Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris

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Aus der Reihe: Classica Monacensia #58
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4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts

Diese Kombination gattungskonstitutiver Eigenschaften findet sowohl in der Ars als auch in den Remedia ihren Ausdruck prominent darin, dass, wie bereits erwähnt, der didaktische Lehrinhalt metrisch in Form des elegischen Distichons realisiert ist. In dieser Verschmelzung von Grundcharakteristika zweier literarischer Genres kommt es auch zum Aufeinanderprallen verschiedener ‚Modi der Welterfahrung‘1. Wie Conte treffend beschreibt, treten didaktische Objektivität und elegische Subjektivität,2 die von einer ‚radikalen‘ „Transkodifikation“3 herkömmlicher Werte und Zeichen bestimmt ist,4 in Verbindung miteinander. Wenn nun in den Remedia amoris die Befreiung von unglücklicher, also typisch elegischer, Liebe zum Programm wird, entspricht das, um z. B. Conte und Holzberg zu referieren, letztlich der systematischen Demontage5 dieser Gattung (was Ovid in seiner literarischen Evolution von den Amores bis zu den Remedia konsequent weiterentwickelt hat).6 Ovid führt Konzepte des elegischen monde à l’envers konsequent ad absurdum, indem er ihn „auf komische Art ins Konträre verkehrt“7, was sich exemplarisch an der Rolle des otium zeigen lässt:8 Bekennt sich die ovidische Persona in den Amores noch zu dieser Protest- bzw. Alternativlebensform, soll der Schüler der Remedia Muße meiden (vgl. rem. 135–144). Ja er soll sich durchaus als „‘echter’ miles“ betätigen und zur Ablenkung z. B. in den Krieg ziehen (vgl. V. 151–168)9 – die elegische Metapher des Kriegsdienstes in Sachen Liebe, militat omnis amans (am. 1, 9, 1f.), wird also auf ihre ursprüngliche und damit anti-elegische Bedeutung des realen Kriegsdienstes zurückgeführt.10 Auch sind die auf die Lehrgedicht-Tätigkeiten der Verse 169–212 folgenden praecepta als anti-elegisch zu charakterisieren: So soll der Liebeskranke aus Rom bzw. der Heimat weggehen, um so räumliche und zeitliche Distanz zur Geliebten zu schaffen (vgl. V. 213–248) und zu verhindern, dass er ohne mens firmata (vgl. V. 245) wieder in die Liebesfänge verstrickt wird. Um die Lehrgedicht-Tätigkeiten schließt sich so eine ‚anti-elegische‘ Klammer, was die didaktische Intention einer Heilung von elegischer Liebe somit inhaltlich und strukturell unterstützt (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 5). Zudem soll sich der Liebhaber von der typisch elegischen ‚Liebeschoreographie‘, dem Vor-der-Tür-Liegen, bei dem das Paraklausithyron gesungen wird, verabschieden, wenn er erfolgreich einem Rückfall in den Zustand der Verliebtheit entgehen möchte. Dies beschreibt Ovid gegen Ende seiner Ausführungen: di faciant, possis dominae transire relictae / limina, proposito sufficiantque pedes (rem. 785f.).11

Witzigerweise entspricht diese Absage 30 Verse vor dem Werkende m. E. strukturell fast exakt der Stellung, welche die kleine ‚Grammatik der Elegie‘12 mit ihrer Paraklausithyron-Andeutung im Dialogproöm mit Amor ab V. 31 (!) einnimmt. Das Paraklausithyron-Motiv umrahmt dabei die heimliche Verständigung der Liebenden:


effice nocturna frangatur ianua rixa
et tegat ornatas multa corona fores.
fac coeant furtim iuuenes timidaeque puellae
uerbaque dent cauto qualibet arte uiro,
et modo blanditias rigido, modo iurgia, posti
dicat et exclusus flebile cantet amans. (rem. 31–36)

Inhaltlich steht sie ihr aber diametral entgegen, weist doch die ovidische Persona am Anfang den Gott an, bei diesen seinen ‚Leisten‘ zu bleiben, die darin bestehen, dass Verliebte ohne Tränen und Tod und nach elegischem Muster miteinander kommunizieren sollen. Am Ende des Lehrgangs hingegen steht die Aufforderung an den Schüler, den Regeln dieser Gattung den Rücken zu kehren. Die ringkompositorische Rahmung zeigt nun paradigmatisch, wie Ovid seinen Ausgangspunkt bei der elegischen Gattung nimmt, um sie am Schluss der Remedia an ihr Ende geführt zu haben – und wie er das Verbot der Paraklausithyron-Szenerie auch explizit an den Schüler richtet.13 Ovid hat also dieses Motiv,14 das sich auch in seinen anderen Werken findet, in seinen Lehrgang aufgenommen und funktional für sein literarisches Programm eingesetzt.15

Letztendlich kann es für einen amator aber keine Heilung von seiner Liebesleidenschaft geben, da er sonst zugleich seine Existenz als poeta (= amator) der Elegien aufgeben müsste; sein Leiden ist schließlich das Movens seiner Klage.16 So schreibt schon Properz: omnis humanos sanat medicina dolores: / solus amor morbi non amat artificem (Prop. 2, 1, 57f.).17 Dabei erscheint es mir wichtig, hervorzuheben, wie lustig es ist, dass sich Ovid ausgerechnet des Lehrgedichts als Medium bedient, um die Elegie zu ihrem Ende zu führen. Denn schon bei Properz und Tibull eignet der Liebeselegie ein didaktisches Moment, das jedoch ein nur kleiner Teil des elegischen Konzeptes bleibt.18 Ovid nun kehrt die Prioritäten um. Auch wenn er im Literaturexkurs (vgl. rem. 361–396) die Remedia der elegischen Poesie zuordnet19 und sich zum Vollender dieser Gattung stilisiert (und das auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn nach den Heilmitteln kann es keine Liebeselegie mehr geben, womit Ovid auch seine eigenen Liebesdichtungen beendet!)20: So ist es doch der didaktische Rahmen, der sein literarisches Unterfangen in seiner erotodidaktischen Tetralogie bestimmt. Der Gipfel des lusus mit bzw. der Referentialität auf etablierte(n) literarische(n) Konventionen und Gattungen besteht nun darin, dass nicht nur die Elegie durch das Lehrhafte demontiert wird, sondern das Lehrhafte selbst nur scheinbar ‚obsiegt‘ und dass vielmehr die nie ganz ‚tilgbaren‘ Elemente der Liebeselegie und des amor immer wieder durchbrechen. Ovid führt also beide Gattungen an ihre Grenzen, wobei dennoch der interpretatorische Akzent darauf zu setzen ist, dass seine Haltung der ernsthaften Liebeselegie gegenüber subversiv-gefährlich21 ist, während er die Regeln des Lehrgedichts eher witzig noch weiter ausdehnt.22 „The remedia amoris not only brings to an end Ovid’s experiment in love elegy but also explores the logical limits of didactic poetry“23 – und demonstriert so in humorvoller Art und Weise den selbstbewussten Umgang mit existierenden Gattungssystemen.24

4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris

Erneut ist unter Bezug auf Brunelles Forschungsergebnisse das Form-Argument heranzuziehen. Da die Remedia in elegischen Distichen verfasst sind und Ovid im Literaturexkurs selbst betont, dass der Rhythmus eines Werkes und dessen Inhalt einander gegenseitig bedingen – blanda pharetratos Elegia cantet Amores / et leuis arbitrio ludat amica suo (rem. 379f.) –, stehen Form und Funktion (also die Heilung von unglücklicher Liebe) einander kontrastiv gegenüber. Zudem warnt der ovidische praeceptor im ars vitandi-Teil den Schüler davor, elegische, und somit auch seine eigene, Dichtung zu lesen,1 da dies einen Rückfall bewirken könne: eloquar inuitus: teneros ne tange poetas; / summoueo dotes impius ipse meas (rem. 757f.).2 Das heißt, eigentlich kann man sich durch die Lektüre einer wie auch immer gearteten Dichtung im elegischen Versmaß von keiner Form der Liebe lösen, und man kann nicht Leser und Schüler von Ovids Werk zugleich sein. Und auch Ovid müsste sich, wenn er seinen Ausführungen folgt, eigentlich vom Distichon fernhalten.

Diese prinzipielle Unvereinbarkeit von Lehrinhalt und -form3 macht nun einen Teil der Widersprüchlichkeit aus, die sich bei einer genauen Lektüre der Remedia auch anhand anderer Beispiele aufzeigen lässt. Ein großer Teil des Lesevergnügens der Remedia besteht schließlich darin, Ovids intra- und intertextuelles Referentialitätssystem zu entdecken, sich also früher verfasste Verse in Erinnerung zu rufen. Nun bestehen aber viele Vorschriften genau darin, bereits erfahrene Liebe zu vergessen und zu verlernen (vgl. die dreimalige Verwendung des Verbs dediscere in V. 211, 297, 503) – denn Erinnerung, admonitus, führt letztlich zurück zur Liebe (vgl. V. 629, 661f., 729).4 Ebenso sind auch die Aktivitäten und Plätze, die für eine Heilung von Liebe vorgeschlagen werden, bereits mit, intratextuell abrufbaren, Erinnerungen an Liebe getränkt.5 Das Forum und die Anwaltspraxis preist Ovids zwar als remedia (vgl. rem. 151), doch konnte der liebeshungrige Schüler in der Ars amatoria bereits lesen: et fora conueniunt (quis credere possit?) amori, / flammaque in arguto saepe reperta foro (ars 1, 79f.). Und auch die Weisungen, die fordern, dass man sich der Landwirtschaft, dem Fischen und dem Vogelfang widmen solle, werden dadurch konterkariert, dass diese Tätigkeiten in der Ars6 und auch bei Tibull Metaphern für die Liebe darstellen und sogar als Tätigkeiten imaginiert werden, die Liebende gemeinsam durchführen können, wie z. B. in Tibulls Phantasie in seiner zweiten Elegie.7 Darüber hinaus eignet den „Little Georgics“ in den Remedia (vgl. V. 171–186), wie Boyd ausführt, ein intertextuelles Moment, das die Liebesheilung unterminiert: In den Weisungen zur landwirtschaftlichen Betätigung werde in Form einer kleinen, metapoetisch wirkenden Ekphrasis ein bukolisches ‚Setting‘ gezeichnet und als „Little Eclogues“ in diese praecepta integriert (vgl. V. 179–182).8 Wenn der praeceptor dem Schüler einen Hirten, der auf seiner Flöte ein Lied spielt, vor Augen führt, rufe dies Liebeslieder der Eklogen und Figuren wie Korydon aus Ekloge 2 und Gallus aus Ekloge 10 hervor.9 Dies evoziere beim Leser aber, da diese Lieder v. a. „unhappy love“10 thematisieren, einen Liebhaber, dessen Versuche, sich von der Liebe zu befreien, zum Scheitern verurteilt seien11 – wodurch Ovid wiederum sein Projekt unterminiere.12

 

Man sieht aufgrund von Boyds Beobachtung also: Zusätzlich zur oben erläuterten didaktischen Verweisungsdimension dieser praecepta sind als Resultat der Gattungsmischung die elegischen und auch Liebesleiden widerspiegelnden Färbungen wahrnehmbar, die sich so dem Ziel der Liebestherapie entgegensetzen. Wenn nun der unglücklich Verliebte auch noch die Einsamkeit meiden soll – quisquis amas, loca sola nocent: loca sola13 caueto (rem. 579) – scheint es unmöglich zu werden, den alter orbis, den der Schüler bewohnen soll (vgl. rem. 630), auf dieser Welt überhaupt zu lokalisieren;14 es sei denn, man würde versuchen, die inter- und intratextuellen Konnotationen auszublenden, was wiederum dazu führen würde, einen zentralen Gestaltungsaspekt von Ovids Werk zu vernachlässigen.

Zudem zeigen Sprachspiele Ovids, wie sich amor, den der Liebeskranke ja loswerden möchte, in die Weisungen hineinschleicht. Man betrachte nur, wie Luke Houghton (2013) beobachtet, folgende Hinweise: opprime, dum noua sunt, subiti mala seminA MORbi (rem. 81) und uerba dat omnis amor reperitque alimentA MORando (rem. 95) – wenn der Schüler nicht schnell genug handle, werde ihn die Liebe fesseln und die Heilung werde erschwert.15 Und Mary Davisson (1996) zeigt, wie auch der Verweis auf konkrete mythologische Einzelfälle mehr entmutigt, als dass er die Argumentation unterstützt: 23 Negativbeispiele, wie die eingangs beschriebenen Heroinen Phyllis (vgl. V. 55f.), Dido (vgl. V. 57f.), Medea (vgl. V. 59f. und 261f.) und auch Circe (vgl. V. 263–288) stehen 14 positiven, und dabei kaum weiblichen, exempla entgegen,16 wobei manche dieser Beispielreihen wiederum auf Folgen verweisen, die noch desaströser sind als das ursprüngliche Liebesunglück: Man denke an den Katalog in V. 453–460, der u. a. Phineus, Alcmaeon, Paris und Tereus nennt, und das Atriden-Beispiel in V. 467–486. Die Liebe dieser Männer zu je einer zweiten Frau hatte schließlich fatale Auswirkungen auf ihr Leben, womit auch sie eigentlich keine unbedingt nachahmenswerten Vorbilder darstellen.17 Davisson folgert zu Ovids Opus: „[I]t raises doubts about the possibility of finding exempla to prove seriously the praecepta of the Remedia.“18

Und ein weiterer Aspekt, den Alison Sharrock (2002) ausführt, ist an dieser Stelle wichtig: Die Remedia hätten als scheinbar „ultimate retraction and denial of the world of erotic elegy“ Anteil an einer „rhetoric of renunciation“, die aber grundlegend mit dem „erotic discourse“ verbunden sei.19 Das führe eben auch dazu, dass man durch die Remedia als „seductive song which will draw us further into the world of Ovidian erotics“ keinen wirklichen Weg aus der Situation unglücklicher Liebe habe20 – was aber wiederum eine Zukunft für (erotische) Literatur garantiert.21 Der Leser bleibt also durch die verführerische Macht des carmen im Bann Ovids.22

4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm der Remedia amoris

Es dürfte deutlich geworden sein, dass Ovid vor allem im ersten Teil der tractatio intertextuell und thematisch auf Lukrez und andere didaktische Werke sowie die Gattung des Lehrgedichts im Allgemeinen rekurriert – also in Form der Einzeltext- und der Systemreferenz –, um dadurch das elegische Programm der Remedia zu sprengen. Eine ähnlich funktionale Referentialität kann man auch für die Gattungen Satire und Jambus feststellen, wenn man die Bezüge untersucht, die in den Heilmitteln auf Horaz und Catull, lateinische Archegeten dieser Gattungen und die Vermittler griechischer Traditionen, genommen werden. Meine Untersuchung wird auch hier doppelt perspektiviert sein. Es soll sowohl um intertextuelle Bezüge auf Horaz’ Satiren und Epoden sowie Catulls Carmina mit Blick auf Einzeltextreferenzen als auch um die Präsenz genereller Gattungscharakteristika gehen.

4.3.1 Eine parodistische ‚aemulatio Horatii‘? Ovids intertextuelle Bezugnahme auf den Augusteer und jambisch-satirische Traditionen

Im Anschluss an Brunelles (2005) Ausführungen zu „Ovid’s satirical remedies“ fokussiere ich besonders die folgende Passage zum „ugly sex“:1


ille quod obscenas in aperto corpore partes
uiderat, in cursu qui fuit, haesit amor,
ille quod a Veneris rebus surgente puella
uidit in immundo signa pudenda toro.
luditis, o si quos potuerunt ista mouere:
afflarant tepidae pectora uestra faces.
attrahat ille puer contentos fortius arcus,
saucia maiorem turba petetis opem.
quid, qui clam latuit reddente obscena puella
et uidit quae mos ipse uidere uetat?
di melius, quam nos moneamus talia quemquam!
ut prosint, non sunt expedienda tamen. (rem. 429–440)

Der Liebeslehrer referiert die Erfahrung von Liebhabern, die sich nach Anblick der signa pudenda und der nach dem Sexualverkehr aus der puella austretenden Körpersäfte voller Abscheu abwendeten und dadurch ‚entliebten‘; daraufhin scheint er dem Schüler das praeceptum zu geben, dass er die puella nach dem Koitus auf der Toilette beobachten solle, um durch die Aversionstherapie von der Liebe zu ihr geheilt zu werden.

Begegnete man dieser Passage außerhalb ihres Kontextes und konfrontierte man den Leser mit der Frage, in welche literarische Gattung man diesen Auszug thematisch einordnen müsste, könnte dieser vielleicht ‚Jambus, Epigramm‘ oder, wie Brunelle, ‚Satire‘2 als Antwort geben. An die römische Liebeselegie wäre vermutlich weniger zu denken. Und doch entstammt dieser Auszug Ovids Remedia amoris, die Ovid selbst (v. a. durch den Literaturexkurs in den Remedia, V. 361–396) in die Tradition der kallimacheischen und der liebeselegischen Dichtung einordnet (besonders V. 379–386). Der zitierte Textauszug aus dem Ende des ars agendi-Parts der tractatio weist aber eindeutig Elemente auf, die sich aus den oben genannten Gattungstraditionen speisen und zu deren prominenten Vertretern Horaz mit seinen Epoden und Sermones gehört.

Die Bedeutung horazischer Texte für Ovids liebesdidaktische Tetralogie, v. a. die Remedia, ist bisher eher vereinzelt Gegenstand der Forschung geworden. Zu nennen sind besonders Roy Gibsons (2007) Monographie und Brunelles (2005) Aufsatz. Gibsons Schwerpunkt liegt auf dem ‚neuen Mittelweg‘,3 den Ovid in seiner Ars amatoria unter Bezug auf etwa Horaz (z. B. sat. 1, 2) und Properz eröffnet, und darüber hinaus auf der ethisch-poetischen Diskussion um das decorum in der erotodidaktischen Tetralogie.4 Für die Remedia beschreibt er „Ovid’s assault on the [Anm.: Horace’s] Ars Poetica“5, da Ovid anti-horazisch für ein dezidiert unelegisches Thema die elegische Gattung wählt und so Horaz’ Weisungen in der Ars poetica widerspricht (vgl. Hor. ars 73–92) – und ausgerechnet in dieses Werk seinen poetologischen Diskurs zur Angemessenheit von Metrum und Inhalt integriert.6 Damit geht Gibson mit der Brunelle’schen Beobachtung d’accord, dass Form und Funktion der Remedia einen Gegensatz bilden.7 Davon abgesehen spielen die Remedia für Gibson jedoch keine weitere Rolle. Brunelle richtet nun den Blick konkret auf den letzten Teil von Ovids Tetralogie und führt einige Passagen an, in denen die Remedia mit Horaz’ Satiren vergleichbar sind – topisch, hinsichtlich des Tonfalls und der Sprecherhaltung und intertextuell. Seine Ergebnisse sollen Ausgangspunkt für weitere Beobachtungen sein, in denen ich die Remedia und Horaz’ Satiren in das Zentrum meiner Überlegungen stelle. Auch hier greife ich auf mein Modell der Intertextualitätspyramide zurück.

Brunelle verknüpft seine Beobachtungen zum Einfluss satirischer Gattungselemente in den Remedia zunächst mit der Fragestellung, inwiefern neuere Sichtweisen auf „Ovide moralisé“ Gültigkeit beanspruchen können.8 Er fordert dabei, dass man stets das elegische Setting der Remedia beachten müsse und man Ovid natürlich nicht primär als Satiriker einordnen dürfe – und dass die aktive Rolle des Lesers für das Aufkommen satirischen Humors zentral sei.9 Eben die Interaktion des Textes mit dem Leser und seine Suggestivität, mit der er eine Reaktion des Rezipienten hervorruft, sind die Basis für Brunelles intertextuelle Analyse. In V. 399–440 zeige sich, so Brunelle, ein nicht mehr didaktisches, sondern vielmehr satirisches Element der Remedia,10 das sich auch in den Satiren des Horaz findet. So etwa in der erotodidaktisch geprägten Satire 1, 2, die Markus Janka als „satirische Ars amatoria“ bezeichnet hat:11 Dem Weg des „happy medium“12 entsprechend solle man, so die Weisung der horazischen Persona, keinen Matronen nachstellen, um dadurch der Bestrafung als Ehebrecher zu entgehen, und nur mit Libertinen schlafen – dabei aber auch nicht Maß und Ziel vergessen und seinen guten Ruf und das Vermögen verprassen (vgl. Hor. sat. 1, 2, 47–63). Der satirische Liebeslehrer referiert dabei das nur hypothetisch hilfreiche Beispiel, dass man seine Leidenschaft von den dolores, die eine Beziehung mit verheirateten Frauen mit sich bringt, befreien könne, wenn man sich die Unerreichbarkeit der Geliebten schönrede.13 Letztlich konfrontiert er ihn aber höhnisch mit der Nichtigkeit dieses Vorschlags: hiscine uersiculis speras tibi posse dolores / atque aestus curasque grauis e pectore tolli? (Hor. sat. 1, 2, 109f.). Damit ist nun Ovids Relativierung seiner Beispiele und Weisungen ex post vergleichbar, durch die er seinen Leser – sowie die fiktiven Gewährsmänner seiner Beispiele – der Lächerlichkeit preisgibt:14 luditis, o si quos potuerunt ista mouere (rem. 433). Im Rahmen der Weisung, die sich auf die ‚Toiletten-Schau‘ bezieht, offenbart der praeceptor sanitatis im Anschluss sogar den praeteritio-Charakter dieses Vorschlags:15 di melius, quam nos moneamus talia quemquam! (rem. 439). Erst nachdem sich der Leser damit auseinandergesetzt hat, distanziert sich Ovid wiederum davon. Hierin sieht Brunelle eine Referenz sowohl auf Horaz’ Satire im Besonderen als auch auf die Gattung Satire16 im Allgemeinen: „Ovid’s brief inclusion and derision of another man’s erotic experience links him to the aggressive rhetorical world of satire.“17 Die Präsenz des Satirischen manifestiert sich aber nicht nur in dieser Sprechhaltung, sondern auch in der inhaltlichen Gestaltung der Passage. Denn eine derart explizite (wenn auch retrospektiv zurückgenommene) Aufforderung, dass der Schüler sich so Hässliches und Abstoßendes vor Augen führen solle wie Vaginalflüssigkeit, Sperma und letztlich sogar Exkremente, sprengt die Grenzen der Gattung Liebeselegie und ist mit ihrer impliziten Grammatik nicht mehr vereinbar. Denn in ihr herrscht ein Verbot der Obszönität.18 Auch findet man nirgends innerhalb der Liebeselegie eine ausführliche Beschreibung dieser Flüssigkeiten – maximal liest man von Blut oder Tränen, die zu „controlled substances“ gehören.19 Und nicht einmal die in den Amores thematisierte Abtreibung (am. 2, 13 und 2, 14) ist in so abstoßenden Formulierungen besprochen.20

 

Diese Flüssigkeiten sind, so Brunelle weiter, mit abwertenden Attributen21 versehen und dabei, im Sinne der Zielsetzung, primär der Frau zugeordnet, wodurch eine gewisse „gendered disparity“22 entsteht, die wiederum eine Parallele zur Gattung Satire und zu Horaz (bei der Verspottung der Hexen in sat. 1, 8)23 darstellt; der Effekt der Bloßstellung der Frau und ihrer Negativzeichnung werde bei Ovid schon in der Kosmetikpassage (vgl. rem. 351–356) vorbereitet, in welcher der Gestank des weiblichen Makeups ebenfalls als remedium amoris genannt wird.24 Sowohl der männlich-spöttische Blick auf die Frau im Badezimmer als auch die Fokussierung von Exkrementen25 würden auf das satirische Genre verweisen. Und:

A woman who is unpleasantly and uncontrollably wet looks less like the typical elegiac puella and more like the typical target of Roman satire, a genre that derives much of its invective from a focus on the leaky and imperfect body and a condemnation of female bodily fluidity.26

Ich gehe, in Fortführung von Brunelles Beobachtungen und Ergebnissen, ein paar Schritte weiter und frage konkret, ob und inwieweit Horaz’ Satiren und auch sein Buch der Epoden spezifische Intertexte darstellen, auf die Ovid in seinen Remedia rekurriert, und welche Referenzen Gattungstraditionen und welche diesen Prätexten zu schulden sind. M. E. sollte man nicht nur die (horazische) Satire als konzeptionelle Folie betrachten, sondern in Verbindung damit zudem den Jambus. Denn beiden Gattungen, die bei Horaz ähnliche Charakteristika aufweisen und bei intertextuellen Analysen somit eine gemeinsame Betrachtung legitimieren, eignet eine obszöne und noch dazu aggressivere und stärker decouvrierende Topik, als sie für die Elegie typisch ist, und beiden Genres kann man für die auffällig unelegischen Passagen der Remedia Einfluss zuschreiben. Die Themen der Obszönität und der ‚Rezipientenaktivierung‘ sind nicht auf die Satire beschränkt,27 sondern können, wie später zu zeigen ist, auch dem Jambus zugeordnet werden. Auch aus gattungsgeschichtlicher Perspektive lässt sich diese Herangehensweise begründen. Denn wenngleich die römische Satire ein eigenständiges Genre darstellt, so unterscheidet sie sich doch in vielerlei Hinsicht nicht von der griechischen Jambik, von der sie neben der Komödie stark abhängt:28 Besonders der satirische Sprechmodus, das ἰαμβίζειν, ist als konstitutiv für jambische und die späteren satirischen Texte zu betrachten.29 Auch David Mankin weist in diese Richtung, wenn er die invektivische Gattung unter die Kategorie „blame poetry“ subsumiert, in der es durch Kritik an verletzten sozialen Codes letztlich um deren Affirmation geht:30 Denn dies ist nicht nur für den Jambus, sondern auch für die römische Satire zentral.31 Trotz gradueller Unterschiede bleibt also mit Blick auf die bestehende Forschung festzuhalten, dass beide Gattungen grundsätzlich und darüber hinaus in ihrer horazischen Gestaltung eng miteinander verbunden sind.32

Zum Zweck einer übersichtlichen Argumentation sind diese zusammenhängenden Gattungen aber getrennt voneinander zu analysieren. Zuerst ziehe ich einzelne Satiren des Horaz, auf die Ovid intertextuell und motivisch Bezug nimmt, für meine Untersuchung heran.33 Danach werden jambisches Sprechen im Allgemeinen und Horaz’ Epoden als eine Manifestation des Jambus fokussiert; dafür ist auch die Berücksichtigung von Traditionen, die durch das horazische Vorbild Archilochos von Paros (vgl. Hor. epist. 1, 19, 24f.) und besonders Hipponax sowie durch hellenistische Weiterentwicklungen etwa bei Kallimachos begründet sind, und die für Horaz bedeutsam waren, nötig.34 Über all dem sollen aber grundlegende Interpretationsfragen stehen, die immer die ovidischen Remedia als Spitze der Intertextualitätspyramide in den Blick nehmen: Warum bezieht sich Ovid auf die besagten Horaztexte und Gattungstraditionen, wie lässt sich die Natur dieser Intertextualität näher bestimmen? Und welche Funktion kommt den satirischen und jambischen Elementen für die Gesamtkonzeption der Remedia zu?35