Wo die wilden Geister wohnen Band 3

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Vampirschweinchen

Es war Halloween. Die Sonne ging gerade unter, als Natalie auf ihre zwei Meerschweinchen Mümmel und Strubbel blickte. Strubbel wohnte schon lange bei ihr. Er war braun und sein Fell war sehr verstrubbelt. Das weiße Meerschweinchen Mümmel hatte sie im Juni von ihren Großeltern zum Geburtstag geschenkt bekommen.

Strubbel musterte Natalie neugierig. Sie hatte ein rosafarbenes Hexenkleid an und hatte ihre Haare zu zwei langen Zöpfen geflochten. Doch zum Gruseln sah sie nicht gerade aus. Plötzlich kam Natalies Vater ins Zimmer und sagte: „Wir müssen jetzt los.“

„Ich komme“, antwortete Natalie ihrem Vater. Sie griff nach einem Beutel, der am Boden lag, danach rannte sie aus dem Zimmer.“

„Jetzt geht’s los“, sagte Strubbel glücklich.

„Was hast du denn vor?“, erkundigte sich Mümmel.

„Ich will auf Süßigkeitentour“, erklärte Strubbel seinem Freund, „kommst du mit?“

„Natürlich!“, sagte Mümmel.

Strubbel scharrte im Heu, bis er die Haarklammer von Natalie fand, die er ihr einmal gestohlen hatte. Dann knackte er problemlos das Schloss des Meerschweinchenkäfigs.

„Wow, das musst du mir unbedingt zeigen“, sagte Mümmel staunend. Strubbel lächelte zufrieden. Die Meerschweinchen liefen aus Natalies Zimmer. Danach gingen sie durch die alte Katzenklappe in den Garten.

„Jetzt brauchen wir nur noch Kostüme“, meinte Mümmel. Die zwei Freunde liefen zu einem Rosenstrauch.

Strubbel entfernte vier lange Dornen und reichte zwei davon Mümmel. „Wir werden Vampirschweinchen“, erklärte Strubbel.

„Oh ja!“, rief Mümmel begeistert. Sie nahmen die Dornen mit den stumpfen Enden in das Maul, sodass die Spitzen hervorschauten. Jetzt sahen sie aus wie echte Vampirschweinchen.

„Los geht’s“, sagte Mümmel und lief in Richtung Nachbarhaus. Strubbel eilte hinterher. Dort angekommen, machten sie die Räuberleiter, hüpften den Rest nach oben und klingelten.

Kurz danach machte eine Frau die Tür auf und blickte sich verwirrt um. „Hier sind wir“, quiekte Strubbel. Jetzt schaute die Frau nach unten. Sie bückte sich und hob Mümmel auf.

„Ihr armen kleinen Meerschweinchen“, meinte die Frau, „habt ihr euch etwa verlaufen?“

„Wie bitte“, dachte Mümmel empört, „wir sind furchterregende Vampirschweinchen!“ Er riss das Maul auf und zeigte die Dornen, die er im Maul hatte. Erschrocken schrie die Frau auf und warf Mümmel weg.

„Nein!“, schrie Strubbel. Er rannte in die Richtung, in die Mümmel geworfen wurde. „Hoffentlich hat er sich nicht verletzt“, dachte Strubbel besorgt. Jetzt sah Strubbel ein Trampolin. Darauf hüpfte etwas Kleines auf und ab und quiekte dabei freudig.

„Ich bin auf diesem Trampolin gelandet“, erklärte Mümmel, „das macht total Spaß.“

„Wir müssen weiter“, drängte Strubbel.

„Na gut.“ Mümmel kletterte vom Trampolin und holte Strubbel ein. Gemeinsam liefen sie zum nächsten Haus. Doch dort machte ihnen niemand die Tür auf. Enttäuscht blickten sich die Freunde um. Da entdeckten sie einen Jungen, der sich als Geist verkleidet hatte. Er stellte seinen großen Korb voller Süßigkeiten auf den Boden, um sich die Schuhe zu binden. Sofort rannten die Meerschweinchen los und hüpften in den Korb. Zum Glück hatte sie der Junge nicht bemerkt. Als der Junge seinen Korb wieder nahm und aufstand, um weiterzulaufen, tauchten Mümmel und Strubbel schnell in den Süßigkeiten unter. Jetzt konnten sie so viel essen, wie sie wollten.

„Ich liebe diese Gummibärchen“, schwärmte Mümmel zufrieden.

„Ich mag die Lakritzschnüre am liebsten“, sagte Strubbel glücklich. „Das ist das beste Halloween, das ich jemals hatte“, sagte Strubbel. Plötzlich griff der Junge in den Korb.

„Oh nein“, quiekte Mümmel. Flink sprangen die Meerschweinchen aus dem Korb. Um nicht hart auf den Boden zu stürzen, klammerten sie sich an die Hose des Jungen und kletterten so rasch und sicher nach unten. Dann rannten Mümmel und Strubbel hinters nächste Gebüsch. Da hatten sie noch einmal Glück gehabt.

„In dem Korb war gar keine Schokolade“, jammerte Strubbel.

„Dann holen wir sie uns eben“, meinte Mümmel.

Da kam plötzlich ein Mädchen mit einem rosafarbenen Hexenkostüm um die Ecke. „Das ist aber das letzte Haus, nachher gehen wir nach Hause“, sagte eine Frau.

„Na gut“, antwortete das Mädchen.

„Moment mal“, meinte Mümmel unsicher, „ist das etwa Natalie?“

„Ja“, sagte Strubbel.

„Wir müssen vor ihnen zu Hause sein“, sagte Mümmel entschlossen.

Schnell rannten die Meerschweinchen nach Hause. In ihrem Käfig angekommen, schloss Strubbel das Schloss. Beide nahmen die Dornen aus dem Maul und versteckten sie rasch im Heu. Sie schafften es gerade noch! Wenige Sekunden später kam Natalie in ihr Zimmer. Sie setzte sich und biss genüsslich in einen Schokoladenriegel.

„Den holen wir uns“, meinte Mümmel und kratze gegen das Gitter des Käfigs.

Natalie bemerkte ihn und sagte: „Nein, Mümmel. Für Meerschweinchen ist Schokolade giftig.“

Mümmel war erschrocken.

„Zählt das etwa auch für Vampirschweinchen?“, fragte Strubbel.

„Ja, ich denke schon“, meint Mümmel lachend.

Selina Findik, 12 Jahre, aus Selzach in der Schweiz.

*

Das Schloss der verwunschenen Kinder

Dora hatte Anita lange überreden müssen, mit ihr Süßigkeiten sammeln zu gehen. Anita hasste Halloween. Vor zwei Jahren war an diesem Tag ihre große Schwester Lyra verschwunden.

Pünktlich um acht Uhr trafen sie sich vor Doras Haus. Anita hatte sich nicht verkleidet, aber Dora war eine Hexe und sah damit ziemlich überzeugend aus. Anita erschrak richtig, als sie sie sah.

Sie gingen Doras Straße entlang und als diese sich gabelte, bogen sie links ab. Das erste Stück lief hier genau wie zuvor, aber dann war plötzlich etwas anders. Anita brauchte einen Moment, um zu erkennen, was es war: Hier fehlte die Straßenbeleuchtung. Die Häuser sahen absolut identisch aus – als wären sie nur zur Ablenkung da ...

„Drehen wir um?“, fragte Dora.

Anita nickte. Aber – es funktionierte nicht! Egal, was sie taten, sie blieben am Fleck.

„Was ist mit uns los?“, fragte Dora panisch, aber Anita wusste es nicht.

„Vielleicht geht es in die andere Richtung“, meinte sie und versuchte, nicht so verwirrt zu klingen, wie sie war.

Tatsächlich: Es klappte.

„Gehen wir also weiter?“, fragte Dora.

Anita schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Wer weiß, was uns dort erwartet? Vielleicht will uns etwas anlocken oder so.“

„Und du willst bis in alle Ewigkeit hier stehen bleiben?“

Anita überlegte kurz. „Nein!“, beschloss sie dann. „Ich geh vor und schaue, wo ich hinkomme.“ Ihr eigener Mut überraschte sie, doch Dora zeigte ihr nur einen Vogel.

„Denkst du, ich lass dich dort allein hin?“, fragte sie. „Überhaupt ist es sicher besser, wenn wir zusammenbleiben.“

Also schlichen sie gemeinsam den dunklen Weg entlang. Plötzlich hörten sie ein vielstimmiges Heulen und die Wolken schoben sich zur Seite, sodass der Mond alles in ein unheimliches Licht tauchte. Sie standen vor einem Furcht einflößenden Schloss. Seine Türme ragten hoch und bedrohlich in den Himmel. Die Fensterläden hingen herunter und einige Dachziegel fehlten. Es sah aus wie eine der Burgen in den Horrorfilmen, die Doras Bruder sich immer anschaute.

Da standen plötzlich einige Hexen um sie herum. Eine von ihnen zog einen Sack heraus und stopfte Anita hinein. Sie zappelte und kreischte, aber niemanden schien das zu kümmern. Dora stand wie erstarrt da und sah zu.

Dann bemerkte Anita, dass neben ihr in dem Sack noch etwas atmete. Da war jemand! „Hallo?“, fragte sie leise.

„Hallo. Ich heiße Timmi“, antwortete ein Junge neben ihr.

„Ich bin Anita. Weißt du, wo wir sind?“, flüsterte sie.

„Sie nennen es nur das Schloss.“

„Wer sind sie?“

„Alle hier. Lauter Monster und so. Ich bin schon länger hier im Sack und hab einiges belauscht. Die Hexen sammeln Kinder ein. Dann beißen die Zombies die Kinder und sie werden selbst Gruselwesen. Zuerst sind sie noch normal und nett, aber mit der Zeit werden sie immer böser. Derweil müssen sie in den Kerker.“

„Das heißt, wir werden auch so etwas?“, flüsterte Anita entsetzt. Sie spürte, dass Timmi nickte – sehen konnte sie es im finsteren Sack ja nicht. „Und man kann nichts dagegen tun?“

„Doch. Sie werden wieder zu Menschen, wenn man sie berührt.“

„Aber das geht doch ganz leicht!“

„Ja, hab ich auch gedacht. Aber erstens kommen wir hier wahrscheinlich nicht so bald raus und zweitens muss man sie wirklich berühren, nicht ihr Gewand oder so. Die meisten tragen aber Handschuhe und alles.“

„Oh.“ Da fiel Anita noch etwas ein: „Warum haben sie eigentlich Dora nicht gefangen?“

„Deine Freundin? Keine Ahnung. Oder ... hatte sie ein Kostüm an?“

Anita nickte. „Vielleicht haben sie gedacht, dass sie eine von ihnen ist“, meinte Timmi.

Die Hexe trug sie herum und Anita wurde schwindelig. Sie war erleichtert, als sie stehen blieben, obwohl sie wusste, dass sie nichts Gutes erwartete.

„Hier!“, sagte Timmi. Er hatte ein Loch im Sack entdeckt, durch das sie beobachten konnten, was draußen vor sich ging. Die Hexen hatten sich versammelt, unter ihnen war auch Dora.

 

Auf einem großen Thron saß ein Skelett mit Krone und einem langen, violetten Umhang. „Öffnet nacheinander eure Säcke!“, befahl es mit einer Mädchenstimme.

Anitas Trägerin war zuerst dran. Sie machte den Beutel auf und schüttelte unsanft Anita und Timmi heraus. Timmi rieb sich den Kopf, doch Anita sprang auf und rannte auf die Königin zu. Die wollte ausweichen, aber Anita streckte ihr die Hand ins Gesicht. Langsam verwandelte sie sich in ...

„Lyra!“, rief Anita, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Anita!“, schrie Lyra.

Die Schwestern umarmten sich. Minuten vergingen, bis sie sich voneinander lösten. „Und was machen wir mit den anderen hier?“, fragte Anita.

Lyra überlegte kurz. „Vielleicht hören sie noch auf mich. Alle in eine Reihe stellen und sich von ihr berühren lassen! Holt auch die Gefangenen aus den Kerkern. Und lasst die Menschen frei!“

Die Wesen gehorchten. Die Kinder berührten sie alle und diejenigen von ihnen, die sich bereits wieder zurückverwandelt hatten, halfen ihnen dabei. Als alle erlöst worden waren, gingen draußen die Straßenlaternen an und sie konnten wieder zurückgehen. Von da an mochte Anita Halloween.

Tanja Koller: Ich lebe mit meinen Eltern und meinen beiden jüngeren Brüdern in Niederösterreich. Sehr gerne schreibe ich, deshalb möchte ich einmal Autorin werden.

*

Schock im Gruselhaus

Es war der Abend an Halloween. Tom und seine Schwester Marie waren zu Besuch bei ihren Großeltern in einem kleinen Ort. Die beiden Geschwister sehnten diesen Abend schon lange herbei, da die Großeltern den beiden versprochen hatten, dass sie von Haus zu Haus ziehen durften. Schließlich war ja Halloween! Beim Abendessen waren Tom und Marie schon so aufgeregt, dass sie kaum einen Bissen von ihren Broten hinunterbekamen. Tom kaute sogar so lange auf einem Stück Käse herum, bis dieses so weich wie Watte war.

Als es endlich dunkel wurde, verkleideten sich die Geschwister. Tom als Kürbis und seine Schwester als Hexe. Mit Taschenlampen bewaffnet, zogen die beiden los. Ihre Großeltern winkten ihnen hinterher und riefen: „Grüßt die Geister von uns!“

„Machen wir“, hallte es übermütig von den beiden zurück!

Nach ein paar Häusern, die die beiden erfolgreich ausgeraubt hatten, kamen sie an einem Friedhof vorbei! Die Gräber schimmerten im Mondlicht angsteinflößend. Die beiden mutigen Kinder liefen aber nur schnell daran vorbei. Nach kurzer Zeit kamen sie an ein altes gruselig aussehendes Haus. Marie wollte einfach nur schnell daran vorbeilaufen, doch Tom wurde langsamer und leuchtete mit der Taschenlampe auf die morsche alte Tür des Hauses.

Kaum machte der Junge Anstalten, auf die Tür näher zuzugehen, hielt ihn jemand am Ärmel seines Kostüms fest. Er zuckte zusammen, doch beruhigte er sich schnell wieder, als er die vertraute Stimme wahrnahm, die ihm zuzischte: „Spinnst du?! Was, wenn es da drin spukt?“

Er atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass es nur seine Schwester war. Gelassen erwiderte er: „Da drin spuckt es doch nicht, das ist nur so ein altes Haus und ich habe gesehen, dass die Tür nur angelehnt ist! Da passiert schon nichts! Ich geh da jetzt rein!“

Marie zögerte kurz, als ihr Bruder näher auf die Tür zuging, doch sie wollte ihn nicht alleine lassen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und folgte ihrem Bruder tapfer bis an die Tür. Vorsichtig öffnete Tom diese. Sie quietschte und knarzte wie in einem Horrorfilm. Ängstlich klammerte sich Marie an ihren Bruder. Als die Tür ganz offen war, bestaunten die beiden Geschwister die große edle Eingangshalle. Sie waren so versunken in ihrer Bewunderung, dass sie nicht mitbekamen, wie ein Schatten hinter ihnen flink durch die Tür huschte und auch schon wieder in der Dunkelheit verschwand. Tom fragte sich währenddessen, ob das alte Haus nicht einmal eine Villa gewesen war. Marie hingegen betrachtete die vielen alten vergilbten Briefe, die durch den Briefschlitz quollen. Außerdem entdeckte sie ein Bild von einer alten Frau, das voll mit Spinnweben war.

Plötzlich, mitten in dieser unheimlichen Ruhe, hallte es aus dem Keller heraus: „Huuuuahuu!!!!!!!!“

Marie bekam es mit der Angst zu tun, aber Tom nahm seinen allerletzten Mut zusammen und ging langsam und wie auf Samtpfoten die Kellertreppe hinunter. Marie wollte nicht alleine bleiben und folgte ihrem Bruder.

Im Lichtkegel der Taschenlampe konnten die Geschwister nichts Außergewöhnliches erkennen, als sie in einem riesigen Keller ankamen. Auch konnten sie nicht sagen, woher diese schauderhaften Töne kamen. Als die Stimme erneut anfing, zu heulen, lief Tom ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er wollte um Hilfe schreien, doch aus seiner angstverschnürten Kehle kam kein Ton heraus. Der Versuch, wegzurennen, scheiterte, da seine Beine wie angewurzelt stehen blieben. Der Junge traute seinen Augen nicht, als auf einmal ein Geist auf ihn zuschwebte. Seine innere Stimme sagte ihm zwar, dass es echte Gespenster nicht gab, aber in diesem Moment wollte er es nicht glauben.

Aber Moment! Tom stutzte trotz seiner Angst. Das Gespenst schwebte gar nicht! Es wankte hin und her! Blitzschnell sprang er todesmutig auf den Geist zu.

Aber was war das? Er hatte auf einmal ein Lacken in der Hand!

Das war gar kein echtes Gespenst!

Unter dem Lacken war Opa!?

Auf einmal lachten alle gleichzeitig los und hinter einer Säule kam auch Oma zum Vorschein.

Es wurde wild durcheinander gesprochen und es stellte sich heraus, dass Oma und Opa sich einen kleinen Halloweenscherz mit ihnen erlaubt hatten.

Frohen Mutes gingen sie nach Hause und freuten sich auf heißen Kakao und Kekse. Das war vielleicht ein aufregender Halloween-Abend! Aber am Schluss waren sich alle einig:

ECHTE GESPENSTER GIBT ES NICHT!!!

Magdalena Siller (geb. 2008): Bereits als Kindergartenkind machte Magdalena durch ihre künstlerische Kreativität auf sich aufmerksam. Sie liest, malt und zeichnet viel, näht und bastelt sehr gerne. In ihrer Freizeit liebt sie Musizieren, Reiten, Singen, Kochen, Backen und Sport. Magdalena träumt davon, Ärztin zu werden und in ihrer eigenen Praxis eine Galerie zu integrieren.


*

Edie Katzenstein

Es ist kurz vor Mitternacht. Wir waren auf dem Friedhofsanwesen von Friedrich Adelfels von Graustein. Ich war mit einem Klassenkameraden auf dem Weg zum Haus von Edie Katzenstein. Maik, mein Klassenkamerad, hatte zu mir gesagt, dass ich ein Feigling sei und mich niemals zu diesem Haus trauen würde. Deshalb waren wir beide nun auf dem Weg zu Edies Haus, das auf der anderen Seite des Friedhofs stand. Edie Katzenstein hatte viele pechschwarze, magere Katzen. Edie war sehr alt und wurde auch die Gruselhexe genannt. Ich musste in Edies Haus einbrechen und sollte dort eine von ihren Katzen klauen. Der Kies knirschte unter unseren Schritten. Irgendwo krähten ein paar Raben in den Bäumen. Bald würde Maik stehen bleiben und ich musste allein weitergehen.

„So, ich warte hier auf dich, du Angsthase!“, giftete Maik.

Ich streckte ihm die Zunge raus und ging weiter. Zwei Schritte. Ein Schritt. Jetzt war ich da. Mein angsterfüllter Körper stand vor Edies Haus. Lautes Miauen und ein grässliches, verzerrtes Lachen ertönten aus dem Haus.

„Ist es das wirklich wert?“, fragte ich mich. Mein Bewusstsein sagte Nein, doch mein Stolz sagte Ja. Ein Baum knarzte. „Du schaffst das! Ich schaffe das!“, versuchte ich, mir Mut zu machen, und ging einmal um das Haus herum auf der Suche nach einem offenen Fenster.

Das Haus knarrte und klapperte. Es wunderte mich, dass es nicht gleich wegflog. Jetzt hatte ich das Haus einmal umrundet und kein einziges offenes Fenster entdeckt. Meine Angst wuchs mit jeder Sekunde, in der ich vor diesem Haus stand. Alles an ihm war dunkel, kaputt und Furcht einflößend. Ein offenes Fenster gab es nicht, der einzige Weg nach innen führte durch die schwarze, massive Haustür. Es war kalt und feucht. Ich tappte in eine Pfütze, die ich in der Dunkelheit übersehen hatte. Mein rechter Strumpf saugte sich mit lauwarmem Dreckwasser voll. Einfach alles an dieser Nacht war schlimm. Mir war kalt, ich hatte Angst und wollte einfach nur nach Hause. Doch dann gab ich mir einen Ruck und stieg mit zittrigen Händen die Stufen zu Edies Veranda hinauf.

Meine Hand zuckte, als ich sie ausstreckte, und Pock! Pock! klopfte.

„Wer ist da?“, fragte eine krächzende Stimme.

Ich wagte kaum, zu atmen, als ich hörte, wie klackende Schritte sich auf den Weg zur Haustür machten. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich begann, zu schwitzen. Die Haustür öffnete sich. Ein intensiver Geruch nach Kohl und Katzenfutter schlug mir entgegen. Ein kurzer Blick nach oben und das Gruselgesicht einer grauenhaften Hexe grinste mir entgegen. Entsetzt schaute ich sie an. Dann lief ich schreiend davon, an Maik vorbei, über den Friedhof, weiter und weiter bis ich zu Hause ankam ... und aus meinem Albtraum erwachte.

Lina Dobbermann: Ich bin neun Jahre alt und gehe in die 4. Klasse der Domschule in Lübeck. Ich schreibe gern Geschichten, seit ich sieben Jahre alt bin.

*

Grusella und das Weinen vom Dach

Hallo, darf ich mich kurz vorstellen?

Mein Name ist Grusella. Vor ein paar Jahrhunderten wurde ich als Mariella geboren, doch durch ein großes Unglück bin ich verzaubert, sehr einsam und zu einer Gruselgestalt geworden. Das sagen jedenfalls all die Menschen, die je mein Haus betreten haben. Ich finde mich selbst nämlich gar nicht so gruselig. Trotzdem habe ich auf den Tag genau vor 222 Jahren beschlossen, alle Spiegel des Hauses zu zerstören. Ob ich mein Aussehen in dieser Zeit verändert habe, weiß ich also selbst nicht.

Ihr wollt wissen, wie ich aussehe?

Ich bin etwa einen Meter groß, habe lila-silbernes Wuschelhaar, meistens giftgrüne Augen (und davon zwei auf der Vorderseite des Kopfes und zwei auf der Rückseite des Kopfes), mehrere Warzen, eine dicke Knubbelnase und einen viel zu dicken Bauch. Dazu vier dünne Spaghettibeine und zwei Arme, die aussehen, als wären sie je ein viel zu kurz geratener Elefantenrüssel.

Ihr habt noch nicht genug? Je nach Stimmung kann ich die Augenfarbe verändern. Und zwar für jedes Auge einzeln.

Ich sehe so gruselig aus, dass ich ganz alleine im tiefen, dunklen Wald in einem versteckten, kleinen Haus wohne. Hierher verirrt sich kein Mensch und sollte sich einmal einer verirren, dann spuke ich, dass ihm schon nach einer Minute ein eiskalter Schauer über den Rücken rinnt. Es kommt manchmal vor, dass die Haustür ganz langsam aufgemacht wird und eine Kinderstimme fragt: „Ist ja jemand?“

Diesen Moment warte ich meist noch ab, bevor ich einen Gruselwitz erzähle, zum Beispiel diesen: „Was ruft ein Skelett, wenn ein Leichenwagen vorbeifährt? Hallo Taxi!“ Darauf folgt mein schauerlichstes Gelächter und als Abschied gibt es noch einen Kübel Wasser über den Kopf geschüttet. Bislang ist kein Mensch ein zweites Mal gekommen.

Den ganzen Tag über mache ich, was ich gerne mache: Gruselwitze lesen, Gruselessen kochen und Übungen zum Erschrecken menschlicher Kreaturen. Darin bin ich übrigens wirklich richtig gut. Mein Lieblingsessen sind gekochte Grillenbeine im Wildschweinblut mit schleimiger Hühneraugensoße. Aber eigentlich wollte ich euch noch etwas ganz anderes erzählen.

Gestern ereignete sich etwas, das selbst mich nicht kaltgelassen hat. Ich war gerade dabei, mein Lieblingsessen zuzubereiten, als ich auf dem total vermoosten Dach meiner Bruchbude ein Weinen hörte. Ich war total irritiert. Vom Küchenfenster aus sah ich nicht viel – außer: Da saß ein kleiner Menschenjunge, der sehr sonderbar aussah – mit nur einer Gesichtshälfte – und es rannen ihm so viele Tränen über sein Gesicht, dass ich Angst hatte, mein Haus könnte bald unter Wasser stehen. Das kleine Menschlein machte keine Anstalten, mein Dach zu verlassen. Nein, im Gegenteil: Das Weinen und Schluchzen wurde immer lauter und heftiger. Ich musste etwas tun, was ich schon mehrere Jahrhunderte nicht mehr gemacht hatte: rausgehen an die frische Luft und auf mein Dach steigen. Der Junge sah sehr gruselig aus, vielleicht war er auch verzaubert worden und würde … nein, weiter traute ich mich nicht einmal, zu denken.

 

Ich stieg also aufs Dach und setzte mich neben das Kind. Es tat mir sehr leid. Das halbe Gesicht war unter einer Maske versteckt und er trug Einweghandschuhe an beiden Händen.

„Ha...llo!“, flüsterte ich im Gruselton. Doch der Junge hörte mich nicht. Ich wurde lauter und lauter. Doch der Junge reagierte nicht.

Wie aus dem Nichts, rief er plötzlich ein heiseres: „Bu...uh“, welches mich so erschreckte, dass ich vom Dach fiel.

Zum Glück passierte mir nicht viel: Ich verlor mein drittes Auge, welches ich aber bald wiederfand und in die dafür vorgesehene Augenhöhle steckte, die Warzen im Gesicht rückte ich wieder zurecht und ein gebrochenes Spaghettibein ersetzte ich schnell durch ein neues. Meine dicke Knubbelnase war nach dem Unfall mindestens fünfmal so groß, jedenfalls fühlte sie sich so an, und mein Kopf war noch unförmiger geworden. In Sekundenschnelle wechselte mein Körper die Farben.

Und der Junge? Ihr werdet es nicht glauben. Durch meinen Aufprall verstummte sein Weinen und er sprang sofort vom Dach, um mir zu helfen. Das fand ich wirklich sehr rührend. Aber das Schlimmste war: Er fürchtete sich keine Sekunde vor mir! Es störte ihn überhaupt nicht, wie ich aussah. Nein, im Gegenteil: Er war froh, dass er mir helfen durfte!

Später wischten wir seine Tränen auf und gingen ins Haus. Er erzählte mir, dass er eigentlich eine zweite Gesichtshälfte hätte, aber dass gerade eine Viruserkrankung auf der Welt herrschen würde: In der Schule, zu Hause, beim Spielen – überall mussten sich alle Kinder jeden Tag eine Maske aufsetzen. Covid-19 oder auch Corona wurde dieser Virusteufel genannt.

Und warum der Junge weinte, brachte mich völlig aus der Fassung: Aufgrund der hohen Inzidenzzahl war es heute zu einem weiteren Shutdown gekommen und seine Schule war wieder geschlossen worden. Das war das zweite Mal in diesem Jahr. Er würde so gerne in die Schule gehen und seine Freunde treffen und lernen. Und nun gab es wieder Homeschooling und er musste alleine zu Hause sein, denn seine Eltern arbeiten als Ärzte in einem Krankenhaus, und Aufgaben bearbeiten, die seine Lehrer ihm über das Internet schicken würden.

Das Lernen war kein Problem für ihn, aber das Alleinsein machte ihn so traurig.

„Da kann ich dir gerne helfen“, sagte ich freudig, „du kommst zu mir und ich lerne mit dir, Gruselspeisen zu kochen, wir lesen zusammen Gruselwitze und …“ Ich hatte viele (gruselige) Ideen und zauberte ihm ein Lächeln auf sein Gesicht.

Und wisst ihr was?

Der Junge kommt seither jeden Tag zu mir und er kennt noch viel bessere Gruselwitze als ich!

Johanna Siller (geb. 2011): Schon mit fünf Jahren konnte sie schreiben und lesen. Bald darauf schrieb sie ihre ersten Texte. In der Freizeit liebt Johanna lesen, Geschichten schreiben, Geige und Flöte spielen, singen, reiten, Gokart fahren und sie kann sich für jede Sportart begeistern. Johanna träumt davon, eines Tages Autorin und Musicalsängerin zu werden.

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