Falten und Inseln

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Aus der Reihe: MSeB
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Falten und Inseln
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Mazlum Nergiz

Falten und Inseln


Nichts ist unschuldig, wenn ich erzähle.


Erosion heißt jener geomorphische Prozess, der Material (Erde, Stein) durch unbelebte, menschliche oder tierische Akteure von seinem ursprünglichen Ort löst. Die Erosionsfähigkeit hängt von der tektonischen Deformation des Materials ab. Je höher die Deformation, desto größer die Erosionsfähigkeit. Das Wort kommt vom lateinischen »erodere« und lässt sich mit »zerfressen«, »abnagen« übersetzen.


Gertrude Stein schreibt: »In short I found that since the landscape was the thing, a play was a thing and I went on writing plays a great many plays. I felt that if a play was exactly like a landscape then there would be no difficulty about the emotion of the person looking on at the play being behind or ahead of the play because the landscape does not have to make acquaintance. You may have to make acquaintance with it, but it does not with you, it is there […].«


Das Falten ist dem Entfalten keinesfalls entgegengesetzt.

Ich entlade und entfalte Falten. Ich erzähle anhand der Bruchlinien einer Karte, auf der der Horizont kollabiert und sich hinter mir wieder neu aufbaut. Die Karte ist eine, die ich kenne und die ich dennoch betrachte, als würde ich lehmige Tafeln, beschrieben mit Keilschrift, versuchen zu entziffern, eine feuchte Fläche, durch die ein Rechen gezogen worden ist. Wobei, vielleicht verwechsle ich meine Unkenntnis auch mit dem Bedürfnis, unschuldig zu bleiben, das Versteck des Termitenhügels samt seinen inneren Bahnen, Kammern, Passagen, Galerien nicht zu verraten, preiszugeben, was sich völlig zu Recht und konsequent dem Auge des Staates entzieht? Doch da steht der Hügel, ausgesetzt. Lächerlich zu verstecken, was herausragt und sich keine Mühe mehr gibt, zu tun, als wäre es nicht da, so lächerlich wie die Erklärungsversuche, als mein Jugendfreund Nico und ich mitten in einer 69 waren und wir seiner hereingeplatzten Mutter erklärten, uns wäre einfach nur zu heiß gewesen, daher der FKK-Move. Aber Termiten leben ja auch nicht im Hügel, sondern in einem Nest ein, zwei Meter unter dem Hügel, den sie wiederum nur bauen, um atmen zu können.


Mal bewegen sich die Linien und Platten voneinander weg, mal schieben sie sich ineinander, die stärkere wird gehört werden, denn sie schafft es nach oben, doch die schwächere ist trotzdem noch da und kommt irgendwann auch wieder hoch, wie Ertrunkene. Mal reißen die Brüche nur aneinander vorbei.


»Wäre die Angelegenheit nicht so verdammt ernsthaft«, schmunzelt Sadiq Khan noch ins Telefon, »ich würde lachen, seriously.« Ich grüße Sadiq und wünsche ihm viel Glück für die Zeit post-Brexit, from the bottom of my heart, und lege auf. Jetzt ist mir auch gar nicht mehr nach Lachen, das Laub rauscht tot an mir vorbei, nur das durch den Tanz erzeugte Rauschen dringt zu mir durch, und außerdem, wer hat gesagt, dass es hier was zu lachen geben würde? Der heutige Bürgermeister Londons vertrat im Jahr 2000 elf Mitglieder einer Londoner Theatertruppe, genauer gesagt: elf kurdische Exilanten, vor Gericht. Als die Laiendarsteller während der Proben zu Harold Pinters Kurzstück Mountain Language ihre Requisiten vom Fundus ins Theater hatten bringen wollen, waren sie von der Metropolitan Police, kurz Met oder besser bekannt als Scotland Yard, festgenommen worden. Es war der 19. Juni 1996 und die zweite Hauptprobe, die letzte Probe vor der Generalprobe also, stand an. Auf der Probebühne wartete der zukünftige Literaturnobelpreisträger Harold Pinter. Als er nach 20 Minuten endgültig die Geduld verlor – was diesen Dilettanten denn einfiele, seine wertvolle Zeit zu verschwenden, Kurden hin oder her? – stürzte schon seine Assistentin ins Theater, völlig außer sich, und schrie: »They are arrested, all arrested!« Da wurde es dem sonst immer kontrollierten Harold dann doch zu bunt; er lief auf die Straße und sah nur noch, wie die ganze Truppe, einer nach dem anderen, in Handschellen abgeführt wurde. Sogar den zwölfjährigen Statisten, der fürs Hundebellen zuständig war, nahmen sie mit.


Falten gehören zu den augenscheinlichsten und häufigsten Deformationserscheinungen. Bei Falten handelt es sich um gebogene Flächen. Während einer Faltung werden Gesteinsschichten durch externen Druck in den meisten Fällen wellenartig verformt. Dementsprechend treten Sie nur in Gesteinen mit deutlicher Foliation in Erscheinung. Foliation bezeichnet den Grad der Penetration, mit dem sich ein Gefüge zweier Flächen gegenseitig nimmt.

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