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Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung
von
Malte Wietfeld
Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Mark Deiters, Münster
Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen
Prof. Dr. Mark Zöller, Trier
Impressum
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Zugl.: Bielefeld Univ., Rechtswissenschaftliche Fakultät, Diss. 2015
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil 1 Einleitung und Gang der Untersuchung
A.Einführende Bemerkungen
B.Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen
Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin
A.Methodische Grundlagen
I.Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken
II.Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens
III.Fazit zu den methodischen Grundlagen
B.Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten
I.Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft
II.Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft
1.Nötigungsherrschaft
2.Irrtumsherrschaft
3.Organisationsherrschaft
III.Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft
C.Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen
D.Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins
Teil 3 Neueste Kritik an der Tatherrschaftslehre
A.Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters
B.Willensherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des mittelbaren Täters
I.Das Kriterium der Irrtumsherrschaft
II.Das Kriterium der Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate
C.Die funktionelle Tatherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des Mittäters
D.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
E.Fehlende normative Begründung des Tatherrschaftsbegriffs
F.Kritik an der Herleitung von Mittäterschaft im Rahmen der Tatherrschaftslehre
G.Verlust des objektiven Tatbezuges der Tatherrschaftslehre
H.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
I.Tatherrschaft bei „Verursachungsdelikten“
J.Zirkelschluss der Tatherrschaftslehre
K.Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
L.Fazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre
Teil 4 Grundsätzliches zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung
Teil 5 Der Deliktscharakter des § 370 Abs. 1 AO
A.§ 370 Abs. 1 AO als reines Pflichtdelikt
B.§ 370 Abs. 1 AO als reines Allgemeindelikt
C.Stellungnahme
I.Interpretation als reines Pflichtdelikt
II.Interpretation als reines Allgemeindelikt
III.Fazit zum Deliktscharakter des § 370 Abs. 1 AO
Teil 6 Täterschaft und Tatbeherrschung im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
A.Täterwille
B.Tatherrschaftslehre
C.Pflichtdeliktslehre
D.Differenzierung nach der Art der Pflicht
E.Stellungnahme
I.Einwände gegen das Kriterium des Täterwillens
II.Einwände gegen die Differenzierung nach der Art der Garantenpflicht
III.Einwände gegen das Kriterium der Tatherrschaft
1.Grundsätzliche Teilnahme des Unterlassenden bei aktivem Handeln eines anderen
2.Annahme von Tatherrschaft aufgrund von Verhinderungsmacht
a)Grundsätzliche Einwände
b)Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme
aa)Bedürfnis für Unterscheidung
bb)Unterscheidbarkeit
3.Fazit zur Tatherrschaft aufgrund von Verhinderungsmacht
IV.Argumente für ein Abstellen auf die Pflichtdeliktslehre
F.Fazit zur Täterschaft und Tabeherrschung im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
Teil 7 Tatherrschaft bei der unmittelbaren Täterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB)
A.Tatbestandshandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
I.Kommunikationstheoretische Vornahme der Tatbestandshandlung
1.Ausdrückliche Angaben
2.Konkludente Angaben
a)Konkludente Angaben durch sozialtypisches Verhalten
b)Konkludente Angaben durch schlüssiges Miterklären von Tatsachen
II.Zwischenfazit zur Tatbestandshandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
B.Sinnerfassende Betrachtung der Tatbestandshandlung innerhalb typischer Fallkonstellationen
I.Ausdrückliche Angaben unter Anwesenden
II.Ausdrückliche Angaben unter Abwesenden
III.Konkludente Angaben unter Anwesenden
IV.Konkludente Angaben unter Abwesenden
V.Fazit zu der Analyse typischer Fallkonstellationen
C.Kritische Würdigung des Kriteriums der Handlungsherrschaft im Hinblick auf unmittelbare Täterschaft bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
I.Vorwurf der Konkretisierungsbedürftigkeit der Definition von Handlungsherrschaft
II.Vorwurf des Verlusts des objektiven Tatbezugs
III.Vorwurf der Missachtung der Relativität des Tatherrschaftsbegriffes
IV.Vorwurf der Zirkelschlüssigkeit der Tatherrschaftslehre
V.Vorwurf mangelnder normativer Begründung des Tatherrschaftsbegriffs
VI.Normative Herleitung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
1.Parallele zu Urkundsdelikten
2.Unterschiede in der Tatbestandskonzeption von § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
3.Übertragung der Grundsätze des Herstellers einer unechten Urkunde auf die Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung
a)Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Grundsätze über die Abgabe einer Willenserklärung auf die Steuerhinterziehung
b)Zwischenfazit und Konsequenz für die Tatherrschaftslehre
c)Einwände gegen die Übertragbarkeit der Grundsätze über die zivilrechtliche Abgabe einer Willenserklärung
D.Fazit zur Tatherrschaft bei der unmittelbaren Täterschaft gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB
Teil 8 Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft (§§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)
A.Nötigungsherrschaft
B.Irrtumsherrschaft
I.Kritische Würdigung des Tatherrschaftsprinzips „Irrtumsherrschaft“ bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
1.Finale Überdetermination des Kausalverlaufs als Kriterium der Irrtumsherrschaft
2.Die Kritik an der finalen Überdetermination des Kausalverlaufes als Tatherrschaftskriterium
3.Mittelbare Täterschaft und „Irrtumsherrschaft“ in der Rechtsprechung zur Parteispendenaffäre
a)Kein sicherer Eintritt des Taterfolges
b)Erforderliches Mitwirken des potentiellen Tatmittlers
c)Mangelnder unmittelbarer Einfluss der Hintermänner
d)Zwischenfazit im Bezug auf die Rechtsprechung zur Parteispendenaffäre
II.Fazit zum Tatherrschaftskriterium der Irrtumsherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung
C.Organisationsherrschaft
I.Der Ansatz Roxins
II.Der Ansatz der Rechtsprechung
III.Schaffen und Ausnutzen von Rahmenbedingungen, die regelhafte Abläufe auslösen als neues Tatherrschaftskriterium
IV.Kritische Würdigung des Tatherrschaftskriteriums „Schaffen und Ausnutzen von Rahmenbedingungen, die regelhafte Abläufe auslösen“
V.Tatherrschaft aufgrund sozialer Machtstrukturen
1.Nachweis der sozialen Machtverteilung
2.Abgrenzung zur Anstiftung
3.Kein objektiver Tatbestandsbezug
4.Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Träger von sozialer Macht
VI.Zwischenfazit zur Tatherrschaft im Rahmen von Organisationsstrukturen
D.Fazit zur Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB
Teil 9 Tatherrschaft bei der Mittäterschaft (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB)
A.Gemeinsamer Tatplan
I.Sukzessive Mittäterschaft zwischen Tatvollendung und Tatbeendigung im Rahmen der Steuerhinterziehung
1.Veranlagungssteuern
2.Fälligkeitssteuern
3.Zwischenfazit zur sukzessiven Mittäterschaft
II.Gemeinsamer Tatplan und Mittäterexzess
III.Zwischenfazit zum gemeinsamen Tatplan
B.Gemeinsame Ausführung
I.Mitwirkung im Ausführungsstadium
1.Tatbestandsgelöstes Verständnis der Anforderungen an den objektiven Tatbeitrag
2.Tatbestandsbezogenes Verständnis der Anforderungen an den wesentlichen Tatbeitrag
3.Stellungnahme
a)Wortlaut
b)Vermeidung von Abgrenzungsproblemen
c)Fehlende dogmatische Anknüpfung
4.Zwischenfazit zur Mitwirkung im Ausführungsstadium
II.Erheblichkeit des Tatbeitrages im Ausführungsstadium
1.Beiträge mit konkretem Bezug zum objektiven Tatbestand
2.Beiträge ohne konkreten Bezug zum objektiven Tatbestand
3.Zwischenfazit zur Erheblichkeit des Tatbeitrages
4.Inhaltliche Anforderungen an einen solchen Tatbeitrag
a)Getrennte Erklärungen
b)Gemeinsame Erklärungen
c)Schlussfolgerungen
aa)Grundsätzliches
bb)Eigene Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen
cc)Potentielle Eignung zur Vorlage bei einer der in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO genannten Stellen
5.Folgefragen aus den inhaltlichen Anforderungen an einen solchen Tatbeitrag
III.Wechselseitige Zurechnung von Tatbeiträgen als Rechtsfolge gemeinsamer Tatausführung
1.Zurechnung unrichtiger oder unvollständiger Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen
a)Gemeinsamer, auf eine Steuerverkürzung gerichteter Tatplan
b)Gemeinsame, auf eine Steuerverkürzung ausgerichtete Tatausführung
2.Fazit zur wechselseitigen Zurechnung von Tatbeiträgen
IV.Zwischenfazit zur gemeinsamen Tatausführung
C.Einwände gegen das Tatherrschaftskriterium der funktionellen Tatherrschaft
I.Einwände gegen das Kriterium des wesentlichen Tatbeitrages
1.Wesentlicher Tatbeitrag und Kausalität
2.Wesentlicher Tatbeitrag und das „positive Element“ der Mittäterschaft
3.Anforderungen an die Bestimmtheit des Täterbegriffes
4.Zwischenfazit zu der Kritik an dem Kriterium des wesentlichen Tatbeitrages
II.Einwände gegen den Verzicht einer Kausalbeziehung zwischen wesentlichem Tatbeitrag und tatbestandlichem Erfolg
1.Äquivalenztheorie und Lehre von den gesetzmäßigen Bedingungen
2.Statistisches beziehungsweise auf Wahrscheinlichkeitsaussagen abstellendes Kausalitätsverständnis
3.Kausalität des mittäterschaftlichen Tatbeitrages als zwingende Voraussetzung funktioneller Tatherrschaft?
4.Zwischenfazit zu den Einwänden gegen den Verzicht auf eine Kausalbeziehung
III.Zwischenfazit zu den Einwänden gegen das Kriterium der funktionellen Tatherrschaft
IV.Einwände gegen den unmittelbaren Rückschluss von funktioneller Tatherrschaft auf Mittäterschaft
1.Positive funktionelle Tatherrschaft
2.Negative funktionelle Tatherrschaft
a)Klärung des Begriffs der „negativen“ funktionellen Tatherrschaft
b)Negative funktionelle Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung
aa)Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht
(1)Der einzelne Tatbeitrag als Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht
(2)Die gesamte Tatbestandsverwirklichung als Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht
(3)Zwischenfazit zum Bezugspunkt negativer Hemmungsmacht
bb)Zwischenfazit zur negativen Hemmungsmacht
cc)Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme
c)Fazit zur Tatbeherrschung aufgrund negativer Hemmungsmacht
3.Fazit zur negativen funktionellen Tatherrschaft
V.Wechselseitige Zurechnung von Tatbeiträgen als Abgrenzungskriterium
D.Fazit zur funktionellen Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung
E.Fazit zur Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB
I.Gemeinsamer Tatplan
II.Gemeinsame Tatausführung
Teil 10 Die wesentlichen Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine geringfügige Überarbeitung. Rechtsprechung und Literatur sind bis August 2015 berücksichtigt.
Mein besonders herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Andreas Ransiek, der die Arbeit angeregt und durch seine fortwährende Gesprächsbereitschaft in hervorragender Weise betreut hat. Für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Professor Dr. Stephan Barton, dem ich zudem ganz herzlich für die vielen angenehmen und lehrreichen Jahre, die ich während meines Studiums und Referendariats als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte, danken möchte. Herrn Professor Dr. Michael Lindemann danke ich für seine Bereitschaft, im Prüfungsausschuss den Vorsitz zu übernehmen.
Wesentliche Teile dieser Arbeit sind während meiner ersten Berufsjahre als Rechtsanwalt bei der Herforder Kanzlei LTS Rechtsanwälte · Wirtschaftsprüfer · Steuerberater entstanden. Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen dortigen Kollegen, allen voran Herrn RA/WP/StB Dr. Stefan Hoischen, Herrn RA/StB Christian Hörster und Herrn RA/StB Hans-Achim Ernst bedanken, die mich in besonderer Weise gefördert und mir den notwendigen Freiraum für das Erstellen der Arbeit gegeben haben.
Dank gebührt darüber hinaus Frau Professorin Dr. Sudabeh Kamanabrou und Herrn Professor Dr. Ralf Krack, die das Entstehen der Arbeit immer mit Interesse begleitet und mich in vielerlei Hinsicht – von der Aufnahme in die tägliche Mensarunde bis zu angeregten inhaltlichen Diskussionen – unterstützt haben.
Der Entstehungsprozess einer solchen Arbeit wird naturgemäß von Höhen und Tiefen begleitet. Den Menschen in meiner engsten Umgebung, die sich während der Höhen mit mir gefreut und die mich in Tiefen aufgerichtet haben, widme ich dieses Buch – meiner Familie. Meiner Frau, Dr. Anne Christin Wietfeld, ohne deren ständige Gesprächsbereitschaft, deren steten Rückhalt und deren Eifer, auch jedes kleinste Formatierungsproblem in den Griff zu bekommen, die Arbeit wohl niemals entstanden wäre, meinem Sohn Jonathan, meinen Eltern Norbert und Rita Wietfeld, meiner Schwester Frauke Wietfeld sowie allen Bunten, Empties und Elbaums. Euch allen habe ich mehr zu verdanken, als ich hier ausdrücken kann.
Schließlich danke ich Herrn Professor Dr. Mark Deiters, Herrn Professor Dr. Thomas Rotsch und Herrn Professor Dr. Mark A. Zöller für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Schriftenreihe.
Bielefeld, im August 2015 Malte Wietfeld
Für meine Familie
Teil 1 Einleitung und Gang der Untersuchung
Inhaltsverzeichnis
A. Einführende Bemerkungen
B. Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen
A. Einführende Bemerkungen
1
Am 12.12.2012 durchsuchten auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 500 Beamte des Bundeskriminalamts, der Bundespolizei und der Steuerfahndung die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Grund für die Durchsuchung war der dringende Tatverdacht des Umsatzsteuerbetruges in Millionenhöhe im Zusammenhang mit Luftverschmutzungsrechten. Im Fokus der Ermittlungsbehörden stand unter anderem der zu diesem Zeitpunkt amtierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Ins Visier der Ermittlungsbehörden war er geraten, weil die Umsatzsteuererklärung der Deutschen Bank für das Jahr 2009 seine Unterschrift trug. Die Geschäfte, die im Zusammenhang mit den Luftverschmutzungsrechten getätigt wurden, fielen allerdings nicht in seinen Zuständigkeitsbereich und er wäre im Normalfall auch nicht für die Unterschrift der Umsatzsteuerklärung zuständig gewesen. Einzig, weil das eigentlich zuständige Vorstandsmitglied am Tag der Ausfertigung der Umsatzsteuererklärung nicht zugegen war, unterschrieb er an seiner statt.[1]
Mit diesem Beispiel ist zwar noch nichts Wesentliches über das Kernthema dieser Arbeit – die Tatherrschaft im Rahmen von Steuerhinterziehungen – gesagt. Es illustriert aber einen wesentlichen Aspekt des Problems, Täterschaft im modernen Wirtschaftsstrafrecht zu bestimmen: Arbeitsabläufe werden innerhalb von Wirtschaftsunternehmen in zunehmenden Maße dezentralisiert. Das Bild des Unternehmenspatriarchen, der alle Fäden in der Hand hält und über dessen Schreibtisch alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen laufen, gehört zunehmend der Vergangenheit an. Verantwortung wird dagegen immer mehr auf verschiedene Schultern verteilt, wobei jedoch in vielen Fällen – so steht es zu vermuten – der Umstand unbeachtet gelassen wird, dass rechtliche Haftungstatbestände keine Rücksicht auf interne Geschäftsverteilungspläne nehmen.
Die von dem Steuerberater eines mittelständischen Unternehmens erstellte und von dessen Geschäftsführer ungelesen unterschriebene Steuererklärung scheint heute ebenso zum Alltag zu gehören, wie die einleitend erwähnte Umsatzsteuererklärung in Millionenhöhe, die, so hat es den Anschein, „zwischen Tür und Angel“ unterschrieben und damit autorisiert wird. Hierbei scheint jedoch allzu häufig unberücksichtigt gelassen zu werden, dass – bereits dem Rechtsempfinden nach – durch eine eigenhändige Unterschrift nach außen hin eine persönliche Garantie für die unterzeichneten Inhalte übernommen wird. Diese Entwicklung dürfte einem immer schnelllebigeren Wirtschaftsleben geschuldet sein. Das Strafrecht hat indes die Aufgabe, fortwährend mit derartigen Entwicklungen Schritt zu halten. Idealerweise kann es die Strafbarkeit eines Ladendiebes anhand derselben Kriterien bestimmen wie diejenige der Mitglieder eines europaweit tätigen Umsatzsteuerkarussells.
Nicht nur im Bereich der Steuerhinterziehung besteht diesbezüglich heute zwischen Wissenschaft[2] und Rechtsprechung[3] ein weitreichender Konsens, dass es für die Bestimmung von Täterschaft auf die Tatherrschaft oder jedenfalls „den Willen zur Tatherrschaft“ ankommen soll. Der vorliegenden Arbeit liegt die Frage zugrunde, ob das Kriterium der Tatherrschaft tatsächlich dazu geeignet ist, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. In der als „Badewannenfall“ berühmt gewordenen Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1940[4] war noch unmittelbar einleuchtend, dass die junge Frau, die das unehelich geborene Kind ihrer Schwester direkt nach der Geburt und ohne eigenes Tatinteresse in der Badewanne ertränkte, aufgrund der vollständig eigenhändigen Tatverwirklichung – und damit vollständig eigenen Herrschaft über den Tatverlauf – nicht lediglich als Teilnehmerin angesehen werden konnte, sondern als Täterin hätte verurteilt werden müssen. Dieser Fall verdeutlicht somit nachdrücklich die Vorzüge der Tatherrschaftslehre, die dem objektiven Tatverlauf einen hohen Stellenwert zubilligt. Im Zuge der oben beschriebenen Dezentralisierung von Arbeitsabläufen in Unternehmen verschwinden derart klare Grenzen zwischen eigenhändiger Tatverwirklichung und originärer Tatverantwortung jedoch in zunehmendem Maße. Wer ist beispielsweise verantwortlich, wenn ein Bote, in Kenntnis der darin enthaltenen unrichtigen Angaben, die Steuererklärung seines Vorgesetzen an das Finanzamt übermittelt?[5] Das Rechtsempfinden wird jedenfalls auch – womöglich aber auch ausschließlich – den Vorgesetzten als Verantwortlichen nennen. Aber hatte er in diesem Fall in irgendeiner Form Herrschaft über das zur Tatbestandsverwirklichung führende Geschehen? Hatte er eine wie auch immer geartete (Tat-)Herrschaft?
Die besondere Bedeutung des Kriteriums der Tatherrschaft im Zusammenhang mit derartigen Fragen zeigt sich an dem Umstand, dass sich Rechtsprechung und Wissenschaft bei der Bestimmung von Täterschaft sowie der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwischenzeitlich ein gutes Stück aufeinander zu bewegt haben. Die Rechtsprechung trägt ihrem ursprünglich rein subjektiv geprägten Ansatz heute durch eine Bestimmung des Täterwillens anhand einer wertenden Gesamtschau verschiedener subjektiver und objektiver Kriterien Rechnung. Die Ergebnisse dieser wertenden Gesamtschau hängen dabei „unter anderem von dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung sowie der Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft ab“.[6] Insoweit wird von einer „normativen Kombinationstheorie“ gesprochen.[7] Vor diesem Hintergrund kann durchaus von einer gewissen Hinwendung der Rechtsprechung zur Tatherrschaftslehre gesprochen werden.[8]