Single Malt Weihnacht

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Oh happy day

Carsten Böhn

Ich sitze in meinem neuen Schwingsessel gemütlich mit einem irischen Whiskey in unserem neuen ausgebauten Dachgeschoss und genieße auch die Musik von meinen alten Schallplatten. Nach über zwanzig Jahren hab ich die alte Anlage wieder einmal aus dem Keller geholt und höre Musik, die es nicht auf CD oder in einem der Streamingportale zu hören gibt.

Langsam driften meine Gedanken zurück und mir fallen wieder Bilder aus meinen Kindertagen ein. An Heiligabend besorgte mein Vater wie jedes Jahr den Weihnachtsbaum. Es ist mir ein Rätsel, wie er es immer wieder schaffte, einen Baum zu kaufen, der mit dem grünen vierfüßigen Ständer mit Wasserreservoir genau unter die Decke passte. Jedes Jahr stand ein Prachtbaum in unserem Wohnzimmer und wurde von uns drei Kindern mit silbernen und roten Weihnachtskugeln vorsichtig verziert, selbstgebastelte Strohsterne und die elektrischen Lichter, die die echten Kerzen Anfang der siebziger Jahre abgelöst hatten, wurden angebracht und schimmerten mit ihrem Licht in den vielen Lamettasträngen, die dem Baum eine besondere Ausstrahlung verliehen.

Jedes Jahr stand mein Vater nach einer Weile im Wohnzimmer, genoss sein Glas Racke Rauchzart aus der Bleiglaskaraffe frisch in seinen Tumbler eingeschenkt und betrachtete den Baum, wenn wir Vollzug meldeten. Dann holte er zum Entsetzen meiner Mutter die rote Rosenschere aus der Garage und nahm sich die Haushaltsleiter, stellte sie neben den Baum, kletterte hoch auf die Leiter und begann unter den tränenreichen lauten Protesten meiner Mutter Jahr für Jahr den gleichen Frevel und schnitt die Spitze des Tannenbaumes ab.

Meine Mutter erfreute sich über die Schönheit eines Weihnachtsbaumes mit echter Spitze und wollte sie behalten. Mein Vater hingegen krönte unsere Schmuckaktion mit dem Kappen des Baumes, und während sich die Weihnachtsstimmung meiner Mutter in Tränen auflöste, der Raum sich mit dem harzigen Tannenduft des Baumes füllte, steckte mein Vater den silbernen Stern auf die Spitze der Tanne, ohne die eine Tanne, für ihn, kein Weihnachtsbaum war.

Die Stimmung war im Keller, wie jedes Jahr, und das änderte sich auch nicht bei dem guten Essen, das es vor der Bescherung gab. Es gelang uns Kinder nie, das Christkind zu sehen, auch wenn wir noch so schnell ins Wohnzimmer rannten, wie wir konnten, nachdem wir das feine Glöckchen vernommen hatten. Die Geschenke lagen unter dem Baum und warteten auf uns und wir warteten auf meinen Vater, der, bevor wir auspacken durften, uns alle um den Baum versammeln ließ, den roten Telefunkenschallplattenspieler anmachte und ›Oh Happy Day‹ von Edwin Hawkins & Northern California State Youth Choir auflegte und mitsang. Ich habe erst nach Jahren erfahren, dass das nicht wirklich ein Weihnachtslied war.

Für uns war es das. Und alle Jahre wieder war es am Ende dann doch noch ganz schön.

Ein Single Malt für Santa Claus

Bianca Röschl

Heiligabend

Wie in einer Decke aus schwarzem Samt hatte sich das verschlafene Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands in der Heiligen Nacht eingekuschelt zur Ruhe gelegt. Am Rande dieser Stadt lag das letzte Gebäude auf der Liste, das letzte Haus, welches Santa Claus überhaupt in diesem Jahr noch besuchen musste.

Mit seinem inzwischen leicht gewordenen Sack auf dem Rücken durchschritt Santa den großzügigen Hof des fabrikähnlichen Gebäudes und steuerte auf das angrenzende Herrenhaus zu. Behände kletterte er auf das Dach und rutschte den gemauerten Kamin hinunter. Er landete direkt im vornehmen Salon des Hauses. Einige Lampen warfen ein mattes Licht auf den Weihnachtsbaum, prächtig geschmückt mit roten Glaskugeln, Strohengelchen und allerlei buntem Zuckerwerk zum Naschen.

Santa Claus stellte den Leinensack auf den Boden, kramte das letzte Geschenk heraus und drapierte es hübsch vor dem Weihnachtsbaum. Ein in Papier gewickeltes Schaukelpferd für den kleinen Grant Gordon, dem jüngsten Spross des Hauses.

Anschließend ging Santa zum Kamin zurück und füllte den daran hängenden Weihnachtsstrumpf mit Mandarinen, Nüssen, Zuckerstangen und sonstigem süßem Naschwerk.

Gerade, als er wieder über den Kamin zurück zu seinem draußen stehenden Schlitten wollte, blieb sein Blick an einem kleinen Tischchen vor dem Kamin hängen. Genauer gesagt an dem großen Zettel mit der Aufschrift Für Santa – Fröhliche Weihnachten.

Überrascht beugte sich Santa über das Tischchen. Die Augen des alten Mannes leuchteten vor Freude auf, denn auf einem silbernen Tablett standen nicht die sonst üblichen Weihnachtsplätzchen mit einem Glas Milch dazu. Nein!

Dieses Kind hier bedachte den Weihnachtsmann mit einer Flasche Whisky und einer Holzschatulle voll feinster Zigarren.

Neugierig nahm Santa eine der handgedrehten Zigarren aus dem Kästchen und zog genüsslich den herb würzigen Geruch durch seine breite Nase. Allerfeinste Qualität, keine Frage.

Schöner kann man sein Tagwerk eigentlich nicht beenden, dachte er so bei sich und goss sich etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der Whiskyflasche in das bereitgestellte Glas ein.

Santa setzte sich in einen der bequemen Ledersessel, zündete sich die Zigarre an und nahm einen genießerisch ersten Schluck aus dem Glas.

Da schau an, ein Single Malt, stellte er überrascht fest, sicher mindestens fünfundzwanzig Jahre alt. Da hatte sich der Vater des Knaben aber nicht lumpen lassen. Nur das Beste für den Weihnachtsmann.

Santa nahm genüsslich einen weiteren Schluck. Ein samtig-frischer Geschmack tanninhaltiger Früchte in perfekter Harmonie mit kräftiger Eichennote und einem Hauch von würzig-herbem Tabak legte sich verführerisch auf Zunge und Gaumen. Beim Hinunterschlucken stellte er freudig fest, dass dieser Whisky lang und üppig im Abgang war mit einer zarten Malzsüße, die das Verlangen nach mehr entfesselte.

Völlig entspannt saß der Weihnachtsmann in dem Ledersessel, die Beine auf einen Schemel hochgelegt, zog zufrieden mit sich und der Welt an der Zigarre, atmete den Rauch in lustigen Kringeln wieder aus und trank ein Glas Single Malt nach dem anderen.

Erst als die hereinbrechende Morgendämmerung dem kleinen Städtchen die samtene Nachtdecke wegzog, schreckte Santa Claus aus seinem Sessel hoch. Es war allerhöchste Zeit zu verschwinden, ehe ihn noch irgendjemand im Haus zu Gesicht bekam.

Mit Wehmut nahm er den letzten Schluck aus der Whiskyflasche, steckte sich noch eine frische Zigarre in die Manteltasche, schnappte seinen Sack und kletterte rasch den Kamin hinauf. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Hausbewohner munter wurden.

Heiligabend, ein Jahr später

Friedlich hielt das kleine Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands seinen wohlverdienten Schlaf in der Heiligen Nacht, so dass niemand die rege Geschäftigkeit eines einzelnen Mannes bemerkte, der schwer beladen mit einem Sack voller Geschenke von Haus zu Haus ging, um allen braven Kindern eine Freude zu machen.

Auch dieses Jahr war die große örtliche Whiskybrennerei samt Herrenhaus am Stadtrand wieder das letzte Gebäude auf Santas Liste.

Zügig kletterte er aufs Dach hinauf und rutschte den Kamin zum Salon des Hauses hinunter.

Dieses Jahr zierte ein goldener Stern die Spitze des Weihnachtsbaumes im Raum. Ein großer Nussknacker auf dem Fenstersims hielt Wache, dass auch niemand heimlich von den bunten Zuckerkringeln am Baume naschte.

Gewissenhaft legte Santa Claus das Geschenk für den kleinen Grant Gordon unter den Baum. Heuer hatte eine ganze Armee von Zinnsoldaten auf dessen Wunschliste gestanden.

Den Weihnachtsstrumpf am Kamin füllte der Weihnachtsmann wie letztes Jahr wieder mit Nüssen, Obst und Zuckerwerk.

Erst danach wagte er einen Blick auf das kleine Tischchen zu werfen. Seine sehnsuchtsvolle Erwartung wurde erfüllt: Auf einem silbernen Tablett standen erneut eine Flasche Single Malt Whisky und eine Holzschatulle mit Zigarren. Dazwischen lag ein weißer Zettel aus feinstem Büttenpapier mit der Aufschrift Für Santa – Frohe Weihnachten und wohl bekomm’s!

Der Weihnachtsmann ließ sich nicht zweimal bitten, schenkte ein Glas Whisky ein und zündete eine Zigarre an. Er setzte sich wieder in einen der bequemen Ledersessel, vergaß für eine Weile Zeit und Raum und genoss einfach nur den Augenblick. Schöner konnte die Heilige Nacht selbst im Himmel nicht sein …

In der hereinbrechenden Morgendämmerung nahm Santa Claus den letzten Schluck Whisky aus der Flasche, kritzelte noch etwas auf das Papier und kletterte rasch den Kamin hinauf. Keine Sekunde zu spät, denn an der Hand seines Vaters trat bereits der kleine Grant Gordon freudestrahlend in den Raum. Mit einem jauchzenden Schrei stürmte der Junge zum Weihnachtsbaum. »Papa, Papa, sieh nur, der Weihnachtsmann war da!«

Liebevoll lächelnd nickte der Vater seinem Söhnchen zu und las mit Freude im Herzen die Nachricht auf dem Stück Papier bei der leeren Whiskyflasche:

Lieber Grant Gordon,

besten Dank für die feinen Zigarren und den vorzüglichen Whisky. Dein Vater ist wahrlich ein Meister unter den Whiskybrennern. Du hast mir eine sehr große Freude gemacht.

Gesegnete Weihnachten für Dich und Deine Familie,

Dein Santa Claus

Heiligabend, im darauffolgenden Jahr

Santa Claus war in hektischer Eile. In Rekordzeit hatte er dieses Jahr all seine Geschenke auf der ganzen Welt verteilt. Denn so, wie er Kindern in allen Ländern der Erde eine Freude machte, so gab es ein Kind im schottischen Dufftown, welches dem Weihnachtsmann seit zwei Jahren ein ganz besonderes Glücksgefühl bescherte. Seit der letzten Heiligen Nacht konnte Santa nämlich an nichts anderes mehr denken, als an dieses eine Haus am Rande der Stadt und an den wohligen Genuss, welcher ihn dort hoffentlich wieder erwarten würde.

 

In Windeseile hüpfte er durch den Kamin des Herrenhauses, rannte zum Weihnachtsbaum, um dem kleinen Grant Gordon dieses Jahr eine Spielzeugeisenbahn darunter zu legen. Anschließend noch rasch den Weihnachtsstrumpf am Kamin gefüllt und endlich, endlich den anstrengenden Tag mit einem Glas besten Whiskys und einer guten Zigarre gemütlich im Ledersessel ausklingen lassen. Das Leben konnte einfach herrlich sein.

Heiligabend, elf Jahre später

Gerade zwängte sich Santa Claus aus dem engen Kamin eines Mehrfamilienhauses, als sein Blick freudestrahlend auf den Schornstein der benachbarten Whiskybrennerei Dufftowns fiel. Wie immer, das letzte Haus auf seiner Schottlandliste und das letzte Haus seiner gesamten Route. Er konnte es kaum mehr erwarten, dort endlich im Ledersessel am Kamin zu sitzen, Whisky zu trinken und Zigarre zu rauchen. Seit etlichen Jahren der krönende Abschluss getaner Arbeit. Seine ganz persönliche Weihnachtsfreude.

Wie jedes Jahr kletterte der Weihnachtsmann durch den Kamin in den elegant eingerichteten Salon des Herrenhauses. Zielstrebig steuerte er den Weihnachtsbaum in der Ecke des Raumes an, als er plötzlich innehielt.

Etwas war anders als sonst.

Etwas, das niemals, unter keinen Umständen passieren sollte. Ein ungutes Gefühl beschlich den alten Mann.

Er konnte es bis in seine Knochen spüren.

Er war nicht allein in diesem Zimmer …

Schlagartig drehte er sich um. Er warf eine Prise Sternenstaub in die Luft, welche den Salon augenblicklich taghell erleuchtete.

Da sah er ihn …

Den jungen Mann in einem der Ledersessel, der ihn erwartungsvoll anlächelte.

Er wusste sofort, wen er da vor sich hatte. »Guten Abend, Grant Gordon«, begrüßte er den Jungen.

»Guten Abend, Santa«, antwortete dieser, indem er aufstand und einen kurzen Diener in Santas Richtung machte.

Etwas verlegen standen sich die beiden gegenüber, bis Grant das Wort ergriff: »Willst du dich nicht setzen?« Er deutete auf einen der Ledersessel.

Santa nickte und setzte sich schwerfällig. Grant nahm die bereitgestellte Flasche, schenkte dem Weihnachtsmann seinen liebgewordenen Whisky ein und reichte ihm das Glas. Sich selbst schenkte er ebenfalls ein Glas ein und setzte sich Santa gegenüber.

»Bist groß geworden, Grant«, stellte Santa fest.

»Deshalb habe ich heute Abend auch auf dich gewartet«, entgegnete Grant.

»So?« Überrascht zog Santa die graue Augenbraue hoch.

»Ich wollte einfach einmal dem Mann ins Gesicht blicken, der seit Jahren wie kein zweiter unseren besten Whisky zu genießen versteht«, erklärte Grant.

Verlegen drehte Santa das Glas in seiner Hand umher. »Ich muss gestehen, junger Master Gordon, dass ich dem Whisky deines Vaters regelrecht verfallen bin. Es gibt auf Erden kein besseres Wässerchen, als dieses hier in diesem Glas. Du glaubst gar nicht, wie sehr mir inzwischen Milch und Plätzchen zuwider geworden sind, seit ich weiß, welcher Genuss mich in diesem Haus erwartet.«

»Vater war immer der Meinung, ein richtiger Mann brauche nur drei Dinge in seinem Leben: Eine starke und intelligente Frau an seiner Seite, ein Glas selbstgebrannten Whisky und eine gute Zigarre.«

Santa Claus lachte. »Ein sehr kluger Mann, dein Vater.«

Sein Gegenüber lächelte traurig. »Genau darüber wollte ich mit dir reden.« Auch er drehte gedankenverloren sein Glas in der Hand. »Die Sache ist nämlich die, dass wir heute das erste und gleichzeitig letzte Mal zusammensitzen werden.«

»Was soll das heißen? Das erste und letzte Mal?«, fragte Santa Claus erstaunt.

»Das soll heißen, dass du dieses Haus nächstes Jahr nicht mehr aufsuchen wirst, weil ich mir nichts mehr von dir wünschen werde.«

»Aber Grant, warum solltest du dir nichts mehr von mir wünschen wollen?« Der Weihnachtsmann verstand nicht, worauf Grant hinauswollte.

»Mein Vater ist vor ein paar Tagen überraschend von uns gegangen«, erzählte der Junge leise. »Großvater verlangt von mir nun, umgehend die Leitung der Brennerei zu übernehmen. Er wird mich in alles einweisen, also wie man den besten Whisky brennt, ihn lagert, vermarktet und in alle Welt verkauft. Verstehst du? Ich werde Herr über all das hier sein, über dieses Haus und über die Brennerei. Als Geschäftsführer und Firmeninhaber schreibt man demzufolge keine Wunschbriefe mehr an den Weihnachtsmann.«

»Dies wird also tatsächlich mein letzter Whisky hier sein?«, fragte Santa ungläubig.

Grant Gordon nickte traurig.

»Nun, dann erst einmal mein herzliches Beileid zum Tode deines Herrn Vaters und gleichzeitig viel Erfolg für deine Zukunft in der Brennerei.« Wehmütig erhob Santa sein Glas.

Grant Gordon erhob ebenfalls sein Glas und stieß mit dem Weihnachtsmann an: »Slàinte Mhath!«

»Slàinte Mhath!«, wiederholte auch Santa das traditionell gälische »Prost«.

»Ein wunderbarer Tropfen«, schwärmte Santa beim Genuss des edlen Getränks. »So weich und frisch, dass man meint, einzelne Früchte wie Birnen und Orangen, verfeinert mit Honig und Heidekraut, herauszuschmecken. Ebenso wie das zarte Eichenholzaroma, in welchem der Whisky gelagert wurde.«

»Da spricht ein wahrer Kenner«, lobte Grant anerkennend.

Santa nickte lächelnd. »Im Abgang würde ich sagen, schließt er sich langanhaltend mit einer leicht trockenen Note von Pinien und Torf an, abgerundet durch eine sanfte Vanillesüße.«

»Der beste Single Malt eben, den man in dieser Gegend bekommen kann«, erwiderte Grant nicht ohne Stolz. »Es gibt für einen Whiskybrenner keine größere Freude, als mit einem Freund zu trinken, der einen guten Whisky so richtig zu schätzen weiß.«

»Hm«, brummte der Weihnachtsmann gedankenverloren. Plötzlich jedoch sprang er aus dem Sessel auf und rief: »Wo steht eigentlich geschrieben, dass ich nur zu Kindern kommen darf, die mir einen Wunschzettel geschickt haben?«

Grant zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht …«

»Ja eben«, entgegnete Santa Claus, »ich auch nicht. Weil es nämlich nirgendwo geschrieben steht! Humbug! Ich kann besuchen wen ich will, wann ich will und wo ich will.«

Grant blickte etwas irritiert auf.

Triumphierend reckte Santa sein Glas in die Höhe. »Mein lieber Grant Gordon, mein alljährliches Whiskytrinken bei dir ist mir inzwischen zu solch lieber Tradition geworden, dass ich nur ungern damit brechen möchte. Deshalb sehe ich keinen Hinderungsgrund, warum ich dich nächstes Jahr nicht wieder besuchen kommen kann. Du brauchst mir keinen Wunschzettel zu schreiben. Es reicht völlig, wenn du mir wieder meinen Whisky und meine Zigarren bereitstellst.«

Nun sprang auch Grant voll Enthusiasmus aus seinem Sessel empor. »Es wird mir eine Freude sein, lieber Santa, auch nächstes Jahr in der Weihnachtsnacht meinen besten Single Malt mit dir persönlich zu trinken. Du bist jederzeit herzlich willkommen in meinem Hause.«

»So soll es sein, mein junger Freund.« Vergnügt stießen die beiden auf den Vorschlag des Weihnachtsmannes an.

So also kam es, dass in dem kleinen Städtchen Dufftown in den schottischen Highlands jedes Jahr zu Heiligabend Santa Claus nach getaner Arbeit in das herrschaftliche Anwesen der dortigen Whiskybrennerei einkehrte, mit dem Herrn des Hauses einen vorzüglichen Single Malt Whisky trank, genüsslich eine handgedrehte Zigarre rauchte und mit ihm angeregt über Gott und die Welt plauderte.

Auch die Söhne und Enkelsöhne von Grant Gordon führten diese Tradition fort. Ein jeder sorgte stets dafür, dass in der Heiligen Nacht etwas ganz Bestimmtes im Salon bereitstand: Ein Single Malt für Santa Claus, bis zum heutigen Tage …

Nollaig Chridheil

Aimée Ziegler-Kraska

Das

Wasser

des Lebens

fließt frei heraus

und ergießt sich in

Wellen die Berge hinunter

direkt

in

dein

Yulglas

Konservieren für die Ewigkeit

Isabell Langkau

Eilig schlitterte er durch den frischgefallenen Schnee nach Hause. Der Bürgersteig war rutschig, noch hatte niemand gestreut und das war schön. Der Schnee strahlte reinweiß und unberührt, verwandelte alles in eine unwirklich traumschöne Landschaft. Die Holzzäune an den Gärten trugen kleine weiße Mützen, die Dächer blitzten weiß und hell, Bäume und Sträucher duckten sich unter der Schneelast, und aus dem tiefgrauen Himmel schneite es unaufhörlich in dicken Flocken, die sanft zur Erde schwebten. So stellte er sich den Heiligabend vor, eine stimmungsvolle Wetterlage wie aus einem Bilderbuch. Besser ging’s nicht.

Gut gelaunt schlenkerte er die Aktentasche und konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Schon als er den Schlüssel im Schloss umdrehte, duftete ihm die Gans im Ofen entgegen und es roch nach schwerem, süßem Weihnachtspudding. Sein Sohn hatte rote Bäckchen vor Aufregung und flitzte in seiner Wollstrumpfhose vom Kinderzimmer in die Küche, von der Küche ins Wohnzimmer und jetzt in die Diele, um ihn stürmisch zu begrüßen. »Papa, der Baum, der Baum!«, rief Frederik und schaute ihn mit großen Augen erwartungsvoll an. »Ja, ich weiß Sohnemann, das machen wir jetzt zusammen.« Seine Frau werkelte in der Küche und begoss gerade die Gans mit heißem Bratenfett. »Hm, wie das duftet.« Er schloss die Augen und sie gab ihm einen Kuss zur Begrüßung. »Etwas gedulden müsst ihr euch noch, ihr habt knapp drei Stunden, um den Baum fertig zu machen.«

Das sollte reichen, um den Baum im Ständer aufzustellen und ihn anschließend zu schmücken. Mit Wollmützen und Handschuhen gingen Vater und Sohn in den Garten zum Schuppen und holten den Baum, der in einem Netz in der Ecke lehnte. Er klemmte sich den Weihnachtsbaumständer unter den Arm, fasste die Tanne am Stamm und Frederik trug feierlich die Spitze. Im Wohnzimmer angekommen, steckte er den Baum in den Ständer und zog ihn fest, Frederik hielt ihn nach besten Kräften gerade. Dann rief er seine Frau und bat um Wasser. Merle kam mit einem Eimer warmen Wassers. »Warum kriegt der Baum Wasser, Mama?«, fragte Frederik. »Nun, er muss trinken, er braucht Wasser, damit er länger lebt und nicht vertrocknet hier in der warmen Wohnung«, antwortete sie ihm. Dann schnitten sie das Netz auf und die Tanne entfaltete ihre schönen dichten Zweige, es duftete ganz wunderbar nach Wald. Zusammen mit seinem Vater zog er die Lichterkette in den Baum, dann hingen sie Holzfiguren, selbstgemachte Strohsterne, Zuckerkringel und rote Kugeln an die Zweige und zum Schluss hob er Frederik hoch und der durfte den großen roten Stern auf die Spitze stecken. Jetzt war der Baum fertig.

Frederik musste nun das Wohnzimmer verlassen, denn jetzt wurden die Geschenke und die Süßigkeitenteller unter den Baum gestellt. Das geschah wie in jedem Jahr hinter einer verschlossenen Tür und er durfte erst zur Bescherung mit dem Klingeln des Glöckchens wieder ins Zimmer. »Frederik, schau doch mal beim Opa vorbei, vielleicht erzählt er dir eine Geschichte und die Wartezeit wird dir nicht so lang«, schlug seine Mutter vor. Das war eine gute Idee, fand Frederik, er liebte es, wenn der Opa ihm eine Geschichte erzählte oder vorlas, und überhaupt war er gerne oben unterm Dach im Reich seines Großvaters, da gab es immer etwas zu entdecken, auch wenn er stets ermahnt wurde, nichts anzufassen. Erwartungsvoll stieg er die alte Holztreppe nach oben und klopfte vorsichtig an die Tür. »Herein mit dir«, tönte es von innen und der Großvater legte seine Zeitung beiseite, denn längst hatte er schon seinen Enkel erwartet und auch den Teller mit den Weihnachtsplätzchen schon mal auf den Tisch gestellt. So vertrieb man sich die Zeit eben besser, besonders mit einer Tasse Tee. »Willst du eine Geschichte hören oder sollen wir was spielen?«, fragte der alte Herr. Doch Frederik war schon nach nebenan ins Studierzimmer gelaufen und schaute sich dort in dem Sammelsurium aus Büchern und Gläsern mit seltsamen, furchterregenden Inhalten um. Alles hier war so geheimnisvoll und seltsam, gruselig. Da schwammen Insekten, kleine Tiere, Eier und Embryonen leblos in ihren Behältern, konserviert für die Ewigkeit. Schon streckte er seine kleine Hand nach einem Glas aus, aus dem ihn ein Wesen mit zwei Augen anstarrte.

 

»Nicht anfassen, Frederik!«, klang es da auch schon hinter ihm. »Es könnte herunterfallen, dann ist es kaputt«, mahnte der Großvater. Er war Biologe gewesen und hatte bis zu seiner Pensionierung am Zoologischen Institut gearbeitet. Von seiner eigenen kleinen Sammlung mochte er sich aber nicht trennen und brachte von seinen Wanderungen und Urlaubsreisen immer etwas Interessantes mit, was er daheim näher studierte.

So reichten die Regale vom Boden bis zur Decke, waren voller gesammelter Objekte und Zeugnisse eines lebenslangen Interesses an der Natur und ihren Wesen. »Warum sind die Tiere in Wasser? Sind sie nicht tot, müssen sie auch trinken?«, fragte Frederik. Keine Frage, das Kind war aufgeweckt. Der Großvater lachte. »Nein, sie müssen nicht trinken und das sieht zwar aus wie Wasser, aber es ist Alkohol. Das konserviert sie.« »Was ist konserviert?«, wollte Frederik wissen, denn er konnte den Zusammenhang nicht begreifen. »Ah, konservieren heißt, etwas haltbar machen für eine lange Zeit. Das geht zum Beispiel mit Alkohol, dann halten die Objekte und verfallen nicht. Man hält also ein bisschen die Zeit an, sozusagen«, erklärte er seinem Enkel. »Sie bleiben dann so wie sie sind und du hast sehr lange etwas davon. Du kennst auch Konserven, oder? Bestimmt hast du bei deiner Mama in der Küche schon gesehen, dass sie eine Konservendose aufgemacht hat, zum Beispiel mit Ananasstückchen drin oder mit Tomaten?« Frederik nickte heftig, das kannte er und da naschte er auch immer ein Stückchen süße Ananas oder eine Mandarine. »Damit man sie immer anschauen kann, liegen sie in Gläsern und nicht in Konservendosen und sie schwimmen in Alkohol.« Das hatte Frederik nun verstanden, doch jetzt wollte er noch viel lieber süßen Früchtetee und von den Plätzchen naschen. Und natürlich eine schöne Geschichte hören, damit die Zeit bis zu den Geschenken schneller vorbei ging.

Der Großvater holte das dicke Märchenbuch hervor und las ihm die Geschichte von der Eiskönigin und dem kalten Herzen vor. Noch bevor sie das Ende erreichten, klingelte von unten das Glöckchen und das war wie Musik und da war kein Halten mehr. Frederik flog die Treppe herunter und der Großvater hinter ihm her, mehr aus Appetit auf die gebratene Gans als aus Sehnsucht nach Geschenken. Wie sich das im Alter relativiert, dachte er bei sich, da setzt man so profane Prioritäten wie Essen, das ist schon witzig.

Nach dem schönen Weihnachtsessen war Bescherung und Frederik durfte seine Geschenke auspacken und damit spielen. Besonders die Ritterburg hatte er sich sehnlichst gewünscht. Die Erwachsenen saßen noch beim Kaffee beisammen und erzählten von vergangenen Weihnachten und verglichen früher mit heute, als der Großvater zum Baum hinüber zeigte. »Euer Sohn liegt unterm Baum, man sieht nur nach seine Füße, haben sich die Ritter im Wald verirrt, Frederik?«, lachte er.

Frederik robbte zurück, in der Hand eine Flasche mit einem alten Etikett. Der Großvater verfärbte sich und wurde blass, er rang nach Luft. Sein Vater sprang auf, »um Himmels Willen, Frederik, was hast du gemacht?« Er nahm ihm die Flasche ab, auf deren Etikett LAPHROAIG 1815 stand, darin schimmerte noch ein goldfarbener Rest des fast 200 Jahre alten Whiskys, der sich seit vier Generationen im Besitz der Familie befand. Eine unvergleichliche Note nach Torf und Rauch der schottischen Insel Islay entsprang der Flasche, diesem außergewöhnlichen Single Malt. Es war im Jahr 1840, als sich ihr Vorfahr mit einer botanischen Expedition auf den Weg gemacht hatte nach Schottland zu dieser kleinen vom Sturm gepeitschten Insel Islay vor der Westküste, die südlichste Insel der Inneren Hebriden. Hier war er eines Tages, während ein verheerender Sturm wütete, und die Ausrüstung der Expedition fast vollständig zerstört wurde, mit den Männern in die abgelegene Destillerie geflüchtet. Die damaligen Besitzer hatten sie, die Deutschen, herzlich aufgenommen und ihnen Zuflucht gewährt, sie hatten sich ihrerseits revanchiert mit ihrem technischen Knowhow und tatkräftig in den folgenden Tagen bei der Whisky-Herstellung mit angepackt und den schweren Torf abgestochen. So war eine Freundschaft entstanden zwischen den Brüdern Donald und Alexander Johnston und ihrer Familie, die noch viele Jahrzehnte Bestand haben sollte. Zum Abschied erhielten die Männer als Dank jeder eine Flasche vom besten LAPHROAIG Single Malt. Was wohl mehr als Wegzehrung gedacht war, nahm sein Vorfahr mit nach Hause, als Andenken an eine warmherzige, tatkräftige Gastfreundschaft auf der kleinen, rauen schottischen Insel. Von Generation zu Generation war die Flasche vom Vater an den Sohn weitergegeben worden mit dieser Familiengeschichte. So sollte auch Frederik sie eines Tages bekommen.

»Ich habe den Weihnachtsbaum damit gegossen, ich will, dass er ewig hält und nie mehr weggeht. Es ist Alkohol und der konserviert – für immer!«, rief Frederik den Tränen nah und so sehr wünschte er sich, dass Weihnachten nie mehr aufhören sollte.

Die Mutter nahm Frederik in den Arm, »Weihnachten kommt doch jedes Jahr wieder und es ist nur schön, wenn man sich darauf freuen kann und im Sommer spielst du doch mit deinen Freunden viel lieber draußen und die Ferien verbringen wir am Meer, da passt doch der Weihnachtsbaum so gar nicht hin.«

Großvater und Vater blickten sich an, die Bestürzung und der erste Schreck waren einem Schmunzeln gewichen. »Die Geschichte bleibt uns auch so erhalten in der Familie, wir behalten einfach die leere Flasche als Andenken. Und den Rest, hm, nun ja, lasst uns wenigstens den genießen!« Mit diesen Worten nahm der Vater drei Gläser aus der Vitrine und goldgelb entfaltete sich darin der edle Tropfen. Er roch herrlich nach Torf und Rauch und war wunderbar weich wie das Wasser des Kilbride Streams, mit dem er hergestellt wurde.

Der Whisky machte dieses Weihnachtsfest zu etwas ganz Besonderem. Und noch viele Jahre später wurde an jedem Weihnachtsfest herzlich gelacht über Frederiks Versuch, den Weihnachtsbaum ›haltbar‹ zu machen, es wurde Tradition in der Familie. Dabei gehörte dann ein Glas guten Whiskys zum Abschluss jeden Weihnachtsfestes in Gedenken an die wunderbare Gastfreundschaft der Schotten in einem wilden Sturm auf Islay fortan dazu.