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8 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil es nicht nur Berufe, sondern auch Berufung gibt


Stellen Sie sich einen Mann vor, der alle, wirklich alle der folgenden Berufe ausübte: Dachpappenfirmalehrling, Tabakladenbesitzer, Fremdenführer, Privatbibliothekar, Schauspieler, Kontorist, Reklametexter, Riesenschlangenträger auf dem Jahrmarkt, Kunstmaler, Buchhalter in einem Reisebüro, fahrender Sänger, Wahrsagerin (als Frau verkleidet in einem Bordell), Minensuchbootkommandant, Kabarettist, Postüberwachungsstellenprüfer, Schaufensterdekorateur, Kinderbuchautor, Bühnenartist.

Wie kann man das alles in einundfünfzig Lebensjahren unterbringen? Und was kann ein solches unstetes Berufsleben einbringen? Mit seinem Tabakladen ging er schon nach einem halben Jahr in Konkurs. Er hatte ihn mit einem Skelett dekoriert, das in Zigarrenkisten wühlte. Der Mann hatte sein Leben lang Geldsorgen, jahrelang nicht einmal eine eigene Wohnung. Mitunter schlief er bei Freunden, eingerollt in deren Teppiche. Als Obdachlosen steckte man ihn in Antwerpen sogar ins Gefängnis. Selbst sein Traumberuf Seemann, dem er als junger Mann gefolgt war, brachte ihm kein dauerndes Glück.

Der Mann, der seine Berufe ständig wechselte, in den meisten ziemlich versagte, hieß mit bürgerlichem Namen Hans Gustav Bötticher. Irgendwann gab er sich selbst einen neuen Namen: Joachim Ringelnatz. Der Name passt zu einem Ex-Matrosen, denn er bezieht sich wohl auf die von ihm heißgeliebten Seepferdchen, die von Seeleuten auch „Ringelnass“ genannt werden. Joachim ist hebräisch und bedeutet „Gott richtet auf“. Sein Pseudonym „schütze ihn wie eine Tarnkappe“, meinte Ringelnatz einmal. Vielleicht aber war es genau anders herum: Dieser selbstgewählte Name ist ein Bekenntnis zu seiner wahren Berufung als Künstler. Unter ihm wurde er berühmt und blieb bis heute sichtbar. Als Humorist und geistreicher Erfinder des Seemanns Kuttel Daddeldu, des männlichen Briefmarks oder des kleinen Zwiebelchens im rührendsten Kindergebetchen deutscher Sprache. Die Poesie war seine Berufung und recht spät sein Beruf. Aber alle seine anderen beruflichen Versuche hatten ihn eines gelehrt: „Überall ist Wunderland. Überall ist Leben.“

MK


9 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil es glückliche Fügungen gibt

In unruhigen, angespannten Zeiten war es schon immer ein guter Rat, sich ein bisschen Entspannung zu verschaffen – etwa mit einem Spiel. Die sind heute häufig digital. Ich spiele gern Candy Crush, weltweit Nummer zwei bei den Smartphone-Games.

Candy Crush ist eine Mischung aus Glück und Geschicklichkeit, mit Tausenden von abwechslungsreichen Levels. Einige sind gemein schwer. Es will einfach nicht gelingen, sie zu lösen. Zum Glück gibt es Foren, in denen sich Spieler Tipps geben. Oder fragen: Ist dieses verflixte Level überhaupt lösbar? Viele sind wütend, sehen eine Verschwörung: Das ist Absicht! Der Hersteller will uns damit zwingen, dass wir zusätzliche Joker kaufen! Statt Entspannung erleben sie Stress. Spieler drohen: Mir reicht‘s! Ich steige aus! Ich war auch ein paar Mal so weit.

Aber dann las ich, wie ein Mitspieler schrieb: Ich warte auf mein lucky board. Denn das Spielfeld verändert sich nach jedem Versuch, und irgendwann ist eins dabei, das aufgeht – und einem Glück bringt.

Diese kleine Idee war für mich eine Lektion fürs Leben. Wir leben in Umbruchzeiten, da ändern sich die Verhältnisse ständig. Ja, sagen viele, und zwar immer zum Schlechteren! Nein, sage ich, irgendwann wird ein lucky board dabei sein. Ich glaube nicht, dass das Leben ein abgekartetes Spiel ist. Dass auf fatale Weise alles vorherbestimmt ist. Nein, ich denke, die Lebendigkeit des Lebens zeigt sich auch darin, dass es immer wieder Spielräume für glückliche Fügungen schafft. Das sorgt für Gelassenheit im Kleinen, aber auch im Großen.

WTK



10 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir im Herzen Platz für Freunde haben

Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben? Als weitherzigen Menschen oder eher kleinlich und engherzig? Ein enges Herz haben, ist etwas sehr Trauriges, weil dann in unserem Inneren ein Gefühl der Armut vorherrscht. Wo aber so wenig zu sein scheint, können wir niemanden in das Innerste unseres Herzens eindringen lassen. Es reicht ja kaum für uns selbst. Und so verschließen wir uns vor anderen. Sogar vor unseren guten Freunden.

Die alten Ägypter nannten einen guten Freund „Akib“. Übersetzt heißt das: „Derjenige, der eindringt in das Innerste meines Herzens.“ Wer sein innerstes Herz einem Freund, dem Akib, öffnet, bekommt ein „breites Herz“. Was für die alten Ägypter nichts anderes bedeutete als „Freude und großes Glück“. Bis heute spielt der Akib und das Geschenk der Freundschaft eine große Rolle im Orient. Der Wert der Freundschaft wird so hoch eingeschätzt, dass man auch Gott selbst Akib, guter Freund, nennt. Er dringt ein in das Innerste meines Herzens und macht es groß für die Freude und das Glück.

Eine innige, treue Freundschaft dehnt und weitet also das Herz. Je breiter, weiter und offener unser Herz wird, desto mehr Liebe, Freude und Glück kann es fassen, fühlen und weitergeben. Die Freundschaft hat ihm geholfen, zu seiner eigentlichen Bestimmung zu finden.

MK



11 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil Neugier uns weiterbringt

Sein Vater hatte eine elektrotechnische Fabrik in München. 1886 erhielt sie den Auftrag, erstmals das Oktoberfest elektrisch zu beleuchten. Die Zeitung schwärmte, wie „der milde und doch so intensive Glanz der elektrischen Bogenlampen ein märchenhaftes Licht über dem von Tausenden belebten Festplatz ausgießt“.

Auch der Sohn des Fabrikanten war fasziniert von dem Phänomen: Wie wäre es, wenn man dem Licht nachlaufen könnte? Würde es je gelingen, sich so schnell zu bewegen, dass man auf einem Lichtstrahl reiten könnte? Fast 20 Jahre dachte der Junge darüber nach, dann hatte er die Antwort. Im Sommer 1905 schickte er zwei Aufsätze dazu an die damals angesehenste Fachzeitschrift, die „Annalen der Physik“.

Diese beiden Arbeiten des Patentamtsangestellten Albert Einstein veränderten die Welt. Begonnen hat die berühmte Relativitätstheorie mit einer interessierten, aber eigentlich einfachen Frage. Und einer intensiven Vorstellungskraft. „Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig“, schrieb Einstein später einem Freund. Phantasie fand er immer wichtiger als Wissen. Er nannte seinen Forscherdrang auch „eine ständige Flucht vor dem Staunen“: sich nicht zufrieden geben mit dem stillen Bewundern des Unerklärbaren, sondern neugierig nach Erklärungen suchen. Die schönste Gabe der Natur sei die Freude am Schauen und Begreifen.

Bei aller Forscherlust aber war er zugleich begeistert vom Geheimnisvollen, vor dem sich der Mensch „in Ehrfurcht verlieren“ kann. Das wäre doch einen Versuch wert: Kann ich mich wieder wie der neunjährige Albert begeistern über das märchenhafte Licht der elektrischen Lampen in meiner Straße?

WTK



12 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil die Stille so still ist


Stille ist ein seltsames Phänomen. Obwohl wir sie gerne beschwören und uns nach ihr sehnen, vermeiden wir sie gewöhnlich so sehr, dass man meinen könnte, wir hätten vor nichts mehr Angst als vor der Stille. „Es ist still um ihn geworden“ ist bei Prominenten eine freundliche Umschreibung von „der ist völlig out“. Ein Satz wie „Die ist immer so still“ steht oft für „von der kommt doch nie was“. Es scheint, wir kennen von der Stille nur die Schattenseite und wüssten zu wenig von der heilsamen Kraft der Stille, wie sie der dänische Philosoph Sören Kierkegaard im Blick hatte: „Wenn ich Arzt wäre und mich jemand fragte: Was meinst du wohl, was getan werden sollte? – Ich würde antworten: Das Erste, die unbedingte Bedingung dafür, dass überhaupt etwas getan werden kann, also das Erste, was geschehen muss, ist: Schaff Schweigen, hilf anderen zum Schweigen!“

Das heilsame Schweigen ist freiwillig, nicht erzwungen. Es ist eine klare Stille, die aus dem Innehalten kommt. Eine gelassene Stille, die uns zum Wesentlichen führt und dort nährt.

 

Von dieser heilsamen Stille, die aus dem Schweigen kommt, erzählt eine alte orientalische Geschichte: Ein weiser Lehrer saß einmal versunken in den Zustand der Verzückung, als einer seiner Schüler zu ihm kam und mit ihm diskutieren wollte. Der Lehrer sagte nur ein einziges Wort: Stille! Und sein Schüler war still. Er ging nach Hause und blieb still. Er sprach überhaupt nicht mehr. Jahrelang. Aber irgendwann fing sein Schweigen an, laut zu sprechen und hell zu strahlen. Sein stilles Denken wurde zur Inspiration. Sein stilles Lächeln wurde zur Wohltat. Sein stiller Blick heilte Wunden. Sein stilles Leben lud andere ein, sich eine Weile im Schweigen auszuruhen und das Reich der Stille zu genießen. Seine unerschöpfliche Stille war ein fürstliches Geschenk für alle, die in dieser lauten Welt nicht alleine zur Stille gefunden hatten. Deswegen wurde er von den Leuten dankbar und respektvoll der König der Stille genannt.

Wer diese Art von Stille versteht und schätzt, hat einen guten Grund, das Leben zu lieben.

MK


13 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir jeden Morgen bei Null anfangen können

Die bedeutendste Erfindung in der Geschichte der Mathematik ist die Zahl Null. Ein Zeichen für das Nichts. Was uns heute selbstverständlich vorkommt, hat in der Menschheitsgeschichte eine sehr langwierige Entwicklung benötigt.

Am wichtigsten war dabei, die Null zu begreifen als erste Zahl einer Reihe: Null, 1, 2, 3, 4 und so weiter. Das ist die positive Null, der Startpunkt am Anfang der fortlaufenden Zeit. Es ist, so hat es der Philosoph Joseph Needleman gesagt, die amerikanische Null. „Bei Null anfangen, mit Nichts beginnen. Das ist die Idee Amerikas. Wir beginnen nur mit unserem eigenen Verstand, unserer eigenen Sehnsucht, unserer eigenen Suche.“

Ich denke, dass es so eine „amerikanische Null“ nur geben kann, weil im menschlichen Denken diese Art von Null enthalten ist. Wir können das Nichts als Verlust sehen, als Leere und Öde. Aber wir tragen in uns auch den Keim der „amerikanischen Null“, die stille Freude über das leere Blatt, das Gespür für die Kraft, die in einer unbesiedelten Weite steckt. Die „amerikanische Null“ ist eine Null voller Hoffnung und Zuversicht. Und ein guter Anfang, weil er das Eigene in uns fördert.

WTK



14 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir uns selbst Fragen stellen können

Es gibt ein Dilemma, das als questio crocodilina bekannt ist, die Frage des Krokodils. Die düstere Geschichte geht so: Ein Krokodil raubt einer Mutter das Kind. Die Mutter fleht es an, ihr das Kind wiederzugeben. Das Krokodil ist einverstanden, allerdings nur unter einer Bedingung: Es will der Mutter eine Frage stellen, auf die sie eine wahre Antwort geben muss. Damit sitzt die Mutter aber in der Krokodilfalle. Denn die Fangfrage lautet: „Werde ich dir das Kind zurückgeben?“ Wenn sie mit „Ja“ antwortet, kann das Krokodil das für nicht wahr erklären. Antwortet die Mutter mit „Nein“, kann das Krokodil auch das als nicht wahr bestimmen. So oder so ist das Kind verloren. Und die Moral von der Geschichte? Es lohnt sich nicht, Krokodilen zu antworten. Im Gegenteil, von fragenden Krokodilen sollte man sich möglichst fern halten.

Hans Blumenberg war ein Philosoph mit einem Faible für abstruse Geschichten, über die er tiefsinnig reflektieren konnte. In einer davon kommt auch ein Krokodil vor: Der bekannte Archäologe Max Mallowan leitete zwischen den Weltkriegen eine Ausgrabung in Mesopotamien. In seinem Team war ein junger Ire namens Gallagher, der folgende Geschichte erzählte: Ein Onkel von ihm wurde in Burma von einem Krokodil angegriffen. Das Krokodil wurde erlegt, aber für den Onkel war es zu spät, das Tier hatte ihn schon verspeist. Der Neffe beschloss daraufhin, das Krokodil ausstopfen zu lassen und es nach Hause zur Tante, jetzt Witwe, zu schicken.

Nun legt Blumenberg mit seinen Fragen los: War diese Zusendung pietätvoll oder eher brutal? Hatte das Krokodil noch Zeit gehabt, um den Onkel zu verdauen? Wenn es damit schon fertig war, sich also gar keine Onkelreste mehr in ihm befanden, hätte man es dann überhaupt noch erschießen dürfen? Für Blumenberg stellte sich also die Frage nach der Identität des Richtung Heimat beförderten Wesens. Hatte der Neffe nun den Onkel oder ein Krokodil nach Hause geschickt? Hatte die trauernde Witwe den Mörder oder das Opfer im Haus empfangen? Statt sich vorschnell mit der Geschichte zufrieden zu geben, blieb der Philosoph lieber bei seiner Kunst, immer weiter nachzufragen. So kamen neue Möglichkeiten ins Spiel, über uns selbst und die Welt nachzudenken. Sich selbst Fragen zu stellen, die über Krokodile hinausführen, lohnt sich also sehr wohl.

MK



15 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir „Wow!“ sagen können

Wenn ich den nächtlichen Sternenhimmel anschaue, hat das eine äußerst beruhigende Wirkung auf mich. Das Universum strahlt Stille aus und eine majestätische Ruhe.

Betrachtet man einen einzelnen Stern mit einem halbwegs guten Fernrohr, stellt sich das schon anders dar: Innerhalb weniger Sekunden hat sich der Stern im Blickfeld bewegt, und schnell ist er ganz aus dem Ausschnitt verschwunden, so dass man das Fernrohr korrigieren muss.

Die Erde dreht sich, mit über 1 600 Stundenkilometern. Gleichzeitig fliegt sie mit 100 000 Stundenkilometern um die Sonne. Die ganze Schöpfung, die so ruhig um uns herum erscheint, befindet sich in atemberaubender Bewegung. Die Sterne, die wir ruhig am Himmel stehen sehen, fliegen in Wahrheit mit enormem Tempo durch das Nichts des Weltalls.

Selbst wenn wir eine idyllische Naturszene betrachten, rasen dabei die Lichtwellen mit 300 000 Kilometern pro Sekunden auf die Netzhaut unserer Augen. Mit der gleichen Geschwindigkeit schwingen die Atome, unaufhörlich.

Die Schöpfung ist ein gigantisches Lebewesen. Wir sind ein Teil davon und erhalten unsere Energie aus dem großen kosmischen Tanz. Wie alle anderen tanzen wir ihn mit, aber als Einzige können wir dabei rufen: „Wow! Danke!“

WTK



16 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil die einfachen Dinge die schönsten sind


Im Amerika des 19. Jahrhunderts lagen über die Bundesstaaten Kentucky und Maine verstreut 19 Shaker-Dörfer, deren rund 1 000 Bewohner einer Lebensphilosophie folgten, die gleichermaßen von Pragmatismus und Frömmigkeit geprägt war. Die religiöse Gemeinschaft der Shaker glaubte, dass man die vollkommene Schönheit des Himmels durch ein einfaches und reines Leben auf die Erde holen könne. In ihrer Arbeit und in ihrem Alltag spielte das Gebot der Schlichtheit eine wichtige Rolle. Schlicht sollten die Gebrauchsgegenstände sein – aber nicht hässlich. „Stelle nichts Unnötiges und Unnützes her; das Notwendige und Nützliche aber mache auch schön.“ So lautete die ästhetische Faustregel der Shaker. Unter dieser Prämisse erfanden sie die hölzerne Wäscheklammer, den Drehstuhl, die Kreissäge oder die Samentütchen. Ihre Möbel waren zeitlos schöne Stühle, Tische und Bänke, die wie alle anderen nützlichen Dinge auch von Hand mit höchster Sorgfalt hergestellt wurden.

Der Shaker-Stil verzichtet auf jedes unnötige Detail. Die Formen von Möbeln, Schachteln oder Besen werden von ihrem künftigen Zweck her entwickelt. Dieser Pragmatismus verleiht den fertigen Dingen eine große Ausstrahlungskraft. Ein Shaker-Stuhl ist so ganz und gar ein Stuhl, dass man beim Betrachten das Gefühl haben kann, noch nie einen schöneren Stuhl gesehen zu haben. Schönheit und Schlichtheit sind eins geworden, ein Grund, sich von Herzen zu freuen, wie es in einem alten Shaker-Lied heißt: „Ein Leben in Schlichtheit zu führen ist eine Gabe, frei zu sein ist eine Gabe, am richtigen Platz zu sein ist eine Gabe, und wenn wir uns am richtigen Platz befinden, werden wir Liebe und Freude erleben.“

Erklären Sie heute einen einfachen Alltagsgegenstand in Ihrer Wohnung zum Repräsentanten dieser Lebensfreude, die aus der schlichten Schönheit kommt. Wann immer Sie ihn sehen, haben Sie Grund genug, sich an das Lied der Shaker und ihre einfache Weisheit zu erinnern. Es ist ein Geschenk, einfach zu sein. Es ist ein Geschenk, frei zu sein. Es ist ein Geschenk, dort anzukommen, wo man hingehört.

MK


17 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil die Schokolade nicht verboten wurde

Die Geschichte vom Schokoladenpapst spielt im Jahre 1569. Die Reformation in Europa war in vollem Gang, und in der katholischen Kirche herrschte Krisenstimmung. Man probierte es mit vielem, unter anderem mit der Verschärfung der Fastenregeln: kein Fleisch, kein Fisch, kein Ei. Gleichzeitig kamen spanische Nonnen in Mexiko auf die Idee, von dem eigenartigen einheimischen Gebräu Xocoatl das schaumige Fett abzuschöpfen und es mit Vanillezucker zu vermischen. Das war die Geburtsstunde der Trinkschokolade, die allen Fastenregeln entsprach, und bald darauf fanden zur Fastenzeit in der neuen Welt regelrechte Süßwarenorgien statt.

Das war den Bischöfen in Rom ein Dorn im Auge, und sie brachten das Problem vor Papst Pius V. Als man ihm ein Tässchen der umstrittenen heißen Schokolade zum Probieren kredenzte, da fand es seine Heiligkeit so grässlich, dass er es ausspuckte und verfügte: „Dies Getränk bricht das Fasten nicht.“ Pius war ein geschickter Krisenmanager, ein gefürchteter Inquisitor, der viele Bücher auf den Index setzen ließ, ein auch gegen sich selbst strenger Mann. Und ausgerechnet er wurde zum entscheidenden Wegbereiter der beispiellos erfolgreichen Schokolade – nur weil er persönlich Süßigkeiten hasste.

Möglicherweise bleibt ja auch von Ihnen etwas in guter Erinnerung, das Sie ganz nebenbei gemacht haben. Eine Tat, die viel unperfekter war als alle Ihre gut gemeinten Werke.

WTK



18 DAS LEBEN IST LIEBENSWERT, weil wir Kerzen anzünden können


Vor einiger Zeit saßen wir plötzlich im Stockdunkeln. Es war ein Dezemberabend und beim Blick aus dem Fenster hinaus war klar: Das Licht in sämtlichen Nachbarhäusern war gleichfalls erloschen, keine einzige Straßenlaterne brannte mehr. Wir hatten im ganzen Ort einen totalen Stromausfall. Schlagartig war da eine samtene Stille, die man so nicht kennt, wenn das Licht an ist. Zum Glück lag mein Handy in Griffweite neben mir. Ich konnte die Taschenlampe darin anschalten und mich auf die Suche nach der restlichen Familie machen. Die Idee hatten alle anderen auch, so ergab sich ein seltsam bleichgesichtiges Stelldichein im Flur. Anfangs waren wir leidlich „amused“ über die kleine Unterbrechung. Dann aber lasen wir auf den Displays die Nachricht des Netzbetreibers, dass die Reparatur frühestens in zwei Stunden behoben sein würde.

 

Es war der Moment, wo ich vom Handy auf die Kerze umstieg. Besser gesagt, auf alles, was an Kerzen und Teelichtern greifbar war. Zum Glück haben wir Deutschen gerade in der Vorweihnachtszeit diesen „Kerzenfimmel“, wie unsere amerikanischen Freunde es nennen. Kerzen sind bei mir definitiv immer vorrätig. Im Nu hatte sich unser Wohnzimmer in eine tröstliche Insel mit Licht verwandelt. Das warm schummrige Kerzenlicht kam unserem Teint sehr zugute. Der Stimmung auch. Es gab ein kaltes Abendessen, aber dafür eine herrlich ausgedehnte Gesprächsrunde, all die stromabhängigen Beschäftigungen mussten ja zwangspausieren. Die herbeigeschleppten Lichter verliehen unserem Esstisch etwas von der Noblesse einer Tafel aus dem 18. Jahrhundert. Einer Tafel, an der man sich alle Zeit der Welt füreinander nehmen konnte, weil es keine Ablenkungen gab. Es lohnt sich also wirklich, Kerzen zu Hause zu haben. Man sollte aber auch wissen, wo die Streichhölzer liegen.

MK

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