Ich glaub, mich knutscht ein Frosch

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Aufgeblasen wie ein Frosch

„Neil?“, hauche ich und öffne die Augen blinzelnd.

Mein Schädel brummt, als hätt ich gesoffen. Genauso fühl ich mich auch. Ich bin total durchgeschwitzt, aber lächle trotzdem. Gleich kommt wieder der süße Typ von meinem Traum.

„Aimee Dacourt. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen. Nenn mich Ripper“, bietet so ein vermummter Typ an, der mir gegenüber an einen Baumstamm gelehnt auf dem Boden vor einem Lagerfeuer sitzt. Es ist schon stockdunkel.

„Wo ist Neil, Ripper?“, frage ich mit vor der Brust verschränkten Armen und schmolle ein bisschen, da das hier der falsche Typ im falschen Traum ist.

„Wer ist Neil?“, haucht er und setzt sich näher zu mir.

„Neil Armstrong natürlich. Den kennt doch jeder“, motze ich. „Er ist nicht da – du schon – also ist das hier ein Alptraum“, schlussfolgere ich. Jetzt träum ich schon vom Ripper.

„Das kommt darauf an“, erwidert der Ripper.

„Worauf?“, frage ich neugierig.

„Darauf, ob ich mich zurückhalten kann“, sagt er doch tatsächlich. „Menschen stehen normalerweise nicht auf meiner Speisekarte, aber du bist sehr … verlockend.“

Ich lache laut auf. „Ja, genau. Da hab ich aber Angst“, spotte ich. „Ich sterbe sowieso, wenn mich Neil Armstrong nicht gleich küsst“, schmachte ich verträumt seufzend.

„So fest habe ich gar nicht zugeschlagen“, verteidigt sich der Typ. „Du bist irgendwie leicht verwirrt.“

„Ich bin nicht verwirrt“, verteidige ich mich lächelnd und ziehe die Beine an meinen Körper, wie ich es als Kind getan habe, wenn meine Grandma Lagerfeuergeschichten erzählt hat. Naja, mir ist auch kalt – hab wohl meine Kleidung bis auf die Unterwäsche verloren.

„Jetzt erzähl mal“, verlange ich. „Bist du eher der Typ, der einfach aus Genuss Frauen abschlachtet oder steckt da ein Auftraggeber dahinter?“, frage ich verschwörerisch flüsternd.

„Wieso sollte ich dir das erzählen?“, fordert er mich heraus.

„Na, das ist ein Lagerfeuer und da erzählt man Geschichten, also raus damit. Sonst wird das hier ein Scheiß-Traum, auf den ich absolut keinen Bock habe.“ Er lacht leise unter seiner Maske, die sein komplettes Gesicht verdeckt.

„Das ist kein Traum“, beschwört er mich.

„Das sagt Neil auch immer. Aber seien wir uns ehrlich, Männer denken doch sowieso immer anders als wir Menschen.“

„Ich habe eine bessere Idee“, wendet er ein. „Wieso spielen wir nicht ein bisschen miteinander?“

„Okay, was willst du spielen?“, frage ich ihn, da lacht er wieder.

„Du bist ja total durchgeknallt“, wirft er mir vor.

„Sagt der Meuchelmörder“, kontere ich und wische mir den Schweiß von der Stirn. Ich glaube, ich sitze zu nahe am Feuer. Ist plötzlich ganz schön heiß hier.

„Nun zu unserem Spiel. Dafür brauche ich diesen Dolch hier und ein Opfer.“ Er blickt in die Runde. Da wir allein sind, schlägt er vor: „Wie wärs mit dir?“

„Na gut, aber das nächste Mal bist du das Opfer“, erkläre ich, was ihn laut auflachen lässt. „Wie lauten die Spielregeln?“, fordere ich.

„Es gibt keine Regeln.“

„Wie? Es gibt keine Regeln? Was ist denn das für ein Spiel? Naja, egal. Wie läuft das Spiel ab?“

„Ich ritze Zeichnungen in deine Haut und du musst erraten, was es ist.“

„Nimmt man dafür nicht normalerweise Papier und Stift?“

„Ich hab kein Papier und keinen Stift.“

„Ja, das ist blöd. Okay. Aber ich bin nach dir dran.“ Sollte ich ihm sagen, dass ich eigentlich absolut nicht mit Werkzeugen aller Art umgehen kann? Lieber nicht, sonst lässt er mich nicht mehr mitspielen.

„Komm her“, verlangt er und ich setze mich an die Stelle vor ihn, auf die er gerade gezeigt hat.

Daraufhin zieht er mich an sich, sodass mein Rücken auf seiner Brust liegt und erhebt das Messer.

„Warte mal“, wende ich ein. „Hast du das desinfiziert. Ich will mir nicht die Maul und Klauenseuche holen.“ Er lacht so laut auf, dass seine Brust an meinem Rücken bebt.

„Ich glaube, ich spiele noch ein bisschen länger mit dir, bevor ich dich den Lancesters ausliefere. Du amüsierst mich.“

„Den Lancesters? Warte, da klingelt was. Das sind doch meine Sklaven.“ Erneut lacht er herzhaft.

„Shhhh, ich will jetzt spielen“, haucht er und streicht mit den Dolch über die Haut meines Oberschenkels.

Normalerweise würden meine Alarmglocken läuten, aber da das hier mein Alptraum ist, wach ich sicher auf, wenn es zu gruslig wird. Außerdem fühl ich mich komisch dumpf, so als wär ich angekifft.

„Du hast einen wunderschönen Körper“, schwärmt er.

„Naja, für meine Sklaven nur das Beste“, erkläre ich schulterzuckend. Er grummelt komisch in mein Ohr, bevor er das Messer erneut über meine Haut streichen lässt.

Er erhöht den Druck der Klinge auf meiner Haut, da unterbreche ich ihn mit den Worten: „Findest du das nicht auch total abartig, was hier läuft?“

„Nein, im Gegenteil. Es ist sehr faszinierend.“

„Weißt du, was echt faszinierend ist? Egal, wie oft die Stimme in deinem Kopf sagt: ‚Mensch, lass es!‘, wenn du verliebt bist, rennst du trotzdem lachend in die Kreissäge. Bei mir und Neil ist das so. Und wo führt das alles hin? Dein Herz wird in tausend Ministücke zerhäckselt und du starrst auf die Überreste und denkst dir: ‚Ich mache bestimmt nie denselben Fehler zweimal.‘ Und siehe da, beim nächsten Kerl sagt dir die Stimme in deinem Kopf: ‚Oh, das nächste Arschloch, gleich mal verlieben‘. Dann machst du denselben Fehler fünf oder sechsmal. Nur, um ganz sicher zu gehen.“

Ich seufze schwer. „Ist ein Teufelskreis.“

Er dreht meinen Kopf am Kinn zu sich und sieht mich an. Zumindest glaube ich, dass er das tut, denn man kann wegen seiner Maske keinen einzigen seiner Gesichtszüge erkennen.

„Was ist? Willst du nicht mehr spielen?“, frage ich.

„Du spielst nicht richtig“, erklärt er aufgebracht vorwurfsvoll.

„Hey, hast du nicht gerade eben gesagt, es gibt keine Regeln“, mache ich ihn auf seine eigenen Worte aufmerksam.

„Wieso zeigst du keine Angst?“, fragt er.

„Stehst du auf sowas?“, will ich wissen.

„Ja“, antwortet er.

„Das ist aber mein Traum und ich will jetzt keine Angst haben. Hab schon in wachem Zustand genug davon“, murmle ich.

„Das macht aber keinen Spaß, wenn du nicht schreist.“

„Du willst also Regeln einführen, obwohl das Spiel bereits begonnen hat, damit du gewinnst. Du bist echt ein Spielverderber“, werfe ich ihm vor.

Er lacht erneut laut. „Spielverderber? Also gut, dann ohne das Schreien, aber du könntest mich anflehen aufzuhören.“

„Kapier ich nicht. Ich dachte, du willst spielen? Jetzt willst du aufhören. Und da sagst du, ich sei verwirrt.“

Er schüttelt den Kopf. „Das ist neu für mich. Normalerweise fange ich kein Gespräch mit meinen Opfern an.“

„Das macht die Lagerfeueratmosphäre, da kommt man leicht ins Reden.“

„Wie wärs, wenn wir ab jetzt das Reden einstellen?“, bietet er an.

„Wird schwierig, immerhin bin ich eine Frau, aber ich bemüh mich.“

Er stößt ein heiseres Lachen aus. „Du riechst gut.“

„Danke, du nicht so, aber ist wahrscheinlich schwierig für einen Serienkiller ein Hotelzimmer zu kriegen.“

„Was hab ich dir übers Sprechen gesagt?“, tadelt er mich.

„Verzeihung“, flüstere ich.

Er streicht erneut mit dem Dolch über meinen Bauch und verharrt an meinem Bauchnabel. „So geht das nicht“, stellt er nach ein paar Sekunden schnaubend fest.

„Ich hab die Klappe gehalten“, verteidige ich mich.

„Leg dich auf den Rücken. Hier hin auf den Boden“, befiehlt er.

„Wie du meinst“, trällere ich und lege mich auf die Erde.

Er nimmt neben mir Platz und streicht erneut mit dem Dolch über meine Haut. Ich zucke etwas zusammen.

„Das ist zumindest ein Anfang“, haucht er heiser.

„Ich bin kitzlig“, gebe ich zu, da seufzt er genervt und ritzt die Stelle an meinem Bauch auf, an der er die ganze Zeit schon rumgedoktert hat.

„Aua“, protestiere ich. „Das hat wehgetan“, tadle ich ihn und boxe ihm an die Schulter.

„Hast du mich gerade geboxt?“, stößt er beinahe amüsiert aus.

„Sag nicht, du bist ein sensibler Meuchelmörder. Austeilen, aber nichts einstecken können. War ja so klar.“ Sein Lachen hallt durch den nächtlichen Wald.

Daraufhin meint er: „Das wirst du mir büßen.“ In dem Moment hebt er das Messer hoch, sodass sein langer Schatten über meine Haut zieht, bevor er sich damit meinem Körper nähert. Diese Situation hier hat irgendwie etwas Diabolisches.

„LASS SIE LOS!“, brüllt jemand, da stoppt der Ripper ein paar Zentimeter über meiner Haut, zieht mich vor sich hoch und hält mir den Dolch an die Kehle.

„Hey, das ist Neil! Vielleicht will er auch mitspielen“, rufe ich winkend, da lösen sich die Vogelscheuche, der Bleiche und der Hund aus dem Schatten der Bäume. Ich kichere. „Hi, Jungs. Ich liebe Camping. Habt ihr Marshmallows dabei?“

„Klar, Zuckerpuppe“, bestätigt die Vogelscheuche.

„Einen Schritt weiter und ich trenne ihr die Kehle durch“, droht der Ripper und lässt unsere Campingnachbarn in ihren Bewegungen, die bis jetzt in unsere Richtung führten, erstarren.

„Wieso bist du denn jetzt schon wieder so aggressiv? Soll ich dich jetzt anflehen aufzuhören? Oder schreien. Das kann ich gut. Warte mal.“ Ich atme tief ein, daraufhin lasse ich einen ohrenbetäubenden Schrei los, den er sofort mit seiner Hand an meinem Mund dämpft.

„Wir sehen uns bald wieder“, haucht er mir ins Ohr, bevor er mich brutal nach vorne stößt, sodass ich auf allen Vieren auf der Erde lande. Ein Blitz zuckt über meinen Körper hinweg, der mich kichern lässt.

 

„Cool, Gewitter.“

Neil lässt sich neben mir auf die Knie fallen und zieht mich an den Schultern zu sich hoch. „Aimee, ist alles in Ordnung? Hat er dir etwas getan?“, will der Bleiche wissen. Neil untersucht die Wunde an meinem Bauch und lässt den Blick suchend über meinen Körper schwenken.

Daraufhin küsst er mich, als wolle er mich wiederbeleben, nachdem ich beinahe ertrunken wär.

Ich halte ihn an der Brust zurück. „Nicht so schnell, Neil Armstrong. Schalt man ein paar Lichtgeschwindigkeiten runter. Ich bin nicht eine deiner Groupies, die dir reihenweise an den Hals fallen … Naja, vielleicht doch“, wende ich nach kurzer Überlegung ein. „Fliegen wir jetzt zum Mond, Neil Armstrong?“, will ich wissen, da blinzelt er irritiert und greift mir an die Stirn.

„Du phantasiert schon wieder“, stellt er fest.

Das merkst du erst jetzt?“, krächzt der Bleiche hinter ihm.

„Also, ich hätt jetzt schon Lust auf Marshmallows“, pflichtet mir die Vogelscheuche bei.

„Hey, das ist mein Traum und ich will jetzt zum Mond“, motze ich mit vor der Brust verschränkten Armen. „Außerdem ist mein Name Dorothy, nicht Aimee“, mache ich ihn auf das Offensichtliche aufmerksam.

„Jetzt flieg Dorothy halt zum Mond, wenn sie das will“, verlangt die Vogelscheuche nachdrücklich und rempelt Neil an.

„Okay“, bestätigt Neil. „Ich trag dich zu meinem … Raumschiff“, erklärt er räuspernd.

„Darf ich vorne sitzen?“, will ich wissen.

„Natürlich.“

Ich lächle. „Neil?“

„Ja.“

„Ich glaub, ich bin in dich verliebt“, hauche ich und streiche ihm über die Wange.

„Ich glaub, ich werd auch Astronaut“, kommentiert die Vogelscheuche seufzend.

Neil sieht mich einige Sekunden lang an, daraufhin blickt er verlegen zur Seite. Nein, eher genervt.

Ohne etwas zu erwidern, hebt er mich in seine Arme.

„Schon okay. Ich weiß, du bist verheiratet, ein Arschloch und ich bin hässlich, aber man darf doch wohl noch träumen“, hauche ich, bevor ich mich an ihn kuschle und schwer seufze.

*********

„Neil?“, flüstere ich, als ich die Augen öffne, da zuckt ein Körper neben mir zusammen. Wir liegen zusammen in einem Bett, aus dem wir soeben synchron hochgefahren sind.

„Sag, dass das ein Traum war“, verlange ich schwer atmend. Die Schmerzen an meinem Bauch antworten für ihn, da vergrabe ich meinen Kopf in der Bettdecke zwischen meinen Knien und ziehe die Luft schnappatmend in meine Lunge.

„Aimee, beruhige dich“, verlangt er. Seine Stimme ist aber frei von jeglichem Gefühl.

„Ich beruhig mich jetzt aber sowas von absolut nicht“, weigere ich mich vehement.

Okay, ich red mir einfach ein, dass ich nicht zusammen mit dem Ripper Camping gespielt habe und er mich jederzeit hätte abschlachten können. Warte mal, hab ich Neil gesagt, dass ich in ihn verliebt bin? Warte mal, hab ich mit dem Ripper über meine Beziehungsprobleme mit Neil gesprochen? Oh nein. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Verdammt.

Energisch löse ich mich von meinen Knien und sehe Neil an. Er sieht total erschöpft und zerstrubbelt aus. Mit hochrotem Schädel wende ich mich ab und blicke an mir herab. Mir steht der Mund offen.

„Was ist das?“, hauche ich.

Mit einem „Das ist nur ein kleiner Schnitt, Aimee. Der Arzt sagt, es bleibt keine Narbe zurück“, weist Neil auf das Pflaster an meinem Bauch hin.

Ich springe aus dem Bett und schüttle den Kopf. „Nein, das hier“, korrigiere ich ihn und zeige auf die riesigen Dinger, die da über Nacht an mir gewachsen sind und sich unter dem T-Shirt klar und deutlich abzeichnen.

Neil springt hoch, kommt auf mich zu und sieht genauer nach, kommt aber nach kurzer Zeit zu dem Schluss: „Ich sehe nichts.“

Bist du blind?“, rufe ich und boxe ihm an die Schulter. „Die sind ja kaum zu übersehen.“

Er kratzt sich verlegen am Hinterkopf. „Ähm, Aimee. Ich weiß nicht, worauf du da genau hinauswillst.“

Ich hab Brüste“, pruste ich ungehalten.

„Ja, ähm. Das haben Mädchen so an sich.“

„Nein, die waren gestern noch nicht da.“ Sag nicht, der Ripper hat mir auch noch ‘ne Brust-OP verpasst.

„Doch, die waren gestern schon da – als du das Amulett abgenommen hast. Es hat wohl noch mehr als dein Gesicht verborgen.“

Meine Fresse.

Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde: „Dann hast du mir also auf die Brüste geglotzt.“

Er geht in genervte Verteidigungshaltung und redet sich mit den Worten: „Du hast es selbst gesagt, die sind kaum zu übersehen“ raus, obwohl ich ihn gerade brühwarm auffliegen hab lassen.

Ich sende ihm einen Ja-genau-Ausdruck zu, den er mit einem Kopfschütteln pariert und sich abwendet.

Ich sehe nach, ob da noch was gewachsen ist, das vorher noch nicht da war. Bild ich mir das nur ein oder ist mein Bauch straffer? Tatsächlich! Schwibbelschwabbel ist weg. Und die Locken hatte ich auch nicht so dunkelrot in Erinnerung.

Moment mal. Ich bin dem Tod schon wieder haarscharf über die Schippe gesprungen und mach mir Sorgen darüber, dass ich Neil meine mehr als offensichtliche Zuneigung ausgeplaudert habe und jetzt Brüste mein Eigen nenne. Geht’s noch? Ich bin definitiv verwirrt. Hab ich etwa schon wieder dieses Fieber?

„Neil. Warte, gib mir mein Amulett wieder. Das geht grad gar nicht.“ Er wirft es mir zu, ohne von seinem Kurs in Richtung Tür abzuweichen. Erleichtert lege ich es an, aber die Dinger sind immer noch da.

„Hey, sie sind noch da. Wieso funktioniert das nicht?“, beschwere ich mich.

„Der Bann ist gebrochen, als ich es entzweit habe“, hat er jetzt nicht grad echt gesagt. Ich hätte so richtig Lust, ihn anzuschnauzen, aber er sieht total übermüdet aus – hat sich bestimmt die Nacht um die Ohren geschlagen, um mich durchzuküssen – während ich geschlafen habe wie ein Baby, also verkneife ich es mir. Nein, warte, ich habs mir anders überlegt.

„Dann sieh zu, dass du das wieder in Ordnung bringst“, fordere ich stampfend.

Ein bitteres Schnauben, das sich ein bisschen nach Geduldsfadenriss mit einem Hauch Du-kannst-mich-mal angehört hat, ist alles, was er für mich übrig hat.

„Hey, wohin gehst du? Lass mich hier nicht allein“, fordere ich. „Wo bin ich überhaupt?“ Das Zimmer sieht hübsch aus.

„Da drüben ist Kleidung für dich. Ich warte vor der Tür. Du hast zwei Minuten. Die warten schon auf dich.“

„Wer?“, verlange ich, doch da ist er schon zur Tür raus.

Er ist also immer noch der unnahbare Gefühlsklotz. Sogar jetzt noch, wo ich hübsch bin. Das zieht einen echt runter. So sehr ich mich auch dagegen zur Wehr setze, die Gefühle für ihn sind immer noch so stark wie am Anfang, obwohl er mich ständig abserviert. Das muss man sich mal vorstellen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal zu so einem Weibchen werde, das sich in den Quarterback-Typen an der Schule, den sie nie haben kann, verliebt. Ich muss damit aufhören. Keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll.

Im nächsten Moment klopft jemand lautstark an die Tür. „Die zwei Minuten sind um. Du bist jetzt fertig.“

Neil.

Ich stoße einen knurrenden Laut aus. Vielleicht wird das doch einfacher, als ich dachte. Wir sind auf jeden Fall schon mal auf dem besten Weg, dass meine Gefühle in Abneigung umschlagen. Ja okay, so weit bin ich noch lange nicht, aber ich arbeite dran. Ja, okay, ich versuche, daran zu arbeiten.

Ich meide den Spiegel am Schminktisch, als ich mir die Klamotten überwerfe, denn ich bin irgendwie noch nicht bereit, mein neues Ich kennenzulernen. Der BH ist mir schon mal zu klein, was mir ein „Jackpot“ rausreißt.

Die schwarze Hose passt ganz gut, aber das schwarze Oberteil, das irgendwie ein bisschen nach Mieder mit Trägern aussieht, ist mir viel zu eng. Ich krieg die Dinger gar nicht richtig rein, die sogar oben rausschauen. Ich presse sie runter, aber sie wollen einfach nicht drinbleiben. Okay, die erste Runde geht an sie. Die Anzugjacke würde passen, wenn ich sie noch zukriegen würde.

Ich schaffe es sogar – ohne zu atmen geht’s – und trete vor die Tür.

Ich hör Fears Stimme. Sie unterhalten sich wohl um die Ecke.

„Und? Wie kommt sie damit klar? Das war ja echt gruslig. Hätte ich Zehennägel, würden die jetzt abstehen.“ Fear.

„Sie redet sich ein, dass alles ein Traum war.“ Neil.

„Ist doch gut.“ Fear.

„Es war aber kein Traum.“ Neil.

„Lass sie doch, wenn es ihr so besser geht.“ Fear.

„Können wir diese Konversation verschieben. Ich will mir vor der Anhörung noch einen Kaffee holen.“ Neil.

Warte, welche Anhörung?

„Die Süße hat zugegeben, in dich verliebt zu sein. Du bist echt ein Glückspilz. Wieso lässt dich das so kalt?“ Fear.

Verdammt. Ich habs also doch – wie bereits vermutet – ausgeplaudert.

Neil lacht amüsiert auf. „Ich sag dir was. Sie denkt, dass nur sie der Fluch betrifft, aber ich bin auch verflucht. Sie ist zickig, verrückt und widerspenstig. Wenn ich sie nicht pausenlos küsse, mutiert sie zu einer Irren. Nicht gerade das, was mich anmacht.“

Na vielen Dank aber auch.

„Dich hats voll erwischt.“ Fear.

„Ja, so sehr, dass ich meinen Mentor erneut um Hilfe bitten werde, mir zu helfen, den Fluch loszuwerden.“ Neil.

So, jetzt reichts. Ich knalle die Tür zu, schlage meine Locken zurück, knöpfe die Jacke wieder auf, hebe die Dinger noch weiter an und trete auf die Gruppe zu.

„Können wir?“, frage ich in die Runde der Glotzer, die ihre Blicke über mein üppiges Dekolleté schwenken lassen. Naja, außer Neil. Den kann ich wohl mit gar nichts von mir beeindrucken.

„Heiliger Bimbam. Ich melde mich freiwillig mit dir verflucht zu werden. Vielleicht ist das übertragbar. Gibs her“, verlangt Fear und zerrt an Neils Mantel.

Shadow macht auf dem Absatz kehrt und sprintet förmlich den Gang entlang. Wulf … ist eben Wulf.

„Was ist denn mit Shadow los?“, will ich wissen.

„Vielleicht hat er Hunger“, stellt Fear schulterzuckend fest. „Du schmeckst sicher gut.“ Also ist er tatsächlich ein Vampir.

„Fear, was zum …“, tadelt ihn Neil mit böser Miene.

„Hey, ich weiß ja nicht wies euch geht, aber ich bin froh, dass ich mein Essen nicht selbst jagen muss. Ich wüsste nicht mal wo Pizzen leben“, verteidigt sich Fear.

„Komm“, meint Neil mit so einer verheißungsvoll klingenden Tonlage, die mir die Gänsehaut aufzieht.

Es ist nicht zu fassen. Da schafft er es mit einem Wort, mich schon wieder um den Finger zu wickeln und mich in einen Tagtraum abdriften zu lassen, bei dem ich seine Hand (die er mir in der Realität gar nicht hinstreckt) ergreife und wir zusammen in einer Scheune ins Stroh fallen, bevor wir … Aimee, hör auf, tadle ich mich selbst. Ich muss mich zusammenreißen, mir mein inneres Randalieren nicht anmerken zu lassen. Was macht dieser Kerl bloß mit mir?

Jetzt reiß dich zusammen.

Der Flur dieses klassischen, englischen Backsteingebäudes ist mit lästig vielen Spiegeln ausgestattet. Schnell drehe ich den Kopf weg, damit ich mich nicht darin sehen kann. Neil hat es natürlich mitbekommen, sagt aber glücklicherweise nichts dazu.

Sag mal, sind die Jungs seit gestern kleiner geworden? Ich hätte schwören können, ich wär Neil bis vor Kurzem noch nicht mal bis zu seinen Schultern gereicht. Jetzt schaff ich es sogar bis zu seinem Kinn.

Er hat es natürlich bemerkt, dass ich ihm merklich auf die Pelle gerückt bin, um das auszutesten was er mit einem von seinen herablassenden Blicken kommentiert.

Wir betreten ein riesiges Zimmer, in dem mich schlagartig alle anglotzen, die darin warten. Neil verbeugt sich vor einem schwarz gekleideten Mann, dessen schwarzes, wallendes Haar bis zum Po reicht. Er hat stechend graue Augen und irgendwie macht er mir Angst – mit dieser Narbe, die sich über seine rechte Wange zieht, die irgendwie die Form eines Sterns hat. Neil löst sich von meiner Seite und stellt sich neben ihn. Scheint wohl sein Hexenmeister zu sein. Ob er es war, der ihm befohlen hat, mich zu holen?

Fear hat sich auch verbeugt, aber vor einem riesigen, lebendigen Nussknacker. Wulf steht neben einem hochgewachsenen Wolfsmenschen. Shadow nimmt seinen Platz neben einem bleichen Mann mit blonden, langen Haaren, der blutrote Pupillen hat, ein.

 

In der Mitte des Saals steht ein Mann mit strahlend weißem Haar und langem Bart, der mich total an Gandalf aus der Herr der Ringe erinnert. Da er aussieht wie ein Normalo, nehme ich an, es handelt sich bei ihm um einen Menschen. Neben ihm steht ein junger Mann im karierten Holzfällerhemd mit haselnussbraunen, kurzen Haaren, der ganz nett aussieht.

Der Weißhaarige ist es auch, der mich begrüßt: „Sei willkommen, Aimee Dacourt. Ich bin Zaccharias Moore, der Hüter der Menschen. Das ist mein Enkelsohn Lennox.

Zu meiner Rechten erkennst du den Hüter der Hexen, Larius Fay, mit seinem Schüler Neil Macintosh.“ Neil hat also den Namen von seiner Mutter angenommen. „Zu meiner Linken findest du den Hüter der Werwölfe, Onox, und seinen Sohn Wulf vor.

Neben ihm steht der Hüter der verzauberten Lebewesen, Arriss, und sein Schützling Fear. Zu seiner Linken, wiederum, erkennst du den Hüter der Vampire, Lars Dacota, mit seinem Sohn Shadow.

Gemeinsam sind wir die Hüter der Fünf, die den Hohen Rat der Fünf bilden. Menschen, Hexen, Werwölfe, Vampire und verzauberte Wesen haben sich in dieser Form zusammengeschlossen.“

Meine Fresse. Ich hab irgendwie das Bedürfnis, einen Hofknicks zu vollziehen, so vollkommen fehl am Platz komm ich mir gerade vor.

„Wir – als ihre Hüter – wachen über das friedliche Bündnis zwischen den magischen und nichtmagischen Spezies. Die Aufgabe einiger unserer Söhne war es, dich wohlbehalten zu uns zu bringen. Wie ich sehe, ist ihnen das geglückt.“

„Nicht ganz“, wendet Neil ein. „Der Ripper hat sie aus unseren Reihen entführt.“ Aufgebrachte Schnapplaute brechen aus.

„Das war ein Traum“, beschwichtige ich und komm mir sogleich total blöd vor.

„Es war real und geschah in einer Phase, in der sie meinen Kuss gebraucht hat“, korrigiert mich Neil oberlehrermäßig. „In den Phasen des Entzugs …“, ergänzt er. Jetzt stellt er mich schon als Junkie dar, „… treten fieberähnliche Symptome auf und sie verfällt in eine Art Trance, die für sie wie ein Traum wirkt. Wir konnten sie aber befreien, bevor Schlimmeres passieren konnte. Sie hat nur einen Kratzer davongetragen.“ Und ‘nen seelischen Knacks, den sie mir hoffentlich mit einer Shetlandpony-Therapie austreiben können.

„Trance?“, hinterfragt Neils Hexenmeister neugierig.

„Es ist eher so wie wenn man sich zu viel hinter die Binde kippt“, klärt sie Fear auf und macht eine charakteristische Handbewegung, als würde er aus einer unsichtbaren Flasche trinken und sie sich dann über die Schulter werfen.

Toll, jetzt stellt er mich als Alkoholiker hin.

„So viel ich weiß, ist dem Ripper noch nie jemand lebend entkommen“, stellt der Wolfsmann fest. Die Info trägt jetzt eher nicht zu meinem Wohlbefinden bei. „Erzähl uns davon“, verlangt er von mir.

„Es war ein Traum“, stelle ich klar.

„War es nicht“, weist mich Neil zurecht.

Klugscheißer.

„Erzähl uns einfach davon. Hab keine Scheu, deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen“, bestärkt mich Gandalf der Graue. Lieber nicht. Ich will hier nicht zur Heulboje werden. Darüber hinaus, ihm sind wohl die bösen Blicke, die ich Neil gewidmet habe, entgangen. So kompensier ich liebe das Gefühlschaos in mir.

„Also, eigentlich haben wir ganz nett geplaudert – so weit ich mich erinnern kann“, erkläre ich.

Amüsiertes Lachen geht durch die Reihen.

Neil schnaubt laut auf und mischt sich ein: „Er hat sie mit einem Messer bedroht und gedroht, ihr die Kehle durchzuschneiden.“

„Worüber habt ihr euch unterhalten, Aimee Dacourt?“, verlangt Gandalf.

„Ich hab ihn gefragt, warum er das tut, aber er wollte es mir nicht sagen. Dann wollte er ein Spiel spielen, aber irgendwie hat er schnell das Interesse daran verloren.

Er hat mir vorgeworfen, ich würde mich nicht an die Spielregeln halten, dabei hat er gar keine festgelegt. Mal wollte er, dass ich rede, dann wieder dass ich schweige, dann dass ich schreie oder ihn anflehe. Irgendwie hatten wir nicht denselben Kurs.

Er meinte, ich wäre verwirrt, aber er wars eigentlich auch. Ach ja, er sagte, Menschen würden sowieso nicht auf seiner Speisekarte stehen und er wollte mich den Lancesters ausliefern.“

Ihre Blicke gehen leicht ins Verblüffte über. „Er verzehrt also seine Opfer, darum finden wir kaum Überreste“, murmelt Gandalf.

Warte mal, das war doch nur so ein Spruch. Oder? Ich versuche, mir mein Unbehagen über die Erkenntnis nicht anmerken zu lassen.

„Wieso sollte der Ripper sie den Lancesters ausliefern wollen?“, fragt Neils Hexenmeister in die Runde.

„Vielleicht erhofft er sich daraus eine Belohnung“, mutmaßt Gandalf.

„Das sollten wir später diskutieren“, wendet der Hexer ein.

„Ja“, stimmt ihm Gandalf zu. „Du solltest erfahren, in welcher Form du mit den Lancesters verbunden bist, Aimee Dacourt.“

„Ich weiß bereits von dem Fluch und was die von mir wollen“, erkläre ich.

Alle Köpfe im Raum schießen zu Neil rüber, da beschwichtige ich: „Meine Tanten haben da was angedeutet und mir gesagt, was man sich von den Dacourts erzählt.“ Immerhin will ich nicht, dass die Jungs Probleme kriegen, weil sie es ausgeplaudert haben. Naja, eigentlich hätt ich nichts dagegen, wenn Neil mal ein bisschen von seinem hohen Ross runtergeholt wird, aber für Rückzieher ist es jetzt zu spät.

„Du weißt also, wie die Dacourts, die nur weibliche Nachkommen hervorbringen, mit den Lancester-Hexern, die wiederum nur männliche Nachkommen zeugen können, verbunden sind“, schlussfolgert Neils Hexenmeister. Naja, das mir den weiblichen Nachkommen war mir neu.

Neil ergänzt: „Fear hat alles erzählt“ und fällt ihm in den Rücken. „Aimee, mein Mentor erkennt jede Lüge, also solltest du dich an die vollständige Wahrheit halten“, rät er mir überheblich. Bin ich Pinocchio, oder was?

Aha, interessant. „Gut“, erkläre ich mit vor der Brust verschränkten Armen. „Dann hat dein Mentor sicher nichts gegen eine kleine Demonstration seines Könnens“, mutmaße ich und lächle diesen Typen, der mir die Gänsehaut aufziehen lässt, gekünstelt an. Das ist normalerweise mein Detektor für Kerle, denen man nicht trauen kann und bei ihm schlägt meine Wünschelrute aber sowas von an.

Aimee“, zischt Neil und schüttelt kaum merklich den Kopf.

„Hey“, verteidige ich mich, „Das ist schon ‘ne Hammeraussage, dass er jede Lüge aufdeckt. Hat das noch nie jemand hinterfragt?“, flüstere ich ihm zu.

Neils Hexenmeister stößt ein kehliges Lachen aus. „Du amüsierst mich, Aimee Dacourt. Trägst dein Herz auf deiner Zunge.“ Ich würd ja sagen, das hab ich von Tante Eve geerbt, aber scheinbar sind wir gar nicht blutsverwandt.

Gerade fällt mir ein, dass ich sie trotzdem total vermisse. Immerhin waren sie immer gut zu mir. Ob es ihnen gutgeht? Naja, immerhin haben sie mir ja nicht zur Flucht verholfen – müssen daher doch auch nicht den Zorn der Lancesters fürchten. Oder? Aber sie haben mich versteckt, auch wenn sie nicht wussten, wer ich wirklich bin. Das sollte ich nachher noch mal einbringen.

„Also“, fahre ich fort. „Als ich in der Sechsten war, hab ich mir freiwillig eine Zahnspange verpassen lassen, damit sich meine Klassenkameraden nicht mehr über meine viel zu kleinen Brüste lustig machen. Wahrheit oder Lüge?“

Sein Mentor lacht überheblich auf und meint: „Wahrheit.“

„Mann, sind Sie gut“, lobe ich ihn. Natürlich hab ich gelogen, womit ich Tante Eves Ratschlag gefolgt bin, alles, aber auch wirklich alles im Leben, was in Stein gemeißelt erscheint, zu hinterfragen.

„Neil sagte uns, dass dein Äußeres durch ein Amulett verzerrt war, das deine Schönheit verborgen hat“, wendet Gandalf ein. „Ein sehr schlauer Zug deiner Eltern, nehme ich an. Und dein Versteck war vorzüglich gewählt. Dort hätte dich niemand vermutet. Sag mir, Aimee Dacourt, was haben sie dir vorgegaukelt, wer du bist?“

„Sie sagten, ich sei eine Hexe und sie wären meine Grandma und meine Tanten“, antworte ich.

„Eine Hexe?“, hinterfragt Neils Mentor meine Worte mit einem süffisanten Unterton.

„Ja, damit mich die anderen nicht ausschließen und sie mich in einem Dorf voller Hexen großziehen konnten.“ Die haben mich trotzdem behandelt, als wär ich ein Freak, aber egal. Der Plan war gut.

„Aber du bist keine Hexe, sondern ein Mensch“, erklärt Gandalf.

„Ja, das hab ich auch schon gemerkt“, murmle ich mit Blick auf Neil. Wie gern ich so wäre wie er. Kein Normalo, der nichts kann. Vielleicht würd er sich ja dann für mich interessieren. Er steht sicher nur auf Hexenmädchen.

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