VERNETZT

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11

Peter stand vor seinem neuen Heim und wartete auf den Möbelwagen. Nach zehn Minuten verging ihm die Lust und er ging zurück ins Haus. Wenn die Angestellten in seiner Filiale ebenso arbeiteten, dann würde er ihnen Feuer unterm Hintern machen. Toscana Deutschlands hin oder her. Die »Kommst-du-heute-nicht-kommst-du-morgen«-Mentalität würde er ihnen schon austreiben. Er marschierte im Haus auf und ab.

Endlich hörte er die Bremse eines Lkws vorm Haus, ein Geräusch, als hätte der Wagen Verdauungsprobleme.

Bevor ein Möbelpacker die Chance hatte, die Klingel zu betätigen, stand er draußen.

»Männer, wenn ihr heute komplett entladet, winkt ein fettes Trinkgeld«, verkündete er.

Daraufhin wuselten die Packer wie ein Haufen Ameisen hin und her. Alle Pakete landeten vorerst im Wohnzimmer. Als der Fahrer sich nach vermeintlich getaner Arbeit vor ihm aufbaute und »So, das war’s dann«, verkündete, winkte er den Mann ins Wohnzimmer und wies auf die Kartons.

»Was meinen Sie, warum ich diese Kisten beschriftet habe?«

Der Fahrer blickte ihn ungeduldig an und zuckte die Schulter.

»Damit ihre Männer sehen, wohin das Paket gehört.« Er ging um den Stapel herum und wies auf einen Karton. »Hier steht Küche! Sehen Sie das?«

Der Mann nickte mit hängenden Schultern.

»Hier steht Waschkeller! Hier Arbeitszimmer. Sie sehen, das war’s noch lange nicht.«

Der Fahrer ging hinaus zu seinen Männern und unterhielt sich kurz mit ihnen. Zu Peters Verwunderung kletterten sie ins Fahrerhaus und fuhren davon.

Ohne Abschiedsworte machten die sich vom Acker?

Wo gab es Möbelpacker, die auf ein Trinkgeld verzichteten?

Wild mit den Armen fuchtelnd lief er ihnen nach. Der Lkw hielt nicht an. Und wie sollte er nun die Waschmaschine in den Keller kriegen? So ein Mist!

Aus dem Augenwinkel sah er einen Mann auf dem Nachbargrundstück, der gerade einen Beutel Müll in die Tonne warf. Der Fremde sah zu ihm rüber und begrüßte ihn freundlich: »Guten Tag, Nachbar. Ich bin Alex Warmbier. Haben die was vergessen?« Der Mann kam mit ausgestrecktem Arm auf ihn zu.

Peter schüttelte die dargebotene Hand. »Peter Fleischer, guten Tag. Ja, das kann man wohl sagen. Die haben einfach alle Kartons im Wohnzimmer abgeladen und sind abgedüst, haben sogar ihr Trinkgeld sausen lassen. Jetzt stehe ich da und habe eine nicht angeschlossene Waschmaschine im Wohnzimmer. Was für ein Auftakt.«

Alex Warmbier lächelte ihn an. »Sieht so aus, als könnten sie zwei starke Arme brauchen.«

»Oh, ich kann Sie nicht gleich am ersten Tag belästigen.«

12

Ein neuer Nachbar. Und dann noch einer, der einen so hilflosen Eindruck macht, dass man ihm einfach helfen muss. Mal sehen, ob ich herausfinden kann, was das für ein Typ ist, der sich hier einnistet. Also kehre ich mein Sonntagsgesicht heraus und sage: »Keine Sorge. Unter Nachbarn hilft man sich. Lassen Sie uns das gute Stück in den Keller schaffen.«

Er blickt mich leicht zweifelnd, aber dankbar an und geht voraus, ich kremple meine Ärmel auf und folge ihm.

Zuerst verfrachten wir gemeinsam die Waschmaschine in den Keller. Der Typ steht neben der Maschine, als betrachtete er eine fliegende Untertasse. Kann ein Mann so unbeholfen sein?

»Sie gucken, als wüssten Sie nicht, wie man so ein Teil anschließt.« Ins Schwarze getroffen, er zuckt mit den Schultern und antwortet: »Stimmt. Ich kenne mich dafür mit Bankgeschäften aus. Man muss nicht alles können.« Er macht eine kleine Pause und fragt dann: »Kennen Sie sich damit aus?«

Ich nicke und knie mich, um die Transporthalterung zu entfernen. Herr Fleischer beobachtet mich argwöhnisch, denkt wohl, ich würde die Maschine zerlegen. Besser, ich beruhige ihn. »Damit die Trommel nicht beschädigt wird, verankert man sie beim Transport. Am Ziel angekommen, muss die Halterung entfernt werden.« Ich habe keine Lust, jeden meiner Schritte zu erklären, und frage ihn: »Sie kommen aus Dortmund? DO ist doch Dortmund, oder?« Er nickt. »Was verschlägt Sie ins schöne Denzlingen?«

»Ich habe hier eine Bankfiliale übernommen.«

Aha. Ein Bankdirektor. Das ist nicht verkehrt. Diese Leute sind hoch angesehen. Zumindest bei uns in der Provinz. Flink schließe ich die Maschine ans Wasser, Abwasser und den Strom an. »So, jetzt können Sie die Maschine benutzen.«

»Danke schön. Da habe ich ja den Installateur gespart. Sehr nett.«

»Keine Ursache.« Er bleibt einen Moment unschlüssig stehen, verplempert meine Zeit, weshalb ich frage: »Sollen wir jetzt mit den Kartons weitermachen?«

Er nickt und geht voraus in das Wohnzimmer. Dort bleibt er vor den Kisten stehen. »Möchten Sie was trinken?«

Marke guter Gastgeber, obwohl er noch gar nicht richtig eingezogen ist. Es gibt Schlimmeres. »Gerne.«

Er geht in die Küche und kehrt mit zwei Tannenzäpfle zurück. Schön. Er hat sich informiert, weiß um unsere Gepflogenheiten.

»Sollen wir nicht du sagen? Peter ist mein Vorname.«

Ups, das geht aber schnell. Fast zu schnell. Ach, was solls? Über kurz oder lang werden wir eh zum Du übergehen, da kann ich es gleich annehmen. »Ja, gerne. Alex.« Wir stoßen an und leeren die Flaschen. Dann verteilen wir die Kartons in den Zimmern. Während der Arbeit fragt er mich aus. Will wissen, was ich arbeite, ob ich verheiratet bin. Er geht mir auf den Geist. Ich bin doch nicht die Auskunft!

Danach kehren wir in die Küche zurück und setzen uns auf die Arbeitsfläche. Peter holt ungefragt noch ein Bier. »Vielen Dank für die Hilfe. Ohne dich wäre ich aufgeschmissen gewesen. Auf gute Nachbarschaft.«

Er zieht die Stirn in Falten, denkt über irgendetwas nach. »Echt schöne Gegend hier. Wie sind die anderen Nachbarn so?«

Hey. Der Typ will mich wohl aushorchen, einfach den Spieß umdrehen, oder ist das echtes Interesse? Naja, er will sicher nur wissen, in was für eine Gegend er geraten ist.

»Ganz okay«, antworte ich, ohne große Lust, weiter ins Detail zu gehen. Soll er sich doch selbst ein Bild machen.

»Stimmt es, dass wir eine Autorin unter uns haben?«

Was für ein Waschweib! »Du meinst Susanne Blumberg?« Jetzt plötzlich sieht er mich mit neuem Respekt an.

»Du kennst sie persönlich?«

»Kann man sagen. Wir sind befreundet.« Wie gerne würde ich ihm sagen, dass Susanne mehr als eine befreundete Nachbarin ist, aber diese Lüge würde schnell auffliegen.

»Du musst sie mir vorstellen. Ich lese gerade ihr Buch. Das ist total spannend. Ist sie nett? Wie sieht sie aus?«

Scheiße Mann, der benimmt sich wie ein Fan im Teenageralter. »Sie ist über fünfzig. Dafür sieht sie noch ganz gut aus …« Ein Segen, dass Sue mich nicht hört. Aber der Kerl soll sie sich gleich abschminken. Der Mann ist nicht mal vierzig und soll sich lieber nach einer Gleichaltrigen umsehen. Sue gehört mir. Mir alleine!

»Na ja, wir sind auch keine zwanzig mehr«, sagt er und reißt mich damit aus meinen Gedanken.

»Stimmt. Ach, sie wird dir sicher früher oder später über den Weg laufen. Sie wohnt direkt neben mir.« Es wird langsam Zeit, zu gehen. Ich habe keinen Bock, mich weiter über Sue aushorchen zu lassen.

»Und wie ist sie? Künstler verlieren ja gerne die Bodenhaftung, besonders wenn sie erfolgreich sind.«

Oh, Mann, jetzt kommt er auch noch mit Vorurteilen daher. Ich tue so, als wäre es mir egal. »Sue ist keine, die abhebt. Aber wie gesagt, du wirst sie sicher bald kennenlernen. Ich gehe jetzt lieber mal wieder. Irgendwie bin ich die Schlepperei nicht mehr gewohnt.« Mir reicht es. Ich springe auf den Boden und verabschiede mich.

»Vielen Dank für deine Hilfe. Wenn ich eingerichtet bin, lade ich dich mal zum Essen ein. Ohne dich hätte ich die Nacht durcharbeiten müssen.«

Na, wenigstens was. Ein Abendessen als Dank ist akzeptabel. Wenn er Wort hält. Vielleicht ist er einer dieser Labersäcke, die alles versprechen und nichts halten? Wir werden sehen. Ich behalte ihn im Auge.

13

Peter schloss die Tür ab, ging hinauf ins Schlafzimmer und bezog das Bett. Seine Gedanken kreisten immer noch um diesen Nachbarn. Alex Warmbier, was für ein doofer Name. Warmes Bier, igitt. Für den Namen konnte er nichts. Irgendwie war das ein komischer Typ. Auf den ersten Blick nett, aber unterschwellig war da etwas, auf das er den Finger nicht legen konnte.

Diese Nettigkeit schien aufgesetzt, wie bei einem Schauspieler. Wenn der Mann lächelte, dann mit dem Mund, nicht mit den Augen. Dann diese Arroganz, als wenn jeder Mann automatisch wissen müsste, wie man eine Waschmaschine anschließt. Und wer diese Fähigkeiten nicht besaß, der stand eine Stufe unter ihm. Was für ein ausgemachter Blödsinn. Als er da am Boden kniete und zu ihm aufblickte, hatte er ihn angesehen wie Ungeziefer, das er gleich zertreten würde.

Außerdem hatte er den Eindruck, von Alex belauert zu werden, wie von einer Hyäne. In der Küche hatte er ihn richtiggehend mit Blicken seziert.

Und diese abweisende Haltung, als er auf die Schriftstellerin zu sprechen kam. So als wollte er nicht über die Frau sprechen. Mochte er sie nicht?

Nein, eher so, als sei er eifersüchtig und wolle den Nebenbuhler umbringen. Ob da was lief zwischen den beiden?

Es waren seine Blicke! Ja, das war es. Er mochte sich gut verstellen, aber seine Augen sprachen eine andere Sprache, als sein Mund.

Naja, oder er war einfach überreizt, zu müde und erschöpft.

Er schloss die Augen und lauschte den ungewohnten Geräuschen seines neuen Heims. Ob es lange dauern würde, sich daran zu gewöhnen?

 

14

Sue hatte den ganzen Tag an ihrem neuen Roman gearbeitet. Es ging endlich voran. Noch kurz die Mails ansehen und dann würde sie den PC für heute hinunterfahren, sich ein Buch schnappen und es sich auf dem Sofa gemütlich machen.

Schon wieder eine Nachricht von dem Irren!

Sollte sie sich den ruhigen Abend versauen? Falls sie diese Nachricht öffnete, konnte sie ihr Buch vergessen. Womit hatte sie diesen verdammten Ärger verdient? War das etwa der Preis des Erfolges?

Widerwillig öffnete sie die Nachricht.

Frau Blumberg,

Ihr werter Kollege reagiert nicht auf meine Nachrichten. Wenn ich mein Kapitel nicht heute erhalte, werde ich ihm morgen einen Besuch abstatten! Sie sind verantwortlich für das, was dann geschieht!

Rache@gmx.de

Sue wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff zum Telefon.

»Hallo?«

»Bernd, ich bin es, Sue. Der Verrückte sagt, wenn du ihm das Kapitel heute nicht schickst, will er dich morgen besuchen. Bitte gehe zur Polizei. Ich will nicht schuld sein, wenn dir etwas passiert. Die müssen dir Personenschutz geben.«

Sie hörte ihn am anderen Ende schnaufen.

»Sue! Glaubst du im Ernst, die Polizei würde Beamte abstellen, um mich zu schützen, nur weil jemand seinen Besuch ankündigt?«

»Du weißt genau, dass er nicht von einem Freundschaftsbesuch spricht, oder?«

»Und wenn schon! Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Das wäre ja noch schöner. Erst droht er mir und meiner Tochter, dann verseucht er meinen Rechner …«

»Hast du das repariert? Mein Nachbar meint, es sei einfach zu beheben«, unterbrach Sue ihn.

»Mein Rechner ist gesäubert. Aber der Typ scheint Hackerqualitäten zu besitzen. Ich kenne mich ja mit EDV aus, sichere meinen PC mehrfach ab und trotzdem hat er es geschafft, sich einzuhacken und meine Webcam zu aktivieren. So ein verdammtes Arschloch. Es hat Zeit gekostet, dass alles aufzuräumen.«

»Mein Nachbar meint, das ginge ganz schnell …«

»Dein Nachbar hat keinen blassen Schimmer, mit welchen Programmen ich arbeite und sollte sich mal zurückhalten mit seiner Ferndiagnose. Kenne ich den?«

»Nein, den habe ich dir noch nicht vorgestellt. – Bitte gehe zur Polizei.«

»Ach hör doch auf. Meinst du, ich habe Lust, mich lächerlich zu machen?«

»Tu es mir zuliebe, ja?«

»Nein! Auch dir zuliebe mache ich mich nicht zum Volltrottel.«

Sue überlegte. So kam sie nicht weiter. Bernd hatte sich entschieden; sie konnte ihn nicht umstimmen.

»Also gut, dann gehe ich eben zur Polizei.«

Bernd lachte aus vollem Hals, als hätte sie gerade einen tollen Witz erzählt. »Sue! Was soll denn die Polizei in Denzlingen machen, wenn mich hier in Leonberg jemand bedroht?«

Sie schwieg. Er hatte ja recht. Die Denzlinger Polizei konnte sich aber wenigstens mit der Leonberger Polizei in Verbindung setzen. Oder würde man sie für eine überspannte Krimitante halten, die nicht mehr zwischen Romangeschehen und Realität unterscheiden konnte? Ach, was sollte sie nur tun?

»Also gut, Bernd. Pass bloß auf dich auf, und wenn er wirklich vor der Tür steht, lass ihn nicht rein, sondern rufe die 110 an, okay?«

»Der blufft doch nur. Hunde, die bellen …«

»Mann, Bernd! Der Typ ist kein Hund! Versprich mir jetzt, vorsichtig zu sein, oder ich gehe zur Polizei.«

»Entspann dich. Ich werde den Kerl nicht zum Tee bitten. Ich kann mich schon wehren. Mach dir keine Sorgen. Und jetzt muss ich noch ein wenig arbeiten. Also tschüss.«

Fassungslos betrachtete Sue den Hörer, aus dem das Besetztzeichen immer lauter wurde. Bernd nahm die Drohung nicht ernst und es gab nichts, was sie tun konnte. Behutsam legte sie den Hörer auf. Und nun?

Würde der Kerl seine Drohung umsetzen?

Hätte sie vorher gewusst, was ihr bevorstand, nie im Leben hätte sie das Buch so herausgebracht. Mit einem herkömmlichen Roman wäre all das nicht passiert.

15

Bernd hatte schlecht geschlafen und zuckte beim Klang der Türglocke zusammen. Er straffte die Schultern, ging mit energischen Schritten zur Tür und lugte durch den Spion. Keiner da! Spielten diese dummen Gören schon wieder Klingelmännchen? Manche Spiele kamen nie aus der Mode. Wenn er die erwischte, würde er ihnen die Ohren lang ziehen.

Wenigstens kein Verrückter, der nach einem Kapitel verlangte.

»Wäre ja auch noch schöner«, brummte er leise und kehrte zurück ins Wohnzimmer, wo das Formel-1-Rennen in Silverstone lief. Er setzte sich aufs Sofa und bemerkte erst jetzt, dass die Gardine in den Raum geweht wurde. Wieso?

Er stand auf und zog den Stoff zur Seite. Die Balkontür stand offen! Er hatte sie auf Kipp zurückgelassen, als er an die Tür gegangen war, oder? Wurde er senil? Nein, er war sich ganz sicher. Er hatte die Tür nicht geöffnet. Sein Blick jagte durch den Raum. Nichts Ungewöhnliches. Es kribbelte im Nacken. Eine Gänsehaut jagte über seinen Körper. Ganz langsam drehte er sich um die eigene Achse. Nichts. Alles normal. Er durfte nicht durchdrehen, nur weil ein Spinner seinen Besuch angekündigt hatte.

Als er es sich gerade wieder auf dem Sofa gemütlich machen wollte, hörte er im ersten Stock ein Scharren. Mit einem Mal wurde es ihm warm. Sehr warm.

Was hatte das zu bedeuten? Spielten ihm seine Nerven einen Streich? Von oben konnten keine Geräusche kommen. Da war niemand. Etwas quietschte vertraut. Die Kommode im Arbeitszimmer? Geister? Oder doch ein Eindringling?

Seine Nackenhaare sträubten sich. Ja, eine Schublade seiner Kommode wurde geschlossen und eine andere herausgezogen. Dieses Quietschen kannte er gut.

Es war jemand im Haus. In seinem Haus! Verdammt! Noch einmal blickte Bernd sich im Raum um, dieses Mal suchte er nach etwas, das er als Waffe nutzen konnte. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. Stand sein Hirn auf Stand-by?

Auf leisen Sohlen tappte er in die Küche. Seine Hand hing über dem Messerblock. Mit einem Fleischmesser bewaffnet, flach atmend, schlich er auf Zehenspitzen zur Treppe. Wie war der Kerl in den ersten Stock gekommen? Bernd kannte die Stufen, wusste, welche knarrte und welche nicht, aber der Eindringling verfügte nicht über dieses Wissen.

Bernd zögerte einen Moment. Machte die Konfrontation mit einem Irren Sinn? Sollte er nicht besser die Polizei rufen? Und wenn er sich das Scharren nur eingebildet hatte? Die würden sich über ihn lustig machen. Berechnete die Polizei Einsätze, die umsonst stattfanden, wie die Feuerwehr? Und wenn schon! Er ging zurück zum Telefontisch im Flur und hob den Hörer ab. Nichts! Kein Freizeichen und auch keines, das eine besetzte Leitung signalisierte. Totenstille. Scheiße! Kannte er das nicht aus den Krimis, die im Fernsehen liefen? Die Einbrecher, Mörder und sonstiges Pack kappten immer die Leitung, damit sie Zeit und Ruhe hatten, sich ihrem Opfer zu widmen. Der Hörer flutschte ihm aus der Hand. Er konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er auf den Tisch knallte. Sein Atem raste. Gut! Dann gab es wohl keine Alternative. Er würde auf jeden Fall nicht aus seinem eigenen Haus abhauen! Das konnte wer-auch-immer dort oben sich abschminken. Bernd setzte vorsichtig einen Fuß auf die Stufe, horchte, nahm die nächste in Angriff.

Etwas flog mit einem lauten Knall auf den Boden.

Bernd machte vor Schreck einen kleinen Sprung und stieß ein erstauntes »Oh!« aus. Schnell schlug er sich die Hand vor den Mund. Er hörte Schritte. Die Tür seines Arbeitszimmers flog auf und knallte gegen die Flurwand. Die Schritte kamen auf ihn zu.

Lauf! Verdammt noch mal. Steh hier nicht rum, wie ein Opferlamm.

Leichter gesagt, als getan. Von seiner Warte aus kamen Herrenschuhe ins Blickfeld. Braun. Schwarze Hosenbeine.

»Herr Schwarz? Wie nett, dass sie extra raufkommen, um mich zu begrüßen. Ich habe mich schon ein wenig umgesehen. Raten Sie mal, was ich gefunden habe?«

Bernd stand auf der Stufe, als hätte man ihn schockgefrostet, unfähig, sich zu rühren. Was hielt der Mann da in der Hand?

Ein Perry-Rhodan-Heft?

Oh, nein! Bitte mach, dass der Kerl sich nicht über meine Sammlung hermacht!

Wie viel Zeit und Geld steckte in diesen Heftchen? Wie konnte dieser Irre es wagen, sich daran zu vergreifen?

»Legen Sie sofort das Heft weg!«

»Ich habe gelesen, dass Ihr Herzchen an dieser Sammlung hängt.« Es folgte ein Lachen, das Bernd das Blut gerinnen ließ. Es hörte sich an, wie von einem Dämon. Er kam auf ihn zu. Endlich sah er, mit wem er es tun hatte. Der Mann war circa einen Meter achtzig, schlank und ganz in Schwarz gekleidet. Bei dieser Hitze. Er sah normal und harmlos aus, wie ein Kumpel auf dem Fußballplatz, oder ein Nachbar. Es war also kein Klischee. Man sah es den Leuten nicht an, wenn sie nicht alle Tassen im Schrank hatten. Jetzt zog er die Hand, die er bislang hinter seinem Rücken verborgen hatte, hervor. Er hielt eine Schere darin, wie ein Schneider, der beim Zuschneiden ist.

Die Scherenhand bewegte sich langsam auf das Heft zu. »Sie wissen, wie sie das verhindern können, nicht wahr?«, fragte der Mann. Seine Stimme klang vollkommen ruhig, als hätte er sich gerade nach der Uhrzeit erkundigt.

Er konnte nicht einmal behaupten, dass die Stimme unangenehm gewesen wäre. Im Gegenteil, sie klang voll und tief und hätte hervorragend in ein Hörbuch gepasst.

Bernd nickte, mit dem Nicken löste sich die Starre, und er ging langsam die Treppe hinauf. Vielleicht verschwand der Kerl für immer aus seinem Leben, wenn er ihm dieses bescheuerte Kapitel gab.

16

Da ist er, mein Widersacher. Ein wenig plump, der Mann.

Er schwitzt und reißt seine Augen weit auf. Er hat Angst, versucht es vor mir zu verbergen, aber mich täuscht er nicht.

»Also gut. Sie haben gewonnen, ich gebe Ihnen ihr verdammtes Scheiß-Kapitel«, schimpft er und stampft endlich die Stufen hinauf. Er glaubt, er könnte mich mit dieser forschen Art im Zaum halten und unterschätzt mich immer noch. Was hat er da in der Hand? Ein Messer! Wie putzig. Ich lasse das Heft fallen, und ziehe den Elektroschocker aus der Hosentasche. Er sieht, was ich in der Hand halte, und weicht zurück. Zu dumm, dass dieser Flur nicht besonders breit ist. Die Wand stoppt seinen Rückzug. Ich verpasse ihm eine Ladung. Er sinkt zu Boden wie eine gefällte Eiche, das Messer entgleitet seiner Hand. Feige ist der Mann nicht. Mit Mühe und Not, der Sack wiegt mindestens eine Tonne!, verfrachte ich ihn in sein Arbeitszimmer. Das ist der passende Ort. Damit er mich später, wenn er zu sich kommt, nicht nervt, sorge ich für Ruhe. Ich hole Zwirn und Nadel aus der Tasche und fädle einen Faden ein, womit ich ihm den Mund zunähe. Obwohl er bewusstlos ist, versucht er, mir seinen Kopf zu entziehen. Wahrscheinlich ein Reflex. Aber ich halte ihn fest und nähe weiter. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Drei ordentlich Stiche rechts der Nase, drei links davon. Wie mit dem Lot ausgerichtet. Perfekt! Saubere Arbeit. Jetzt wird er noch mit Klebeband gefesselt, dann widme ich mich wieder seiner Sammlung und schneide die Hefte in feine Streifen. Vor mir auf dem Boden liegt schon ein kleiner Scheiterhaufen bereit. Soll ich ihn darin verbrennen? Nein, nur Papier reicht nicht für diesen Fettkloß.

Er rührt sich und stöhnt. Ja, er kommt zu sich. Er schlägt die Augen auf und ich sehe Panik darin. Er blinzelt, schüttelt den Kopf, bemüht sich, etwas zu sagen. Ich sehe, wie er mit der Zunge an der Naht entlangfährt. Sein Kehlkopf hüpft auf und ab wie ein Flummi. Die Einstichstellen dehnen sich, Blut sickert aus den Wunden. So ein Idiot. Die Blutung hatte längst aufgehört. Bevor er diese Naht löst, zerfetzt er sich den Mund.

»Hmmmhmmm! Itte«

Scheiße, er gibt immer noch Geräusche von sich. Ich hätte ihm zuerst die verdammten Stimmbänder durchtrennen sollen. Jetzt ist es dafür zu spät.

»Halt die Klappe!«

»Hmmh.« Tränen quellen aus seinen Augen. Die Naht schmerzt. Genau so soll es sein. Sein Blick bettelt um Gnade; er scheint zu ahnen, dass es zu spät für ein Einlenken ist. Vertan die Chance, sich gütlich zu einigen. Nicht, dass ich sie ihm nicht angeboten hätte, oder? Aber er hat es vorgezogen, auf stur zu schalten. Damit hat er sich ganz alleine in diese missliche Situation manövriert.

 

Ich fahre fort, seine Hefte zu zerschneiden, halte sie ihm demonstrativ vor Augen, mache Luftschlangen daraus.

Er windet sich und protestiert. Ob er mehr um sein Leben oder seine Hefte fürchtet, kann ich nicht sagen. Diese Sammler sind ja nicht zurechnungsfähig.

Aber das Gejammer geht mir auf die Nerven. Ich muss für Ruhe sorgen. Wenn die Naht nicht reicht, muss ich eben zu anderen Mitteln greifen. Ich gehe vor ihm in die Hocke und verpasse ihm einen Schlag auf den Kehlkopf.

Ekelerregend, wie das knackt. Er stöhnt, seine Nasenflügel blähen sich, Tränen fließen. Jetzt ist er endlich still. Gut so!

Er blinzelt, presst die Lider fest zusammen, als sei er nicht gewillt, dieses Schauspiel weiter zu verfolgen. Als hätte ich ein unartiges Kind vor mir, weshalb ich den Kopf schüttle. »Aber nicht doch. Du verpasst den ganzen Spaß. Sieh nur, ich habe dir etwas mitgebracht.«

Jetzt kommt der Sekundenkleber zum Einsatz. Ich trockne seine Tränen, gebe vorsichtig je einen Tropfen Kleber unter die Augenbraue und halte die Lider fest, bis sie fixiert sind. Er dreht den Kopf zur Seite.

»Was? Du willst nicht mitspielen? Weißt du was? Dieses Mal sind alle Trümpfe in meiner Hand!«

Ich breche ihm die Nase. Nun geht es langsam zu Ende.

Er röchelt. Die Augen treten aus den Höhlen, das Gesicht verfärbt sich Purpur.

Wie in Zeitlupe rollt ein Schweißtropfen vom Haaransatz über die Stirn nach unten. An den Schläfen treten die Adern hervor. Kein einziges Detail darf mir entgehen. Diese Bilder brennen sich auf meine Netzhaut. Oh! Verdammt. Das habe ich glatt vergessen.

Ich springe auf, fische die Kamera aus meinem Rucksack und mache Bilder. Bilder sind besser als Erinnerungen. Die kann ich mir immer wieder ansehen.

Das lebendige Funkeln im Blick des Mannes erlischt wie eine Kerzenflamme im Wind. Ein nasser Fleck bildet sich in seinem Schritt. Kloakengestank verpestet die Luft. Ja, so ist das, wenn alle Muskeln erschlaffen. Zeit, die Sache zu beenden.

Ich setzte mich an seinen Schreibtisch und finde den PC hochgefahren im Ruhezustand vor. Am liebsten würde ich das Gerät zertrümmern und darauf herumtrampeln, aber ich muss mich beherrschen. Erst wenn ich meinen Schatz geborgen habe, kann ich meiner Wut freien Lauf lassen.

Der Typ hat das Kapitel griffbereit für mich hinterlassen. Zufall oder der Lohn meiner Anstrengungen? Ich kopiere es auf meinen Stick.

Jetzt gibt es kein Halten mehr. Die Kiste landet auf dem Boden und ich springe darauf, bis das Plastik zerbirst und über den Boden splittert.

Aus den Trümmern berge ich die Festplatte. Mich erwischen diese Kriminaltechniker nicht, indem sie die Festplatte wiederherstellen. Die nehme ich mit, um sie fachgerecht zu entsorgen.

Jetzt noch die Spuren beseitigen und dann kann ich es mir zu Hause gemütlich machen und endlich das Kapitel lesen.

Ich summe »Always look on the bright side of life« und begebe mich in die Küche. Dort fülle ich einen Eimer mit heißem Wasser, gebe Desinfektionsmittel dazu und mache mich an die Arbeit.

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