Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren

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Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren
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Manfred Matzka

Hofräte Einflüsterer Spin-Doktoren

300 Jahre graue Eminenzen am Ballhausplatz


Inhalt

VIELER HERREN RÄTE

1.Der allzeit Getreue

JOHANN CHRISTOPH VON BARTENSTEIN

„Ohne seiner währe alles zugrund gegangen“

2.Visionär und Lehrmeister

JOSEPH FREIHERR VON SONNENFELS

Der Reformator der Kaiserin

3.Schillernder Stratege

FRIEDRICH VON GENTZ

Aufstieg und Fall des Sekretärs Europas

4.Gefährliche Nähe

ERZHERZOGIN SOPHIE und FREIHERR VON KÜBECK

Die reaktionären Ratgeber des jungen Monarchen

5.Der Bürokrat des Kaisers

ERICH GRAF VON KIELMANSEGG

Treuer Paladin seines alten Herrn in der Hofburg

6.Macher ohne Skrupel

ALEXANDER GRAF VON HOYOS

Ein junger Diplomat führt das Land in den Krieg

7.Wissen ist Macht

HANS KELSEN

Mehr als der Vater der Bundesverfassung

8.Der Schreibtischtäter

ROBERT HECHT

Ein Sektionschef zerstört die Republik

9.Ein Diener vieler Herren

WALTHER KASTNER

Wendiger Einflüsterer, rehabilitierter Ariseur

10.Hinter den Kulissen

HEINRICH WILDNER

Der Manager des Wiederaufbaus am Ballhausplatz

11.Der Netzwerker

EDUARD CHALOUPKA

Hochbürokratie im Griff des Cartellverbands

12.Ein stiller Freund

HANS THALBERG

Vertrauter und weltläufiger Staatsdiener

13.Republik der Sekretäre

KARRIEREN VOM BERATER ZUM MINISTER

Die Kanzlerkabinette von Klaus und Kreisky

14.Spin-Doktoren und Consulting GmbHs

POLITIKBERATUNG ALS ANONYME DIENSTLEISTUNG

Die Einsager von Schüssel, Gusenbauer, Faymann, Kern

15.Krisenmanagement am Ballhausplatz

ZWISCHEN MESSAGE CONTROL UND STAATSRÄSON

Von Kurz zu Bierlein und wieder retour

Graue Eminenzen

DAS WESEN DES HOFRATS

Dank

Literatur

Vieler Herren Räte

„Kennt der Regent noch so genau seine Pflichten, so ist es doch zur Ausübung der Majestätsrechte notwendig, dass er die Verhältnisse des ganzen Staates und die besonderen Bedürfnisse kennt. Diese müssen ihm nun von seinen Räten getreu vorgelegt werden. Hieraus erhellt, von welcher Wichtigkeit die Wahl des Beamten sei. Auf diese kommt alles an. Ist der Monarch von vernünftigen Beamten umgeben, so ist er vor den meisten Fehltritten gesichert.“

MARTINI, Lehrsätze über das allgemeine Staatsrecht, 1791

„Zum Chef! Tausendmal hat mich diese denkbar knappe telefonische Mitteilung einer Sekretärin Richtung Minister, Kanzler oder Kanzlerin in Bewegung gesetzt. Selten riefen die hohen Herren und Damen selbst an – manch ein Kollege fuhr sogleich aus seinem Bürostuhl hoch und zupfte sich hektisch die Krawatte zurecht. Ganz selten erschienen sie persönlich in meinem Zimmer, dann war er oder sie entweder sehr gut oder sehr schlecht drauf. „Zum Chef“, mitunter verstärkt mit „gleich!“, heißt, auf den 50 Metern bis zum Allerheiligsten blitzschnell Revue passieren zu lassen, mit welchem Journalisten du gesprochen hast, welches Projekt aus dem Ruder zu laufen droht, was heute Früh in der Zeitung zu lesen war, welcher Parteirebell oder Intrigant im Terminkalender steht. „Zum Chef“ impliziert nicht immer einen Beratungsbedarf, es kann auch sein, dass er einfach nur jemandem zum Reden braucht, Frustration am Ende des Tages abarbeitet, eine spontane Idee loswerden will, Mensch sein will inmitten des gnadenlosen Offiziellen.

Das darauf gemünzte Bonmot eines im obersten Stock des Ministeriums residierenden österreichischen Sektionschefs, der gemeint haben soll, „Es ist mir eigentlich egal, wer unter mir Minister ist“, ist allerdings ebenso beliebt wie falsch. Ich war 22 Jahre Sektionschef, fünf Jahre Kabinettschef, mehrmals Kanzlerberater, durfte sieben Bundeskanzlern und acht Ministern dienen – ich weiß das. Kein tatsächlich einflussreicher Spitzenbeamter würde je so etwas sagen und kein Minister würde so etwas dulden. Dennoch ist das Bild von Franz Werfel von „den vierzig bis 50 Beamten, die in Wirklichkeit den Staat regieren“ nicht ganz falsch. Schließlich kommt der Verwaltung, den Routiniers, den Ratgebern in unserem Land seit jeher eine wichtige Bedeutung zu. Auch in meinen 40 Berufsjahren in diesem System war das so.

Berater, Sonderberater, Kabinettschef, Generalsekretär, Consulter, Spin-Doctor, Thinktank-Leiter – die Bezeichnungen für jene, die hinter den Kulissen die Regierenden beeinflussen, sind vielfältig. Aber allen ist gemeinsam: Sie treten selbst nicht in das Licht der Öffentlichkeit und stellen sich dort nicht der Verantwortung. Sie sind intelligent, gebildet, wissen viel oder Spezielles, sind bereit, hinter dem Chef zurückzustehen und ihm zuzuarbeiten. Sie werden von diesem geschätzt und gefördert, kennen das Umfeld, dessen Strukturen, die Abläufe und die handelnden Personen bis ins kleinste Detail. Sie verlieren nie die Übersicht und haben einen langen Atem, sie denken strategisch und handeln unbeirrt. Sie überdauern die Politiker und sind daher wichtig.

Diese Rolle ist kein Phänomen der jüngeren Vergangenheit. Seit es Staaten und Verwaltungen in unserem heutigen Verständnis gibt, wird sie ausgeübt. Seit es Minister gibt, sind sie von solchen Personen abhängig. Ihre Funktionen, Arbeitsweisen und ihre Bedeutung haben sich im Kern wenig verändert, nur die Erscheinungsform passte sich dem Wandel der Politik und Gesellschaft an. Zunächst war es das Mitglied des Geheimen Rates, das dem Kaiser mit Rat und Tat zur Seite stand, dann trat der Hofrat beim k. u. k.-Minister in Erscheinung, danach der Sektionschef oder Kabinettschef in republikanischer Zeit. Ab und zu konnte es auch ein Universitätsprofessor sein. Und mit der Zeit modernisierte sich diese Rolle hin zum Medienstrategen, Consulter und Sonderberater.

 

Die Einflüsse dieser Ratgeber sind nicht immer klar nachvollziehbar, schließlich wird nach außen hin bloß der politische Wille des Ministers und der Regierung sichtbar. Unbestritten ist jedoch, dass die höchsten Ränge der Bürokratie und die beigezogenen externen Experten enormen Einfluss haben. Sie sind rechte Hand, Auge und Ohr des Chefs, sie entscheiden, wer und was zu ihm vordringt und wer und was nicht, sie entwickeln, wie er denkt und was er sagt. Die graue Eminenz ist immer in der Nähe, wenn entschieden wird, sie lenkt und steuert – zumeist erfolgreich – in die gewollte Richtung, sie vermag einer Entscheidung im Nu zur Umsetzung zu verhelfen oder alles so zu steuern, bis die Sache still im Sande verläuft. Geschickt kann sie Hindernisse aufbauen und wachsen lassen, sie aber gleichzeitig so kunstvoll tarnen, dass sie zunächst ebenso wenig wahrgenommen werden wie derjenige, der sie errichtet hat – bemerkt werden sie erst, wenn es zu spät ist und wieder einmal eine Initiative an den „allgemeinen Umständen“ scheitert. Die graue Eminenz erkennt frühzeitig Fallstricke, beseitigt sie unmerklich oder knüpft sie noch fester. Sie weiß, wie es geht, und stellt dieses Wissen auch zur Verfügung – vorbehaltlos oder nur teilweise, allen oder nur Ausgewählten, rechtzeitig oder im Nachhinein.

Bundeskanzleramt Wien, Sitz der Staatskanzler, Bundeskanzler und Außenminister

Der Leopoldinische Trakt der Wiener Hofburg, Arbeitsstätte der habsburgischen Herrscher und Amtssitz der Bundespräsidenten

Die österreichische Ausprägung dieser Akteure im politisch-administrativen System führt den schönen Titel „Hofrat“. Ein Rollentypus, der die Systeme und Jahrhunderte überdauerte mit einer Titulierung, die nur in unserem josephinisch geprägten Land Sinn ergab und ergibt und weit über die berufliche Stellung hinausgeht, indem sie soziale und kulturelle Eigenschaften, ja sogar eine typische Sprachmelodie miteinbezieht.

Dieses Buch porträtiert bedeutende oder bloß wichtige Vertreter dieser Spezies. Über die Jahrhunderte hinweg schmückte dieser Titel den Leiter einer obersten Behörde, das ist bis heute so geblieben. Ausnahmen gibt es, manchmal wird jemand auch zum Hofrat ernannt, ohne etwas zu leiten. In der Verwaltung eines Bundeslandes wurde dieser Unterschied einmal fein ziseliert, indem die wirklichen Leiter als „vortragende“ Hofräte bezeichnet wurden. Der Bürokratentratsch machte daraufhin prompt jene, die nur den Titel trugen, zu „nachtragenden“ Hofräten.

Das Buch erzählt auch von Sektionschefs. Das sind die Leiter der großen Teile eines Ministeriums, der Sektionen. Lange Zeit waren sie die wahren Mandarine in unserem Regierungssystem, direkt und nur dem Minister unterstellt, nahezu allmächtig in ihrem Wirkungsbereich, beeindruckende Persönlichkeiten, die auch ihre gesellschaftliche Stellung im Sozial- und Kulturleben der Stadt behaupteten. Seit es Generalsekretäre in den Ministerien gibt und die Minister von Scharen ehrgeiziger Adepten und Satrapen in Ministerbüros abgeschottet werden, ist ihre Bedeutung allerdings merklich gesunken.

Das Pendant zu den Sektionschefs sind im Auswärtigen Dienst die Botschafter. Sie vertreten üblicherweise das Land in einer anderen Hauptstadt, sie führen diesen Titel allerdings auch, wenn sie hohe Leitungsfunktionen im Inland ausüben. Früher hieß man sie Gesandte, und jene, die sich auf eine der beiden Positionen vorbereiteten, waren Legationsräte.

Die Leiter der Ministerbüros sind die Kabinettschefs, wobei diese Bezeichnung früher nur dem Kanzlerbüro vorbehalten war. Mittlerweile hat dessen inflationäre Verwendung selbst den Vorzimmermann eines Staatssekretärs zum „KC“ aufgewertet.

Wer nicht zum angestellten Personal der Verwaltung gehört, dem sind derlei Titel nicht oder nur unter ganz besonderen Umständen zugänglich. Er oder sie muss sich mit einem Professorentitel begnügen, den man hierzulande nicht nur durch Berufung als Lehrer an einer Universität erlangt, er kann auch als „Berufstitel“ vom Staatsoberhaupt verliehen werden – obwohl in diesen Fällen gerade nicht der Lehrberuf ausgeübt wird. Da mag man Parallelen zum Honorarprofessor und Honorarkonsul sehen, auch sie sind bloße Ehrenbezeichnungen, die nicht mit einem Honorar verbunden sind.

Vor etwa 300 Jahren wurde am Wiener Ballhausplatz jenes Verwaltungssystem ins Werk gesetzt, das, mehrfach umgebaut, erweitert und professionalisiert, in unserem Staat, unserer Gesellschaft, unbestritten eine zentrale Rolle spielt. Das gilt ebenso für die Eliten und Experten dieses Machtapparats. Die – formell etikettierten oder informell bestehenden – obersten Ränge und Entscheidungsträger der Wiener Bürokratie haben das Habsburgerreich, Österreich und teilweise sogar die europäische Entwicklung und Geschichte mitgeprägt.

Seit im frühen 17. Jahrhundert der Kapuziner Père Joseph wegen der Farbe seiner Kutte als Erster „graue Eminenz“ genannt wurde, geistert dieser Rollentypus durch die Geschichte der Politik und Verwaltung. In Österreich, genauer dem Kaiserreich des 18. Jahrhunderts, berieten brillante Persönlichkeiten, begnadete Schreiber, umtriebige Universalgelehrte die Herrscher. Sie kamen mitunter aus dem Ausland, genossen internationales Ansehen, Ruhm in der Geisteswelt außerhalb der Staatsapparate und Ansehen bei Hof und Volk. Sie waren gefallsüchtig, geldgierig, vielsprachig, kulturinteressiert, Bohemiens und verkehrten mit den Monarchen auf Augenhöhe.

Die ersten Jahrzehnte ab 1800 kennen noch einige wenige dieser Stars, danach wird vermehrt auf die Rekrutierung aus dem eigenen Apparat gesetzt. Vor allem nach 1848 werden zahlreiche Beamtenkabinette eingesetzt, der Beamte Eduard Graf Taaffe war mit 14 Jahren Amtszeit der längstregierende Ministerpräsident, nach 1895 machten gewissermaßen nur noch Staatsdiener Politik, von 16 Unterrichtsministern waren 13 Beamte. Die meisten dieser Hofrats-Minister waren in ihrer kurzen Amtszeit zweifellos mächtig, ansonsten aber vor allem eitel, formalistisch und ihrem Stand sowie der Bewahrung des Status quo verpflichtet.

Auch in der Ersten Republik formierten sich unter Johann Schober drei Kabinette mit insgesamt mehrjähriger Dauer vorwiegend aus Staatsdienern. Die politischen Umbrüche und Katastrophen ab Ende der 1920er-Jahre spülten hingegen Berater aus dem Apparat oder externe Einsager nach oben, die klar die ideologische Position der Machthaber teilten und die Fähigkeit hatten, diese am Ballhausplatz durchzusetzen. Rasche Auffassungsgabe, effektive Durchsetzung, ein scharfer Geist sowie kometenhaft aufblitzender und wieder verglühender Einfluss kennzeichnen diese Karrieren. 1938 teilten sie sich in zwei Gruppen – die einen gingen in die innere Emigration, die anderen biederten sich den neuen Machthabern an.

Nach 1945 nahmen zunächst die Präsidialchefs, jene Beamten, die dem Minister am nächsten waren, zentrale Beraterfunktionen ein. Sie bildeten die Schwelle zum Minister, eine Isolierschicht zwischen ihm und den übrigen Sektionen, nahmen über Budget, Finanzen und Organisation Einfluss auf das ganze Haus. Im Präsidium hatten selbst junge Beamte in unteren Rängen einen überdurchschnittlichen Einfluss. Externe Ratgeber konnte und wollte man sich nicht leisten. Diese Sektionschefs waren fast wieder wie vom alten Schlag der Jahrhundertwende – nur mangels begüterter Herkunft stärker materiell interessiert.

Erst mit den Alleinregierungen 1966 und 1970 bildeten sich Beraterstäbe rund um die Kanzler, die nicht aus dem Ministerium kamen – die Sekretäre. Je stärker diese Regierungen inhaltliche Reformen ins Auge fassten, umso stärker griffen sie auf externe Experten zurück. Als ab Mitte der 1990er-Jahre eine zunehmende Entpolitisierung des Regierens Platz griff, verzichtete man weitgehend auf inhaltliches Fachexpertenwissen. Fortan waren spezielle Fähigkeiten im Verkauf, im Marketing, im Spin und nicht uneigennützige Herrschaftstechniken wichtiger. Dementsprechend wandelten sich bis ins Heute herauf die Akteure: bestens vernetzt, smart, eloquent, slim, überheblich, strahlende Verkäufer, vor allem ihrer selbst.

Diese Entwicklung in der Stellung der Ratgeber zeichnet dieses Buch über drei Jahrhunderte hinweg nach. Frauen sind, bis auf einige wenige Ausnahmen, in der ersten Reihe nicht anzutreffen. In der Monarchie sahen sie sich auf informelle Aufgaben beschränkt – auch wenn sie klug, mächtig und unentbehrlich waren. In der Ersten Republik waren sie noch mehr auf Nebenrollen zurückgedrängt – unter den 300 Sektionschefs in dieser Zeit findet sich keine einzige Frau. Erst nach 1945 vollzog sich ein Wandel – langsam, und vom einflussreichen katholischen Cartellverband gebremst. Ein wirklicher Durchbruch ist nur bei den Ministerpositionen gelungen – auch wenn es nach Maria Theresia 239 Jahre dauern sollte, bis mit Brigitte Bierlein wieder eine Frau ganz vorne stand.

Man darf die Ratgeber und ihre Rolle bei all ihrer Bedeutung nicht verklären oder dämonisieren, auch lässt sich kein allgemeines Berufsbild zeichnen. Es gibt nicht „die Beratung“ an sich, keine mit Allgemeingültigkeit darstellbare Beziehung zwischen der grauen und der wirklichen Eminenz. Jede Konstellation ist anders gelagert, jede Beziehung speziell und jeder Anlass entfaltet seine ganz eigene Geschichte. Vor diesem vielfältigen Hintergrund und angesichts unterschiedlicher historischer Epochen lässt sich Beratung und deren Machttechniken nicht abstrakt darstellen. Es bedarf konkreter Personen und Ereignisse, um aus den einzelnen Biografien und historischen Episoden wie bei einem Mosaik ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Dabei ist, wie bei jedem Menschen, vor allem die Genese, auch die Herkunft der jeweiligen Persönlichkeit wichtig. So setzen die einzelnen Porträts lange vor jener Zeit ein, bevor die Einflüsterer entscheidende Positionen erreicht haben, und enden, zumindest bei den historischen Figuren, nicht mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt – schließlich offenbaren sich erst Jahre und Jahrzehnte später die tatsächlichen Auswirkungen ihres Handelns. Nur so lässt sich verstehen, wie sie in die Macht hineinwuchsen, wann sie entscheidenden Einfluss bekamen und wie lange dieser anhielt.

Trotz der mannigfachen Persönlichkeiten und unterschiedlicher politischer Systeme sind dennoch einige Gemeinsamkeiten erkennbar. Das betrifft die Ausbildung – überwiegend sind sie Juristen – sowie grundlegende Wesenszüge, aus denen sich eine Art Berater-Typologie ableiten lässt: Da gibt es die Visionäre, die weit über den Tag hinausdenken und große Linien und Entwicklungen ins Werk setzen. Oder die braven Staatsdiener, denen das wohlgeordnete Regieren und das allgemeine Wohl oberste Richtschnur ist. Schreibtischtäter sind ebenfalls darunter, die sich keinen Deut darum scheren, was sie mit ihren Entscheidungen anrichten. Ganz im Gegensatz zu den Vertrauten, die den Mächtigen Unterstützung, Sicherheit und Geborgenheit geben. Es gibt die Experten, deren man sich bedient, wenn es gerade nützlich erscheint, und die Netzwerker, die über ausgeklügelte Systeme komplexer Beziehungen steuern und leiten. Schließlich gibt es noch die Wendigen, die sich jedem Herren dienstbar gemacht haben, ganz gleich ob Diktator oder Kanzler.

Von all diesen Beratern handelt dieses Buch.

1.
Der allzeit Getreue
JOHANN CHRISTOPH VON BARTENSTEIN

Berater von Karl VI., Maria Theresia und Joseph II. 1715–1765


An einem feuchtkalten Oktobertag des Jahres 1740 beugt ein würdevoller Einundfünfzigjähriger in der Geheimen Ratsstube der Wiener Hofburg vor Maria Theresia, die gerade ihre Herrschaft antritt, das Knie und bittet den Usancen entsprechend um Enthebung von seinen Hofämtern. Die Königin reagiert kühl und geschäftsmäßig: „Jetzt sei nicht der Augenblick, in welchem er abdanken dürfe. Er solle es sich aber angelegen sein lassen“, fügt sie scharf hinzu, „so viel Gutes zu tun als er vermöge. Böses zu verüben werde sie ihn schon zu hindern wissen.“

 

Der Mann wird dereinst ihr wichtigster Berater bei der Verwaltung des Habsburgerreichss sein. Der eben verblichene Kaiser Karl VI. hatte bereits eine professionelle Administration samt ihren Hofräten entwickelt – als Staatsdienst, nicht als Hofdienst, und damit grundsätzlich für jedermann zugänglich gemacht. Damit drängte er den Einfluss des Hochadels auf den Staat zurück und eröffnete dem Bürgertum seinen Aufstieg. Es wird bereits auf ein Studium der Rechte an der Universität Wert gelegt. Dafür gibt es eine fixe Besoldung, die insbesondere in den unteren Rängen kärglich ist; dennoch erwartet der Monarch absolute Pflichterfüllung und Hingabe an Beruf und Staat und fordert sie energisch ein. Es ist nicht mehr die Lehensbindung der alten Familien, auf der diese Loyalität beruht, auch ein Amtseid, sogar der eines Zugewanderten, kann dafür Grundlage sein. Eine spezielle Vertrauenswürdigkeit wird allerdings eingefordert: Wenn ein Kandidat jüdisch oder evangelisch ist, hat er bei Amtsantritt zum römisch-katholischen Glauben zu konvertieren – also nach heutigem Verständnis das richtige „Parteibuch“ zu nehmen.

Es bilden sich feste Formen heraus, in denen die Herrscher die Beratung und Unterstützung durch diese Mitarbeiterkaste entgegennehmen. Dazu gehört das Erstellen von Gutachten, insbesondere juristischer Ausarbeitungen zu staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Fragen – der Bürokratie kommt da eine zentrale Funktion für die Bildung des Rechtsstaats zu. Ein weiteres Betätigungsfeld sind diplomatische Missionen und Verhandlungen mit konkurrierenden oder verbündeten Mächten. Und nicht zuletzt der persönliche Kontakt, Gespräche in Audienzen, ja sogar die Einbeziehung in wichtige und schwierige innerfamiliäre Entscheidungen.

Johann Christoph Freiherr von Bartenstein (1689–1767)

In dieser Zeit gehen diese hohen Funktionen allmählich vom geheimen Ratskollegium, das im Feudalsystem nur fallweise um den Monarchen versammelt wurde, in ein professionelles Amt über, das permanent Aufgaben für ihn wahrnimmt. Hier arbeiten jetzt die Fürsten-Favoriten und Secretarii, die Hof-Räte in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes. Sie stehen protokollarisch in der zweiten Reihe, werden vom hohen Adel misstrauisch beäugt und bekämpft, üben aber großen Einfluss aus und können in ihrer persönlichen und finanziellen Stellung Privates mit der staatlichen Funktion verbinden.

Eine Persönlichkeit, an der all diese Elemente sichtbar werden, ist jener vor Maria Theresia knieende Mann, den der Kaiser seiner Tochter als persönlichen Ratgeber seines Vertrauens für ihren politischen Weg gewissermaßen hinterlässt: Johann Christoph von Bartenstein, geboren am 23. Oktober 1689 in Straßburg und seit 1715 am Wiener Hof.

Er entstammt einer bürgerlichen protestantischen Familie aus Thüringen. Sein Vater Johann Philipp ist Professor der Philosophie und Rektor des Gymnasiums. Er studiert in Straßburg Sprachen, Geschichte, Recht – und das mit besonderem Eifer. Deutsch, Französisch und Latein spricht er Zeit seines Lebens fließend als „Muttersprachen“. Gerade einmal 20 Jahre alt, dissertiert er mit einer rechtshistorischen Schrift. Darin bekräftigt er in streng protestantischer Manier, dass die Reichsstände ihre Waffen gegen den Kaiser ergreifen dürfen. Gleichzeitig stellt er eine enorme Belesenheit und Geschichtskenntnis unter Beweis und erregt mit seiner Arbeit an der Straßburger Universität geradezu Aufsehen.

Der junge Doktor reist danach nach Paris und Wien, um sich – so wie heute junge Juristen in Brüssel und junge Techniker in Deutschland Karrierechancen sondieren – beruflich umzusehen. In Paris trifft er mit den berühmten Benediktinern der Kongregation von Saint-Maur zusammen, die ihm raten, nach Wien zu gehen. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben findet er in der Habsburgerresidenz Kontakt zu Gottfried Wilhelm Leibniz. Der Universalgelehrte – und Reichshofrat – empfiehlt ihn für den Eintritt in den Staatsdienst. Dennoch erkundigt sich Bartenstein noch bei anderen Mächten über die Möglichkeit der Aufnahme in die Diplomatie, widerstrebt ihm doch der in Österreich notwendige Übertritt zum Katholizismus.

So wird jahrelang zugewartet, verhandelt und abgewogen. Erst 1715 kommt man zur Vereinbarung, den klugen Elsässer mit dem Titel eines kaiserlichen Rates und tausend Talern Gehalt in den österreichischen Staatsdienst aufzunehmen. Zwei Jahre später wird er zum niederösterreichischen Regierungsrat ernannt, als er 30 Jahre alt ist, wird er in den Ritterstand erhoben. Jetzt kann er sich auch privat etablieren und heiratet 1725 die adelige Maria Doblhoff, die Tochter des kaiserlichen Leibarztes. Bald kommt sein erster Sohn Joseph Philipp zur Welt, neun Jahre später Christoph Innozenz.

Es beginnt die steile Karriere des Freiherrn von Bartenstein. 1726 wird er zum Hofrat bei der österreichischen Hofkanzlei ernannt. Im Jahr darauf geschieht Entscheidendes für seinen Berufsweg. Er wird dem schwer kranken geheimen Staatssekretär Johann Georg von Buol zugeordnet, um für ihn und unter seiner Aufsicht in der Geheimen Konferenz – der Vorläuferorganisation der späteren Ministerräte – das Protokoll zu führen, Beschlüsse vorzubereiten und auszufertigen. Als Buol verstirbt, geht sein Posten auf Bartenstein über. Damit ergibt sich zwangsläufig ein direkter Draht zu Karl VI., der mit seinen Ministern überwiegend schriftlich und somit über Bartenstein verkehrt.

Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) und ihr Sohn Joseph

Sein häufiger Kontakt mit dem Monarchen lässt seinen Einfluss von Tag zu Tag wachsen. Ein weiterer Grund ist, dass er als Sekretär der Geheimen Konferenz zwar an deren Beschlüsse und die Vorgaben des Kaisers gebunden ist, doch diese gehen oftmals nicht ins Detail. Für ihn bleibt also ausreichend Raum, hier zu verschärfen, dort zu akzentuieren, da zu interpretieren und etwas wegzulassen oder zu ergänzen. Dabei ist er, wie Zeitzeugen festhalten, „rechthaberisch, aber zugleich überzeugungstreu und von einer Furchtlosigkeit, welche bei einem Niedriggeborenen doppelt überraschte. Nicht nur in der Konferenz, in welcher bloß zu schreiben, nicht aber auch zu sprechen sein Amt wäre, sagt er seine Meinung geradeheraus und verficht sie mit Hartnäckigkeit. Auch gegen die fremden Minister am Wiener Hofe tut er das Gleiche (…), oft in einer Weise, welche wirklich geeignet ist, abzustoßen und zu verletzen.“

Bartenstein festigt mit seinen Kenntnissen, seiner Intelligenz und Wendigkeit die Zuneigung und das unbegrenzte Vertrauen des Monarchen. Vor allem seine wissenschaftliche Qualifikation im deutschen Rechtswesen beeindruckt zutiefst, wobei er sich nicht ungern durch Spitzfindigkeiten und juristische Haarspaltereien, insbesondere in Angelegenheiten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hervortut. Diese Lust am Rabulieren und am Advokatischen wird ihm bald eine besondere Aufgabe bescheren.

Karl VI. hat nämlich das große Problem, dass er keinen männlichen Thronerben, sondern nur Töchter hat. Das könnte die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, seine Schwäger, dazu verleiten, nach seinem Tod Ansprüche zu stellen und seine Tochter Maria Theresia auszubooten. Zwar hat er bereits 1713 mit der Pragmatischen Sanktion die weibliche Erbfolge eingeführt. Nun geht es darum, jedes einzelne habsburgische Erbland samt Ungarn zur Annahme dieser verfassungsrechtlichen Verfügung zu bewegen und die Anerkennung durch die internationalen Mächte sicherzustellen.

Kaiser Karl VI. (1685–1740), der Vater von Maria Theresia

Hier erreicht Bartenstein mit diplomatischem Geschick 1723 die Zustimmung Ungarns, 1726 die Brandenburg-Preußens und 1731 die von England. Zwei Jahre später wird er dafür in den Freiherrnstand erhoben, Geheimer Rat und Vizekanzler der Staatskanzlei. In dieser Funktion ist er nach dem Kanzler die Nummer zwei am Ballhausplatz. Mit nur zwei Konzipisten, zwei Kanzlisten und je einem Mann für Versand und Archiv hat er diese Anerkennungen zustande gebracht. Sein Arbeitsstil in der Kanzlei ist eher altmodisch: Er zieht alles an sich, kann nicht delegieren und will auch keinen größeren professionellen Mitarbeiterstab.

Sein Meisterstück für den Kaiser und dessen Älteste ist aber 1735 eine Familienangelegenheit von politischer Tragweite: In den Wiener Verträgen von 1725 hatte sich Karl VI. im Gegenzug für die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion verpflichtet, zwei seiner drei Töchter mit dem spanischen Königshaus zu vermählen. Für Maria Theresia hätte dies eine Ehe mit dem Infanten Don Carlos bedeutet – was für die eigenwillige Prinzessin aber ganz und gar nicht in Frage kam. Sie hat sich bereits als Heranwachsende in den um neun Jahre älteren lothringischen Prinzen Franz Stephan verliebt, in dem sie seit ihrem sechsten Lebensjahr den künftigen Ehemann sah.

Bartenstein argumentiert hier zunächst juristisch spitzfindig. Aufgrund des frühen Todes von Maria Theresias Schwester Maria Amalia sei der Vertrag nichtig geworden, weil man nun nicht mehr zwei aus dreien auswählen könne. Dann argumentiert er politisch, dass England und die Niederlande eine Verschiebung des Machtgleichgewichts am Kontinent nicht nur fürchten, sondern die Verbindung zwischen Wien und Madrid auch bekämpfen würden. Gleichzeitig besänftigt er Frankreich, das eine Hochzeit der Erzherzogin mit Franz Stephan von Lothringen zu verhindern sucht. Die mögliche Vereinigung des direkt an der Ostgrenze gelegenen Territoriums mit den Habsburger Ländereien ruft vor allem den französischen Minister Kardinal de Fleury auf den Plan. Bartenstein gewinnt ihn mit der Idee, dass Franz Stephan sein Herzogtum im Tausch gegen die Toskana an Frankreich abtreten werde. Als der Lothringer, der nicht in die Verhandlungen eingebunden war, zögert, macht ihm Bartenstein kurz und bündig klar: „Keine Abtretung, keine Erzherzogin!“

Damit ist die Heirat unter Dach und Fach. Sie findet 1737 in Wien statt, es folgt ein überaus reicher Kindersegen und 1745 wird der Lothringer Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Diese diplomatische Glanzleistung sichert Bartenstein die lebenslange Loyalität Habsburgs. Nebenbei fädelt er auch noch die Ehe der zweiten Kaisertochter Marianne mit dem jüngeren Bruder Franz Stephans ein.

Weniger erfolgreich ist der Berater bei anderen außenpolitischen Analysen und Entscheidungen. Seine Empfehlung, Österreich solle an der Seite Russlands gegen die Türken 1737 in den Krieg eintreten, führt zu einer empfindlichen Niederlage.

Der nobilitierte Bürgersohn ist eine Schlüsselperson am Hof geworden. Sogar altehrwürdige Adelige bemühen sich um seine Gunst und Unterstützung. Gleichzeitig zieht der Emporkömmling aus Straßburg deren Neid und Misstrauen auf sich. In diesen Spannungen ist Bartenstein wenig zimperlich und kein angenehmer Höfling. Wenn ihm besonders Hochgestellte entgegentreten, sorgt er gerne dafür, dass sie den Kürzeren ziehen. Man erzählt, er habe den Bischof von Bamberg, Friedrich Karl Graf Schönborn, um seinen Posten als Reichsvizekanzler gebracht, weil dieser in der geheimen Konferenz zu sagen wagte, das Amt des Sekretärs sei zu schreiben und nicht zu reden. Auch Feldmarschall Joseph Lothar Graf Königsegg musste fast abdanken, nachdem er dem Kaiser riet, „militärische Angelegenheiten lieber seinen Generalen als seinen Schreibern anzuvertrauen“.