestehen, hochentzündlich sind. Ebenso wie der Rauch, den wir gerade einatmeten. Wurde er zu dicht und der Raum war heiß, konnte er leicht Feuer fangen. »Man nennt das eine Durchzündung«, erklärte Samuel. Diese Information beunruhigte mich ein wenig. Doch Samuel war gezwungenermaßen ein sorgfältiger, wenn auch nicht immer erfolgreicher Herrscher über die Flammen geworden und sogar Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr von Ayden. Angesichts seines Berufs eine kluge Entscheidung.



••••••••••



Der Vorhof zur Hölle

: Die Grillhütte war in der Tat ein höllischer Ort, der bei den meisten Menschen wahrscheinlich keinen großen Appetit auf gegrilltes Schweinefleisch aufkommen lassen würde. Überall befanden sich Spuren großer und kleiner Brände: geschwärzte Backsteine, eine verkohlte Decke, gewellte Sperrholzwände. Während Samuel und ich uns unterhielten, tauchte hinter seinem Rücken eine geisterhafte Gestalt aus dem Rauch auf: ein schwarzer, leicht gebeugter Mann, der auf einer Schubkarre langsam eine blutverschmierte Sperrholzplatte mit einem aufgeschlitzten, rosafarbenen Schwein vor sich herschob. Das tote Tier schaukelte gefährlich hin und her, wobei sein Kopf mit den leeren Augenhöhlen leicht über den Schubkarrenrand wippte. Im Näherkommen war auch der Mann, der das Schwein vorsichtig vor sich herschob, deutlicher zu erkennen: Sein ledriges Gesicht war tief zerfurcht, und es fehlten ihm mehrere Zähne.



Samuel stellte mir James Henry Howell vor, den langjährigen Grillmeister des Skylight Inn. Howell machte mir sofort unmissverständlich klar, dass er das Reden lieber den Jones-Männern überließ. Er hatte zu tun, und den Löwenanteil der im Restaurant anfallenden körperlichen Arbeiten schien tatsächlich James Henry Howell zu erledigen: Am späten Nachmittag legte er die Schweine auf den Grill, und gleich als Erstes am nächsten Morgen wendete er sie. Wenn zur Mittagszeit im Restaurant Hochbetrieb herrschte, verfrachtete er die Tiere dann geviertelt ins Lokal und zerhackte und würzte das Fleisch auf einem großen Hauklotz. Den Jones-Männern blieb so genügend Zeit, ihre Reden zu schwingen, was mir eigentlich ganz recht war; außer dass ich hier in Ayden wahrscheinlich keine praktischen Erfahrungen würde sammeln oder Anleitungen bekommen können. Das musste warten.



Gemächlich schob Mr. Howell die Schweine eins nach dem andern durch die Grillhütte. Jedes Mal, wenn er ein neues aus der Kühlkammer holte, verschwand er im Rauchnebel, tauchte dann mit einer neuen Ladung wieder auf und kippte sie behutsam auf einen Eisenrost. Howell arbeitete langsam und stetig, und als er fertig war, hatte er ein faszinierendes Bild erschaffen: in Rauch gehüllt, Schwarte nach oben, Schweineschnauze gegen Schweinepopo, lagen da aufgereiht wie Congas aufgeschlitzte rosafarbene Tierkörper. Die Grillhütte glich jetzt einem Schlafsaal, in dem man Schweine schlafen gelegt hatte. Kein Tier, das wir verspeisen, ähnelt uns mehr als das Schwein, und beim Anblick dieser Exemplare hier in ihrer verrauchten Krypta, jedes so groß wie ein Mensch, mit rosafarbener unbehaarter Haut, das Maul zu etwas wie einem hinterhältigen Lächeln verzogen, dachte ich an alles, nur nicht ans Essen.



Es fiel mir schwer, diese schmutzige, mit Asche überzogene Grillhütte als

Küche

 zu bezeichnen, aber es war eine, und daher musste sich der Bundesstaat North Carolina entscheiden, was ihm wichtiger war: die Allgemeingültigkeit seiner Gesundheitsbestimmungen oder das Überleben des Barbecues. Hochheiliger alter Brauch, der es nun einmal war, hatte er sich für das Barbecue entschieden, zumindest vorläufig. Dennoch ist eine Grillhütte eine höchst ungewöhnliche Küche: Die wichtigsten Küchengeräte sind Schubkarre und Schaufel, und die Speisekammer ist nur mit Schweinen, Feuerholz und Salz bestückt. Im Grunde genommen sei die gesamte Hütte eine Art Kochgerät, erklärte mir Samuel, und wir befänden uns in einem riesigen, niedrigtemperierten Ofen zum behutsamen Räuchern ganzer Schweine. Sie müsse extrem gut abgedichtet sein, selbst das Dach, da jede Kleinigkeit Auswirkungen auf den Grillvorgang hat.

 



Nachdem die Schweine aufgelegt waren, verteilte Howell die Holzkohlen unter den Rosten. Schaufelweise trug er die inzwischen tiefrote Glut quer durch den Raum zu den Grills und kippte sie zwischen die Eisenstäbe. Dabei legte er ein Band aus weißglühenden Kohlen, das grob die Umrisse der Schweine nachzeichnete und ein wenig an die weißen Linien erinnerte, die an einem Tatort die Leiche markieren. Unter Kopf- und Fußende der Schweine schüttete er etwas mehr Glut auf als in der Mitte, um so die unterschiedlichen Gargeschwindigkeiten der Fleischteile auszugleichen. »Das ist mit das Schwierigste beim Grillen von ganzen Schweinen. Brät man nur die Schulter, so wie sie es drüben in Lexington machen, lässt sich das selbstverständlich einfacher kontrollieren.« Das Wort »Schulter« presste Samuel mit einem verächtlichen Schnauben hervor, als wäre das Braten einer Schweineschulter nichts anderes, als ein paar Würstchen auf den Grill zu werfen. »Für uns ist so etwas kein echtes Barbecue.«



Als er mit der Anordnung der Kohlen zufrieden war, bespritzte Howell die Schweinerücken mit Wasser und streute grobes Salz darüber. Das diene nicht der Würze, erklärte Samuel, vielmehr trocknet es die Schwarte aus, sodass sie schneller Blasen wirft und eine Kruste bildet.



Es ist langwierig und aufwendig, Fleisch auf diese Weise zu grillen. Bis Mr. Howell um sechs Uhr abends nach Hause geht, schaufelt er ungefähr alle halbe Stunde etwas weitere Kohle unter jedes Schwein, und zwar genau an die Stellen, wo das meiste Fett heruntertropft. Ein paar Stunden später, so gegen Mitternacht, schaut dann Jeff Jones vorbei, einer der Eigentümer, den hier anscheinend jeder nur Onkel Jeff nennt. Er überprüft, ob die Schweine mehr Hitze brauchen. Indem man die Glut nur an den Rändern aufschüttet, erhält man eine lang anhaltende Hitzequelle, auf der die Schweine über Nacht sehr langsam garen. Die Kohlen liegen dabei so dicht wie möglich unter dem herabtropfenden Fett, denn wenn das Rückenfett schmilzt, sollte zumindest ein Teil davon zischend in die Glut fallen. Dadurch bildet sich ein anderer, würzigerer Rauch, der dem Schwein zusätzliches Aroma verleiht und die Luft mit einem Duft erfüllt, der durch ein reines Holzfeuer nicht entsteht.



Eben diesen Duft, der mir jetzt erneut in die Nase stieg, hatte ich auch schon auf der Straße gerochen, und selbst hier in dieser Schweinegrabkammer, eingeklemmt zwischen dichten Reihen von Tierkörpern und schon etwas nach Sauerstoff lechzend, spürte ich zu meiner eigenen Überraschung tief in meiner Magengrube ein leichtes Rumoren … Hunger!



••••••••••



Der Duft von auf dem Feuer gebratenem Fleisch, das heißt, die Mischung aus Holzfeuerrauch und brutzelndem Fett, übt auf uns Menschen eine starke Anziehungskraft aus. Als ich in meinem Garten einmal eine Schweinschulter grillte, kamen die Nachbarskinder herüber, um »es besser riechen zu können«. Ein anderes Mal stellte sich ein sechsjähriger Gast in den Windschatten des Grills, breitete die Arme aus wie ein Dirigent und atmete die nach Holz und Fleisch duftende Luft tief ein. Einmal, zweimal, dann hielt er abrupt inne und erklärte: »Es ist wohl besser, wenn ich mich nicht ganz mit Rauch vollsauge!«



Auch die Götter scheinen an diesem Duft Gefallen zu finden, denn ihr Anteil an einem Opfertier ist seit jeher nicht das Fleisch, sondern der Rauch. Es gibt dafür zwei gute Gründe: Menschen müssen essen, um zu überleben, Götter hingegen, unsterblich wie sie nun einmal sind, kennen dieses körperliche Bedürfnis nicht. (Andernfalls müssten sie verdauen und, na ja, auch ausscheiden, nicht gerade besonders göttlich.) Nein, was die Götter von uns verlangen, ist die

Idee

 von Fleisch. Sie wollen Rauch, der als ätherische Essenz des Tierfleischs zum Himmel aufsteigt. Götter können und wollen sich nur mit Rauch vollsaugen. Und selbst wenn die Götter ein ordentliches Stück Fleisch von uns fordern würden, wie könnten wir es dann zu ihnen hinaufb