Bogdansky

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Bogdansky
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Martha Mohr

Bogdansky

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwörtchen

Bogdansky

Kindheitserinnerungen

Enkelkinder

Optik

Einkaufen

Technik

Freizeit

Träume

Weihnachten

Spiele

Erkenntnis

Zeitwanderung

Schwiegermutter

Mütter

Schlafgeräusche

Krankheiten

Projekte

Rentnerdasein

Ignoranz

Vergnügungen

Lästern

Verlässlichkeit

Bewunderung

Zwei Leben

Betäubung

Gewicht und Belohnungen

Gesundheit

Hochzeit

Medien

Arztbesuche

Urlaub

Liebe

Der Tag danach

Impressum neobooks

Vorwörtchen

Irgendwann passiert es. Man stellt fest, dass man alt ist, auch wenn man meint noch einigermaßen jung zu sein, so sind es doch die Jahre, die zählen. Irgendwann muss man hinnehmen, dass die längste Zeit des Lebens vergangen ist und man unaufhaltsam dem Ende entgegenlebt.

Ich befinde mich mittendrin in diesem Lebensabschnitt, der mich grübeln lässt, mich nachdenklich macht und mich inspiriert hat, einige Gedanken aufzuschreiben.

Gedanken für mich und für jene, die sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen müssen und auch für jene, die diesen Lebensabschnitt einmal erreichen wollen.

Es ist nichts von Wichtigkeit.

Es sind nur Gedanken und Ansichten einer Großmutter.

Bogdansky

Tage kommen und gehen. Sie bringen uns Ereignisse, die uns erfreuen, uns glücklich machen, das Leben genießen lassen. Man möchte sie festhalten. Und dann sind da die traurigen, zerstörerischen oder auch die langweiligen Tage, die mühsam dahinschleichen, uns das Leben schwer machen, uns plagen oder uns verzweifeln lassen. Kein Tag ist wie der andere, auch wenn es uns manchmal so vorkommen mag. Jeder Tag ist ein kleines individuelles Puzzleteilchen unseres Lebens. So unscheinbar es aussieht, so lässt es uns doch Tag für Tag unaufhaltsam älter werden.

Unsere Tage sind wohl von uns planbar, aber nicht vollkommen, denn zu viele Ereignisse, die das Leben für uns bereithält, beeinflussen sie. Und dann gibt es die Tage, die sich unausweichlich in bestimmten Abständen wiederholen. Den morgigen Tag würde ich gern weit wegschieben, einfach ignorieren. Doch solche Tage lassen sich nicht wegschieben, sie sind festgelegt, sie wiederholen sich jährlich und werden mit zunehmendem Alter immer bedrohlicher. Wäre ich ein Kind, würde ich mich riesig darauf freuen und könnte die Zeit kaum abwarten. Kinder können ihre Geburtstage noch unbeschwert genießen.

Morgen ist mein Geburtstag. Und ich werde nicht 50, nicht 60, nein, ich werde 65. Diese Zahl lässt mich sehr, sehr nachdenklich werden, vermiest mir schon den Vortag und treibt meine Gedanken umher, denn das ist nun wirklich ein Alter, das weit in die zweite Hälfte des Lebens hineinreicht. Die Kindheit, die Jugend und die guten Jahre zwischen 30 und 50 gehören der Vergangenheit an und was jetzt noch kommt wird nie mehr so schön, so unbeschwert sein, nur sehr viel kürzer und beschwerlicher. Diese Erkenntnis lässt keine Feierstimmung zu, doch meine Kinder haben den morgigen Tag für mich geplant, mich eingeladen, sodass ich mich dem nicht entziehen kann.

Ich darf eigentlich nicht meckern. Es geht mir gut. Aber die 65 Jahre meines Lebens liegen hinter mir, das ist die Realität und eben diese Realität wird mir heute so furchtbar bewusst. Natürlich weiß ich nicht erst seit heute, dass ich morgen 65 Jahre alt werde. Dieses Thema beschäftigt mich auch schon eine ganze Weile. In letzter Zeit sehe ich meine Umgebung, meine Familie, Freunde und Bekannte mit ganz anderen Augen. Das Alter hat eine neue Dimension an Bedeutung bekommen. Ein Mensch kann durchaus 90 oder sogar 100 Jahre alt werden, aber in welchem Zustand? Ich weiß nicht, ob das erstrebenswert ist. Ich weiß nur, dass die letzten fünf Jahre einfach so verflogen sind. Mein sechzigster Geburtstag hat noch keine trübsinnigen Gedanken hervorgerufen, obwohl es mir zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut ging, hatte ich noch kein Problem mit dem Alter. Diese Sichtweise muss sich also in den letzten fünf Jahren eingeschlichen haben. Freunde und Bekannte sind verstorben. Diese Ereignisse sind schon sehr bedrückend, machen traurig und nachdenklich. Mag sein, dass es daran liegt, nein, es ist die Zahl. Ignoranz wäre eine Lösung. Aber wie soll man das schaffen?

Als ich jung war, habe ich mich oft gefragt wie es wohl ist, wenn man sich im fortgeschrittenen Alter befindet und mit dem Gedanken leben muss, diese schöne Welt bald verlassen zu müssen. Ich hätte gern meine Eltern gefragt. Aber dazu ist es nie gekommen und nun muss ich selber herausfinden wie das geht. Das Thema an sich ist heikel und zwischen Eltern und Kindern ist es tabu. Meistens gehen solche Gedanken im Alltag unter, aber heute sind sie präsent, bauen sich auf und lassen sich nicht vertreiben.

65 Jahre sind eine lange Zeit. Es ist viel passiert. Ich habe einen wunderbaren Mann und wir haben drei zauberhafte Kinder und fünf süße Enkelkinder und es könnten leicht noch ein paar dazukommen. Die Zeit verging schnell, viel zu schnell. Nun sind wir alt und doch bilde ich mir ein, dass ich noch immer ich bin, nämlich genau die Frau, die ich vor 20 oder 30 Jahren war. Natürlich nicht äußerlich, da hat sich leider einiges verändert, aber ich fühle wie immer.

Zugegeben die Schnelligkeit und Flexibilität haben auch etwas nachgelassen und die Vergesslichkeit hat sich eingestellt. Und dann ist da noch etwas „Bogdansky“. Er geht mir nicht aus dem Kopf. Er drängt sich mir regelrecht auf, aber ich kenne niemand der so heißt. Vielleicht ist es der Name eines Sportlers, eines Schauspielers oder sonst irgendeiner Persönlichkeit. Es wird sicher jemand geben der so heißt. Zuerst war es nur der Name, der mir im Kopf herumspukte aber so nach und nach, ganz unauffällig, entwickelte er sich und jetzt spricht er mit mir dieser Bogdansky.

Es gab schon viele Namen, Namen von Menschen oder einfach Wörter, die ich tage-, manchmal wochenlang mit mir herumgetragen habe. Irgendwann verschwanden sie, wie sie gekommen waren von ganz allein und ich wusste auch etwas über ihre Bedeutung. Wahrscheinlich liegt das an den Wortspielereien, die ich mit mir selbst spiele, um mein Gedächtnis zu trainieren. Bei Bogdansky allerdings verhält es sich anders. Er verschwindet nicht. Er spricht mit mir, er durchkreuzt meine Gedanken, mischt sich in alles ein, meint immer die besseren Ideen zu haben, redet mir zuweilen ein schlechtes Gewissen ein oder hält mir Feigheit, mangelnde Schlagfertigkeit und Unentschlossenheit vor. Meistens nervt er, mein Bogdansky, obwohl es auch Situationen gibt, in denen ich ihn fast ein bisschen liebe.

Kindheitserinnerungen

Wenn ich so zurückblicke, glaube ich, dass sich auch mein Erinnerungsvermögen minimiert hat. Besonders die eigene Kindheit ist doch ziemlich verblichen, ähnlich den Fotos oder Negativen aus dieser Zeit. Ich glaube, es sind immer nur die herausragenden Erlebnisse aus der Kindheit an die man sich erinnert oder sich zu erinnern glaubt, weil man oft darüber gesprochen hat oder sie durch Fotos lebendig erhalten hat. Eine dieser Begebenheiten aus meiner Kindheit wird immer aktueller und passt zu meiner Geburtstagsmissstimmung.

 

Meine Schwester und ich hatten unseren Lieblingsplatz am Küchenfenster eingenommen. Wir standen auf Stühlen, um die Möglichkeit zu haben, unseren Oberkörper aus dem Fenster zu lehnen. Wir liebten es, dazustehen und rauszusehen. Dabei beulten wir den Latz unserer rotweißkarierten Schürzen so, dass es den Eindruck erweckte, wir hätten einen Busen. Wir fanden unser Spielchen sehr aufregend und führten dabei Gespräche über Dinge, die uns kleine Mädchen von sechs und acht Jahren bewegten. Besonders interessant wurde es, wenn jemand vorbeikam. Aber wir wohnten auf dem Dorfe und es war nicht ungewöhnlich, wenn stundenlang keine einzige Seele unser Küchenfenster passierte. Wir lebten ohne Fernsehen, ohne Telefon und ein Handy gab es schon gar nicht. Zu unseren Vergnügungen gehörte das Spielen mit Freunden am Bach und auf den Wiesen. Zur Fortbewegung besaßen wir allerdings einen flotten gummibereiften Tretroller und auch die Schule bot uns einiges an Abwechslung und machte Spaß. Aber unsere Zerstreuungen waren im Verhältnis zur heutigen Zeit eingeschränkt. Das erklärt vielleicht die Freude, die wir an unserem Küchenfensterspielchen hatten.

An diesem Tag war ein Thema aktuell mit dem wir noch nie zuvor konfrontiert wurden. Unsere Großmutter war gestorben.

Wir kannten sie kaum und waren deshalb auch nicht wirklich traurig über ihren Tod. Sie war eben eine ganz, ganz alte Frau. Alte Menschen sterben einfach irgendwann. Aber was bedeutet das und wie war das mit uns? Wir machten die Augen zu, versuchten uns wegzudenken und überlegten, wie es wohl sein könnte, wenn man gestorben war. Vielleicht wäre man dann bei Gott und würde dort weiterleben. Aber wo sollte das sein und wie und mit wem würde man in dieser unbekannten Welt zusammen sein? Was wäre mit unseren Eltern und allen die wir liebten? Nein, diese Aussicht gefiel uns nicht. Wir könnten wahrscheinlich nie mehr gemütlich am Fenster stehen, nie mehr mit unseren Freunden spielen, nie mehr Eis essen. Nein, tot sein kam für uns nicht in Frage. Unsere Vorstellung ließ es einfach nicht zu, eines Tages nicht mehr auf dieser Welt, unserer kleinen Welt, die für uns nur schön war, zu sein. Wir beschlossen, dass wir allenfalls im Omaalter sterben könnten, aber auch nur vielleicht.

Enkelkinder

Als fünffache Großmutter befinde ich mich mitten im Omaalter. Ich liebe meine Enkelkinder und mein Mann und ich freuen uns sehr, dass wir sie haben, sie aufwachsen sehen können und ein wenig an ihrem Leben teilhaben können. Das Zusammensein mit ihnen, die Unternehmungen, die wir mit den Kindern machen, beflügeln uns regelrecht. Ich fühle mich um Jahre jünger und mache Dinge, die ich allein oder mit meinem Mann nie machen würde. Es ist herrlich, ihre Unbeschwertheit zu genießen, mit ihnen zu plaudern und zu spielen. Kinder geben uns so unendlich viel. Sie sind ohne Vorurteile, sie sagen spontan ganz ehrlich was sie meinen und können sehr amüsant sein. Sei es durch ihre in den Anfängen noch etwas unbeholfene Sprache, durch ihre Gebärden und natürlich auch durch ihre Mimik. Kindergesichter sprechen auch ohne Sprache. Sie sind einfach zum Verlieben. Ich war bereits in meine eigenen Kinder verliebt und jetzt als Großmutter weiß ich es sehr zu schätzen, dass ich die Chance habe, mich in meine Enkelkinder verlieben zu können.

Eine echte Oma möchte ich allerdings gar nicht sein. Die Hälfte aller Tage fühle ich mich nicht so, aber die andere Hälfte lässt mich deutlich spüren, dass ich nicht nur eine Oma bin, sondern auch omaähnlich aussehe und mich auch omaähnlich fühle. Meistens ist das Wetter Schuld an diesem miesen Gefühl.

„Ich soll die Verantwortung für meine abstrusen Gefühle und abwegigen Gedanken selbst übernehmen und nicht das harmlose Wetter beschuldigen. Ach, Bogdansky, das Wetter kann sehr wohl deprimierend sein und hat auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Schlechtes Wetter macht einfach müde und antriebslos und taucht die Welt in traurige Grautöne, die nach Sonne verlangen. Ich gehöre zu den Menschen, die mit dem Wetter, mit den Jahreszeiten leben und bei schönem Sommerwetter nur draußen anzutreffen sind. Ja, ich verlege dann alle möglichen Arbeiten auf die Terrasse oder in den Garten, um die Sonne zu genießen. Alles Ausreden, man muss sich im Griff haben. Gut, bei der nächsten Attacke werde ich dich um professionelle Hilfe bitten.“

Meine kleine fünfjährige Enkelin meinte vor ein paar Tagen, als wir mal wieder über Jungen und Mädchen, eben über die unterschiedlichen Geschlechter sprachen, dass sie ein Mädchen sei und Mama eine Frau. Ich allerdings wäre keine Frau mehr, ich wäre schon eine Oma. So etwas sagt sie mit Überzeugung und einer Selbstverständlichkeit, die es einem unmöglich macht, ihr zu widersprechen.

Seit sie aufgegeben hat, irgendwann ein Junge zu werden wie ihre Brüder, beschäftigt sie sich gern mit diesem Thema. Vor einiger Zeit war sie noch der Meinung alle Babys wären Mädchen und es würde ihnen später ein Schniepelchen wachsen, damit sie auch im Stehen Pipi machen können. Denn all ihre Versuche es ihren Brüdern bei der Verrichtung dieser Sache gleich zu tun, sind jämmerlich fehlgeschlagen. Für diese Gespräche und Erkenntnisse bin ich gern eine Oma.

Optik

„Du meinst, ich sehe noch ganz gut aus, für mein Alter. Ja, danke, Bogdansky. Ich kann heute jede Schmeichelei gebrauchen. Weißt du eigentlich wie wichtig das Aussehen im Leben einer Frau ist? Wenn ich, einigermaßen, meinem Alter entsprechend gut aussehe, fühle ich mich auch gut und habe gute Laune. Auch das Zusammensein mit jungen, glatten Gesichtern lässt mich selbst glatter sein. Merkwürdige Gefühle sind das. Für dich nicht nachvollziehbar, schade. Vielleicht verstehst du mich irgendwann.

Leider gibt es Tage an denen ich mich einfach nur schlecht fühle. Du weißt ja, das Wetter. An solchen Tagen führt schon das Haarewaschen oder das Haareschneiden zur Anhebung meiner Stimmung. Auf das Äußere kommt es nicht an? Doch, doch, das kannst du mir schon glauben. Sieh dich mal um und achte auf die Ausstrahlung, die nette gut aussehende Menschen haben. Natürlich bin ich nicht auf Partnersuche. Du hast mich nicht verstanden. Ich brauche das für mein eigenes Wohlbefinden. Wenn ich mich mag, mich wohlfühle, bin ich ein ganz anderer Mensch und kann mich am Leben erfreuen. Bei Männern mag das anders sein, obwohl ich denke, dass auch das männliche Geschlecht eitel sein kann. Außerdem sehen Männer im Alter besser aus als Frauen, weil ihre Gesichter Falten, Furchen und andere Alterserscheinungen besser vertragen als Frauengesichter. Männer können im Alter durchaus attraktiv aussehen, wenn sie nicht gerade ein Ballerbackengesicht und einen Schwangerschaftsbauch kurz vor der Entbindung mit sich herumtragen. Denk mal an Robert Redfort. Er ist alt und faltig. Ja, schon, aber er ist immer noch ein attraktiver charmanter jungenhafter Mann.

Ich bin allerdings trotzdem froh, eine Frau zu sein, weil ich mir mein Gesicht mit Hilfe von Schminke aufpeppen kann und nicht mit meinem nackten Morgenmuffelgesicht den ganzen Tag verbringen muss. Nein, ich muss nichts einkaufen, ich bin eingeladen. Die Kinder haben alles organisiert. Ich kann mich entspannen. Wieso soll das nicht gut sein? Ach, glaub mir Bogdansky, heute würden mich diese Gedanken auch im unentspannten Zustand einholen. “

Einkaufen

Seit mein Mann ein Pensionär ist, geht er meistens einkaufen und ich bin froh darüber, denn für mich ist das Zeitverschwendung, nicht nur, weil ich noch berufstätig bin, sondern überhaupt. Zumal ich in letzter Zeit das Kochen und alles was damit zu tun hat, verdränge. So ergibt es sich manchmal, dass mein Mann ganz eigenständig die Zutaten für unser Mittagsmahl einkauft. Zutaten, aus denen er selbst schnell ein Essen zaubern kann. Das ist kein Sterneessen, aber es schmeckt. Diese Variante gefällt mir ausgesprochen gut.

„Mit Bequemlichkeit hat das überhaupt gar nichts zu tun, mein lieber Bogdansky. Nach 40 Jahren täglichen Kochens, ich möchte nicht ausrechnen wie oft das war, ist das erlaubt. Diese ständigen Wiederholungen sind nicht nur langweilig, sie nerven einfach. Ja, und die Ideen sind mir auch ausgegangen. Für meinen Mann hingegen ist diese Art der Beschäftigung neu und ich denke, es kann nicht schaden, wenn er sein Betätigungsfeld erweitert, denn es ist immer gut, etwas Neues anzufangen, die kleinen grauen Zellen zu füttern, um flexibel zu bleiben. Doch, das kann man durchaus so sehen. Sei nicht so streng mit mir Bogdansky.“

Shoppen gehen ist natürlich etwas ganz anderes. Das kann durchaus Spaß machen. Allerdings nur, wenn man nichts Bestimmtes kaufen muss. Dabei begleitet mich mein Mann gern und wenn es eine längere Aktion zu werden droht, trennen wir uns. Leider teilt er meine Leidenschaft für Schuhe nicht und ich langweile mich zwischen Fernsehern und anderen technischen Geräten. So kann jeder ganz entspannt herumbummeln, sich die Füße wund laufen, eben die Großstadt genießen. Ich liebe es sehr, mich einfach so treiben zu lassen, mir dies und jenes anzuschauen oder auch dies und jenes zu kaufen. Und wenn wir dann mehr oder weniger zufrieden und in der Regel völlig erledigt wieder nach Hause fahren, freuen wir uns auf unser Sofa und einen Kaffee. Das ist keine Alterserscheinung, das war schon immer so, fast so. Wir sind eben vom Lande.

„Wieso ich gerade daran denke? Vielleicht hätte ich Lust, morgen Schuhe zu kaufen und entspannt herumzubummeln. Ich soll nicht so rumzicken und vernünftig sein. Vernünftig, Vernunft, weißt du eigentlich wovon du sprichst? Vernunft ist ein philosophisches Wort. Es gibt zwei Werke von Immanuel Kant, in denen er das Wort „Vernunft“ definiert. So einfach ist das nicht mit der Vernunft. Meine Version dagegen ist einfach. Wäre man nur vernünftig und würde nur das tun, was erprobt und erwiesenermaßen das Richtige ist, wäre das Leben ohne Überraschungen, wenn nicht sogar langweilig. Wenn man sein Leben lang alles unterlässt, das auch nur einen Hauch von Gefahr birgt, dann ist man vernünftig. Nein, Bogdansky, das bin ich nicht, nicht immer. Permanente Unvernunft ist wahrhaftig unvernünftig und in diesem speziellen Fall muss ich wohl meinen Einkaufsbummel verschieben. Ich versuche ja mich zu freuen, ich versuche es unentwegt. Auf jeden Fall ist es wunderbar, dass mir die schreckliche Einkauferei für diesen Geburtstag erspart bleibt. Ich bin eingeladen.“

Es gibt ja Ehepaare, die immer gemeinsam einkaufen gehen. Sie tragen Brille und Einkaufszettel und erwecken den Eindruck, als handele es sich um eine anstrengende, tagesfüllende Tätigkeit. Sie diskutieren, ob sie Erdbeeren oder Tomaten kaufen sollen. Kommt der eine mit Tomaten, sagt der andere, er möchte lieber Erdbeeren. Landet Kaffee im Einkaufskorb, meint der Partner, dass sie den erst gestern gekauft haben. Ich will mich bestimmt nicht lustig machen, denn womöglich gehört dieses Verhalten zu den altersbedingten Ärgerlichkeiten, die mich noch nicht erreicht haben. Man könnte allerdings leicht den Eindruck gewinnen, dass sie sich nie einig sind oder waren. An der Kasse haben sie es dann sehr eilig, als hätten sie noch mehrere dieser Einkäufe vor sich.

Das Einkaufen überlasse ich sehr gern meinem Mann. Uns wird man nur in Notfällen gemeinsam Kaffee, Erdbeeren oder Tomaten kaufen sehen.

„Ich meckere überhaupt nicht immer. Ab und wann kommt es schon mal vor, dass ich nicht ganz zufrieden bin mit seinem Einkauf. Welker Salat, knautschige Gurken, Birnen, die ganz schnell mit Hilfe eines Saftauffängers gegessen werden müssen oder Lightkäse, der nur mit einer doppelten Portion Butter zu genießen ist, können mir schon mal eine negative Bemerkung entlocken. Pädagogisch unklug, meinst du, wahrscheinlich. Nächstes Mal werde ich ihn loben auch wenn die Äpfel schrumpfelig, wurmstichig und fleckig sind.“

Man kann ja auch durchaus zu Hause einkaufen. Ich meine jetzt nicht per Katalog, nein, dieses Gut, nämlich Heizöl, muss man sich nach Hause liefern lassen. Da komme ich eines Tages am späten Nachmittag nach Hause, ein Tankwagen blockiert die Einfahrt, aber weder der Fahrer noch mein Mann sind zu sehen. Ich finde beide im Esszimmer. Diese Lieferung war besonders günstig und man musste sofort bezahlen. Nicht bar, nein, es stand so ein Kartenlesegerät auf dem Tisch, auf das mein Mann ganz offensichtlich schlecht zu sprechen war, denn es wollte seine Geheimzahl nicht anerkennen. Er hatte es inzwischen schon dreimal probiert, nun ging gar nichts mehr. Mein armer Mann machte einen ziemlich hilflosen Eindruck und war seit langem nicht mehr so glücklich, mich zu sehen. Der Fahrer hatte ihn nach seiner Pinnummer gefragt. Hätte er nach der Geheimnummer gefragt, wäre alles anders verlaufen. Die letzte Zahl, die mein Mann in seiner Verwirrung eingegeben hatte, sah unserer Telefonnummer zum Verwechseln ähnlich.

 

„Wie soll ich wissen, warum ihm gerade unsere Telefonnummer eingefallen ist. Du findest es höchst merkwürdig. Klar, du vergisst nichts, wirst nicht nervös und kannst dich natürlich nicht in so eine Situation hinein versetzen und ein Opa bist du schon gar nicht. Du bist eben Bogdansky.“

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