Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 13

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Ein Weihnachtstraum

Gleich um die Ecke steht ein Haus

Dort duftet es nach süßem Schmaus

Im Fenster strahlt ein Weihnachtsstern

Den sieht man leuchten schon von fern

Hier wohnt ein dicker roter Kater

Der macht stets mächtig viel Theater

Er faucht und klagt den ganzen Tag

Kein Wunder, dass ihn niemand mag

Der süße Duft hat angelockt

Ein Mäuschen, das entzückt frohlockt

Es möchte dieses Haus besuchen

Und knabbern an dem Weihnachtskuchen

Es weiß jedoch ein jedes Kind

Dass Kater nicht sehr freundlich sind

Wenn sie ein kleines Mäuschen fangen

Muss dieses um sein Leben bangen

Der Hunger tut dem Mäuschen weh

Es flüstert leis’: „Oje, oje.

So gerne möchte ich hinein

Und Gast in diesem Hause sein.“

Dies hat der Kater froh vernommen

Und ist zur Eingangstür gekommen

„Tritt ein, du darfst mich gern besuchen.

Alleine schmeckt nicht Keks noch Kuchen.“

Es tönt ein fröhliches Miauen

Doch kann die Maus dem Kater trauen?

„Mein Name ist schlicht Wladimir“

Schnurrt sanft das rot gestreifte Tier

„Ich bin das Gretchen“, piepst die Maus

Und blickt zur Tür hinein ins Haus

Was sie dort sieht, kann sie kaum glauben

Entzückt reibt sie die kleinen Augen

Ein buntgeschmückter Tannenbaum

Prangt stolz im warmen Weihnachtsraum

Es flimmern viele Glitzerkerzen

Und an der Decke hängen Herzen

Da kriecht ein kleines bisschen Glück

In Gretchens Mauseherz zurück

Sie nickt dem Kater freundlich zu

Die Ängstlichkeit ist nun tabu

Das Gretchen huscht ganz schnell herein

Ins weihnachtlich geschmückte Heim

Der rote Kater freut sich sehr

Denn klagen muss er jetzt nicht mehr

Zwei Freunde haben sich gefunden

Und tanzen viele frohe Stunden

Um den geschmückten Lichterbaum

Es ist ihr schönster Weihnachtstraum

Ramona Stolle lebt in ihrer Heimatstadt Berlin. Sie schreibt Geschichten und Gedichte für kleine und große Leserinnen und Leser. Die Weihnachtszeit ist für sie die schönste Zeit des Jahres.

*

Die Farbe der Stille

Kein Laut drang an ihr Ohr. Die blütenweiße Bettdecke bis zur Nasenspitze hochgezogen, lauschte Emma in die morgendliche Stille. Weder das Murmeln des Baches noch der leiseste Windhauch, der häufig um die Hütte strich, waren zu hören. Selbst die Bergdohlen schwiegen.

Am Vortag hatte es gestürmt und der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet. Im strömenden Regen, nass bis auf die Knochen, hatte Emma ihre Taschen aus dem Auto in das Häuschen geschleppt und im Anschluss als Erstes ein Feuer im Ofen in der holzgetäfelten Stube entfacht. In zwei Tagen war Heiligabend. Emma, die zusammen mit ihren Freunden das Fest romantisch im Schnee feiern wollte, fühlte sich ernüchtert, als sie sah, wie das Regenwasser sintflutartig an den Fensterscheiben herunterströmte. Leider ließ das Wetter sich nicht ändern. Im Handumdrehen hatte sie der Hütte ein Festtagskleid verpasst und bevor die Müdigkeit sie vollends übermannt hatte, hatte sie Lebensmittel und ihre Kleidung in den Schränken verstaut. Beim Einschlafen hatte sie dem Sturm gelauscht, der wie ein wildes Wesen fauchend tobte, in der tröstlichen Gewissheit, die Hütte hatte Naturgewalten dieser Art seit Jahrzehnten getrotzt. Sie hatte es direkt gemütlich gefunden, als sie dick eingemummelt in frische Bettwäsche, die noch den Duft des Bergsommers in sich trug, langsam in den Schlaf geglitten war, während der Regen auf das Dach prasselte.

Jetzt schien es, als hätte es das Unwetter nur in ihrem Traum gegeben. Ein helles, verheißungsvolles, ganz besonderes Licht erfüllte den Raum. Das konnte nur eins bedeuten. In freudiger Erwartung des Anblicks, der sich ihr bieten würde, sprang Emma aus dem Bett. Sie schob die gelben Vorhänge beiseite und war dennoch überrascht. Weiß. Alles war weiß. Dichter Schneefall. Mit weit aufgerissenen Augen bestaunte sie das Naturschauspiel. Emma konnte der Versuchung nicht widerstehen und öffnete das Fenster. Ein Schwall frischer, eisigkalter Luft zusammen mit einer Schneewolke wehte in ihr Zimmer. Umgehend drückte Emma das Fenster wieder zu. Der Planung nach wollten ihre Freunde am Mittag kommen. So wie es aussah, machte das Wetter ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Wenige Minuten später saß Emma in der Stube, eine große Tasse heiß dampfenden Kaffees vor sich, und starrte zum Fenster hinaus. Offensichtlich ließ der Wind bereits nach, wie sie eben auch in der Wettervorhersage gehört hatte, und später sollte es nicht mehr schneien. Noch tanzten dicke Flocken wie pirouettierende Daunenfedern vor den Scheiben, verschluckten die dahinterliegende Landschaft. Emma konnte den Blick nicht von dem weißen Wirbel abwenden, den sie stundenlang wie ein bezauberndes Gemälde hätte bewundern können. Keine Flocke glich der anderen, jeder Schneekristall war ein Kunstwerk. War die Schönheit einzelner Schneeflocken jemals beschrieben worden?

Was für ein Glück sie hatte, dachte sie, hier drinnen war es angenehm warm, das leichte Aroma des Arvenholzes der Stube lag in der Luft und unverhofft hatte sie plötzlich noch Zeit für sich. Entspannt lehnte sie sich zurück auf der Bank, kuschelte sich in die Schaffelldecke, im Ohr das beruhigende gleichmäßige Ticken der Standuhr, und betrachtete die Welt dort draußen, die wie eine riesige Schneekugel anmutete. Sie griff nach der Kaffeekanne, schenkte sich eine zweite Tasse ein, gab Milch dazu. Wie wäre es, überlegte sie, nach draußen zu gehen, hinein in dieses magische Winterwunderland?

In mehrere Schichten verpackt, mit Mütze, einem zweimal um den Hals geschlungenen Schal und dicken Handschuhen zog Emma wenig später die Tür hinter sich ins Schloss und trat hinein in die makellose Pracht. Die Stille, die sie umfing, war fast unwirklich. Als atmete die Welt nicht mehr. Mindestens fünfzehn Zentimeter Schnee waren gefallen, stellte sie mit Blick auf die Sitzbank vor dem Fenster fest, die ein dickes weißes Polster trug. Einen Moment lang rang Emma mit sich, ob sie den Schneeschieber holen und den Weg räumen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Wozu die Herrlichkeit zerstören?

Vorsichtig setzte Emma ihren im Winterstiefel steckenden Fuß in die weiße Masse und sah zu, wie er eintauchte. „Die erste Spur“, dachte sie beglückt und setzte den zweiten Schritt und den dritten. Dort, wo gestern Trittsteine in der Nässe geblinkt hatten, begann sie ihren Rundgang, watete ein paar Schritte um die Hütte herum. Sie ließ ihren Blick durch den kleinen Garten schweifen, der unter einer weißen Decke ruhte. Hinter dem Staketenzaun, am nahe gelegenen Bach, wirkten die dunklen Tannen mit ihren Schneehauben wie Fremdkörper in der schier endlos weißen Fläche.

Emma hatte Lust auf einen Spaziergang und kurz darauf stapfte sie auf der verschneiten schmalen Straße, die sich aus dem Tal an ihrem Haus vorbei auf einen der Berggipfel wand. Mühsam setzte sie einen Schritt vor den nächsten, keuchte, kam quälend langsam voran, geriet ins Schwitzen. So schwer ihr jeder Schritt auch fiel, sie fühlte sich großartig. Unter ihren Füßen knirschte der Schnee. Das Laufen in der zugedeckten Landschaft, in der alle Konturen verwischt waren, hatte etwas Meditatives an sich. Sinne verloren an Bedeutung, ebenso Zeit und Raum. Alles verlor sich in dieser einzigen weißen Weite. Was blieb, waren Gedanken und ein erhebendes Gefühl. „Die Umgebung ist heilsam für die Seele“, dachte sie, während sie sich beharrlich auf der Straße vorwärts kämpfte, die bald eine ganzjährig bewohnte Hütte passierte. Jedes Mal, wenn sie stehen blieb, versank alles um sie herum in Geräuschlosigkeit. Die Welt war in Watte gepackt – zusammen mit dem Stress und der Hektik des Alltags. Für eine kleine Weile war Emma von dem Rest des Universums abgeschirmt. Und sie verstand, warum Menschen ins Kloster gingen. In der lauten Welt von heute war Stille ein kostbares Gut.

Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie bereits unterwegs war. Irgendwann erreichte sie die Brücke, unter der ein Bach verhalten gurgelte. Später im Winter wäre das Wasser unter einer weißbläulich schimmernden Eisschicht verschwunden.

Emma lief weiter. Kurz darauf schob sich etwas Dunkles aus der Flockenwand heraus. Die Perner-Hütte. In den nächsten Tagen würde sie ihren Nachbarn einen Besuch abstatten, aber nicht jetzt.

Zeit für den Heimweg. Bergab lief sie die Straße, auf der ihre Spuren vom Anstieg fast zugeschneit waren, viel schneller als hinauf, zwischendurch geriet sie immer wieder ins Rutschen.

Ein Krächzen über ihr ließ sie innehalten. Der Atem dampfte in kleinen Wolken vor ihrem Gesicht, als sie einer Handvoll Bergdohlen nachblickte, die durch den lichter werdenden Niederschlag flogen. Wie der Wetterbericht vorhergesagt hatte, nahmen die Schneefälle ab. Emma entdeckte ein winziges Stück Blau zwischen den dramatisch aufgebauschten Wolken, deren Formen sich nun immer mehr aus dem grauweißen Einerlei herausschälten. Konnte sie sogar einen der weiß bemützten Berggipfel erkennen?

Mit einem Mal vernahm sie ein tiefes Brummen, ein Geräusch, das langsam aber stetig näherkam. Als sie über die nächste Kuppe schritt, sah sie die blinkenden Lichter des Winterdienstes. Er hatte sich bereits ein ganzes Stück am Berg hochgearbeitet, eine dunkle Schneise der geräumten Strecke hinter sich herziehend.

 

„Auf die Männer ist Verlass“, dachte sie. Nun würden ihre Freunde nicht mehr lange auf sich warten lassen. „Zeit für Weihnachten“, dachte sie und spürte das Gefühl der Vorfreude in sich aufwallen.

Bettina Schneider: 1968 in Berlin geboren, verheiratet, zwei Kinder und ein Hund, Studium der Betriebswirtschaftslehre, im Anschluss zehn abwechslungsreiche Jahre im Rechnungswesen in der Privatwirtschaft, heute Freiraum für kreative Tätigkeit. Sie schreibt mit Begeisterung Kurzgeschichten und Erzählungen, einige davon sind veröffentlicht. Hobbys: Lesen, Schreiben, Tagebuchschreiben, Spaziergänge mit dem Hund und Joggen.

*

Unter der Decke

Es knistert und knackt, es klirrt und klingt,

Wenn der Wind in vereisten Zweigen singt.

Es raschelt und rauscht, es rast und saust,

Als ob die Wilde Jagd über den Himmel braust.

Wie schön ist es da unter der warmen Decke,

Wo ich mich mit meiner Taschenlampe verstecke.

Draußen ist’s eisig, hier drin ist es warm.

Ich halte meinen Teddy ganz fest im Arm.

Den hat mir letztes Jahr das Christkind gebracht.

Seitdem schläft er bei mir und das jede Nacht.

Sein Fell ist so weich wie ein wolliges Schaf,

Damit kuschelt es sich so herrlich im Schlaf.

Doch noch bin ich wach und auch gar nicht müd’.

Draußen pfeift der Wind sein frostiges Lied,

Und ich lese meinem Freund, dem Teddy, was vor,

Flüster’ ganz leise in sein pelziges Ohr.

Von der Hexe Befana handelt eine Geschichte.

Doch die ist nicht böse wie so manches Gelichte,

Das Kinder im Wald zu sich ins Knusperhaus lockt

Und dann über deren Ängste frohlockt.

Nein, die Hexe Befana fliegt von Haus zu Haus,

Und wie bei uns Christkind und Nikolaus

Bringt sie den Kindern in Italien Geschenke zum Fest.

Ob sie die wohl den Schornstein hinunterlässt?

So macht das in Amerika der Santa Claus.

Der wohnt am Nordpol in einem gemütlichen Haus.

Mit Elfen und Rentieren und seiner Frau,

Doch die Adresse weiß ich leider nicht so genau.

In Schweden bringt der Wichtel Jultomte die Gaben.

Dafür will er immer einen Teller mit Grütze haben.

Es muss aber ein Holzlöffel in der Schüssel stecken,

Weil sich Wichtel vor Sachen aus Metall erschrecken.

Draußen rüttelt der Wind an den Ästen und Zweigen,

Als wolle er dem Wald seine Stärke zeigen.

Er röhrt und blökt wie ein Stall voller Kühe,

Knickt junge Bäume und Sträucher ganz ohne Mühe.

Er jault ums Haus, er jammert und juchzt,

Gleichzeitig klingt es, als ob jemand schluchzt.

Der Schneemann vor’m Fenster guckt auch schon ganz bang.

Fürchtet er sich vor dem schaurigen Klang?

Am Mond zieh’n dunkle Wolkenfetzen vorüber,

Und die Sterne glüh’n, als hätten sie Fieber.

Ja, so ein Wintersturm kann ganz schön gruselig sein.

Da fühlt man sich plötzlich ganz winzig und klein.

Der Teddy zittert, ich drück’ ihn fest an mein Herz

Und erzähl’ ihm zur Ablenkung einen lustigen Scherz.

„Hab keine Angst“, sag ich dann in sein Gekicher.

„Der Wind ist draußen. Hier drin sind wir sicher.“

Auf seine haarige Schnauze drück’ ich einen Kuss,

Damit Teddy sich nicht mehr fürchten muss.

Er wirkt jetzt eigentlich auch schon wieder ganz heiter,

Und so blätter’ ich um und lese schnell weiter.

In Polen isst man an Heiligabend Gemüse und Fisch,

Und es steht ein überzähliger Teller auf jedem Tisch.

Der soll ein Zeichen der Gastfreundschaft sein,

Schaut zum Fest mal unerwartet Besuch herein.

In Lettland gibt’s zu Weihnachten Blutwurst mit Sauerkraut,

Und anschließend wird so richtig auf den Putz gehaut:

Die Wintersonnenwende feiert man hier,

Dazu verkleidet man sich wie ein wildes Tier.

Das tut man, um böse Geister zu vertreiben,

Denn die sollen nicht über Weihnachten bleiben.

Dann macht man ein großes Lagerfeuer

– So ganz ist das Teddy aber nicht geheuer.

In Neuseeland ist es an Heiligabend ganz heiß,

Drum isst man zum Fest gerne Himbeereis.

Auch Kuchen mit Kiwis ist äußerst beliebt,

Besonders, wenn’s dazu Schlagsahne gibt.

In Äthiopien dauert die Kirche sechs Stunden lang,

Danach tanzt man zu dröhnendem Trommelklang.

Zu essen gibt’s Hühnereintopf und Sauerteigbrot –

Das tut nach dem langen Gottesdienst aber auch Not!

So feiert man Weihnachten überall auf der Welt

Ein bisschen anders – halt so, wie’s den Leuten gefällt.

Draußen tönt der Sturm jetzt viel leiser,

Und vom vielen Vorlesen bin ich schon ganz heiser.

Auch Teddy fallen die schwarzen Knopfäuglein zu.

So schließ ich das Buch und leg mich zur Ruh’.

Gähnend knips’ ich die Lampe aus

Und schaue noch mal zum Fenster hinaus.

Der Schneemann scheint keine Angst mehr zu haben,

Irgendwo in der Ferne krächzen die Raben.

Ob Vögel wohl auch Weihnachten feiern?

Wie das wohl wäre bei Amseln, Eulen und Geiern?,

Überleg’ ich müde und schließe die Lider.

Ganz bald schon kommt das Christkind wieder.

Was es mir wohl dieses Jahr bringt?

Dann schlummer’ ich ein. Draußen seufzt leise der Wind.

Isabell Hemmrich wurde 1985 in Würzburg geboren. Die Asperger-Autistin liebt Teddybären, Winterstürme und Sagen aus aller Welt. Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte und Kurzgeschichten, von denen bereits einige in Anthologien veröffentlicht wurden, u. a. in „Wo die wilden Geister wohnen Band 2“.

*

Weihnachtswünsche

Wir haben alles geplant. Wir haben alles vorbereitet und zurechtgerückt. Weihnachten kann kommen. Doch statt der erwarteten Gäste, die eigentlich mit fröhlichen Gesichtern, abgefrorenen Händen und einem Berg von Geschenken bei uns auftauchen sollten, erhalten wir einen Anruf.

Meine Mutter nimmt ihn etwas entnervt entgegen, weil sie gerade dabei ist, sich umzuziehen. Sie trägt bereits den hellblauen Blazer, in dem sie immer wie eine Schneekönigin aussieht, aber untenrum hat sie noch Wollsocken und eine kurze Hose an. „Ja bitte?“ Sie lauscht angestrengt und ihr Blick wird von Sekunde zu Sekunde besorgter. Sie ist plötzlich blass um die Nase, presst die Lippen zusammen und gibt nur knappe Antworten auf Fragen, die ich nicht hören kann.

„Ich verstehe. Wir kommen sofort.“ Sie legt den Hörer auf und dreht sich um. Sie wirkt kraftlos und seltsam wirr in ihrem Aufzug. Eine müde Schneekönigin, die sich an die Kommode klammert. „Hol Karim, Madeline!“, sagt sie.

Ich befolge ihren Befehl anstandslos, weil mir aufgeht, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. „Papa?!“, rufe ich und klopfe an die Badezimmertür, denn dahinter brennt Licht.

„Was ist?“, brummt er. Er hasst es, im Bad gestört zu werden.

„Mama sagt, du sollst sofort kommen, es ist irgendwas passiert!“

Drinnen ist es einen kurzen Augenblick still, dann geht die Klospülung und die Tür fliegt auf. „Was ist los, Sarah?“, ruft mein Vater und schiebt sich an mir vorbei in die Küche.

„Gloria, sie liegt im Krankenhaus. Autounfall auf dem Weg hierher“, sagt Mama und ihre Lippen zittern. „Es ist schlimm.“

Papas Gesicht erstarrt. In mir drin pocht mein Herz plötzlich ganz schnell. Es wehrt sich mit wütenden kleinen Faustschlägen gegen das, was einfach nicht sein kann.

„Wir fahren hin, ich muss meine Mutter sehen!“, sagt Papa nach zwei atemlosen Sekunden. „Vielleicht ..“, seine Stimme erstirbt. Mama nickt. Dann sagt sie: „Hol Lia, Madeline, sag ihr, sie soll sich beeilen. Ich warte unten im Wagen auf euch.“

Zehn Minuten später lassen wir das festlich geschmückte Haus hinter uns und biegen aus der Einfahrt. Ich habe Lia aus ihrem Zimmer gezerrt und mir selbst eine dünne Jacke übergeworfen. Jetzt friere ich, obwohl Mama die Heizung im Auto angemacht hat. Sie hat sich schnell eine Jeans angezogen, Papa trägt noch sein rotes Hemd und die dunkle Hose. Man könnte beinahe meinen, wir fahren in die Kirche. Tun wir aber nicht. Wir fahren ins Krankenhaus. Wir sprechen nicht, aber mein Kopf schwirrt vor lauten Gedanken und ich kämpfe gegen das Bedürfnis, mir die Hände auf die Ohren zu pressen.

Während andere Familien vermutlich gerade das Weihnachtsessen servieren oder in warmen Zimmern Geschenke auspacken, betreten wir den kühl erleuchteten Flur eines Krankenhauses. Papa hält Mamas Hand ganz fest und ich habe beinahe Angst, er zerdrückt sie, die Schneekönigin mit den hellen Locken. Eine Schwester nimmt uns in Empfang und führt uns über lange weiße Flure, die merkwürdig ausgestorben scheinen, in Richtung der Intensivstation. Wir müssen uns umziehen und Kittel anziehen und uns die Hände gründlich waschen, erstaunlich, wie gut das geht, ohne seine Bewegungen bewusst zu steuern.

Die Schwester sieht uns mitleidig an und öffnet dann mit einem Knopfdruck die Tür. „Eine Viertelstunde hat der Arzt gesagt. Er möchte dann noch einmal mit Ihnen sprechen.“ Dann sagt sie noch was, aber ich höre nicht mehr richtig zu.

Eine Viertelstunde. Bereits als wir den Raum betreten, kommt es mir so vor, als rinne uns die Zeit davon. Meine Oma liegt inmitten von Schläuchen und piepsenden Geräten und hat die Augen geschlossen. Meine rundliche kleine Oma mit den Lachfältchen an den Augen und der weichen dunklen Haut wirkt beinahe blass in dem OP-Schlafanzug. Ich verfolge die Herzschläge auf dem Monitor. Sie kommen mir schrecklich unregelmäßig vor. Papa kniet sich ans Bett und nimmt ihre schlaffen Hände in seine. Wie ein kleiner, hilfloser Junge.

Der Boden unter meinen Füßen scheint wegzugleiten und ich greife nach Lias Hand. Da flattern die Lider meiner Oma und sie schlägt die Augen auf. Ein stummes Lächeln gleitet über ihr Gesicht. Sie will sprechen, aber ihre Stimme macht nicht mit. Dann bemerkt sie Papa, der ihre Hand hält. Sie hebt schwerfällig einen Arm und streichelt seine Wange. Oma schluckt angestrengt und sagt dann mit kratziger, wunder Stimme: „Kommt, setzt euch zu mir.“

Mama lässt sich auf einen Drehstuhl sinken und Lia und ich setzen uns ans Fußende des Bettes.

„Jetzt habe ich euer Weihnachtsfest verdorben“, sagt Oma.

Mama lacht und schluchzt gleichzeitig auf. „Ach was“, sagt sie unter Tränen, „wir haben allen Bescheid gegeben.“

Wie unwichtig das jetzt ist.

„Karim“, sagt Oma zu Papa, „weißt du noch, was ich dir immer gesagt habe? Wenn ein Mensch geht, dann wird er anderswo gebraucht. Alles hat seinen Sinn.“

„Nein!“ Papa klammert sich an die Hand seiner Mutter. „Wir brauchen dich hier.“

Oma schließt für einen Moment die Augen. Sie ist erschöpft vom Sprechen. Dennoch rafft sie sich noch einmal auf. „Heute ist Weihnachten und ich bin eigentlich schon genug beschenkt damit, dass ihr hier seid. Aber ich habe trotzdem an jeden von euch noch einen Weihnachtswunsch.“

„Karim.“ Sie wendet den Blick in seine Richtung und ihre Augen sehen ihn eindringlich an. „Ich wünsche mir von dir, dass du darüber nachdenkst, was ich eben gesagt habe. Trauere, solange es nötig ist, aber vergiss nie, dass wir uns irgendwann wiedersehen. Und sieh dir die alten Fotos an, bewahr sie auf, wenn du magst.“

„Du wirst nicht ..“, will Papa unterbrechen, doch Oma lässt ihn nicht und wendet sich an Mama. „Sarah, du bist eine ganz wundervolle Frau, vergiss das nie. Vergesst beide nie, dass ihr eine Familie habt. Ich bitte dich, meinem Sohn zur Seite zu stehen, auch weiterhin. Und spendet mein Geld, spendet es an Menschen, die keine Familie haben.“ Mama nickt und versucht ein Lächeln, aber es verkümmert zu einem kläglichen Zittern ihrer Lippen.

 

„Lia, mein Schatz, ich wünsch mir von dir, dass du einen ganz wunderbaren ersten Schultag erlebst und ganz viele Süßigkeiten aus deiner Schultüte isst und ..“, Omas Stimme beginnt zu brechen, „und dass du ganz viele tolle neue Freunde findest.“

„Und von dir, Madeline, wünsche ich mir, dass du deine Geschichten weiter schreibst, dass du den Mut zusammennimmst und sie jemanden lesen lässt. Ich werde jede einzelne davon hören und sehr, sehr stolz auf dich sein.“ Sie lächelt und hat nun selbst Tränen in den Augen. Man sieht ihr an, dass sie am liebsten alle unsere Hände gleichzeitig halten würde. „Und nun singt für mich ein Weihnachtslied. Singt Oh du fröhliche“, sagt sie.

Und das tun wir. Wir singen alle vier, vermutlich furchtbar schief und mit tränenwackliger Stimme, aber wir singen. Und während ich singe, löst sich ein Klos in meinem Hals und ich merke, wie eine Mischung aus Trauer und Geborgenheit mich wie in Watte packt. Die Melodie tropft tief hallend in mein Herz und es tut weh, aber ich weiß, dass es Liebe ist.

Dann ist die letzte Strophe endgültig vorbei und Oma hat in seliger Ruhe die Augen geschlossen. Die Schwester kommt, prüft die Geräte und sieht noch betroffener aus. Vorsichtig stöpselt sie den Tropf und die Kabel ab. Endlich, jetzt ist meine Oma frei. Wir stehen da und gucken und weinen, streicheln und versichern uns, dass sie jetzt irgendwohin geht, wo es ihr gut geht.

Nach einer Weile taucht Papa aus der Betrachtung dieser kleinen, mutigen, lebensfrohen Frau, Mutter, Oma auf und dreht sich zu uns um. „Frohe Weihnachten“, sagt er.

Paula Schüßler, 17 Jahre: schreibt gern und regelmäßig über alles, was ihr an Ideen in den Kopf kommt, von Kurzgeschichten über Gedichte bis hin zu ersten längeren Projekten. Bisher hat sie allerdings noch nichts davon veröffentlicht und nutzt diesen Schreibwettbewerb als Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren. Ansonsten liest sie viel und ist anderweitig kreativ – zum Beispiel filmt, fotografiert und zeichnet sie gern.