Buch lesen: «Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt»
Peter GomezMark LambertzTimo Meynhardt | Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt |
Unseren Lieben
Peter Gomez, Mark Lambertz und Timo Meynhardt
Verantwortungsvoll führen in einer komplexen Welt
Denkmuster – Werkzeuge – Praxisbeispiele
Haupt Verlag
Peter Gomez ist emeritierter Professor der Universität St. Gallen. Er war Rektor seiner Universität und Präsident der Schweizer Börse. Er publiziert zum Vernetzten Denken in der Führung und zur strategischen Entwicklung von Unternehmen.
Mark Lambertz ist ein «Digital Native» der ersten Stunde. Er gründete 1995 eine der ersten Digitalagenturen und führte sie erfolgreich während zweier Jahrzehnte. Heute berät und coacht er Teams und Unternehmen auf ihrem Weg zur agilen Organisation.
Timo Meynhardt ist Professor an der Handelshochschule Leipzig und Leiter eines Forschungszentrums an der Universität St. Gallen. Er beschäftigt sich mit Gemeinwohlfragen im Management (Public Value Scorecard, GemeinwohlAtlas) und ist Ko-Autor des Leipziger Führungsmodells.
Gestaltung und Satz: pooldesign.ch
Korrektorat: Monika Paff, D-Langenfeld
1. Auflage 2019
Diese Publikation ist in der Deutschen Nationalbibliografie verzeichnet.
Mehr Informationen dazu finden Sie unter http://dnb.dnb.de.
Der Haupt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
ISBN 978-3-258-08140-3 (Buch)
ISBN 978-3-258-48140-1 (EPUB)
Alle Rechte vorbehalten.
Copyright © 2019 Haupt Bern
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E-Book Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim
Inhaltverzeichnis
Prolog
Komplexität ist allgegenwärtig. Kaum eine gesellschaftliche, wirtschaftliche oder technologische Entwicklung, die dieses Prädikat nicht beansprucht. Kein Begriff, der die heutige Unsicherheit und Ratlosigkeit der Menschen besser zum Ausdruck bringt. Grund genug, um sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Was meint die Aussage, ein Tatbestand, eine Entwicklung oder ein System sei komplex? Geht es um eine inhärente Eigenschaft, oder liegt einfach ein mangelndes Verständnis für die Zusammenhänge vor? Lässt sich Komplexität überhaupt bewältigen, oder sind wir deren Dynamik wehrlos ausgeliefert? Die von diesem Buch angesprochenen Führungskräfte müssen sich der Komplexität stellen, sonst können sie ihre Aufgabe nicht verantwortungsvoll wahrnehmen. Sie müssen lernen, Komplexität zu verstehen, abzubilden und zu bewältigen. Dieses Buch setzt sich zum Ziel, eine «Hilfe zur Selbsthilfe» auf diesem Weg zu sein und entsprechende Denkmuster und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen.
Verschiedene Entwicklungslinien prägen unsere heutige Zeit, ganz besonders die Digitalisierung, die Globalisierung, der Klimawandel und die Synthetische Biologie. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Digitalisierung der Unternehmenswelt, und es zeigt auf, wie verantwortungsvolle Führungskräfte sich diesem fundamentalen Wandel stellen. Exemplarisch für die sich abzeichnenden Entwicklungen sei das «Internet der Dinge» genannt. Dieses kann ohne Umschweife als «komplex» bezeichnet werden. Es wird der künftigen Mobilität völlig neue Dimensionen eröffnen: autonomes Fahren, Wegfall jeglicher Staus, massive Einsparung von Energie. Der digitale Wandel zeigt sich hier von seiner besten Seite, die inhärente Komplexität dieser Technologie wird daher gerne akzeptiert. Bei näherem Hinsehen offenbaren sich aber auch Schattenseiten. Diese Entwicklung erfordert eine intensive (online-) Vernetzung von Aktivitäten, die vorher unabhängig voneinander (offline) funktioniert hatten. Zusammen mit der gleichzeitig zunehmenden Komplexität der Verkehrssysteme ergibt dies einen Giftcocktail, der zu einer massiv höheren Störungsanfälligkeit führt. Komplexe Computersysteme haben zwangsläufig Sicherheitsmängel, und bei starker Verknüpfung ergeben sich auch aus kleinen Abweichungen Kettenreaktionen, die schwierig zu stoppen sind.
Bereits 1984 hat der Soziologe Charles PERROW in seinem Buch «Normal Accidents» (1984) aufgezeigt, welcher Zusammenhang zwischen der Komplexität und der Koppelung (der Intensität der Verknüpfung der Teile) eines Systems besteht. Wenn bei steigender Komplexität sich gleichzeitig die Koppelung erhöht, dann nimmt die Gefahr von Großunfällen exponentiell zu. Dies widerspricht aber der menschlichen Intuition, die steigende Komplexität meist mit mehr Kontrolle (oder in heutiger Terminologie: Compliance) zu bewältigen versucht. Dabei wäre das Gegenteil gefordert: Je komplexer ein System, desto autonomer müssen dessen Teile sein, um das Gleichgewicht zu halten. Oder anders ausgedrückt, die Intelligenz muss im System verteilt sein. Dies gilt für Atomkraftwerke genauso wie für Universitäten, für Großkonzerne ebenso wie für kleine und mittlere Unternehmen. [8]
Dieses Beispiel zeigt, dass die menschliche Intuition in komplexen Situationen oft kein guter Ratgeber ist. Der Nobelpreisträger Daniel KAHNEMANN (2011, 241) umschreibt dies wie folgt: «Der Anspruch der Intuition, in einer unvorhersagbaren Situation korrekte Resultate zu liefern, ist eine Selbsttäuschung ... Der Intuition kann in Situationen, die keine Regelmäßigkeiten aufweisen, nicht vertraut werden.» Und er geht sogar noch weiter (2011, 225): «Die Forschung zeigt ... dass zur Maximierung der Prognosegenauigkeit in schlecht strukturierten Umwelten die endgültige Entscheidung Algorithmen überlaßen werden sollte.» Dies ist kein Plädoyer dafür, Entscheide in Zukunft an Maschinen zu delegieren. Aber wissenschaftliche Erkenntnisse zu Verhaltensmustern komplexer Systeme sollten Priorität erhalten vor dem Vertrauen auf die eigene Intuition. Dafür spricht auch, dass das menschliche Gehirn sich wohl räumlich gut orientieren kann, aber bei gleichzeitig mit verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufenden Prozessen überfordert ist. Die in diesem Buch angewandte Methodik des Vernetzten Denkens soll helfen, kontraintuitive Entwicklungen aufzuzeigen und der Komplexität angemessene Strategien zu entwickeln.
Szenenwechsel. Rolf Soiron, eine der profiliertesten Schweizer Führungspersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte, hat in einem kürzlichen Interview (SOIRON, 2018, 76) die Frage nach seiner beruflichen Motivation wie folgt beantwortet: «Die Mechaniken und Zusammenhänge, wie Organisationen ticken, zu verstehen». Und er fährt fort: «Vielleicht weil mich die spezielle Mechanik von Organisationen so interessierte, kam ich immer ziemlich rasch in die Nähe derjenigen, die das Sagen hatten. Quantitativ waren meine Netzwerke daher nie sehr groß, qualitativ aber recht gut.»
Aus diesen Ausführungen lässt sich der Anspruch dieses Buches ableiten. Wir erforschen die Zusammenhänge, Mechaniken und Strukturen von Unternehmen angesichts des digitalen Wandels. Wir zeigen auf, wie mit der steigenden Komplexität der neuen Unternehmenswelt umgegangen werden muss. Für uns bedeutet «verantwortungsvoll führen», die Lebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern und zu entwickeln, indem den Ansprüchen seines Umfeldes ganzheitlich Rechnung getragen wird. Es geht uns weder um die Vorhersage möglicher zukünftiger Entwicklungen, noch um die umfassende Darstellung digitaler Strategien oder der zur deren Umsetzung erforderlichen sozialen Kompetenzen. Wir möchten Führungskräfte anleiten, als «reflektierende Praktiker» die Komplexität der heutigen Unternehmenswelt zu akzeptieren, deren Zusammenhänge und Strukturen gedanklich zu durchdringen und kompetent zu handeln. Es gibt nämlich nur einen Weg, die Zukunft vorherzusehen – sie selber zu gestalten!
Wir beginnen unser Buch mit der Entwicklung von Denkmustern, die das verantwortungsvolle Führen in einer komplexen Welt leiten sollen. Dann stellen wir unsere «Landkarte» in Form des Viable System Model VSM vor. Dieses bereits vor einem halben Jahrhundert entwickelte Organisations- und Führungsmodell (Beer, 1972)hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, seine Zeit ist mit den Herausforderungen des [9] digitalen Wandels erst gekommen, indem es den Übergang vom Denken in Hierarchien zum Verstehen von Netzwerken ideal begleitet. Die für die Lebensfähigkeit eines jeden Unternehmens konstitutiven Funktionen des normativen, des strategischen und des operativen Managements werden in ihrer detaillierten Ausgestaltung vorgestellt und anhand von Praxisbeispielen illustriert. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich zu Prinzipien verantwortungsvoller Führung in Zeiten des digitalen Wandels verdichtet. [10]
1.
Reflexion in Zeiten des digitalen Wandels
Das digitale Zeitalter übt eine große Faszination auf die Menschen aus, und die Medien – von Fachpublikationen bis hin zur Boulevardpresse – nehmen dieses Thema bereitwillig auf. Die einen beschwören das Schreckgespenst eines massiven Verlustes von Arbeitsplätzen und der Übernahme der Kontrolle durch intelligente Maschinen, die anderen sehen darin die überfällige Freisetzung von Innovationspotenzialen ungeahnten Ausmaßes. Es wird oft mit Schlagworten wie «Künstliche Intelligenz», «Autonomes Fahren» und «Roboter statt Menschen» operiert, ohne allerdings zu präzisieren, was genau sich hinter diesen Begriffen verbirgt. Und ohne zu verstehen, dass es sich beim «digitalen Wandel» nicht um eine singuläre Erscheinung handelt, sondern dass diese durch mehrere Megatrends charakterisiert ist. Ein Ziel dieses Buches ist es, das Verständnis für diese Entwicklungen zu schärfen und aufzuzeigen, was «Führung» in diesem Kontext bedeuten kann.
Die Globalisierung, die ökologische Nachhaltigkeit, politische Unsicherheiten, der demografische Wandel und die synthetische Biologie fordern Führungskräfte heraus. Unser Fokus liegt aber auf dem digitalen Wandel.
Neben dem digitalen Wandel sehen sich Führungskräfte mit einer Vielzahl kaum überschaubarer Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen neue politische Unsicherheiten, die Globalisierung, die ökologische Nachhaltigkeit, der demografische Wandel und die Versprechen der völlig neuen Disziplin der synthetischen Biologie. Auf diese Themen wird im Verlauf unserer Ausführungen immer wieder Bezug genommen, ganz besonders in Kapitel 3 zum sinnstiftenden Wertbeitrag und in Kapitel 4 zur nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens. Sie stehen aber – wie bereits im Prolog dargelegt – nicht im unmittelbaren Fokus unserer Ausführungen, da dies den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Der digitale Wandel lässt sich anderseits ohne deren Einbezug nicht verstehen, wie besonders bei der Entwicklung der strategischen Netzwerkdiagramme in Kapitel 4 zu illustrieren sein wird. [13]
Megatrends des digitalen Wandels
Drei Megatrends des digitalen Wandels werden auf künftige Unternehmensführung einen großen Einfluss haben:
— Weltweit befindet sich die liberale Wirtschaftsordnung auf dem Rückzug. Die unternehmerischen Freiräume werden durch staatliche Einflussnahme und Regulierung stark eingeschränkt, und in den wichtigen Wachstumsbereichen diktieren Monopole den Wettbewerb.
— Die Innovationen der digitalen Technologie führen zu grundlegenden Umwälzungen in drei Bereichen: Kommunikation, Energie und Logistik. Diese können nur als Ganzes verstanden werden, als verbindendes Element profiliert sich dabei das Internet der Dinge.
— Die Ablösung der herkömmlichen Infrastrukturen durch digitale Plattformen und Netzwerke wird die Zukunft der Arbeit entscheidend prägen. Dem Verlust heutiger Arbeitsplätze steht eine Vielzahl neuer Beschäftigungsmöglichkeiten entgegen.
Diese Megatrends definieren in Abb. 1.1 ein Spannungsfeld, in dem sich die künftige Führung behaupten muss.
Abbildung 1.1 Spannungsfeld der Führung im digitalen Wandel
Die unternehmerische Freiheit wird zum knappen Gut. Was hat sich gegenüber früher verändert, als sich bei technologischen Entwicklungsschüben dem unternehmerischen Denken und Handeln fast grenzenlose Chancen boten?
Vier Entwicklungen prägen unsere Zeit:
— Die liberale Wirtschaftsordnung ist im Rückzug begriffen
— Monopole dominieren die wichtigsten Wachstumsmärkte
— Der Staat reguliert (oft willkürlich) den digitalen Wandel
— Unternehmen verlieren ihre gesellschaftliche Akzeptanz («Lizenz zum Geschäften») [14]
Die liberale Wirtschaftsordnung baut auf Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft, Respekt vor privatem Eigentum, freiem Wettbewerb und Mut zum Risiko. Diese Ordnung geht meist einher mit einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Weltweit sind Demokratien im Niedergang begriffen (LEVITSKY, ZIBLATT, 2018; KAGAN, 2018). Und mit ihnen die Möglichkeiten, unternehmerisch Neuland zu betreten. Aber auch in den noch bestehenden Demokratien gewinnen ideologische Strömungen an Einfluss, die im «(neo-) kapitalistischen» System des Unternehmertums eine ungerechtfertigte Bereicherung einiger Weniger zulasten der breiten Bevölkerung sehen. Entsprechend werden die unternehmerischen Freiheiten schrittweise eingeengt.
Die wichtigsten digitalen Wachstumsmärkte werden von weltweiten Monopolen dominiert. GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) setzen die Standards und sind für viele andere Unternehmen unverzichtbare Partner beim Aufbau des eigenen Geschäfts (GALLOWAY, 2017). Gelingt es kreativen Start-ups, eine Nische zu besetzen, so werden sie bei Erfolg von den Großen akquiriert. Das Geschäft funktioniert nach dem Prinzip: «Der Gewinner nimmt alles!» Eine reale Chance haben nur die schnellen Verfolger oder allenfalls etablierte Firmen, die dank ihrer Kapitalkraft digitale Geschäfte aufbauen können, dies vor allem im B2B-Bereich.
Die Kombination von privatwirtschaftlichen Monopolen und staatlichen Regulierungen hindert den freien Wettbewerb.
Der Staat sieht sich mit der Situation konfrontiert, dass die neuen Technologien Freiräume schaffen, die aufgrund ihrer Neuartigkeit noch keiner gesetzlichen Regelung unterstehen. In diese stoßen die schnellsten Digitalunternehmen hinein und bauen sich die Monopolsituation ganz nach ihren eigenen Regeln auf. Aus gesellschaftspolitischen Überlegungen kann dies der Staat nicht hinnehmen, was sich in Eingriffen und Regulierungen niederschlägt. Dies alles erfolgt aber weitgehend unter Ausschluss demokratischer und gesetzgeberischer Prozesse in einer «Zone der Willkür» – und damit zum Nachteil von Unternehmen und der Gesellschaft im weitesten Sinne. Ein gutes Beispiel dafür ist die kürzlich erlassene EU-Datenschutzverordnung, die vieles neu regelt, aber (dank geschickter Lobbytätigkeit der betroffenen Firmen) auch vieles ungeregelt lässt. Eine interessante Entwicklung zeichnet sich im Konkurrenzkampf zwischen den Monopolisten selber ab, indem Apple den Mitwettbewerber Facebook (zumindest zeitweise) von seinen iPhones verbannt, um diesen zu zwingen, unfaire Datenpraktiken aufzugeben. Dies wohl nicht aus moralischen Überlegungen, sondern um zu vermeiden, dass auf alle Monopolisten neue Regulierungen zukommen. [15]
Bestehende Unternehmen verlieren zunehmend ihre gesellschaftliche Akzeptanz, ihre «Lizenz zum Geschäften». Ihnen wird vorgeworfen, zu sehr auf den eigenen Gewinn bedacht zu sein und die gesellschaftliche Wertschöpfung geringzuschätzen. Diese Entwicklung haben viele Unternehmen auch selber zu verantworten, da für sie das Gemeinwohl oft nur eine Nebenbedingung war. Die Erkenntnis aber wächst, dass die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft ist. Voraussetzung ist aber unternehmerische Freiheit (SCHWARZ, 2018). Diese muss mehr denn je auch verdient werden.
Das Internet der Dinge spielt in der «dritten industriellen Revolution» die entscheidende Rolle. Diese begann in den Augen von Jeremy RIFKIN (2014) mit dem Schock des bisher höchsten Ölpreises im Jahr 2008. Dieser löste den Umstieg in neue Energien und umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels aus. Parallel dazu eröffneten sich durch die digitalen Technologien in vielen Bereichen ungeahnte neue Anwendungsfelder und Märkte. Diese Entwicklungen können nur als Ganzes verstanden werden, denn die drei Dimensionen der Kommunikation, der Energie und der Logistik bedingen einander gegenseitig, um Produktivitätssteigerungen zu erzielen, welche wiederum Voraussetzung für künftiges Wachstum sind. Die Produktivität lässt sich heute nur noch steigern, wenn die Reibungsverluste entlang der Wertschöpfungskette reduziert werden können – am besten gleich auf null. Und dies ist mit den künftigen Möglichkeiten der digitalen Plattformen und des Internets der Dinge möglich. Mit diesem «globalen neuronalen Netz» lassen sich – zumindest glauben dies die Utopisten – die Grenzkosten bis auf null reduzieren, es gibt keine Gewinne, keine Eigentumsrechte und keine knappen Güter mehr, wir befinden uns im Endzustand in der «Share Economy».
Das Internet der Dinge – ein faustischer Pakt?
Dass all diesen Verheißungen des Internets der Dinge gewichtige mögliche Gefahren gegenüberstehen, haben wir bereits im Prolog dargelegt. In Abb. 1.2 seien diese Zusammenhänge nochmals illustriert.
Heute fahren Automobile unabhängig voneinander und offline. Allfällige Staus lassen sich durch geschicktes Umfahren umgehen. Das gilt auch für den Energieverbrauch, er lässt sich gezielt verringern. Wird mithilfe des Internets der Dinge alles miteinander verknüpft und online betrieben, so erhöht sich nicht nur die Koppelung. Die Komplexität des Verkehrssystems steigt aufgrund der immer sophistizierter werdenden Computersysteme und damit auch die Störungsanfälligkeit. Auch kleine technische Probleme oder Eingriffe von Hackern bewirken eine kaum mehr aufhaltbare Kettenreaktion. [16]
Abbildung 1.2 Entwicklung der Mobilität im Zeitalter des Internets der Dinge (in Anlehnung an CLEARFIELD und TILCSIK (2018, 51).
Das autonome Fahren und die elektronische Börse haben vieles gemeinsam!
Ähnliches gilt für die Börse. Vor der Einführung der elektronischen Börse wurden die Geschäfte im Ring abgewickelt, die Wertschriftenhändler riefen einander die Kurse zu, und die rückwärtigen Dienste führten diese aus. Dabei kam es kaum zu Fehlern. Bei der elektronischen Börse, insbesondere beim Hochfrequenz-Handel, steigt die Komplexität exponentiell an. Es können pro Sekunde über 30 000 Angebote bearbeitet werden. Und mit den heute dominierenden Produkten wie ETFs (Equity Traded Funds – einen Index abbildenden Aktienfonds) wird die Koppelung erhöht. Wie gefährlich dies sein kann, zeigt die Börsenentwicklung im Dezember 2018. Dieser Monat war der schlechteste seit 1931, und dies nicht wegen sich verschlechternder Fundamentaldaten, sondern weil automatische Handelsalgorithmen von Hedgefunds eine Abwärtstendenz prognostiziert und damit eine Kettenreaktion ausgelöst hatten.
Das Internet der Dinge wird zweifellos zur dominierenden Technologie der Zukunft werden. Deshalb muss es einen zentralen Fokus bei Überlegungen zur künftigen Unternehmensführung einnehmen. Dies aber immer unter Berücksichtigung der möglichen Schäden, die diese Technologie anrichten kann. [17]
Diese Überlegungen führen nahtlos zum Thema der Zukunft der Arbeit. Nach RIFKIN (2014) gibt es für die nächsten zwei Generationen ausreichend Gelegenheit zur Arbeit, nämlich bei der Demontage der Infrastruktur der zweiten industriellen Revolution und beim Aufbau der digitalen Plattformen und des Internets der Dinge. Eine Differenzierung drängt sich angesichts neuerer Erkenntnisse auf. Gemäß einer Studie von McKINSEY (2018) werden in der Schweiz bis 2030 eine Million Jobs wegfallen. Anderseits entstehen dafür fast so viele neue Arbeitsplätze. Sie erfordern aber ganz andere Fähigkeiten. Firmen und Bildungsinstitute stehen vor der Aufgabe, rund 800 000 Arbeitskräfte umzuschulen und weiterzubilden. Eine Untersuchung der Weltbank (NZZ, 2018) stellt fest, dass der Rückgang von industriellen Arbeitsplätzen sich vor allem auf die angelsächsischen Staaten konzentriert. Grund dafür sind einerseits der fehlende soziale Schutz und anderseits die Mängel im Bildungswesen.