Fachdidaktisches Orientierungswissen für den Religionsunterricht

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2. Kriterien einer fachdidaktischen Orientierung

1. Der fachdidaktische Ansatz erlaubt sowohl den Lehrkräften als auch den SchülerInnen die Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive. Unter Beachtung der Innen- und der Außenperspektive kann das Kennenlernen christlicher Lebenspraxis ermöglicht werden.

Der Marburger Religionspädagoge Bernhard Dressler betont die Notwendigkeit der Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive im schulischen Religionsunterricht. Eine Differenzkompetenz könne weder mit der „Beschränkung auf eine religiöse Binnenperspektive“ noch mit der „Abblendung zugunsten einer bloßen Außenperspektive“1 ausgebildet werden.

Andere Weltzugänge und Weltdeutungen können aufgegriffen und in einen übergreifenden Sinnzusammenhang gestellt werden, so Dressler:

„Religiöse Bildung, die über Religion nur informiert, ohne deren Leistung für diese Verbindung von Weltdeutung und Daseinshermeneutik zu verstehen zu geben, unterbietet die Bedeutung von Religion so weit, dass damit nicht nur ein unzureichendes, sondern geradezu falsches Verständnis von Religion vermittelt wird.“2

Eine fachdidaktische Orientierung für den Religionsunterricht hat sich daher – unter Wechselwirkung und Beachtung der Außen- und der Innenperspektive – von drei Fehlinterpretationen abzugrenzen:

•Es geht nicht darum, dass ein fachdidaktisches Modell zur Planung von Unterricht mit dem Ziel eines christlichen Bekenntnisses führt und keine kritische Prüfung des Selbstverständnisses beinhaltet (nur Innenperspektive). Im Religionsunterricht geht es nicht um eine potenzielle Glaubensentwicklung, sondern Unverfügbares kann unverfügbar bleiben.

•Ebenso wenig geht es darum, dass man im Religionsunterricht mithilfe eines fachdidaktischen Ansatzes nur religionskundlich vergleicht (nur Außenperspektive).

•Auch das Bestreben, kirchliche Bezugs- und Berührungspunkte des Religionsunterrichts zu vermeiden und im Religionsunterricht kein Kennenlernen christlicher Lebenspraxis zu ermöglichen, ist eine Fehlinterpretation.

Fachdidaktische Ansätze können besonders die gelebte, christliche Lebenspraxis gut aufgreifen, z.B. die Performative Religionsdidaktik. Lehrkräfte des konfessionellen Religionsunterrichts nehmen dabei die notwendige Innenperspektive – als konfessionelle (und von der Wahrheit überzeugte) Lehrkraft – ein. Mit dem Bezug auf die eigene Konfession sind eine existenzielle Auseinandersetzung und das intensive und gründliche Kennenlernen der eigenen Konfession möglich. Dies sollte ein adäquates fachdidaktisches Modell ermöglichen.

Zugleich nehmen die Lehrkräfte die Außenperspektive, z.B. in der (Schul-)Öffentlichkeit und beim Beobachten ihrer Handlungen ein. Der Wechsel zwischen Innen- und Außenperspektive ermöglicht dann das kritisch-konstruktive Prüfen und Beurteilen der eigenen Konfession und der eigenen Handlungen. Wichtig ist dabei eine „transparente Positionalität“3. Dies kann in der Schule mit Schleiermachers Worten einen „religiösen Gedankenerzeugungsprozess“ im Diskurs mit Vertretern anderer Konfessionen und Religionen bewirken. Ein entsprechendes fachdidaktisches Modell sollte diesen religiösen Gedankenerzeugungsprozess unterstützen.

2. Der fachdidaktische Ansatz spiegelt die gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche für den konfessionellen Religionsunterricht wider. Im konfessionellen Religionsunterricht ist sowohl die Rede über Religion als auch die eigene religiöse Sprache möglich.

Das Fach Religionsunterricht ist in der Bundesrepublik Deutschland als einziges Unterrichtsfach ins Grundgesetz aufgenommen. Mit Ausnahme von Berlin, Bremen4 und Brandenburg wird der Religionsunterricht in Deutschland nach Artikel 7 Absatz 3 GG erteilt: als „ordentliches Unterrichtsfach“, „unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes […] in Übereinstimmung mit den Grund sätzen der Religionsgemeinschaften“.

Am evangelischen Religionsunterricht nehmen auch SchülerInnen anderer Religionen teil.5 Auch das Bundesverfassungsgericht bestimmte 1987:

„Die geordnete Teilnahme von Schülern einer anderen Konfession am Religionsunterricht ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, solange der Unterricht nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert“.6

Die römisch-katholische Kirche betont dagegen die konfessionelle Homogenität und verweist auf die Trias von römisch-katholischen LehrerInnen, SchülerInnen und Inhalten.7

Der konfessionelle Religionsunterricht8 an der öffentlichen Schule stellt insgesamt eine gemeinsame Angelegenheit (res mixta) einerseits des Staats dar, der den äußeren Rahmen bietet und das Fach reglementiert (deutlich in der Ausbildung, Bezahlung, Dienstaufsicht, Zeittakt des Unterrichts, Notengebung), sowie andererseits der Religionsgemeinschaften, welche gewährleisten, dass die Inhalte des Religionsunterrichts mit ihren Grundsätzen übereinstimmen: Dies zeigt sich in der Mitwirkung bei der Erstellung von Lehrplänen, Begutachtung bei Schulbüchern, kirchlichen Lehrbefähigung (evangelisch vocatio / katholisch missio canonica). Die Bezugswissenschaften – die Evangelische und Katholische Theologie – sollen dabei „die zentrale Aufgabe der wissenschaftlichen Klärung, Beratung und Orientierung“9 für die Kirchen erfüllen.

Mit der Lozierung im Grundgesetz ist der Religionsunterricht grundgesetzlich geschützt, aber nur, wenn er – laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts – „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“10 in Bezug auf die jeweilige Kirche erteilt wird.

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1987 ist demnach konfessioneller Religionsunterricht:

„keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe.“11

Die Spannung zwischen Staat und Kirche kann auch als gemeinsame Verantwortung gesehen werden und stellt einen pädagogischen und theologischen Mehrwert für die SchülerInnen dar: Im konfessionellen Religionsunterricht an der öffentlichen Schule kann sowohl sachliche Kritik und sachliche Zustimmung am religiösen Gehalt geäußert werden: Rede über Religion. Dennoch sind auch eigene Glaubensaussagen möglich (religiöse Sprache). Dieses Wechselspiel ist unabdingbar für die religiöse Urteilskompetenz und kann durch entsprechende fachdidaktische Ansätze aufgegriffen werden.

3. Eine fachdidaktische Perspektive ermöglicht es, dass zwischen Sachverhaltsvermutungen (im Sinne von puto: vermuten, glauben) und Sprechakten (im Sinne von credo: ich glaube/ich vertraue) unterschieden werden kann. Dadurch sind authentische Glaubensaussagen – die auf das nach Luther Unverfügbare hinweisen – ebenso möglich wie eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens.

Religiöse Kommunikation oder religiöse Äußerungsformen – Worte, Rituale, Gebete – ereignen sich „im Medium des Glaubens“ und verdanken „ihre Plausibilität also anders als die meisten anderen Äußerungsformen einer ganz bestimmten Form der authentischen Haltung (oder wenigstens ihrer Inszenierung). Wer im Medium des Glaubens spricht, setzt sich selbst in eine Position des authentischen Sprechers.“12 Damit wird die Authentizität religiöser Kommunikation betont: Religiöse Kommunikation wirkt durch die Form authentischer Selbstdarstellung,13 so Nassehi: „Soziologisch gesprochen: Religiös wird man durch religiöse Ansprache.“14

Daher ist es im konfessionellen Religionsunterricht wichtig, zwischen Sachverhaltsvermutungen und Sprechakten zu unterscheiden. So können authentische Äußerungen im Sinne von credo auf das nach Luther Unverfügbare, was sich im Geschehen von promissio und fides, Wort und Glaube, ereignet, hinweisen. Zugleich ist jederzeit eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens möglich. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine fachdidaktische reflektierte Orientierung im schulischen Religionsunterricht.

Hier wird auch die grundlegende theologische Unterscheidung von fides quae creditur (was geglaubt wird: Glaubensinhalt) und fides qua creditur (der Glaube, durch den geglaubt wird: Glaubensakt) deutlich, wobei im konfessionellen Religionsunterricht zwar die Kenntnisnahme (notitia) von Glaubensinhalten ermöglicht wird, die Zustimmung (assensus) und das Sich-Anvertrauen (fiducia) jedoch theologisch vermessen und pädagogisch aussichtslos sind.15

4. Der fachdidaktische Ansatz ermöglicht die Betrachtung des Lerngegenstandes aus verschiedenen Blickwinkeln, die Assoziierung mit anderen Wissensinhalten, kurz: die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt.

Fachdidaktische Orientierung zeichnet sich nicht zuletzt durch eine gute Anwendbarkeit aus, indem z.B. Komplexität verringert wird, interessante Fragestellungen evoziert werden, motivierende handlungs- und produktionsorientierte Prinzipien ermöglicht und damit eine gute Hilfe zur Analyse, Planung und Auswertung von Unterricht gewährleistet ist. Damit bietet ein gelungener fachdidaktischer Ansatz didaktische und methodische Prinzipien, die sich in inklusiven Klassenkontexten gut umsetzen lassen.

Diese vier Kriterien lassen sich als Arbeitsfragen an jeden fachdidaktischen Ansatz anlegen und dienen der Überprüfung:

1. Erlaubt dieser fachdidaktische Ansatz den Lehrkräften und den SchülerInnen die Einnahme einer Innen- und einer Außenperspektive? Und kann – unter Beachtung der Innen- und der Außenperspektive – das Kennenlernen christlicher Lebenspraxis ermöglicht werden?

 

2. Inwiefern spiegelt dieser fachdidaktische Ansatz die gemeinsame Verantwortung von Staat und Kirche für den konfessionellen Religionsunterricht wider? Sind sowohl die Rede über Religion als auch die Verwendung eigener religiöser Sprache möglich?

3. Ermöglicht der fachdidaktische Ansatz, dass zwischen Sachverhaltsvermutungen und Sprechakten unterschieden werden kann? Können daher authentische Glaubensaussagen – die auf das nach Luther Unverfügbare hinweisen – ebenso wie eine reflektierte Ablehnung des christlichen Glaubens ermöglicht werden?

4. Ermöglicht dieser fachdidaktische Ansatz die Betrachtung des Lerngegenstands aus verschiedenen Blickwinkeln, die Assoziierung mit anderen Wissensinhalten, kurz: die aktive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt?

1 Bernhard Dressler: Inkonsistenz und Authentizität. Ein neues religiöses Bildungsdilemma? Bildungstheoretische Überlegungen zu Armin Nassehis religionsoziologischen Beobachtungen, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 64 (2002) 2, 10.

2 Ebd., 1. Dressler versteht dabei nun die Möglichkeit, dass „das Gottesverhältnis eine Lebensgeschichte auch unter Bedingungen einer funktional ausdifferenzierten modernen Gesellschaft tragen und begleiten kann.“

3 Bernd Schröder: Religionspädagogik, Tübingen 2012, 534.

4 Vgl. „Religionsunterricht oder nicht? Der Biblische Geschichtsunterricht im Lande Bremen“, in: Jürgen Lott (Hrsg.): RELIGION − warum und wozu in der Schule? Weinheim 1992, 81−102.

5 Der evangelische Religionsunterricht ist zwar nur für Schüler der entsprechenden Konfession verfasst, dennoch hat die EKD bereits 1974 für die Schüler der Sek. II die Möglichkeit eröffnet, auch am Religionsunterricht des anderen Bekenntnisses teilzunehmen. Vgl. Entschluss des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Religionsunterricht in der Sekundarstufe II vom 19. Oktober 1974, in: Kirchenamt der EKD (Hrsg.): Bildung und Erziehung. Die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland Band 4/1, Gütersloh 1987, 89ff. Zudem wurde 1994 der evangelische Religionsunterricht sämtlicher Schulstufen für SchülerInnen aller religiösen Orientierungen geöffnet. Vgl. EKD (Hrsg.): Identität und Verständigung, Gütersloh 1994, 66.

6 Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1987.

7 Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 300.

8 Mit dem Begriff „konfessioneller Religionsunterricht“ beziehen sich die Autoren zwar insbesondere auf den konfessionell-christlichen Religionsunterricht, doch der Passus „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ ermöglicht es theoretisch, dass alle Religionsgemeinschaften Unterricht in ihren jeweiligen konfessionellen Ausprägungen erteilen könnten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: „Gewähr der Dauer“, Definition von Grundsätzen, Akzeptanz des Grundgesetzes, ausreichend SchülerInnen, gestellter Antrag an den Staat. Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 302.

9 Vgl. Landeskirchenamt der EKD (Hrsg.): Das Zusammenwirken von Landeskirchen und Theologischen Fakultäten in Deutschland. Empfehlungen, Hannover 2008, 9.

10 Vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.2.1987.

11 Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 1987. Vgl. auch Janbernd Oebecke: Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, in: Deutsches Verwaltungsblatt 111 (1996), 336–344. Auch in den Richtlinien und Lehrplänen (des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen) – hier am Beispiel der Grundschule – wird der Bezug zur Landesverfassung sowie die Konfessionalität deutlich betont: „Evangelischer Religionsunterricht […] gründet seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag auf die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Fach Evangelische Religionslehre erschließt das Erziehungsziel „Ehrfurcht vor Gott und Achtung vor der Würde des Menschen“ nach evangelischem Verständnis. Maßgeblich sind dabei das Bekenntnis zu Jesus Christus und der authentische Erfahrungsraum der Schülerinnen und Schüler, in: MSW NRW (Hrsg.), Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2008, 151.

12 Armin Nassehi: Erstaunliche religiöse Kompetenz. Qualitative Ergebnisse des Religionsmonitors, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, S. 113–132, hier: 121.

13 Vgl. ebd.

14 Ebd., 123.

15 Vgl. Schröder: Religionspädagogik, 209ff.

3. Kriterienorientierte theologische Sachanalyse

In einem viel gelesenen Online-Forum1 zur Unterrichtsvorbereitung im Fach Evangelische Religion ist folgender aufschlussreiche Diskussionsverlauf dokumentiert.

Melosine fragt: „Hallo, seit Anfang des Halbjahres müssen wir in Religion Sachanalysen mit in den Unterrichtsentwurf schreiben. So’n Krampf! Deshalb meine Fragen an euch: Was gehört in eine Sachanalyse? Gibt es Tipps, wie man eine Sachanalyse verfasst? Mein konkretes Beispiel: Symbol Hand in einer 1. und 2. Klasse: Wenn ich eine Bildbetrachtung mache, was analysiere ich dann? Das Bild? Das Bild, bezogen auf das Symbol Hand? Schreibe ich etwas zur Symboldidaktik? Ich stehe gerade völlig auf dem Schlauch und bin für jede Hilfe dankbar!

Juna antwortet auf diesen Thread: „Mein Tipp: Schreibe alles drei! Zitat mein Seminarleiter: Nur mit einer ordentlichen Sachanalyse zeigt man, dass man sich gründlichst mit der Sache auseinandergesetzt hat!“

Frage und Antwort in diesem Thread lassen bereits auf den ersten Blick erkennen, dass sich die beiden Disputantinnen bei der Abfassung ihrer theologischen Sachanalyse sehr verunsichert fühlen. Die Begründung, etwaige Struktur und Funktion einer reflektierten theologischen Sachanalyse erscheinen den beiden Diskussionspartnerinnen als lästige Pflichtübung, deren Inangriffnahme und Durchführung nach Möglichkeit mit Hilfe von alltagstauglichen, bewährten „Kochrezepten“ erfolgen soll.

In Beantwortung der weiter oben durch den Diskussionsverlauf im Online-Forum durch „Melosine“ aufgeworfenen Frage sollte festgehalten werden:

Selbstverständlich ist eine sachgemäße und professionelle Unterrichtsvorbereitung zentraler Bestandteil der Lehrerprofessionalität. Eine dergestalt zu fordernde Unterrichtsvorbereitung wird auch immer die didaktisch-methodische Dimension der „Sache“ im Blick behalten. Gleichwohl evoziert der christliche Glaube und seine Rechenschaftslegung ein allgemeindidaktisch-methodisch nicht einholbares Mehr an existenzieller Orientierung.

Dieses apostrophierte Mehr des christlichen Glaubens lässt es geraten sein, die Sachanalyse im Religionsunterricht nicht allein als allgemeindidaktisch ableitbare, sondern auch als explizit theologische Aufgabe zu bestimmen und entsprechend durchzuführen.

Von daher plädiert das vorliegende Kapitel dafür, die theologische Sachanalyse im Kontext der Unterrichtsvorbereitung eben nicht als lästige Pflichtübung anzusehen und entsprechend niederschwellig durchzuführen, sondern als Ort zu bestimmen, an dem insbesondere durch die Persönlichkeit des Unterrichtenden immer wieder neu (und de facto unabgeschlossen) eine „Wesensanalyse“ und normative „Wesensbestimmung“ − als zentralem Aspekt professionellen Lehrerhandelns − reformatorischen Christentums vorgenommen werden kann. Gleichermaßen plädiert dieses Kapitel dafür, die theologische Sachanalyse als Ermöglichungsperspektive eines Evangelischen Religionsunterrichts zu verstehen, der in konfessioneller Perspektive als „Befähigung zum Christsein“ − sowohl auf der Seite der Unterrichtenden als auch auf der Seite der SchülerInnen − beizutragen vermag.2

Mirjam Zimmermann schreibt beispielsweise:

„Eine Sachanalyse ist sozusagen eine „Miniseminararbeit“ zum Thema mit der Intention, das Thema für mich als Lehrer bzw. Lehrerin wieder neu aufzuarbeiten und zu durchdringen. Es geht hier noch nicht um das mögliche Verhältnis des Schülers/der Schülerin zu dieser Sache, sondern um eine dem geistigen Niveau des Lehrenden entsprechende Durchdringung – erst das ermöglicht eine spätere ‚Übersetzung‘ ins Kindgemäße.“3

Das nachfolgend skizzierte Modell einer reflektierten theologischen Sachanalyse als christliche Rechenschaftslegung hat sich in der Ausbildungspraxis bei Lehramtsstudierenden an der TU Dortmund und der Universität Essen bewährt.

Methodische Schritte zum Entwurf einer theologischen Sachanalyse

Als zentrale, formale Dimensionen jedweder theologischen Sachanalyse können dabei gelten:

•die exakte Definition des theologischen Begriffs bzw. der biblische Befund und dessen exegetische Akzentuierung,

•der historische Befund: zentrale Weichenstellungen zum Thema (dem Begriff, der Sache) in der Dogmen- und Theologiegeschichte,

•die aktuelle – ggf. interkonfessionelle – Fachdiskussion,

•zentrale, kontroverse, christliche Theologie und christlichen Glauben herausfordernde Voten nicht theologischer Wissenschaften zum Thema.4

Es ist dabei für die Unterrichtsvorbereitung nicht zielführend, diese formalen Dimensionen der theologischen Sachanalyse bei jedem Unterrichtsthema immer wieder redundant und nur aneinandergereiht, quasi mechanisch „abzuarbeiten“, sondern es gilt eine begründete Schwerpunktsetzung mit Bezug auf die jeweilige Anforderungssituation vorzunehmen.

Dabei können zwei Anforderungssituationen unterschieden werden:

•Die Vorgaben und Impulse der entsprechenden kompetenzorientierten Kernlehrpläne der einzelnen Bundesländer und bzw. oder

•sich häufig spontan ergebende, oftmals allgemein-religiöse Fragestellungen aus dem Kontext des Religionsunterrichts heraus und im weiteren Bedingungskontext des Religionsunterrichts selbst.

Damit erwächst dem Unterrichtenden in der theologischen Sachanalyse eine doppelte Aufgabenstellung: Einmal steht er vor der Aufgabe, sich zu „seinem“ Thema theologische Überblicks- und Orientierungskompetenz zu verschaffen und anzueignen. Zum anderen besteht seine Aufgabe darin, begründet und nachvollziehbar die zentrale theologische Dimension bzw. die zentralen, theologischen Dimensionen (gesamtbiblisch, systematisch-theologisch, kirchen- bzw. theologiegeschichtlich) „seines“ Themas in ihrer Exemplarizität für den christlichen Glauben und die christliche Lebenspraxis zu benennen und diese Exemplarizität entsprechend darzustellen. In einem darauffolgenden methodischen Schritt ist der Unterrichtende aufgefordert, wiederum begründet, zentrale inhaltliche Teilaspekte der dargelegten theologischen Dimension(en) für die Gegenwart hermeneutisch reflektiert auszulegen und diese schließlich jeweils mit Hilfe der entsprechenden, fachdidaktischen Ansätze auf Unterricht hin zu erschließen.

Gleichwohl ist in der theologischen Sachanalyse die grundlegende Unterscheidung und gegenseitige Verhältnisbestimmung von Aussagen der Heiligen Schrift als norma normans und der Bekenntnistradition als norma normata zu wahren. Diese Unterscheidung ermöglicht sowohl kurzfristig als auch mittel- und langfristig die Kennzeichnung und Wiedererkennung der intendierten Positionierung als spezifisch evangelisches Votum.5

Auch eine bewusste Rezeption und Bearbeitung zentraler Anfragen und Impulse nicht theologischer Wissenschaften an den zur Debatte stehenden theologischen Fragestellungen vermögen es, den Charakter der theologischen Sachanalyse als christliche bzw. evangelische Rechenschaft nochmals pointiert zu fokussieren.

Das folgende Schema vermag die Struktur und die empfehlenswerte Vorgehensweise beim Entwurf einer theologischen Sachanalyse zu verdeutlichen.


Schaubild 1: Die theologische Sachanalyse in der Unterrichtsvorbereitung

1 http://www.lehrerforen.de/board922-ausbildung-und-berufsanfang/board1-referendariat/5585-sachanalyse-religion/ (abrufen am 24.03.2014).

2 Zu Begriff und Gegenstand des „Befähigung zum Christsein“ als Inhalt und Ziel des Religionsunterrichts vgl. Grethlein: Fachdidaktik Religion, 271ff.

3 Mirjam Zimmermann: Planung von Religionsunterricht. Vorarbeiten, Unterrichtsentwurf, Evaluation, online verfügbar unter: http://www.uni-bielefeld.de/theologie/lehre/Zimmermann-2006-Planung_Religionsunterricht.pdf (abgerufen am 25.03.2014). Dies.: Planung von Religionsunterricht in der Oberstufe, in: Gottfried Adam/Martin Rothgangel/Michael Wermke: Kompendium für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I, Göttingen 2006, 413−436.

 

4 Die Einträge zu zentralen, theologischen Begriffen in den gängigen theologischen Lexika (RGG, TRE, LThK) folgen diesem Schema.

5 Zur komplexen Verhältnisbestimmung von Bibel als norma normans und Bekenntnistradition als norma normata vgl. die Hinweise von Johannes Dittmer: Zur Bedeutung von „Kirche und Bekenntnis“ für das ev. Kirchenrecht. Zur Bedeutung des Kirchenverständnisses für Organisation und Selbstverständnis der Union Evangelischer Kirchen (UEK) als Kirchenbund in Deutschland in historischer und systematischer Hinsicht. Working-Paper 1/08, online verfügbar unter: http://www.ekd.de/kirchenrechtliches_institut/download/HIEK2_Dittmer.pdf (abgelesen am 27.03.2014).

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