Spree-Babe

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Eifrig stöberte der Hund zwischen den kahlen Büschen. Ich beschloss, die Seitenstraße hinunter zu gehen und noch eine kleine Runde in dem anderen Park zu drehen. Der war so weitläufig, dass die tief stehende Sonne trotzdem die Wege unter den unbelaubten Eichen erreichte und wenigstens einen Hauch von Wärme vortäuschte.

„Hier! Hier!“ Mit einem scheppernden Laut knallte der Ball gegen den Zaun des Basketball-Platzes. Jubel der Gegenseite. Mit markigen Sprüchen wurden Wasserflaschen rumgereicht. „Ja-ha-ha! Da musste schon früher aufstehen!“

Noch früher? Auch in dieser Grünanlage tobte das Leben am frühen Samstagmorgen.

Als ich am Vorabend gegen dreiundzwanzig Uhr noch einen kurzen Gang mit dem Hund gemacht hatte, hatte ich doch tatsächlich eine Gruppe lachender Jugendlicher auf dem Spielplatz entdeckt. Sie hatten jede Menge Bierflaschen und Kerzen dabei, zwei versuchten kichernd einen Kanonenschlag zu zünden, ein Überbleibsel der Silvesternacht. Nun, an diesem frühen Samstagmorgen, bewachten zwei fröhliche Väter in trendy Tarnfleckklamotten ihre dick vermummten Sprösslinge, die sich laut kreischend auf einem Karussell drehten, die Rucksäcke mit Schrippen, Sojamilch und Cola deponiert auf einem langen Holzkrokodil, das trotz der langen Zähne glubschäugige Gutmutigkeit vermittelte.

Nie werde ich meinen ersten Winter in Berlin vergessen – die „lange Nacht der Museen“. Zehn Grad minus, so glatt, dass man sich kaum auf den Beinen halten konnte, aber die frostresistenten, Schlange bildenden Berliner schienen das nicht zu bemerken. Munter plaudernd harrten sie vor den Gebäuden aus, bis genügend unternehmenslustige Kulturhungrige wieder heraus kamen und der nächste Schub eingelassen wurde. Es gab Stände mit Glühwein, Kesselgerichten und die unvermeidlichen Curry-Würste, aber die Stehtische vor den Kiosken waren genauso umringt und – ich konnte mich nicht genug wundern: die Berliner tranken kaltes Dosenbier - mitten in der Nacht, bei zehn Grad minus!

Lachend und frierend hatte ich mich in den Arm meines neuen Freundes gekrallt. Irgendwann in irgendeinem Museum waren wir verstohlen kichernd hinter eine Absperrung geschlüpft und hatten herzklopfend Sex im Stehen, während über uns die nichts ahnenden Museumsbesucher die gewundene Schnörkeltreppe hoch stapften. Ich weiß noch genau, dass ich ihn in dieser Nacht für einen phantasievollen Liebhaber hielt – völlig zu Unrecht, wie ich innerhalb weniger Wochen feststellen musste.

Ich drehte mich suchend um nach meinem Hund und sah, wie ein hellbrauner Kampfhund im gestreckten Galopp über die verschneite Wiese heran sauste und sich Schwanz wedelnd auf meine Hündin stürzte. Seine „Pistole“ zeichnete sich deutlich gegen den Schnee ab. Ein Rüde – Gott sei Dank.

„Was issen das für eine Rasse?“ Die obligatorische Frage. Meine Cayenne ist eine ungarische Vorstehhündin, genau genommen ein Magyar Vizsla, aber die Rasse kennt kaum einer. Unter der schwarzen Wollmütze musterten mich interessierte blaue Augen und lauschten aufmerksam meinen kinologischen Erklärungen. Süß, richtig süß.

„Gehen wir ein Stück?“ Ich nickte und war froh, dass ich mir schon die Wimpern getuscht hatte. Die Hunde tobten einträchtig durch den Schnee und das leckere Herrchen hatte längst seine Hände aus den Taschen genommen um seine Erzählungen vom Auffinden des vierbeinigen Waisenkindes gestenreich zu untermauern. Der liebste Hund von der Welt sei er, der Rocky. Da das muskulöse Tier konstant mit dem Schwanz wedelte, glaubte ich Herrchen sofort. Ob wir nicht öfters zusammen gehen sollten, fragte er und sah mich erwartungsvoll von der Seite an. Es sei doch auffällig, wie gut sich die Hunde verstehen würden, legte er nach als ich nicht augenblicklich nickte.

„Okay.“ Es fiel mir nicht schwer zuzustimmen und speicherte eifrig seine Handynummer ein – M I R K O. Es stellte sich heraus, dass wir nur hundert Meter voneinander entfernt wohnten, was er „echt cool“ fand. Ich auch, aber das sagte ich nicht. Auf meinen Pfiff kam mein wunderbarer Jagdhund herbei gesaust und blieb hechelnd an meiner Seite, während ich eilig der warmen Wohnung entgegen strebte. Ein Blick über meine Schulter zeigte mir, dass Herrchen uns immer noch hinterher schaute. Die Hände hatte er wieder tief in seiner Jacke vergraben und der Hund schnüffelte Schwanz wedelnd zu seinen Füßen.

Bestimmt hat er eine Freundin, dachte ich oder LAT – Living Apart Togehter. Grad neulich hieß es noch LAG – Lebensabschnittsgefährte, aber das getrennt leben hat sich wohl durch gesetzt in der Single-Stadt Berlin. Es hat ja auch seine Vorzüge: So kann Mann damit glänzen, wenn er von langer Hand ein spontanes Abenteuer organisiert hat und Frau überraschen, auch wenn ein verregnetes Angelwochenende zu zweit im Einmannzelt an der Havel ihr dann doch zu abenteuerlich ist. Da hätte er mit einem Wochenende in Venedig besser punkten können. Wenn es dort regnet, ist es trotzdem noch romantisch, außerdem gibt es viele nette Dinge in den trockenen Geschäften zu kaufen.

Na ja, und welcher Mann hätte nicht gern eine französische Geliebte, die nach einer heißen Nacht wieder in ihre eigene Wohnung verschwindet und sich lüstern seufzend nichts anderes von ihm wünscht als sein schmutziges T-Shirt und eine leere Bierflasche. So preiswert kriegt der nie wieder ein Geschenk in die Post! Dass er da noch versonnen lächelnd ein Blechauto als Zugabe drauf legt und das Porto übernimmt, wundert nicht. Ohrstecker oder ein Ring wären deutlich teurer gekommen. Okay – das Pfand für die Flasche ist futsch, aber immerhin besteht die vage Hoffnung, dass er sein T-Shirt irgendwann gewaschen zurückbekommt.

Aber wer weiß - vielleicht war das ja auch nur der werbeverfilmte Wunschtraum eines geizigen Bierbrauers und die Männer sind gar nicht so…

ierHHiiiHH H

Berlin WM

„… sind die Fahnen nun knapp geworden.“ Zerknirscht gestand der Sprecher des Kaufhofes dem ZDF-Reporter, dass sie der unerwartet großen Nachfrage nach Autofahnen, nach deutschen Autofahnen wohl bemerkt nicht gewachsen seien. Karstadt könne noch liefern, aber es sei alles sehr knapp. Die mütterlichen Inhaberinnen von Souvenirläden gaben ebenfalls auf Befragen an, dass die kleinen deutschen Autoflaggen sehr begehrt und rar geworden sei, weswegen sich der Preis verdreifacht habe.

Sofort schnappte ich mir Schlüssel und Portemonnaie und sauste zum Chinamann. Der sitzt ein Haus weiter zwischen Eisdiele und „Mutti`s Bierquelle“ und kann einem in vielen Lebenslagen helfen: Socken, Montageschaum, Tigerfelle aus echtem Plüsch, die allerschönsten Weihnachtskarten für 50 Cent. Nicht etwa Ostern, sondern dann, wenn man sie wirklich braucht - nämlich zur Adventszeit. Seine Nähmaschine ist immer einsatzbereit gleich neben der altmodischen Klingelkasse und seine Frau möglicherweise stumm, denn sie schlurft immer nur freundlich lächelnd umher und begleitet einen bisweilen an die Tür. Dieses unbedarfte chinesische Ehepaar unbestimmten Alters verkauft die in der gesamten Hauptstadt heiß umkämpften Fähnchen für 1,99 Euro! Ja!

Ich kaufte zwei. Heute spielt Deutschland. Gegen wen noch mal? Ist ja auch egal – wir gewinnen, soviel ist mal klar. Die kleinen Fahnen beflügelten meine Vorstellung von jubelnden deutschen Fans.

Wo ist der Wagen? Der Kampf um einen Parkplatz wird alltäglich und ganzjährig gefochten. Je später der Abend desto verwegener die Bereitschaft, das nützliche Gefährt irgendwo abzustellen. Deshalb steht man morgens manchmal recht ratlos an der Ecke und versucht sich den Vorabend ins Gedächtnis zu rufen. Ach, ja… Au - am Park! Verdammt, der Wagen steht halb auf dem Parkweg. Jetzt aber fix, bevor die Ladies vom Ordnungsamt kommen.

Immerhin – heute fand ich den kleinen Vitara, der sich wegen seiner schwarzen Lackierung und auch wegen der Außentemperatur von rund 32 Grad Celsius kurz vorm Kochen befand, ordnungsgemäß in einer Parklücke. Euphorisch ließ ich die Fenster herunter und klemmte die Fähnchen an die Scheibe. Super!

Eine Frau in Sommerkleid und fröhlich schwingendem Laptop lachte. Ich setzte mich hinters Lenkrad um ein Gefühl für mein beflaggtes Auto zu entwickeln. Hinter mir hupte es. Im Rückspiegel sah ich kleines rotes Wägelchen mit sage und schreibe vier Flaggen übers Kopfsteinpflaster rumpeln. Ja! Wir gewinnen heute - keine Frage!

Leider muss man aber die Scheiben ganz hochdrehen um die Fahnenhalterung zu fixieren. Bei der Hitze mit geschlossenen Scheiben fahren? No way, José! Also, Fähnchen wieder ab, die schrägen Kippfenster hinten öffnen, Fähnchen anklemmen, Fenster schließen. Hoffentlich hält das! Und: kann ich den nationalen Neuerwerb alleine lassen? Jetzt, wo sie für die Bundesbürger so wertvoll geworden waren? Ich sah mich um: jeder dritte Wagen war beflaggt.

Leon staunte nicht schlecht, als ich ihn von der Kanzlei abholte. Mit ungläubigem Grinsen umrundete er den schwarzen Geländewagen. Ich rutschte auf den Beifahrersitz und überließ ihm das Steuer. „Also, das hat was“, meinte er zufrieden und fädelte sich in den voller bereits gefühltem Siegestaumel hupenden Stau ein. In diesen Tagen wurden eben alle Wagen zu Staatskarossen - für 1,99 Euro, wenn man Glück hatte!

Daheim gab´s eiskalte Weißweinschorle und wahlweise Bier. Ich lief mit meinem Glas in der Hand zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her, kochte einen Haufen Riesengarnelen mit Ingwer, Chili und Zitrone und verpasste so die ersten beiden Tore, die just fielen, als ich mal eben kurz umrühren ging. Die Nachbarn schossen Silvesterböller vom Balkon und ich stieß kurz ins Jagdhorn. Tätää!

„Los, geh in die Küche“, grinste Leon. „Dann fällt bestimmt wieder ein Tor!“ Es klappte!

Als nunmehr ganz echte Sieger fuhren wir mit Dauergehupe zur Museumsinsel. „Und morgen? Wo kriegen wir nun mexikanische Fahnen her?“ fragte Leon. „Da!“ Da stand es: „Flaggenhaus“. Gerettet! Kurz vorm Alex stießen wir per Zufall auf dieses schöne Geschäft. Und gleich daneben ein Verkaufsstand voller Flaggen aller Herren Länder und Schals dazu! „Halt an!“ schrie ich begeistert und tatsächlich bremste mein Leon, obwohl es doch eine Bushaltestelle war und er so was eigentlich nicht macht. Aber immerhin handelte es sich hier eindeutig um einen Notfall: morgen spielt Mexiko und wir benötigten weitere Fahnen!

 

Es dauerte etwas, bis ich den kleinen Asiaten zwischen den Bergen von Bannern und bunten Schals entdeckte. Er gab an, dass die mexikanischen Flaggen in „Winkgröße“ aus seien, bot aber eilfertig eine riesige Flagge für nur 9,90 an, dazu passend einen grün-weiß-roten Schal aus reiner Wolle mit 90%iger Beimischung von Polyacryl für 9 Euro.

„Kein Schal!“ schrie Leon vom Auto aus. Schon klar, Baby. Den Hitzetod sterbe ich lieber in deinen Armen…

Das begeisterte Hupkonzert und das Tatütata waren ohrenbetäubend. Wie ein Wiesel nahm ich die Stufen hoch zum „Flaggenhaus“.

„Haben Sie mexikanische Flaggen?“ rief ich atemlos aus. Die beiden Herren mittleren Alters waren die Ruhe selbst. „Welche Größe denn?“ fragte der Grauhaarige mit Brille. Entweder konnten sie den Hype nicht nachvollziehen oder sie waren so gut sortiert, dass sie sich diese Gelassenheit leisten konnten. Ich schöpfte Hoffnung.

„Die gibt´s von so“, er schob ein papierenes Deutschlandfähnchen mit Tischständer auf die Theke, „bis so.“ und deutete auf einen Ständer, wo übermannshoch die bunte Pracht der gesamten teilnehmenden Fußballwelt prangte. „Also, so etwa DIN A4-Größe“, platzte ich erwartungsvoll hinaus. Und: „Zwei.“ „Hol ich grade“, sagte der Mann tatsächlich und verschwand in aller Seelenruhe nach hinten.

Nun wurde ich mutig. „Haben Sie auch solche Anstecker?“ fragte ich den anderen mit Kittel und ohne Brille. „Hmhm“, sagte der wahr und wahrhaftig und zog in Zeitlupe ein großes Brett aus einer Schaufensterecke. Die bunten Metallbuttons leuchteten mir entgegen. Und so viele! „Mexiko is`nur noch einmal“, meinte er emotionslos. „Nehm` ich!“ Mittlerweile war der Andere mit seinen Schätzen zurückgekehrt. Er legte fünf eingerollte Fähnchen auf den Tresen. Wahrscheinlich täuschten die ihre Ruhe nur vor, schoss es mir durch den Kopf. Sie haben meinen Ausnahmezustand erkannt und hofften auf weitere Geschäfte. Zu Recht!

„Ich nehme alle!“ riss ich meine EC-Karte aus dem Portemonnaie. Beidhändig Fähnchen schwingend rannte ich zum Wagen. Ich fühlte die kopfschüttelnden Blicke regelrecht in meinem Rücken und musste über mich selbst lachen. „Hey, chica!“ Leon war ebenfalls begeistert. Selbstredend hielt jeder beim fahren ein Mexikofähnchen aus seinem Seitenfenster! Viva México!

Ströme von fröhlich grölenden, teilweise in Ganzkörperfahnen gewickelten Biertrinkern beiderlei Geschlechts und vielerlei Nationalitäten kam uns entgegen.

„Viva, Alemania! Viva, México Cabrones!“ Die Mexikaner hatten ihr Spiel am nächsten Tag und mischten sich schon mal samt ihren “Banderas” unter die allgemeine Fangemeinde. Entgegen ihrem Temperament waren sie heute etwas still. Beim Spiel gegen Angola war kein Tor gefallen. Unentschieden für den Frieden…

Auf dem Platz neben der Brücke war die Bärenrunde. Für jedes Land ein von einem Künstler individuell gestalteter Bär. Wo ist der mexikanische? Wo ist Deutschland? Nicht wenige Bären waren aufwendig bemalt und wirklich sehenswert! Wir machten Fotos wie die Touristen – von den Bären und von unseren lachend zusammen gesteckten Köpfen.

Als es dunkel wurde, schlenderten wir Hand in Hand Unter den Linden zurück zu der effektvoll beleuchteten Museumsinsel. Links der Dom wie eine überdimensionale barocke Schmuckdose, dahinter der Funkturm des Alex, dank Telekom in einen pink-silbernen Fußball verwandelt. Eigentlich grässlich, aber die Gegensätze in Berlin sind zahlreich und tragen auch dazu bei, dass es spannend bleibt.

„Ist das nicht eine tolle Stadt?“ riefen wir beinahe aus einem Munde aus. Lachend zog Leon mich an sich. Wir waren die glücklichsten Menschen Berlins!

Und – wir interessieren uns eigentlich gar nicht für Fußball!

Kollwitzplatz

Ich spähe durch die Glastür und sehe Dani durch die offene Werkstatttür. Lachend schwenke ich die Flasche Rotwein. Sie drückt den Öffner und ich trete ein. „Komm, Maria, nimm dir einen Stuhl!“ Ruft sie. Mira schüttelt ihre rote Mähne, eine Selbstgedrehte zwischen den Lippen und hält einen Strang mit Edelsteinen hoch. Neugierige Augen sehen mich an. Ein blonder Typ, schwarze Jeans, schwarzes Polohemd, neben sich und zwischen seinen weit gespreizten Beinen Musterkoffer mit Juwelen. Toll. Das muss ich sehen!

„Das ist Jörg. Jörg, das ist Maria.“ Ich sitze ihm gegenüber. „Los, guck mit!“ Befiehlt Dani.

Welche Frau ließe sich das zweimal sagen? Juwelen, Edelsteine - echte! Und so viele. Mira lachte heiser. Aus den Augenwinkeln sehe ich wohl, wie sie ihn taxiert. Jedes Mal, wenn er so eine dicke Stoffrolle, in die die Stränge mit den bunten Steinen eingewickelt sind, verstaut, spannen sich seine Armmuskeln. Lecker.

„Die sind toll. Zeig mal. Sommerfarben.“ Dani hält einen Strang mit ungeschliffenen wasserfarbenen Steinen gegen das Licht. „Probier mal, wie sie auf der Haut aussehen.“ Schlägt Jörg vor und deutet auf mich. Ich halte Dani meinen Unterarm hin. „Am Hals.“ Korrigiert er. Ich strecke meinen Kopf hoch und spüre die kühlen Steine auf der Haut. „Die sind echt schön“, murmelt Mira mit schräg gelegtem Kopf. Sie hilft öfters aus in der Goldschmiede und hat bereits ein Auge für die Ware entwickelt. „Aber nix für den Wald“, antwortet Dani resolut. Und: „Maria ist nämlich Jägerin.“ „Wie? Echt jetzt? So mit Gewehr und so?“ Jörg macht große Augen.

Warum kommt diese Frage immer wieder? Soll ich mit Steinschleuder und Netz losgehen oder was? „Hier gibt´s ja auch echt viele Wildschweine in Berlin.“ Erklärt sich Jörg meine in seinen Augen wohl unheimliche Passion selbst. Tatsächlich beherrschen gerade in diesen Tagen die Sauen die Schlagzeilen: „Schwein beißt Frau!“ oder „Was tun, wenn die Schweine kommen?“ Ist ja auch klar: Im Frühjahr beschützen die Bachen, das sind die Muttertiere, ihre Jungen. Kläffende Hunde und Menschen, die ihnen zu nah auf die Borsten rücken, werden als feindlich eingestuft und vertrieben, notfalls mit Bissen. Irgendwie übersehen die Berliner Wildschweine aber, dass sie in die Wohngebiete der Menschen vorgedrungen sind und nicht umgekehrt. Aber das erkläre mal so einem schnaubenden Muttertier. Eine Mauer oder ein Baum sind da allemal die bessere Alternative.

„Ja,“ sagt Mira, „da sei mal schön vorsichtig.“ Ihre Augen glitzern wohlgefällig als Jörg mich mit geöffneten Lippen anstarrt. Mein Augenaufschlag ist in dem Moment ganz Bambi. „Sag mal, Jörg“, schaltet sich Dani ein, „letztes Mal warste noch Single.“ „Eh, ja. Das ist immer noch so“, stottert er verlegen. „Echt?“ Frage ich erstaunt nach. „Bei dem Sortiment?!“ und deute auf seine Edelsteinvorräte. Er lacht verlegen.

Hat der seine Hose irgendwie auf, oder was? Ich sehe, wie etwas Weißes zwischen seinen Beinen schimmert. Genau an der Stelle. Oder ist die Naht kaputt? Überhaupt sieht die ganze Stelle etwas dick aus. Au, weia. „Mensch, Jörg. Da können wir doch was für dich tun!“ Lacht Mira anzüglich. Ihre Armreifen klirren, als sie sich durch die lange, rote Mähne fährt. Der Mann mit der Schatzkiste schaut etwas verlegen und ruft dann begeistert aus: „Also, bei euch am Kollwitzplatz kommt es mir vor wie bei „Sex and the city“!“ Wenn das kein Kompliment ist. Er erklärt, dass er dank seines Singledaseins ungehemmt und wochenlang zum tauchen auf die Malediven und die Philippinen fahren könne und es genieße, niemandem Rechenschaft zu schulden.

Wir glauben ihm kein Wort. Zwischen Dani, Mira und mir herrscht stillschweigende Überzeugung, dass diesem Enddreißiger nichts lieber wäre, als von zarter Frauenhand an die Badehose gepackt und am abtauchen gehindert zu werden.

Wannsee

In Berlin wird ja überall gedreht. Kein Tag, ohne dass im Radio Durchsagen kommen, welche Straße wegen Dreharbeiten gesperrt sei oder ohne Sonderverkehrsschilder, die besagen, dass wegen Filmarbeiten in der Straße nicht geparkt werden könne. Massen von Schauspielern, Komparsen, Kameraleuten und Aufbauhilfen. Und ganz wichtig: das Catering. Die Berliner sind an Prominente gewöhnt und lassen Sie in Ruhe. Auf diese Weise stöbert man auf dem Q-damm bei „Strauss 1822“ neben Jürgen Vogel in den Sonderangeboten der Weihnachtsdeko oder greift samstags auf dem Markt am Kollwitzplatz zum selben Salatkopf wie der Thierse. Jan-Josef Liefers hält im Cafe' am Neuen See genauso Ausschau nach einem Sitzplatz wie alle anderen auch. Ich dachte, ich geh mal zum Film.

Zum fünften Mal tanzten wir nun direkt am Bühnenrand zu „Boogie, Boogie dance“. Leider ohne Musik. Diese wurde immer nur kurz eingespielt, damit wir den Rhythmus aufnehmen konnten und dann war absolute Ruhe für die Akteure mit Sprechrollen in unserem Rücken. Die Live Band legte sich genauso ins Zeug wie wir: lautlos hämmerte der Drummer auf seinem Schlagzeug herum, von den beiden Gitarren war gelegentlich ein leises, metallisches „ping“ zu hören, der Keyboarder tobte hinter seinem Instrument herum und sang mit weit geöffnetem Mund den Refrain mit. Auch lautlos. Der Trompeter blies die Backen auf, aber aus dem munter kreisenden Blasinstrument war kein Tönchen zu hören. Die frenetische Party wurde von einem riesigen Ballon in unserem Rücken beleuchtet, denn es war der einzige Regentag der Woche und dabei sollte es laut Drehbuch doch eine Beach Party in der Sonne sein. Diese hatte sich aber unerlaubt drehfrei genommen und so kam der ganze Juli aus der Steckdose.

Sobald die Kamera aus war, kamen eilige Helfer angeflitzt und verteilten große Regenschirme. In meinem Fall nützte das herzlich wenig. Meine mit viel Mühe glatt gefönten Haare hatten sich durch die Feuchtigkeit bereits in eine voluminöse Wuschelfrisur verwandelt. Zweimal hatten Stylistin und Visagistin versucht, diese wunderbare Verwandlung, für die andere Frauen viel Geld bezahlen, rückgängig zu machen. Aber da meine Haare genauso widerspenstig sind wie mein Wesen, gaben sie auf, obwohl ich doch eine „feine Geschäftsfrau und Sponsorin“ darstellte.

Unter dem bunten Regenschirm kamen mein Filmpartner und ich uns langsam näher. Er war groß und hatte ein attraktives Gesicht. Leider hatte er die selbe Frisur wie ich und das fand ich weniger attraktiv. Er glaubte fest, „das Glück sei uns hold“, da wir einander zugeteilt wurden und räumte verschwörerisch ein, dass dieses Glück ja möglicherweise über den Drehtag hinaus anhielte. Ich glaubte das kein bisschen. Immerhin verhielt er sich wie ein Gentleman. Ich hätte es wesentlich schlechter treffen können. Die Rocker, die von der Castingagentur angeheuert waren um im Hintergrund rumzulungern, hatten sich mal eben erkundigt, ob ich auch genügend Kondome in meiner Handtasche habe, als ich diese hinter dem Tresen verstauen wollte. Einzeln unterm Schirm wäre so ein Kerl wahrscheinlich auch ganz zahm, hoffte ich. Immerhin weiß man nie, was das Drehbuch noch so hergibt. Manchmal hatten die Regisseure sehr spontane Eingebungen, die sie gegen jedwede Ratschläge und ganz besonders gegen das Gemecker der Beleuchter, die dann alles wieder ändern müssen, durchsetzen. Dieser Regisseur war besonders streng. Ich fand es allerdings auch nicht angenehm, dass die gesamte Komparsenbande ständig am murmeln und kichern war. Je länger es am Set dauert, desto später kommt man nach Hause und das will doch keiner! Also schimpfte er kräftig mit Hilfe seines Megaphons, was allerdings niemanden richtig beeindruckte. Ich weiß nicht, ob es daran lag oder ob uns das Glück eben doch nicht hold war an jenem Tag. Jedenfalls probten wir das Flüchten vor dem Gewittersturm „bis der Arzt kommt, denn wir haben nur einen Versuch“, wie er drohte. Ach, wäre es doch so gewesen! Mitternacht war vorbei, der echte Regen längst weiter gezogen. Es schien eine richtig schöne Sommernacht zu werden.

„So, Leute!“ brüllte der Regisseur mahnend durchs Megaphon. „Wir drehen! Jeder auf seine Position! Und denkt dran: weiterlaufen bis durchs Tor, auch wenn ihr durch den Regen durch seid!“ Klarer Fall. So eine Regenmaschine hat zwar unüberschaubare Mengen Regen an Bord, aber eine recht überschaubare Rieselfläche. Da die Kamera den flüchtenden Partygästen hinterher sah, wirkte es als würde die Welt ganz normal untergehen unter den weit geöffnetem Schleusen des Himmels.

Begeistert tanzten wir zu dem lautlosen „Dance, boogie, boogie, dance“, als die ersten Birnen der bunten Lichterkette platzten. Das einzige, an das ich denken konnte, waren die kalten Fluten, die nun jeden Moment auf uns niederprasseln würden. Ganz planmäßig drang Qualm aus den riesigen Boxen auf der Bühne, worauf die Musiker schnell ihre Instrumente wegstellten und vorschriftsmäßig nach hinten von der Bühne sprangen. Die Windmaschine war längst eingeschaltet, die ersten Gläser fielen von den Stehtischen, Röcke und Haare schienen nichts mehr von Schwerkraft zu wissen. Als die ersten Blitze zuckten, sahen wir weisungsgemäß nach oben. Gerade rechtzeitig, um in den geöffneten Fang der Regenmaschine zu sehen, die völlig planmäßig echtes Entsetzen auf unsere Gesichter zauberte. Schreiend fasste ich mich in die Haare, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Meine Hände hielt ich dabei schützend über den Kopf und mein Gesicht nach unten. Als wir am Tor ankamen, lachten die meisten. Erleichtert schüttelte ich meine feuchten Locken. So schlimm war es gar nicht gewesen. Puh! Feierabend!

 

„Halt! Halt!“ schrie Daniel, der die ganze Bande zurück wedelte. „Wir müssen das nochmal machen!“ Was?? „Ihr habt zehn Minuten um euch zu trocknen, dann treffen wir uns wieder am Set!“ Oh, nein!

Die Frauen drängten sich um die Spiegel und halfen sich gegenseitig mit Handtüchern und Spray. Jetzt machte sich meine Wuschelfrisur bezahlt. Sie war zwar merklich in sich zusammen gesackt, hatte aber noch 1 A Wellen. Gut gelaunt baute ich mich wieder vor der Bühne auf. Die Musiker waren schon wieder auf ihren Plätzen und scherzten untereinander. Andre' grinste. Das Volksgemurmel war merklich leiser und so kam der nächste Regensturm recht flott über uns. Schreiend fasste ich meine Locken und rannte los. Das Kleid klebte schon nach zwei Metern an meinem Rücken und ich spürte die kalten Rinnsale, die aus den Haaren meinen Nacken hinunter liefen. Am Tor schauten alle erwartungsvoll nach hinten. „So, jetzt aber!“ Da Daniel das Gewitter und sämtliche Scheinwerfer im Rücken hatte, konnten wir sofort sehen, dass er kopfschüttelnd auf uns zu kam. „Was?“ schrien alle durcheinander. „Schon wieder nichts geworden?“ „Ihr seid noch zu trocken, sorry. Zehn Minuten!“

Obwohl ich mich beeilte, waren schon etwa doppelt so viele Menschen in Klo und Vorraum, als auch der allerlässigste Brandschutzabgeordnete zugelassen hätte. Egal, hier würde eh nix brennen. Während die Frauen nach dem ersten Schauer den Waschraum für sich hatten, erkämpften sich die Männer nun auch einen Platz vor dem Spiegel, denn es gab keine Geschlechtertrennung. Schnell riss ich mir einige Meter von der Küchenkrepprolle und drückte das saugfähige Papier in meine nun geraden Locken. So gut es ging, quetschte ich mich mit fünf weiteren Mädels unter den Händetrockner, dessen heiß begehrter Luftstrom leider sehr begrenzt war. So wurde keine richtig trocken. Ich trat auf den Gang, gerade rechtzeitig, um von der netten Visagistin ein Frotteetuch zu ergattern. „Leute! Zurück zum Set!“ Richtig trocken war niemand, aber keiner wollte mehr pingelig sein. Hauptsache, das Ding in den Kasten kriegen. Wir wussten alle: jetzt kam es wirklich dicke! „Boogie, boogie, dance!“ Krach, bumm, bäng, zisch, Sturm, entsetzter, wirklich entsetzter Blick nach oben und dann schüttete der Wettergott, äh, Wetterregisseur tonnenweise Regen über uns aus. Jeder Tropenregenmacher wäre vor Neid erblasst. Wir selbst hatten dafür keine Zeit. Wir rannten schreiend und japsend die Einfahrt hoch, stolperten an Bootsanhängern mit Segelbooten vorbei, versuchten uns zu fassen und nicht unsere Schuhe zu verlieren. Das klappte nicht bei jedem. Eine Frau hüpfte schreiend auf einem Fuß und versuchte, ihren Absatz aus den Pflastersteinen zu ziehen. Glücklicherweise hatten meine Sandalen einen hohen Keilabsatz und so war ich, die nur Stiefel gewöhnt ist, recht flott am rettenden Tor. Das Wasser rann meine Kopfhaut hinab, dieses Mal nicht nur über den Nacken, sondern auch übers Gesicht. Die wasserfeste Wimperntusche kannte keine Regenmaschinen und brannte in den Augen. Bei jedem Schritt klatschte das nasse Kleid gegen meine Schenkel. „Okay“, dachte ich. „Das können wir nicht wiederholen. Niemand wird hier wieder so schnell trocken.“ Ganz richtig kam von Daniel dann auch ein erlösendes Winken. Tief seufzend strebten alle zur Umkleidekabine, wo wir alles unter Wasser setzten. Völlig schuldlos, denn die Fluten verließen ganz selbständig unsere Haare und die Kleidung.

„Leute!“ übertönte Daniels Stimme munter das Kichern und Brummen der Wassermänner und -frauen. „Gute Nachricht: alle bekommen Nachtzulage!“ „Na, wenigstens“, dachte ich, „dabei ist es erst 2:10 Uhr“

Schlüter Straße

Hinge mein Liebesleben von dem guten Kontakt zu meinem Nachbarn ab, den ich nach Aussagen der Hersteller von „Glasklar-Wunderbar“ mit nichts anderem becircen kann, als mit funkelnden Weingläsern, wäre ich wahrscheinlich stolze Besitzerin einer männlichen Gummipuppe (Gibt´s so was eigentlich??). Solche Gläser besitze ich nämlich nicht. Natürlich sahen sie anfangs so glänzend aus, aber die Spülmaschine hat allen früher oder später den Garaus gemacht. Von Hand spülen kommt nicht in Frage. Als Kind war ich schließlich Zeugin, wie meine Mama auf ein Spülmittel reingefallen ist, das die fleißige Hausfrau angeblich so ganz nebenbei mit streichelzarten Händen belohnt. Es kam schnell heraus, dass das gelogen war und mein Dad kaufte eine Spülmaschine. Er sah ein, dass es sonst aus ist mit den Streicheleinheiten. Außerdem hatte ich bis jetzt immer gefunden, dass meine strahlenden Augen reichten.

In meiner Wohnung finden überhaupt alle gesammelten Katastrophen statt, die einen deutschen Haushalt – und damit die deutsche Hausfrau selbst - irgendwie heimsuchen können. Da ich gerne meinen Rotwein genieße, schwebt der Schrecken der von allen Frauen gefürchteten Glaskorrosion wie ein Damoklesschwert allabendlich über meinem blonden Haupt. Von diesem Beweis meiner hausfraulichen Nachlässigkeit bzw. Unbelehrbarkeit in Bezug auf das rettende „Glasklar-Wunderbar“ sind übrigens alle meine Trinkbehältnisse betroffen. Die „guten“ von MWF befallen irgendwann die gleichen Symptome wie die handfesten, günstigen aus dem blau-gelben Möbelhaus. Ergebnis: Couleur, Clarity und Cl-aroma (oder war das bei Diamanten?) werden schon im ersten Schritt der Würdigung des herzstärkenden Getränks beeinträchtigt.

Außerdem weiß ja inzwischen jede deutsche Single-Frau sowie Ehefrau, deren Mann wegen häufiger Montagetätigkeit durch Abwesenheit glänzt, dass einen der leckere Nachbar nur auf die Matratze reißt, wenn frau ihn zuvor mit den vorbildlich gepflegten Glaswaren geblendet hat.

Umgekehrt ist es aber so, dass männliche Mitbürger südländischer Herkunft ihre Nachbarin mit Cappuccino einfangen. Obwohl der doch keineswegs aus Italien, sondern aus dem Tütchen kommt, entwickelt er bei Kontakt mit heißem Wasser eine solch sahnige Schaumkrone, dass die eben noch tobende Schönheit ihm bedingungslos die einzige Parklücke des Viertels überlässt. Wenn sie den Autoschlüssel neben seiner Kaffeetasse fallen lässt, weiß der Zuschauer ganz sicher, dass auch ihre Textilien fallen, sobald der Kameramann auf den einprägsamen Schriftzug dieses Verführungszaubercappuccinos schwenkt.

Leider zieht danach jemand den Stecker des Schweinwerfers heraus, so dass die Zuschauer von dem voyeuristischen Genuss von Heißgetränk und Körper ausgeschlossen bleiben. Aber wir können uns ja helfen: Zu dem hochzeitsvorbereitenden Glasreiniger packen wir einfach diesen Cappuccino in den Einkaufswagen und erleben alles umgehend selbst!

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