Buch lesen: «Gewaltfrei, aber nicht machtlos»

Schriftart:

Maria Neuberger-Schmidt

Gewaltfrei,

aber nicht machtlos

Erziehung mit Herz, Verstand

und Führungskompetenz

Das Buch zum

ABC-Elternführerschein®

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Erklärung:

Die in diesem Buch angeführten Vorstellungen, Vorschläge und Beratungsmethoden sind nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische oder therapeutische Behandlung gedacht. Jede Anwendung der in diesem Buch angeführten Ratschläge geschieht nach alleinigem Gutdünken des Lesers. Autoren, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit diesem Buch in Zusammenhang stehen, können weder Haftung noch Verantwortung für eventuelle Folgen übernehmen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollen.

www.ennsthaler.at

1. Auflage 2013

eISBN 978-3-7095-0012-5 (EPUB)

eISBN 978-3-7095-0020-0 (MOBI)

Maria Neuberger-Schmidt . Gewaltfrei, aber nicht machtlos

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2012 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Coverentwurf & Übersichtsseiten: Thomas Traxl – www.thomas-traxl.at

Titelfoto: UJac - fotolia.de

Satz & Layout: Ennsthaler Verlag

Vorwort
von o. Univ. Prof. Dr. H. Max Friedrich

Vorwort

von o. Univ. Prof. Dr. H. Max Friedrich

Die Erziehungsvorstellungen und Ziele sind zeitgeistig und gesellschaftlich Veränderungen unterworfen. Betrachtet man die Entwicklung der gewandelten Erziehungsstile der letzten 100 Jahre, so stand am Anfang die AUTORITÄRE Erziehung im Vordergrund. Die damals geltenden Schlagworte lauteten »Für Gott, Kaiser und Vaterland« und »Führer befiehl, wir folgen dir«. Es wurde die totale Unterwerfung unter eine Autorität gefordert. In der Nachkriegszeit kristallisierte sich in der 68er Generation mehr und mehr der ANTIAUTORITÄRE Erziehungsstil heraus, in dem möglichst keine Ge- und Verbote eingesetzt werden sollten. Dies bedeutete für Kinder eine nicht angstfreie, sondern ängstigende Erziehungsform, da Richtlinien in der Erziehung für ein Kind unumgänglich notwendig sind und bei bestmöglicher Freiheit Erziehungsgrenzen vermittelt werden müssen. Der antiautoritäre Erziehungsstil kann als gescheitert betrachtet werden, ebenso wie die danach folgende DEMOKRATISCHE Erziehung, bei der alles und jedes mit den Kindern ausdiskutiert werden sollte. Das Ziel, zur Demokratie hin zu erziehen, war zweifellos lobenswert, eignete sich jedoch nicht für eine umfassende Erziehungsnorm. Die nächste Phase eines Erziehungswandels führte zur LIBERALEN Erziehung. Wiederum war die Idee interessant und sogar wünschenswert, führte jedoch zu einer großen Verunsicherung vieler Eltern, da vor allem Kinder ab der Pubertät den PEERGRUPPEN Erziehungsstil wählten. Dies bedeutete, dass der letzte Rest elterlicher Autorität ins Wanken geriet.

Die gegenwärtige Diskussion über Erziehungsstile wird von Schlagzeilen, medialer Überfütterung, von Erziehungsratgebern, Supernannys und Mag. Dr. Google geführt.

Die gesellschaftlichen Veränderungen durch Reduktion auf Einkindfamilien, Mangel an großelterlicher Unterstützung, Arbeitsdruck, Patchworkfamilien und einzelerziehende Elternteile führen zu einem Vakuum im Imitationslernen und sozialer Identifikation. Moderne Armut wird zum erzieherischen Armutsrahmen, in dem, der Not gehorchend, wenig Zeit zur wichtigen pädagogischen Sozialisation bleibt. Die Schule ist vielfach außerstande, ihren im Schulgrundgesetz festgelegten Aufgaben zur Bildung und Erziehung nachzukommen.

Das vorliegende Buch hat es sich zur Aufgaben gestellt, erziehende Personen zur Gewaltfreiheit aufzurufen, die aber niemals Machtlosigkeit bedeuten darf. Gerade der Erziehung in der Familie, dem Grenzensetzen und der Vermittlung vom Umgang mit Gefühlen sind wesentliche Kapitel gewidmet. In sehr plastischen Beispielen werden Konfliktmanagement, Streitschlichtung und entwicklungspsychologische Strategien für Kinder von der Geburt bis zur Adoleszenz beschrieben.

Aus kinder- und jugendpsychiatrischer, individualpsychologischer Tiefenpsychologie und sozialpädagogischer Sichtweise sei diesem Buch Erfolg gegönnt, in dem im Fünf-Felder-Schema Körperlichkeit, Intellektualität, Emotionalität, Sozialisation und die Genderfrage Berücksichtigung erfahren sollen.

o.Univ.Prof.Dr. Max H. Friedrich

Vorstand der Univ.Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

am AKH Wien

Begleitwort

Begleitwort

Sie planen, Eltern zu werden?

Sie haben sich das Leben mit Kindern leichter vorgestellt?

Sie wollen Ihr Bestes geben und stoßen manchmal an Ihre Grenzen?

Selbst wenn Ihnen schon einmal die »Hand ausgerutscht« sein sollte: Keinesfalls wollen Sie mit Gewalt erziehen!

Dieses Buch, das die Grundlagen des ABC-Elternführerschein®s beschreibt, zeigt Ihnen, wie gewaltfreie Erziehung, basierend auf Wertschätzung und wechselseitigem Respekt zwischen den Generationen gelingen kann. Es soll vor allem verunsicherten Eltern Mut machen, zu ihrer elterlichen Autorität zu stehen, und aufzeigen, wie sie ihre Führungsqualitäten liebevoll und kompetent einsetzen können – zum Wohl ihrer Kinder, zur Schonung ihrer Nerven.

In diesem Buch enthalten sind nicht nur die Früchte meiner Arbeit mit Eltern, sondern es steht auch ein ganz persönlicher Lebensweg dahinter – der turbulente Weg einer Mutter von mittlerweile vier erwachsenen, aus zwei Beziehungen stammenden Kindern, sowie zwei Stiefkindern, die ich fünf Jahre lang in einer Patchwork-Familie durch die Pubertät begleiten durfte. Seit dem vierten Lebensjahr meiner jüngsten Tochter war ich allein erziehende Mutter. Meiner Einschätzung nach war ich eine mutige, bemühte und kompetente Mutter und ich freue mich, dass es mir gelungen ist, viele schwierige Situationen im Leben zu meistern. Allerdings habe ich auch Fehler gemacht. Darum habe ich versucht, ehrlich mit meinen Kindern, meiner Geschichte und mit meinen Stärken und Schwächen umzugehen. Ebenso habe ich begonnen, das durch Bücher und Studium erworbene Wissen zu hinterfragen, um es kritisch und lebendig in meine Arbeit integrieren zu können.

Als mein damals 15-jähriger Sohn mir attestierte, ein »guter Vaterersatz« zu sein, freute mich dies zwar, da er offensichtlich mit seiner Mutter zufrieden war, aber trotzdem weiß ich, dass er sich irrte. Auch einer allein erziehenden Mutter kann Erziehung gelingen, aber Vaterersatz kann sie niemals sein. Die häufige Abwesenheit der Väter, aus welchen Gründen auch immer, hat eine stärkere Prägung auf unsere Kinder, als es sich viele eingestehen wollen. Heute weiß ich den Wert von geordneten Familienverhältnissen noch mehr zu schätzen und das natürliche Anrecht der Kinder, mit Vater und Mutter aufzuwachsen. Alles andere kann nur die zweite Wahl oder das »kleinere Übel« sein.

Viele Jahre schien mir der in seinem Buch »Familienkonferenz« von Thomas Gordon entworfene »partnerschaftliche Erziehungsstil« der richtige Ansatz zu sein – bis ich merkte, dass ich das Wort »partnerschaftlich« im Zusammenhang mit Erziehung oft missverstanden hatte. Ich merke es aber auch bei den Eltern, die in unsere Kurse kommen, und auch in der Fachwelt.

Aus dieser Einsicht heraus habe ich ein Konzept entwickelt, das ich mit dem Bild von drei Körben darzustellen versuche: Es soll helfen, die Führungsrolle der Eltern besser zu verstehen, um spontan und stimmig, der jeweiligen Situation und dem jeweiligen kindlichen Entwicklungsstand entsprechend, das rechte Maß an Freiheit, Mitbestimmung und Gehorsam zu gewähren beziehungsweise einzufordern. Unter dem ungeliebten Wort Gehorsam verstehe ich das Recht, in bestimmten Situationen und mit Wertschätzung Anweisungen geben zu dürfen und zu erwarten, dass sie befolgt werden. Was ich konkret unter dem »3-Körbe-Prinzip« verstehe, erfahren Sie bei der Lektüre dieses Buches, in dem es darum geht, wie Sie diese Prinzipien auf Ihre persönliche Weise in Ihrem Erziehungsalltag umsetzen können.

Aufgrund der steigenden Nachfrage aus verschiedenen Regionen ist auch die Notwendigkeit entstanden, zertifizierte Elterntrainer/innen auszubilden, die den ABC-Elternführerschein® authentisch und kompetent vermitteln können. Meinem Elternwerkstatt-Team, insbesondere Katharina Grötzl und Silvia Berthold, sowie meiner langjährigen Freundin und Pädagogin Gertrud Hampel-Leikauf möchte ich für ihre klugen, kritischen und ermutigenden Anmerkungen beim Lektorat danken, ebenso Frau Mag. Dorothea Forster für ihr präzises, professionelles und einfühlsames Lektorat im Ennsthaler Verlag. An dieser Stelle möchte ich auch meinen Kindern Pamela, Rudolf, Maria, Michaela und meinen Stiefkindern Ákos und Laura sowie deren Vätern und den zahlreichen Eltern danken, die mir ihr Vertrauen geschenkt und mich zu diesem Buch inspiriert haben. Ein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Max H. Friedrich, der unsere Arbeit seit vielen Jahren kennt und unterstützt.

Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie bei der Lektüre dieses Buches den Wunsch verspüren, die verschiedenen Anregungen praxisorientiert zu üben, dann lade ich Sie herzlich ein, an einem ABC-Elternführerschein® teilzunehmen, und wenn Sie gerade dabei sind, ihn zu machen oder ihn vor einiger Zeit schon kennengelernt haben, dann wird ihnen dieses Buch helfen, Ihr Wissen zu vertiefen und zu festigen.

Nun wünsche ich Ihnen eine spannende und gewinnbringende Lektüre und freue mich auf zahlreiche Rückmeldungen, um zu erfahren, was Ihnen gefällt, was Sie erstaunt oder was für Sie noch offen ist.

Mit herzlichen Grüßen, Ihre Maria Neuberger-Schmidt

Hier unsere Kontaktdaten:

Elternwerkstatt – Verein im Dienst von Kindern,

Eltern und PädagogInnen

A-1230 Wien, Tel.: +43-1-66 22 006

office@elternwerkstatt.at

www.elternwerkstatt.at

Erläuterungen zur
Anwendung dieses Buches

Erläuterungen zur

Anwendung dieses Buches

Gender-Erklärung

So wichtig mir die Bemühungen um weibliche Emanzipation, ein faires Verhältnis der Geschlechter zueinander und die damit verbundene geschlechtssensible Sprache sind, so kann bei deren strenger Einhaltung oftmals eine stilistische Schwerfälligkeit entstehen. Um dies zu vermeiden, werde ich in diesem Buch manches Mal nur die weibliche oder nur die männliche Form verwenden. In einigen Fallbeispielen ist von Müttern, in anderen von Vätern die Rede. Im Prinzip sind aber stets beide Elternteile gemeint und ebenso beide Geschlechter, wenn von Buben oder Mädchen die Rede ist.

Einzahl, Mehrzahl

Wenn ich von Kind oder Kindern in der Ein- oder Mehrzahl rede, so fühlen Sie sich bitte in der für Sie passenden Variante angesprochen.

Kapitel 1: Familie und Erziehung

Kapitel 1

Familie und Erziehung

»Wer nach Vollkommenheit strebt,

muss das Unvollkommene lieben«

Maria Neuberger-Schmidt

1.1. Erziehung – gestern, heute, morgen

1.1.Erziehung – gestern, heute, morgen

So wie alle Bereiche menschlichen Lebens, ist auch Erziehung nicht nur im persönlichen, individuellen, sondern auch im jeweiligen sozio-kulturellen, gesellschaftlichen Kontext zu sehen. In den letzten 60 Jahren hat sich ein starker gesellschaftlicher Wandel vollzogen, der die Einstellung zu Erziehung und zu Fragen der Autorität enorm verändert hat.

Erziehung zu Großmutters Zeiten

Wenn wir versuchen, uns in die Welt unserer Groß- und Urgroßmütter bzw. -väter hineinzuversetzen, in Zeiten der Großfamilien ohne Waschmaschinen, Geschirrspüler und all den Errungenschaften des modernen Haushalts, können wir vielleicht nachvollziehen, dass das Eingehen auf individuelle kindliche Gefühle und Bedürfnisse blanker Luxus war. Kinder mussten funktionieren und möglichst wenig Aufwand verursachen – im Vordergrund standen die Versorgung der Großfamilie und die Weitergabe der Tradition.

Gehorsam war als oberste Tugend angesagt. Das kindliche Recht auf Eigenwillen und Individualität war kein Kriterium und wurde stark eingeschränkt. Körperliche Strafen und Machtmissbrauch wurden als »elterliche Gewalt« legitimiert – was oft gravierende Auswirkungen auf die kindliche Persönlichkeit und ihr Selbstwertgefühl hatte. Jemand mit geringem Selbstwert wiederum kann Widerspruch schwer dulden. Er hat Angst davor, in Frage gestellt zu werden – besonders von den eigenen Kindern. Von Generation zu Generation war es also nicht leicht, das autoritäre Muster zu durchbrechen. Es wäre jedoch falsch, generalisierend daraus zu schließen, dass früher Eltern ihre Kinder nicht geliebt hätten und Autorität nur negativ erlebt worden wäre.

Grenzenlose Freiheit

Die Auswirkungen des nationalsozialistischen Regimes haben besonders deutlich gemacht, wohin missbrauchte Macht und Autorität führen können. Immer mehr Menschen wurde bewusst, wie sehr sie unter einer unterdrückenden, autoritären Erziehung zu leiden hatten, und sie wollten das ihren eigenen Kindern nicht antun. Daraus folgte der Trend zur anti-autoritären Erziehung, welche die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder als vorrangiges Ziel sah. Der kindlichen Freiheit sollten nur ja keine Einschränkungen auferlegt werden. Der anti-autoritäre Erziehungsstil, der besonders bei vielen Eltern der 68er Generation sehr verbreitet war, blieb ebenfalls nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen: Er gibt Kindern zu wenig Halt und Orientierung und fördert die Entwicklung egozentrischer Persönlichkeiten, die Schwierigkeiten haben, sich in Gemeinschaften einzugliedern.

Partnerschaftlich – Verzicht auf Autorität

In den 70er Jahren entwickelte Thomas Gordon auf der Grundlage der humanistischen Psychologie seine »Familienkonferenz«. Er vertrat einen partnerschaftlichen Erziehungsstil und zeigte Wege auf, wie Eltern mit ihren Kindern Beziehung pflegen und sie in Problemlösungen einbeziehen können. Thomas Gordon war getragen vom Ideal der Gleichberechtigung zwischen Eltern und Kindern und glaubte offenbar, auf Autorität ganz verzichten zu können. Vor allem ging es ihm darum, nicht nur die körperliche Gewalt zu verbannen, sondern Eltern dafür zu sensibilisieren, direkte oder indirekte abwertende Botschaften (Du-Botschaften) zu vermeiden. Eltern sollten Kinder durch Ich-Botschaften (authentischer Ausdruck ihrer eigenen Gefühle und Bedürfnisse) motivieren, auch auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Eltern, die seine Gesprächsregeln anwenden, getragen von einer wohlwollenden, starken Persönlichkeit, ist oft gar nicht bewusst, dass ihre Autorität im Spiel ist, denn sie SIND Autorität. Ob bewusst oder unbewusst: Immer da, wo Liebe, Autorität und gesunde Familienstrukturen zusammenwirken, wird Erziehung gelingen. Wenn nicht, kommt es zu Verwirrungen und Komplikationen.

Unsicherheit und Überforderung

Es wurden und werden viele psychologische Bücher über Kindererziehung geschrieben und darüber, wie viel Unheil falsche Erziehung mit sich bringen kann, mit vielen Anregungen und guten Ratschlägen. Die Rechte, Gefühle und Bedürfnisse der Kinder stehen absolut im Vordergrund, Autorität gilt vielen als Unwort. Durch das Ideal der Gleichberechtigung und dem damit verbundenen Autoritätsverzicht und -verlust kommen Eltern in eine Zwickmühle. Es ist, als würde man von ihnen verlangen: »Geh schwimmen, aber mach dich nicht nass!« Sie sollen Verantwortung tragen, dürfen aber keine Macht ausüben. Das ergibt ein Anforderungsprofil an Eltern, dem sich viele nicht gewachsen fühlen. So manche moderne Mütter und Väter sind verunsichert und schwach ihren Kindern gegenüber. Sie gehen so sehr auf deren Wünsche und Launen ein, dass sie die Führung abgeben und sich allzu leicht Schuldgefühle unterjubeln und manipulieren lassen. Dadurch geraten Eltern unter einen ständigen Rechtfertigungsdruck und Machtverlust. Weil Kinder auf schwache Eltern nicht hören, orientieren sie sich zunehmend an Gleichaltrigen, an der Peer-Gruppe, die einander jedoch nicht Halt und Orientierung bieten kann. Wenn Kinder sich selbst überlassen sind, geraten sie unter Geltungszwang und Gruppendruck. Um nicht missverstanden zu werden: Ich denke, dass Kinder sehr wohl die Gesellschaft von Gleichaltrigen zu ihrer Entwicklung brauchen, aber sie können nicht Elternersatz sein, nicht elterliche Fürsorge und Geborgenheit bieten, weil sie deren selbst noch bedürfen.

Andererseits steht das moderne Leben mit seinen erheblichen Stressfaktoren oft im Widerspruch zu den eigentlichen Bedürfnissen der Kinder, die zu befriedigen manchen Eltern die Zeit und innere Ruhe fehlt. Statt sich mit ihren Kindern auseinanderzusetzen, werden sie durch bequeme Ersatzbefriedigungen aus der Konsumwelt abgelenkt und abserviert. Dadurch wird es immer schwieriger, authentische und tragfähige Eltern-Kind-Beziehungen aufzubauen, die Zeit und persönliche Präsenz erfordern.

Der gegenwärtige Trend in der Kindererziehung geht wieder hin zur Notwendigkeit des Grenzensetzens. Allerdings macht es einen Unterschied, ob ich aus der Perspektive der Gleichberechtigung oder Kraft meiner elterlichen Autorität Grenzen setze. Auch sind die Meinungen über brauchbare und akzeptable Methoden unterschiedlich. Manche Eltern wünschen sich eine »Super Nanny«, die ihnen wie eine Zauberfee die passenden Patentrezepte liefert.

Eltern haben eine Führungsrolle zu erfüllen

Im ABC-Elternführerschein® setzt man auf gewaltfreie und Halt gebende Erziehung auf Grundlage des Respekts für die Persönlichkeit, die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes, einer Kultur der Mitsprache und des Einspruchs und auf ein klares Bekenntnis zur elterlichen Autorität. Die Teilnehmer/innen haben Gelegenheit, ihre Rolle als Führungskraft im Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern zu reflektieren und kommunikative Schlüsselqualifikationen zur Stärkung ihrer natürlichen Erziehungskompetenz zu erwerben – für mehr Sicherheit, Gelassenheit und Freude im Erziehungsalltag.

1.2. Lebenseinstellung und Partnerwahl

1.2.Lebenseinstellung und Partnerwahl

Der Traum vom Glück

Wir leben in einer Zeit, in der das Streben nach dem persönlichen Lebensglück einen sehr hohen Stellenwert eingenommen hat. Wir wollen ein glückliches Leben mit einem liebevollen Partner, erfüllter Sexualität, einem netten Freundeskreis, materiellem Wohlstand, Wellness und schönen Urlauben. Wir wollen uns ein möglichst großes Stück vom Glück abschneiden und prüfen es in den diversen Alltagssituationen mit der Frage: »Was habe ich davon?«

Was bedeutet gelungenes Leben wirklich? Für mich ist es nicht das permanente Streben nach mehr, sondern die Zufriedenheit mit dem, was man hat, und sei es noch so wenig. Lebensschicksale sind sehr unterschiedlich. Wenn ich neidisch nach jenen schiele, die scheinbar mehr haben als ich, die es schöner, bequemer, leichter haben, dann bestimmt der Frust mein Lebensgefühl. Wenn ich aber für das, was ist, danken kann, dann lebe ich im Gefühl der Fülle, der Freude und der Zufriedenheit. Dann kann ich meine Aufgaben im Hier und Jetzt erfüllen und gelassen und konstruktiv an einer guten Zukunft bauen. Dann werde ich mich auch fragen: »Was hat die Welt davon, dass es mich gibt?« »Wie kann ich meine Talente und Fähigkeiten in den Dienst meiner Familie, meiner Mitmenschen und der Menschheit stellen?«

Mangelnde Vorbilder und naive Erwartungen

Immer weniger junge Menschen können heute auf das Vorbild ihrer Eltern zurückblicken und sich sagen: »Ja, so wie meine Eltern möchte ich auch einmal Beziehung leben!« Wir tragen die Sehnsucht nach einer glücklichen Paarbeziehung und einem harmonischen Familienleben in uns und holen uns die Modelle aus Film und Fernsehen, basteln uns ein inneres Traumbild zusammen, das häufig von sehr hohen Erwartungen geprägt ist. Unser Partner oder unsere Partnerin hat die unausgesprochene Erwartung »Mach mich glücklich!« zu erfüllen. Er oder sie verkörpert die Projektion unserer Sehnsüchte, an der ein realer Mensch praktisch nur scheitern kann. Umgekehrt erheben wir den Anspruch »Nimm mich so, wie ich bin!« mit all meinen Fehlern und Schwächen – die legitime Ursehnsucht jedes Menschen, die seit unserem ersten Atemzug in uns lebt.

Viele Menschen leben in Bezug auf ihre Erwartungen wie naive Kinder, mit einer gehörigen Portion Egoismus, und sind enttäuscht, wenn die Rechnung nicht aufgeht, wenn der andere nicht »mitspielt«. Nach der schönen Zeit der ersten Verliebtheit, wenn wir langsam die rosarote Brille abnehmen, stellt sich die entscheidende Frage: Können wir einander annehmen, so wie wir wirklich sind? Sind wir bereit, an unserer Beziehung zu arbeiten, um daraus eine echte Partnerschaft und eine tragfähige Basis für unser Familienleben zu machen?

Moderne Partnerwahl

Klug ist, wer sich solche Fragen schon im Vorhinein stellt, seine Partnerwahl nach tieferen Werten orientiert und sich nicht überstürzt in Beziehungen einlässt. Wer spannende Abenteuer sucht und sich vorrangig von den »Schmetterlingen im Bauch« leiten lässt, wird häufiger in Zufallsbeziehungen hineinstolpern und immer wieder Enttäuschungen erleben. Vielleicht hat man dann bereits ein oder mehrere Kinder in die Welt gesetzt. Wollen wir unseren Beziehungsfrust nicht in die nächste Partnerschaft mitnehmen, ist es sehr wichtig, dass wir uns Zeit für unsere Trauer nehmen, das Geschehene aufarbeiten und verzeihen. Nur wenn wir auch unseren eigenen Anteil am Misslingen eingestehen – können wir als reifere Menschen in eine künftige Partnerschaft gehen, die grundsätzlich in Patchwork-Familien vom Start weg um eine Nummer schwieriger sein wird. Beziehungsarbeit ist gefragt! Wer das nicht wahrhaben will, dem wird das Leben immer wieder neue Enttäuschungen bescheren.

Selbstverwirklichung und Selbstüberwindung

Noch eine Bemerkung zum Zauberwort Selbstverwirklichung, dem anspruchsvolle moderne Menschen einen hohen Stellenwert beimessen. Dies wird häufig ausschließlich mit Erfolghaben und individueller Entfaltung assoziiert. Mit Erfolg lässt sich’s leicht leben! Aber welchen Stellenwert haben Rücksichtnahme und Verzicht? Wie gehen wir mit unserem Versagen, mit Schwierigkeiten und Schicksalsschlägen um? Echte Selbstverwirklichung beginnt für mich erst dann, wenn ich auch bereit bin, die Schattenseiten meines Lebens anzunehmen.

Mir scheint, dass wir dauerhaftes Glück nur um den Preis der Selbstüberwindung erwerben können. Das Leben ist nun einmal eine Bewährungsprobe. Glücklich ist, wer das akzeptiert und sich ehrlich den Herausforderungen seines Lebens stellt. Der wird es nicht immer leicht haben, aber dem wird Leben gelingen – was auch immer das für den Einzelnen bedeuten mag.

€13,99

Genres und Tags

Altersbeschränkung:
0+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
22 Dezember 2023
Umfang:
357 S. 13 Illustrationen
ISBN:
9783709500125
Verleger:
Rechteinhaber:
Автор
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