Was machen Ameisen an Regentagen ?

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Was machen Ameisen an Regentagen ?
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Michael Koslowski

Was machen Ameisen an Regentagen ?

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Was machen Ameisen an Regentagen ?

Impressum

Was machen Ameisen an Regentagen ?

Der Tag verläuft wie eine schwere Grippe, die nicht aufhören will, ohne einen wirklichen Anfang oder ein voraussehbares Ende.

Ein Gedanke geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Satz, der mir im Ohr hängen geblieben ist

.

„Wohl dem, auf den ein Golf wartet!“

Der Raum in dem sie tanzten war schwarz, stickig und scheinbar ohne atembaren Sauerstoff. Es roch nach Styropor, aus dem die Luft entwichen ist, weil ein großer, nach Schweiß und ranzigem Körperpuder riechender, schwerer Mann sich daraufgesetzt hat.

Hana steht am Ende des schwarzen Raumes und schaut mit weit aufgerissenen Augen in die Ferne, ohne einen Punkt zu finden, wo es Ruhe und Glück für sie gibt.

Ihr Leben wird nichts Besonderes beinhalten, vielleicht nur die Entscheidung zwischen dem natürlichen Tod oder einer Überdosis Schlaftabletten.

Ich sehe Hartmut. Hartmut will Architekt werden, Häuser, Wolkenkratzer oder Ähnliches in die leere, hilflose Welt stellen.

In mir wächst der Wunsch, einfach mit einem großen, scharfen Messer zu zustechen. Die Klinge durchtrennt Sehnen und Muskeln. Die Schreie der Menschen erreichen mein Ohr und lassen eine tiefe unendliche Ruhe in mir entstehen.

Sitze auf dem Boden, die Wand im Rücken, die Atmung wird ruhiger, die Blutspritzer an den Wänden scheinen seltsame Muster zu formen, es entsteht das Bild einer Moschee in Istanbul, die ich durch eine große Halle betrete. Die Kühle hier umfängt mich wie ein edler, wunderschöner Mantel, der alle Schuld von mir nimmt.

Als ich das Gotteshaus verlasse ist die Straße davor mit Menschen überfüllt. Rechts und links der Straße gibt es eine Menge kleinerer Geschäfte. Die Inhaber fristen ein trostloses Dasein, das aus Kleinkriminalität, Steuerhinterziehung und illegaler Müllentsorgung besteht.

Es ist mein erster Urlaub in der Türkei und es ist einfach nur unangenehm warm, sonst Nichts. Das Essen ist ölig und alle Türken haben in Emden bei VW gearbeitet. Ich bin froh, als ich wieder zurückfliegen kann und der Bosporus weit hinter mir bleibt.

Der Balkon geht direkt auf eine Kreuzung hinaus. Ich liege im Bett und genieße den Straßenlärm........

Das Hupen, die überlauten Stereoanlagen, die Wagen mit den vollaufgedrehten Bässen, das Quietschen der Reifen

und das Husten der Motoren.

Berlin besteht hier nur aus Krach, der sich beruhigend auf meine Nerven auswirkt.

Vor mir kniet eine Polizistin. Ihr Gesicht, umrahmt von wirren, blonden Haaren zeigt Entsetzen, Elend, Abscheu und eine Spur Panik.

Ihre Stimme hat einen ganz ruhigen Klang. Es klingt wie durch Mullbinden gesprochen, die mir eine Krankenschwester geschickt um meinen schmerzenden Kopf gebunden hat.

Das Krankenhaus scheint leer zu sein. Kein Laut ist zu hören.

Verlassen liege ich auf dem Bett und mir ist tierisch schlecht. Der Arzt hat mir meine abstehenden Ohren angelegt. Sie mit einem Schnitt wieder in die richtige Form gebracht, ohne Zaudern oder einem Gefühl der Unsicherheit.

Meinen Mitschülern habe ich erzählt ich hätte einen Mofa-Unfall gehabt

Ich schäme mich ohne Ende. Doch ich konnte diese blöden Teile, die mich so hässlich machten nicht ertragen. Sie standen absolut dämlich von meinem Kopf ab, ohne Sinn und Zweck.

Das Zimmer teilte ich mit einem alten Mann, der nachts vor sich hin stöhnte und im Zimmer herum tapste und seine tote Frau suchte, die schon vor Jahren, elendig an Magenkrebs gestorben war.

Mein Vater hat Lungenkrebs und er röchelt wie ein weidwund geschossenes Tier.

Vielleicht wird er auch bald verwirrt durch sein Haus schlurfen und etwas suchen, was er nie verloren hat, weil es nie wirklich da war.

In unserer Wohngemeinschaft in Berlin gab es ein großes Schild, auf dem stand:“ Ab hier beginnt die Ratten freie Zone.“

Wir teilten uns die Räume mit 8 Personen. Es gab nur Kohleöfen und es war im Winter immer eiskalt in den Zimmern, weil die Kohlen fünf Stockwerke tiefer im Keller lagerten……und dort von einer Horde Ratten verteidigt wurden.

Klaus, der Theologiestudent besorgte sich ein Kleinkaliber-Gewehr von seinem Vater, der ein großes Jagdrevier im Sauerland hatte und verbrachte Stunde damit ein wahres Massakern an den Ratten im Keller anzurichten.

Als er wieder in die Wohnung zurückkam, hatte er ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht, ging in sein Zimmer, schloss sich ein und fiel zum ersten Mal seit Wochen in eine tiefen, erfüllten Schlaf.

Der Balkon, der auf den Innenhof hinaus ging war absolut baufällig und ich hatte oft wirklich Angst ihn zu betreten. Bei einer Party standen mindesten 10 Personen gleichzeitig auf ihm und ich malte mir schon häufig die wildesten Katastrophen aus.

Die gesamte Wohnung befand sich in einem recht desolaten Zustand. Die erste Zeit in Berlin arbeite ich in einem Verlag, in der Verpackung. Ich musste dort die Pakete packen,zumachen und in den Versandcontainer legen. Eigentlich war ich in Berlin um Psychologie zu studieren, aber nichts klappte. Mit meiner Anmeldung gab es Probleme. Ich hatte irgendwelche Anträge nicht richtig ausgefüllt und Unterlagen waren nicht da angekommen, wo sie eigentlich zu sein hätten.

Das bearbeiten der Bestellungen fiel mir unheimlich schwer, denn ich hatte wie immer, Schwierigkeiten mich zu konzentrieren und ständig landete die falschen Bücher im Paket. Was natürlich nicht unbemerkt blieb. Ich war den Job ziemlich schnell los und Berlin wurde immer kälter. Es wurde langsam Winter und die Miete musste bezahlt werden. Alles überforderte mich und ich sah wirklich keine Möglichkeit mehr hier in dieser Stadt so etwas wie ein normales Leben zu führen. Was ein normales Leben sein sollte, konnte ich auch nicht sagen. Ich vergaß einfach immer alles. Schon in der Schule passte nichts zusammen und so ging es immer weiter. Mein Leben bestand aus Millionen von Zetteln, die ich dann auch da liegen ließ, wo ich sie niemals wieder finden würde.

Konzentration war für mich ein absolutes Fremdwort. Länger als 5 Minuten schaffte ich es nicht mich mit nur einer Sache zu beschäftigen. Wenn ich am Grab meines Vaters stehe bin ich wirklich nicht in Lage, mich nur einmal auf Ihn zu konzentrieren. Meine Gedanken schweifen sofort ab und eine Asozieationskette jagd die andere. Beim Aufstehen beginnt es schon. Ein riesiger Eimer mit Gedanken wird über meinem Gehirn ausgeschüttet. Ich muss mir wirklich Mühe geben, um mich ordentlich zu waschen, meine Sache zum Ankleiden zu finden und nicht zu verunglücken, weil ich einfach die Treppenstufen übersehe.

Ein Mitbewohner unserer Berliner WG arbeitet als Kartenabreißer bei der Wahnseeschiffereigeselschaft und da er für längere Zeit wieder nach Westdeutschland wollte, fragte er mich, ob ich den Job nicht übernehmen könnte.

Zwei Tage später stand ich am Bootsanleger unweit der Wannseebrücke. Ein etwas einsilbiger , aber durchaus netter Mann wartete dort auf mich und versuche mir meine neue Aufgabe zu erklären. Alles ich alles verstanden hatte, ging es mir nicht so besonders gut. Ich sollte als verkleideter Kapitän, komplett in Uniform und Mütze, die Billets der Fahrgäste kontrollieren und dann entwerten.

Die ersten zwei Stunden waren noch ganz in Ordnung, aber dann begann es langsam wärmer zu werden. Die Sonne brannte immer heißer und die Unform entwickelte sich langsam zu einem zu engen Saunanzug. Ich war der Sonneneinstrahlung ohne Schutz ausgesetzt, weil es nirgendwo, so etwas wie Schatten gab. Die einzige Möglichkeit aus der Sonne zu kommen, war dieser Kahn, aber der legte ja nur kurz an , um die Fahrgäste aus dem Schiff und neue an Bord zu nehmen.

Ich hielt es noch zwei Tage aus und dann blieb ich einfach im Bett liegen.

Es wurde dann irgendwann Winter und mir ging langsam das Geld aus und es mussten wieder Kohlen gekauft werden, weil wir schon mittlerweile die letzten Klumpen aus den Ecken des Kellers heraus kratzten. Und Berliner Winter sind bitterkalt. Die ganze Stadt schien sich vor der Kälte verkrochen zu haben. Nirgendswo sah ich noch ein bekanntes Gesicht auf der Straße. Die Menschen waren dick vermummt und versuchten so schnell wie möglich wieder in einen beheizten Raum zu kommen.

Berlin im Winter ist eine Katastrophe und ich wollte hier nur noch weg. Ich hasse es zu frieren. Spaziergänge im Schneetreiben auf dem nahegelegenen Friedhof waren auch nicht das was ich mir hier so vorgestellt hatte.

Zu Weihnachten fuhr ich dann nach Hause.

Meine Eltern waren auch nicht sonderlich begeistert, als sie mich wieder sahen. Ich zog zurück in mein winziges Kinderzimmer und blieb die meiste Zeit im Bett liegen.

Zu den Mahlzeiten stand ich auf, aber es schmeckte mir nichts mehr.

Ich ging jeden Abend sehr früh zu Bett, damit ich mehr Zeit hatte zu lesen, bevor mir die Augen zu fielen. Das einzige was mich noch interessierte waren Bücher.

Bei Dostojewski fing ich an und arbeitete mich über Thomas Bernhard zu Jerry Cotton vor. Dann zurück über Hermann Hesse zu Salinger und Heinrich Böll, den ich unheimlich gerne las.

 

Die Tage vergingen einfach so und ich kann mich eigentlich auch an nichts mehr so richtig erinnern.

Irgendwann fragte mein Vater mich ob ich nicht wieder Lust hätte als Urlaubsvertretung bei der Post zu jobben. In den Ferien hatte ich schon öfters als Zusteller gearbeitet.

Die Arbeit war natürlich stinklangweilig und das frühe Aufstehen machte mich komplett fertig. Ich ertappte mich dabei, manchmal einfach nur auf einen Punkt zu stieren und ich konnte wirklich nicht mehr sagen wie lange schon.

Das Sortieren der Brief, morgens, in der Poststadion fiel mir immer schwerer. Ständig stellte ich die falschen Sendungen zu und wenn mein Vater nicht der Dienststellenleiter gewesen wäre, hätte man mich schon nach dem zweiten Tag auf die Straße gesetzt. Die Leute in meinen Zustellbezirk waren richtig böse auf mich. Wenn ich mich umschaute, sah ich wie der einen Nachbar zum anderen lief um die Post auszutauschen.

Aber ich mochte es einfach nicht mehr und wenn ich auf dem Rad saß war es so, als wenn meine Beine gelähmt wären. Mein Fahrrad fiel ständig um und die ganze Post lag irgendwo im Dreck und ich musste wieder von vorne anfangen zu sortieren. Mit meinen Kollegen konnte ich nichts anfangen, aber sie mit mir auch nichts. Ich war ein perfekter Fremdkörper hier in diesem Postamt.

Eines Morgens, ich hätte gerade mühevoll meine Post sortiert, alles gebündelt, in den Taschen verstaut und wollte mich zu meinem Fahrrad gehen, als Grote, ein kleiner unsympathischer, hinkender Postbote plötzlich noch ein Bündel Briefe irgendwo her hervorzauberte und mir unter die Nase hielt.

„He, die musst du auch nicht mitnehmen, die willst du doch wohl nicht hier liegen lassen?“

Grote war eine von diesen selbstgefälligen, arroganten Menschen, die alles besser konnten und wussten. Für meinen Vater war Grote ein rotes Tuch und ich stand natürlich als Sohn des Amtstellenleiters auch auf seiner Liste. Grote hinkte, das war als Postbote natürlich eine Sache, die gar nicht ging.

Warum Grote hinkte ? Nun ja, er war nicht als Hinkender eingestellt worden, aber ihm war ein bedauerliches Missgeschick passiert. Auf Zustellung in seiner eigenen Wohngegend war er über einen Dackel gestolpert und hatte sich, nach seinen Angaben, so verletzt, dass er nicht mehr in Lage war, uneingeschränkt, zu gehen und seit dem zog er sein linkes Bein auffällig nach.

Er wollte einfach auf Rente machen und das mit allen Mitteln.

Mein Vater glaubte ihm nicht, der Amtsarzt auch nicht, wirklich und so war Grote dazu verdammt, ständig sein Bein demonstrativ hinter sich herzu schleppen. Was sich natürlich nicht gerade auf seine Laune positiv auswirkte. Er fühlte sich von allen missverstanden und ungerecht beurteilt. Als Streithansel lief er durch die Welt und er war nur auf dieser, um anderen Menschen etwas auf den Stock zu tun und ihnen etwas anzuhängen.

An seinen Blicken und Bemerkungen der letzten Tage konnte ich merken, dass irgendetwas in ihm vorging, er schien etwas auszubrüten und seine Laune verschlechterte sich Zusehens.

Das Sortieren der Post fiel mir immer schwerer. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren und wenn ich von der Tour wieder zurück kam, hatte ich noch ein Drittel der Post nicht zugestellt. Ich legte die Briefe unter den Sitz des Dienstwagens, ein neuer postgelber Golf und hoffte, niemand würde es merken. Mein Gehirn war immer verstopfter und alles schien sich dort festzufahren.

Am frühen Morgen, ich hatte gerade meine Tour zusammen gesteckt und wollte mich auf den Weg zu meinem Dienstpkw machen, als Grote mir plötzlich den Weg versperrte. Er hielt ein dickes Bündel Briefe in der Hand, die er mir mit einer ausladenden Geste entgegenstreckte

Ich schaute entsetzt auf den Stapel Briefe, den Grote da mit ausladenden Gesten schwenkte. Die schirre Verzweiflung musste mir wohl im Gesicht gestanden haben. Denn ein wohlgefälliges Grinsen schien förmlich auf dem Gesicht von Grote einzufrieren. Ich hatte das Gefühl ein schwarzer Vorhang würde sich von hinten über mein Gesichtsfeld legen. Ich machte ein zwei Schritte auf Grote zu und packte ihn direkt am Hals. Mit aller Kraft krallte ich mich in seinem Fleisch fest. Riss ihn hoch und schleuderte ihn, ohne die Hand von seinem Hals zu nehmen auf den Postsotiertisch. Sein Kopf prallte auf das Holz und es krachte laut. Grotes Gesicht verzog sich zu einer Fratze des Entsetzens. Todesangst war zu sehen und ich war glücklich. Er hatte Angst und das gefiel mir…..Meine Wut war grenzenlos und ich wollte ihn einfach nur töten, seine Angst genießen, es ihm endlich heimzahlen.

Jemand stand neben mir und ich hörte durch die dichte Wand der Gewalt, irgendwelche Worte, die ich zwar nicht verstand, die aber begannen auf mich zu wirken. Schließlich löste ich den Griff um seinen Hals, nicht weil ich unbedingt wollte oder weil ich eingesehen hatte, dass es falsch ist, was ich da mache, sondern weil ich keine Lust mehr hatte.

Ich hatte die Panik in seinem Gesicht gesehen. Er hatte Angst vor mir gehabt, nein er hatte gespürt, wie es sein könnte zu sterben. Er war einen Moment dem Tode näher gewesen als dem Leben.

An diesem Tag war ich richtig gut zufrieden, zum ersten mal spürte ich so etwas, wie eine Leichtigkeit. Ich war nicht mehr Spielball gewesen ich hatte mich durchgesetzt und ich hatte agiert, nicht ständig auf das Wohlwollen der anderen Menschen gewartet. Konnte so Glück aussehen? Gewalt ist wirklich nicht die Lösung, kann aber eine prima Alternative sein. Wir lassen uns einfach zu viel gefallen und werden von allen herum geschubst und geknechtet. Recht hat der, der die Macht hat. Sonst niemand „Vae victis-wehe den Besiegten!

Am nächsten Tag herrschte im Postamt tödliches Schweigen Beschwing und laut pfeifend verrichtet ich meine Arbeit. Das Sortieren fiel mir heute einfach leicht. Ich hatte ruck zuck meine Post gesteckt und war auf dem Weg, meine Tour zu fahren. Die Menschen lächelten mich heute an und kein einziges mal rief man hinter mir her. Jeder Brief landete im richtigen Briefkasten. Es ging mir wirklich gut und ich hatte keinerlei Gewissensbisse einen „Kollegen fast erwürgt zu haben. Es hätte mir nicht das Geringste ausgemacht ihn zu töten. Natürlich hätte ich Angst vor Strafe gehabt, aber es hätte mir keine Unruhige Nacht bereite. Vielleicht hatte ich einfach keine Moral und sein Leben war mir wirklich nichts wert. Mit jedem Tier hätte ich mehr Mitleid gehabt und wenn sah wie Tiere gequält wurden, treibt es mir die Tränen in die Augen. Nach diesem Zwischenfall wurde Grote in Kur geschickt und aus irgendeinem Grund wurde ich auch von ihm nicht angezeigt. Die Kollegen waren in nächster Zeit sehr distanziert zu mir, was natürlich zu verstehen war. Für mich war die Welt wieder in Ordnung und ich machte über diesen Persönlichen Ausfall, keine besonderen Gedanken.

Aber nach einiger Zeit wurde es wieder schrecklich langweilig und meine Konzentration lies erkennbar nach.

Jeder Tag war für mich die Hölle und dann war es einfach soweit. Ich ließ einfach den Dienstpkw, mitten auf der Straße stehen, verschloss ihn nicht und ging zu Fuß weinend bis zur Poststelle, setzte mich in meinen Privatwagen und fuhr einfach davon.

Dann stand ich an der Ampel und merkte, wie sich mein Gesichtsfeld immer mehr einschränkte. Es war so, als wenn eine dunkle Maske von der Seite mein Blickfeld bedeckte. Dann sah ich Grün und fuhr los. Es gab ein lautes Hupen und mein Wagen wurde von einem großen Etwas abrupt gestoppt. Etwas Weißes blähte sich vor meinem Gesicht auf und mir wurde die Luft aus den Lungen gedrückt. Ich war direkt in den kreuzenden Verkehr gefahren und hatte einen brauen Lieferwagen gerammt.

Die Polizei und Krankenwagen waren schnell da und ich verbrachte einige Tage zur Beobachtung im Krankenhaus. Es stellte sich heraus, dass ich auf das Grün der Fußgängerampel reagiert hatte und deswegen los gefahren war. Mein Wagen war nun kaput und ich hatte noch nicht mal ein eignes Fahrrad. Ich setzte mich bei meinen Eltern vor den Fernseher und blieb dort mehrere Wochen sitzen. Ich saugte alles an unnötiger Information, die mir das öffentliche Fernsehen zur Verfügung stellte ein. Von Werner Höfers Frühschoppen über Panorama, Lassie, Bonaza, Geschichten aus Uhlenbusch, High Chaperall und Raumschiff Enterprise, das komplette Programm.Und Skipy das Buschkängeruh, nicht zu vergessen

Und das meiste blieb irgendwo in meinem Kopf hängen und verstopfte meine Gehirnwindungen und nimmt heute noch Anteil an meinem täglichen Leben. Jeder Collie ist für mich Lassie und jeden dicke männlichen Menschen vergleiche ich mit Hoss aus der Serie Bonanza. Diese Gedankenmarken schleppe ich wie einen riesigen Felsblock mit mir herum…..

Ich lehne mit dem Rücken an der Wand. Die Flüssigkeit auf meinem Unterarme beginnt zu trocknen. Ein leichtes Spannungsgefühl ist zu bemerken und es riecht nach Blut.

Das Frauengesicht ist immer noch da. Der Mund bewegt sich, formt Worte, die heraus kommen, aber nicht zu verstehen sind, weil es in meinem Kopf so dröhnt und hallt, wie in einem riesigen, kaltem Kirchenschiff.

Kirchen sind für mich ein Hort der Stille und Besinnung.

Auf einer harten Bank sitzen, den Geruch in sich aufnehmen,

den von Gebeten geschwängerten Raum spüren.

Ein Priester geht langsam durch die Bankreihen. Sein Gesichtsausdruck vermittelt ein hohes Maß an Langeweile.

Einen kurzen Moment schaue ich ihm nach, wie er dann irgendwo im Kirchenschiff verschwindet. Die Orgel beginnt zu spielen….die Toccata von Bach und ich muss an meinen Vater denken, der jetzt im Sterben liegt.

Sein Kopf ist ganz klein und schrumpelig. Ich sitze neben seinem Bett uns sehne mich nach einer Tasse Kaffee. Bin ich traurig oder entsetzt? Ich weiß es nicht und es ist so eine Kälte um mich herum, die mich klein macht und mich zittern lässt.

Als ich den Raum betrat schaute man mich ohne wirkliches Interesse an. Ich wurde einfach völlig missachtet. Die Gesichter der Menschen in diesem Raum, waren wie Masken, die jemand auf Schaufensterpuppen geklebt hatte.

Das Benzin trug ich in einer Plastiktüte von H&M. Ich wollte vermeiden, dass es zu früh auffällt und mich jemand darauf anspricht, was ich mit dem Benzinkanister mache will.

Ich fühle mich wie Gene Heckmann in French Connection 2, als er das Hotel abbrennt, indem er gefangen gehalten worden war. Dort hatte man ihn unter Drogen gesetzt, gefoltert und süchtig gemacht.

Was er dann in dem Hotel machte, war pure Rache. Nichts überlegtes, sinnvolles, sondern einfach nur das archaische Gefühl der Zerstörung, der totalen Vernichtung durch die reinigende Kraft des Feuers, das wir von den Göttern bekommen hatten um es ihnen gleich zutun, sich zu rächen. „Die Göttliche Rache sollte über sie kommen.“

Das Feuer brannte am Strand. Die Funken flogen wie Irrlichter durch die schwarze Nacht. Es war stockdunkel, das Meer nuschelte gelangweilt vor sich hin und ich wartete vergebens auf die großen Gefühle, die das Meer in mir auslösen sollte.

Besonders wohl habe ich mich nie am Strand gefühlt. Nirgendswo fühlte ich mich wohl. Mir fehlt die Begeisterung und die Leidenschaft für eine Sache.

Was ich mag, ist barfuß durchs Wasser zu gehen. Stelle mir vor ich würde durch die Straßen einer Großstadt umhergeistern, die halb vom Meer überspült ist. Ein riesiger Meteorit ist eingeschlagen und eine 30 Meter hohe Flutwelle hat die Stadt verwüstet. Diese Katastrophe kann ich förmlich riechen und ich spüre immer noch die Panik und die Angst der Menschen.

Das Elend, der Tod, das Entsetzen umfängt mich, aber ich setze ständig einen Fuß vor den anderen, wie ein Automat, den man vergessen hat auszuschalten. Mir fallen Szenen aus dem Film „Planet der Affen ein“, mit Charlton Heston ,als Hauptdarsteller Diese komplett zerstörte Zivilisation, die schon unter einer riesigen Schicht Sand begraben liegt.Und dabei gehe ich nur in der Brandungszone des Strandes. All das entsteht plötzlich und ohne jede Vorwarnung in meinem Gehirn. Warum kann ich nicht an etwas Schönes denken, warum gehen mir sofort irgendwelche Katastrophen durch den Kopf.

Als ich weiter ging, bemerkte ich, wie sich das Szenario veränderte. Jetzt schlugen Großkalibrige Granaten am Strand ein. Riesige Mengen Dreck , Sand und Gestein wurden aus dem Boden gerissen. Der Beschuss kam von See her……..Es sind Schlachtschiffe und Zerstörer, die mit ihren Kanonen den Strand und das direkte Hinterland durchpflügen, um alles zu töten, was Widerstand leisten könnte. Man sieht Landungsboote auf den Strand zufahren. Ihre großen Klappen, vorne am Bug des Schiffes öffnen sich kurz vor dem Sandstrand. Sie klatschen in das seichte Wasser und sofort springen Soldaten heraus, laufen auf den Strand zu. Einige fallen hin, ruzschen aus oder werden von Kugeln getroffen, die aus den Dünen auf die Männer gefeuert werden. In den Sandhügeln sind Maschinengewehr - Nester versteckt, die die Soldaten unter tödliches Feuer nehmen.

 

Ich möchte mir den Kopf festhalten, ich bin hier in Westerland auf Sylt am Strand und in meinem Gehirn tobt wieder der Krieg, obwohl hier in Wirklichkeit alles ruhig und idyllisch ist. Ich weiß eigentlich nicht, wo diese Gedanken herkommen, sie Begleiten mich, wie vielleicht jemand anders Stimmen hört, die ihm Befehle geben oder seine Handlungen kommentieren.

Die Beerdigung meines Vaters hat sich einfach so vollzogen. Es war nichts Herzzerreisendes. Die Verwandten waren böse, dass wir keine Trauerkarten verschickt haben, doch meiner Mutter war der Preis fürs Porto einfach zu hoch und mein Vater wollte eine Beisetzung in aller Stille. Viele haben erst im Nachhinein erfahren, dass mein Vater gestorben war.

„Ihr Vater war doch immer so agil und so freundlich zu

allen.“ Mein Vater war einfach nett, ein netter Mensch.

Wenn wir Menschen alle so wären, wie mein Vater, gäbe es keine Kriege, kein Unheil, keine Zwietracht, aber wir würden immer noch in Höhlen hausen.

Meine Mutter ist nun allein, nach 55 Jahren ununterbrochener Ehe. Die Leere erschlägt sie fast. Sie tappt unbeholfen in ihrem Haus umher, schaut in jeden Schrank und sucht das Gefühl, nicht alleine zu sein. In den letzten Wochen hat sie 7 kg abgenommen. Ihr Gesicht wird immer schmaler und ihre Haut sieht schon wie Pergament aus. Sie trinkt kaum noch etwas und wenn, dann nur Kaffee und sie raucht mindestens zwanzig Zigaretten am Tag. Ich streite mich oft mit ihr. Sie tut mir unendlich leid, aber gleichzeitig macht sie mich wütend.

Die Situation überfordert mich. Meine Mutter möchte, dass ich ständig bei ihr bin und sie nicht alleine ist. Dass Gleiche, hatte sie auch mit meinem Vater gemacht. Er musste sich um alles kümmern und immer bei ihr sein. Als er krebskrank wurde schaffte es meine Mutter, so lange herum zu nörgeln und ihn mit Anrufen zu terrorisieren, bis er seine Therapie in Oldenburg abbrach und wieder nach Hause zurück kam.

Er saß nun den ganzen Tag auf dem Sofa im Wohnzimmer und hatte Bauchschmerzen…..Wenn die Schmerzen nicht zu stark waren, kümmerte er sich um meine Mutter oder löste akribisch Kreuzworträtsel. Nach seinem Tod fand ich hunderte von diesen Rätselheften, in den wirklich- alle Aufgaben gelöst waren, es gab nichts was nicht ausgefüllt hatte.

Dann bekam er eines Nachmittages ganz schrecklich Magenschmerzen. Meine Mutter versuchte den Notarzt anzurufen, aber irgendwie klappte es nicht. Im Moment wäre gerade kein Wagen frei. Ich glaubte ihr nicht so Recht und rief noch mal selber an. Es schien dann aber wirklich so zu sein und es dauerte eine halbe Stunde bis ein Wagen auf unseren Hof fuhr. Mein Vater krümmte sich vor Schmerzen und war toten blass.

Der Notarzt kümmert sich rasch und professional um meinen Vater und stellte nachdem er seinen Unterbauch abgehört hatte fest, dass es keinerlei Darmgeräusche mehr gab. Seine Diagnose war Darmverschluss und das mein Vater schnellstens ins Krankenhaus gehörte.

Meine Mutter war überhaupt nicht davon überzeugt und meinte, dass es schon schnell wieder in Ordnung kommen würde, wenn man ihm einfach nur ein paar Abführtabelltten gäbe.

Doch der Arzt ließ nicht mit sich reden und man Vater würde schnell in den Krankenwagen eingeladen und abtransportiert.

Eine Stunde später bekamen wir einen Anruf der Klinik, wir sollten ins Krankenhaus kommen, mein Vater müsste operiert werden. Ich setzte meine ziemlich aufgelöste Mutter ins Auto und wir fuhren los. Auf der Fahrt sagte sie nichts und ich war mir nicht klar, ob sie sich jetzt Sorgen um meinen Vater machte, oder über sich selbst.

Mein Vater war für die Umstände in der er sich befand gut zufrieden, was wahrscheinlich auch an den Medikamenten lag, die er bekommen hatte. Eine junge dynamische Ärztin erklärte uns, dass mein Vater ein komplettes Darmversagen gehabt hätte und jetzt möglichst schnell operiert werden müsste. Wir gingen in das Zimmer das man meinen Vater gebracht hatte. Er machte einen gefassten und fast frohen Eindruck. Was auch daran lag, dass er nun absolut keine Schmerzen mehr hatte. Als die Pfleger ihn hin ausrollten, drückte ich ihm noch mal die Hand. Und das letzte was er sagte war „Wenn ich wiederkomme gebe ich euch die Pin für die Ec- Karte“.

Während der Operation bekam er einen Schlaganfall und wachte nicht mehr auf…… und die Pin der EC- Karte ,habe ich nie erfahren.

Mein Vater lebt noch 2 Wochen und meine Mutter machte einen immer hilfloseren Eindruck. Ihr Leben hat sich vollkommen auf meinen Vater konzentriert, der ihr alles abnahm, waren es die Bankgeschäfte oder das tägliche Einkaufen. Sie konnte, oder wollte einfach nicht alleine sein und ihr wurde langsam klar, dass dieses Schicksal auf sie zu kam.

Wenn sie meinen Vater besuchte, war sie eigentlich nur am klagen und sie wollte einfach ihren „alten Erich wieder haben.“ Das machte mich sehr wütend, aber ich konnte es ihr oder jemand anderen aber nicht sagen, weil ich ihr auch nicht in den Rücken fallen, oder sie vor den Verwandten schlecht darstellen wollte.

Ich wusste, dass es meiner Mutter, nur um ihre Situation ging. Natürlich hing sie an meinem Vater, aber ich hatte immer die Vermutung, dass es ihr einfach nur darum ging, einen Menschen bei sich zu haben, der sich um sie kümmerte und sei bespaßte.

Als mein Vater gestorben war, sollte ich diese Rolle übernehmen, was mir nicht leicht viel, nach den Erfahrungen die ich mit meiner Mutter, in meiner Kindheit gemacht hatte.

Es stand immer eine riesige, unsichtbare Mauer zwischen uns. In den Arm nehmen konnte ich sie nicht. Auch nannte ich sie nie Mama, oder Mutter…sondern immer nur Frau Koslowski, zwar mit einem belustigten Unterton, aber doch ernst gemeint.

Ich habe nie mit meiner Mutter darüber gesprochen, was sie in meiner Kindheit mit mir gemacht hat.

Meine Mutter blieb alleine in dem Haus und war mindestens zweimal am Tag dort um ihr die Zeit zu verteiben und ein zu kaufen. Es war nicht so, dass ich es als etwas ganz schrecklich bedrückendes oderwirklich furchtbares umpfunden habe,aber es tat mir nicht gut und es senkte sich wieder etwas Schweres und Dunkles auf meine Seele.

Als ich die Augen aufschlug, fühlte ich mich vollkommen erschlagen und traurig. Alles um mich herum war neblig und schien einige Zentimeter der Wirklichkeit entrückt.

Ich machte einige Anrufe und wunderte mich, dass niemand so richtig mit mir sprechen wollte. Vielleicht wollte ich es auch so…….. Die Person am anderen Ende der Leitung spürte, dass ich kein Interesse an ihr hatte, so wie Hunde es spüren, wenn man Angst vor ihnen hat.

Es war vor 20 Jahren, als ich in einem Zeltlager der Katholischen Pfadfinder hockte. Es war kalt und feucht, die Zelte grau und ungemütlich, alles war schmierig und labbrig, so wie das Toastbrot, welches es zum Abendbrot und zum viel zu frühen Frühstück gab.

Ich verliebte mich dort in ein älteres Mädchen. Geige spielen war ihre große Leidenschaft und sie war tierisch gut in der Schule. Sie wurde meine erste Freundin und ich weinte lange als auch sie mich verließ.

Am Nachmittag gehe ich durch die Stadt. Besuche das Gebäude meiner alten Schule. Warte auf der Treppe, im Eingangsbereich, auf das Gefühl der Seligkeit, das mich durchströmen müsste, aber da ist nichts…….kein wohliges Erinnern, keine lustigen Erlebnisse die ich hier gehabt habe, nichts !

Die Tränen laufen mir übers Gesicht und ich schluchze einfach vor mich hin.

Als ich in die Wohnung zurückkehre, empfängt mich dort wieder die Einsamkeit. Sie kommt mir vor wie eine gute, alte Freundin, die ständig an einem herumnörgelt, sich über einen lustig macht und jede Möglichkeit ausnutzt, das Messer in der offenen Wunde der Scham herumzudrehen.