Das Collier der Lady Ira

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Ally blickte auf den Bildschirm und schüttelte den Kopf. »Die Ordner für drei John MacDonalds tragen ein Bearbeitungsdatum von diesem Jahr, aber die letzte Bearbeitung stammt vom zwanzigsten Januar.«

»Würdest du uns die Dateien aller John MacDonalds ausdrucken?«, bat Morven.

Ally lächelte sie liebenswürdig an. »Wie war das mit der Einladung zum Essen?«

Morven lachte. »Heute Abend bei mir. Mein Onkel hat gestern Lachse geangelt und mir ein fangfrisches Exemplar gebracht. Babymöhren, dazu meine Spezialsoße und ein gepflegter Wein.«

»Deal«, stimmte Ally zu. Sekunden später erwachte ein Drucker zum Leben und spuckte fünfzehn Seiten aus, die Ally nahm und Morven reichte. »Und bevor du fragst: Keine Drohmails auf dem Computer, keine Malware, keine Erpressungen der Toten gegen irgendwen oder von irgendwem. – Bis heute Abend, dann!«

Morven nahm die Blätter, verabschiedete sich und ging mit Durie in ihr Büro. Sie setzte sich und reichte ihm die Hälfte der Ausdrucke. Sie las sich das erste Blatt durch. John MacDonald aus Morningside hatte einen Armreif aus massivem Gold bestellt mit einem ovalen Stein aus dunkelgrüner Jade, in den das Clanwappen eingraviert war und auf der Innenseite »Für Roana in ewiger Liebe«. Morven hoffte, dass die Liebe des Paares tatsächlich ewig halten würde. Und mit einem Anflug von Neid wurde ihr bewusst, dass noch niemand ihr ein so wertvolles Geschenk gemacht hatte. Aber wenn sie wollte, konnte sie sich das auch selbst schenken. Der mit vierhundert Pfund angegebene Preis war zwar der pure Luxus, aber ein solches Geschenk machte man sich nur einmal im Leben.

Der Armreif war bereits im November in Auftrag gegeben und laut Mrs Harringtons Eintrag Anfang Dezember fertiggestellt worden. Ein Weihnachtsgeschenk also, das der Auftraggeber in zwei Raten gezahlt hatte, die letzte im Januar. Der nächste MacDonald hatte einen Diamantring bestellt, der dritte eine Halskette aus Tigeraugen- und Goldperlen mit einem passenden Armband. Die beiden MacDonalds, deren Akten Durie sich angesehen hatte, hatten ein Halsband aus neun silbernen Efeublättern und ein Bernsteinhalsband mit einer Achatgemme bestellt. Kein Auftrag hatte laut Gwyn Harringtons Notizen länger als zwei Wochen gedauert. Demnach konnte keiner von diesen MacDonalds derjenige mit dem »eine Weile dauernden« Auftrag gewesen sein. Es sei denn, er hätte nur diesen gelöscht und frühere im Computer gelassen. Doch das erschien Morven wenig sinnvoll.

Sie griff zum Telefon und rief in der IT-Abteilung an. »Ally, wie lange braucht man, um Dateien so komplett zu löschen, dass nicht mal du sie wiederherstellen kannst?«

»Ein paar Minuten, wenn man nur eine einzige Datei löschen will und genau weiß, was man tut. Wenn man erheblich mehr löschen will«, Morven hörte das Grinsen in Allys Stimme, »formatiert man die Festplatte. Dann ist alles weg. Das hat nur den unbedeutenden Nachteil, dass man danach den Computer nicht mehr benutzen kann. Zumindest nicht, bis man das Betriebssystem neu aufgespielt hat. Aber alle gespeicherten Daten sind dann weg. Unwiederbringlich.«

»Nur ein paar Minuten also. Hm. Danke, Ally.« Morven legte auf und blickte nachdenklich auf die Ausdrucke vor sich.

»Stimmt«, sagte Durie.

»Was stimmt?«, fragte Morven irritiert.

Er lächelte. »Ihre Überlegung, dass der Täter mehr als genug Zeit hatte, Mrs Harrington umzubringen, alle Spuren einschließlich seiner Dateien und des Überwachungsvideos zu beseitigen und über alle Berge zu sein, ehe Mister Eifersucht angerast kam, um seiner Frau die Hölle heißzumachen. Was bedeutet …« Er blickte Morven bedeutsam an.

»Dass die ganze Sache sehr sorgfältig geplant wurde.« Sie lehnte sich zurück. »Wir können wohl zweifelsfrei davon ausgehen, dass Mrs Harrington das Ziel war.« Sie blickte nachdenklich auf das Bild der handgeschmiedeten Efeublattkette. »Die Frage ist nur: warum? Ist es etwas Persönliches oder hat es mit dem Schmuckstück zu tun, das sie für ihren Mörder angefertigt hat?« Sie deutete auf das Bild des vierhundert Pfund teuren Armreifs. »Möglicherweise war das Ding sehr teuer, und der Kunde hatte das Geld nicht.«

»Und deshalb bringt er die Goldschmiedin gleich um?«

Morven nickte. »Wir wissen doch, dass Menschen andere schon für weniger Geld umgebracht haben. Vielleicht hätte er sich das nie leisten können und hat von Anfang an den Mord zusammen mit der Bestellung geplant.«

Aber das erschien ihr doch recht abwegig, denn normale Menschen besaßen in der Regel eine hohe Hemmschwelle, um jemanden kaltblütig zu töten. Im Affekt, in Notwehr – kein Thema. Aber so akribisch geplant? Dazu gehörte nicht nur eine Menge krimineller Energie, sondern auch eine gehörige Portion Abgebrühtheit.

Morven griff wieder zum Telefon und rief Fiona Gall an. »Ms Gall, gibt es eine Möglichkeit festzustellen, welches Material in den letzten vier Wochen verbraucht wurde? Also, Edelsteine, Edelmetalle und so weiter.«

»Aber ja. Auch das wird akribisch in der Buchhaltung aufgelistet. Und zusätzlich im Materialverzeichnis. Wir müssen doch wissen, wann wir etwas nachbestellen müssen.« Kurze Pause. »Wenn Sie mir Zugang zum Computer geben, kann ich das für Sie herausfinden.«

»Danke, das schaffen wir schon. Aber können Sie heute Nachmittag trotzdem zu uns aufs Revier kommen? 28 Meadow Place Road. Vielleicht können Sie uns anhand der Listen sagen, was für ein Schmuckstück Mrs Harrington für diesen Mr MacDonald angefertigt haben könnte. Das ist doch möglich?«

»Ja klar, denn solche Spezialaufträge kommen nicht so häufig vor. Und wir haben erst Anfang Januar fürs neue Jahr die große Inventur gemacht. Ich muss nur die Listen der damaligen Bestände mit den aktuellen vergleichen, dann kann ich Ihnen zumindest sagen, welches Material verbraucht wurde und daraus wahrscheinlich auch einen Schluss ziehen, um was für einen Schmuck es sich handelte.«

»Das wäre super. Passt Ihnen nachher um vier?« Samstag oder nicht, bei einem Mordfall gab es leider kein Wochenende.

»Ich werde da sein«, versprach Fiona Gall.

Morven beendete das Gespräch, rief nochmals Ally an und bat um die Zusammenstellung der Listen aus Gwyn Harringtons Computer. Anschließend betrachtete sie die für die fünf MacDonalds angefertigten Schmuckstücke, während Nathan Durie die Auftraggeber durchtelefonierte und unter dem Vorwand, »einen wichtigen Zeugen namens John MacDonald« zu suchen, deren Alibis überprüfte und auch fragte, ob sie Mitte Februar bei Harrington’s Fine Jewellery ein neues Schmuckstück bestellt hatten.

Die Antworten fielen vorhersehbar negativ aus. Selbst wenn einer von ihnen der geheimnisvolle Kunde und mutmaßliche Mörder wäre, würde er garantiert nicht zugeben, über den dokumentierten Auftrag hinaus bei Gwyn Harrington etwas bestellt zu haben. Außerdem: Falls wirklich einer dieser MacDonalds der Täter sein sollte, hätte er sich bestimmt nicht die Mühe gemacht, nur diesen einen Auftrag aus dem Computer zu löschen, sondern seine gesamte Akte, damit nach Möglichkeit keine einzige Spur zu ihm führte. Obwohl die angegebenen Alibis selbstverständlich noch überprüft wurden, war Morven sich sicher, dass keiner der fünf der Täter war.

Doch was hatte der Mörder für ein Motiv gehabt?

»Ich glaube«, sagte Durie in ihre Gedanken hinein, »dass das Schmuckstück der Knackpunkt sein könnte.« Er blickte Morven bedeutsam an, hob die Hand und zählte an den Fingern auf. »Erstens: Edelsteine allein, selbst wenn sie bereits fertig geschliffen sind, sind nicht so viel wert wie ein daraus angefertigtes Schmuckstück. Zweitens: Die Dinger zu stehlen wäre recht aufwendig, weil Edelsteine immer sehr gut gesichert sind. Eine Person allein kann das kaum bewerkstelligen, weil der Transport schwer bewacht wird. Selbst Einzelkuriere liefern meines Wissens nicht ohne Bodyguards aus. Drittens: Gerade Diamanten sind, sofern sie aus seriösen Quellen stammen, nummeriert und entsprechend registriert. Wenn sie gestohlen werden, kann man sie trotzdem ganz leicht identifizieren, was ihren Verkauf weniger lukrativ macht, weil die Käufer sozusagen eine Gefahrenzulage vom Kaufpreis abziehen.«

Morven nickte. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Nehmen wir viertens an, dass Mrs Harrington wie immer akribisch den Materialverbrauch, dessen Kosten und die Registriernummern der verwendeten Edelsteine dokumentiert hat.« Er deutete auf die Ausdrucke der MacDonald-Aufträge. »Und nehmen wir ferner an, der Mörder hat sie erst umgebracht, nachdem sie ihm eine Rechnung übergeben hat.« Er blickte Morven bedeutsam an. »Wenn er sie getötet hat, bevor er sie beglichen hat – wovon wir wohl getrost ausgehen können –, dann hat er dadurch den Nachweis, dass er der rechtmäßige Eigentümer des Schmuckstücks ist. Mit anderen Worten: Er kann es jederzeit ganz legal verkaufen. Nachdem er seine Spuren in Mrs Harringtons System getilgt hat, kann man ihn nicht mit dem Mord in Verbindung bringen. Er hat praktisch ein gestohlenes Schmuckstück, von dem niemand weiß oder nachweisen kann, dass er es gestohlen hat, und kann es für Tausende von Pfund verkaufen.«

Morven überdachte das. »Der Knackpunkt ist aber seine falsche Identität. Die hypothetische Rechnung lautet auf John MacDonald. Wenn das nicht sein richtiger Name sein sollte …«

»Aber was, wenn es sein richtiger Name ist? Wie die Hexe – ich meine Ms Brady schon gesagt hat: MacDonald ist der größte Clan des Landes und John wahrlich kein seltener Vorname. Es dürfte alles in allem landesweit mindestens hundert John MacDonalds geben. Wenn er klug ist, wohnt er nicht mal in Edinburgh, sondern ist für den Coup extra angereist.« Durie nickte. »Und schon haben wir ein Szenario, das einen perfekten Sinn ergibt.« Er zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise gehört er zu einer Bande, die das gewerbsmäßig macht oder er brauchte einfach nur viel Geld.« Er seufzte. »Und Sie wissen ja: Ohne einen konkreten Anfangsverdacht haben wir keine Handhabe, eine Wohnung auf die Vermutung hin zu durchsuchen, dass bei einem der zig John MacDonalds eine Rechnung nebst Schmuckstück von Harrington’s Fine Jewellery zu finden sein könnte.«

 

Morven nickte. »Und wenn er klug ist, bewahrt er beides sowieso nicht zu Hause auf.« Sie schüttelte den Kopf. »Falls Ms Gall tatsächlich herausfinden kann, welches Material verbraucht wurde, kann sie vielleicht auch Rückschlüsse daraus ziehen, um was für ein Schmuckstück es sich handelt. Dann wissen wir wenigstens, wonach wir bei potenziellen Verdächtigen Ausschau halten müssen.«

Durie schnitt eine Grimasse. »Wenn wir denn überhaupt erst mal einen vernünftigen Verdächtigen hätten«, brachte er das Hauptproblem auf den Punkt. »Nachdem Mister Eifersucht leider nicht der Täter ist, fehlen uns bislang alle Anhaltspunkte, wo wir suchen müssen.«

Da hatte er Recht. Morven hoffte, dass die gegenwärtig laufende Haus-zu-Haus-Befragung in der Nachbarschaft der Harringtons und des Geschäfts eine neue Spur lieferte. Wenn nicht …

***

Morven las sich die Liste, die Fiona Gall zusammengestellt hatte, zum dritten Mal durch und fühlte sich enttäuscht. »Und Sie sind sich wirklich sicher, dass das alles ist?«, vergewisserte sie sich zum wiederholten Mal.

»Ja.« Fiona Gall nickte. In ihrer Stimme lag ein deutlicher genervter Unterton. »Es tut mir leid, aber das sind die einzigen Materialien, die in den letzten Monaten verbraucht wurden. Wie ich Ihnen hier aufgeschrieben habe, sind die wertvollen Steine davon ausnahmslos diesen Kundinnen und Kunden zuzuordnen.« Sie deutete auf eine Spalte des obersten Blattes. »Falls Mrs Harrington nicht vergessen hat, etwas zu notieren, was ihr meines Wissens noch nie passiert ist, dann kann sie für den Auftrag von Mr MacDonald nur Halbedelsteine verwendet haben.«

Und damit war die Theorie, dass der Mörder sich mit dem Verkauf des gestohlenen Schmuckstücks hatte bereichern wollen, vom Tisch.

»Wie viel wären diese Sachen denn wert?«, fragte Morven dennoch.

»Bei der Menge«, Fiona Gall wiegte den Kopf, »ein paar Hundert Pfund. Der Arbeitslohn kostet erheblich mehr als das ganze Material. Falls sie nicht doch noch an etwas anderem gearbeitet hat, dann hat Mrs Harrington seit der Auftragserteilung wochenlang fast den ganzen Tag an diesem einen Schmuckstück gearbeitet. Und sehen Sie hier«, sie deutete auf eine andere Spalte, »sie hat die Steine als Rohlinge oder Trommelsteine gekauft, musste sie also erst in die bestellte Form schleifen.«

»Was sind Trommelsteine?« Morven kam sich gänzlich unwissend vor, was sie hinsichtlich Edelsteinen tatsächlich war.

»Steine, die nicht per Hand geschliffen werden, sondern in einer Stahltrommel mit Schleifsand. Die Rotation der Trommel schleift die Steine dann glatt. So ähnlich wie Kieselsteine vom Wasser glatt geschliffen werden, nur in erheblich kürzerer Zeit. Weil Trommelsteine schon vorgeschliffen sind, spart das Zeit, weil man dann nur noch die bestellte Form herausschleifen muss und nicht einen ungeschliffenen Rohling komplett bearbeiten muss.«

»Was könnte man denn aus diesen Steinen machen?«, wollte Durie wissen.

Fiona Gall blickte nachdenklich auf die Liste. »Nahezu alles. Von der Menge her würde ich sagen, entweder eine aufwendige Halskette oder eine Kette mit einem dazu passenden Armband. Je nachdem, wie groß Mrs Harrington die einzelnen Steine geschliffen hat, können es auch zwei Ketten oder zwei Armbänder sein. Ein Diadem käme auch noch infrage, aber so was wird nur selten gekauft, weil es kaum noch jemand trägt. Außer in Adelskreisen, und die begnügen sich nicht mit halbedlem Schmuck. Obwohl Mrs Harrington den natürlich perfekt imitieren konnte. Sie ahnen nicht, wie oft sie Kopien von Prinzessin Dianas Verlobungsring anfertigen musste, die vom Original nicht zu unterscheiden waren.«

Die Bemerkung weckte Morvens Neugier. »Wie das?«

»Nun, diese Bergkristalle zum Beispiel kann man wie Brillanten schleifen, und dann sehen sie auch genauso aus. Was das Funkeln und die Lichtbrechung betrifft, die an Diamanten so faszinieren, so wird das nur durch den Schliff, die Facetten und ihre Anordnung zueinander erzeugt. Man kann sogar Glas so schleifen, dass es wie Brillanten aussieht oder in gefärbter Form wie Smaragde, Rubine und andere klare Steine. Granate und Rhodolite gehen als Rubine durch, und Fluorit oder Uwarowit mit Smaragdschliff sehen aus wie ein echter Smaragd, wenn die Farbe nicht zu hell ist. Und notfalls kann man mit Wärmebehandlung nachhelfen und einen Stein dadurch nach Wunsch einfärben. Nur die Farbe sollte mit denen der edlen Steine übereinstimmen, dann muss man die schon mit Spektralanalyse untersuchen, weil auf den ersten Blick der Unterschied nicht zu erkennen ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann sich Mr MacDonald echten Schmuck von diesem vermutlichen Umfang nicht leisten und hat deshalb einen aus Halbedelsteinen anfertigen lassen.«

»Möglicherweise«, stimmte Morven zu, obwohl sie daran nicht glaubte. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe, Ms Gall. Sollten wir noch Fragen haben, melden wir uns.«

Sie begleitete Fiona Gall aus dem Gebäude und kehrte ins Büro zurück. Durie saß an seinem Tisch und studierte die Liste.

Er sah auf, als Morven eintrat. »Die Theorie mit dem Diebstahl zwecks Bereicherung und Mord zur Vertuschung können wir wohl vergessen«, stellte er bedauernd fest. »Aber die Möglichkeit, dass das Ganze nur der Vorbereitung zum Mord diente, vielleicht sogar Auftragsmord, erscheint mir immer wahrscheinlicher.«

Morven setzte sich, lehnte sich zurück und überdachte das. »Das scheint mir aber ein bisschen viel Aufwand, nur um einen Mord zu begehen. Dafür hätte der Täter sich kein Schmuckstück anfertigen lassen und die Spuren seiner Bestellung hinterher wieder löschen müssen. Er hätte einen Beratungstermin machen und den so spät legen können, dass Ms Gall schon weg ist, damit er freie Bahn hat. Oder Mrs Harrington abpassen, wenn sie auf dem Weg zu ihrem Wagen gewesen wäre, und hätte das Ganze als Überfall tarnen können.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir den Auftragsmord ausschließen können.«

»Hm.« Durie nickte. »Auch wieder wahr. Wo also stehen wir?«

»Ich glaube, das Schmuckstück ist der Angelpunkt und höchstwahrscheinlich auch das Motiv für den Mord.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nur noch keine Ahnung, wie das zusammenhängen könnte. Jemand lässt sich unechten Schmuck anfertigen, der wohl ziemlich aufwendig, aber nicht übermäßig viel wert ist, und bringt hinterher die Juwelierin um …« Sie schüttelte erneut den Kopf. »Das ergibt keinen rechten Sinn.« Sie seufzte. »Und wenn die Kollegen nichts bei der Befragung von Mrs Harringtons Umfeld ausgraben, haben wir nichts.« Was sie zutiefst frustrierte. Der Fall hatte so eindeutig ausgesehen, dass Chief Super Intendant Lamont nicht mal für nötig gehalten hatte, ein größeres Team für die Ermittlungen zu bilden. Und nun standen sie vor dem Nichts.

Der Gedanke ging wohl auch Durie durch den Kopf. »Wer sagt es dem Chef?«

»Ich«, entschied Morven. Schließlich war sie die Ranghöhere und Durie erst seit Jahresbeginn im Revier. »Aber erst sehen wir uns noch mal im Geschäft um. Vielleicht gibt es dort irgendwo einen Hinweis auf den geheimnisvollen John MacDonald. Und wir fragen Mr Harrington, ob er den Namen kennt.«

»Was seiner Eifersucht neue Nahrung geben dürfte«, bemerkte Durie süffisant.

»Vermutlich.« Sie blickte ihn nachdenklich an. »Warum reagieren Sie eigentlich auf eifersüchtige Männer so allergisch?«

»Weil ich mal mit so einem Exemplar liiert war, und er hat mir dadurch das Leben zur Hölle gemacht.« Er schnitt eine Grimasse. »Wahrscheinlich habe ich das immer noch nicht vollständig überwunden, und deshalb packt mich jedes Mal die Wut, wenn ich so einem Typen begegne. Ich reagiere übrigens auch ›allergisch‹ auf eifersüchtige Frauen.« Er schüttelte den Kopf. »Eifersucht ist, wie ich Harrington schon indirekt an den Kopf geworfen habe, einfach nur krank.« Er winkte ab. »Fragen Sie bei Harrington nach, und ich sehe mal, was die Tatortermittlung ergeben hat?«

Morven nickte und griff zum Telefon.

Doch beide Nachfragen ergaben nichts. Ken Harrington kannte keinen John MacDonald, und seine Frau hatte mit ihm grundsätzlich nicht über ihre Kunden gesprochen, allenfalls mal über die von ihr angefertigten Schmuckstücke. Nein, über den für Mr MacDonald anzufertigenden Schmuck hatte sie kein Wort verloren, nur erwähnt, dass sie seit ungefähr Mitte Februar einen größeren Auftrag bearbeitete.

Die Kriminaltechnik hatte zwar eine Menge Spuren gefunden, auch an der Kleidung der Toten, aber bisher keine, die einen Rückschluss auf den Täter zuließ. Die vielversprechendste Spur war ein kurzes, dunkles Haar, dessen DNA aber erst aufwendig geklont werden musste, bis eine Sequenzierung möglich war. Doch ob das dann zum Täter führte, war fraglich. Ganz abgesehen davon, dass das Haar schon vor längerer Zeit auf den Pullover gekommen sein konnte, zum Beispiel als Gwyn Harrington einer Kundin beim Anlegen einer Halskette geholfen hatte, bedeutete das DNA-Profil ohne eine Vergleichsprobe nichts. Und ohne einen Verdächtigen, von dem man eine DNA-Probe nehmen konnte und durfte, nützte das sowieso nichts.

Auch Ally hatte nichts Neues zu melden. Morven und Durie fuhren zum Geschäft und suchten in den Schränken, Schubladen und im Lager. Aber auch dort fand sich nichts, was einen Hinweis auf John MacDonald oder das Schmuckstück gegeben hätte, das Mrs Harrington für ihn angefertigt hatte.

Bevor Morven nach Hause fuhr, um das versprochene Abendessen für sich und Ally zuzubereiten, ging sie noch zu Superintendant Lamont, um ihm den Fehlschlag zu melden, damit sie das Unangenehmste hinter sich hatte. Lamont hörte sich ihren Bericht an und versprach, mehr Leute auf den Fall anzusetzen. Obwohl er kein Wort des Tadels äußerte, fühlte Morven sich dennoch als Versagerin. Vor allem, weil sie sich ohne konkreten Anhaltspunkt hilflos fühlte. Doch ein solcher war nirgends in Sicht.

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