Watcher and Killer

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Watcher and Killer

1  Watcher and Killer

Watcher and Killer

Prolog

„Wir wollen, dass du dich ab heute um jemand anderes kümmerst. Unser letzter Watcher ist an ihm gescheitert, wir haben ihn in einer leeren Gasse finden können. Sein Bauch wurde mehrmals mit einem Messer durchbohrt und dann dort liegen gelassen. Momentan liegt er bei der Obduktion.“ Der hochgewachsene Mann legt ein paar Bilder auf den großen Schreibtisch, vor dem ich sitze. Emotionslos schaue ich mir die Aufnahmen von meinem Kollegen an. Ich kenne ihn nicht und das ist auch gut so, es hat keinen Sinn, sich mit meinen Kollegen anzufreunden, wenn sie doch eh‘ sterben, wie man sehen kann.

„Wo finde ich ihn?“ Ich erhebe sehr selten die Stimme gegen meine Vorgesetzten, denn Fragen werden hier nicht gerne gesehen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ein Kollege von mir wurde gefeuert, da er gefragt hat, wozu die Informationen gebraucht werden, die wir ihnen liefern müssen. Ich warte einfach, bis ich befördert werde und nur noch die Informationen annehmen und weitergeben muss, dann weiß ich das, ohne jemals gefragt zu haben. Aber so Weit denken die meisten hier nicht. Neugier ist hier fehl am Platz. Es stört nicht nur die Vorgesetzten, sondern ist es auch Unvorteilhaft bei den Beobachtungen und Analysen, da es uns in große Gefahr bringen kann. Man wird überheblich und macht Fehler. Viele Fehler, die man sich nicht als Watcher erlauben darf, wenn man mit Menschen zu tun hat, die einen in wenigen Sekunden töten könnten.

„Fast jede Nacht ist er in den Gassen hier tätig. Er hinterlässt keinerlei Spuren, außer den Leichen, welche er einfach zurücklässt. Wir haben keine Informationen über ihn aber es ist ja auch deine Aufgabe, dich darum zu kümmern“, erzählt er, ohne mich anzusehen. Ohne zu zögern unterschreibe ich den Vertrag, den er mir gibt, der besagt, dass meine Organisation nicht dafür haften wird, sollte mir etwas passieren. Jeder muss ihn unterschreiben, bei jedem neuen Auftrag.

Ein kurzes Nicken meinerseits, als Verabschiedung und ich verlasse den kleinen Raum, um zu meiner Wohnung zu fahren. Täglich muss ich durch die ganze Stadt aber das stört mich wenig, der Job wird dafür ordentlich bezahlt. Im Flur streife ich meine Schuhe ab und stelle sie in das dafür vorgesehene Regal, meine Jacke hänge ich an den Haken. Am Ende des Flures nehme ich die zweite Tür und komme in das einzige, große Zimmer meiner Wohnung. Es ist Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer zugleich, was auch von einer Einzimmerwohnung zu erwarten ist. Die einzigen anderen Räume, die es noch gibt, sind das Badezimmer und eine kleine Abstellkammer, in die man durch den Flur kommt. Weder Pflanzen noch andere jegliche Dekorationen schmücken meine vier Wände, ich habe es gern Schlicht. Wie gewohnt laufe ich über das helle Laminat und setze mich an meinen Laptop, um nach Verbrechen, die in der letzten Zeit in dem Umfeld hier begonnen worden sind, zu suchen und treffe tatsächlich auf zahlreiche Morde. Viele junge Frauen oder Männer wurden, erstochen, bis zum Tod verprügelt oder ihnen wurde die Kehle aufgeschlitzt. Jedoch hat keine der getöteten Personen jemals etwas Kriminelles getan. Also muss der Killer entweder einen Fetisch für Blut haben oder er liebt einfach das sinnlose Morden an unbeteiligten Personen.

„Bei ihm muss ich wohl noch besser aufpassen, der könnte wirklich gefährlich sein“, murmele ich vor mir hin, während ich mir die zahlreichen Namen ansehe, die in der Zeit ermordet wurden. Der Kerl muss wirklich Spaß daran haben, unbeteiligte, unschuldige Menschen zu ermorden.

Meine Augen brennen schon seit ein paar Stunden und meine Kehle ist trocken, da ich nichts getrunken habe. Ich starre schon so lange auf diesen grellen Bildschirm und lese mir Berichte, Zeitungsartikel und Fragen aus Foren durch, um eventuell mehr über meine neue Zielperson zu erfahren. Ich habe mir schon ein paar Notizen gemacht, die vielleicht sogar von Nutzen sein könnten.

Der Killer tötet nur junge Menschen, überwiegend Männer, die ungefähr im Alter von 18 – 23 sind. Kinder oder ältere Menschen wurden in dieser Gegend noch nie umgebracht. Dies könnte entweder nützlich sein oder totaler Schrott, weil mir nicht bekannt ist, ob er auch in anderen Gegenden Morde begeht. Außerdem habe ich durch die Internetseiten der Zeitschriften erfahren, dass jeder kurz nach Mitternacht gestorben ist und das seine ‚Mordzeit‘ sein muss.

Seufzend lege ich den Stift parallel zum Block und lehne mich nach hinten, streiche mir durch die blonden Haare und sehe auf meine Notizen. Ich habe noch nie so wenig über einen Killer gewusst, den ich analysieren soll und dann ist es auch noch einer der gefährlichsten in dieser Stadt. Vielleicht sogar in ganz Deutschland, wer weiß. Müde schließe ich meinen Laptop, was den Raum mit Dunkelheit erfüllt. Mein Kopf pocht wie verrückt und trotzdem will ich noch mehr über ihn erfahren. Mache ich aber einen kleinen Fehler, wäre es für mich vorbei. Das darf nicht passieren.

„Reiß' dich zusammen“, sage ich zu mir selbst und schließe dabei meine Augen. Ich darf mich nicht aus der Ruhe bringen lassen, nur weil ich zu wenig Vorwissen besitze. Ich darf später nicht nervös oder überheblich werden, das wäre mein sofortiger Tod und das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, in meinem Beruf aufzusteigen und dieser Kerl wird mir keinen Strich durch die Rechnung machen, nur weil er sehr talentiert darin ist, unerkannt zu bleiben. Ich werde seine Identität aufdecken, seine Absichten in Erfahrung bringen und seine Art zu töten analysieren, egal was ich dafür tun muss.

Langsam erhebe ich mich und wage einen Blick auf die Uhr, die fast Mitternacht anzeigt. Ich sollte mich beeilen, damit ich ihn noch rechtzeitig erwische. Also ziehe ich mir hastig einen schwarzen Pullover über, schwarze Schuhe und meine Jacke. Schnell durchdenke ich meinen Plan, ziehe die Jacke dann wieder aus und stecke den Block und den Stift in meine Hosentasche. Die Jacke würde mich nur nerven und mich vielleicht sogar verraten, mit ihrer hellblauen Farbe.

Meinen Schlüssel stecke ich, nachdem ich die Tür abgeschlossen habe, ebenfalls in meine Hosentasche und mache mich dann auf den Weg zu den Gassen.

Dort angekommen bleibe ich stehen und höre achtsam meiner Umgebung zu. Alles ist ruhig, was es mir einfach machen wird, den Killer anhand von seinen Geräuschen zu orten. Ein Gespräch zwischen ihm und dem Opfer wird es mit Sicherheit geben und da es hier windstill ist, werde ich es definitiv hören können. Ein Vorteil für mich und ein Nachteil für ihn.

So ist es dann auch, nicht weit von mir entfernt höre ich eine flehende Stimme, die gerade um ihr Leben bangt. Eine Frau. Tief atme ich durch und gehe dann an der Wand entlang, in Richtung der Geräusche. Zu meinem Glück steht in unmittelbarer Nähe eine große Mülltonne, hinter die ich mich verstecke und einen guten Blick auf ihn und das Opfer habe. Meine Körpergröße ist ein weiterer Vorteil, wäre ich größer, könnte ich mich hier nicht verstecken. Der Killer ist komplett in schwarz, trägt Handschuhe und eine Mütze, dazu hält er ein Messer in der Hand. Mit der anderen drückt er die Frau an die Wand. Seinen Gesichtsausdruck kann ich aus dieser Perspektive nicht erkennen, verdammt. Ein Nachteil, was mich aber nicht davon abhält, dem Gespräch zuzuhören.

Schon zwei Seiten habe ich vollgeschrieben, mit Drohungen, die er dem Opfer fast ununterbrochen an den Kopf wirft. Seine markante, dunkle Stimme hat sich schon in mein Gehirn gebrannt, ich würde sie von tausend anderen Stimmen sofort erkennen können. Unheimlich. Die Frau schreit, zittert, hört nicht auf zu weinen und murmelt immer wieder, dass er sie doch am Leben lassen solle. Jedes Mal lacht er darüber, fragt, wieso er es tun sollte, wenn sie doch für die Welt komplett unnütz ist. Er zeigt damit keinen Respekt gegenüber anderen Menschen, was ein wichtiger Charakterzug ist- denn das heißt, wenn er mich erwischt, habe ich keine Chance, ihm irgendwie zu entkommen.

„Dein Geheule geht mir langsam auf den Sack, Miststück.“

Ein Schnitt, ein letztes Schreien und eine Leiche mehr, im Bruchteil von fünf Sekunden. Er hat nicht gezögert, er musste mit dem Messer nicht mal ansetzen, um den Schnitt perfekt zu setzen. Wie viele Morde er schon begangen haben muss, um diese Bewegung zu perfektionieren? Wenn er jeden so tötet, wieso wurde mein Kollege dann anders ermordet? Oder hat er verschiedene Tötungsarten, damit er mehr Auswahl hat? Ich denke, selbst dieses ‚Hobby‘ wird nach einiger Zeit keinen Spaß mehr machen, wenn man immer nur das Selbe macht.

Schnell schreibe ich diese Vermutung auf und bleibe in Deckung, bis er den Tatort verlassen hat. Wieder zu meinem Glück dreht er sich nicht um und geht summend und das Messer in seiner Hand drehend von mir weg. Erst, als er nicht mehr in Sichtweite ist, verlasse ich mein Versteck und gehe langsam auf die Leiche zu. Selbst ich muss sagen, dass ihr Geschreie ein wenig an meinen Nerven gezogen hat. Ich stecke meinen Block und den Stift zurück in meine Hosentasche, bevor ich mir die frische Leiche genauer ansehe, natürlich ohne in ihr Blut zu treten.

Er hat sie nicht beklaut und sich nicht an ihr vergangen. Das bestätigt meine Vermutung, dass er eine pure Mordlust haben muss, erheblich. Das Gespräch von eben kam auch nicht so rüber, als wolle er ihr Geld. Er hat sie nur töten wollen.

Nachdem ich die Frau, so gut es ohne Handschuhe geht, untersucht habe, schreibe ich mir noch ein paar Dinge auf, bevor ich den Mord anonym melde und mich wieder nach Hause begebe. Dort schreibe ich einen ausführlichen Bericht, den ich dann ausdrucke und in einen Umschlag stecke. Diesen muss ich dann morgen an einen meiner Vorgesetzten übergeben. Ein täglicher Bericht ist Pflicht, egal wie viel man an dem einen Tag in Erfahrung gebracht hat. Wenn man nichts Neues zu bieten hat, muss man wenigstens Spekulationen berichten, die man später belegen oder wiederlegen kann. Sonst ist man seinen Job sofort los.

 

1

Schweißgebadet wache ich auf und sitze Kerzengerade im Bett. Ohne einen Gedanken an den Traum zu verschwenden, den ich gerade hatte und eher Albtraum nennen sollte, stehe ich auf und begebe mich in das Badezimmer.

Ich schalte den Wasserhahn an, forme meine Hände zu einer Schüssel und kippe mir das Wasser, welches sich in ihr sammelt, in mein Gesicht, um wach zu werden. Kurz schließe ich meine Augen, um mich wieder zu fangen- ich sollte aufhören abends an die Vergangenheit zu denken, sonst hören diese Träume nie auf…

„Reiß‘ dich zusammen, Elias“, sage ich zu mir selbst und blicke dabei in den großen Spiegel, der über dem Waschbecken hängt. Dunkle Augenringe sind unter meinen hellblauen Augen zu sehen, meine blonden Haare stehen in alle Richtungen ab und ich sehe einfach nur müde aus. Müde, kaputt und erschöpft, fast schon armselig.

Nachdem ich mich noch frisch gemacht und mich angezogen habe, schnappe ich den Umschlag mit meinem Bericht und mache mich auf den Weg zu meinen Vorgesetzten. Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich befördert werde und nicht mehr mein Leben aufs Spiel setzen muss, sondern anderen dabei zusehen kann. Wie sie versagen, weil sie nicht die nötige Intelligenz besitzen oder zu naiv sind und umgebracht werden. Wenn ich endlich erfahre, wozu die Informationen gebraucht werden und ich es endlich verstehen kann. Unwissend zu sein ist für mich eine Qual.

„Hunter, hast du deinen Bericht dabei?“ Ertönt die raue Stimme meines Vorgesetzten, dessen Namen ich nicht wissen darf. Stumm halte ich ihm den Umschlag hin, den er sofort ergreift und die Blätter heraus nimmt, um sich alles durchzulesen. Jeden Tag um zehn Uhr müssen alle Watcher, die momentan im Dienst sind, ihren Bericht abgeben. Wir sind auch nicht wirklich viele, maximal fünf sind in unserer Stadt gleichzeitig tätig. Trotzdem wird nur einer von uns befördert und das werde wohl ich sein, denn ich mache im Gegensatz zu den anderen alles perfekt.

„Vorbildlich“ Ist das Einzige, was er dazu zu sagen hat, während er die Papiere wieder in den Umschlag steckt und es einem anderen Mitarbeiter in die Hände drückt, der alles aus dem Raum bringt.

„Du bist auf einem guten Weg, Hunter. Mach‘ weiter so und du wirst mit Sicherheit vom Chef befördert. Ich soll dir übrigens von ihm ausrichten, dass ihm deine Vermutungen gefallen, besonders, wenn sie sich dann auch bestätigen lassen.“ Ein leichtes Grinsen ziert meine Lippen, als er mir das sagt und anschließend den Raum verlässt. Lob gibt es in dieser Branche selten.

„Angeber“, brummt ein anderer, der ebenfalls Watcher ist und schon immer neidisch auf mich war. Lob ist hier zwar selten, trotzdem bekomme ich recht häufig Lob vom Chef, denn wie gesagt, ich mache alles perfekt.

Bis zum Abend vertreibe ich mir meine Zeit mit einkaufen, denn der Kühlschrank füllt sich nicht von alleine. Auch wenn ich mich hauptsächlich von Fertiggerichten ernähre, brauche ich manchmal Obst, Gemüse und natürlich auch Wasser. Ich trinke nur welches mit Kohlensäure, das aus der Leitung schmeckt mir irgendwie nicht. Komisch, ich weiß, aber es ist so.

Erschöpft von der Schlepperei stelle ich die Tüte mit dem Obst und die Wasserflaschen ab, um eine kleine Pause zu machen. Die vielen, blinkenden Lichter zu meiner rechten ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Modegeschäft welches einen Ausverkauf gestartet hat. Neue Kleidung wäre vielleicht keine schlechte Idee. Also nehme ich wieder meine Taschen und betrete den Laden.

Mein Blick fällt sofort auf einen schwarzen Hoodie, mit einer weißen Aufschrift. Kein billiger Stoff, einhundert Prozent Baumwolle und der Schriftzug ist eingenäht, nicht draufgeklebt. ‚Gangster‘ steht drauf, sehr ironisch für mich, aber interessant. Der Pulli hat auch eine sehr gute Qualität, die man heute eher selten findet. Ein kurzer Blick auf den Preis und die Größe und schon bin ich auf dem Weg zur Kasse dieses Ladens. Nun gehört ein weiterer schwarzer Pulli zu meiner Sammlung.

„Das macht 29,99 Euro“, ertönt die Stimme des Kassierers, die mir sofort eine Gänsehaut über den Rücken jagt- diese Stimme kenne ich doch…

2

Perplex starre ich das Gesicht des Verkäufers an. Diese markante Stimme… Sie gehört definitiv ihm, sie ist nicht zu verwechseln. Aber wieso arbeitet jemand wie er in so einem Laden?

„Hörst du mal damit auf, mich anzustarren?“ Ich beiße mich auf die Unterlippe und nehme meine Geldbörse aus meiner Jackentasche. Mein Blick fällt auf sein Namensschild, auf dem groß und fett Milo Adney steht. Vollkommen überfordert suche ich das nötige Geld raus und lege es ihm hin, bevor seine tätowierten Hände meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So viele Fragen strömen gleichzeitig durch meinen Kopf und verursachen Kopfschmerzen, meine Augen werden durchs Starren trocken und ebenso meine Kehle, weil ich vergesse zu schlucken; ich habe noch nie einer meiner Zielobjekte außerhalb der Arbeit gesehen und weiß dementsprechend auch nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich habe auch nie in Erwägung gezogen, dass Killer auch arbeiten würden. Und sein Gesicht, so auffällig, so markant wie seine Stimme. Giftgrüne Augen, die mich schon fast in seinen Bann ziehen. Diese Ausstrahlung von ihm ist eiskalt, schon angsteinflößend.

„Du gehst mir mit deinem Gestarre auf den Sack“, zischt er und knallt das Wechselgeld vor mir auf den Tresen, was mich aus meiner Starre löst und mich zusammenzucken lässt. Ein leises sorry verlässt meine Lippen und hastig stecke ich mir die Münzen in die Jackentasche.

„Milo, du sollst doch netter zu den Kunden sein“, ertönt eine andere Stimme und immer noch perplex sehe ich den älteren Mann an, der eine Hand auf die Schulter des Killers legt, der eigentlich nicht mal mein Gesicht kennen sollte. Ich glaube, ich war noch nie so unsicher und ängstlich wie jetzt.

„Der Zwerg kann mich mal am Arsch lecken. Starrt mich an als wäre ich ein Alien.“ Angepisst verlässt er die Kasse und geht in den Hinterraum. Der Mann entschuldigt sich bei mir für sein Verhalten und erklärt mir, dass er von Natur aus so ist aber eigentlich ganz nett sein kann, wenn man ihn richtig kennt. Unauffällig versuche ich noch ein paar Informationen aus dem Mann zu quetschen und verabschiede mich dann, ehe ich mit dem ganzen Zeug nach Hause gehe. Jedoch bekomme ich das Gesicht von Milo nicht mehr aus dem Kopf; seine Augen, grün wie Gift, seine Haare rabenschwarz und dieser Blick, mit dem er mich angesehen hat…

Als ich die Beutel endlich abgestellt habe, gehe ich zügig zu meinem Laptop und schreibe jegliche Daten auf, die ich eben sammeln konnte. Milo Adney, neunzehn und arbeitet in einem Modegeschäft. Dazu beschreibe ich noch sein Gesicht und seine Art, alles was ich bis jetzt deuten kann. Erst dann erhebe ich mich wieder und räume die Lebensmittel ein, die ich heute gekauft habe. Mein Herz schlägt die ganze Zeit über deutlich schneller als es eigentlich sollte und mir wird bewusst, dass ich nervös bin und Angst habe. Angst, vor Mitternacht, wenn ich ihn wieder sehe und vielleicht sogar seinen Gesichtsausdruck erkennen kann, wenn er den nächsten emotionslos ermordet. Grinst er dabei wie ein Psychopath oder zeigt er keine Mimik? Ob er mich erwischen wird? Verdammt, ich bin viel zu unkonzentriert!

Kurz vor Mitternacht tausche ich meinen verschwitzen Hoodie durch den neuen, den ich heute ebenfalls gekauft habe. Den Block und den Stift stecke ich mir in die große Tasche, die vorne von beiden Händen erreichbar ist und schlüpfe in meine Schuhe, um direkt meine Wohnung zu verlassen, abzuschließen und zu den Gassen zu gehen. Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei, denn mein Herz schlägt immer noch zu schnell und die Kopfschmerzen kratzen auch an meiner Konzentration.

„Verdammt“, nuschele ich leise, als ich wieder eine schreiende, hohe Stimme höre und ich mich in diese Richtung bewege. Ich hätte gehofft, er würde heute nicht auftauchen, damit ich kein höheres Risiko eingehen muss. Diesmal verstecke ich mich hinter einer kleineren Mülltonne und habe einen direkten Blick auf den Killer. Wenn er zufällig in meine Richtung sehen wird, wird er mich also sofort sehen, ich spiele also mit dem Glück, von dem ich heute nicht so viel abbekommen habe.

Mein Herz klopft immer stärker, je länger sich dieser Moment hinzieht. Kann er sie nicht einfach umbringen, anstatt die ganze Zeit Drohungen auszusprechen und sie zu beleidigen?

„Eigentlich siehst du sogar ganz gut aus. Ist das Silikon?“, fragt er plötzlich das heulende Mädchen, ehe er ihr Hemd aufreißt und bevor sie laut schreien kann, hält er ihr den Mund zu. Meine Augen weiten sich langsam und perplex sehe ich dabei zu, wie er ihr den BH vom Körper reißt, indem er ihn mit dem Messer einmal durchschneidet, und ihre Brüste abtastet.

„Echt, keine Implantate? Schade, ich hätte sie gerne raus geschnitten, bevor ich dich umbringe“, lacht er, während er ihr mit der Messerspitze über die Brust streicht und dabei leichte Schnitte hinterlässt. Abwesend und ohne meinen Blick von dem Geschehen zu lösen, schreibe ich alles detailliert auf.

„Wenn ich auch Titten und Fotzen stehen würde, würde ich dich sogar noch ficken.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, schneidet er ihr, wie gestern bei der anderen, den Hals auf und lässt sie fallen. Das Schreien von ihr verstummt sofort.

„Billiges Miststück.“ Ist sein einziger Kommentar dazu, bevor er den Tatort verlässt. Schnell schreibe ich noch auf, dass er homosexuell ist und verlasse dann mein Versteck, um ein paar Bilder von der Leiche zu machen.

„Ich wusste doch, dass mich jemand beobachtet hat“, ertönt eine tiefe Stimme hinter mir, die mich zusammenzucken lässt. Fuck, ich habe nicht aufgepasst!

„Und dann ist das auch noch der Zwerg, der es nicht lassen konnte, mich bei meiner Arbeit anzustarren.“ Ich bewege mich kein Stück, denn alles Unüberlegte könnte ein Fehler sein. Er hat ein Messer und nichts würde ihn daran hindern, mich auch umzubringen, wenn ich jetzt fliehen sollte. Er drückt mich mit dem Rücken an die Wand, presst seine Hand an meinen Hals, sodass ich nur noch wenig Luft bekomme. Ich darf mir meine Angst nicht anmerken lassen, jedoch machen es mir seine giftgrünen Augen und sein psychopathisches Grinsen nicht sonderlich leicht. Er greift meinen Block, der immer noch in meiner Hand ist und liest sich die Seiten durch, die ich eben geschrieben habe.

„Du bist also einer dieser Watcher und hast mir eben zugesehen, hm?“ Immer noch sage ich kein Wort. Er steckt sich den Block in seine Jackentasche und sieht mich wieder an.

„Was mache ich jetzt nur mit dir? Heute habe ich keine Lust mehr auf töten, das Weib eben hat schon genug genervt. Kleine Jungs umbringen ist auch nicht das geilste.“ Sein Grinsen hört nicht auf, es fühlt sich sogar an, als wenn es immer breiter werden würde und ich will ehrlich gesagt auch nicht wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Aber je länger er mich so ansieht und der Fakt, dass er schwul ist, lässt meine Gedanken in eine Ebene rutschen, die viel schlimmer wäre, als zu sterben.

„Ich nehm' dich einfach mit. Sonst machst du mir noch Ärger und außerdem weißt du zu viel“, ist das Letzte, was er sagt, bevor er mich über seine Schulter hebt und die Gasse verlässt.

„Wenn du dich wehrst oder versuchst du fliehen, bringe ich dich um, also würde ich brav sein. Und halt' die Klappe, ich will keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“ Ich höre ihm nicht mal wirklich zu. Ich wurde erwischt. Verdammt, ich war unvorsichtig, ich war unkonzentriert und habe nicht aufgepasst, ich habe einen Fehler gemacht. Ich bin jetzt wie alle anderen, ich bin ein Versager. Ich bin nicht perfekt, ich bin ein dummer Versager, der einmal unvorsichtig war und erwischt wurde. Verdammte Scheiße.

Ich lasse mich, ohne einen Kommentar, von Milo zu sich tragen. Es fühlt sich an als wären es Stunden, in denen er mich mühelos trägt und mich immer wieder Dinge fragt, auf die ich aber nicht antworte. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, mich selbst zu hassen, immerhin habe ich mich in diese Scheiße geritten und werde so schnell nicht wieder aus ihr heraus kommen. Ich weiß noch viel zu wenig von ihm, um ihn einschätzen zu können. Wenn ich weiß, was er vorhat, könnte ich vielleicht einen Plan entwickeln, wie ich ihn um die Nase wickeln kann. Er ist schwul, das ist schon mal ein Vorteil. Leider.

 

„Wir sind da“, brummt er, bevor er mich auf ein Sofa schmeißt und seine Jacke auszieht, dabei nimmt er meinen Block aus der Jackentasche und setzt sich auf einen Tisch. Ich sehe mich nicht um, mein Blick ist auf Milo fixiert und auf seine Bewegungen.

„Du hast aber schon viel über mich herausgefunden, Zwerg.“

„Ich bin kein Zwerg, Adney“, entgegne ich ihm und versuche meine Angst zu unterdrücken. Die meisten Killer haben keinen Spaß daran, jemanden umzubringen, wenn derjenige keine Angst davor hat. Da vergeht ihnen die Lust und sie lassen es. Anderseits versuchen manche es auch, ihnen Angst einzujagen, indem sie den Opfern drohen und sie langsam und oft körperlich verletzen, damit sie den tatsächlichen Schmerz zu spüren bekommen und ihnen erst dann bewusst wird, dass der Tod doch schlimmer ist, als sie immer gedacht haben. Ich kann mich jedoch nicht davon beeinflussen lassen.

„Und ich gebe einen Fick auf das was du denkst. Du hast wohl noch nicht verstanden, in welcher Situation du dich befindest, hm?“ Seine Augen blicken direkt in meine, als würden sie versuchen, mir Angst einzujagen.

„Sie werden mich finden, keine Sorge.“ Ein leichtes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Jeder Watcher bekommt in den ersten Wochen einen Chip in den Nacken implantiert, damit man ihn finden kann, falls er abhaut oder entführt wird.

„Sie interessieren sich nicht für dich. Du bist nur ein Objekt, das sie benutzen um an Dinge zu kommen, die sie haben wollen. Wenn du verschwindest oder verreckst, ist es ihnen egal. Das würde nur unnötige Arbeit für sie bedeuten und sie stellen jemand neuen ein, der das dann übernimmt. Du bist ihnen nichts wert.“ Nun schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen, was aber kein freundliches Lächeln ist, sondern ein sarkastisches, da er denkt, ich wäre am Arsch. Er erwartet jetzt, dass ich in Tränen ausbreche, ihn anflehe, dass er mir nichts antun soll und ich nichts sagen werde; aber das ist genau das, was er will und das werde ich nicht tun.

„Das denkst auch nur du. Also, wie heißt du?“

„Ich werde dir nichts erzählen, Adney.“ Sein Blick wird finster, er steht auf und stützt sich neben mir an der Wand ab. Sein Gesicht ist nah, zu nah und das lässt seine Augen noch bedrohlicher wirken, als sie so schon sind.

„Pass auf, wie du mit mir redest. Ein falsches Wort und du liegst blutend auf dem Boden. Klar?“ Ich nicke und lasse mir durch die Haare wuscheln, ehe er sich wieder von mir entfernt und meinen Block nimmt. Meine Hände klammern sich an meinen Pulli, um aufkommende Gefühle zu unterdrücken. Ich muss ruhig bleiben.

„Ich denke mal, das wirst du nicht mehr brauchen“, meint er, bevor er ein Feuerzeug nimmt und es anzündet. Ich schlucke und sehe auf das brennende Papier, welches er in eine Schale legt und es komplett verbrennen lässt. Zum Glück habe ich heute eher unwichtige Informationen bekommen, sodass dies kein großer Verlust ist; schließlich haben meine Vorgesetzten alle anderen Informationen. Und ich freue mich schon auf Adneys Blick, wenn sie mich finden und er am Arsch ist.

„Zieh deine Jacke aus“, sagt er fordernd und entfernt sich wieder von mir. Seufzend erhebe ich mich und streife sie mir ab, damit er sie mir abnimmt und in meinen Taschen rumwühlt.

„Hast du kein Portemonnaie oder was?“ Ich schüttele den Kopf, worauf er die Augen verdreht und meine Jacke in die Ecke schmeißt. Ich bin doch nicht so dumm und gehe mit meiner Geldbörse aus dem Haus, wenn ich einen Killer beobachten muss.

„Du kleiner Zwerg, hältst dich wohl für schlau, was?“, zischt er, sichtlich angepisst, bevor er mich wieder über die Schulter hebt und mich irgendwo runterträgt. Es wird kühler, es muss also ein Keller sein. Will er mich hier umbringen? Adney lässt mich in einem Raum runter und schubst mich auf eine Matratze, die sofort einsinkt. Ich sehe mich kurz um und kann nur erkennen, dass es ein sehr kleiner Raum, ohne Fenster und nur mit einer Matratze ist.

„Zieh dich aus. Ich will nicht, dass du mit deinen Klamotten Selbstmord begehst. Deine Boxershorts kannst du aber anlassen.“ Seufzend streife ich mir meine Hose von den Füßen und ziehe meinen Pulli aus. Ein breites und perverses Grinsen schleicht sich auf seine Lippen, was mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt, die ich mir aber nicht anmerken lasse.

„Ich werde noch so viel Spaß mit dir haben… Du bist so makellos…“, haucht er, ehe er mir über die Brust streicht und sich über die Lippen leckt.

„Blut würde dir so gut stehen und Narben auch… Du wirst wunderschön, wenn ich mit dir fertig bin…“ Sein Grinsen wird wieder größer, als er sich von mir entfernt, meine Sachen nimmt und zur Tür geht.

„Ich hoffe du schläfst gut, die erste Nacht ist immer am schlimmsten aber du gewöhnst dich daran.“ Adney sieht mich noch ein letztes Mal an, bevor er aus dem Raum geht, die Tür schließt, sogar abschließt und das Licht ausschaltet. Kurz zucke ich von der kompletten Dunkelheit zusammen, bevor ich mich auf die alte Matratze lege und mich zusammenkauere. Es wird plötzlich so kalt.

„Verdammte Scheiße“, flüstere ich leise zu mir selbst und drehe mich auf den Rücken, um in das leere Nichts zu sehen. Hätte ich nicht diesen einen kleinen Fehler gemacht, wenn ich diesen Traum nicht gehabt hätte, hätte ich mehr aufgepasst und er hätte mich nicht gefunden. Dann wäre ich jetzt Zuhause, würde diesen Bericht schreiben, einen Tee trinken und noch mehr Vermutungen aufstellen, wieso er das alles machen würde. Aber jetzt sitze ich hier, in diesem kleinen, dunklen Loch und kann nichts tun, außer auf meinen Tod zu warten. Oder Vergewaltigt zu werden, je nachdem, was zuerst kommt.

Manchmal frage ich mich, wieso es überhaupt solche Menschen gibt, besonders solch junge, die sich an dem Leid und an dem Schmerz anderer ergötzen. Was muss ihm passiert sein oder wie musste er erzogen worden sein, um solche Dinge zu tun? Irgendetwas muss doch immer passiert sein, damit Psychopathen so sind wie sie sind. Schließlich sind sie doch nicht freiwillig so, oder?

Langsam drehe ich mich wieder auf die Seite. Es fühlt sich furchtbar hier drin an, ich denke jetzt schon zu viel nach. Und ich bin nicht mal eine Stunde hier drin. Will er mich verrückt machen, indem ich in meinen eigenen Gedanken ertrinke? Will er, dass ich verzweifle und ihn dann anbete, mir zu helfen? Was will er? Worauf ist er aus?

Oder will er mich nur so etwas denken lassen, hat aber eigentlich komplett andere Dinge im Kopf? Er hat von Blut und Narben geredet- vielleicht will er mich nicht vergewaltigen, sondern nur verletzen? Verdammt, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll und was nicht! Es ist einfach viel zu viel in meinem Kopf. Vielleicht würde ein wenig Schlaf doch guttun…

3

„Steh auf, Zwerg“ Unsanft werde ich von der Matratze auf den Boden getreten und an den Haaren hochgezogen. Vor Schmerzen zische ich auf und versuche ihn irgendwie von mir wegzudrücken, was leider nicht klappt.

„Ich will, dass du beim ersten Mal perfekt aussiehst, also geh duschen“, brummt er, bevor er mich hochhebt und mich nach oben trägt.

„Hör auf mich Zwerg zu nennen, Adney.“

„Wenn du meinen Namen schon weißt, kannst du mich auch Milo nennen und wenn du mir deinen eigenen Namen nicht sagen willst, hast du eben Pech gehabt.“ Unsanft lässt er mich im Bad herunter und schaut mich von oben bis unten an.

„Zieh die Boxer aus und geh duschen. Ich komme gleich mit frischen Sachen wieder“, meint er und geht aus dem Raum. Zur Sicherheit schließt er natürlich auch die Tür ab. Sofort sehe ich mich um, mir fällt ein Fenster ins Auge, jedoch bekommt man es nur auf, wenn man einen Schlüssel dafür hat. Verdammt. Einen anderen Ausweg gibt es nicht, weshalb ich wohl oder über seiner Forderung nachgehen und duschen muss.