Kishou IV

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Copyright: © 2015 Michael Kornas-Danisch

KISHOU IV

Denn

So das EINE

sich VERHÄLT

zum ANDEREN

Da ist

ZEIT

Als das MAß

Als die REGEL

Des EINEN gegenüber dem ANDEREN

Denn

So das EINE

sich VERHÄLT

zum ANDEREN

Da ist

GESETZ

Da ist

ORDNUNG

Das Drom der Breenen
Das Geheimnis der Allmächtigen

Eine grüne Überraschung

K

ishou starrte mit großen Augen in die neue Welt. Was für ein Anblick. Sie stand inmitten von saftigem Grün, soweit das Auge reichte. Es musste eine gewaltige Oase sein, die direkt am Dritten Tal der Dritten Ebene des Dritten Droms angrenzte.

Ihr Kopf fuhr herum. Die Zollstelle gab es nicht mehr, und sie hatte es auch nicht anders erwartet. Das Große Belfelland kannte keinen Weg, der in das vorherige Drom zurück führte, wie sie nicht nur einmal vom Unteren Squatsch aufgeklärt wurde. Es war wohl die Zeit selbst, die es nicht zuließ, wie sie inzwischen zu verstehen meinte. Hier nun, wo sie das letztliche Ziel ihres Weges erreicht hatten, wollte es auch nicht einmal den Anschein erwecken. Es war nicht mehr nur eine weitere Etappe zum Ziel, sondern das Ende des Weges. Nichts konnte nun mehr sein, wie es war – sie ahnte es, je mehr sie mit staunenden Augen um sich sah ...

„Es ist keine Oase entschieden an diesem Ort!“ Meinte Mo plötzlich, als hätte sie Kishous Gedanken erraten.

„Nicht?“, schrak Kishou aus ihre Gedanken auf.

„Nein!“, krächzte Lui von Habadams Schulter herunter, während sein Kopf offenbar aufgeregt in alle Richtungen zuckte, dass man meinen könnte, er hätte keine Halswirbel.

„Boorh entscheidet: In der Vierten Ebene des Vierten Tals des Vierten Droms fließen noch die Wasser, wie einst überall im ganzen Großen Belfelland!“

„Erstaunlich! Höchst erstaunlich!“, meinte nun auch Habadam. „Es sieht so aus, als würde es sich tatsächlich so verhalten! ... als hätte Suäl Graal dieses Drom von der Trockenheit verschont – was aber eigentlich nicht sehr wahrscheinlich ist, denn …!“

„Sie wird es vergessen haben … vergessen haben. Wahrscheinlich weil der große Zauberer nicht bei ihr war, … nicht da war, um sie daran zu erinnern!“, provozierte das Untere Squatsch.

„Meinst Du auch, das es nicht nur eine große Oase ist?“, wandte sich Kishou an Madame KA, während sie sich von ihrem ungeliebten Breenenrock befreite, den sie sicherheitshalber bei ihrem Übertritt in das neue Drom tragen musste. Es hatte seine Arbeit getan.

„Wir werden es erfahren!“, antwortete sie, während ihre Augen ungewöhnlich aufmerksam die Umgegend und auch den Himmel musterten. ‚Aufmerksam’ trifft es eigentlich nicht richtig, wie ihre Augen so umherwanderten. Es war eher so etwas wie der Blick eines Reisenden, der an seinem Ziel angekommen war. „Alles war der Weg. Hier nun ist Belfelland!“, meinte sie dann auch tatsächlich – wenn auch mehr zu sich selbst. Sie gab in diesem Moment ihrem Biesel eine Richtung vor, und trabte im gemächlichen Schritt los. Die anderen folgten.

So unerwartet erfreulich der erste Eindruck dieses Droms auch war, so bot es nicht gerade einen guten Komfort, was das Vorankommen anging. Die pralle Natur erwies sich schnell als im höchsten Maße unbändig, und erzwang immer wieder die Suche nach einem begehbaren Weiterkommen. Es war eine Mischung aus Wald und dichtem Buschwerk mit vielen grünen Lichtungen, die gern im tiefen Morast endeten. Kleine und größere Teiche, Bäche und umgestürzte Bäume nötigten sie immer wieder zu Umwegen. Und nach den vielfältigen, verschiedensten Lauten um sie herum zu urteilen, war es auch sehr lebendig hier. Ein Teppich von Gezwitscher, Singsang, Krächzen und Zirpen lag überall in der Luft. Ihre Verursacher waren nur selten auszumachen. Das Blattwerk war zu dicht, und Kishou hatte nicht die Zeit, nach ihnen zu forschen. Nur hin und wieder sah sie ein kurzes Aufflattern irgendwelcher unbekannter Vögel. Größere Kreaturen tauchten zunächst nicht auf, obgleich manch ein Geräusch solche vermuten lassen durfte.

„Hast du ein bestimmtes Ziel?“, fragte Kishou Madame KA, als sie für einen Moment auf ihre Höhe kam.

Die Bewegung hat immer ein Ziel!“, lächelte Madame KA hintergründig. „Unsere zielt auf die Stadt ‚Trital’, die sich einst als nächst größerer Ort zur Grenze des Dritten Droms verhielt!“

„Und wie weit?“, wollte Kishou wissen.

„80 Mal wird die Sonne bis dahin das Allsein verdrängen! Sehr ‚wahrscheinlich'!’“ meckerte das Untere Squatsch, der wohl mitgehört hatte und nicht sehr glücklich über die Beschwernisse war. „Verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung des Allseins!“, maulte er dann aber doch noch, sich entschuldigend.

„Es ist nicht abzuschätzen!“, meinte nun Madame KA. Ursprünglich verhielt sich Trital einen halben Tagesmarsch auf den Bieseln zur Grenze des Dritten Droms. Aber die Verhältnismäßigkeiten haben sich geändert – es führten dereinst gute Wege dorthin.

Bereits mit den ersten Anzeichen der Dämmerung hielten sie Ausschau nach einem geeigneten Rastplatz. Würde die Dunkelheit erst einmal hereingebrochen sein, hätten sie keine Gelegenheit mehr dazu.

Sie entschieden sich für die aus dem Boden gerissenen Wurzeln eines umgestürzten riesigen Baumes. Ihr mächtiges Gehölz bildete eine geräumige Überdachung, die allen genügend Platz bot. Der bizarre Raum erinnerte an eine alte Tropfsteinhöhle. Farne und knöchrige Wurzelstränge hingen überall von oben herab.

Kishou machte es sich in Boorhs Schoß bequem. Vorsichtshalber. Sie hatte am Boden einige kleine krabbelnde unbekannte Kreaturen bemerkt, die ihr nicht geheuer waren. „Erzählt mir von den Breenen!“, meinte sie nun, während ihre Hände in ihrem Beutel fischten. „Immerhin ist ja Trautel Melanchful eigentlich die Regentin hier. … hat sie mir erzählt. Die Bewohner hier werden ganz schön gucken, wenn sie erfahren, dass ich von ihr komme!“

„Boorh entscheidet: Im Volk der Breenen trennt sich ein Volk der Furcht vom Allsein!“, tönte es mit Nachdruck über ihr.

„Ein Volk der Furcht?“, wunderte sich Kishou. „Was fürchten die denn?“

„Das ihnen der Himmel auf den Kopf fällt! ... der Himmel auf den Kopf fällt zum Beispiel!“, quäkte das Untere Squatsch.

„Das ihnen der Himmel auf den Kopf fällt?“, verstand Kishou nicht.

„Nun ...", lenkte Habadam ein. „Das Untere Squatsch will wohl damit sagen, das sie alles und nichts fürchten. Alles, das sich zu ihnen verhält, könnte auch eine Gefahr bedeuten. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür ist ja auch tatsächlich niemals auszuschließen!“

„Na dann ist doch alles ganz normal!“, meinte Kishou zu verstehen.

„Etwas anstrengend ... anstrengend – wenn ihr meine Wenigkeit fragt!“, bemerkte das Untere Squatsch. „Immer und überall eine Gefahr vom Allsein zu verdrängen … ziemlich anstrengend!“

„Und wie kommen die Breenen ohne Trautel Melanchful klar?, fragte Kishou. „Immerhin ist sie doch sowas wie eine Königin hier – hat sie mir erzählt. Was machen die Breenen ohne Trautel Melanchful?“

„Schwer zu sagen, wie sich dieser Umstand zu den Breenen verhält!“, meinte Habadam sinnend. Doch vergesst nicht, dass auch das Zweite Drom ohne die Anwesenheit von Boorh und Mo über all die Zeiten zurechtkommen musste. ..."

„Der Weißbart vergisst in euch vom Allsein zu trennen, ... vergisst er natürlich, dass immerhin meine Wenigkeit ... meine Wenigkeit als der legitime Herrscher der zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms dort durchaus in all den Zeiten das Allsein verdrängte! Durchaus!", widersprach das Untere Squatsch.

„Vielleicht verhält es sich aber auch so ...", überhörte Habadam den Einwand, „... das Suäl Graal nun auch die Ebene des Droms … Eine gewisse Wahrscheinlichkeit …“

„Suäl Graal ist Eins mit Trautel Melanchful", wurde er von Madame KA unterbrochen. „Doch der Ort ihrer Herrschaft liegt im Vierten Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms!“, widersprach sie dem Gedankengang Habadams. „Sie kann Trautel Melanchful nicht ersetzen – sowenig, wie ich Dich vertreten könnte!", lächelte sie in Richtung Habadam.

„Du meinst aber, sie gehört irgendwie mit Suäl Graal zusammen? – So wie Du und Habadam oder Mo mit Boorh?“, meinte Kishou aus dem ersten Teil des von Madame KA Gesagten verstanden zu haben – was aber doch unmöglich gemeint sein konnte ...

„So ist es entschieden!“, bestätigte Mo nun allerdings.

„Da komm’ ich nu’ überhaupt nicht mehr mit!“, grübelte Kishou und schüttelte abwehrend den Kopf. „… Dann müsste doch Trautel Melanchful genauso mächtig sein wie Suäl Graal …!? Ich meine … dann wäre sie doch …“ Sie brach ab, weil ihr der Gedanke, der ihr gerade kam, zu abwegig erschien.

„Die Macht Trautel Melanchfuls verhält sich zu der Suäl Graals ebenbürtig!“, bestätigte Madame KA zu ihrer Überraschung. „Wie sonst hättet ihr bei Trautel Melanchful Obhut finden können, bis ihr bereit ward, eure Aufgabe zu erfüllen? Suäl Graal konnte sie nicht daran hindern. Niemand hätte sie daran hindern können, euch zu schützen!“

„Ich glaub’, diese Zusammenhänge werd’ ich wohl nie begreifen!“, resignierte Kishou Kopfschüttelnd. „Ich hab's mir bisher immer so erklärt, das ihr so zusammengehört wie ... na ja – wie ,oben' und ,unten' eben – oder eigentlich besser noch, wie so eine Kraft, und was dann dabei rauskommt, wenn sie was gemacht hat. ... oder so ... ist mir so bei euch zumindest mal durch den Kopf gegangen!", meinte sie mit entschuldigendem Blick zu Mo und Boorh. „Weißt du, was ich meine?"

 

„So ist es entschieden!", reagierte Mo nur mit einem geheimnisvollen Lächeln.

„Ist nicht alles, was ihr findet im Großen Belfelland, nur der Schein dessen, was sich in im entfaltet?", fragte Madame KA hintergründig, während sie ihre große Tasche zu sich heranzog.

„Ja schon ... ", kam es zögerlich von Kishou. „Aber bei Trautel Melanchful und Suäl Graal ... ist es ja eben nicht so!", widersprach sie nun doch energisch. „Also stimmt's dann irgendwie doch nicht!"

Madame KA lächelte. Ihre Hand verschwand für einen Moment in der Tasche, und zog einen großen Keks hervor. „Ich habe noch einige davon aufgehoben!“ Sie reichte ihn zu Kishou hinüber. „Ihr solltet wissen, dass ihr nur verstehen könnt, was hinter euch liegt!“

„Wie meinst du das?“, fragte Kishou auf dem Keks herumkauend.

„Nun ja …!“, schaltete sich das Untere Squatsch ein, dass offenbar an diesem Abend ungewöhnlich redselig war. „Madame KA meint, das man nur … also das man immer nur das bemessen kann … bemessen kann, was bereits vom Allsein verdrängt ist – wenn ihr es wohl bemesst. Solange etwas noch nicht verdrängt ist vom Allsein, …“

„Es gibt immer viele Möglichkeiten für das, was sich in der Zukunft verhalten wird!“, übernahm nun Habadam. „Wenn denn eine der Möglichkeiten eingetreten ist, so zeugen seine Verhältnismäßigkeiten davon, warum sich gerade diese Möglichkeit vom Allsein trennte, und nicht eine der vielen anderen. Aber bis zu diesem Moment gibt es nichts zu verstehen – nur Spekulation. Bedenkt – Ihr könnt nur verstehen, was sich zueinander verhält. Und was ihr dann versteht, ist eben die 'Ursache' dieses Verhaltens – und eine Ursache liegt immer vor der befragten Verhältnismäßigkeit, wie ihr ohne Zweifel versteht!“

„Genau das habe ich vom Allsein verdrängt – habe ich! Genau das! Aber die schlanke Flachsandale muss natürlich wieder … Verzeiht meine kleine …!“ winkte das Untere Squatsch nicht ganz rechtzeitig entschuldigend ab.

„Ich hab schon verstanden, was ihr sagen wollt!“, versuchte Kishou ausgiebig gähnend zu vermitteln. „Aber es ist halt manchmal ziemlich blöd, das man nur erst im Nachhinein schlau sein kann!“ Sprach's, gähnte noch einmal ausgiebig, und kuschelte sich in Boorhs Schoss zurecht.

Die vielfältigen Stimmen der abendlichen Natur und der sichernde Schoß Boorhs ließen sie bald in einen angenehmen Schlaf fallen.

~

Und noch eine Überraschung

Kishous erwachte von einem Geräusch, das ihr wohl bekannt war, dessen Erinnerung allerdings schon weit in die Vergangenheit reichte. Sie brauchte eine Weile, um es einordnen zu können. Sie schlug die Augen auf und schaute benommen hinaus in den bereits angebrochenen Tag. Ungläubig betrachtete sie das Geschehen, und es brauchte noch einmal eine gute Zeit, bis sie endlich bereit war, anzunehmen, was die Augen berichteten: Es regnete! Dicke Wassertropfen prasselten und klatschten in das Gehölz ihrer Überdachung, und davor auf eine dampfende, aufgeweichte Erde.

Noch etwas schwerfällig krabbelte sie vom Schoße Boorhs und trat hinaus. Der Boden vor ihrer Behausung war etwas abschüssig, so fand das Wasser nicht in ihre Zuflucht hinein. Sie breitete ihre Arme aus und streckte ihr Gesicht gegen den Himmel. Schwere, warme Tropfen zerplatzten darauf und durchtränkten ihren Kleider. Es war ihr nicht genug. Sie zog ungeduldig die nassen Kleider von ihrem Körper und erlaubte dem Wasser einen direkten Zugang zu ihm. Schwer atmend und offenbar glückselig drehte sie sich endlich vollkommen entblößt immer wieder im Kreise, das ihr fast schwindlig wurde.

Als ihr Blick endlich auch einmal wieder in die Baumhöhle fiel, weil selbst das laute prasseln des Regens ein wiederholtes „Nein, nein …!“ nicht gänzlich verschlucken konnte, sah sie dort, durch dicke Fäden herabfallenden Wassers, Lui von einem Bein auf das andere wankend, auf dem Boden hocken – und dass über beide Ohren etwas verklärt grinsende Gesicht Boorhs, der sie offenbar die ganze Zeit über beobachtet hatte.

„Es regnet!“, quietschte Kishou laut vor Vergnügen und immer wieder: „Es regnet!“

Dank der Fähigkeiten des Unteren Squatsch waren die Kleider Kishous bald wieder getrocknet. Die schweren Wolken waren weitergezogen, und hatten schließlich der Sonne den morgendlichen Himmel überlassen. Die Erde dampfte und durchtränkte die Luft mit einem betörenden süßen Duft von feuchtem Holz, Blüten und Gräsern. Kishou meinte, direkt im Paradies angekommen zu sein.

Es war nun aber auch keine Frage mehr: Zweifelsohne war dies keine große Oase, in die sie geraten waren. Die Natur der Oasen wurde von Wasser gespeist, das sich dort noch im Boden befand. Niemals hatte sie erlebt, dass es irgendwo auch nur einen einzigen Tropfen geregnet hatte. Warum dieses Drom allerdings offenbar von der Trockenheit des Großen Belfellands verschont war, wusste noch niemand zu sagen.

Bevor sie nun endlich aufbrechen konnten, musste nun auch noch das Biesel Kishous einige Hitzeschauer des Unteren Squatsch über sich ergehen lassen. Die flauschigen, langen Haare auf dem Rücken der großen Tiere waren vom Wasser durchtränkt. Sie hatten schließlich nicht den Vorzug eines Unterstandes während des Regens gehabt. Für die Chemuren war dies ohne Belang. Kishou wollte man allerdings nicht den Ritt auf einem durchnässten Bieselrücken zumuten. Auf diese Weise behielt sie wohl nach dem Aufbruch einen trockenen Po, nicht aber trocken Kleider. Vorbei schweifende Äste und das abtropfende Wasser von den Baumkronen durchtränkten sie Anfangs sehr schnell wieder, während die Gruppe sich ihren Weg durch die üppige Natur bahnte. Aber es war warm genug, das sie es eher als willkommene Erfrischung empfand.

~
Erste Kontaktaufnahme

D

ie Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie endlich auf die ersten Anzeichen der Bewohner dieses Droms stießen. Ein größeres Feld tat sich vor ihnen auf, dass offenbar bearbeitet war. In regelmäßigen Abständen ragten kleine Sprösslinge aus dem Boden. An seinem Rande führte ein ausgetretener Weg entlang, der einem Wagen Platz bot.

Mit erhöhter Aufmerksamkeit nutzen sie die gewonnene Bequemlichkeit des Weges, der sich am Ende der großen Parzelle in verschiedene Richtung aufspaltete. Für Madame KA gab es hier offensichtlich keine Qual der Wahl. Wie selbstverständlich ritt sie in einen der Wege hinein, der halbrechts gelegen, in einen dichten Wald hinein führte, und sich alsbald verbreiterte. Die Fülle der Natur schien von nun an etwas geordneter. Es konnte aber auch täuschen, und nur dem Pfad geschuldet sein, der sich gradlinig durch das Gehölz schnitt. Tiefe Eindrücke von Wagenspuren zu beiden Seiten zeigten an, dass er häufig genutzt wurde.

Nach einem längeren Anstieg und folgendem kürzeren Abstieg des Weges, stießen sie auf ein weiteres Feld, das dem Ersteren nicht unähnlich war. Es war allerdings um einiges größer – und es war hier gerade ein geschäftiges Treiben auf ihm zu erkennen. In einiger Entfernung waren mehrere Gestalten zu sehen, die sich in gebückter Haltung am Boden zu schaffen machten – ein höchst friedvoller Anblick, der auch in Kishou nicht die Spur einer Gefahr signalisierte. Sie hielten inne und blickten gespannt zu den dort Arbeitenden hinüber.

„Boorh entscheidet: Breenen verdrängen dort das Allsein!“

„Wieder ein Geistesblitz von dem Muskelträger!“, quäkt das Untere Squatsch leise. Er war aber selbst so sehr gespannt, dass er sogar die nun üblicherweise folgende Entschuldigung gegenüber Kishou vergaß.

„Und jetzt?“, fragte Kishou.

„Wir werden zu ihnen gehen, und sie befragen, was sich verhält in diesem Drom!“, stellte Habadam nüchtern fest.

„So ist es entschieden!“, meinte Mo und stieg bereits von ihrem Biesel.

Die anderen folgten ihrem Beispiel. Sie gingen noch ein Stück weit den Weg entlang, bis sie geradewegs zwischen den Reihen der Setzlinge auf die Breenen zumarschierten. Es waren sechs von ihnen, die dort mit irgend etwas in der Erde beschäftigt waren. Jetzt erhoben sie sich einer nach dem anderen – sie hatten wohl die Fremden bemerkt. Zunächst verhielten sie sich abwartend, und schauten den Ankömmlingen entgegen – dann aber machten sie auf der Stelle kehrt, und rannten unter lauten, unverständlichen Rufen quer über das Feld. Sie sprangen auf einen Wagen mit zwei Zugtieren davor, dass auf der anderen Seite des Feldes abgestellt war, und fuhren eilig davon.

Kishou schaute ihnen enttäuscht nach. „Mist!“, ließ sie sich vernehmen.

„Eine gewisse Wahrscheinlichkeit stand durchaus für ein solches Verhalten!“, meinte Habadam.

„Ja!“, schloss sich ihm Madame KA an. „In unseren Erscheinungen verhält sich zuviel des Fremden!"

„Du meinst, weil ihr so groß seid!“, verstand Kishou. Die Breenen waren wohl etwas größer von Gestalt als sie selbst – zumindest diejenigen, die sie hier vorfanden – aber doch Zwerge gegen Boorh und Mo. Selbst Madame KA überragte sie noch um einiges. „Ich hab’ auch ganz vergessen den Mantel wieder anzuziehen!“, stellte sie nun auch erschrocken fest.

„Kein Problem!“, winkte das Untere Squatsch ab. „Die Blaurockstange und der Brusthaarträger wären ihnen dadurch nicht sympathischer erschienen. Nicht sympathischer! Kein Problem das!“

Sie kehrten zurück zu ihren Bieseln, und setzten ihren Marsch fort.

„In der kleinen Begegnung mit den Breenen verhält sich noch ein weiteres Rätsel zu uns!“, meinte Habadam, während sich eine seiner Hände in seinem dichten Bart verlor.

„Du sprichst von der Braanin unter ihnen!“, erriet Madame KA sofort.

„Ja!“, bestätigte Habadam.

„So ist entschieden, das die Grenze nicht verschlossen ist, zum Vierten Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms!“. Bemerkte Mo.

„Erstaunlich! Höchst erstaunlich!“, grübelte Habadam.

„Ihr meint …“, horchte Kishou auf. „… wir kommen ganz einfach und ohne Probleme in das Vierte Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms?“

„Eine Grenze muss immer erst überschritten werden!“, reagierte Madame KA. „Was dem einen zugestanden ist, kann dem anderen verwehrt sein!“

Kishou empfand die Vorstellung einer grundsätzlich begehbaren Grenze dennoch als hoffnungsvoll. „Na gut, aber es klingt allemal besser als das, was wir bisher immer erlebt haben!“.

Das Land erwies sich in seinem weiteren Verlauf als sehr hügelig und durchwachsen von Felsformationen, die hin und wieder die verschwenderische Natur kurz unterbrachen. Immer wieder trafen sie auf Wegverzweigungen, und wo sie auf größere ebene Fläche stießen, waren diese zumeist mit allerlei Anpflanzungen bewirtschaftet. Sie durften der Stadt Trital auf den befestigten Wegen schon ein gutes Stück nahe gekommen sein, als sie erneut auf Breenen trafen, die gerade ein Feld bearbeiteten. Von einer Bepflanzung war noch nichts zu sehen, aber soviel man bereits erkennen konnte, reihten sich kleine, spitze Erdhügelchen über das weite Felde aneinander. Es mochten mehr als zwanzig Breenen sein, die dort auf dem Feld waren. Auch Braanen schienen wieder unter ihnen sein, wie die dunklere Farbe ihrer Mäntel anzeigte.

„Wollen wir’s nochmal versuchen?“, frage Kishou zweifelnd!“

„Boorh entscheidet: Wartet!“ Er warf Mo einen kurzen Blick zu, wendete sein Biesel, und stürmte in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Kurz darauf war klar, was er vorhatte. Er umrundete das Feld, um auf dessen andere Seite zu gelangen. Wozu das gut sein sollte, war zumindest Kishou noch nicht so recht klar …

„Es ist entschieden!“, meint Mo plötzlich und stieg von ihrem Biesel.

Diesmal vergaß Kishou die Verkleidung nicht – war aber nun unsicher, welche sie wählen sollte. „Wenn es hier auch Braanen gab – also Bewohner des Tals des Vierten Droms ... „Welchen der beiden Mäntel soll ich dann anziehen?“

„Wählt den helleren – den des Breenen!“, empfahl Madame KA. „Aber bedeckt euer Gesicht. Wir wissen noch zu wenig über die hiesigen Verhältnismäßigkeiten und dem Hiersein der Braanen!“

Eilig zog sie das Gewand über die Schultern, knöpfte es zu, und schlug die große Kapuze über ihren Kopf. Die Sinnhaftigkeit ihrer Verkleidung durfte zwar im Anbetracht ihrer Begleitung in Zweifel gezogen werden, aber vielleicht war es ja doch vor allem ihr Anblick, die eine solche Reaktion der Bewohner des Droms hervorrief. Immerhin hatte bislang noch niemand im Großen Belfelland auf ihre Erscheinung normal reagiert. So gerüstet marschierten sie geradewegs auf die Arbeitenden zu.

 

Schon bald erhoben sich die ersten der grau berockten Gestalten. Rufe waren zu hören, und bald hatten sich alle erhoben, und starrten zu ihnen hinüber. Kishou hatte sich an die Spitze gesetzt – wohl in der Hoffnung, dass ihre Erscheinung als scheinbarer Breene etwas vertrauenerweckender wäre.

Tatsächlich gelang es ihnen, sich ein wenig mehr zu nähern, als beim ersten Mal, bevor die Breenen – zunächst etwas zögerlich – dann jedoch nicht weniger panisch und unter lauten Rufen Reißaus nahmen. Sie liefen zu beiden Seiten des Feldes verstreut auseinander, um ihre Wagen zu erreichen. Augenblicke später stoben die Zugtiere mit den Fuhrwerken davon – bis auf Einen …

Mo nahm sofort Kurs auf ihn, und wusste wohl auch, warum. Sie fanden einen breit grinsenden Boorh bei ihm, dessen riesige Pranken die Arme zweier Breenen wie Schraubstöcke umschloss. „Boorh entscheidet: Nach der Tat könnt ihr nun Worte vom Allsein trennen!“

Die beiden Breenen starrten mit offenen Kapuzen und weit aufgerissenen Augen von einem zum anderen, als fürchteten sie ihr jähes Ende.

„Ihr müsst keine Angst haben!“, meinte Kishou sofort, die sich mit weit vorgezogener Kapuze bemühte, ihr Gesicht zu verbergen. „Ihr könnt ja nicht wissen, wer wir sind, aber …“

„Wir … wir wissen, wer ihr seid!“ stotterte der eine sofort in Kishous Worte hinein. „Alle wissen es!“

„Ihr wisst, wer wir sind?“, staunte Kishou.

„Wir haben uns lange schon vorbereitet. Bald werden die Teller hier sein – und die Gleim!“, übernahm der andere mit erstickter Stimme, während seine Augen hektisch den Himmel absuchten.

„‚Teller’ … und die ‚Gleim’?“ fragte Kishou, und versuchte den Blicken der beiden in den Himmel zu folgen.

„Boorh entscheidet: Im Gleim verdrängt ein Streiter der Horden der Gleichen das Allsein!“

„Na toll!“, erschrak Kishou, und blickte suchend über das Feld.

„Weshalb fürchtet ihr uns, wenn ihr doch wisst, wer sich in uns zu euch verhält?, fragte Habadam.

„Wir … wir fürchten uns nicht!“, stieß der Eine sofort hervor. Es mochte wohl die schlechteste Lüge gewesen sein, die je ausgesprochen wurde.

„Was glaubt ihr denn, wer wir sind?“, fragte Kishou nach. Die Reaktion der Breenen sprach nach ihrem Befinden nicht gerade für das bekundete Wissen der Beiden.

„Ihr kommt von der ‚Sterbenden Welt’, und wollt unser Wasser und unser Land!“

„Und es stimmt also auch, das die ONO mit euch unter einer Decke steckt!“, übernahm der andere mit hassvollen Blick, und streckte seinen freien Arm in Richtung Kishou!“

„,ONO'? – was ist das?“, wunderte die sich, sie war hier offenbar direkt angesprochen. Eine Antwort blieb allerdings aus.

„Sie halten euch für einen Breenen!“, gab Madame KA leise zu bedenken. „Ihr solltet es also wissen und so werden sie eure Frage nicht verstehen!“

„Tatsächlich verhält es sich gewissermaßen so, dass wir aus sterbenden Welten kommen. sprach nun Habadam zu den Beiden. „Doch warum ist euer Drom davon verschont? Wir finden hier das Verhalten von Wasser in den Wolken wie auf der Erde, und eine reiche Natur?“

„Was soll die Frage?", war die Reaktion des Einen mit Blick auf Kishou. „Wir haben noch von allem genug, und Ihr werde es uns nicht nehmen – auch wenn es Verräter unter uns gibt!“, sprudelte er aggressiv hervor und verzog gleich darauf in Schmerzen sein Gesicht. Er hatte sich wohl dabei zu ungestüm bewegt, und Boorhs Griff zog sich noch fester zu.

„Lass sie los, Boorh!“, befahl Kishou. Der gab die Beiden nach einem bedenklichen Blick zu beiden Seiten frei und trat einen Schritt hinter sie zurück. „Wir wollen euch nichts tun!“, erklärte Kishou nun beschwichtigend. „Wir wollen nur wissen, was so los ist hier im vierten Drom. Zum Beispiel wie man in das Vierte Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms kommt. Ist die Grenze tatsächlich offen?“

Die beiden Breenen sahen sich verständnislos an, ohne zu antworten.

Kishou musste einsehen, dass sie als vermeintlicher Breene solche Fragen nicht stellen konnte. Sie war für einen Augenblick geneigt, sich einfach die Kapuze vom Gesicht zu ziehen, und sich zu offenbaren, das hatte noch nie seine Wirkung verfehlt – aber sie war unsicher, ob dies jetzt der richtige Moment war. „Ich bin kein Breene!“, versuchte sie es wenigstens auf die einfache Art. „Ich würde nicht fragen, wenn ich die Antwort kennen würde!“

Die beiden schauten tatsächlich einen Moment etwas verdutzt zu ihr hinüber. „Was soll das Verleugnen deiner Herkunft!?“, meinte der Eine von ihnen.

Ein unwilliger Laut hinter Kishou deutete an, dass das Untere Squatsch dabei war, die Geduld zu verlieren. Er watschelte auch prompt nach vorn und stellte sich vor den Beiden auf. „Also nun hört mal zu, ihr beiden Intelligenzträger … ihr Beiden … Bevor ich euch frage, was unter eurem Grauröcken das Allsein verdrängt, was wohl eine ziemlich unangenehme Frage wäre, … eine sehr unangenehme. Als bevor ich euch …“

Das kurze Aufleuchten Mos unterbrach jäh die Worte des Unteren Squatsch. Bevor die anderen realisieren konnten, was gerade geschehen war, stieg bereits die schwere Axt Boorhs unter seinem Brüllen in den Himmel auf und krachte dem Klange nach in etwas metallisches hinein. Unweit hinter ihnen fiel das Getroffene wie ein Stein mit dumpfen Aufschlag in das Feld. Der kleine Moment der Ablenkung genügte allerdings den beiden Breenen als Gelegenheit, um mit riesigen Schritten im Unterholz des angrenzenden Waldes zu verschwinden.

„Was war das?“, fragte Kishou erschrocken.

„Ein ganz besonderer Vogel verdrängte am Himmel das Allsein!“, reagierte das Untere Squatsch lakonisch.

„Nein!“, war hierzu der eindeutige Kommentar Luis, während er sich von Habadams Schulter erhob, und in die Richtung flog, wo das unbekannte Ding niedergegangen war. Die anderen folgten.

Sie fanden ein seltsames, scheibenförmiges, zur Mitte sich verstärkendes Gegenstand, der nicht ganz zwei Schritte von einer Seite zur anderen maß. Seine Farbe war von mattem Schwarz und seine Form nach allen Seiten unterschiedslos – abgesehen von der starken Delle im oberen Gehäuse. Boorhs Axt musste das Ding von unten durchschlagen, und die kantige Delle dort oben hinterlassen haben.

Kishou beugte sich nach unten. Splitter von dickem Glas lagen dort vereinzelt herum. Sie meinte auch, ein grünliches Licht etwas unterhalb und im Schatten des Objekts zu sehen – aber es war nur einen Moment lang, und wohl nur eine Reflexion des Grases.

Vollkommen unterschiedslos Ebenmäßig war es dann aber doch nicht. Eine Stelle seiner Kante wies ein fingerdickes, quadratisches Loch auf, wie Kishou nun bemerkte.

„Ein Besonderer Apparat!“, stellte Habadam stirnrunzelnd fest.

„So wie’s aussieht, …“ überlegte Kishou … „Der Eine hat doch von ‚Teller’ gesprochen, die kommen werden. Ist das vielleicht so ein Teller?“

„Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht wohl schon wegen dem Verhalten seiner Form dafür!“, meinte Habadam.

„Kennt ihr die nicht?“, frage Kishou. „Ich meine, gab’s die damals nicht, als im Großen Belfelland noch alles in Ordnung war?“

„Eine menge Schrott verdrängte seinerzeit das Allsein hier!“ Das Untere Squatsch wiegte seinen viel zu großen Kopf hin und her. „… Eine menge Schrott. Das Allsein ist noch heute voll davon. Übervoll. Aber sowas hier … sowas … Nein. Eine Kreation kranker Hirne verdrängt hier das Allsein!“

„Hat es dich angegriffen, Mo!“, fragte Kishou. „Ich meine, weil du plötzlich so Hell aufgeleuchtet bist!“

„So ist es entschieden!“, bestätigte die nur.

„Hier!“ Habadam wies auf das kleine, viereckige Loch am Wulst der Scheibe, das Kishou auch schon bemerkt hatte. „Die Horden der Gleichen – also der Gleim – verschießt kleine, würfelförmige Metallquader. Diese Öffnung verhält sich vollkommen zu ihnen!“